Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Serenissimus

Wieder in fürstlich Wallerstein'schen Diensten. – Serenissimusregierung. – Lang bei der Kaiserkrönung in Frankfurt. – Schilderung der faschingsmäßigen Feier. – Eine Belohnung aus der fürstlichen Dukatenlade. – Besuch des Plassenburger Archivars Spies in Wallerstein. – Eine Neckerei des Fürsten. – Ein unterbliebenes Glockengeläute und die Ungnade des Fürsten. – Lang gilt als verkappter Jakobiner. – Reicht seine Entlassung ein und wird des Landes verwiesen. – Lang überläßt es dem Postillon, ob er gen Wien oder gen Göttingen fahren wolle.

 

Ich landete aus dem Meere meiner Träume bei den Kalkfelsen zu Wallerstein an, wo ich nun in meinem neuen Herrn, dem Fürsten, die früher etwas ferner schon gesehenen eigentümlichen Launen und sein unstetes Umhertreiben in den Stunden der Nacht näher schauen und empfinden sollte. Seine Regierung, da sie in ihrer kollegialischen Zentripetalkraft dem raschen Fluge seiner Nachtgedanken nicht folgen konnte oder wollte, sah sich mit Haupt und Gliedern in Ungnade versetzt. Der Fürst überließ ihr nur unter großen Beschränkungen die Verwaltung der höhern Polizei und Justiz, seine Finanzkammer, das dürre Gerippe des bloßen Rechnungswesens, stellte aber alle Verfügungen an die Hauptkasse, alle Geldlieferungen, Erwerbungen, Veräußerungen, die Bewirtschaftung seiner zahlreichen Höfe, alle Dienstbesetzungen, Begnadigungen, alle staatsrechtlichen, kirchenrechtlichen und reichsgerichtlichen Gegenstände zu seinem ausschließenden, unbeschränkten Befehl, den er aus einem Gewölbe neben der Hofküche, Kabinett genannt, ergehen ließ, und wohin auch die Rekurse, Klagen und Denunziationen in allen und jeden anderen Justiz-, Polizei- und Kameralangelegenheiten gebracht werden konnten. Hiezu bediente sich derselbe im außerordentlichen Wege der Hilfe einiger weniger Räte, die er aus dem Fegfeuer der allgemeinen Ungnade zu einer vorübergehenden Anschauung seiner Seligkeit gelangen ließ, und es gebührt dem Scharfsinn des Fürsten die Anerkennung, daß er Geschicklichkeit mit Ehrlichkeit gepaart, in seinen Wahlen wohl zu treffen wußte. Den übrigen Vor- und Nachtrab der Geschäfte und was sogleich durch das lebendige Orakel des fürstlichen Machtspruches eilends zu vollziehen war, hatten vier Kabinetts- und Hofsekretäre zu führen, und zwar neben einer Art Kanzleidirektion der Hofrat und Kabinettssekretär Chamot, ein alter angeerbter Diener, französisch gebildet und ein witziger Kopf. Die französische Korrespondenz, die Dienstbestallungen, Gnadensachen und Bewerbungen leitete der Kabinettssekretär Ludwig: die Administrationssachen, Geld- und Güterhandel, die Vorlegung der gewöhnlichen Ausfertigungen zur Unterschrift der dritte Sekretär, Hauff genannt, und Hofsekretär betitelt, nachher Oberamtmann in Weitlingen, der durch eine unabwendliche höhere Empfehlung aufgedrungen worden, es aber nicht weiter brachte, als daß er die eingehenden französischen und englischen Zeitungen öffnen und daraus dem Fürsten beim Frühstück Rapport erstatten durfte, bei welcher Gelegenheit er auch Aufträge zur Verschreibung französischer Flugschriften und Komplimentenbestellungen an die benachbarten Höfe erhielt. Da er übrigens in seinem Hause sehr gastfrei mit französischen Weinen, Pasteten und Austern war, so fehlte es ihm nicht an zahlreichen Morgenbesuchen und einer dankbaren Gunst. Mir, als dem neuen der Hofsekretäre, hatte der Fürst neben anderen gewöhnlichen Ausfertigungen die Vorbereitung und Ausarbeitung der staatsrechtlichen und reichsgerichtlichen Angelegenheiten zugedacht, wobei er sich vorzüglich vier Lieblingsgedanken hingab: Erstlich seine Erbansprüche an die Herrschaft Dachstadt im Oberrheinkreise durchzusetzen, was auch vollkommen gelang, zweitens, in Elsaß die Fleckensteinischen Lehen, welche eigentlich an Öttingen heimgefallen wären, aber unter Ludwig XIV. von Frankreich eingezogen wurden, wieder zu erlangen, drittens, dem Reichsprälaten in Neresheim die 1764 durch Vertrag eingeräumte Reichsunmittelbarkeit wieder zu nichte zu machen, viertens, der Reichsstadt Nördlingen allen Getreidehandel im Rieß zu sperren und dafür eine eigene Sperre in Wallerstein zu errichten, welchen Ort er überall mit neuen Straßen und Häusern erweiterte. Um überall nach Behelfen zu spüren und zu graben, wurde mir das Archiv geöffnet, ein Umstand, der mir nebenbei zu meiner archivarischen Ausbildung sehr zu statten kam. Der Finanzkammer wurde ich noch insonderheit als ihr Rechtskonsulent und Fiskal zugewiesen, jedoch ohne Beisitz im Rat. Alle Sonnabende mußte ich mich zur Beobachtung des Verkehrs auf der Nördlinger Sperre umhertreiben, worauf sich abends ein eigenes Kränzchen im Hause des Buchhändlers Beck bildete.

