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Franzosen und Altbaiern

Die neuen bairischen Zivil- und französischen Militärmachthaber in Ansbach. – Lang wird Domänendirektor. – Schwere Mißstände unter der neuen bairischen Herrschaft.

 

Eines Tages, es mochte schon zehn Uhr nachts vorüber sein, als ich am Schein einer einfachen Lampe mit untergestütztem Arm in den geöffneten Annalen des Tacitus las, brachte mir die Haushälterin vornehme Herren aufs Zimmer; es war der baierische Graf Thürheim, der von Würzburg aus beordert war, die Zivilübergabe der Provinz Ansbach an Baiern vorzubereiten, in Begleitung des jetzigen Stadtrates von Schirmer. Nach einigen Höflichkeiten über meinen Entschluß, in baierische Dienste zu treten, suchten sie im Drange der Umstände schon einige Früchte im voraus zu pflücken: Sie kämen, sagten sie, eben vom Marschall Bernadotte, der durch den Fürsten von Neufchâtel (Berthier) den Befehl erhalten, unverzüglich ein Kataster des Fürstentums einzusenden und dasselbe von einem von ihnen verlange. Die Steuerbücher sämtlicher Ämter könnten doch wohl nicht darunter gemeint sein; aber was sonst, das wüßten weder sie, noch der Marschall, der erwidert, das sei seine Sache nicht; sie sollten nur machen, daß sie, was immer das Wahre sei, herbeischafften. In wechselseitiger Beratung stimmten wir endlich darin überein: der Fürst werde wahrscheinlich darunter verstehen eine statistisch finanzielle Skizze des Fürstentums Ansbach, Flächeninhalt, Einwohner, Bestandteile, Finanzen, Forsten, Domänen, Insassen, Grenzen und besonders die genaue Abmarkung mit dem preußisch verbleibenden Fürstentum Baireuth. Auf inständigstes Bitten machte ich mich dieselbe Nacht noch an diese Arbeit, wozu ich aus meinen gesammelten Privatnotizen die hinlänglichen Hilfsmittel in den eigenen Händen hatte. In wenigen Tagen war sie abgegangen und im französischen Hauptquartier für recht befunden. Dadurch auf einmal war denn aber auch mein Einfluß und Gnadenstand bei der zur obersten Leitung der Provinz in der Person des Grafen von Thürheim ernannten Hofkommission entschieden, nachdem am 24. Mai 1806 der Zivilbesitz durch den Marschall Bernadotte an Baiern übertragen ward. Ich war der Ratgeber und Arbeiter in allen vorläufigen Einrichtungen und stand zugleich mit Herrn Bever, wozu später auch noch Herr Nagler, Bruder des preußischen Ministers, kam, an der Spitze einer Kriegskommission, der zur Bestreitung der Landeslasten alle Kassen zu Gebote standen, für deren außerordentliche Zuflüsse ich durch zweckmäßige Maßregeln zu sorgen, die Ab- und Zugänge der französischen Korps zu bemerken, und bei Exzessen und Überladung der Einquartierung im allgemeinen vermittelnd oder beschwerdeführend einzutreten hatte. Durch diese Hilfe, so schwach sie auch manchem war, ist doch dem leidenden Lande viele Linderung geworden und der Verschleuderung der Fonds vorgebeugt worden. Es gingen so allmählich Millionen durch unsere Hände, ohne daß, wie ich für mich und die beiden anderen Herren Kollegen beteuern könnte, ein Pfennig an uns hängen blieb, wiewohl, wie die Erfahrung lehrt, mehr Gunst und Liebe der Mächtigen zu erwerben gewesen wäre, hätten wir ein paarmal hunderttausend Gulden für uns selber herausgezwackt.

Als ein ganz rechtlicher Mann zeigte sich der General Maison; im größten Schmutz aber der Kommissärordonnateur Michaud, vor dem uns der Marschall Bernadotte selber warnte. Am Geburtstage Napoleons forderte uns der Marschall auf, dafür zu sorgen, daß in allen Garnisonsorten jedem Franzosen eine Flasche Wein verabfolgt werde, deren Vergütung der Marschall auf sich nehmen wolle. Wir übergaben eine Rechnung von 12 000 Gulden, und als wir an die Zahlung erinnerten, fand es sich, daß sie der unterdessen abgegangene Michaud schon lange empfangen, um davon, Gott weiß wo, noch einmal des Kaisers Gesundheit zu trinken.

* * *

Die gewöhnliche Anrede des Marschalls an mich war: » Eh! Monsieur Lang, je vous fais beaucoup travailler!« Dann fing er einmal an zu schildern, wie viel Vergnügen ihm selbst die Geschäfte der Administration machen würden: wie glücklich er sich in Hannover gefühlt, wo es in seiner Pflicht gelegen habe, sich auch mit den Angelegenheiten der Regierung zu befassen. Es gehöre zu seinen schönsten Träumen, sich einzubilden, daß Ansbach sein Fürstentum wäre und durch ihn glücklich zu werden bestimmt sei, vorzüglich dann, wenn ich mich ihm als Staatsrat beigesellen würde. Auf alle Fälle verriet der Marschall, daß er sich ernstlich mit dem Gedanken beschäftige, sich irgendwo eines Szepters zu bemächtigen. Unvermutet erschien einmal Herr Berton, mein Hausgenosse, in Nürnberg, mit der Anmeldung, daß er dem Rat einen wichtigen Vortrag zu machen habe. Am späten Abend noch versammelten sich die hochwohlgebornen und hochweisen Herren, welchen Herr Berton eine lange französische, den meisten unverständliche, Rede vorlas, um sie von den unendlichen politischen und kommerziellen Vorteilen des Beschlusses zu überzeugen, die Stadt und ihr Gebiet freiwillig dem Kaiser Napoleon zu unterwerfen, mit der Bitte, ihnen in einem seiner großen Kriegsgefährten, – es fehlte nur der Name Bernadotte – einen Lehensfürsten zu geben. Nachdem die Herren Senatoren aus ihren Allongeperücken die zierlichsten Danksagungen herausgeschüttelt und sich über solch einen hochwichtigen Gegenstand, soweit er in ihrer Kompetenz liege, fleißigst zu beraten versprochen, eilte ein Herr von Tucher, dem die Bestimmung der Stadt für das baierische Land kein Geheimnis mehr war, nach Ansbach zu dem Grafen Thürheim, um ihm die neuen Pläne zu enthüllen, der denn auch unverzüglich seinen Hof davon in Kenntnis setzte. Nach wenigen Tagen wurde Herr Berton vom Fürsten von Neufchâtel nach München beordert, welchem Rufe Herr Berton, die Veranlassung nicht ahnend, in freudigen Erwartungen gleichsam entgegenflog. Zu München angelangt, empfing ihn der Fürst mit der kurzen Frage: ob er im Rat zu Nürnberg den Antrag gemacht: die Stadt dem Kaiser zu unterwerfen? Auf das bejahende offene Geständnis erwiderte der Fürst: »Es macht dies Ihrem französischen Herzen Ehre. Als einem Offizier aber, der sich in solche diplomatische Angelegenheiten nicht zu mischen hatte, soll ich Ihnen vier Wochen Arrest geben. Gehen Sie alsbald wieder zurück und melden Sie sich bei dem Marschall.« Der Arrest wurde in meinem Hause ausgehalten, wo ich zur Tröstung des Gefangenen für tägliche Gesellschaft und verlängerte Tafelfreuden sorgte; bei welchen Vergnügungen es denn auch an guten Deklamationen und wiederholter Vorlesung der in Nürnberg gehaltenen Rede nicht fehlte. Auch benutzte Herr Berton die Muße, seine Studien in deutscher Sprache fortzusetzen und deutsche Brieflein zu versuchen, unter andern auch an meine Haushälterin, oft mit der Ordre: »Machen Sie mir ein Wallen!« was heißen sollte: Faites-moi un bouillon!

