Kurd Laßwitz
Aspira
Kurd Laßwitz

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Widerspenstige Geister

»Hört auf mich, ihr Geschwister aus Luft und Wasser, aus Feuer und Erde! Und ihr vornehmlich, Stützten des Langbergs, ehrwürdiger Gneis, zürnender Korallenkalk, all ihr Geister der Elemente, hört mich!

Ja, es ist wahr, ein Mensch war ich, noch vor wenigen Stunden. Gestern noch weilte ich in der großen Stadt unter den Menschen und dachte und sprach mit ihnen in ihrer Sprache. Und wie kam ich so schnell hierher? Nicht langsamer, als wenn ich im Wirbel als Wolke gezogen wäre, nicht die Füße rührte ich und kam doch herauf in die Höhe unserer Berge, schlummernd auf weichen Kissen trug mich der Menschen Werk durch unsre Felsen, über unsre Klüfte.«

»Wie? Wie geschah das? Wie können das die Menschen? Haben sie einen Zauber?« so flüsterte es rings in der Höhle.

»Ja, sie haben einen Zauber. Damit können sie bestimmen, was werden soll. Seit Jahrtausenden bereden sie sich und teilen einander mit, was sie von euern Kräften und Wirkungen wahrnehmen. Und dann stellen sie es zusammen nach ihrem Willen.

Aus der Erde graben sie die Kohle und das Eisenerz und mischen sie und glühen sie im Feuer und blasen die Luft hinein, und sie gewinnen das Eisen und den harten Stahl und geben ihnen die Form, die sie brauchen. Das Wasser schließen sie in den festen Kessel und wandeln es in Dampf durch die brennende Kohle. Und der Dampf dehnt sich aus und schiebt ihre Kolben und dreht damit ihre Räder. Auf den glatten Eisenstangen, die sie über Tal und Berg legen, wollen ihre Wagen mit der Eile des Windes. Was zehntausend Menschen nicht zusammenbrächten mit ihren Zwergenarmen, das tut für sie eure Riesenkraft, die sie sich leihen. Das ist die Macht der Menschen.«

»Und die unsre, vergessen Sie das nicht,« riefen die Sprenggase. »Wir sprengen nicht bloß Felsen, wir können auch Maschinen treiben.«

»Wenn der Mensch euch leitet.«

»Seid ihr immer noch da, Gesindel?« pfiff die Luft. »Ihr habt hier gar nichts zu suchen, ich will euch hinausblasen.«

»Na, na, na,« klang es von den Sprenggasen, aber schon schwächer, denn sie hatten sich bereits stark zerstreut. »Wir sind doch auch Elementargeister.«

»Gar nichts seid ihr! Bildet euch doch nicht ein, lebendige Luft zu sein. Elende Reste seid ihr von Kraftprodukten. Ein kurzes Weilchen seid ihr noch munter, weil ihr solange zusammengepreßt waret und nun die Bewegung in euch gekommen ist. Auflösen könnt ihr euch, aber nicht wieder zusammenziehen. Versucht's doch. Ich zerstreue euch, und das Wasser saugt euch ein, und gewesen seid ihr! Nahrung für neues Leben, weiter nichts. Habe ich nicht recht, Aspira?« fragte die Luft.

»Du hast recht. Es gibt auch solche vorübergehende Gebilde in unserm Reiche. Aber ihnen fehlt die Einheit der lebendigen Natur, sie schaffen nicht am eigenen Leibe. Doch ihr, Elemente, die ihr im dauernden Wechsel kreist und euch immer wieder zusammenschließt, ihr haltet die mächtigen Kräfte des Erdballs und leiht sie dem Menschen. Er braucht sie zu seinen Zwecken und gibt sie dann an euch zurück, wie die Sprenggase. Ihr nehmt sie wieder in euern Kreislauf auf, doch ihr wißt nicht, was aus ihnen wird. Ihr lebt dahin, wie es gerade kommt. Der Mensch aber weiß eure Kräfte zu ordnen, er sucht sich aus euch heraus, was ihm dienlich ist. Und so vermag er euch zu zwingen nach seinem Willen. Aus euern Bestandteilen zog er die Kraft, mit der er jetzt den harten Felsen zersprengt.«

»Das ist sehr gut, daß du uns das sagst,« fiel die Kalkschicht ein. »Jetzt wissen wir erst recht, woran wir mit dem gefährlichen Menschen sind. Wir kennen seinen Zauber. Es fällt mir gar nicht ein, ihm meine Bestandteile zu leihen, damit er mich auseinander sprengt. Da wäre ihm wohl mein feiner Kalk gerade recht. Du weißt ja, daß ich ein Korallenriff bin.«

»War –« brummte der Wasserfall.

