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Herzeleid

Lang wird Reichs- und Domänenrat zu Ansbach. – Verwaltungsgrundsätze. – Langs zweite Heirat. – Ehefreuden und -leiden. – Beim Minister von Hardenberg in Berlin. – Die Hardenberg'schen Eheirrungen. – Tod der zweiten Frau. – Bei der Hardenbergschen Familienzusammenkunft in Leipzig. – Tod von Langs einjährigem Söhnchen. – Die Fuchsmühle und der Turm von Frommelsfelden. – Ein Akt aus der Berliner Oberrechenkammer. – Veruntreuungen beim Ansbacher Staatslotto.

 

Auf kurze Zeit nur, um meinen Abzug nach Ansbach zu beschleunigen, kam ich in Kulmbach an. Ein Vorrat von Frauenzimmerkleidungen und französischen Putzwaren, den ich in Rastatt und Straßburg eingekauft, und in meiner Herzensfröhlichkeit an die jungen Mädchen des Orts verschenkte, verursachte wunderbare Deutungen, von Gott weiß welch ernstlichen Absichten, auf die halbe Stadt, die ich nächstens noch näher erklären werde. In der Sprache dieser schönen Kinder galten Blumen als die kleinen, Geschenke aber, wenn auch noch so unbedeutend, als die großen Buchstaben. Unterdessen behandelte die Tochter meiner Hausfrau, von Reitzenstein, mich mit einer solchen Unbefangenheit und Sicherheit als den ihrigen, daß mir das Ding am Ende selbst also glaubhaft und ganz natürlich vorkam, obgleich wir uns beim Abschied beiderseits weiter nichts darüber sagten. Ich traf in den ersten Tagen des Jahres 1799 in Ansbach ein, und erlangte nur mit Mühe, in einer ganz mit deutschen und französischen Emigranten überfüllten Stadt, Quartier bei einem närrischen Hauswirte, dem ich über fünfundzwanzig Kapitulationspunkte unterschreiben mußte, wie er es im Hause gehalten und nicht gehalten wissen wollte. Er behielt sogar noch einige im Hinterhalt, worunter z. B. diese waren, daß beim Frisieren die Fenster verschlossen bleiben müßten, damit der Haarpuder nicht auf das Dach fliege und es beschädige, daß ich statt meines bisherigen Frühstückes von Milchsuppe, als einem solchen Hause unanständig, Kaffee trinken, und alle Dienstagabend Bratwürste mit Salat, wie es bisher immer im Hause üblich gewesen, essen sollte. Meine hartnäckigen Übertretungen dieser Punkte zogen mir in kurzer Zeit die Kündigung des Quartiers zu, wovon mich nur der Zufall rettete, daß im Laden des Hauswirts ein Brief an mich abgegeben wurde, mit der Aufschrift: »An den Kriegsrat Lang«, den mir der Wirt schnaubend selber heraufbrachte, voll Erstaunen, welch impertinenter Mensch es gewagt haben möge, an mich ohne Salvo Titulo, Hochwohl- oder doch Wohlgeboren und vollends gar ohne Herr zu schreiben. Als ich nun den Brief öffnete und sagte: »Mein Herr, der Brief ist vom König« (es war eine Danksagung für meine übersendete Baireuther Geschichte), so bat er mich, unausgesetzt tief zur Erde gebeugt, um die gnädigste Verzeihung. Es sei eine unbeschreibliche Ehre für ihn, Leute in seinem Hause zu beherbergen, welche mit Seiner Majestät dem König im Briefwechsel ständen. Ich möchte doch ja künftig über ihn befehlen, bei Tag und bei Nacht. So zog er, sich immer verbeugend, rücklings zur Tür hinaus, und schickte mir alsbald einen Korb voll Zucker und Kaffee herauf, im Fall ich doch ja ihm zulieb das Frühstück der Milchsuppe unterlassen möchte. Diese Geschenke wurden auch von Zeit zu Zeit wiederholt, so oft er von meiner Seite einige Nachgiebigkeit gegen seine Albernheiten zu bewirken glaubte.

Nachdem nun das Haushalten eingerichtet war, schrieb ich dem Fräulein von Reitzenstein, wenn sie als Hausfrau bei mir einziehen wolle, so würde ich kommen, sie abzuholen. Mutter und Töchterlein antworteten: jawohl! – Auf dem Rittergut P. ließen wir uns trauen, 15. August 1799, und also erlangte ich die zweite Frau.

Die Mißgunst des Grafen von Haugwitz hatte den Minister von Hardenberg endlich auch von Ansbach weggedrückt, ihm seine große Vollmacht, als eigener dirigierender Minister in Franken, benommen, und ihn gezwungen, seinen Sitz in Berlin zu nehmen, um von da aus die fränkischen Angelegenheiten, bloß als Mitglied des Generaldirektoriums und Chef eines fränkischen Departements zu besorgen, doch so, daß über und neben ihm die Kompetenz der Staatskontrolle, der Oberrechenkammer, des Justiz- und des geistlichen Ministeriums eintrat. Um jedoch hierüber noch soviel als möglich seinen, wenn auch nur persönlichen Einfluß, zu retten und einige vorzügliche Günstlinge seines Ansbacher Departements unterzubringen, gelang es ihm, eine eigene Stelle, genannt der zweite Kammersenat, in Ansbach zu bilden, welcher sowohl für Ansbach als Baireuth alle Grenz- und Landeshoheitssachen, die ritterschaftlichen Angelegenheiten und die Lehenssachen, alles in bloßer Abhängigkeit vom Minister von Hardenberg, sowie auch ferner die Schul- und Stiftungssachen, sodann, als untergeordnet dem geistlichen Ministerium, auch die Konsistorialsachen zu besorgen hatte. Mir, als Mitglied dieser Kammer, die mit unter dem allgemeinen Präsidium, oder vielmehr Oberpräsidium des Herrn von Schuckmann, und dem Herrn von Hänlein als Vizepräsidenten stand, war besonders zugeteilt die Direktion der Archive in Ansbach und Plassenburg, die Differenzen mit allen baireuthischen Grenznachbarn und ritterlichen Insassen, und im Ansbachischen noch besonders mit Pfalz, Bamberg und Nürnberg, ferner alle Grenzregulierungen und im Departement der Stiftungen das Referat über alle Zentral-, Stiftungs-, Schulfonds- und Stipendienpfarrvakaturkassen, der Gymnasienfonds zu Ansbach und Baireuth und des allgemeinen Hospitals und Witwen- und Waisenhauses in Ansbach, endlich über sämtliche Stiftungen der Stadt und des Justizamtes Ansbach, sodaß die Anzahl der mir jährlich zum Referat zugestellten Eingaben sich jederzeit auf dreitausend Nummern erstreckte. Überdies hatte ich noch besondere Deduktionen gegen einzelne Rittergutsbesitzer, welche sich der Unterwerfung weigerten, gegen Nürnberg wegen der Waldrechte, gegen das Domkapitel Bamberg wegen Fürth, auszuarbeiten, welche zum meisten Teil in dem Staatsarchive der fränkischen Fürstentümer erschienen sind; nicht minder legte ich unverdrossen Hand an den zweiten Teil meiner baireuther Geschichte, worüber mich der Prinz Solms, Gemahl der königlichen Schwester, nicht selten von dem entgegengesetzten Fenster des Gasthofes zur Krone beobachtete, wie ich dabei vom Stuhl aufsprang, perorierte und mit den Händen figurierte, was ihm allerdings etwas verrückt vorkam: ich bin es aber noch jetzt gewohnt, alles, was eine gewisse Kraft und einen Wohllaut der Sprache haben soll, erst an meinem eigenen Ohr mit lauter Stimme vorübergehen zu lassen. Als Referent in Stiftungssachen bewirkte ich die Aufhebung des Alumneums in Ansbach, der Naturalverpflegung des Waisen- und Erziehungshauses, trennte das Hospital, als Verpflegungsort alter und verarmter Bürger, von dem Krankenhause, mit dem eine Anstalt für kranke Dienstboten verbunden wurde, und veranlaßte einen Privatverein zur Austeilung rumfordischer Suppen und Brote, und zu freiwilligen Arbeitsanstalten.