Der Graf von Thürheim beorderte mich, als sein Subdelegierter von der Landeshoheit über die Fürstentümer Hohenlohe-Kirchberg, Schillingsfürst, Öttingen-Wallerstein und Spielberg für die Krone Baiern Besitz zu nehmen. Diesem Befehle nachkommend, schickte ich mich sofort zur Abreise an, und traf in Wallerstein denselben Kutscher, dem ich es einstmals überlassen, mich, wo er wolle, hinzufahren, und der sich nun über mein Wiedererscheinen in einer so wichtigen Rolle nicht wenig verwunderte. Ich suchte den erzwungenen Ehren und Höflichkeiten, die bei solchen Gelegenheiten stattzufinden pflegen, möglichst auszuweichen, und den Leuten Vertrauen und tröstende Hoffnungen einzuflößen. Es ist töricht, von einem, der sich im Gedränge von anderen erst Platz zu seinem Ziele machen muß, zu verlangen, daß er dabei nicht von seinen Ellbogen Gebrauch machen oder seine Hinterleute gehorsamst bitten soll, ob sie nicht gefälligst vorausspazieren wollen. Dagegen ist nichts leichter, als wenn einen die Gunst der Umstände oder schon die Geburt höhergestellt hat, gegen die tiefer Stehenden den Ausdruck einer gewissen Holdseligkeit anzunehmen und das falsche Gold der lieblichen Herablassung glänzen zu lassen. In der Tat erwiderte mir auch der Graf Thürheim, der in diesen Gestikulationen der Repräsentation einen Meister machte, als ich dieses sein Talent bewunderte und allerdings für sehr schwierig hielt, es sei ganz leicht und natürlich und gehe aus dem Gefühl der Überlegenheit und Geringschätzung für diese aufwartenden, demütig scharrenden und kriechenden Halbzirkel von selbst hervor.

Herr Graf von Reisach, der früher schon den Auftrag hatte, die Reichsstadt Nördlingen in Besitz zu nehmen, hatte die Vorsicht, alles bare Geld, das er in der Kasse vorfand, zusammenzuraffen und – in seinen Seckel zu bringen, mit dem er am Ende auf- und davongegangen ist. Mir selbst wurden 25 000 Gulden geboten, wenn ich über die Verhältnisse einer gewissen Kasse Stillschweigen beobachten wollte. Es war dies eine Spezialtilgungskasse hessen-kasselschen Anlehens von 700 000 Gulden für das Haus Wallerstein, deren Beschlagnahme zum Besten Baierns ich nach ähnlichem Vorgange im Herzogtum Berg und auf den Grund hin veranlaßt, weil Hessen-Kassel damals ein Feind von Frankreich und seinen Alliierten war. Ich ließ außer den Schuldpapieren 80 000 Gulden bar nach Ansbach bringen, ungerechnet die laufenden Kapitalfristen und Zinsen, die von nun an durch Baiern bezogen wurden. Das Geld hinterlegte ich bei der Bank. Als mir nun im Jahre 1809 das Finanzministerium für die in dieser Sache »bewiesene Betriebsamkeit« eine Erkenntlichkeit von 1500 Gulden zuerkannte, wollte bei den ganz verloren gegangenen Akten niemand mehr wissen, wo die ganze Summe hingekommen sei, bis sich denn die Bank dazu bekennen mußte, die unterdessen das Geld drei Jahre lang genossen, ohne sich zu Zinsen verstehen zu wollen; im Gegenteil verlangte sie noch Depositalgebühren für diese angeblich unterdessen unbenutzt gelassenen Gelder, während man dieselbe Summe zu sechs und acht Prozent an einen Juden ausgeliehen. Im Staatshaushalte hatte damals schon alle Ordnung aufgehört.

Während meiner Abwesenheit waren die bei mir einquartierten Franzosen aus meinem Hause abgezogen. Sie hatten sich unterdessen in der gleichsam herrenlosen Wohnung mit einer Gewissenhaftigkeit und Bescheidenheit betragen, welche nicht genug zu rühmen ist. Auch im Getümmel des letzten Aufbruchs ist mir nicht ein Nagel abhanden gekommen. Gleichwohl hat mir ihre siebenmonatliche Bewirtung 3000 Gulden gekostet. Das Anerbieten, mich als Haupt der Kriegskommission überhaupt von der Last der Einquartierung befreien zu lassen, verschmähte ich.

