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Bilder aus dem Reiche Baiern

General von Wrede für Loslösung von Napoleon. – Der neue Patriotismus in Baiern. – Der gefürchtete General. – Baiern auf dem Wiener Kongreß. – Der Plan einer Verfassung Baierns. – Langs Beteiligung an der Schaffung eines neuen baierischen Adelsrechtes. – Bilder aus den Kommissionssitzungen. – Lang weist die amtliche Zumutung einer Urkundenfälschung zurück. – Erbittet die Stelle als Kreisdirektor in Ansbach. – Anfang und Tätigkeit daselbst.

 

Die Tage, in welchen sich der Stern Napoleons zu neigen begann, erregten auch in Baiern die mannigfachsten Bewegungen. An der Spitze derer, die schon lange über einen Abfall brüteten, stand der General von Wrede, beleidigt, daß er in dem französischen Heere dem Oberbefehle eines andern französischen Generals untergeordnet sein sollte. Er ließ die baierische Armee scheinbar zur Beobachtung nächst an der österreichischen Grenze am Inn aufstellen. Das baierische Lager war der Lust- und Freudenplatz der gegenseitigen österreichischen, damals noch als feindlich zu betrachtenden Armee. Ohne Zutun des Ministers von Montgelas unterhandelte in Wien den Übertritt zu Österreich der baierische Gesandte, Graf Rechberg, an der Grenze der General Wrede, der wieder durch seinen Gesandten und den Herrn von Ringel die in allen Dingen immer leicht zu erlangenden Zusagen und Unterschriften des Königs einholte. Als der Graf von Montgelas das Treiben und Walten erkannte, glaubte er von nun an dabei nur den Leidenden machen zu können. So ging also ganz aus des Generals Wrede Händen der unglückliche Vertrag von Ried (8. Oktober 1813) hervor, womit der kurze Glanz und die europäische Selbständigkeit der baierischen Monarchie zu Grabe ging. Es ist klar, daß eine Armee wie damals die baierische, an der Grenze des feindlichen Landes, in Verbindung mit dem bedeutenden Heere des Vizekönigs von Italien, nicht nötig gehabt hätte, auf eine so schmähliche Art zu kapitulieren und die neuen Erwerbungen des baierischen Staats, Hunsrücken Der Hunsrücken war jedoch keine neue Erwerbung, sondern größtenteils alter Bestand der Kurpfalz, daher schon durch Karl Theodor 1777 mit dem baierischen Gebiet vereinigt, dann 1801 an Frankreich abgetreten. Hrsg., Innviertel, Salzburg, Tirol, der bloßen Gnade und Willkür des österreichischen Nachbars preiszugeben, der sich auch bald darauf dieser wichtigen Gebietsteile bemächtigte und Baiern entweder mit leeren Hoffnungen auf die Wiedererlangung der pfälzischen Lande oder mit anderen kleineren Brocken abspeiste. Wie ganz anders hat sich in diesem Sturme die Festigkeit des viel minder mächtigen Württembergs, welches Wrede zu zertreten meinte, und die viel gewandtere Unterhandlungskunst von Baden, bewährt.

General Wrede war der Sohn eines ehemals pfälzischen Beamten, damals Landschreiber genannt. Die Universitätsjahre in Heidelberg gingen dem jungen Herrn Sohn auf die angenehmste Weise vorüber; bald darauf gelangte er durch den Einfluß seines Vaters zu einer Hofgerichtsratsstelle in Mannheim, fühlte sich aber hier bald so sehr an seinem unrechten Orte, daß er zu einem anderen Fache, nämlich zum Forstwesen, übersprang. Als Forstmeister zeichnete er sich durch kräftiges Zusammentreiben der Landsturmbauern im Odenwald gegen die Franzosen unter dem Landsturmsgeneral und Kammergerichtsassessor von Albini vorteilhaft aus. Als Landsturmoberster, qui faisait merveille, wie sich die staunenden adeligen Saalgesellschaften ausdrückten, rückte er in die baierische Linie ein, und stieg der Rang- und Altersfolge gemäß in kurzem zum General empor.

Man weiß nicht, welche Gründe den General Wrede zu dem Verfahren bestimmten, das er nach seiner Verbindung mit Österreich einschlug. Der Vertrag von Ried ward unterschrieben den 8. Oktober 1813. Der wahre Abfall bestand schon seit dem ganzen Monat September. Nichts verhinderte also den General Wrede, den täglichen Friedensfesten am Inn ein Ende zu machen und mit seinen Truppen dem Heere der Alliierten bei Dresden entgegenzueilen. Das war sein Platz, und er hätte schon recht wohl, wenn er es wollte, am 18. Oktober der Schlacht von Leipzig beiwohnen können. Aber nein! er spaziert in bequemlichen Tagemärschen nach Würzburg, bringt dort drei Tage damit zu, ein altes Bergnest, das jetzige Zuchthaus in Würzburg, vergeblich zu bestürmen und gelegentlich den Bürgern die Fenster einzuschießen. Von da zieht er abermals nicht den Alliierten ins Fuldaische entgegen, sondern, um allein zu siegen, nach Hanau zu, stellt sich auf die offene Landstraße, einen Fluß hinter dem Rücken, und läßt sich von Napoleon, wie es schlechterdings nicht anders kommen konnte, über den Haufen werfen und zertreten; und dieses Manöver ist es nun, was man die Schlacht von Hanau nennt. Dadurch wurde es möglich, daß Napoleon Frankfurt und die Brücke bei Mainz noch unbesetzt fand, wohin Wrede auf einem noch kürzern Wege, als selbst nach Hanau, nämlich unmittelbar von Baiern aus über Donauwörth, Nördlingen, Krailsheim und Mergentheim hätte vorauseilen können.

Siegesfeste, Dankopfer und Lobgesänge auf den Helden von Hanau nahmen nunmehr, auf Veranstaltung der Herren Präfekten und Maires, kein Ende, und konnten nur durch die Pest und Seuche unterbrochen werden, von den zahllosen Fuhren Kranker und Verwundeter veranlaßt, die der Herr General in der größten Kälte, bis von Hanau her, in alle Gegenden Baierns hineinschleppen ließ.