Der Grundsatz, von dem wir damals ausgingen, war: den Geistlichen und Gemeinden so viel wie möglich selbst die Verwaltung ihrer Stiftungs- und Kirchengüter in die Hände zu geben, aber so, daß auf Dörfern der Pfarrer, in Städten ein Glied des bürgerlichen Magistrats, und nur bei ganz großen Stiftungen ein eigener Verwalter die Rechnung zu führen hatte; nach einem Etat, welcher des bevorstehenden Jahres Soll und Haben aufs genaueste schon zum voraus balanzierte, und welcher zugleich die wesentlichste Form der Rechnung selber gab. Die Rechnung des vollendeten Jahres, wenn man sie zuvor bei Amt geprüft, und die Etatsentwürfe des kommenden, gingen an den zweiten Kammersenat zur endlichen Erledigung und Bestätigung, dem hierzu ein eigenes Revisionspersonal zugeordnet war; auch mußten über alle Verpachtungen, Zehentverkäufe und sonstige ungewöhnliche oder wandelbare Ausgaben die Genehmigungen eingeholt werden. Herr von Völderndorff, als Präsident des ehemaligen zweiten Regierungssenats in Baireuth, hatte nach Analogie der preußischen Kassen- und Armenregelements hiernach eine zur Befolgung ausgegebene, sehr zweckmäßige Instruktion aufgesetzt. Allerdings waren der Schreibereien etwas viel; wir suchten sie möglichst abzuschneiden, besonders durch bloße monatliche oder vierteljährliche Übersichten. Als Almosen und gutes Werk ließen wir es geschehen, wenn eine reichere Kirche bei Gelegenheit einer ärmeren beistand, oder etwas zu allgemeinen Zwecken mitsteuerte, sonst aber waren wir von Zentralisierungen der Fonds keine Freunde, weil sie in jeder Gemeinde notwendig das Gefühl der Ungerechtigkeit erregten, den selbst waltenden Eifer der Gemeinden und ihren wohltätigen Sinn erstickten und die zentralisierte Masse einer weit größern Gefahr des Untergangs aussetzten; dahingegen einzelne Mißbräuche, willkürliche Ausgaben, Zehrungen und dergleichen weit leichter zu bessern, oder oft noch klüger ganz zu verzeihen waren, wo sie, an sich unbedeutend, die Masse selbst nicht angegriffen, und durch den guten Willen der Gemeinden in anderen Stücken sich zehnfach von selbst vergüteten. Bei diesem Verfahren, das ich nur noch um vieles vereinfacht gewünscht hätte, haben sich unsere Stiftungen recht wohl befunden. Die Aussicht des Staates über das Gemeinde-, Kirchen- und Stiftungsvermögen sollte sich überhaupt nur im allgemeinen auf die Bewahrung desselben, und die Einhaltung des eigentlichen Zwecks beschränken.