Einmal, auf einer Rückfahrt von Kloster Heilsberg nach Ansbach, als ich die jetzige Leitung der Geschäfte in der für den Augenblick noch bestehenden alten Kriegs- und Domänenkammer überdachte, worin ich einer der jüngsten Räte, Herr Zenker aber, als der älteste, der dirigierende Rat war, welches mir durchaus nicht gefallen wollte, rief ich gerade im Vorbeifahren aus: »Es tut's nicht anders, ich will der Direktor werden.« Der Kutscher, den Ruf vernehmend, wandte sich um und neigte ehrerbietig sein Haupt. Mein Ton in der Sitzung des andern Tages war auch schon ein ganz anderer: kurz, entscheidend, in den Geschäftssachen befehlend, und hatte zur Folge, daß sich alles vor mir beugte. So leicht ist es, sich zu einem Herrn aufzuwerfen. Und da ich nun auch dem Herrn Grafen Thürheim erklärte, daß ich's nicht anders tue, so erfolgte im November 1806 meine wirkliche Anstellung als Direktor im staatsrechtlichen Fache der Kammer und kurz darauf auch des Konsistoriums, sowie für Herrn Kracker, der, in langer Überlegung, ob er die preußischen oder baierischen Dienste wählen sollte, zeither Kontumaz gehalten hatte, die Anstellung in der staatswirtschaftlichen Abteilung.

Mein erstes Streben in dieser Stelle war, mir eine genaue Kenntnis des Landes zu verschaffen, und zwar durch Hilfe der Ortsgeistlichen, die ich in einem gedruckten Umlauf vom 7. Mai 1807 ersuchte, mir eine Art kirchlich statistischer Topographie über jedes Pfarrdorf aufzusetzen, mit Angabe der Feuerstellen, der Seelenzahl, Gutsherrschaften, der Amtsdistrikte, der Konfessionen, der Filialen und Eingepfarrten, sowie des Personals der Pfarrer und Schullehrer. Überdies verlangte ich ausführliche Berichte über den Zustand der Schulen, über die Stiftungsfonds, die Zehnten, das Gemeindevermögen und dessen Verwaltung, sowie nicht minder über die Gesundheits- und Wohlfahrtspolizei, das Armenwesen, die Landeskultur usw. Aus diesen erlangten Nachrichten, die zum Teil wahre Musterarbeiten waren, trug ich mir allgemeine tabellarische Übersichten zusammen, die ich noch besitze.

Ein zweites Lieblingsfach von mir war die Kultur der öden Gemeindegrundstücke und ihre Verteilung, nach den Grundsätzen des Kulturkatechismus vom Herrn von Hazzi, aus dem ich durch die Hand des Herrn von Luz (jetzt Regierungsdirektors in Ansbach), der mich hierin auch als gleichgesinnter Dezernent in allen vorkommenden einzelnen Fällen unterstützte, ein Kulturreglement entwarf und zur Kenntnis der Bauern in das Intelligenzblatt und alle Kalender setzen ließ. – Die allgemeinen Anmeldungen bewiesen, wie sehr diese Sache im Geiste des Volkes war. Über 12 000 Morgen gelangten dadurch in kürzester Zeit zum Anbau, dem sich nur hin und wieder unerfahrene Stubengelehrte, und zum Teil ganz große Hofbesitzer in ihrem niedrigen Bauernstolze widersetzten. Vielleicht mehr als 1000 Familien sind auf diese Art zu einem Besitze gelangt, mit dem sie damals dem Zustande der Not widerstehen konnten; und wie würde es später in der Teuerung von 1816 ausgesehen haben, wenn nicht reichliche Ernten an Gemüse, Obst, Kartoffeln und Klee gewesen, wodurch die ärmeren Bauern vor dem Untergange gesichert wurden! Jetzt hat die Mißgunst der Adels- und der großen Bauernaristokratie, die nun alles mit ihren, noch dazu elenden, Schafen abbeißen oder sich als Futterplatz ihrer Kälber unterwürfig machen, und dabei sich im Elend eigentumsloser Tagelöhner die Sklavenarbeit ihrer Wirtschaften sichern möchte, durch die überall eingelegten hinderlichen Förmlichkeiten weitere Kulturen dieser Art beinahe unmöglich gemacht, und dazu noch die neue Geißel gefügt, daß man sich mit dem albernsten Vorurteile aller Verteilung und Rundung der größeren Bauerngüter selbst mit unsinnigen Zumutungen aller Art quält und am Fortschreiten hindert.

Etwas ganz Unangenehmes war die mir übertragene Einrichtung und Aufsicht des neuen Zuchthauses in Lichtenau, einer alten Nürnberger Festung, wohin aus ganz Baiern die gefährlichsten männlichen Kriminalverbrecher, etwa 200 an der Zahl, gebracht wurden. Woher aber solchen Menschen Arbeit schaffen, denen man kein geschliffenes Instrument, nicht einmal einen Nagel, in die Hände geben, und die man in bedeutende Haufen nicht ohne verdoppelte Bewachung verteilen konnte? Wollespinnen, feine Tücher weben, wozu nachderhand noch das Baumwollspinnen kam, waren das einzige, wobei jedoch den Gewerbtreibenden nicht nur Abbruch geschah, sondern auch über 12 000 Gulden jährlich zugesetzt werden mußten. Das Militärmagazin in München verwarf unsere Lieferungen, weil das Tuch für diese Preise zu gut und um einen Taler zu wohlfeil sei, und dadurch der jüdische Lieblingslieferant nur kompromittiert, auch die militärische Uniformität beeinträchtigt werden könnte. Als wir uns jedoch höchst bereit erwiesen, für die Elle einen Taler mehr anzurechnen, und dabei, nach vertraulichem Wink, dem Herrn Kommissär zwei Ballen ganz und gar zu verehren, so wurden unsere Tücher gleichwohl zugelassen. Drei Viertel von unseren Züchtlingen, die übrigens gut gepflegt wurden, hätte man wohl ohne Sünde ins Wasser schmeißen dürfen. Dabei war es zum Lachen, wie sich oft die Gerichte abmarterten, um nach dem Apothekergewichte herauszubringen, ob der Verbrecher ein paar Monate mehr oder minder zu verurteilen sei, während es von der Verwaltung des Hauses abhing, durch Art der Arbeit, z. B. das lästige Baumwollklopfen und Ausstäuben, die Strafe in eine wirkliche Todesstrafe zu verwandeln. Durch Überlassung der Manufakturregie an eine Judengesellschaft, die dann, mit Aufhebung des bisher bezahlten Überverdienstes, die nachteilige Baumwollarbeit allgemein einführte, und dazu noch einen großen Teil der Züchtlinge ohne Arbeit einsam an ihren Ketten hängen ließ, ist die Strafe im allgemeinen erschwert worden. Sollte denn Baiern, weil es doch sonst wenig Handel hat, nicht wenigstens mit seinen Spitzbuben handeln und dieselben nach Brasilien liefern, oder einen Teil davon auf seiner eigenen großen Insel im Chiemsee ansiedeln lassen? –