»Warum willst du ihm den Kalk nicht leihen, den du entbehren kannst?« fragte Aspira. »Den Kalk braucht er nicht zum Sprengen, sondern gerade zum Festhalten und Aufbauen.«

»Das konnte ich mir denken,« bemerkte der Kalk. »Ich halte mich gut. Aber eben darum muß ihm das Zerstörungswerk gelegt werden.«

»Jawohl,« dröhnte der Wasserfall. »Ganz gleich, was er tut. Ich habe keine Lust ihm zu dienen. Wer weiß, was ich ihm dann zerklopfen muß.«

»Und hier im Berge hat er gar nichts zu suchen. Hinaus mit ihm!« sprach der Tropfstein.

Aspira gab die Hoffnung noch nicht auf.

»Aber liebe Freunde,« begann sie wieder, »ihr kennt den Menschen nicht. Ihr beurteilt ihn falsch. Ich habe auch so gedacht. Darum bat ich den Hohen, mich zu den Menschen zu schicken, damit ich erfahre, wie wir uns gegen sie verhalten sollen.«

»Sag' es uns, sag' es uns!« klang es im Chorus.

»Nicht bekämpfen sollt ihr ihn, ihr sollt ihm helfen.«

»Was? Wie?« schrie es von allen Seiten.

»Wenn das nicht Aspira sagte, so pfiffe ich darauf,« meinte die Luft.

»Hört mich in Ruhe! Der Mensch will uns ja nicht zerstören, um euch zu schaden. Er will Nutzen stiften, er will etwas Höheres aus uns aufbauen.«

»Etwas Höheres?« schnaufte die Luft. »Etwas Höheres als die Berge und die Wolken und die Luft gibt es ja gar nicht.«

»Vielleicht eben den Menschen,« keifte der Kalk. »Natürlich, zum Aufbauen braucht er mich. Sich selbst will er ausstaffieren mit meinen feinen Korallen. Aber dazu bin ich nicht zu haben.«

»Ja, ja, wir sollen ihm dienen! Aspira hat's ja gesagt.«

»Nicht ihm allein, sondern euch selbst. Der Mensch ist nicht euer Feind, und ihr sollt nicht seine Feinde sein. Bundesgenossen sollt ihr werden, damit ihr ihm an seinem Werke helft und gemeinsam das Höhere errichtet.«

»Immer das Höhere,« zischte die Luft. »Was soll das sein? Wir brauchen nichts Höheres! Wir brauchen nicht den Menschen! Was wir brauchen, das haben wir, und was wir nicht haben, darauf pfeifen wir.«

»Aber es gibt ein Höheres, wozu ihr dem Menschen helfen sollt.«

»Dem Menschen? Sollt? Das eben wollen wir nicht. Der habt seinen Zauber.«

»An diesem Zauber könnt ihr teilnehmen. Ich sage euch, es gibt ein gemeinsames Ziel, wozu ihr da seid und auch der Mensch. Um es zu erreichen, bedarf er euer. Darum sollt ihr ihm freiwillig eure Kräfte leihen und ihn nicht an seiner Arbeit hindern.«

»Das Ziel, das Ziel, höre ich immer,« dröhnte es unten von der Erdwärme. »Was ist das, ein Ziel? Was meinst du? Ist es vielleicht das, was kommen soll? Dann helfe ich nicht. Denn mir ist gesagt vor namenlosen Zeiten, als ich noch auf der Sonne war, es wird etwas kommen am Ende, das ist die Kälte.«

»Nein, nein, das meine ich nicht,« rief Aspira jetzt verzweifelt. Wie sollte sie diesen Geistern sagen, was sie wollte? »Das Ziel, zu dem ihr alle helfen sollte, das ist das Gute.«

»Das Gute?« sagte die Kalkschicht. »Was ist das Gute? Das Gute war da, als meine Polypen im blauen Meeresgolf ihre Fangärmlein bewegten.«

»Das Gute?« dröhnte der Fall. »Das Gute ist, daß immer frisches Wasser hier herabläuft Dazu brauche ich die Menschen nicht.«

»Das Gute,« pfiff die Luft, »ist überall. Das brauchen wir nicht, das haben wir.«

»Das Gute ist die Ruhe,« bemerkte der Tropfstein. »Alle Achtung vor unserem hohen Besuche, aber ich bin etwas ermüdet.«

»Was das Gute ist, wie soll ich's euch sagen?« seufzte Aspira. »Das Gute, meint ihr, sei das, was ihr seid. Nur der Kalk hat eine Ahnung, daß es auch etwas andres geben kann, als was gerade ist. Das kommt wohl daher, weil er von einem Zellenwesen stammt.«

»Das will ich meinen,« sagte die Kalkschicht geschmeichelt.