Jeden Morgen um elf Uhr, wenn's glücklich ging, öfters auch um zwei Uhr, war Lever beim Fürsten, wo, sobald der Kammerdirektor die Flügel des Schlafgemachs öffnete, alles, was unterdessen stundenlang im Vorzimmer gewartet, hereintrat, der Marschall, der Stallmeister, der Leibarzt, wir Sekretäre, die Hofjäger und etwa anwesende Fremde. Jeder suchte, sobald ihn der Fürst, der jetzt unter den Händen seines Haarkräuslers saß, besonders anredete, welches immer mit schmeichelnden Worten, z. B. mein lieber Lang, geschah, etwas Munteres oder Neckhaftes vorzubringen. Sobald sich der Fürst vom Stuhl erhob und noch sonst an einen oder den andern kleine Weisungen erteilte, entfernte sich jeder, der nicht zu bleiben besonders beordert wurde. Der Fürst begab sich dann meistens zu seiner Familie, eilte darauf in die Messe und gab dann Audienzen bis zur Tafelzeit, die höchst ungewiß, oft erst spät gegen Abend begann. Nach der Tafel machte er gewöhnlich einen Spazierritt auf eine Meierei oder ein Jagdhaus, gab dann zu Hause wieder eine oder mehrere einzelne Audienzen oder auch sonst nur eine gesprächsweise Unterhaltung im Zimmer, mit irgend einem, der bestellt war oder sich geschickt zu nähern wußte; ein Spiel oder Cercle, öfters auch Konzert, das von keinem Höfling leicht versäumt werden durfte, und wo sich der Fürst bei den Anwesenden gleichfalls wieder Gespräch und Unterhaltung suchte. Die Nachttafel, nie vor Mitternacht anfangend, ging schnell vorüber, von der sich der Fürst einen der Gäste zurück auf sein Zimmer nahm, sofern er sich nicht mit denen begnügen wollte, die noch um zwei oder drei Uhr nachts in seinem Vorzimmer harrten. Nicht selten ging er an den armen Märtyrern vorüber, als sähe er sie nicht, fing an, in seinem Kabinett zu lesen und zu unterzeichnen oder durch die Hintertür auf einen kühlen Spaziergang zu entwischen, oder in seinem Armstuhl einzuschlafen, welches uns im Vorzimmer nachzutun auch erlaubt war. Ich sage uns, weil leider dieser Genuß nicht selten mich selber traf, sobald ich im Drange der andern nicht mit vorkommen konnte, oder vom Fürsten, der jeden in der Geduld zu üben wußte, recht geflissentlich übersehen wurde. Es traf sich, daß, nachdem mich ein Läufer eiligst aus einer Abendgesellschaft abgerufen, ich noch früh um vier Uhr im Vorzimmer wartend stand, bald seufzend, bald Schwänke erzählend, bald mit dem fürstlichen Pommer schäckernd, bald mit anderen Harrenden Stichbrand spielend, bald selber schlafend. Meldete dann der Kammerdiener dem Fürsten, der zu Bette steigen wollte: draußen wartet noch der Lang, so mußte ich schleunig hinein; da hieß ich der arme Lang, ich sollte doch sagen, warum er, der Fürst, mich hätte rufen lassen. Ich wußte es natürlich auch nicht und wurde somit auf den andern Vormittag, wo es Sr. Durchlaucht schon wieder einfallen würde, aber ja bei guter Zeit, wieder bestellt.

Schlich ich so durch die stillen Gänge des nur noch matt erleuchteten Schlosses nach Hause, so schien das tückische Schicksal auch da noch mich länger bannen zu wollen, wenn zuweilen hie und da eine der Zofen aus der nur halb geöffneten Zimmertür mir mit gedämpfter Zunge nachrief: »Gute Nacht!« Ich wurde, wenn ich den Wunsch freundlich erwidern wollte, ermahnt, leise, leise zu sprechen, und da fand sich am Ende, um ganz leise sprechen zu können, kein schicklicherer Ort, als der fürstliche Betsaal.

Die kurz zugemessenen Stunden des Morgenschlafs verkürzte vollends noch eine andere Plage, das war der fürstliche Wille, etlichemal in der Woche immer morgens Lektion in seiner Reitbahn zu nehmen, weil die jungen Leute des fürstlichen Gefolges auf Jagden und Reisen gut zu Pferde sein sollten. Ein rauher welscher Bereiter, als mein Lehrmeister, zwang mich und meinen armen türkischen Gaul zu mörderischen Sätzen und Sprüngen, während er, Himmel und Erde verfluchend, immer mit der Peitsche so darunter klatschte, daß mir, gewiß nicht unabsichtlich, alle Augenblicke die Schnurschlingen über die Schenkel fuhren, während mir, um mich nur auf dem Pferde zu halten, nichts übrig blieb, als Schmerz und Aerger zwischen den Zähnen zu verbeißen. Ging endlich nach tagelangem Harren auch mir der Glückstern auf, der mich hinein ins Kabinett des Fürsten beschied, so gedieh es dagegen nicht selten, zur Verzweiflung der Außenstehenden, zu einer zwei- und dreistündigen Unterhaltung. Wir sprachen da von Europa, Asia, Afrika und Amerika, zuletzt auch vom Fürstentum Wallerstein. Dabei war des Fürsten Art zu arbeiten diese, daß er alle an ihn eingehenden Berichte, nachdem er sie geöffnet, neben seinem Schreibtisch so hoch aufschichtete, als er mit seinem Arm reichen konnte. Hatten aber die Geschäfte diese Höhe erreicht, so wurde beschlossen, den Stoß wieder kleiner zu machen. Im plaudernden Auf- und Abgehen zog also der Fürst bald oben, bald unten, bald aus der Mitte einen Bericht hervor, griff schnell den Gegenstand auf, erlauerte jede Gelegenheit, wo vielleicht gerade das Gegenteil von dem, worauf die Kollegien angetragen, durchzusetzen möglich wäre, bemerkte dann mit einem Silberstift in wenigen treffenden Worten seinen Beschluß, und gab mir die Sache zum expedieren. In solcher Weise bekam ich gewöhnlich an die dreißig Sachen mit nach Hause. Allein damit standen sie noch sehr im Weiten; denn so wie ich sie dem Fürsten beim Lever des nächsten oder des nachfolgenden Tages zurückbrachte, legte er auf der andern Seite seines Schreibtisches so lange einen neuen ebenso großen Stoß von Konzepten an, bis entweder eine längere Reise oder der Zug auf ein Sommerschloß zur Abmachung der alten Reste trieb, oder die Maurer und Tapezierer den Platz frei haben wollten. Dann ging es aber an ein tumultuarisches Hinunterschleudern in die Kanzlei.

Leider erwuchsen jedoch aus diesen schockweis in die Kollegien fliegenden Kabinettsentschließungen beinahe wieder ebenso viele neue Drachenköpfe. Die Regierung nämlich, empfindlich darüber, daß oft in den nötigsten Sachen die Beschlüsse jahrelang ausblieben, glaubte den Fürsten sein Unrecht dadurch fühlen zu lassen, daß sie endlich alle Monate, mit abschriftlicher Beilage des ersten Berichts, in jeder einzelnen Angelegenheit eine neue Erinnerung abgehen ließ. Dadurch machte sie aber die Sache erst recht schlimm. Denn indem der Fürst diese Erinnerungsberichte ebenfalls auf den großen Stoß legte, so konnte es nicht fehlen, daß, so wie er im Verfolge entweder den ersten Bericht oder die späteren Erinnerungsberichte herauszog und auf jeden derselben besonders entschied, am Ende in derselben Sache oft fünf- und sechserlei verschiedene Entschließungen unter demselben Expeditionsdatum ankamen. Denn Protokolle oder Journale seiner Entschließungen ließ er durchaus nicht passieren. Die neuen Anfragen und Deklarationsgesuche der Kollegien enthielten den Samen zu ebenso mannigfaltigen neuen Beschlüssen. Manche Sache konnte auf diese Art schlechterdings zu gar keinem Ende gelangen. Ich weiß einen armen Teufel, der viele Jahre lang im Kerker zu Harburg saß, weil die Regierung nicht wußte, welches von den vorliegenden Urteilen sie an ihm sollte vollziehen lassen, ob als Dieb ihn hängen, auspeitschen, ins Zuchthaus setzen, des Landes verweisen, oder mit angerechneter Arreststrafe zu entlassen. Am Ende hat er selbst den Gescheitern gemacht und ist ausgebrochen.