Als ich einst spät gegen Mitternacht im Bette liegend die Tagesgeschichte und Zeitungen durchlief, (der Tag gestattete mir wenig Zeit dazu) und im Münchener Blatt die Gesetze des neuerrichteten Zivilverdienstordens (vom 19. Mai 1808) mit der angehängten Liste der ernannten Ritter fand, konnte ich mich nicht enthalten, beim ersten Anblick laut auszurufen: »Nun, das mögen mir wieder saubere Hechte sein!« Ich verlor jedoch meine Unbefangenheit, je mehr ich mich dem Buchstaben L näherte, unter dem ich mich endlich, allerdings nicht zu meinem Mißvergnügen, ebenfalls aufgeführt fand; ich legte das Blatt weg, ohne noch die übrigen zu lesen, und begann, was mir immer bei großem Leid oder Freude zu begegnen pflegte, recht fest einzuschlafen.

So kam mir dann das Wetter recht günstig vor. Der Graf Thürheim war unter dem liebreichsten Schein sehr gastfreundlich: ich ging in seinem Hause ab und zu. Der Graf sah es gern, wenn ich seiner Gemahlin, die am wenigsten den Umgang mit anderen Frauen litt, häufig Gesellschaft leistete, der ich auch um so willkommener schien, als ich mich mit der kleinen Tochter Amalie, jetzigen Fürstin Wrede, in mannigfachen lustigen Spielen zu ergötzen wußte. Der Graf selbst hatte in der Militärakademie in München eine feine, wissenschaftliche Bildung, auch als Kriegshofrat in München einen ziemlichen Takt in den Geschäften erhalten. Er schrieb und sprach französisch vorzüglich, deutsch richtig, und war imstande, wenn er mochte oder wollte, bedeutende Arbeiten selbst zu leisten; dabei hatte er einen schönen Blick, eine scharfsinnige Gabe der Beurteilung gelehrter Arbeiten und der fremden Talente. Leider aber hatte er, im vielen Herumtreiben in der großen Welt, einerseits allen Glauben an die Menschheit, andererseits alle wahre Freude an der Arbeit verloren und sich dem Hang hingegeben, lieber alle Sachen gehen zu lassen und dafür den süßen Gelüsten der Jagd nachzuhängen, wozu es denn weder an Rehen, noch an Treibern und Büchsenspannern fehlte. Wer dann noch die Geschäfte etwas halten und fördern wollte, setzte sich am Ende einer Art des Mißtrauens und der Eifersucht aus, wie denn überhaupt in seinem ungewöhnlich freundlichen Lächeln eine gewisse falsche Laune nicht zu mißkennen war, in deren Anwandlung er es sich oftmals beikommen ließ, Leute, die er sich zunächst an die Seite gesetzt, wieder zu entfernen, die er erhoben, wieder fallen zu lassen, und in kalter Unlust seine eigene Pflanzung selber zu zerstören.

Was nicht wenig beitrug, allmählich meine Ruhe zu stören und mein Vertrauen, womit ich mich dieser neuen Regierung und ihren öffentlich bekannten freisinnigen Grundsätzen hingab, zu erschüttern, war die gedankenlose Willkür, Verwirrung und Habsucht, welcher sich die oberen Beamten ergaben, und die tiefe Verworfenheit und Roheit, besonders mancher höherer Beamten, die ohne Scheu hervortrat.

Das Empörendste von allem, wie diese Herren die Stiftungen ausgeplündert, vollständig zu schildern, reicht hier der Platz nicht hin, wiewohl ich der erste war, der in einem Verwaltungsbericht die Stimme dagegen erhob, und als ich aufgefordert wurde, die Beweise davon zu liefern, mit einer stattlich ausgerüsteten Anklage hervortrat, welche abschriftlich in allen Kreisen herumging und wenigstens den Erfolg hatte, die Minister auf das bisherige Treiben aufmerksam zu machen. Der Geheimrat von Hartmann, von dem dieses ganze Raubsystem ausging, vermaß sich öffentlich, mich zu vernichten, so wahr er Hartmann heiße; der Minister aber, der mir für meine Freimütigkeit dankte, äußerte: »Bis dahin, nämlich daß Herrn von Hartmann seine Rache gelinge, soll es noch lange währen, so wahr sein Gegner Lang heißt.«

Nicht so traurig in den Folgen, als wahrhaft lächerlich an sich, war ein Auftritt zu Augsburg, wo die neugestaltete Maut verlangte, daß der Postwagen bei ihr zur Visitation vorfahren sollte, und da das nicht geschah, Militär requirierte, um Gehorsam zu erzwingen. Als dieses nun die Post umlagerte, erbat sich das Postamt beim Ministerium des Äußern, dem dasselbe untergeben war, ein anderes militärisches Detachement, welches die von der finanziellen Mautbehörde eingelagerten Truppen zurückwerfen sollte, während die Polizei zur Bewachung des städtischen Friedens gleichfalls ein Hilfskorps erhielt. Von allen drei Ministerien ließ man den König in den ungnädigsten Worten und unter seiner eigenen Unterschrift sagen, wie aufgebracht der eine Max Joseph über die zwei anderen Max Josephe wäre. Am Ende mischte sich ein vierter Max Joseph, der Kriegsminister, darein, und befahl seinen Leuten, auf der Stelle nach Hause zu gehen. Der fünfte Max Joseph, der Justizminister, blieb ohne Teilnahme. Zu dem vielfältigen gedankenlosen Schalten gehörte es überhaupt, daß es jeder obern Landesstelle zustand, von dem nächsten besten General militärische Exekution zu requirieren, wo dann manchmal eine Regierung gegen die andere mittelst der Truppen derselben Division offenen Krieg führte.