»Ihr müßt aber wissen, das Gute ist das, was werden soll. Es ist das, was die Menschen suchen, die Macht, sich zu verbinden und zu helfen auf der ganzen Erde, damit alle Wesen Freunde sind. Dann sind sie gut. Ihr könnt es noch nicht verstehen, weil ihr den Menschen noch nicht kennt. Aber versucht nur, ihm nicht feindlich zu sein, so werdet ihr schon merken, was gut ist.«

»So sind also die Menschen gut?« fragte die Kalkschicht, um ihr höheres Verständnis zu zeigen. »Ist das ihr Zauber, daß sie gut sind?«

»Sie wollen es werden. Manche sind es auch.«

»Nun,« pfiff die Luft, »warum bist du denn nicht bei den Menschen geblieben?«

»Weil ich auch euch das Gute bringen wollte.«

»Wir brauchen es nicht,« dröhnte es aus der Erde.

»Ihr wißt nicht, wie es um euch steht,« klagte Aspira. »Ihr meint, was ihr tut, das Strömen der Luft, das Rauschen des Wassers, das Ruhen des Steins, das Glühen des Erdinnern, Das Wogen der Wolken, das sei weiter nichts, als daß ihr lebt, wie es euch gefällt. Ihr wißt nicht, daß ihr so sein müßt. Doch es gibt ein Reich, wo es anders ist, wo die Wesen nach einem Ziele des Lebens streben –«

»Schweig' von deinem Ziele,« dröhnte es jetzt stärker von unten. »Ich habe nun lange genug davon gehört. Wir wollen nichts wissen von dem andern Reiche. Schwebe zu deinen Menschen, Aspira. Sie sollen sich an der Sonne wärmen, von mir haben sie nichts zu erwarten. Kommen sie aber zu mir herunter, so will ich ihnen einen Brei kochen, der ihnen nicht schmecken wird. Ich kann nämlich auch wollen.«

»Nimm es der Erdwärme nicht übel, Aspira,« sagte der Kalk. »Aber sie ist nun einmal auf die Oberen nicht gut zu sprechen. Sie will nichts von sich abgeben. Und das muß ich gestehen, für den Menschen habe ich auch nichts übrig. Er sticht von oben in mich hinein, und von unten – es ist eine Schande – hat er mich angesprengt. Und wir wollen es uns nun einmal nicht gefallen lassen.«

»Nein!« brüllte der Wasserfall.

»Nein!« zischte die Luft.

»Nein!« brummte der Tropfstein.

Aspira glühte auf in Zorn und Trauer, daß von den Zacken der Höhle die Elmsfeuer leuchteten.

»O ihr Toren!« rief sie. »Wenn ihr mich auch nicht versteht, so glaubt mir doch, was ich sage. Ich will ja nichts von euch, als daß ihr den Menschen nicht stören sollt. Laßt ihn in Frieden in seinem Tunnel arbeiten, was schadet es euch? Tut nur gar nichts, dann ist es schon gut. Was zu tun ist zu des Menschen Heil, das will ich selbst besorgen. Ich gleite jetzt hinab – laß mich hindurch, Kalkschicht.«

»Ich kann dich nicht hindern.«

»Ihr könnt überhaupt nichts hindern. Nützen könntet ihr, aber das wollt ihr nicht. Den Zauber des Menschen wollt' ich euch bringen, aber ihr wollt nicht.«

»Nein, nein, nein! Wir wollen nichts von dem Menschen. Aus dem Berge soll er! Zerdrücken werden wir ihn! Kochen! Vernichten!« So rief es im Chorus durcheinander.

»Das werdet ihr nicht!« drohte Aspira. »König Migro wird es euch verbieten! Fürchtet seinen Zorn!«

»Hahaha!« höhnten die Geister durcheinander. »Das werden wir abwarten. König Migro hat uns noch nie etwas vom Menschen gesagt.«

Aspira bezwang sich. Die Höhle versank wieder im Dunkel.