Weit entfernt, daß der Fürst, wie gesagt, irgend einem aus uns eine Kontrolle der Geschäfte und der Kanzlei gestattet hätte, wollte er nicht einmal dulden, daß einer von den Arbeiten des andern etwas wissen sollte; und kam man in die Kanzlei, so fing nicht nur des Kanzellisten schwarzer Pudelhund, Satan genannt, schrecklich zu winseln und zu heulen an, sondern der gute, ehrliche, alte Kabinettskanzellist Weichselbaum, Vater des nachherigen berühmten Sängers in München, suchte in höchster Verlegenheit jeden Besuch, unter ängstlicher Darbietung seiner Tabaksdose, sobald als möglich wieder an die Tür zu bringen. –

Eine süße Abwechslung für mich war es, da der Fürst als Direktor des schwäbischen Grafenbundes (das fürstliche Haus war noch zu keiner Virilstimme auf dem Reichstage gelangt), mich nach Frankfurt am Main beorderte, um dort bei der bevorstehenden Kaiserwahl und Krönung als Beobachter dem Fürsten mitzuteilen, was sich überhaupt Merkwürdiges dort ergebe und verhandle, und gelegentlich auch für das mindere Interesse der kleineren Stände gewirkt werden könnte, worunter den Reichsgrafen besonders das Prädikat »Wir« am Herzen lag. Ich war deshalb noch an einen andern schwäbischen Grafen, den Herrn Reichserbtruchseß Grafen von Truchseß-Waldburg und an einen Isenburger Herrn Regierungsrat Pietsch in Offenbach, damals Direktorialdeputierten der Wetterauschen Grafen, empfohlen. Beide nahmen mich sogleich in Anspruch, ersterer, um bei der bevorstehenden Zeremonie ihm, als eine Art Zeremoniarius, oder wie man es nannte, Gentilhomme, zu dienen; der andere zum Protokollieren und zu der Ausfertigung der Grafentagsdeputation. Bei dem Reichserbmarschallamt mußte ich noch ein besonderes Protektorium lösen, gegeben den 2. September 1790. Quartier fand ich noch glücklicherweise im Weidenhof.

Die erste hochwichtige Angelegenheit, die mir da unter die Hände kam, war ein Gesuch des Reichserbmarschalls Grafen von Pappenheim, daß unter denjenigen jungen Grafen, welche die Ehre haben, nach dem bestehenden Reichszeremonial die Speisen auf die kaiserliche Krönungstafel zu tragen, auch die jungen Herren Grafen von Pappenheim möchten zugelassen werden. Die gesamten deutschen Reichsgrafenlande aber, wohin man Kuriere und Stafetten laufen ließ, kamen darüber in nicht geringen Aufruhr und Bestürzung, sintemal, unbeschadet der persönlichen Würde der Herren Grafen von Pappenheim, ihre Herrschaft selbst keine wirkliche Reichsgrafschaft, sondern nur eine unmittelbare reichsritterschaftliche Besitzung war.

Ich erhielt also den Auftrag, eine Antwort an den alten Erbmarschall aufzusetzen, welche ungefähr dahin ging: So erfreut und diensterbötig die gesamten Grafen des heiligen römischen Reiches selbst in dem Fall sein würden, daß der Herr Erbmarschall zum römischen Kaiser und König von Germanien gewählt werden wollte, so wenig könnten sie jedoch auf dessen exorbitantes, unübersehliches, unberechenbares und folgenschweres Begehren, die Herren Söhne und Vettern beim Schüsseltragen und Aufwarten zuzulassen, weder für jetzt, noch in alle ewige Zeiten eingehen. –

Ich hatte mich aber sehr geirrt, wenn ich hoffte, unter diesen hochgräflichen Segeln die kommende Frankfurter Pracht nunmehr ruhig mit ansehen zu können. Mitten in der Nacht brach neuerdings ein so gräßlicher Sturm aus, daß ich schleunigst von Frankfurt heraus nach Offenbach, als dem Verdeck der deutschen Reichsgrafendeputation, einberufen wurde. Das kaiserliche Hofküchenmeisteramt hatte ein Verzeichnis sämtlicher Schüsseln, wenn ich nicht irre 37 an der Zahl, mitgeteilt, um sie zur Auflegung auf die Tafel an die hierzu bestimmten Reichsgrafen zu verteilen. Nun war aber seit Carolo Magno, oder auch etwas später, das reichsgesetzmäßige Herkommen, daß jederzeit die erste Schüssel von einem Schwaben, die zweite von einem Wetterauer, die dritte von einem Franken, und die vierte, und so allemal die letzte, von einem Westfälinger Grafen getragen werden mußte. Allein nach diesem Turnus hätt' es sich getroffen, daß die 37. Schüssel, als die allerletzte, wieder auf einen schwäbischen Grafen gekommen wäre, worüber alle anwesenden Schwaben, denen doch sogar selbst bei einer allgemeinen deutschen Reichskollegialschaft zugekommen wäre, mit dem Sankt Georgenschild voranzustehen, in den heftigsten Unwillen ausbrachen, während gleichwohl auch keiner der anderen Stände des Reichs dieser 37. Schüssel sich annehmen wollte. Es schien nur wenig zu fehlen, daß es nicht gar zu einem Reichsgrafenkrieg gekommen wäre. Die kaiserliche Hofküche schlug es geradezu ab, diese verwünschte 37. Schüssel etwa wegzulassen, welches ihr auch nicht zu verdenken war, weil sie sich darüber mit allen Küchenzetteln von Kaiser Rudolfus her, auszuweisen vermochte. Endlich doch kam gleichsam wie vom Himmel her der geistreiche Einfall, aus dieser großen Schüssel vier kleinere zu machen, worauf dann die letzte richtig wieder auf einen Westfälinger traf.

Als Gentilhomme des Reichserbtruchsessen hatte ich dem Krönungszug selbst mit beizuwohnen, und konnte also diese alttestamentliche Judenpracht gemächlichst in der Nähe schauen. Der Kaiserornat sah aus, als wär' er auf dem Trödelmarkt zusammengekauft, die Kaiserliche Krone aber, als hätte sie der allerungeschickteste Kupferschmied zusammengeschmiedet, und mit Kieselstein und Glasscherben besetzt; auf dem angeblichen Schwert Karls des Großen war ein Löwe mit dem böhmischen Wappen. Die herabwürdigenden Zeremonien, nach welchen der Kaiser alle Augenblicke vom Stuhl herab und hinauf, hinauf und herab, sich ankleiden und auskleiden, einschmieren und wieder abwischen lassen, sich vor den Bischofsmützen mit Händen und Füßen ausgestreckt auf die Erde werfen und liegen bleiben mußte, waren in der Hauptsache ganz dieselben, womit der gemeinste Mönch in jedem Bettelkloster eingekleidet wird.

