Kurd Laßwitz
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Kurd Laßwitz

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Wera saß in ihrem stillen Zimmer. Sie las in dem Tagebuch aus Weidburg, sie las Sohms Briefe. Und nun nochmals die Gedichte, die sie längst auswendig wußte – –

So fühlte er, ehe sie es ahnte – –

Paul Sohm an Wera.

        Ausgelöscht in Dämmerungen
Liegt mein Leben, liegt mein Denken.
Nimmermehr vom Glücke fordr' ich
Neue Tage mir zu schenken.

Und doch glühn durch meiner Seele
Rätselvolle schwüle Nächte
Wundersame Mädchenaugen
Wie geheime Schicksalsmächte.

Ob mir goldne Zukunftssonnen
Nahes Morgenrot verbreiten?
Ob nur fern die Wetter leichten
In den unnahbaren Weiten?

Diese lieben dunkeln Sterne,
Ach, ich weiß nicht, was sie sagen – –
Ob sie Schweigen mir gebieten?
Ob sie mich verstohlen fragen?

        Das holde Glück, bei dir zu weilen,
Zwei Stimmen ruft es in mir wach –
Nur eine darf dein Ohr ereilen,
Doch heimlich tönt die andre nach.

Die eine wird dir höflich sagen,
Wie deine Nähe mich erfreut, –
Die andre stürmt in wirren Fragen,
Vom Herzen tausendfach erneut.

Die eine spricht von weisen Dingen,
Und klug und freundlich stimmst du zu, –
Die andre möchte jauchzend klingen:
Geliebtes Weib, wie hold bist du!

Und muß die erste plötzlich stocken,
Wenn mich dein Auge leuchtend mahnt,
Frag' ich im stillen tief erschrocken,
Ob du die zweite wohl geahnt?

      Auf meine Hand stütz' ich das heiße Haupt
Und achtlos laß ich die Minuten rinnen.
Wieviel der Stunden hast du mir geraubt,
Wieviel der Tage, träumerisches Sinnen!

In Plänen, schon verworfen beim Entstehen,
In Wünschen, die ich auszudenken schaudre,
So muß das Leben nutzlos mir vergehn,
Und ach, so leb' ich nur, indem ich zaudre.

      Von diesem Haupte nimm die Last der Jahre
Und was sie lehrten nimm mir, Herr der Zeit,
Daß ich den Frühlingssegen ganz erfahre,
Mit dem ihr Atem meine Tage weiht.

Nimm all die Zweifel, die das Herz berauben,
Nimm mir das Wissen um die neue Qual,
Laß mich noch einmal an die Liebe glauben
Und an ihr Glück – noch dieses eine Mal!

        Ich kenne dich und die verborgnen Wege,
Wo deine Seele wandert – –
                                                Durch die Höhn
Des eisigen Äthers, wo den irren Schein
Die letzten Sterne wärmelos versprühn,
Führt ihre Straße sie empor ins Reich
Des ewigen Traumes. Eine Fremde Welt
Durchstrahlt mit seltsam mildem Eigenlicht
Die Seele, die sich durch die Nacht gewagt.
Doch einsam schwebt sie, ach, unendlich einsam.
Tief unter ihr verloren liegt die Erde,
Wo Menschen wohnen – Menschen, die sie rufen,
Und die sie flieht – –
                                    Ich aber kenne dich
Und die verborgnen Wege deiner Seele.
Ich bin sie selbst gewandert, endlos, stumm –
Denn keine Sprache dringt aus Menschenmund
In jene Götterhöhn, – und Götter schweigen.
Nur der ist frei, den niemand fragen kann.
Es ist so süß zu leben ungefragt,
So hingegeben ganz dem eignen Herzen
Und dem Gefühl, das seine Wege sucht.
Und weil die Menschen fragen, immer fragen,
Floh ich hinauf, wo keine Neugier wohnt,
Und eine Welt nichts weiß von andern Welten – –
Dort traf ich dich, und darum kenn' ich dich.

        Die Stunde des Schaffens, die segnende, schwebt
Leisatmend durchs stille Gemach,
Und der Schein ist wahr, und der Traum, er lebt,
Und das Schweigen des Ewigen sprach.
Wenn die Fessel des Endlichen klingend zerspringt,
Wenn das lösende Wort von der Seele sich ringt,
Und die Erde vergeht, und der Himmel ist mein –
In der heiligen Stunde gedenk' ich dein.