Überall fand ich die ärgsten Mißbräuche da, wo eigene Haushaltungen und Wirtschaften stattfanden. Da ging fast immer das Beste im Wohlgenuß der Herren Verwalter auf, und außer den schönen Sälen dieser Herren strotzten in den anderen Zellen Schmutz, Ärmlichkeit, Krankheit; – – und nirgend wollte das Geld hinreichen, selbst nicht zu diesen Kerkeranstalten, so besonders auch bei dem Alumneninstitut des Gymnasiums, wo man alljährlich Geld ausborgen mußte, um nur den Kostwirt zu bezahlen, während die feuchten, ungeheizten und ungesunden Zellen der ganz vernachlässigten Schüler zum Tummelplatz antizipierter Studentenunfuge und öffentlicher und heimlicher Sünden dienten. Den Waisenkindern waren Hände und Füße vor lauter Krätze, Gicht und englischer Krankheit eingebogen und die Köpfe aufgeschwollen. In den elenden Hütten, genannt Seelhaus, Siechhaus, Blockhaus und Lazarett, lagen scheußliche Gestalten halb nackt, auf muffigem Stroh, die ihrer lebendigen Verwesung gar entgegenharrten, und zu denen man jezuweilen unglückliche erkrankte Dienstboten oder Stadtarme hinunterstieß. Ich fing nun alsbald damit an, diese Hütten des Jammers und Elends zu reinigen und zu räumen, und nachdem man die wenigen unheilbaren Kranken anderwärts untergebracht, im Gebäude des Waisenhauses ein Hospital für zwanzig Stadt- und Dienstboten, mit den reinlichsten Betten in vereinzelten Zimmern herzurichten, die Kinder im Waisenhause auf das Land zur Verpflegung zu geben; im Nebengebäude des Waisenhauses, Erziehungshaus genannt, eine Arbeitsanstalt zu gründen, wo zu meiner Zeit zweihundert freiwillige Arbeiter in geheizten Sälen Wolle spannen und neben dem tarifmäßigen Lohn noch Brot und rumforder Suppen erhielten. Ebenso wurden die Zellen auf dem Gymnasium gesperrt und den Lehrern zur Verbesserung ihrer Wohnungen zugeteilt, die kostbare Naturalverpflegung aufgehoben, dafür aber angemessene Stipendien in Geld festgesetzt, wofür die Alumnen ihre Kost und Wohnung in anständigen Bürgerhäusern, und zu einem großen Teil nun wieder bei ihren Eltern nehmen konnten. Damit war das arge jährliche Defizit, welches in kurzer Zeit die ganze Gymnasienstiftung zu verschlingen drohte, verstopft, und mancher andere mit Stillschweigen zu bedeckende Greuel und Unfug erstickt, und der Waisenkinder konnten jetzt noch einmal soviel als vorher verpflegt werden. Nicht minder half die verdienstreiche Arbeitsanstalt, daß an anderen Stadtalmosen mit 3000 Gulden ausgereicht wurde, wo deren seither dreißigtausend nicht genügen wollten. Es konnte nicht fehlen, daß ich bei solchen Maßregeln, die ein festes Durchgreifen erforderten, und denen sich meistens die Magistrate selber entgegensetzten, hinter welche sich die Verwalter steckten, im ganzen Lande als ein heftiger und unbarmherziger Mann verschrien wurde, und daß man mich durch Rekurse über Rekurse, die aber am Ende alle nichts halfen, ermüden und zurückhalten wollte.

Der Präsident von Schuckmann, dem dieses mein Schalten und Walten, wobei er mich kräftigst schützte, sehr wohl gefiel, konnte sich nicht enthalten, als er einmal von dem Besuch des Arbeitshauses mit mir zurückkehrte, auf der Straße auszurufen: »Es kann nicht fehlen. Sie werden noch den Himmel in diesem Leben gewinnen!« – Damals wenigstens war ich ihm noch nicht nah. Ein giftiger Wurm fing an, eine zarte Blüte zusehends zu zerstören; mein junges, schlankes feines Weiblein wurde von einer eilenden Abzehrung ergriffen, bei einer vielleicht schon körperlichen Anlage dazu, um so mehr durch frühere Unvorsichtigkeit beim Tanz, und infolge eines kurz vor unserer Vermählung überstandenen, vielleicht nicht wohl abgewarteten Scharlachfiebers. Hiezu gesellte sich eine kränklich aufgereizte Eifersucht, in ihren Ausbrüchen gefördert durch alte Basen, Kundschaften von großen, innigen Unterhaltungen, die ich im Schauspiel mit einer jungen Frau gepflogen haben sollte, welche, nun war die Sache klar am Tage, aus Zufall uns den andern Morgen besuchte. Alle weiblichen Zusprüche wurden von nun an verdächtig, alle weiblichen Freundschaften, mit Ausnahme einiger sehr häßlichen, gebrochen, wie ich denn überhaupt glaube bemerkt zu haben, daß zwischen Weib und Weib nie eine echte Zuneigung besteht, und der Gegenstand einer weiblichen, vielleicht oft gemißdeuteten Freundschaft nur ein Mann sein kann. Das arme Weiblein hielt sich nun meiner nirgend versichert, als beständig an ihrer Seite und soviel möglich immer im eigenen Hause. Endlich kam ihr die Laune, sich ganz mit mir zu flüchten auf das Land in einen Garten zu Neuses, eine halbe Stunde vor der Stadt, wodurch sie besonders auch wieder ihre Gesundheit zu erlangen hoffte. Aus demselben herzlichen Wunsche fügte ich mich allem willig, kam bloß zur Stadt in die Sitzungen der Kammer, wurde immer mit Sehnsucht wieder zurückerwartet, mit Freude empfangen und unter unzähligen kleinen Aufmerksamkeiten mittags bewirtet. Ich arbeitete in freien Stunden an meiner Baireuther Geschichte, abends durchstrichen wir, fern von aller anderen Gesellschaft, die nächsten Fluren und Wälder, verzehrten in Lauben und unter dem gestirnten Himmel in vertraulichen Gesprächen unser Abendbrot, und fanden am Ende beiderseits an diesem Idyllenleben innerhalb verschlossener Türen ein ziemliches Wohlgefallen. Die rauhere Jahreszeit und die bevorstehende Entbindung nötigten uns wieder zur Rückkehr in die Stadt. Die Ankunft der Mutter, mir sehr erwünscht und tröstlich, und dann nach einiger Zeit die glückliche Geburt eines Sohnes, versprach nun unserm häuslichen Leben eine ganz neue herrliche Gestaltung, als die bisher gleichsam stillgestandene Kränklichkeit ihre verdoppelten Angriffe in ununterbrochenen, mehr oder minder heftigen Fieberanfällen machte, einer immerwährenden Ebbe und Flut von froher Hoffnung und lauter Freude heute, und verzagter Furcht und stillem Kummer morgen. Ich selbst, um nichts zu versäumen, bestürmte noch um Mitternacht die Ärzte und schleppte die Arzneien in meiner Tasche herbei.

Das arme Weib, um zu erforschen, ob man sie verloren halte, schützte ein heftiges Verlangen nach einer Menge neuer Staats- und schöner Kleider für jegliche Jahreszeit vor, in welchen Dingen sie doch sonst gar nicht begehrlich war. Aus dem Verzögern, aus dem Abschlagen, dem Ausreden dieser Wünsche wollte sie vermutlich erlauschen, was unsere Ansichten und Hoffnungen wären, ich nahm aber die Rolle an, alles zu gestatten und als zeitgemäß zu billigen. Die Einkäufe, die Zurichtungen und alsdann die Anschauungen bewirkten noch manche zufriedene und der Gefahr unbewußte Viertelstunde. Indem ich so ihrer List in Erforschung meinerseits eine gleiche List im Verbergen entgegensetzte und mich auch nicht entzog, worauf es ihr Argwohn deutlich anzulegen schien, nachts neben sie ohne Scheu hingelegt mehrere Stunden hinzubringen; so gingen unter solcher Schonung und Vorsicht, unter der Pflege einer sorgsamen Mutter und unter den Liebkosungen des neuen Kindes die trüben Tage wenigstens ohne Sturm und selbst nicht ohne Hoffnung vorüber.