Mir selbst, während ich die Stelle eines Präsidenten der Ansbacher Landesstelle zu verwesen hatte, ist etwas ziemlich Gleiches begegnet. Es war den in meinem Bezirke kantonnierenden französischen Truppen auch der Ort Wasserberndorf angewiesen, da derselbe in dem untergebenen Landgerichte Scheinfeld gelegen war. Weil nun während der preußischen Regierung über diesen Ort mit der baierischen Landesdirektion in Bamberg einige Irrungen vorkamen, so konnte sich die Bamberger Regierung nicht auf den Standpunkt versetzen, um einzusehen, daß Ansbach nun selber auch baierisch sei, sondern ließ zum Widerspruch den Ort gleichfalls mit Truppen seines Kantonnements besetzen. Auf das Schreien der armen Einwohner, die solcher seltsamen Grillen wegen nicht doppelte Lasten tragen wollten, wurden die eindringenden neuen Gäste von dem französischen Kommandanten vertrieben. Aber was tut ein hochweises Synedrium in Bamberg? Es erklärte, daß es ohne höchste Verantwortung solche unerhörte preußische Gewalttaten und Usurpationen nicht länger dulden könne, ließ sich in Nürnberg, in meinem eigenen Verwesungsbezirk, 1000 Mann geben und rückte damit in das kleine Dorf Wasserberndorf ein, das für den Augenblick dadurch zugrundegerichtet ward. Nach dieser Heldentat erwirkte dieselbe Regierung den Ministerialbefehl: »daß ich die Kosten des Feldzugs aus eigenen Mitteln zu bezahlen hätte.« Ich ermangelte aber nicht, augenscheinlich zu beweisen, daß nicht ich, sondern der französische Kommandant die neue doppelte Einquartierung abgewiesen, daß nicht ich die abenteuerliche Maßregel getroffen, 1000 Mann gegen ein kleines unschuldiges Dörflein unverantwortlicherweise losmarschieren zu lassen, daß ich über die Sache 28 Berichte erstattet, und nicht auf einen einzigen Bescheid erhalten, übrigens von einem Ministerium in Sachen meines Vermögens keine Machtsprüche, sondern nur Urteile eines Richters erwarte und anerkenne; so blieb auch dieser 29. Bericht mit allen seinen Vorgängern unbeantwortet.

Es wurde für eine Gegend in bairisch Tirol, welche durch einen Bergfall jämmerlich beschädigt worden, in allen Kirchen eine Sammlung veranstaltet. Die Ansbacher Gemeinde steuerte für ihre neuen Brüder 8000 Gulden, eine Summe, welche die aller anderen Kreise weit überstieg, gleichwohl aber in dem bekanntgemachten Verzeichnisse unerwähnt blieb. Als wir uns dessen näher belehren wollten, hieß es: das Geld sei dem auf der Festung sitzenden Herrn Referenten in Innsbruck, Grafen von Neuß, als »Referatsbeilage« zugestellt worden, und wolle jetzt leider in den Akten nicht mehr vorgefunden werden. Eines andern saubern Falles erinnere ich mich noch aus der preußischen Regierungszeit. Das Neuburger Appellationsgericht, oder wie es damals hieß, bat um Stellung zweier Zeugen, um mit einem in Untersuchung befindlichen Diebe konfrontiert zu werden. Die Zeugen wurden ohne Bedenken gestellt, als aber geraume Zeit verflossen und sie noch nicht zurückgekommen waren, erließ man ein Schreiben, um sich nach den Zeugen und dem Stande der Sache zu erkundigen, worauf die Antwort war: »Sie hätten die Zeugen, da sie solche in der Sache des Diebes selbst mit verwickelt befunden, mit dem Diebe hängen lassen.«

Die Schwindelei mit dem Geldaufnehmen in Öttingen wurde so weit getrieben, daß Fälle vorkamen, wo für 12 Gulden bar 100 zu 5 Prozent verschrieben wurden, die man hernach Baiern als Landesschulden überweisen wollte. Ich deckte in den »Annalen der Öttingischen Finanzverwaltung« dieses falsche Spiel auf, welches zur Folge hatte, daß eine Kommission zur Untersuchung abgesandt wurde, wobei sich alles leider nur allzusehr bestätigte. Im nämlichen Augenblicke kaufte aber ein jüdischer Spekulantenbund, mit dem Grafen von Reisach an der Spitze, diese Öttingischen Papiere um einen Spottpreis auf, ließ sie von einer alles bereitwilligst unterschreibenden Feder anerkennen und machte daraus einen nicht unbedeutenden Gewinn. Um dieselbe Zeit war ich zur Ausscheidung der fürstlich Wallersteinschen Privat- und Landesschulden in Wallerstein, und war so glücklich, binnen acht Tagen einen Vergleich zustandezubringen, nach welchem der König in Wallerstein mit einer Summe von 200 000 Gulden und in Öttingen mit 57 000 Gulden abgefunden worden wäre. Unter dem Vorwande aber, daß es nicht Stil sei, eine so wichtige Sache in acht Tagen abzumachen, wurde mein Abschluß verworfen, und eine Kommission abgeschickt, die über 20 000 Gulden Unkosten verursachte, und auf die Regulierung dieses Geschäfts beinahe so viele Jahre verwendete, als ich Tage dazu bedurfte, so daß der König über eine Million nachzuzahlen hatte. Dessenungeachtet wurde die Kommission für diese so gründliche Auseinandersetzung noch mit Lobsprüchen überhäuft.

Man konnte versichert sein, daß man überall mit seinen Anträgen oder Vorschlägen, wie der Staat etwas Lästiges abwenden, etwas ersparen oder gewinnen könne, ungnädig abfiel, weil es nirgend an lauernden Günstlingen fehlte, die sich mit einem Schmaus oder Anteil des fremden Betrugs bereichern wollten. Ein eigenes Gewerbe war es auch, die frivolsten Klagen gegen den Fiskus einzusenden, und sie dann zugunsten seiner Verhältnisse oder auf Rechnung der königlichen Schwäche gleichsam mit gewaltiger Hand durchzusetzen.