Wenn die Göttin des Sieges den seltenen Kranz
Auf die Stirn dem Zögernden drückt,
Und das Aug' erglüht in kühnerem Glanz
Und der Mut den Verzagten beglückt,
Wenn der Funke gezündet im weiten Land
Und freudiger Dank mir die Geister verband,
Dir möcht' ich den Lohn, den errungenen, weihn – –
In der Stunde des Stolzes gedenk' ich dein.

Und der Tag entschläft, und der Abend naht –
Von den Gärten duftet es weich,
Und zärtliche Pärchen auf dunkelndem Pfad
Durchwandeln ihr glückliches Reich.
Und es legt sich der Neid um die irdische Lust
Mit Sehnsuchtsqual auf seufzende Brust,
Und die Schatten flüstern: Allein – allein – –
In der Stunde der Tränen gedenk' ich dein.

    Wenn im letzten Dämmerlichte
Näh' und Ferne matt verschwimmen,
        Klingt es nicht
Dir ins Ohr wie leise Stimmen?

Dann in meinem wachen Traum
Sehn' ich mich zu deinen Füßen – –
        Durch den Raum
Schweben Schatten, uns zu grüßen.

Aus den Höhen, erdenfern,
Wo sich unsre Seelen finden,
        Fällt ein Stern,
Und ein Lied zieht mit den Winden.

Ein Tag, da ich dich nicht gesehn,
Ist wie ein Aug' in tiefer Nacht,
Das starr in wesenlosem Spähn
Durch müde Finsternisse wacht.

Ein Tag, da ich dich nicht gesehn,
Ist wie der atemlose Gang,
Umblendet von der Nebel Wehn,
Auf wegverlornem Felsenhang.

Ein Tag, da ich dich nicht gesehn,
Ist wie des Büßers frommer Tod
Im Glauben an ein Auferstehn
Zu neuem, seligem Morgenrot!

        Oft in Mühen des Tags, wenn die engen Gewalten des Lebens
    Unmut senken und Zorn in die bewegliche Brust,
Dein gedenk' ich, und ob du mich siehst; und die düsteren Falten
    Glätten sich über der Stirn, und es bezwingt sich das Herz.
Leicht umfächeln mit segnendem Hauch mich freundliche Geister,
    Boten der Liebe, von dir ohne dein Wissen entsandt,
Leuchtende Blicke, ein deutsames Wort, ein leichtes Berühren –
    In der Erinnerung Glanz schließt sich der Reigen des Glücks.
Auf dem lichten Gebild entschwebt die getröstete Seele
    Mit der deinen geeint über die Erde hinaus.
Hand in Hand, so steigen wir auf zum Reiche der Freiheit,
    Und die Herrscher der Höhn neigen sich freundlich herab.
Denn den Göttern vertraut zu leben ist einziges Vorrecht
    Dem belächelten Mann, der von der Menge sich schied. –
Hohe Gewalten, die ihr wohl sonst den Bittenden hörtet,
    Sinne und Wort mit geschenkt, wenn ich euch ehrlich gesucht,
Heißt sie willkommen, die teure Gestalt, in der ewigen Schönheit
    Wunderpalast! Nicht fremd geht sie die Stufen hinan.
Nimmermehr nun komm' ich allein; in ihrem Geleite
    Meinem zagenden Fuß öffnen die Tore sich weit,
Öffnen dem kühneren Blicke sich tief die unendlichen Fernen,
    Und in reinerem Glanz schau' ich die heilige Form.

        Durch die herbstgebräunten Bäume
Fließt der graue Nebel hin.
Nasse Tage, kalte Räume –
Sagt, warum ich fröhlich bin?

Still die Blicke senk' ich nieder,
Und die fremde Störung fällt,
Und durch die geschlossnen Lider
Rosig leuchtet mir die Welt.

Nicht mehr schwebt es wirr vorüber
Was der rasche Traum erfand,
Denn ein holdes Gegenüber
Hält die Bilder festgebannt.

Leiser Wünsche Spiel und Regung
Blitzt ein Auge hell zurück,
Und die stürmische Bewegung
Löst sich in gewährtem Glück.

Traute Sonne meiner Träume,
Weile an des Winters Tor,
Und mit deinem Golde säume
Wettergrau und Nebelflor.