Zur selben Zeit erhielt ich ein Schreiben des Ministers von Hardenberg aus Berlin, 5. Februar 1801, worin er mich aufforderte, alsbald nach Empfang desselben mich nach Berlin zu begeben, weil er wünsche, mit meiner Beihilfe bei der bevorstehenden Zusammenkunft aller Glieder der Hardenbergischen Familie ihre Angelegenheiten unter sich in Ordnung zu bringen. Frau und Schwiegermutter, nach dem ersten Schrecken über diese Einladung, die jedoch auch ihren kleinen Ehrgeiz reizte, drangen in mich, ihr zu folgen, meine Schwiegermutter auch aus dem Grunde, weil ihr für meine eigene Gesundheit bange war; ich selbst sah das Wohltätige einer Ortsveränderung wohl ein, da mich unter den unausgesetzten unruhigen und sorglichen Nächten und den arbeitsvollen Tagen ein paarmal schon Ohnmachten in der Sitzung überfallen hatten. Ich wußte meine Frau in den Händen ihrer Mutter aufs beste verpflegt und sah nach meinen Wünschen die Gefahr überall weniger groß und nahe. Doch blieb der Abschied vor dem Krankenbett erschütternd für uns beide.

Auf den abscheulichen Straßen, die gleich hinter Hof anfingen, wurde unser ohnehin etwas ungeschickter Wagen regelmäßig alle Tage umgeworfen, so daß ich am Ende diesen fatalistischen Umsturz schon am Morgen mit Ungeduld erwartete, und alsdann vermeinte, für die übrige Zeit desto ruhiger zu sein. Allein, da sich dieses Umwerfen zuletzt auch zweimal, ja gar dreimal an einem Tag ereignete, so blieb uns nichts übrig, als unser Schicksal in der sichersten Lage beständig zu erwarten und unterdessen Wetten einzugehen, binnen welcher Zeit und auf welche Seite der Wagen fallen würde, worin aber meine Herren Reisegefährten einen großen Unstern hatten, indem der Wagen jedesmal auf die andere Seite fiel, so daß sie sich am Ende mehr über dieses Mißraten der Wetten, als das Wagengestürz selber erbosten. Nachts beobachteten wir den Sternenlauf, versetzten uns auch die ganze Fahrt über in eine Menge närrischer Glücks- und Unglückstage, Heldenstreiche, Waghalsstücke und dergleichen, und brachten dann im Geist und Charakter und dem gewöhnlichen Sprachorgan unserer spießbürgerlichen Obern, Kollegen und Bekannten die nachgeäfften Urteile und Glückwünsche derselben auf die Bahn.

Zu Berlin wurde ich vom Minister wie ein Kind des Hauses empfangen, überhaupt ist demjenigen, der nur kleine deutsche, schulmeisterische, hinter einem halb Dutzend Vorzimmern verschlossene und von Bettelvolk belagerte Minister kennt, von der Leutseligkeit, Liebenswürdigkeit und Zugänglichkeit Hardenbergs kein Begriff zu geben. Er lauschte seinen Untergebenen ordentlich an der Miene ab, was ihnen angenehm sein könnte, nahm Kenntnis von ihren innersten häuslichen Verhältnissen, kam, wo er irgend einen von seiner Lage gedrückt glaubte, mit Vorschüssen und Zuwendungen entgegen, und konnte beinahe empfindlich darüber werden, wenn ein solcher zu verstockt war, sich ihm anzuvertrauen. Er ließ jeden möglichst in das Fach übergehen, wo er am liebsten arbeitete, riß wider Willen oder ohne große Verbesserung keinen aus seinen Verhältnissen; wo er abschlagen mußte, suchte er ängstlich etwas anderes aus, was einstweilen trösten und entschädigen konnte, doch hatte er nicht selten die kleine neckende Bosheit, Leute mit ihren schriftlichen Bitten an einen oder den anderen seiner obersten Räte, besonders Kracker oder Koch, zu verweisen, welche zu ihren Entschließungen sich den Normaltypus genommen hatten: »Findet nicht statt!« Wenn nun die Leute mit solchen vom Minister selbst unterschriebenen abschlägigen Dekreten höchst betroffen wieder vor ihn kamen, so sprach er: »Ja! da sehen Sie – so ist der Kracker – so ist der Koch – das sind doch ganz erschreckliche Menschen! – Aber lassen Sie's nur gut sein, gehen Sie mit diesem Mann (damit rief er einen aus seiner Kanzleiumgebung) hinab zur Kasse; er wird dem Kassierer sagen, daß er ihm alsbald das oder das bezahlen und mir das Dekret zur Unterschrift nachderhand vorlegen soll.« Bei aller seiner Herzensgüte eifersüchtig auf seine Autorität, setzte er sich dadurch gegen seine Bürochefs als solche, die anderen nichts Gutes gönnten und auch nichts vermöchten, in Vorteil, und schreckte die anderen ab, anderswo eine Protektion zu suchen, als bei ihm selbst.

Mein Geschäft in Berlin war, die sämtlichen Familienverträge des Vorderhauses Hardenberg, die mir früher aus meinem Aufenthalt zu Hardenberg wohlbekannt waren, in einen einzigen neuen Hauptvertrag zusammenzufassen, und die wichtigsten Punkte und Abänderungen durch besondere Darstellungen zu erläutern, die sodann in dem bevorstehenden Familienrat von mir sollten vorgetragen werden. Quartier war mir in einem Privathause bestellt, bei einem königlichen Kammermusikus, Herrn Schwarz, dessen Frau die Vertraute der Hardenbergschen Geliebten war, die sich vielleicht dadurch möglichst vorsehen wollte, damit nichts für sie Unbeliebiges bei dem Familienrat vorkommen möchte; den Tisch hatte ich fast täglich bei dem Minister, wo sich, ausgenommen wöchentlich etwa ein paarmal bei den diplomatischen Zeremonientafeln, als gewöhnliche Tischgesellschaft einfand: der Theaterdirektor Iffland und die Madame Schönemann. Diese Frau war früher selbst Schauspielerin zu Frankfurt, meist in Soubrettenrollen, und knüpfte mit dem Minister, der sich zur Zeit des gebildeten norddeutschen Neutralitätskordons daselbst aufhielt, durch ihr dem Hotel des Ministers entgegenstehendes Fenster ein Liebesverständnis an, das sich alsbald mit beiderseitiger Erfüllung aller Wünsche gekrönt sah.