Ein unglückseliges Gestirn war dem Lande in den beiden Brüdern, den Grafen von Reisach, aufgegangen. Entsprossen aus einem ehrbaren bürgerlichen Geschlechte, das schon im 16. Jahrhundert durch Dietrich Reisach, Professor in Ingolstadt und nachher Kammergerichtsbeisitzer, bekannt war, seit 1737 geadelt und 1790 während des Reichsvikariats zur Grafenwürde erhoben wurde, aber ohne alle Mittel und Grundbesitz, durch welche Standeserhebung der Staat nur mit armen, aber höchst anspruchsvollen Nachkommen belästigt wurde. Der Graf August von Reisach sah sich in die verzweifelte Lage versetzt, seine abenteuerliche Stellung als Graf, gleichviel auf welche Art, zu sichern. Weil er seine Stelle als adeliger Regierungsrat in Nürnberg bei seiner jämmerlichen Dürftigkeit nicht behaupten konnte, so trat er zurück als Pflegverweser, anfangs zu Heideck, dann zu Hilpoltstein. Voller Sehnsucht nach dem Hofleben in Neuburg, sah er die Heirat mit einer Dame des Hofes für das sicherste Mittel an, seinen Wunsch befriedigt zu sehen, dem nur dieses entgegenstand, daß er schon mit einer andern Frau getraut war, von der er als Katholik nicht geschieden, sondern nur durch den Tod getrennt werden konnte. Also durch den Tod! Ein Bruder des Grafen, Domherr zu Regensburg, naht sich dem Bette des unglücklichen Weibes, stellt ihr den Jammer ihres kinderlosen Standes vor und die Unmöglichkeit, ihren Mann aus seinem Abgrund zu retten, ohne eine neue wohlberechnete Heirat. Darauf reicht er ihr einen Schokoladenbecher mit Gift dar, und wird immer dringender, daß sie ihn nehme. Nach vergeblichem Sträuben und Winseln bittet sie, ihr wenigstens noch Zeit zur Beichte zu gewähren, und flugs zeigt sich der liebevolle geistliche Herr Schwager auch dazu bereit, leiht dem Schlachtopfer als Priester in der letzten Not sein verruchtes Ohr, und vollendet dann die scheußliche Tat, die nicht einmal ein Geheimnis blieb. Aber was will man machen? hieß es. Es wäre ja töricht, sich in solche innere Familienverhältnisse des Grafen, die sich jetzt durch die neue Heirat auf andere Art um so glänzender befestigen, unberufen einzumischen.

Es gelang nunmehr dem Grafen, unter lauter scheinbaren Besitztiteln als wichtigstes Glied der Neuburger Stände aufzutreten; er wurde Direktor der Landesdirektion, zuletzt Generalkommissär in Augsburg, und als er hier schon anfing, anrüchig zu werden, in gleicher Eigenschaft nach Kempten versetzt. Am Ende war es aber doch nicht länger zu verbergen, daß er in Augsburg das Leihhaus bestohlen, wofür er nach kläglichem Flehen um Erbarmen mit 4000 Gulden Pension in den Ruhestand versetzt wurde. Der Graf Reisach, viel schlimmerer Dinge sich bewußt, traute aber dieser Gnade wenig, und entfloh zu den Alliierten, wo er den größten Patriotismus für die deutsche Sache heuchelte, sich, als einen Märtyrer des französischen Einflusses unter dem Minister Montgelas, dem Freiherrn von Stein vorstellte, und nicht nur dessen Gunst sich erwarb, sondern auch des Ministers Base, eine Frau von Stein, die in Schwaben lebte, ohne vorausgegangene Scheidung von seiner zweiten Frau (er war nicht mehr Katholik), ehelichte. Jetzt wurde er ohne weiteres als Landeskommissär in den zwei Markgrafschaften der Lausitz angestellt. Die genommene Flucht aus Baiern enthüllte aber alsbald, daß er 848 000 Gulden teils aus den königlichen Kassen unterschlagen, teils von den Untertanen erpreßt habe, und Preußen mußte sich endlich entschließen, ihn auszuliefern; doch entkam er, Gott weiß, wie es zugegangen, dem abgeschickten baierischen Gendarmerieoffizier. Er wurde hierauf in contumaciam zur Festung verurteilt und in Konkurs erkannt, wodurch die armen preisgegebenen Untertanen viele hunderttausend Gulden jämmerlich verloren. Hierauf lebte der Graf unangefochten zu Münster als Archivbeamter.

Einem andern Bruder dieses Grafen war es gelungen, ich weiß nicht, unter welchem Kredit, sich um die Summe von 25 000 Gulden das Amt eines Landrichters in Monheim zu kaufen, wo er nicht ohne Geschmack und selbst unter mancherlei literarischen Genüssen und eigenen Leistungen ein Kunstliebhaberleben führte, dem nur das Vermögen fehlte. Dieses zu ersetzen, kam es zum Borgen, zum Gelderpressen von den Untertanen, zu erdichteten Umlagen und Aufschlägen und endlich zum Unterschlagen der Deposital- und Vormundschaftsgelder, wobei statt genügender Antwort auf allmählich immer lauter werdende Beschwerden der Obern gewöhnlich nur: »das von mir um 25 000 Gulden gekaufte Landgericht« widerhallte. Alle Akten, die auf eine Spur der Unterschleife führen konnten, wurden von dem vertrauten Registrator unter die aufgehobenen Bretter des Fußbodens versteckt, und einzelne Eingaben und Forderungen mit dem gewöhnlichen Dekret des Landrichters: »Zum Verbrennen« von einem gleich gewandten, nicht minder eingeweihten Amtsgehilfen hinweggeschafft. Bei dem Schattenspiel einer Amtsbesichtigung durch den in Geschäften wenig gewandten und einfältigen Grafen von Drechsel erntete der Herr Landrichter wegen der überall so schön aufgeräumten Registraturen noch besondere Lobsprüche. Endlich aber nahte doch der Augenblick, wo eine bevorstehende gründlichere Visitation von seiten der Justizbeamten das schändliche Gewebe zu zerreißen drohte. In dieser verzweifelten Not begab sich der Herr Graf in ein etliche Stunden von seinem Amtssitz entferntes Wirtshaus, ließ sich ein Zimmer geben und stach sich darin mit einem langen Messer tot. Sowie noch selbigen Abend die Schreckenspost im Landgerichtshause ankam, lief der treue Registrator beiseite und zerschmetterte sich mit einer Pistole das Hirn, und als man sich ganz spät nach dem andern Herrn Amtsgehilfen umsehen wollte, lag dieser, der unterdessen Gift genommen, mit dem Tode ringend auf seinem Bette. Ein schönes Bild von einem Amte! und wer könnte es wagen, diese Tatsachen zu leugnen? Wenn's möglich gewesen, vielleicht der damalige Herr Justizminister Reigersberg, der äußerst aufgebracht war, als das Appellationsgericht auf der Stelle eine Kommission zur Erörterung des Tatbestandes und der weiteren Untersuchung des Amtes absandte, angeblich, weil dadurch nur Kosten entständen, und so etwas gleich brevi manu bei der neuen Amtstradition geschehen könne: das heißt, die Unterschleife und Betrügereien, für welche am Ende die Regierung gar hätte einstehen müssen, die bei der Untersuchung aber ihre eigene Schuld lautbar werden lassen mußte, sollten vergraben bleiben. Der neue Amtsverweser, der diesen Wind vernehmlich genug blasen hörte und die armen Untertanen mit ihren Entschädigungsklagen gehörig abfertigte, fuhr damit in höchster Gnade in den Hafen einer höheren Beförderung ein.