Am possierlichsten war es, als eine Bischofsmütze im lieblichsten Nasentone und lateinisch zur Orgel hinauf intonierte, ob sie da oben nun wirklich den Serenissimum Dominum, Dominum Leopoldum wollten in regem suum habere, worauf der bejahende Chorregent gewaltig mit dem Kopfe schüttelte, seinen Fidelbogen getreulich auf und nieder schwenkte, die Chorjungfern und Singknaben aber im höchsten Diskant herunterriefen: fiat! fiat fiat! Sowie also von Seiten dieser kleinen Herrschaft nichts mehr entgegenzustehen schien, ging's nun mit der Krone eilends auf das kaiserliche Haupt, vom Empor aber mit Heerpauken und Trompeten donnernd herab: Haderipump! Haderipump! Pump! Pump! Es hätte wenig gefehlt, so wäre mir, ohne zu wissen wie, die erste kaiserliche Gnade widerfahren. Um alles noch gemächlicher mitanzuschauen, stieg ich auf etlichen Latten auf einen Platz in der Kirche, der bei weitem minder stark besetzt und gedrängt war, bis ich dann endlich von einem Bekannten, der mir seine Glückwünsche bringen wollte, erfuhr, daß dieses die Bühne für diejenigen sei, welche der Kaiser zu Rittern schlagen wollte; ich machte mich also mit einem Sprung über diese bevorgestandene Ritterschaft wieder hinweg.

Nachdem nun dem Kaiser auf einem kahlen Throne, der aussah wie eine Hennensteige, von den Bischöfen die Glückwünsche und Huldigungen unter allen möglichen Arten von Knie- und Buckelbeugungen abgestattet und durch die bis unter seine Nase geschwungenen Rauchfässer ein Wolkenhimmel um ihn her gebildet war, wurden die Kandidaten zum Ritterschlag und unter diesen zuerst und namentlich ein im theatralischen Kostüm schon bereitstehender Dalberg aufgerufen.

Von der Kirche aus nahm der Kaiser mit seinem abgeschabten Mantel in langer, aber etwas eilig drängender, daher auch krummer und verwirrter Prozession seinen Zug auf das Rathaus zurück. Er ging in seinen alten Kaiserpantoffeln über gelegte Bretter, die man mit rotem Tuche bedeckte, welches aber die gemeinen Leute auf dem Boden kniend und mit Messern in den Händen hart hinter seinen Fersen herunterschnitten, und zum Teil so gewaltsam in Fetzen herunterrissen, daß sie den vorn laufenden Kaiser beinahe damit niederwarfen.

Nachdem auf dem Römer die kaiserliche Schautafel den Anfang genommen, wobei ein Herzog von Mecklenburg, mit einem langen Messer an die Tür postiert, und ein weißes Handtuch sich vor die Brust gesteckt, für den Allerdurchlauchtigsten den durchlauchtigsten Vorschneider machte, begab sich der Erbtruchseß zu Pferde in spanischer Tracht, fliegendem Haar und goldenem Mantel zur Hütte auf dem Markte, wo ein Ochs gebraten wurde. Seine ganze Dienerschaft trat in Gala voraus, und die sogenannten Gentilhommes, welche neben mir drei andere seiner Beamten vorstellten, gingen, je zwei zu jeder Seite, neben dem Pferde; ich hatte den spanischen Hut mit weißen und blauen Federn emporzutragen, mein Gegenmann auf der rechten aber eine große silberne Platte. Während der Erbtruchseß auf dem Pferde blieb, mußten wir Gentilhommes uns zum höllischen Feuer des in der Hütte unter pestilenzialischem Gestanke gerösteten Ochsen verfügen, ein noch halb rohes Stück desselben auf die silberne Platte nehmen und sie dem zum Römer zurückreitenden Herrn Grafen vortragen, während hinter uns von dem um die vergoldeten Hörner des Ochsen streitenden Janhagel die ganze bretterne Küche krachend zusammenfiel, vermutlich als ein Sinnbild, wie es dem heiligen Reiche in der Kürze bald selbst ergehen sollte.

An den Flügeltüren des Speisesaals übernahm der Graf Truchseß die Schüssel in seine eigenen Hände und setzte kniebeugend diese duftende Köstlichkeit dem von allen Seiten mit lauter widersinnigen Fratzen geplagten Kaiser unter die Nase. Nichts konnte ein treueres Bild der eiskalt erstarrten und kindisch gewordenen alten deutschen Reichsverfassung geben, als das Fastnachtsspiel einer solchen in ihren zerrissenen Fetzen prangenden Kaiserkrönung.

Die folgenden Tage, wo man die sibyllinischen Bücher der goldenen Bulle nicht weiter zu befragen nötig hatte, befriedigten die Schaulust mit leidlichern Festen: einer öffentlichen Huldigung in dem hessischen Lustlager und dem Freudenfeuer auf den prächtigen Wasserjachten der geistlichen Kurfürsten. Auch die Juden, denen jetzt die ganze Welt huldigen muß, bequemten sich wenigstens für einen Tag, in ihren schwarzen Mänteln einem kaiserlichen Kanzler zu huldigen. Aus allen Schluchten wurden dem anwesenden Könige von Ungarn die wilden Schweine herbeigetrieben. Die in ganzen Strichen herbeigeflogenen deutschen Professoren und Dozenten rissen sich um die nassen Druckbogen der neuen Wahlkapitulation, um zu erforschen, an welcher Stelle etwa aus einem Komma ein Semikolon geworden, und berühmten sich zum Teil, daß sie es bewirkt. Am lebendigsten, schien es, wurden in der Stille die Einblasungen und Racheforderungen der französischen Emigranten vertreten. Wenn man weiß, daß selbst der Herr Kurfürst von Mainz unter einem Gefolge von 1500 Menschen sogar auch eine Amme und einen Kapaunenstopfer mitgebracht, so darf man glauben, daß es überhaupt nirgends an den Abstufungen aller sinnlichen Freuden gemangelt habe. Den Beschluß in den vornehmen Gasthöfen bis zum frühen Morgen machten gewöhnlich die Spiele an den in lauter Gold aufgetürmten Banken, welche der in regelmäßiger Stunde ankommende Reichsprofoß, ein Subaltern des Erbmarschalls, scheinbar auseinandertreiben wollte, dafür aber mit ein, zwei, oft auch fünf bis sechs in die Hände gedrückten Dukaten beschworen, und zur Tür hinausgeschoben wurde: und zwar ging er gewöhnlich mit ein oder zwei Dukaten ganz still und bescheiden ab, schrie und schimpfte aber bis zum Schäumen, je nachdem er mehrere Stücke in der Hand verspürte, weil er es für seine Schuldigkeit hielt, sich nach einer so großmütigen Belohnung in seiner höchst möglichen Anstrengung sehen zu lassen. – Am Tage schlich er in seiner bordierten Uniform mit Degen auf kleinere Beute aus, um arme Judenburschen zu fangen, wenn er sie einen Haarzopf tragend oder mit einem Spazierstock in der Hand, oder gar in den öffentlichen Spaziergängen wandelnd, ertappte. Es wäre nötig gewesen, man hätte seinen Taufschein bei sich getragen, um nicht von diesem Ameisenbär als eine Judenseele aufgegabelt und um 1 Gulden 30 Kreuzer geplündert zu werden.