Nun begann auch in München der böse französische Geist zu entweichen und einem brausenden Patriotismus in Schnauzbärten und himmelblauen Röcklein platzzumachen. Präsidenten, Kanzler und Räte fingen an zu exerzieren: die jungen Herren Grafen und Barone suchten in den Kaffeehäusern und an den Wirtstafeln die alten Franzosenfreunde auf, um vor ihnen ihre Verwünschungen und Flüche auszuschütten, und so ist sie nun mit Gottes Hilfe und um den Preis unseres vielen Blutes wieder da, die alte schöne Zeit der Patrimonialgerichte, der Landessperren, der Siegelmäßigkeit und Steuerprivilegien, der neuen Fideikommisse, der wieder befestigten leibeigenen Gütergebundenheit, der geheiligten Gemeindeordnungen, der Wallfahrten, des Kapuzinerbettels.

Der Sieger Napoleon hatte allerdings Norddeutschland noch in Fesseln ganz anderer Art gehalten, welche ein entrüsteter Widerstand mit Glück und Ehre zu brechen wußte. Das südliche Deutschland aber hatte die Schmerzen der neuen Umgestaltung bereits überstanden, und aus dem, was es als wirklich bereits im Keim begriffenes Gute wieder hat fahren, und dem alten Unfug, den es sich von neuem hat aufhalsen lassen, ist ihm wenig Segen erblüht.

Der Wunsch des Generals Wrede, zum Marschall aufzusteigen, war nun erreicht. Allen Günstlingen, welche eilend ihre Glückwünsche herbeitrugen, wurde in dem Vorzimmer der silberne Marschallsstab zur Verehrung in die Hände gegeben; die Tageblätter verkündeten, daß die Würde eines Marschalls die nächste nach dem König sei; wogegen ich, auf den Wink des Ministers, eine kurze Lebensnotiz von dem alten baierischen Marschall Piosage einrücken ließ, der zugleich Landrichter in Dachau war. Noch war aber der neue Marschall nicht belohnt für die bei Ried geleisteten Dienste; der Kaiser fragte bei einem Besuche in München den König, ob er nicht den tapfern Helden, den Wrede, zum Fürsten erheben wollte. Dieses geschah denn unverzüglich mittels Kabinettsschreibens und Parolebefehls. Man riet mir, dem Fürsten persönlich meine Aufwartung zu machen und ihm die Immatrikulation in die Fürstenklasse selbst zu übergeben, was mir ohne Zweifel eine gnädigste Einladung zur fürstlichen Tafel zugezogen hätte. Ich unterließ es aber, weil es nicht gebräuchlich wäre, auf Parolebefehle zu immatrikulieren, und es Sache des Fürsten wäre, sich ein förmliches Fürstendiplom ausfertigen zu lassen, überdem alle Freunde und Anhänger des Ministers in der Erwartung ständen, die Dankbarkeit des Königs würde in den nächsten Tagen eine gleiche Standeserhöhung für seinen ältesten Diener Montgelas nachholen. Der König schien dies allerdings gewünscht, aber es wegen der wohlbekannten Abneigung des österreichischen Kabinetts nicht mehr gewagt zu haben. Der Fürst Wrede aber glaubte ein besonderes Diplom, bei welchem überdem große Taxen im Hinterhalt lauerten, nicht nötig zu haben, wovon er erst im Jahre 1819 die Notwendigkeit einsah. Mittlerweile forderte auch der Minister das Reichsheroldenamt zum Gutachten auf, was dem Fürsten für ein Titel gebühre. Dasselbe antwortete: Es werde hier überhaupt ein eigentliches Fürstendiplom vermißt, welches gewöhnlich das beizulegende Prädikat besonders reguliere. In Ermangelung dessen könnte man nicht für den altfürstlichen Titel »Durchlaucht«, höchstens nach deutschem Reichskanzleigebrauch für »durchlauchtig hochgeboren«, vielleicht gar nur für »hochgeborner Fürst« stimmen. Nehme man hingegen den Gebrauch der kaiserlichen Kanzlei gegen die nicht reichsständigen Fürsten in Italien und des französischen Reichs bei den französischen Prinzen, welche nicht zugleich grands dignitaires wären, so finde gar nur der Titel Exzellenz statt. Der Minister entschied für letztern Fall, zum großen Ärger des Fürsten, der aber nichtsdestoweniger den Titel Durchlaucht verlangte und erhielt. Ich bin versichert, die Leute würden es eher gewagt haben, wie kürzlich die Schneiderjungen in London, einen Elefanten beim Schwanz zu fassen, als den Titel Exzellenz hervorzubringen.

Die Fürstenwürde war aber zugleich mit einer fürstlichen Begabung der Stadt und des Herrschaftsgerichts Ellingen begleitet, vorschriftsmäßig zu 501 000 Gulden Ertrag, wozu man den schönsten Teil der vorher unmittelbar königlichen Dörfer an der Altmühl und eine noch über mehrere Landgerichte verbreitete Jagd schlug, in welcher jetzt ganze Rudel von Hirschen die Saat der armen Bewohner und die Waldungen der Stadt Weissenburg abfressen. Acht Forstmeister, die bisher hintereinander beauftragt waren, von den vielen Schäden Einsicht zu nehmen, verweigerten aus guten Gründen, zu erscheinen, bis endlich einer davon, ein Dichter, stiftsmäßiger Kammerherr der ersten Klasse, den Ausspruch tat: es lasse sich nicht behaupten, wenn auch solche Verwüstungen vor Augen lägen, daß sie gerade von wilden und nicht ebensowohl von der Einwohner eigenen zahmen Tieren, oder gerade von Hirschen, Sauen und Rehen Sr. Durchlaucht verursacht worden, höchstwelche außerdem die Vermutung für sich hätten, daß Sie dieses Monument der Nationaldankbarkeit, die Herrschaft Ellingen, ohne alle kleinlichen Beschränkungen erhalten hätten.

Als nun der Wiener Kongreß mit einem baierischen Gesandten beschickt werden sollte, stellte sich dazu keine geeignetere Person, als der Held von Hanau dar, obwohl die Diplomatik nicht die stärkste Seite desselben und seine Sprache im Deutschen rauh, im Französischen etwas ungeläufig war. Allein der österreichische Hof, der das Angesicht des ihm in früherer Politik unbefreundeten Grafen Montgelas nicht mit seiner Gnade beleuchten wollte, verlangte dafür ausdrücklich den Fürsten, an dem nun auch der König selbst anfing, immer mehr Geschmack zu finden, einesteils, weil er ihn so diensteifrig und ergeben für Österreich, andernteils durch einfache Derbheit und Gradheit seinem eigenen Charakter wohl zusagend fand.