Madame Schönemann, die bald darauf in eine beschwerliche Krankheit verfiel, schien allerdings damals Aufopferungen von ihrer Seite gemacht zu haben, welche jedoch die Großmut und Dankbarkeit des Ministers ihr auf das höchste zu vergelten suchte. Sie kam, nachdem sie wieder hergestellt war, mit dem Minister nach Ansbach, wo sich's leicht vorstellen läßt, in welche Verzweiflung dadurch die, aufrichtig gesagt, weit schönere und angenehmere wirkliche Gattin desselben geraten mußte, die ihren Gemahl romantisch liebte und jetzt nun eine allzu bittere Wiedervergeltung dafür erfahren mußte, daß auch sie ihren ersten Mann, einen Herrn von Lenthe in Hannover, verlassen. Ihre Tagebücher, die ich in der Hand gehabt, waren erfüllt mit den wehmütigsten Klagen, die sich am Ende, was diesen Punkt betrifft, in einer stillen Wahnsucht auflösten, worin sie sich, gleichsam aus Rache, noch ärger als der Herr Gemahl selber vergaß und sozusagen die Musik zum Schauspiel lieferte, worauf sie von Ansbach wegzog und die Verborgenheit in Sachsen suchte. Damit war der völlige Triumph der Madame Schönemann entschieden, die dem Minister jetzt auch nach Berlin folgte, anfangs als die Freundin und Ehrendame des Hauses, zuletzt nicht in einer Theaterrolle, was sie nicht einmal in Frankfurt erlangen konnte, sondern in der Wirklichkeit als wahre Gemahlin und Fürstin. Noch in den letzten Jahren gelang es jedoch den Verwandten des Fürsten, diese ihnen so anstößige Verbindung durch mancherlei Verdächtigungen zu sprengen. Nach gütlicher Abfindung begab sich die getrennte Frau mit einem andern Freund, einem jüdischen Arzt und Gelehrten, Herrn Koref, nach Frankreich. Ich habe diesen kleinen Roman gleich hier im Ganzen zusammengefaßt, als einen Charakterzug jener Zeit und glaube, es ist nicht nötig, an dem glänzenden Bilde eines ganz großen Mannes alle schwachen Schatten kindischerweise verbergen zu wollen.

Im Hause des Ministers traf ich wieder den Präsidenten, nachherigen Justizminister von Kircheisen, der vorher schon auf Kommission in Ansbach war, einen gar milden und angenehmen Mann; außerdem sah ich den Kabinettsminister Grafen von Haugwitz, mir erscheinend als ein kleiner auf Stelzen gehender, poetisch-mystischer Diplomat, den Kabinettsrat Beyme, einen etwas seichten Schwätzer, und in kurzer Aufwartung den Minister des geistlichen Departements, von Massow, ein ehrliches, abgemagertes, altes Männlein. Herr Buchhändler Nikolai führte mich in die gelehrten Privatzirkel der Stadt Berlin ein, und aus dem prachtvollen Brandenburger Tor trat ich in die prachtleeren Gebüsche des Tiergartens, wo ich fast alle Gespräche mit dem Stichwort eröffnen hörte: »Sagen Se mal.« Sie meinten, man müßte in Ansbach-Baireuth, so setzten sie die beiden Namen beständig zusammen, ein herrliches Leben haben, und fragten mich, ob ich etwa gewöhnlich mittags in Ansbach speiste und abends die Gesellschaften in Baireuth besuche? Sie hielten die Erzählung von unseren süddeutschen Bergen für Märchen und wußten nicht, wie wir's denn machten, wenn wir keinen Sand hätten; versicherten uns aber, daß sie schon mehrmals Ansbach-Baireuther getroffen, die ganz feine Leute gewesen.

Plötzlich eines Abends brachte mir der Jäger des Ministers ein Schreiben desselben, worin er mir in den rührendsten Ausdrücken meldete, daß ihm soeben der Tod meiner Gattin († 28. März 1801) angezeigt worden, worüber ich das Weitere in dem beigefügten Schreiben meiner Schwiegermutter vernehmen werde. Er bat mich, soviel als möglich gefaßt zu sein und ihn des nächsten Tages beizeiten zu besuchen. Da war's mir, als wollte das Zimmer über mir einstürzen. Ohne zu wissen wie, sah ich mich auf dem Boden sitzend; ich heulte, ich weinte ein paar Stunden hindurch, blieb zuletzt stumm, den Kopf auf die Knie gelegt, sitzen, und nahm keines Menschen Rede an. Ganz spät verschaffte sich doch die weiche Stimme der Madame Schwarz einiges Gehör; sie nötigte mich, etwas weniges zu essen und ein Glas Wein zu trinken; endlich rückte sie gar damit heraus, mich zu dem gewöhnlichen Abendspiel mit ihrem Manne aufzufordern, um meine Gedanken zu unterbrechen, ich müßte doch als ein Mann ertragen, was einmal nicht zu ändern sei. Da saß ich denn, Gott weiß es, am Spieltisch, sah die Kartenbilder vor meinen Augen bunt und kraus ineinanderfließen, spielte wie ein Tor und hatte ein Glück, dergleichen mir niemals wieder in meinem Leben vorgekommen.

Mit Grausen erwartete ich das Ende, und im Gefühl, als ob ein Teufel mich in meinem Schmerz verhöhnen wolle, warf ich ihm seine silbernen Pfennige zur Erde hinab. Die lange Nacht hindurch lag ich erstarrt in einem eisernen Schlaf.

Der Minister, um mich zu trösten, verdoppelte seine liebreiche Behandlung, erforschte von weitem, ob ich jetzt etwa gar in Berlin zu bleiben wünschte, traf aber dazu keine Neigung in mir; Madame Schönemann sann darauf, mich zu zerstreuen: Madame Schwarz mußte mich nach Charlottenburg führen. Indessen behielt ich noch einige Wochen über etwas Erbostes, etwas Ergrimmtes in mir, und hätte gern der Welt auch wieder irgend eine Tücke gespielt. Daher ich überhaupt niemand raten will, bei jemand, den kurz vorher solche Unfälle betroffen, Gnaden- oder Freundesdienste zu suchen. Man ist da gewöhnlich nicht der Wohlwollendste.