Mit einem von Kassel für meinen Fürsten angekommenen Wagen voll Geld (es war ein Teil des vom Landgrafen erlangten Anlehens von 700 000 Gulden), nahm ich unter Begleitung eines mir entgegengeschickten Kammerdieners meinen Heimweg nach Wallerstein. Wir luden das Geld um Mitternacht draußen auf dem Felde ab, wo es in höchstem Geheim mit Schleifen abgeholt und der Fuhrmann sogleich zurückgeschickt wurde. Denn der Fürst hatte seine guten Gründe, den lauernden Feind seine erhaltene Verstärkung nicht merken zu lassen.

Erst am 27. Januar 1791 kam endlich aus der großen Kanzleilotterie auch mein förmliches Patent als Hofsekretär mit 400 Gulden Gehalt heraus. Ich hatte vor diesem Patent freie Kost an der Marschallstafel, oder dem sogenannten Offizierstisch, mußte jetzt diesen zurücklassen, 50 Gulden für die Dekretssporteln bezahlen, und bekam dagegen von der auf dem Papier stehenden Besoldung keinen Kreuzer zu sehen. Als ich dieses dem Fürsten bei einer guten Gelegenheit bemerklich machte, rief er voll scheinbaren Erstaunens aus: »Wie? Was? Er erhält seine Besoldung nicht richtig? Nun ja, das ist wieder so eine infame Liederlichkeit des Kassierers, den will ich aber gleich bei beiden Ohren kriegen;« und damit eiligst dem Kammerdiener geklingelt: »Der Kammerrat Linsenmeyer (dies war der Hofkassierer) soll her; gleich! gleich auf der Stelle!« In wenigen Minuten brachte man ihn herbei; der Fürst entließ mich ganz erhitzt, und mir tat's leid um den armen Hofkammerrat. Doch innerlich vergnügt aus anderen Ursachen, hoffte ich etliche Tage lang bei jedem Anpochen den Kassendiener mit höflichster Entschuldigung der versäumten Zahlung eintreten zu sehen, jedoch vergeblich; endlich aber erkundigte ich mich persönlich bei dem Herrn Hofkassierer, ob denn damals der Fürst wegen meiner nicht mit ihm gesprochen? »Ich war zwei Stunden lang bei ihm,« hieß die Erwiderung, »aber von Ihnen kein Wort.«

Ein anderes, angenehmeres Ereignis unterbrach meinen Ärger. Der Fürst war von seiner Gemahlin Schwestern in Wien, der Frau Landgräfin von Fürstenberg, und der Frau Fürstin von Schwarzenberg aufgefordert, schleunigst einen Geschäftsmann zur allerletzten Betreibung und vorteilhaften Empfehlung der Dachstädter Klagsache anzuordnen, da dieselbe täglich auf dem Spruch stehe. Diese Herrschaft Dachstadt nämlich, zwischen den trierischen und lothringischen Grenzen gelegen, und zum oberrheinischen Kreise gehörig, war im Jahre 1683 durch Verheiratung eines Grafen Notger von Baldern mit der Tochter des letzten Besitzers, eines Grafen von Sötern, an das gräfliche Haus Öttingen-Baldern gekommen, und wurde in neuerer Zeit ebenfalls wieder von einer Tochter des letzten weltlichen Grafen von Öttingen-Baldern, einer vermählten Fürstin von Colloredo, in Besitz genommen, aber mit Widerspruch des Herrn Fürsten von Wallerstein als eventuellen Stammerben von der Linie Öttingen-Baldern, dem zugleich der damals noch regierende, aber geistliche Graf seine eigenen Rechte überlassen hatte.

Ich mußte nun mit Extrapost nach Wien eilen, und erfuhr alsbald in der Stunde meiner Ankunft, wo ich mich im Fürstenbergischen Hause meldete, daß die Sache denselben Vormittag im Reichshofrat siegreich für den Fürsten entschieden worden sei. Die Frau Landgräfin gestattete mir nur noch den folgenden Tag, um auch bei der Frau Fürstin von Schwarzenberg meine Aufwartung machen zu können, worauf ich aber mit der fröhlichen Botschaft unverzüglich wieder zurückkehren sollte. Eine harte Aufgabe für mich, Wien wiederzusehen – auf 24 Stunden. Aber es war ein förmlicher Weiberkrieg, Fürstinnen gegen Fürstinnen, und da fanden nur kurze Termine statt.

Kaum daß man mich also auf dem Sollizitantenpflaster zu Wien vermutete, fuhr ich mit blasendem Postillon im Schloßhof zu Wallerstein ein, was eigentlich wider die Hofmanier war, eben durch die Ungewöhnlichkeit aber, wie ich's haben wollte, als ein Siegeslärm gellen sollte. Der Fürst kam mir mit fliegenden Haaren und im Pudermantel bis unter die Treppe entgegen: »Lang! Lang! Was ist das? ist's möglich?« Und nun, wie ich mit wenigen Worten fröhlich die Bestätigung kundgab, rannte der Fürst mit rasendem Frohlocken durch alle Hallen des Schlosses zur Tochter. »Der Prozeß ist gewonnen! der Prozeß!« Aus allen Türen wälzten sich dicke Wolken der Glückwünschenden heran.

Abends, nachdem es etwas ruhiger geworden, zog mich der Fürst händedrückend in sein Kabinett hinein, schob eine mit vielen tausend Dukaten angefüllte Lade hervor, in die er mit breiten ausgespannten Händen hinuntergrub und auf ihnen einen ganzen goldenen Turm unter der Anrede in die Höhe hob: »Sieht Er, mein lieber Lang, ich bin nicht undankbar, das ist für Ihn bestimmt.« Während ich voll freudiger Begierde meine Mütze darreichte, brach der Fürst von einer Lobeserhebung in die andere aus, ließ aber dabei ein Dutzend Dukaten nach dem anderen durch seine Finger zurück in die Lade rieseln. Ich suchte vergebens durch die eiligsten Worte der Bescheidenheit diesen kostspieligen Strom der Schmeichelei zu dämmen. »Nein! Nein!« rief aber der Fürst, »es ist alles wahr!« und der goldene Turm auf seinen Händen hatte sich schon ganz in den Grund gesenkt. Endlich ließ er mir den Rest dieser flüchtigen Goldstücke in die Mütze fallen; da waren es ihrer nicht mehr über eine Handvoll. – Einen größern Gewinn aus dieser Zeit der Gunst und Freude verschaffte ich mir dadurch, daß ich mich von meinem gemeinen Wachtdienst im Vorzimmer loswickelte, und es darauf ankommen ließ, wenn ich gerufen wurde, wo ich dann den Ausbruch der üblen Laune des Fürsten, wenn ich nicht gleich zur Hand zu bringen war, durch einige zu diesem Ende immer schon in Bereitschaft gehaltene archivarische Altertümer oder sonstige historische Schnurren zu beschwören wußte, an welchen der Fürst allmählich einen solchen Geschmack fand, daß er am Ende selbst auf mein Zimmer kam und stundenlang meine Sammlungen durchmusterte, aber immer mit jenen Äußerungen einer kindischen Art, die alles, was sie sieht, gleich selbst zu haben wünscht.