»Übrigens,« begann sie noch einmal ruhiger, »ihr seid gar nicht maßgebend. Ihr seid nicht der Langberg. Hier bestimmt der ehrwürdige Gneis, und der hat noch nicht gesprochen.«

»Erlaube,« sagte der Gneis bedächtig, »ich habe mich von der Außenwelt zurückgezogen, lange bevor von Menschen die Rede war, ich kann mich daher in diese Angelegenheit nicht mischen.«

»Aber, ich bitte, der Langberg hat mich doch so freundlich unterstützt, er hat mich vor dem herabrollenden Wagen gerettet, er hat mir den Weg nach der Silberquelle erleichtert –«

»Erlaube, davon weiß ich nichts. Indessen können die Felsen und Wälder an meiner Außenseite selbständig gehandelt haben. Immerhin wäre zu erwägen, ob die Beteiligung des sogenannten Menschen an der Öffnung meines Tunnels eine berechtigte ist. Da ich nun der Ansicht bin, daß dieser Tunnel ein freiwilliges Erzeugnis meiner innern Natur im Interesse meines Wohlbefindens ist, so liegt von meinem Standpunkte aus in der fördernden Tätigkeit des Menschen keine Veranlassung, ihm feindlich gesinnt zu sein.«

»Gneis!« rief die Kalkschicht.

»Jedoch,« fuhr der Gneis fort, »kann dieser Gesichtspunkt nicht allein maßgebend werden. Es ist vielmehr auch die Schädigung meiner lieben Kalkschicht durch den sogenannten Menschen zu erwägen, die unter Umständen Veranlassung geben könnte, ihr im Interesse des gesamten Berges entgegenzutreten. Bei dieser nach beiden Seiten hin wohl zu erwägenden Gegensätzlichkeit scheint es mir den allgemeinen Bestimmungen meiner Organisation zu entsprechen, wenn ich, wie bisher, die Existenz des Menschen als nicht in Betracht zu ziehen erachte und bei meiner wohlbewährten Neutralität verharre, wobei ich immerhin nicht abgeneigt bin, mich der Ansicht von Prinzessin Aspira anzuschließen, aber meinerseits mich den Wünschen des Korallenkalks nicht entgegenzusetzen denke.«

»Strümpler!« murmelte Aspira, indem sie sich zusammenzog und mit dem Wasserfall in die Tiefe stürzte.

Nach allen Richtungen verteilte sie sich durch die feinen Risse der Kalkschicht, um dem Wege nachzuspüren, auf dem die Sprenggase in die Höhle gelangt waren. Denn hier mußte eine Verbindung mit dem Tunnel sein, von der die Gefahr drohte.

Lange irrte sie so durch die ausgedehnten und verschobenen Schichten. Dann stieß sie auf eine zweite geräumige Aushöhlung, von der aus sich die Kalkschicht in zwei Hauptteile spaltete. Durch welchen waren die Gase gekommen? Sie wußte, daß der obere, weniger geneigte Teil nach der Silberquelle führte, der andere aber tief hinab in jene heiße und zerdrückte Region, wohin sich Aspira bisher nicht gewagt hatte.

Sie entschloß sich, zunächst den oberen Teil der Kalkschicht zu untersuchen. Auch hier galt es, genau zu prüfen. Aber immer schmaler wurde die poröse, unten wie an den Seiten von undurchlässigem Gestein eingeschlossene Schicht, ohne daß sich irgendwo die Möglichkeit gezeigt hätte, daß Wasser oder gar Schlamm eine Verbindung nach dem Tunnel finden könnten. Zugleich hatte sie sich überzeugt, daß es keinerlei Anzeichen gab, die auf einen Zusammenhang dieser Hauptschichten mit der neu entdeckten Quelle hinter der Silberquelle, von der sie der Ingenieur benachrichtigt hatte, hinwiesen. So gelangte Aspira nach dem Ausgange am Tobel und sprudelte als Silberquelle ins Freie.

Aber was war das? Morgendämmerung? Das hatte sie erwartet. Doch schnell erkannte sie, daß es die Nacht war, die hereinbrach. So hatte sie nicht nur die Nacht, sondern auch den ganzen Tag im Berge zugebracht. Es waren vierundzwanzig Stunden seit ihrer Ankunft in St. Florentin vergangen.

Wo mochte Paul sein? Was mochte er im Tunnel gefunden haben? Von hier aus, so viel war wenigstens festgestellt, drohte keine Gefahr. Aber um so sicherer schien es, daß die Sprenggase durch die tiefe, zerdrückte Schicht gekommen waren und daß dort ein Einbruch drohte.