Die Versammlung der Herren Stammvettern des Hauses Hardenberg in Berlin kam nicht zustande: sie zogen Leipzig vor, wohin ich mich also mit dem Minister verfügen mußte. Der Minister hatte früher in Leipzig studiert, im Hause und unter Aufsicht des Herrn Huber, Vaters des nachher als Gefährten des Herrn Forster und Redakteurs der Allgemeinen Zeitung bekanntgewordenen Herrn Huber. Der Minister suchte seinen alten Freund unverzüglich auf, dem er besonders auch die Ausbildung seines Kunstsinnes und nachderhand manchen nützlichen Rat dabei verdankte. Die angekommenen anderen Herren Vettern schwärmten auch in den Pferdeställen, die Frauen in den Galanterieläden herum: endlich spannen sich Gegenvisiten, Aufwartungen, Sollizitationen und Handelschaften an, es gelang kaum, sich bei der Tafel vereint zu finden; nachts wurde gespielt bis nach Mitternacht. In der Meinung, jede Viertelstunde könnte es endlich zu den Konferenzen kommen, sah ich tagelang im Hotel von Sachsen zum Fenster hinaus. Endlich, wenige Stunden vor dem beschlossenen Abgang werde ich berufen; da soll ich alles geschwind vorlesen, erläutern, begründen. Dieser und jener wirft seine Fragen und Zweifel, dieser und jener gar Späße und lustige Erzählungen darein, zuletzt fallen allen noch die allernotwendigsten Gänge ein, die sie noch zu machen hätten. Meine Entwürfe sind recht oder nicht recht, es werde sich alles machen, ich möchte sie nur in Abschrift bei sämtlichen Gliedern zirkulieren lassen. Und nun bester Herr Bruder, beste Frau Schwester auf Wiedersehen. Postknecht blas'! Adje – So pflegt es wohl öfters bei den Konferenzen der großen Herren zu gehen.

Eine große Linderung für mich bei meiner Wiederkehr in Ansbach war es, daß ich in einem ganz andern neu genommenen Quartier in der Jägerstraße absteigen konnte. Meine Schwiegermutter blieb bei mir und führte mein kleines Hauswesen, was mir angenehm war, und auch ihr um so mehr gefallen konnte, da sie ihre Verwandten und Geschwister, sie war eine geborene von Beust, im Orte traf. Meine liebsten Gänge richteten sich eine Zeitlang in den Garten nach Neuses, in der lebhaften Einbildung, meine Frau zu besuchen, die ich dann immer am Fenster stehend und mir zuwinkend zu sehen wähnte. Wir sprachen dann sehr angelegentlich miteinander, ich laut und sie nach meiner Einbildung, und ich ging dann so ordentlich vergnügt nach Hause.

Endlich, ungefähr ein Jahr alt, starb auch mein Sohn an einer Kränklichkeit, die er schon von seiner Mutter ererbt zu haben schien. Dieser Schmerz ging kurz vorüber, und es war mir eine Angelegenheit, die Treue der Kindsfrau und des Dienstmädchens durch Verschreibung einer für ihre Verhältnisse nicht unbedeutenden Summe dankbar anzuerkennen und zu belohnen.

Das Klügste für mich war es nun, mich ganz tief in die Geschäfte hineinzuwerfen. Daran fehlte es auch nicht, besonders aber begannen allmählich zwei Dinge mich so zu verfolgen, daß sie beinahe fixierte Quälgeister zu werden drohten: das eine hieß die Fuchsmühle, das andere der – Turm von Frommetsfelden. Mit dieser unseligen Fuchsmühle und dem unglücklichen Turm zu Frommetsfelden gingen meine Gedanken in den Schlummer der Nacht über, von ihnen wurde ich in aller Frühe wieder aufgescheucht. Unter dem Namen Fuchsmühle oder Pechhofen kam die ganze Grenzstreitigkeit zwischen Baireuth und der Oberpfalz vor, eine alte Wildnis, in einer Breite von vier Stunden fortlaufend, die von jedem Teil hinüber und herüber als seine Grenze angesprochen wurde. In Ermangelung menschlicher Wohnungen handelte es sich von alten Bärennestern und Drachenhöhlen, Fuchsbauten, hohlen Bäumen, Wiesen, die auf Seen schwammen, Kröten- und Eidechsengruben und unergründlichen Schwefelpfühlen. Aus diesen, wie sie jetzt waren oder vor 400 Jahren gewesen, sollte jetzt die wahre Landesgrenze ausgemittelt und bewiesen, und Aktenstöße durchgelesen und ausgezogen werden, womit man die Spitzen des Fichtelbergs ansehnlich hätte erhöhen können.

Mit dem Turme von Frommetsfelden aber hatte es folgende Bewandtnis: Er war eingefallen, und um die übermäßigen und unnötigen Kosten des Wiederaufbaues zu ersparen (der Ort war in eine ganz andere Gemeinde gepfarrt), wollte ich dafür im Orte lieber eine eigene Schule stiften, die bisher fehlte, und von den armen Kindern nicht selten mit Gefahr des Erfrierens und Ertrinkens in weiter Ferne besucht werden mußte. Zufällig war eben der Minister heraus und schickte sich an, einige Ämter in der Umgegend zu bereisen. Dies geschah gewöhnlich so, daß der Minister (ein gewandter Reiter) auf einem schnaubenden Engländer wie ein Wind vorausflog, hinter ihm drein, so gut es gehen wollte, die Herren Ministerialräte, an welche dann von allen Orten, wo man sie kommen sah, die Forstleute, die Amtleute, auch die Schulzen auf ihren Gäulen anflogen. Bei den schönsten Aussichten und Höhen wurde haltgemacht, vom Pferde gesprungen, der Tubus herausgezogen und ins Land geguckt, dann ein Frühstück eingenommen, das sich durch die Leute des Herrn Kreisdirektors im Rücken schnell entfaltet hatte.