        Träume steigen zur Gestalt
Wieder auf aus dunklem Schwanken –
All die formende Gewalt
Hab' ich deiner Huld zu danken.

Was in fahlem Abendgrau'n
Mir für immer schien verloren,
Hat dein rettendes Vertraun,
Glück und Welt, mir neu geboren.

Hingegeben deinem Bann
Flehen meine Lippen leise:
Schütze mich, mein Talisman,
Im Geheimnis deiner Kreise.

    Da draußen aus grauer Wolkenschicht
Eintönig rieselt die Regenflut,
Doch hell aus seliger Augen Licht
Strömt mir die goldene Himmelsglut.

Von deinen Lippen entgegenlacht
Verschwiegene Wonne der Lenzeszeit.
Mit Rosenwangen das Glück erwacht
Verschämt zu leuchtender Wirklichkeit.

    Wohl sind im Weltenschoß der finstern Nacht
Viel tausend Sonnen rings im Raum erwacht,

Doch eine nur zieht machtvoll zu sich hin
Den Erdenball als stille Herrscherin.

Nur eine leuchtet, daß der Tag erglüht,
Nur eine wärmt, daß neu der Frühling blüht.

Und zu der einen nur vertrauend fleht
Der ferne Träumer selig im Gebet.

Lauscht sie der Stimme dann im weiten All,
Vernimmt sie ihres Namens Widerhall,

Und schickt sie suchend ihre Strahlen aus,
Der eignen Farbe Licht kennt sie heraus,

Das Sonnengold, das seine Welt verklärt,
Der Wärme Glut, die seine Lieder nährt.

        O Tag des Findens, siegend wirf herein
In dunkle Herzen deine Flammenzeichen!
Groß wie der Morgen, dem die Schatten weichen,
Groß laß und klar das neue Leben sein!

Nicht jenen Halben, die so arm und klein
Um das Geheimnis heiligen Feuers schleichen,
Darf die Geliebte, die ich kenne, gleichen;
Denn ihre Liebe haßt den eitlen Schein.

Ich will in spielerischem Zeitvertreib
Um Worte nicht, um Küsse nicht mehr werben,
Ein Stückchen Seele und ein Stückchen Leib –

Sei es die Rettung, sei es das Verderben!
Nichts oder alles – Leben oder Sterben!
Gib, lichter Tag, mein alles, mir, mein Weib!

Wera legte die Blätter beiseite. Alles stand so deutlich vor ihren Augen, der ganze glückliche Winter, von jenem ersten unausgesprochenen Bewußtsein bis zu jenem Tage des Findens, da er ihr noch abends die Lieder sandte – – Und dieses Frühjahr! Aber das Glücksgefühl selbst, das Glück, das wollte die Erinnerung nicht mit sich bringen!

Daß sich all dies Nehmen und Geben wiederholen sollte, immer enger und heißer wiederholen sollte! Wie sollte sie das ertragen! Nicht jenen Halben wollte sie gleichen, sie wollte ihm schreiben – –

Nein, das ging nicht an. Wie sollte er das ertragen? Sie wußte doch, was sie ihm war. Sie wußte, wie eng nun auch sein Schaffen mit ihrem gemeinsamen Erlebnis verknüpft war. Mit welchem Rechte durfte sie das stören, was sich in der freiwilligen Hingabe ihrer Persönlichkeiten aufgebaut hatte zu einem neuen, mächtigen Menschendasein?

Und sie selbst, wie stolz war sie auf diesen Mann, den sie den ihren nennen durfte. Mußte denn dies alles zusammenbrechen um dieses eines Mangels willen, der durch Aspiras Eintritt in ihre Menschenseele geschaffen war? Wera, der freie Mensch, empörte sich in ihr, sie zürnte Aspira, der Wolke, und ach, das war ja wieder sie selbst! Sie war nicht imstande, völlig in Weras Seele zu dringen. Ein unlöslicher Widerspruch in ihrem Innern!