Im Unterlande Baierns wohnte ein alter kinderloser Edelmann, genannt Reisach von Tiefenbach, mit dem oben erwähnten Grafen von Reisach in Oberbaiern nicht im mindesten verwandt. Diesen besucht einstmals unser Herr Landrichter Graf von Reisach, in Begleitung handfester Jäger und Kutscher und mit großen Fanghunden, wie sie in Baiern die Schergen zu führen pflegten. Zum Schrecken des alten Edelmanns tritt plötzlich um Mitternacht der Herr Graf vor sein Bett, sich ihm als nächsten Erben und Blutsverwandten vorstellend, mit der Äußerung: er wolle nicht hoffen, von ihm in seinem letzten Willen übergangen zu werden. Die Versicherung des Alten, daß außer dem Namen er sich keiner Verwandtschaft mit dem hochgeehrtesten Herrn Grafen zu berühmen wüßte, wurde mit Flüchen und Verwünschungen erwidert, und dem Alten die Reinschrift eines Testaments vorgelegt, das er unter den schrecklichsten Bedrohungen alsbald unterschreiben und besiegeln mußte. Sowie dieses geschehen, schleppen ihn die Räuber hinab in den Wagen und eilen mit ihm nach Regensburg, wo er in ihrer und ihrer Hunde Begleitung auf dem Stadtgerichte erscheinen und das gezwungene Testament übergeben mußte. Der Alte, der bald darauf bei Gelegenheit der Eintragung ins Adelsbuch seine Dokumente vorlegen sollte, zeigte den Vorgang umständlich an, mit der Bemerkung, daß ihm der Graf Reisach mit anderen Familienpapieren auch diese Dokumente weggenommen habe. Der Herr Justizminister verfügte hierauf, der Landrichter solle die Papiere herausgeben, – was auch geschah. Von irgend etwas anderem war weiter keine Rede.

Einem andern Generalkommissär, von Gravenreut, mußten die Gemeinden seines Regierungssprengels ein sogenanntes Einstandsgeschenk oder Willkommen von 500 Stück Kühen machen, welche unter die Ortschaften zu repartieren wären, denn solche Requisitionen und Lieferungen waren den Landrichtern ein leichtes. Die Kühe wurden dann von Juden in Empfang genommen, weitergetrieben und verhandelt. Als endlich die Bauern den Dank nicht fanden, den sie erwarteten, so wurde durch ihre Vorwürfe und Klagen das Geheimnis verraten und eine Untersuchung der Sache eingeleitet. Ebenso eilig waren aber die Herren Landrichter daran, von jedem Bauer über die gekauften Kühe eine Quittung herbeizubringen. Damit hatte die Sache abermals ein Ende, und die Registratur des hochpreislichen Ministeriums war um 500 Kuhquittungen reicher. Man zeigte sich aber damit doch nicht befriedigt, sondern ließ seinen Unmut zwar nicht an der Exzellenz, aber an dem untergeordneten Direktor aus, der diesen vortrefflichen Ochsentrieb geleitet hatte.

Es würde jedoch zu tragisch werden, wenn meine schwache Muse sich bloß bei so hohen Personen, wie die Herren Generalkommissäre meistens schon von Geburt aus zu sein pflegten, verweilen wollte, wiewohl noch einer anzuführen wäre, der sich in den Fluten des Lechs ertränkt, aber nicht reingewaschen hat; ich kehre also wieder zu den kleinen Gottheiten der Herren Landrichter zurück.

In der Stadt X. regierte als Landrichter ein Graf P..., Sohn des alten Staatsrates und Majoratsherrn Max von P..., watend in einem Schlamm der drückendsten Schulden. 30 000 Gulden Amts- und Vormundschaftsgelder waren bereits durchgebracht, davon die Schuld auf sich zu laden, Sr. Gnaden natürlich nicht zuzumuten war. Die gemeine Seele eines sterbenden Schreibers schien dazu vollkommen hinlänglich. Der treue Landgerichtsdiener stürzt also eines Abends plötzlich in die Amtsstube, versetzt dem armen Oberschreiber mehrere Dolchstiche und läßt ihn blutend und als tot auf der Erde liegen, und eilt nun, einige Gerichtspersonen herbeizuholen, die über den Selbstmord des Schreibers ein Protokoll aufnehmen und unter diesen aufgeregten verdächtigen Umständen die Kasse aufschließen sollen, nachdem Se. Gnaden der Herr Landrichter alle Ursache hätten, zu fürchten, daß es damit nicht richtig sei. Als aber die Kommission eintrat, hatte der vermeintliche Kadaver sich schon wieder erhoben, und besaß noch so viele Kraft, ins nächste Haus zu gehen, wo er der Hilfe eines Arztes übergeben wurde. Unterdessen entstand eine solche Entrüstung bei den Einwohnern des Orts, daß der Herr Graf es für gut fand, mit seinem würdigen Landgerichtsdiener die Flucht, (und wohin sicherer, als nach München selbst?) zu nehmen. Niemand zweifelte, daß dieses aus unwiderstehlichem Drang geschehen, sich eben damals bei dem allgemeinen Aufgebot in eigener Person zu stellen. Man eilte, einen so schönen patriotischen Zug in der vaterländischen Geschichte zu verherrlichen, indem man den Herrn Landrichter zum Major, den Landgerichtsdiener aber zum Hauptmann der Landwehr ernannte, um bei dem formierten Generalstabe derselben in München zu arbeiten. Der Herr Graf erhielt überdies das Kreuz des Zivilverdienstordens, der einzige Landrichter, dem eine solche Auszeichnung bisher widerfahren war. Vergeblich war im Lauf des ganzen Krieges dem Oberschreiber alles Schreien und Wehklagen. Als aber mit dem Frieden der Herr Graf wieder außer Tätigkeit kam und sich noch mehrere schwere Klagen gegen ihn erhoben, so konnte endlich der Anfang einer Untersuchung nicht mehr aufgehalten werden, welche der Landrichter Pölzel in Landshut zu führen und die den richterlichen Spruch zur Folge hatte, daß der Graf als Major zu kassieren und auf die Festung zu setzen sei. Als aber das Urteil zur Bestätigung vorgelegt wurde, war man darüber so erzürnt, daß man es unvollzogen ließ und lieber dem fatalen Schreiber, der durchaus nicht schweigen wollte, zu Tölz ein Brauhaus schenkte, das wohl seine 40 000 Gulden wert sein soll.