Natürlich ermangelten die Münchener Koraxe nicht, jetzt abermals in die Trompete zu stoßen über den Mann, der gleich groß im Felde wie im Kabinett sei. In den Wiener Sälen diente sein soldatisches Auftreten, seine militärische Kraftsprache, selbst unter den Ohren der Monarchen, das Anschlagen an den Degenknopf und das drohende Ausstrecken der Marschallshand zu vieler Erheiterung.

Der erste Antrag, welcher dem persönlich in Wien anwesenden Könige, im Einverständnis mit allen großen Mächten geschah, war, gegen das Königreich Italien Baiern an Österreich abzutreten. Es war natürlich, daß der Gedanke den König in seiner Neuheit überraschte; die baierischen Großen, denen in Italien keine Rosen zu blühen schienen, heulten und wehklagten; eine ruhige Abwägung und Überlegung, inwiefern ein europäisches Königreich am Ende gleichwohl einer österreichischen Markgrafschaft vorzuziehen wäre, konnte nicht zur Reife kommen; sodaß der König den Vorschlag mit einer Art Erbitterung bestimmt von sich wies. Mit demselben verletzten Gemüt nahm er auch den Entwurf auf, nach welchem sein Schwager, der König von Sachsen, sein neues Reich am Rhein suchen sollte. Aus diesen Persönlichkeiten, denen Wrede noch seine Mißgunst gegen Preußen beimischte, ging also der öffentliche Widerstand gegen die preußische Entschädigung hervor, welche doch nicht verhindert werden konnte, sondern nur, statt einer Verpflanzung des königlichen Hauses, die weit schlimmere Teilung des Landes und die Vereitelung seiner eigenen Aussichten auf die Pfalz zur Folge hatte. Es war überhaupt kaum möglich, daß die baierischen Angelegenheiten in dem ganzen Zeitraume der Entschädigung mit weniger diplomatischer Gewandtheit hätten geführt werden können; und wieviel schärfer auch hierin lange voraus schon ein Montgelas gesehen, beweist der einzige Umstand, daß er, als der Pariser Friede abgeschlossen werden sollte, den in Paris anwesenden Wrede daran erinnerte, darauf zu dringen, daß er den Frieden mit unterschreiben dürfe. Da hieß es aber: »Ein Marschall Wrede unterschreibt nur mit dem Degen; laßt mir die anderen Federfuchsereien!« Und so fand man denn Baiern beim spätern Kongreß nicht unter den vorausgestellten dezidierenden und exekutiven Mächten, welche den Pariser Frieden unterschrieben, sondern unter dem Troß der übrigen Sollizitanten.

Die Nachrichten, welche man von Wien aus über die präliminaren Unterhandlungen zur Bundesverfassung erhielt und die ausgedehnten Rechte, welche nach den ersten Äußerungen des Enthusiasmus einiger norddeutschen Staaten den neuen Landesrepräsentationen zugeteilt werden sollten, waren die Veranlassung, in München so schleunig als möglich mit einer neuer Verfassung der baierischen Lande voranzueilen, damit man sich keinen besonderen Zumutungen und Aufforderungen von seiten des Kongresses nach minder beliebten Grundsätzen aussetzen und vielmehr die offene Ausrede zur Hand haben möchte, man sei bereits mit einer solchen den neuen Verhältnissen angepaßten Konstitution versehen. Eine Maßregel, welche vom österreichischen Kabinett wo nicht selbst eingegeben, doch aufs höchste belobt wurde; wie demselben denn auch von dem Münchener Hofe die Mitteilung und Zensur der über die neuen Einrichtungen zu fassenden Beschlüsse zugesichert worden. Ein Reskript des Königs vom 17. September 1814 ernannte hierzu eine besondere Kommission aus dem Justizminister Reigersberg, sodann den Grafen Preyssing, Törring, Arco, Thürheim, den Baronen Aretin, Cetto, Lerchenfeld (lauter Wortführern der unbedingtesten Aristokratie), sodann noch aus den geheimen Räten und Referendarien Zehntner, von Krenner, von Effner, von Widder, von Schilcher und von Suttner; denen am 30. Oktober, nachdem bereits vier Sitzungen stattgefunden, auch ich selbst noch beigeordnet wurde, angeblich als Chef der Adelssektion oder des Reichsheroldenamts, und als derjenige, der auch die Subsidien aus dem Reichsarchiv und den dortigen Landtagsakten am besten herbeischaffen könnte, im Grunde aber zu Besänftigung meiner dem Herrn von Ringel bezeigten Empfindlichkeit, daß man unter den ausgewählten Sektionsvorständen gerade mich, und gewiß nicht aus bloßem Zufall, vergessen habe. Aus diesen Mitgliedern bildete der Graf Reigersberg einen besonderen Ausschuß von den Herren Zehntner, Krenner, Arco, Aretin und Suttner, welche die eigentlichen Vorträge auszuarbeiten und zu diskutieren hatten, worüber uns nur noch das Abstimmen, mehr oder minder, oder das Erklären zu Protokoll verblieb. Als Grundlage der Beratungen sollte uns die Konstitution von 1808 dienen, welche man von Paragraph zu Paragraph zu revidieren und neu zu redigieren hatte. Da man es aber den Augen zu verbergen suchte, wie himmelweit die Grundlage der gar nicht verwerflichen und den Machthabern nur gar zu liberalen Konstitution von 1808 von dem neuen Entwurf sein werde, so behielt man ihre eigenen Gesetzesworte soviel als möglich bei, suchte aber alle neuen Institutionen, oder vielmehr die wiedererweckten uralten, in Gestalt besonderer Edikte anzuhängen. Eine eigentümliche, ansprechende Idee des neuen Plans war die, ein permanentes Beschwerdekomitee von einem Landtag zum andern bestehen zu lassen. In großer Mehrheit ging man von der Ansicht aus, die zweite Kammer werde sich ihrer Natur nach überall als Feindin und Gegnerin der Regierung aussprechen: es sei also schlechterdings nötig, solche Beschränkungen in die Wahl, die Zusammensetzung der Elemente und in den Mechanismus der Beratungen und Beschlüsse zu bringen, daß sich überall darin kein Geist und keine Kraft erkennen zu geben vermöchte. Dagegen hielt man es für außerordentlich klug, das höchste Gewicht auf die adelige Reichskammer zu konzentrieren, von der man sich die Vorstellung machte, daß sie immer nur nach den Winken des Hofs und der Minister zu handeln bereit sein werde. Durch den vermeintlichen guten Geist dieser Herren sollte der verschrieene böse Geist der anderen beschworen und gezügelt werden. Von einer Vertretung der unter Grundherrschaft stehenden königlichen und adeligen Bauern wollte man gar nichts wissen; sie wären ja schon von ihren Grundherren vertreten. Bloß den landeigenen Bauern in Altbaiern, welche ein nicht dienstbares und handlöhniges oder leibfälliges Grundeigentum besaßen, wollte man ein Brosamlein der Repräsentation zuwerfen; etwa 6000 Familien unter 700 000, denen neun Zehntel des ganzen nutzbaren Eigentums gehörten. Dagegen sollte das Reich mit sechs Kronämtern gestützt werden, nämlich noch mit einem Kronobristkanzleramt, wahrscheinlich damals dem Grafen Montgelas von fern hingehalten, und einem Obristschatzmeisteramt, vermutlich für das Haus Arco.