Der Kampf mußte ausgestritten werden. Aber das sah sie jetzt ein, da die ganze Fülle ihres Lebens mit Sohm wieder in ihr wirksam geworden war, auf diese Probe zweier Tage durfte sie keinen entscheidenden Schritt tun. Wer kennt die wunderbare Wirkung solcher Seelenmischung? Wer weiß, wie mit der Zeit eine Anpassung des Gefühls sich gestaltet? Das ist keine reine Gehirnarbeit, wie ihre Erkenntnis, das ist eine Inanspruchnahme des ganzen Organismus – –

Gewiß, sie war zu vorschnell in ihrer Verzweiflung. Zwei Tage und eine Nacht erst war sie Mensch, und da wollte sie sogleich ergriffen haben und beherrschen, was die Menschen als ihr tiefstes Geheimnis preisen, die Liebe?

Und sie hatte in ihrer neuen Gestalt den Mann selbst noch nicht einmal gesehen und gesprochen, den sie als Wera liebte – – Das war doch ihre erste Pflicht, nun zu versuchen, Weras Erbteil auch nach dieser Seite mit gutem, ehrlichem Willen auf sich zu nehmen!

Ja, Martin hatte Recht: »Sobald Sie sich kräftiger fühlen, kehren Sie zurück nach Weidburg.«

O, kräftig fühlte sie sich. Das war ja wohl eine Wirkung dieser Seelenmischerei. Von der nervösen Abspannung, die sich Wera durch ihre angestrengte Arbeit und durch die seelische Erregung ihres Brautstandes zugezogen hatte, war vom ersten Augenblicke an nach ihrem Erwachen am Gletscher nichts zu spüren gewesen. Nur die Angst vor der Liebe, die sie nicht verstand, die ihr Widerwillen einflößte, hatte sie heute in Verwirrung gesetzt. Aber nun war sie ruhiger. Sie mußte versuchen, auch diese Schwierigkeit zu überwinden.

Und wieder leuchtete vor ihr groß und strahlend das hohe Ziel. Menschendenken und Gewalt der Elemente wollte sie vereinen, nicht so, daß die besiegte Natur dem Gesetze gezwungen diene, sondern so, daß sie es verstehe als eine wohltuende Macht und sich dem Menschen willig offenbare, damit sie beide eins werden im Schauen und Schaffen der ewigen Bestimmung alles Seienden.

Nun glaubte sie zu verstehen, was es heißt: Das Leid des Schöpfers um sein Werk. Der Schöpfer sieht sein Werk als ein Ideal, aber der spröde Stoff hemmt den bildenden Willen. Das Werk sträubt sich gegen sein Werden, und der Schöpfer erfährt das Leid seiner Ohnmacht – bis er doch endlich die Macht gewinnt. Sie wollte sie gewinnen. Mit Weras Leben war ihr das Mittel gegeben, das große Versöhnungswerk von Natur und Menschheit zu vollbringen. Aber dieses Mittel war zunächst hier im Gebirge nicht anzuwenden. Sie mußte suchen, Menschen für sich zu gewinnen. In jedem Falle mußte sie nach Weidburg, zu ihrem – Verlobten.

Wie leer klang dieses Wort. Es mußte Leben gewinnen!

Sie nahm einen Briefbogen und schrieb:

»Geliebter Paul.«

Da stand es. Sie wollte das Blatt wegwerfen. Das konnte sie ja doch nicht schreiben, das war ja eine Lüge. Noch einmal überkam sie der ganze Jammer ihrer Doppelseele. Doch sie überwand sich. Es sollte ja keine Lüge sein, denn es sollte Wahrheit werden. Also weiter!

»Du erhältst nur diese Zeilen, doch ich hoffe, Du wirst mir nicht zürnen, denn übermorgen bin ich selbst bei Dir. Ich habe mich so prachtvoll erholt, und es geht mir so vorzüglich, daß ich mich zu Tode langweile. Ich halte es nicht mehr aus und reise morgen. Auf Wiedersehen! Mit tausend Küssen Deine Wera.«

Den Schluß hatte sie ganz mechanisch hingeworfen, wie ihn Wera schon so oft geschrieben. Als sie ihre Zeilen durchlas, begriff sie ihn selbst nicht. Aber sie ließ es dabei. Mochte doch Wera das Mögliche tun!

Sie traf ihre Vorbereitungen zur Reise. Den morgigen Vormittag brauchte sie noch, um ihre Aufzeichnungen als Aspira an sicherm Orte draußen zu verbergen. Deswegen wollte sie erst am Nachmittag abreisen. Und in der Nacht war sie in Weidburg.


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