Ich hatte mir aus den Archiven zusammengestellt alle Erwerbungen, alle Verträge und merkwürdigen Prozesse mit Nachbarn, alles, was sich auf altes Gerichts- und besonders auf das Steuerwesen bezog. Ich studierte über die alten deutschen Völker die Werke von Thuemann und Schlözer, setzte meine Forschungen über die alten Gaue Deutschlands mit Hilfe von Kremers Geschichte des rheinischen Kreises, Franzius' und Wenks Landesgeschichte von Hessen fort, und fing bereits an, auf einer großen Karte von Deutschland diese Gaue einzutragen. Zu meiner ferneren Ausbildung, oder vielmehr, daß ich erst rechten Mut zu meinem Fache bekam, trug aber ein ganz zufälliges Ereignis hauptsächlich bei.

Ein Herr von Brecke aus Mannheim, ein feiner Mann, ein Schüler von Gluck und für nichts als Musik lebend, dirigierte die Kapelle des Fürsten, die in großem Rufe stand und damals auch einen berühmten Komponisten an Rosetti hatte, einem schwächlichen, kleinen, hagern und kindlich guten Menschen. Als Titulum mensae hatte Herr von Brecke die Stelle eines öttingischen Dragonerhauptmanns beim schwäbischen Kreise. Bei einem seiner Besuche am Ansbacher Hofe lernte er den Regierungsrat und geheimen Archivar Spies aus Plassenburg kennen, ebenfalls einen großen musikalischen Dilettanten. Um ihm also etwas Angenehmes zu erweisen, und die Gastfreundschaft, welche Brecke am Ansbacher Hofe fand, zu erwidern, bewirkte er, daß Spies vom Fürsten nach Wallerstein eingeladen wurde, wobei aber der Fürst den höheren Standpunkt, nämlich Spies' Ratschläge im Archivwesen zu benutzen, gar wohl herauszufinden wußte. Ich wurde beordert, alles vorzubereiten, was zu einer rechten Archivparade dienlich sei, und mich dabei als den Führer und Adjutanten des erwarteten Gastes bereitzuhalten. Spies kam im Juni 1791 an, ein großer, ansehnlicher Mann, der sich als gewesener Offizier gern in militärischer Haltung und Zierde hielt und sich in der aufs höchste gespannten Artigkeit eines kleinen Hofes sehr wohl gefiel. Die Kapelle war von der Art, um selbst einem großen Kenner reichen Genuß zu geben, und die kleine Eitelkeit des Herrn Spies konnte sogar dem Kitzel nicht widerstehen, vor ihr ein paar seiner deutschen Lieblingslieder zu singen. Man denke sich einen sechs Fuß hohen, 57 Jahre alten, geheimen Archivarius, der eine Arie singt. So weit hatte ich's nicht gebracht. Dagegen wurde Spies sehr angenehm überrascht, als er in Wallerstein ein sehr wohlbegabtes Archiv und in dem Archivar Herrn Zinkernagel einen feinen, wenn gleich nicht tief historisch gelehrten, doch in der schönen Wissenschaft gebildeten und hinlänglich befähigten Mann fand, der aber mit den Kollegien die Ungnade des Fürsten teilte und sich daher überall die Einpfropfung meiner Person gefallen lassen mußte. Ich selbst, ohne Ruhm zu melden, was das Lesen und Lösen der Urkunden betrifft, ritt meinen Klepper auf eine solche Art, daß ich es hierin selbst mit Herrn Spies aufnahm, welches er auch gern und mit Freuden anerkannte, besonders wo mir noch meine trefflichen Augen zu Hilfe kamen, mit denen ich in alten Büchern und Pergamenten, die man für ganz erloschen oder abgeschabt hielt, ganze Seiten richtig herausbrachte. Dadurch, und daß ich ihm aus meiner Sammlung eine Urkunde wies, worin ein genealogischer Streit mit dem alten Ötter siegreich für jenen entschieden wurde, gewann er besondere Neigung zu mir, rühmte mich auch dem Fürsten vorzüglich an, der sich dadurch nicht minder für seine eigene Person geschmeichelt fühlte.

Einige Wochen hindurch gab nun Spies täglich Zinkernageln und mir Anleitung, wie man ein Archiv zu behandeln und zu ordnen hätte, wobei wir ihm denn, versteht sich, fleißig curiosa an Siegeln, Daten, alten Formeln und Redensarten zusammensuchten, worin er hauptsächlich seine Stärke suchte und hatte. Aus den Urkunden aber den historischen Geist aufzufassen und Pläne hierauf anzulegen, schien seine Sache nicht zu sein.

Spies besuchte in meiner Begleitung auch das Kloster Kaisersheim. Da sah ich so recht, noch kurz vor dem Ende, das reichsprälatische Wohlleben an der langen Tafel des gnädigen Herrn Prälaten. Abends war das Refektorium angefüllt mit lauter Gästen, meist herzugekommenen Beamten, mit ihren Frauen und Töchtern; der Prälat entfernte sich absichtlich, und nun kam's vom Musizieren zum Tanzen mit den jungen Mönchen, die über diese wahrscheinlich seltenen Saturnalien stieräugig und bis in den dritten Himmel entzückt umhertaumelten. Von Urkunden ließ man uns nicht viel sehen. Bibliothekschätze fanden wir noch weniger. Sprachen wir viel mit einem alten Mönch, so zog uns immer wieder ein anderer auf die Seite, um uns vor ihm zu warnen und gehässige Dinge von ihm zu erzählen. Beim Einzug ins Schlafzimmer trug man mir noch vier Flaschen Wein nach; auf Befragen wozu? hieß es: zum Schlaftrunk. Als ich mir diesen verbitten wollte, legten sich vier bis sechs Mönche ins Mittel, mit dem Versprechen, mir dabei als treue Freunde beizustehen. So blieben sie noch bis zwei Uhr morgens bei mir, und machten mir, ebenso wie die anderen, von ihren Brüdern die bösartigsten Schilderungen. Ich schließe daraus, welch arger Quälgeist von Verfolgung, Neid, Haß und Mißgunst in solchen Klostermauern voll Mönchen möge gewaltet haben.