Mir wurde der Auftrag zuteil, ein Adelsedikt zu entwerfen. Ich legte zuvörderst meine Ansichten und Grundsätze vor, die natürlich den Exzellenzen nicht gefallen konnten. Es nahm daher im Ausschuß Herr Graf von Arco die Sache an sich, wo sie aber damals noch ganz unerledigt blieb.

Ich wollte nicht einräumen, daß man gesetzlich von Rechten des niedern Adels sprechen und daher ein Edikt über Adelsrechte entwerfen könnte, so lange man nicht auch ein Edikt über Bauernrechte nötig fände. Alles beim niedern Adel gehe bloß auf äußerliche Ehren hinaus, mehr scheinbar und ihn selbst vernichtend, wie z. B. die Siegelmäßigkeit, Das Recht, eine Urkunde öffentlicher Natur mit eigenem Siegel zu beglaubigen. Hrsg. die seinen Kredit untergrabe, das ausschließende Recht, Rittergüter zu besitzen, welches die Konkurrenz der Käufer mindere, das Recht Fideikommisse zu errichten, welches dem Nutznießer das freie Eigentum verkümmere und arme Nachgeborene auflade. Ich zeigte, wie dem Adel statt der Fideikommisse weit mehr mit einem Kreditsystem gedient wäre, davon ich nach Art der Münchner Ewiggelder Eine an Stelle der hypothekarischen Belastung tretende Belastung mit Rentengeldern. Hrsg. die Grundzüge einer zu errichtenden adeligen Ewiggelderkasse gab. Allein das blieben alles Worte in den Wind gesprochen. Unglaublicherweise fanden selbst meine Darstellungen über die Unbilligkeit des noch fortwährenden Lehenwesens kein teilnehmendes Ohr, ungeachtet am Tage lag, wie unbedeutend das oberlehenherrliche Recht heutzutage noch für den König ist, wie es in der Tat durch die neue Kriegsverfassung und Besteuerung schon aufgehoben, so daß ein Lehendienst jetzt an sich so wenig bedeutet, als ein Kammerherrndienst, der vom Vasallen selbst vor Gericht einem Lehenherrn verweigert werden könnte, der ja auf seiner Seite auch sich des lästigen lehenherrlichen Schutzrechtes entledigt hat. Eine Verfassung, welche den Teufel der Leibeigenschaft und Hörigkeit vom Bauernstand ausgetrieben, könne auch den Teufel der Lehenknechtschaft in den bedrückten Gütern des Adels nicht mehr dulden. Aber alle schüttelten verneinend die Köpfe; hier ward auf einmal das Interesse des ganzen Standes vergessen, warum? weil die meisten Herren auf heimfällige Lehen paßten, die auch bald darauf dem Herrn von Z. in E., dem Herrn von L. in H., dem Herrn von A. in N., welches letztere in der Tat nicht einmal erledigt war, zuteilgeworden sind. Dieser und kein anderer Grund hat bisher das dem König unnütze, den Adel drückende, die Verwaltung erschwerende und in Rechten durchaus nicht mehr zulässige Lehenwesen noch bestehen lassen.

Am 10. Dezember 1814, von Wien aus, wurde uns vom König unmittelbar unser langes Zögern verwiesen. Der Präsident solle die Mitglieder ernstlich zurechtweisen, welche andere Grundsätze geltend machen wollten, als die im Kommissorium vorgeschriebenen, als da wäre die Befestigung der Adelsrechte, der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit, des aufrecht zu erhaltenden Lehen- und Grundholden-Verhältnisses: von diesem hohen und schönen Standpunkte müsse die baierische neue Verfassung ausgehen.

Ich kann aber mit diesem Gegenstand nicht schließen, ohne ein treues Bild von der Art zu geben, in der man solche Sachen zu verhandeln pflegte. Der Graf Reigersberg, als Präsident, suchte die Verhandlungen so viel als möglich abzukürzen, und war ganz unruhig, wenn er eine Mehrheit bereits ersehen zu haben glaubte, und jetzt erst die Untensitzenden, wozu auch ich gehörte, zu reden anfangen wollten. »Aber mein Gott, hieß es da, Sie sehen ja, die Sache ist schon durch die vorausgegangenen Stimmen der gnädigen Herren entschieden; alle weiteren Abstimmungen von Nummer neun an führen zu nichts. Wollten wir nicht lieber weitergehen?« Was aber der Herr Präsident besonders scheute, das war Stimmengleichheit, denn da hätte er die Gründe beider Teile ausführlich abwägen und dann mit seinen Gründen einer Partei beitreten müssen. Als sich daher ein einzigmal ein solcher Fall ereignete und der Sekretär beinahe mit Schrecken den Ausruf ertönen ließ: »Ihr Exzellenz! Ihr Exzellenz! paria!« so wurde der Herr Präsident feuerrot, rückte den Sessel hin und her, zählte die Stimmen und sprach dann: »Es kann nicht sein, Herr Sekretär, Sie werden sich geirrt haben. Wiederholen wir noch einmal kursorisch die Abstimmung.« Aber leider abermals sieben gegen sieben. Dann hieß es: »Ich begreif's nicht: es ist mir doch anders vorgekommen.« Bis endlich einer der Herren, Herr von Effner, auftrat und sagte: »Ich habe zwar meine Meinung dahin geäußert; aber es kommt mir nicht darauf an, und geh' zur andern Meinung über.« Da blickte dann der Herr Präsident mit freudestrahlendem Antlitz um sich, rief händereibend: »Vortrefflich! vortrefflich!« fuhr über den Sekretär her, daß er die Meinung des Herrn Kollegen Effner nicht richtig aufgefaßt, behauptete, wo ein gutes Präsidium sei und die Verhandlungen verständig geleitet würden, könnten paria nie vorkommen; bei ihm sei es noch nie der Fall gewesen; die Schwierigkeiten hätten sich allemal durch bessere Verständigung aufgeklärt. Beim Abgang drückte er Herrn von Effner die Hand und sagte: »Nicht wahr, lieber Herr Kollege, heute speisen Sie bei mir?«