Nachsinnend ruhte Aspira als Nebel in der Festinaschlucht. Der Himmel war mit Wolken bedeckt, das Wetter war regnerisch und unfreundlich im Tale wie bei ihrer Ankunft. Sie mußte jetzt in den Berg zurück, um den tieferen Zweig der Schicht zu erforschen. Sollte sie wieder durch die Gamssteine als Wasser? Oder sollte sie von der Silberquelle bergauf? Das konnte sie nur in Dampfform, und auch das nahm längere Zeit in Anspruch. Doch sie entschloß sich dazu. Es mochte wohl draußen im Lande schon der Morgen angebrochen sein, als sie sich wieder in der Höhlung befand, von der sie sich nun in die unbekannte Tiefe hinabwagte.

Je weiter Aspira abwärts kam, um so höher stieg die Temperatur. Gewaltige heiße Wassermassen erfüllten die Kalkschicht, die sich tief unter die Talsohle von Schmalbrück hinabsenkte. Dann bog sie sich wieder steil nach oben und bildete so eine Art Heber, dessen Inhalt in der Tiefe erhitzt wurde. Nach unten zu war kein Ausgang. Eine dünne Tonschieferlage über dem Gneis schloß den großen Hexenkessel fest ab, dessen größerer Teil eine schlammige Masse enthielt. Die obere Grenze des aufsteigenden Armes zog sich nach Aspiras Schätzung ungefähr wieder bis zum Tunnelniveau hinauf. Wenn die Sprengungen oder die Gewalt der Bergeslasten zwischen diesen Schlammassen und dem Tunnel eine Verbindung herstellten, dann mußte der Druck, unter dem sie standen, den Brei in den Tunnel drängen und diesen verwüsten.

Wo lag der Tunnel, genau genommen? Aspira mußte an die spöttischen Worte Sohms denken von dem Elementargeist, der sich Barometer, Kompaß und Geschwindigkeitsmesser mitnehmen sollte. Es war doch etwas anderes, gedankenlos durch Luft und Erdreich zu ziehen, als behaftet mit der Aufgabe der Erkenntnis, die Dinge nach Zahl und Maß festzustellen. Und diese dummen Berggeister!

Während Aspira sorgenvoll nachsann, vernahm sie wieder, und allmählich immer deutlicher, die Stimmen der unterirdischen Gewalten, die noch weiter beratschlagten, was sie dem Menschen antun wollten. Von unten polterte die Erdwärme: »Kochen! Kochen! Kochen!«

Sollte sei noch einmal versuchen, ihren Einfluß geltend zu machen?

Ungeduldig ließ sie ihre Stimme vernehmen:

»Warte doch einmal noch ein wenig mit dem Kochen! Ich bin hier noch im Berge, ich kann nicht so schnell durch eure breiigen Kanäle hindurch. Da könntest du wohl so liebenswürdig sein, dein Kochen aufzuschieben, bis ich hinaus bin.«

»Bin kein Freund von Rücksichten,« klang es von unten. »Muß heizen, heizen, heizen. Wir wollen den Menschen im Tunnel kochen.«

»Aber was hast du denn davon? Du weißt ja gar nicht, ob er darin ist?«

»Haha, das werden wir wissen.«

»Wie denn? Wie kommst du darauf?«

»Hast es ja selbst gesagt, wie wir es machen müssen. Oben in der Höhle! Die Luft hat's uns erklärt und die Kalkschicht und die neuen Sprenggase, die gekommen sind. Wie der Mensch machen wir's. Bereden uns unter einander. Das ist der Zauber. Das können wir auch. Denkst wohl, die Wolken sind allein klug?«

»Ja,« sagte Aspira, »da seid ihr freilich sehr klug. Wie mögt ihr das nur machen wollen?«

»Haha! Das möchtest du wissen? Kennst du die Schiefklippe draußen? Die Luft hat uns gesagt, sie hat früher einmal gehört, daß die Menschen Angst haben, die Klippe könnte herabstürzen. Das soll sie nun tun. Gerade dahin wird sie fallen, wo es in den Tunnel hineingeht. Die Sprenggase berichten uns, wann die Menschen darin sind. Und die Luft sagt es der Schiefklippe. Dann fällt sie herab, und die Menschen können nicht heraus. Und wir drücken gegen den Tunnel, und ich koche, koche, koche! Haha! Das hättest du nicht gedacht?«