Ein Herr von B., früher Stadtkommissär in Nördlingen, war der Gemahl einer Gräfin von Preyssing, und durch ihre und Gottes Gnade Landrichter in Beilngries. Dieser schöpfte die Entscheidungsgründe aller seiner Sprüche aus der obern oder untern Tür seiner Amtsstube, in welche die Parteien eintraten. War's die obere, so schrie er: »Seid's schon bei der Frau Gräfin gewesen!« welches, wie er wohl wußte, nach diesem Eingange nicht sein konnte; worauf es denn weiter hieß: »Nun so geht's derweil zur Frau Gräfin.« Traten hingegen die Parteien zur unteren Tür herein, wozu bloß die Frau Gräfin die Schlüssel hatte, so ersah er daraus, daß diese Abfindung ihre Richtigkeit habe, worauf nun die gewünschte beste Abfertigung erfolgte. Er pflegte seine Assessoren mit Er anzureden, und als sich einer derselben das nicht gefallen lassen wollte, fragte er seinen mit dem großen Fanghund neben ihm stehenden Schergen: »Was meinst du, Seppel, wollen wir den Assessor nicht mit Hunden 'naushetzen?« Der Scherge erwiderte: »Wie's Ihr Gnaden schaffen, 's kann gleich geschehen,« und es geschah also.

Der Karfreitag in Beilngries wurde gewöhnlich mit einem theatralischen Aufzug gefeiert, der die Kreuzigung Christi nach allen Umständen vorstellen sollte. Einem Taglöhner, genannt der Simondeo, war gegen Bezahlung die Rolle des Herrn Christus zugeteilt, die ihm keine geringe Anzahl Prügel von seiten der mitspielenden Kriegsknechte zuzog. Der Herr Landrichter glaubte die Darstellung noch mehr zu verherrlichen, wenn er überdies noch auf den Herrn Christus seinen Lieblingsfanghund hetzte, der aber den Taglöhner so entsetzlich erschreckte, daß er den Kriegsknechten ausriß und in ein nahes Wasser sprang. Von hier wieder herausgezogen, mußte er sich bequemen, wassertriefend das Hangen am Kreuze vorzustellen. Als er aber bei dem Ausruf: »Mich dürstet!« ein weißes Bier hinaufgereicht erhielt und wütend ausrief: »Ich sch... Euch in Euer weißes Bier, ich will braunes,« so geriet der Herr Landrichter über dieses ungeschickte Extemporisieren so in Zorn, daß er die Strafe des Kreuzes auf der Stelle in 25 Prügel verwandeln ließ. Diese und eine Menge ähnlicher Narrheiten, welche dem Herrn Landrichter zuletzt in einer Kneipe Schläge von seinen eigenen Gerichtsbauern zuzogen, brachten die Sache endlich doch zum Brechen: die Untersuchung geriet abermals in die Hände des Herrn Landrichters Pölzel in Landshut und hatte, da sie nun auch auf wahrhafte Vergehen stieß, den richterlichen Spruch zur Folge: »daß der Herr von B. kassiert werden sollte.« Dem Urteile wurde abermals die Bestätigung versagt, dagegen aber dem Angeklagten ein ehrenvoller Rückzug mit vollständiger Pension bewilligt. Die höchste Ungnade traf dagegen den Untersuchungsrichter, weil es der nämliche war, der auch kurz vorher einen angeblichen katholischen Pfarrer zu Nandlstadt bei Ansbach überführt und zum Geständnis gebracht, daß er kurz hintereinander zwei schwangere Köchinnen ermordet, dann aber mit höchster Feierlichkeit begraben habe. Der hochwürdige Mörder, zur öffentlichen Enthauptung verurteilt, wurde als begnadigt nach der Festung Passau gebracht, der Untersuchungsrichter aber, Herr Pölzel, zur Strafe von seinem bisherigen Posten als Landrichter und Regierungskommissär von Landshut entfernt und auf ein geringeres Landgericht in Nördlingen versetzt. Man konnte sicher sein, daß dies in jener Zeit der gewisse Ausgang war. Der Angeklagte, wenn er ein Beamter, Adeliger, Geistlicher oder ein reicher Jude war, kam jederzeit durch; Kläger oder Richter aber wurden von der Rache erreicht.

Ob ich gleich in jedem Stande die rechtschaffensten und tüchtigsten Männer gefunden habe und überzeugt bin, daß dergleichen neben den geschilderten unglückseligen Subjekten überall zu finden sind, so fragt sich's doch, wie es kommt, daß gerade in der Beamtenwelt eine solche erschreckliche Verworfenheit habe stattfinden können? Ich weiß darauf keine andere Lösung als diese: durch eine unglaubliche Schwäche der Regierung, eine schlechte Justiz, einen seit Jahrhunderten durch die vielen welschen Tonangeber und Emporkömmlinge, die Maitressen- und Pfaffenregierung und die allerliederlichste Staatswirtschaft verdorbenen Charakter und einen den Freunden des Guten überall auflauernden heimtückischen Rachegeist.


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