Das materielle Abstimmen war so wenig Sache der vorderstsitzenden alten Exzellenzen, daß unter irgend einem Vorwand immer Herr von Zehntner außer der Reihe als primus votans aufgefordert werden mußte, dessen Vortrag freilich desto klarer, belehrender und das rechte Ziel erfassend war. Die alte Professorskunst ließ sich nicht mißkennen. Mehrere ließen in sechs Wochen nicht ein Wort verlauten; nur nicht Herr von Cetto, der eines Tages bei Eröffnung der Sitzung also begann: »Ich muß meine gnädigen Herren über ein wichtiges Ereignis in Kenntnis setzen. Als ich gestern die Gnade erfuhr, bei Sr. Exzellenz dem Herrn Grafen von Montgelas zur Tafel gebeten zu sein, haben Sie sich nach derselben am Kamin stehend mit mir, allernächst beim Ofenschirm, über den Gegenstand unserer letzten Sitzung unterhalten, wo ich denn zu meinem Bedauern ersehen, daß meine letzte Abstimmung den Ansichten S. Exzellenz schnurstraks entgegenlaufe, welches ich nicht anders als für die größte Ungeschicklichkeit halten könnte. Ich bitte Sie also, Herr Sekretär, meine Abstimmung zu löschen und dafür ganz die gegenteilige zu setzen.« Der Sekretär, der das ganze Protokoll durchblätterte, erwiderte: »Ich weiß nicht, ich finde gar keine andere Abstimmung Ew. Exzellenz, als hier das Ja!« – »Nun eben, das ist es, sagte der Herr Graf: streichen Sie nur das Ja und setzen jetzt Nein!« Kaum war dieses Ja ausgelöscht, so erhoben sich noch drei bis vier Stimmen mit der Erklärung: Sie hätten nicht vorausgesehen, auf diese Art mit der Meinung des Herrn Grafen von Montgelas in Opposition zu kommen. Sie verlangten auch, daß ihr Ja in Nein verändert werde. – Herr Graf von Thürheim, statt aller mündlichen Abstimmung, pflegte bloß mit einer zierlichen Kopfneigung zu lächeln, was hernach dem Sekretär in eine beistimmende Protokollphrase zu übersetzen anheimgestellt blieb. Einmal, in seinem Hause, setzte ich ihn in Vorkenntnis von einer Sache, die ich zur Sprache bringen wollte. »Recht so, mein Lieber,« erwiderte er, »wehren Sie sich tapfer, ich werde Ihnen beistehen.« Ich trat auf, Herr Graf von Thürheim sprach kein Wort, lächelte nicht einmal, und ich fiel mit allen Stimmen durch. Es rührten ihn auch nicht meine Vorwürfe, die ich ihm bald darauf machte. »Lieber Freund,« erwiderte er, »was wollen Sie denn mit den Menschen auf dieser Welt anfangen? Sie wollen's nicht, daß man etwas Besseres macht; sie verdienen's auch nicht; und zu viel ist ein jedes Wort, das man da verliert.«

Der Graf Preyssing pflegte zu schlafen, bis das Stimmen an ihn kam, wo er denn, leise aufgeweckt, mit der Frage auffuhr: »Was ist's? was soll's denn?« Nun mußte ihm der Gegenstand der Frage noch einmal kurz vorkatechisiert werden, gewöhnlich durch Herrn von Zehntner. Sobald Se. Exzellenz dieses gehörig aufgefaßt, säumte sie nicht mit der Frage: »Ja wie ist's denn hernoch? Geht das mei Hofmark Aschau au an?« – »Allerdings,« fuhr Herr von Zehntner fort, »sobald der Antrag zu einem allgemein verbindlichen Gesetz erhoben werden sollte.« – »Na, no tu i's net,« war nun die kurze Erklärung des Herrn Grafen von Preyssing, den Herr von Zehntner in größter Geduld ersuchte, auf diesen Fall dem Sekretär die Gründe, warum er nicht beistimme, zu Protokoll zu geben. Schon wollte der Graf sich wieder in Schlummer neigen, als der Sekretär mit etwas verstärkter Stimme sich die Angabe erbat, was er demnach ins Protokoll bringen sollte. Der Graf aber, die beiden Fäuste auf den Tisch gestemmt, den Vorderleib hinübergebogen, rief in seiner breiten altbaierischen Mundart: »Herr Sekretär! Schreibe Sia, der Proassing tuat's halt net!«