Um dieses herum standen nun die Pfarrer, die Schullehrer, die Bauern weit und breit, und meistens mit Bittgesuchen in der Hand. Der Minister nahm sie den Leuten in höchster Freundlichkeit und Vertröstung alle ab und ließ sie, in die Felleisen auf seinen Kleppern wohlverpackt, zurück in die geheime Kanzlei bringen, von wo jede zu uns herunterkam. Bei Einlauf eines solchen Supplikenschiffes mußten wir dann einen großen Teil unserer anderen Arbeit auf die Seite legen, auf schon vielfach erstattete Berichte dieselben neuerdings aufwärmen, reitende und laufende Boten in die Ämter schicken, um unsere eigenen Befehle einzustellen und auch von ihnen wieder neuerdings Akten und Berichte einzufordern, die vielleicht im nämlichen Augenblicke noch unterwegs waren. Das ganze Ding glich einem Gänsespiel, wo man sich schon nah am Ziel glaubt und durch einen unglücklichen Wurf von einem umgekehrten Schnabel zum andern, wieder zum ersten Anfang zurückgewiesen wird. Ich will dem Minister nach Umständen eine solche hemmende Gewalt nicht streitig machen: doch wäre es wohl besser gewesen, statt einen Generalsturm der Bauern auf sich laufen zu lassen, ihnen lieber von Zeit zu Zeit in der Stadt selbst Audienzen zu geben, oder durch die Herren Ministerialräte, wenn sie von dem scharfen Spazierritt ausgeruht, die Berichte etwas besser aussichten und nach den früheren Akten der Registratur selber prüfen zu lassen, als sie nur also vorweg und in Bausch und Bogen den Kollegien auf den Hals zu schicken.

Was aber nun den belobten Turm in Frommetsfelden betrifft, so stellten die Bauern dem Minister vor, es laufe dabei ihre staatsbürgerliche Ehre und Reputation Gefahr, wofern man sie des Turms berauben wollte. Sie würden bereits in der Nachbarschaft hart damit aufgezogen, ob sie nicht mehr ehrlich seien, weil man ihnen den Turm genommen. Die Bauern des ganzen Dorfs rückten mir auf das Zimmer, und wenn ich ihnen bis zu meiner Ermattung vermeintlich in höchster Beredsamkeit alles bewiesen zu haben glaubte und aus ihrer starren Gelassenheit eines schweigenden Zuhörens auf ihre gewisse Überzeugung schloß, so hieß es doch am Ende: »Da haben wir alles nichts dagegen; aber um unsern Turm wollen wir fleißig gebeten haben.« Ebensowenig Eindruck machte mein Bericht bei den Herren Ministerialen. Man stimmte den Bauern bei, daß das Wegschaffen des Turms gleichsam eine bürgerliche capitis deminutio sein würde. Ich machte etwas beißende Gegenbemerkungen und erhielt bittere Zurechtweisungen: zuletzt wurden mir die Akten gar abgenommen und das Referat einem biegsamen Referenten zugeteilt, der zwar vorher mit mir derselben Meinung war, jetzt aber alles nach den Wünschen der Herren Ministerialen begutachtete. Nun trat auch der Baurat auf, um sich angenehm zu machen, und wollte alles, was ich zu 1800 Gulden berechnete, mit 400 Gulden ausrichten.

Ich war töricht genug, über ein solches Getriebe meinen Gleichmut zu verlieren und mich Tag und Nacht über diese, alle Augenblicke und immer schroffer wiederkehrende, Sache zu ärgern. Meine Niederlage blieb entschieden – der Turm wurde gebaut, nicht um 400 Gulden, auch nicht um 1800, wie ich es angeschlagen, sondern um 3000 Gulden – ohne allen Zweck und Nutzen –; die Schule unterblieb, – und ich kann diesen verwünschten, stockichten und stumpfigen Turm noch jetzt nicht ohne Verdruß betrachten.

Desto leichter ging eine andere Wolke vorüber. Ich und Herr Bever hatten als Legationssekretäre in Rastatt jeder täglich einen Louisdor in Gold oder französischen Karolin als Tagegeld. Am Ende des ersten Monats, wo wir ankamen, es war Dezember, zahlte der Graf Görz jedem von uns 31 Louisdor auf den Tisch. Auf unsere Bemerkung, daß so viel wohl nicht auf uns kommen würde, weil wir erst am 18. eingetroffen, erwiderte er ganz mißmutig: »Da haben wir schon wieder diese preußischen Spitzfindigkeiten: Sie machen mir so meine ganze Rechnung konfus, die nicht anders weiß, als Monat Dezember hat 31 Tage; bitte Sie, lassen Sie's damit gut sein.« Niemand konnte es sich eher gefallen lassen, als wir; steckten also unser Geld ein, jeder 17 Louisdor mehr, als ihm gebührte, und bei meiner Abreise vermochte ich der Versuchung nicht zu widerstehen, sie auf den 4. des Monats zu verlegen, in der Hoffnung, daß der Herr Graf, um in seiner Rechnung nicht konfus zu werden, mir abermals den Monat vollauf herauszahlen würde, und so geschah es auch. Inzwischen beredete ich mich doch mit Herrn Bever, über unsern Mehrbezug nur insoweit zu verfügen, daß wir ihn seinerzeit wieder erstatten könnten, sobald die Rechnungen unter die scharfen Augen der Berliner Oberrechenkammer kommen würden. Nach ein paar Jahren endlich erhielt ich ein Schreiben des Herrn Grafen von Görz: Diese Rechnungsausstellung anliegend sei ihm zugekommen: tue ihm leid, daß er uns einen Ersatz zumuten müsse, bäte aber sehr, ihn alsbald außer Verlegenheit zu setzen. Ich wollte die Rechnungs-Monita fast gar nicht lesen; wußte ja schon, 44 Louisdor habe ich zu viel bezogen, Herr Bever beiläufig desgleichen. Mit diesen 88 Louisdor, summa summarum 968 Gulden, sollten wir jetzt herausrücken; doch dacht' ich, sie möchten etwa gar noch mehr fordern, du mußt es doch lesen, und da fand ich denn bogenlange Anführungen aus Mylius' Gesetzsammlung und noch vielen anderen corporibus Constitutionum, Marchicarum, Pomeranicarum, Borussicarum: Wir hätten für die Kanzlei aufgerechnet einen weißen Bindfaden, wo sich nur ein ungebleichter gebührt, hätten fernerweit drei Federmesserlein angesetzt, also eines zu viel, da helfe nichts dafür; endlich hätten wir zu einer Zeit, wo nach den Kanzleireglements das Heizen durchaus nicht mehr stattfände, dennoch ein ganzes Klafter Holz verbrannt; ob welchem allem uns zum Ersatz kommen: 4 Taler, 6 Groschen 4 Pfennige, welche wir binnen 8 Tagen bar vergüten sollten, bei Vermeidung der Exekution und anderer mißbeliebiger Maßregeln. Wir packten eiligst unsere paar Taler zusammen und konnten nicht aufhören, eine solche Scharfsichtigkeit der hochlöblichen Oberrechenkammer zeitlebens dankbar zu bewundern.