Die Lobeserhebungen aber, mit denen mich Spies bei seinem Abgehen noch besonders beim Fürsten empfehlen wollte, machten am Ende einen widrigen Eindruck auf ihn. Er befürchtete, daß ich nach einem deutlichen Bewußtsein meiner Kräfte mich zu Ansprüchen erheben möchte, die er zu erfüllen nicht gemeint war, und beschloß daher, durch recht ausgedachte Demütigungen mich wieder nüchtern zu machen. Mehrere meiner vorgelegten mühsamen Arbeiten in reichsgerichtlichen Angelegenheiten wurden eine nach der andern verworfen, und einem herbeigeholten, bisher in der tiefsten Ungnade versenkten, Manne ausgetragen, der in kurzer Zeit ein solch gemeines Sudelwerk lieferte, daß man, meiner Meinung nach, ihm dafür die Finger hätte abhacken sollen, das mir aber der Fürst angelegentlich zum Studieren empfahl, während er doch selbst, wie ich nachher fand, es für allzu schlecht erkannte und heimlich meine Arbeit hatte abgehen lassen. Bald darauf bot ich selbst ihm eine neue Gelegenheit, mich zu necken. Der Hofrat von Belli hatte soeben um seine Entlassung nachgesucht, weil er als Kanzler irgend eines schwäbischen weiblichen Reichsstifts, ich weiß nicht mehr, welches, einem behaglichern und unabhängigern Leben entgegensah. Dafür entstand in mir alsbald der Gedanke, nach der Hofratstelle von Belli zu angeln. Als ich daher unter dem nächsten besten Vorwand mich dem Fürsten näherte, kam mir dieser gleich mit der Frage entgegen: ob ich schon wüßte, was ihn für ein Unfall mit Belli betroffen? wie sollte er sich jetzt helfen? woher sollte er wieder einen solchen Mann bekommen? – Ich, nach den anständigsten ersten Beileidsversicherungen, suchte den Übergang auf die Trostgründe und Hoffnungen eines künftigen Ersatzes zu gewinnen. Einem so hochverständigen Herrn könne es niemals fehlen, sich seine tauglichen Diener selber zu bilden, und es würde gewiß noch Leute geben, die, was sie auch an Geschäftserfahrung noch nachzuholen hätten, doch jetzt schon durch aufrichtige Anhänglichkeit und Liebe zu ersetzen wüßten. Der Fürst, gleichsam als ob ich ihn getröstet hätte, sah mich bedeutend an und sprach: »Wirklich, lieber Lang! glaubt Er das? Werd' ich wieder einen andern finden?« Als ich, entschlossen, die Mine springen zu lassen, feierlich, mit ausgebreiteten Armen gleichsam entgegenkommend, erwiderte: »Ja, gewiß Ew. Durchlaucht, ja!« sah ich mich aber alsbald vom Fürsten durch die Worte unterbrochen und aufgehalten: »Aber er muß ebenso groß sein, als der Belli!«

Da stand ich wie vom Donner gerührt. Belli war sechs Fuß und darüber: mich konnte die liberalste Messung nicht höher als zu fünf Fuß und vier Zoll erheben. Zu einer sechsfüßigen Hofratsstelle in meinem Vaterland war mir also alle Möglichkeit zeitlebens entrückt. Wirklich ging auch der Fürst von dem Gedanken aus, daß Leute mit einer gardistenmäßigen Gestalt bei Audienzen und Sollizitationen einen besonders guten Eindruck machten, auch sonst vielleicht an anderen Orten den Sachen eine günstigere Wendung geben könnten.

Ich mußte den Fürsten auch auf seinen, etliche Wochen dauernden, Jagdzügen nach Harburg und Turneck begleiten, und dabei herkömmlich mit einem Schnurrbart erscheinen, am Tage in den Schlössern und Amtsgewölben, die wir betrafen, nach Altertümern wühlen, und ihm damit die zum Schlaf ungewohnte Stunde der Mitternacht vertreiben. Einmal, als sich der Fürst entschloß, auch einen Zug auf seine in der Markgrafschaft Burgau gelegene Herrschaft Ziemetshausen zu machen, bekam ich den unglücklichen Auftrag, vorauszueilen und die Vorbereitungen zu treffen.

Meine Ankunft setzte den ganzen Flecken in Bewegung, zuerst den händereibenden Herrn Amtmann, um mich zu erfrischen und zu verpflegen, sodann aber, als er mit mir ins Brauhaus ging, alle Primaten des Orts, Bürgermeister und Ratsherren, Pfarrer und Kapläne, Doktoren und Apotheker, Förster und Kassenmesser, um sich zu beraten, wie man den gnädigen Herrn am andern Tage zu empfangen hätte. Es wurde beliebt, in Prozession bis zur Flurgrenze entgegenzugehen und zu reiten, zu blasen und zu schießen, was das Zeug halte. In der Nacht tat sich noch eine Partei hervor, die nicht minder das Läuten mit allen Glocken hinzufügen wollte, ich in aller Frühe sollte auf Anfrage einer Deputation darüber entscheiden. Weil ich aber voraussetzte, wie lästig mir, wenn ich als ein Fürst ankäme, ein solches Geschelle und Klingklang wäre, weil auch der Pfarrer gar nicht gern daran wollte, und überdies der Flecken unter fremder, das ist vorderösterreichischer Hoheit stand, so glaubte ich unverzagt für das Unterbleiben des Glockengeläutes entscheiden zu können.

Nachdem nun der Fürst, übrigens unter Lärmen genug, vor dem Amthause abgestiegen und bewillkommt war, eilte er hastig die Treppe voraus in sein zubereitetes Zimmer, wo er mich ganz heftig mit hineinrief und zur Verantwortung zog, warum ich das Läuten mit allen Glocken verhindert hätte? Ein voreiliger Deputierter hatte sich unten ungeschickterweise darüber zu entschuldigen gesucht. Er fand meine Gründe sehr schal. Nichts sei gleichgültig, was dem Untertan durch äußerliche Zeichen die Hoheit seines Herrn anschaulich machen könne. Er glaubte sich durch mich um einen wesentlichen Genuß seines Einzugs gebracht und sprach weiter kein Wort mehr mit mir. Das Kuvert für mich an seiner Tafel, wo ich, nicht nach der Regel der Etikette, aber nach dem laxen Reisegebrauch, zugelassen werden sollte, wurde hinweggenommen, und ich hinunter zu der übrigen Dienerschaft verwiesen.