Bald war es an mir selber zu sagen: Der Lang tut's halt nicht. Unangemeldet tritt in mein Bureau herein ein Münchener Wechsler, namens Dallarmi, ein Mitglied der unter Uzschneider errichteten Staatsschuldenkommission, mit dem Vermelden, Herr von Uzschneider werde unverzüglich selbst nachkommen, unterdessen wolle er mir vorläufig hier eine Ministerialordre einhändigen. Ich erbrach sie alsbald und las: »Nachdem es nötig ist, eine Anzahl Staatspapiere zu legalisieren, so habt Ihr solches nach Anleitung unseres geheimen Referendärs von Uzschneider unaufhaltlich zu vollziehen.« Schon öffnete Herr von Uzschneider die Türe, und sein Knappe Dallarmi entfernte sich. Auf meine Frage, was denn das für Staatspapiere wären, die ich nach seiner Angabe zu legalisieren hätte und in welcher Art? antwortete er mir: »Sie müssen wissen, daß das Haus Österreich den Stiftern und Klöstern in Franken kraft ausgestellter Obligationen mehr als 600 000 Gulden schuldig geworden ist und, seitdem die Stifter ausgehoben worden, kraft des Heimfallrechts, sich der Kapitalien frei und ledig hält. Diese Einwendung fällt weg, wenn man die Schuldbriefe in einer Gestalt erscheinen lassen kann, nach der sie zur Zeit der Säkularisation nicht mehr zum Aktivvermögen der aufgehobenen Stifter gehörten, sondern sich schon durch Zession als Privatvermögen in den Händen dritter Personen befunden hätten. In solcher Art also ist es, wie Sie die Urkunden legalisieren sollen.« – »Legalisieren belieben Sie das zu nennen?« antwortete ich. »Als Archivbeamter kann ich das wohl vidimieren; was ist denn aber das Legalisieren?« »Eine Kleinigkeit,« erwiderte Herr von Uzschneider. »Sehen Sie, wir legen Ihnen die Originale vor und sagen Ihnen die Namen, auf welche wir sie gern zediert haben möchten. Sie, nach Ihrer genauen Kenntnis des Kanzleistiles in allen diesen ehemaligen Stiftern, setzen passende Zessionsformeln auf und suchen im Archiv nach Mustern der damaligen Kanzleischrift, die ich dann durch die Teufelskerle von meinen Schreibern, sowie die Handschriften der Bischöfe und Prälaten nachmachen lasse. Sie werden sich freuen, was das für Tausendkünstler sind. Hernach holen Sie noch aus dem Archiv einen gleichzeitigen Siegelstempel hervor, oder ich lasse auch die notwendigen in der Münze stechen. Die drucken wir dann auf; und sehen Sie, herrlicher Freund, so ist denn die Urkunde legalisiert.« »Also legalisieren nennen Sie das,« rief ich erstaunt, »das heißt ja mit dem rechten Wort, falsche Urkunden machen. Dazu sind die Archive am allerwenigsten da. Wie geraten Sie denn mit Ihrem Vertrauen an mich? Das kann mir kein Minister befehlen; ich finde auch nicht in den Worten, daß mir das befohlen worden ist, und ich werde den Minister heute noch mündlich sprechen.« Herr von Uzschneider meinte zwar, die Sache leide keinen Verzug. Ob mir denn König und Vaterland nichts seien? Ich verlange mein Brot vom König; also sei es doch meine Schuldigkeit, dem Staat mit zu Hilfe zu kommen, wo gerade auf mir die schönsten Hoffnungen lägen. Es sei auch gar nicht die Meinung, daß ich diesen großen Dienst unbelohnt leiste; es solle mir eine förmliche Provision zu vier Prozent aus den 600 000 Gulden berechnet werden. »Sehen Sie, 12 000 Gulden, die erste Hälfte, schick' ich Ihnen heut' noch bar; gleich Schlag zwei Uhr; sind Sie zu Haus? He! was sagen Sie nun dazu?« – Ich sagte aber dazu abermals: Nein! Nein! und hatte Mühe, mich von dem Herrn Asmodi, der mich immer in wilder Gier am Rockknopf hielt, loszumachen, und ihn aus dem Zimmer zu bringen.

Herr von Uzschneider ließ sich in seinem Unternehmen nicht irre machen und bewirkte an die Kreiskommissariate in Franken eine Verordnung: Es wäre Anzeige geschehen, mit welcher Nachlässigkeit die Siegelstempel der aufgelösten Bistümer und Prälaturen in Franken bisher aufbewahrt, und Gelegenheit zu den bedenklichsten Mißbräuchen und Unterschleifen dadurch gegeben werde. Man solle also angesichts dieses alle solche noch vorhandenen Siegel einfordern und aufsuchen und solche binnen acht Tagen allerlängstens zum Münzamt in München einsenden. – Weiteres überflüssig!

Diese schamlosen Anerbietungen einer ehrlosen Kameradschaft, welche man damals in München mit weniger Sicherheit ausschlagen als annehmen durfte, dieses unausgesetzte Anbellen und Anrennen von Mönchen und Schwachköpfen, und dieses Preisgeben der Bessergesinnten von seiten der Regierung, machten mir den ferneren Aufenthalt in der Hauptstadt so zum Ekel, daß ich wieder zurück nach Ansbach verlangte, an die Stelle des eben verstorbenen Kreisdirektors Bayard, dem ich fünf Jahre früher meinen Platz daselbst hatte räumen müssen. Der Minister ging ungern auf diese Bitte ein, weil er glaubte, daß ich ganz der Mann für meinen gegenwärtigen Platz und nicht so bald zu ersetzen wäre. Jedoch, sofern ich darauf bestände, wolle und könne er mir den Posten in Ansbach, der schon vorher der meinige gewesen, nicht verweigern. Ich machte ihm den Plan, wie künftig die Direktion des Reichsarchivs durch eine aus sämtlichen Archiven gebildete Kommission verwaltet und mein Gehalt als Direktor zu den Kosten der Regesten verwendet werden könnte, deren Beendigung und Redaktion ich auch beizubehalten mich verpflichtete. Dieses tröstete den Minister einigermaßen. Um so ungnädiger war mein Abschied beim König in Nymphenburg. Seine erste Anrede war: »Nun so hat es doch mit Gewalt sein müssen?« (nämlich mein Abgang nach Ansbach), und bald darauf: »Aber hören Sie, Sie haben einen Mund wie ein Schwert. Es wäre gut, wenn Sie sich künftig etwas mäßigten.«

Ich weiß nicht, auf welche Tatumstände sich diese Anklage des Königs bezog, und konnte mich daher nur im allgemeinen entschuldigen, daß mir vielleicht ein warmer Eifer für Wahrheit und Recht übel gedeutet, und da meine freien und schnellen Reden in diesem Stücke bekannt wären, mir auch viele fremde, wie ich schon die Erfahrung gemacht, aufgebürdet würden. Den Nachhall eines ähnlichen Vorwurfs vernahm ich auch ein paar Jahre später durch Herrn Minister von Lerchenfeld, als ich ihm ironisch mein Glück pries, unter zwei Landtagspräsidenten, Thürheim und ihm, gestanden zu haben, welche nachher Minister und seitdem meine so außerordentlichen Gönner und Beförderer geworden. Mit aufgehobenem Finger und unter der Tür stehend, wohin er mich begleitet, rief er: »Herr von Lang! Herr von Lang! hätten Sie es über sich gewinnen können, Ihre Zunge zu mäßigen, ich weiß nicht, in welcher Karriere Sie nicht vielleicht schon zum höchsten Ziele gelangt wären.« Nur noch mit halber Seite zur Tür gewandt, erwiderte ich: »Ew. Exzellenz, das hat Gott verschieden ausgeteilt. Einige erwerben ihre Majorate durch die Geburt, andere erhalten heimfallende Lehen vom König. Meine Dotation ist die Zunge.« Der Minister mußte lachen und versetzte darauf: »Die Gerechtigkeit muß man Ihnen widerfahren lassen, Sie wissen Ihre Domänen gut zu benutzen.«