Unterm 8. November 1801 bat mich der Minister, mich gefaßt zu halten, sobald er von Berlin herauskomme, ihm über pfalz-bairische Differenzen einen vollständigen Vortrag zu halten. Er kam auch bald darauf und sah mich viel bei sich, in seinem Kabinett, an der Tafel und in den Abendgesellschaften; zu einem mündlichen Vortrag, wie ich mir schon vorstellte, kam es aber nicht; vorsorglich hatte ich indessen alles umständlichst ausgearbeitet, und mit Vergleichs- und Austauschplänen und Karten belegt. Nebenbei brauchte mich auch der Minister zu den Antworten auf die Menge der von bedeutenden Händen herkommenden, oft sehr zudringlichen Begehrungs- und Empfehlungsschreiben, denen er dann gemeiniglich mit den schönsten Worten zu entschlüpfen suchte, und wo es dann immer hieß: »Antworten Sie darauf so artig, so artig, als Sie nur immer können, aber daß mir ja nichts darinnen ist!« Da der Minister solche Schreiben gewöhnlich für mich zurücklegte, so scheint es, daß ihm meine Kunst, mit aller Artigkeit gar nichts zu sagen, genügt habe. Dieser häufige Verkehr mit dem Minister machte Herrn Nagler, damals Rat in dessen Departement, eifersüchtig und argwöhnisch auf mich; so daß er alles Mögliche hervorsuchte, mich an Einfluß und Vertrauen zu schwächen. Nichts, gar nichts mehr, war bei solchen papierenen Künsten vorwärts zu bringen, und da ich meistens Vierteljahre voraus die Bescheide auf unsere Berichte und Anfragen verkündete, so drangen viele, denen dieses Erstaunen und eine große Meinung von meinen Verhältnissen in der Residenz erregte, in mich, ihnen meine Quelle zu entdecken, welches ich auch gern tat. Nämlich ich riet jederzeit auf das, was mir das möglich Unpassendste, Schiefste und Wunderlichste schien, und so kam es denn auch meistens. Credo, quia absurdum est, sagte schon Vater Augustinus. Was man bei einer solchen tüpfelnden Verwaltung bezwecke, wo die Augen nicht im Kopfe sitzen, sondern in den Fingern, davon hatte ich mittelbarerweise selbst Gelegenheit, ein auffallendes Beispiel zu liefern.

Eines Tages besuchte mich ein Sekretär des königlichen Lottos in Ansbach, um mir anzuvertrauen, wie in dieser Verwaltung großer Betrug gespielt werde; die Lottobeamten setzten selber auf Nummern, nachdem sie schon gezogen waren, indem sie die Bücher verfälschten; sie seien auch mit den Unterkollekteurs zu falschem Spiel verbunden, hätten unter sich die ganze Kasse verteilt und geplündert, und füllten sie nur auf Augenblicke mit geborgten, zum Teil auch nur nachgemachten Geldrollen, sobald sie von ihrem Freunde, Herrn Kriegsrat M... in Berlin, von dem bevorstehenden Abgange der zur Kassenvisitation bestimmten Beamten benachrichtigt würden. Der für seine Person unschuldige Angeber, der aber mit Recht befürchtete, daß ihm seinerzeit sein Schweigen zur Mitschuld angerechnet werden könnte, war es zufrieden, daß ich hierüber dem Herrn von Schuckmann, als Präsidenten, die Anzeige machte und stellte seine Aussage auch noch schriftlich von sich. Diese, an den Generalkontrolleur Grafen von Schulenburg gelangt, bewirkte alsbald, daß dieser, mit Umgehung seines saubern Sekretärs, des Kriegsrats M., unter der Adresse des Bankierhauses Frege in Leipzig einen Befehl zur unvermuteten schleunigen Kassenrevision und nach Umständen zur Veranstaltung der weiteren Untersuchung nach Ansbach, an Herrn Präsidenten von Dörnberg und den Kammerjustitiarius, gelangen ließ. Als nun diese am Himmelfahrtstage 1802 die Kontors und Kassen versiegeln und das auf allen Lust- und Schmauseplätzen der Stadt zerstreute Personal zusammentreiben ließen, so ergab sich der böse Fund durch den Augenschein der leeren Kasse, durch die sichtbarliche Verfälschung der Bücher und das im gewaltigen Erschrecken der überraschten Täter leicht bewirkte eigene Geständnis. Es mochten in dieser betrügerischen Kontorverschwörung, an der nur etwa ein halb Dutzend Beamte der mittlern und untersten Klasse keinen Anteil hatte, nach und nach ein paarmal 100 000 Gulden unterschlagen worden sein, während man den Herren in Berlin versicherte, niemand könne dafür, das Volk in Ansbach hätte ein Sauglück im Spiele; die ungeheure Verschwendung, Fresserei und Großtuerei der Leute war schon längst jedermann in der Stadt aufgefallen, nur nicht dem Herrn Oberfinanzrat Groote, der von einer Zeit zur andern seine Visitations- und Diätenfahrt von Berlin aus machte und sich dann überall von den obern und untern Beamten traktieren ließ. Es erfolgte ein langes Strafurteil von Zuchthaus, Festung, Absetzung, Entlassung und einigen gelinden Entfernungen aus dem Büro des Herrn Grafen von Schulenburg. Einer der geschäftigsten Teilnehmer, Werber und Abrichter, der Unterkollekteur, hatte sich gleich am ersten Tage seines Gefängnisses erhängt. Glücklicher kam ein Kollekteur und Invalide auf der Plassenburg weg, der, außer dem Zusammenhange mit dieser Geschichte, mit ein paar hundert Talern Lottogeldern im Rückstande blieb, aber ohne Gefährde, wie er standhaft behauptete; denn weil das Lotto auf allen Zetteln als die bestimmte Unterstützung der Invaliden paradierte, so glaubte er, die bei ihm gemachten Einsätze als seinen Anteil von kurzer Hand aus behalten zu können.


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