»Nein!« antwortete Aspira innerlich erschauernd. »Was du da erzählst, das ist ja ein Plan. Und ein Plan hat ein Ziel. Das freut mich, daß du nun auch für Ziele bist, da wirst du dich schon noch mit mir vereinigen, daß alles gut wird.«

»Das ist ein Ziel? Ist das gewiß?«

»Freilich.«

»Hm! Hm! Aber kein höheres! Gekocht wird doch.«

»Wenn ich nun aber selbst im Tunnel bin?«

»Gekocht wird doch. Dir kann es ja nichts schaden.«

»Wann soll denn das sein?«

»Das wird wohl nicht mehr lange dauern. Wir werden's schon merken, wenn die Schiefklippe herabsaust.«

»Aber wenn ich dich bitte –«

»Gekocht wird doch!«

Aspira schwieg. Es war ja völlig vergebens zu verhandeln. Was sollte sie tun?

Da ein Knall, ein Zittern des Gesteins. Es kam aus dem Innern des Berges. Man sprengte also weiter im Tunnel. Und es konnte nicht fern sein. Und jetzt, jetzt merkte sie ganz deutlich den Geruch der Sprenggase, die bis hierher drangen – – es mußten demnach Spalten im Gestein sein –

Aspira spürte wieder umher. Dort aus jenem Seitengang mußten die Gase kommen. Ja, da stiegen sogar kleine Blasen auf.

Aspira drängte sich durch die Spalten, die unregelmäßig hier das einschließende feste Gestein durchsetzten. Sie hatten sich wohl erst durch die neuen Sprengungen so erweitert, daß auch das Wasser hindurchkonnte; wenigstens hatte sie bisher nichts davon bemerkt. Und jetzt, Aspira erschauderte ängstlich – jetzt vernahm sie durch den Fels den Schlag von Hacken, das Scharren von Schaufeln – – Da trifft sie auf eine zweite Spalte, durch die ein Wasserstrahl quillt, sie fühlt sich mitgerissen und wie ein Springbrunnen schießt das Wasser in einen weiten Raum, den eine elektrische Lampe erhellt. Wilde Gesteinstrümmer werfen zackige Schatten in der grellen Beleuchtung, in der eine Anzahl Männer den Schutt in eine Karre schaufelt –

Angstvoll späht Aspira in den Tunnel, worin an der Seitenwand, nahe am Boden eine lebhafte Quelle entspringt.

Sie sammelt sich im Schutt des Bodens, sie verdampft und hält sich in der Luft, – sie will sehen, was im Tunnel vorgeht – –

Die Arbeiter hatten aufgehört zu schaufeln. Zwei Männer traten heran und beleuchteten die Wand, sie maßen die Temperatur und die Wassermenge der Quelle. Aspira kannte sie nicht. Balken, Röhren, eisernes Gerät wurde herangebracht. Aspira mußte weiter in den Tunnel hineinschweben, denn an der Wand wurde gearbeitet.

Also drang wirklich Wasser in den Tunnel, warmes Wasser, das wußte sie wohl. Wenn es nun doch den Gewalten der Tiefe gelang, mit ihren Schlammassen sich den Eingang zu erzwingen? Wenn der Plan der Erdgeister zur Ausführung kam?

Martin und Sohm konnte sie nicht erblicken, sie waren nicht hier. Aber sie konnten jeden Augenblick kommen, und dann – – Sie fürchtete, den Donner der stürzenden Felsmassen vom Tunneleingang her zu vernehmen. Dann waren die Menschen eingeschlossen, dann hatten die Erdkräfte Zeit, in den Tunnel einzubrechen –

Was sollte sie tun? Momentan dachte sie daran, so schnell wie möglich aus dem Tunnel zu eilen, nach dem Gletscher zu stürzen, wieder Weras Gestalt anzunehmen und Sohm zu warnen – aber das dauerte viel zu lange, und – was hätte sie auch sagen sollen? Wer hätte ihr geglaubt?

Und als Wolke konnte sie nicht eingreifen. Ihr Plan den Berggeistern gegenüber war gescheitert. Ja sie hatte nur Unheil angerichtet. Was den Menschen zunutzen gereichen sollte, das wurde ihnen nun zum Verderben. Ihre Lehren waren es, die von den Berggeistern in ihrer täppischen Manier ausgenutzt wurden. Und sie, sie war ohnmächtig.

Verzweifelnd zog Wera langsam durch den Tunnel.


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