Es war, wenn ich nicht irre, den 3. Oktober vormittags, an einem trüben Regentage, als ich in Ansbach einfuhr, wo man soeben die in Parade aufgestellte geplagte Landwehrmiliz und einige Rinder und Kälber der nächsten Umgebung mit Trompeten zusammenblies, um aus dem Munde des bebänderten und besternten Herrn Generalkommissärs Dörnberg den Ausspruch zu holen, welches der größte Ochs sei. In der Tat ein lächerliches Fest, in der Mitte des Rezatkreises, wo die Viehzucht die beste des Landes ist und der verständige Landwirt nur über die Zumutung lächeln muß, sein starkes Vieh vielleicht 20 und mehr Stunden weit zu treiben und abmagern zu lassen, damit es vielleicht mit einem blauen Bändlein am Horn matt und siech wieder nach Hause kehre. Die Viehzucht in hiesiger Gegend ist nur durch die Anschaffung fremder, besonders Schweizerviehstämme und den verbesserten Futterbau veredelt, nicht aber durch Belobungen und Verteilungen bunter Bänder an den Viehfesten und die dabei üblichen Gastereien und Toastausrufe. Aus nichts wird wieder nichts, und ein zudringliches Einmischen von Leuten, die selber nichts treiben und verstehen und gar noch befehlen wollen, kann der Landwirtschaft nur Nachteil bringen. Daher es denn auch gekommen, daß die Gemeinden es meistens ihrem Kuhhirten überlassen, das Schauspiel einer solchen Viehausstellung zu wagen.

War der Tag schon düster und schauerlich, so daß alles unter Regendächern zur Ochsenfeier waten mußte, so wurde die Frau Generalkommissär fast noch düsterer gestimmt über meine Ankunft, weil sie befürchtete, ich möchte ihr in der Selbstregierung des Kreises, welche sie von ihrem Gemahl übernommen, hinderlich sein, und weil sie dem Könige durch eine alte Schlüsseldame bereits einen andern Direktor präsentiert und vorgeschlagen, welches nicht gut muß ausgerichtet worden sein. Herr von Dörnberg war der Sohn eines preußischen Ministers; zu diesem Vorzuge, der an sich schon zu Beförderungen ausreichte, gesellte sich das Verdienst, daß er zu jener Zeit, als der preußische Generalstab nebst allen seinen Verpflegungsanstalten in der Stadt Frankfurt lag, von den Freunden und Verehrern der Stadtschultheißentochter sich zum Gemahl derselben antragen ließ. Nach verschiedenen Schicksalen war Herr von Dörnberg, der anfangs der abziehenden preußischen Regierung nach Baireuth gefolgt war und endlich dort der Dragoman der Franzosen wurde, als Generalkommissär in dem so lange geflohenen baierischen Dienste zu Ansbach bestellt. Sein ganzes Geschäftstreiben war aber ein ewiges Tüpfeln und Kritzeln, zuerst auf den Kornsack, wenn er aus der Scheune kam, dann auf den Mehlsack, wenn er aus der Mühle kam, dann auf den Brotsack, wenn er vom Bäcker kam; immer D., D., D., des Tages tausendmal, und sonst nichts; dann erfolgten am Abend fragende, bettelnde und meldende Brieflein aus allen vier Ecken. Sonst wüßt' ich nicht, daß ich nur drei Zeilen in dem Akt von ihm gesehen hätte, außer ein einziges Mal inter Secretissima eine Deduktion von 25 Bogen, als er die Kartoffeln von ein paar Ackerbeeten herausgeben sollte, die er unbefugterweise auf fremdem Boden angebaut, denn sowohl ihn als die Frau Gemahlin beherrschte der schmutzigste Geiz, wobei man auch die kleinlichsten Betteleien und Künste nicht verschmähte. So z. B. mußten die Fleischer ihr Fleisch, die Bäcker ihr Brot seinem Hause um einen Pfennig wohlfeiler liefern, als den anderen armen Bürgern; da hieß es dann immer: das ist eine ganz andere Sache: ihr müßt doch bedenken, daß mein Mann Generalkommissär ist, und daß er euch nutzen oder schaden kann. Weil nun alle Meister bei solchen Verhältnissen die Kundschaft des hochfreiherrlichen Hauses flohen, so mußten sie endlich polizeilich zu den Lieferungen angehalten werden, bekamen aber ihre Entschädigungen aus der Handwerkslade und anderen Wohltätigkeitsanstalten. Den Kindern wurde zwar ein Hofmeister gehalten, der aber seine Erziehung nach dem Plane der Köchin einrichten mußte, welche alle Augenblicke aus der anstoßenden Stube hereinschrie, so verfahre man nicht mit jungen Baronen, eine Ansicht, die dann auch bei allen vorkommenden Fällen von der gnädigen Frau Mama bestätigt wurde. Daher kam es denn auch, als einer dieser Zöglinge mit seinem 18. Jahre zum Regimente kam, daß er weder lesen noch schreiben konnte und erst vom Obersten in die gemeine Soldatenschule geschickt werden mußte. Da die preußische Regierung bei ihrem Abgang nicht karg mit Gnadenbriefen war, von denen man freilich nicht wissen konnte, ob sie von der neuen baierischen Regierung würden anerkannt werden, so erlangte auch Herr von Dörnberg zum Lohn seiner Verdienste eine Anwartschaft auf ein lehenbares Rittergut W. Weil jedoch der wirkliche Besitzer, ein Herr von W., ein junger Mann, noch lebte, eben damals eine Frau nahm und so viele Kinder zeugte, daß der Lehenhof auf ein paar hundert Jahre versehen sein konnte, so hörte Herr von Dörnberg nicht auf zu winseln, zu schreien, wie hart das für ihn und seine armen Kinder sei. Endlich, als eben eine Menge Staatswaldungen öffentlich verkauft wurden, erstand er einen Wald zu 25 000 Gulden, weigerte sich aber, als es zur Zahlung kam, die Kaufsumme zu entrichten: da war's denn abermals hart, barbarisch, daß die Staatskasse so etwas fordern wolle; der Fiskus müsse ihn entschuldigen, was könne er armer Mann dafür, daß Herr von W. samt allen seinen Kindern nicht sterben wolle. Und so wurde endlich, um nur den unerträglichen Bettler loszuwerden, der trüglich erstandene Wald von der Regierung wirklich überlassen. Dieser glückliche Erfolg hätte jedoch den Herrn Baron und seine Frau Gemahlin beinahe verzweifelnd gemacht, deshalb, daß sie ihr Netz nicht ebensogut auf eine noch größere Beute gestellt. Es wurde also ein neuer Bettelbrief erlassen, der geschenkte Wald hänge noch mit einer Parzelle, genannt so und so, unmittelbar zusammen. Der arme Hausvater hoffe, daß es nicht anders gemeint sei, als daß sich die Schenkung auch auf dieses, für Se. Majestät gewiß so unbedeutende Stücklein miterstrecke. Ein taumeliger Ministerialreferent resolvierte von der Faust weg »es verstehe sich«; der Minister, ungewarnt und nicht ahnend, wovon es sich handle, unterschreibt, und so fand sich denn, daß diese unbedeutende Parzelle an 25 000 Gulden Wald noch ein anderer Domänenforst von 200 000 Gulden war. Von nun an waren Haus und Geschäftssaal unaufhörlich mit Mäklern und Juden angefüllt, um den eroberten Wald zu zerstückeln, abzutreiben und zu vereinzeln, wodurch der Generalkommissär eine solche Vorliebe für die Geschäfte der Art bekam, daß er, in Verbindung mit einigen seiner vertrautesten Landrichter, allenthalben Anschläge der größeren Bauernhöfe zusammentrieb, und dann mit diesen Landrichtern und seinen jüdischen Freunden berechnete, was durch Erkauf und Zertrümmerung dieser Höfe zu gewinnen wäre. Die Eigentümer wurden hierauf von den aufgeregten Gläubigern gehetzt und gejagt, bis sie sich zu einem gutwilligen Verkauf entschlossen; wo nicht, so rückten die Landrichter mit einem formellen Gantverfahren hinterher. Auf diese Art sind viele Familien an den Bettelstab gekommen, welche bloß durch die Gier und Gewinnsucht dritter verdrängt, und im äußersten Fall, wenn man ihnen den Vorteil der Gutszertrümmerung und dadurch eines größern, oft doppelten Erlöses hätte zukommen lassen, noch heute wohlhabende Hausväter vorstellen könnten.

Ich vermochte bei meiner Ankunft in Ansbach kaum die Grüße zu erwidern, die mir schon aus den Fenstern der Straße entgegenflogen, und mußte beim Gasthof aus dem Wagen steigen vor lauter herbeieilenden sogenannten Freunden und Verehrern, die meine Wiedererscheinung angeblich äußerst glücklich machte. Noch andere hatten den Gefühlen ihres Herzens schon durch vorausgeschickte Sendschreiben Luft gemacht. Nun folgten Deputationen, Gastmahle, Toasts, wohl zu merken, immer am eifrigsten bei solchen Leuten, die mich bei der ersten Niederlegung meiner Direktorstelle gar nicht mehr gegrüßt, mir mitten auf der Straße aus dem Wege gegangen und meinen endlichen Abzug kaum erwarten konnten. Es ist nichts Neues in der Welt, das erfuhr ich bald darauf abermals; nur sollten höhere Beamte, die geneigt sind, auf solche Dinge einen Wert zu legen, begreifen, wie leer alles dieses höhnische und heimtückische Gekose ist, und die Verehrung für den Machthaber, sei er auch noch so klein, und oft selbst ein Knecht, unterscheiden lernen von dem matten Bodensatz, der für die eigene nackte Person selbst noch übrig bleibt. Mir scheint, daß ein solches heuchlerisches Treiben und Posaunen unsere Erbschaft aus der Zeit der komödiantischen Franzosenherrschaft geblieben.

Durch diese und ähnliche Erfahrungen, die man im Geschäftsleben macht, wenn einmal die Jahre der Phantasie überschritten, war mein Herz für alle weitere lebendige Teilnahme an dem sogenannten, meist unnützen und verkehrten Regieren erstarrt und mein Glaube an das Bessere ziemlich erstorben; daher eine Regierung, die täuschen will oder muß, wirklich sehr wohl daran tut, solche ältere Männer, die zuviel hinter den Vorhang gesehen, von Zeit zu Zeit mit jüngeren Schwärmern zu verwechseln, die noch selber an die Wunder glauben, die sie predigen sollen. Was mich noch einigermaßen ansprach, war die Geschichte und Statistik des Kreises, die Wohltätigkeitspflege, deren Quelle ich selbst mit eigenen bedeutenden Summen im Fluß erhielt, die Landeskultur, besonders neue Urbarmachungen, Ansiedelungen und neben dem allen geschichtliche Arbeiten. Ich gab zu dieser Zeit heraus die Amores Patris Marelli, d. i. die aktenmäßige Schandgeschichte eines Jesuitenlehrers mit einer Anzahl seiner Schüler, gerade zu der Zeit, wo man auch in Baiern auf Wiedereinführung der Jesuiten in die Schule dringen wollte. Der Schlag traf hart und unvermutet: desto grimmiger schrien die Jesuitenpatrone Mastiaux und Lipowsky über mich, als Lügner, Erdichter. Selbst in diesem Falle mußten mir die Herren den Vorzug einräumen, daß ich wenigstens gelehrter und künstlicher wäre, als sie selbst; denn solche Akten, mit diesen zutreffenden Angaben in Zeit und Namen und dieser ganz eigentümlichen lateinischen Jesuitensprache zu erdichten, wäre eine große Aufgabe. Die Herren hätten sich ja nur erkundigen dürfen, ob solche Akten wirklich im Archiv vorhanden seien; aber sie trauten sich nicht, weil sie fürchteten, es möchte ihnen gehen, wie dem Zyklopen des Ovids: » Quaesivit lucem, ingemuitque reperta.« – In der Oberpfalz kaufte man das Heftlein aus gewissen Heilandskassen auf, und vertilgte es.

Nächst diesem besorgte ich den Druck der bereits in München gefertigten baierischen Jahrbücher auf meine Kosten, wobei ich nicht einmal meine Auslagen herausgebracht, indem ich keine hundert Exemplare absetzte. Endlich fing ich hier mit Hilfe eines mir dazu auf zwei Jahre verwilligten Privatsekretärs die Anordnung der Regesten und ihre Vorbereitung zum dereinstigen Abdruck an.


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