Der Fürst brachte seinen Groll auch nach Wallerstein mit, er ließ mich lange Zeit gar nicht mehr vor; und ich, mit erwidertem Trotz von meiner Seite, blieb nun auch freiwillig aus. Übrigens schienen die Ereignisse in Frankreich das Gemüt des Fürsten sehr gebeugt zu haben. Mit seinem nicht gemeinen Scharfsinn erkannte er damals schon das Wesen der kleinen deutschen Regenten ohne Rettung bedroht und beschäftigte sich daher mit dem Plane, so viel als möglich an Gold, Pretiosen und Waren aller Art zusammenzukaufen, sich dann mit seiner Familie und einer Auswahl seiner Vertrautesten nach Maryland in Amerika einzuschiffen, und dort einen neuen Besitz seines Hauses zu gründen. Ein Gedanke, der sein Geldaufborgen und niemand bezahlen, sein wunderliches und abenteuerliches Aufkaufen aller möglichen Dinge erklären kann, und der, wäre er zur rechten Zeit ausgeführt worden, sehr ersprießlich hätte ausfallen können. Wer am meisten unter allen durch beständiges Lärmschlagen und Feueranblasen den Fürsten ängstigte und verstimmte, war der Bischof von Speyer mittels unausgesetzter eigener Briefe und zahlreicher Flugschriften, die er durch seinen Geheimen Rat Hestwich unter dem Titel: Der Deckel vom Hasen usw., ausbrüten ließ, und nächst diesem ein Schneider aus Straßburg, genannt Monsieur Louis, der an mehreren kleinen deutschen Höfen, und so vorzüglich auch in Wallerstein, seinen unbezahlten Schneiderkonto betrieb, und bei dieser Gelegenheit die Rolle eines wütenden Phantasten der alten Partei, wenn nicht gar eines Spions der neuen, spielte. In allen öffentlichen Häusern machte er einen unermüdlichen tobenden Prediger, und brach in die ärgsten Unbescheidenheiten gegen diejenigen aus, die nur in irgend etwas eine freiere und ruhigere Ansicht der Dinge äußern wollten; worüber er endlich von einem Baron von Marschall, damals Kammerassessor in Wallerstein, nachher russischem Staatsrat, dem berühmten Reisenden am Kaukasus, beim Kopf genommen und zur Tür hinausgeworfen wurde. Zur Satisfaktion des Schneiders wurde der Baron alsbald seiner Dienste entlassen und aus dem Lande verwiesen; welcher Schneidertriumph über einen Baron, vom Standpunkt der Aristokratie aus betrachtet, allerdings Verwunderung erregen sollte. Aber so kann kindische Furcht und Rache mit sich selbst in Widerspruch geraten! Alle Tage brachte der Schneider seine frisch erhaltenen Straßburger Schreckensbriefe und verband sie mit Angebungen dessen, was er auch in Wallerstein vom Brand gerochen haben wollte. So konnte es nicht fehlen, daß auch ich, der auf diese Schneiderhoheit immer geringschätzig herabgesehen, als ein verketzerter Jakobiner angemalt wurde.

Verdrießlich über dieses Necken des Fürsten auf der einen und solch ein Schneidergetreibe auf der andern Seite, ohne zu allem dem noch während meines ganzen Hierseins die wirkliche Zahlung meines Gehaltes erlangen zu können, faßte ich den Entschluß, so wie früher von Öttingen als angeblicher Freigeist, von hier als angeblicher Jakobiner meinen Stab weiterzusetzen. Ich schrieb an Spies in Baireuth, und würde gern mit einer ganz subalternen Stelle unter ihm vorlieb genommen haben; aber er, der den geglaubten Günstling unausgesetzt seiner Brieflein würdigte, mit den submissesten Empfehlungen an die Durchlauchtigkeit, brach jetzt ganz kalt und erschrocken mit mir ab. In Baireuth und Plassenburg wären für mich durchaus keine Aussichten. So ließ ich's gut sein, wie immer, da ich schon gewohnt war, alle meine Anwerbungen immer mit Körben abgefertigt zu sehen. Durch mein zusammengehaltenes Wiener Kapitälchen, wenn ich dazu noch meine Gehaltsrückstände herausbringen und meine historische öttingische Sammlung losschlagen könnte, sah ich meine Finanzen hinlänglich gedeckt, und mein Bruder Christian, damals Konrektor in Öttingen, mit dem ich mich jetzt beriet, bestärkte mich in jeder Rücksicht in dem Gedanken, den Abschied zu fordern, jedoch daß ich alsdann nach Göttingen gehen sollte, um mich dort in den historischen Studien noch mehr auszubilden und am Ende auf eine Professorstelle anzutragen. Meines Herzens geheimer Wunsch war aber weit mehr auf das liebe Wien gerichtet.

So lösten sich meine Wallersteinischen Bande in kürzester Zeit. Ich bat rasch um meine Entlassung; der Fürst war betroffen, doch hielt er es unter seiner fürstlichen Hoheit, darüber mit mir zu unterhandeln: ich erhielt meinen schriftlichen Abschied unterm 16. April 1792 auf der Stelle, doch mit dem ausdrücklichen Beisatz, daß der Fürst von seiner Seite gewünscht hätte, wegen meines Fleißes, Diensteifers und meiner Fähigkeit mich behalten zu können. Ich bekam, wie ich es berechnete, meinen vollen Gehaltsrückstand und noch eine kleine Summe für meine historischen Sammlungen; den nächsten Tag darauf aber, vielleicht daß es dem Fürsten später erst Reue und Ärger oder der Schneider eingegeben, den neuen schärfern Befehl, Wallerstein binnen acht Tagen zu verlassen. Die kurze Gnadenfrist ließ mir gleichwohl noch die erforderliche Zeit, mich bei meiner Mutter zu beurlauben, die jetzt im württembergischen Flecken Weitlingen im Besitz eines schönen Hauses und in ziemlichem Wohlstand lebte. Alles dieses hatte sie dem alten Mops einer Madame Metz zu danken, der Witwe eines verstorbenen Kriegskommissärs. Beide Eheleute, aus Mömpelgard, wie mein mütterlicher Großvater, und noch dazu von Seiten des Mannes verschwägert mit demselben, hatten sich längst schon nach Weitlingen zurückgezogen. Ich meine auch, in meinen jungen Jahren gehört zu haben, daß die Dame die Geliebte eines württembergischen Prinzen gewesen. Der frühe Tod ihres Erstgemahls setzte sie in den ungeteilten Besitz des Vermögens und in die rechtliche Befugnis, dasselbe ausschließend ihren Verwandten hinterlassen zu können, die dann, wie es in Schwaben überhaupt Sitte ist, zu Haufen herbeikamen, um vom Leben und Befinden der Frau Muhme in höflichster Weise Kundschaft einzuziehen. Bei solch einer Aufwartung ereignete es sich nun, daß eine dieser Frau Muhmen und Erbprätendentinnen unter ihren weit ausgeholten Verbeugungen und Segenssprüchen den alten Mops so grausam auf die Pfoten trat, daß er vor Schmerz heulte, wütend der Dame ins Antlitz sprang und ein ganzes Stück ihres beblümten damastenen Reifrockes herunterriß, dafür aber nicht minder von der Angegriffenen mit Schimpfworten und Schlägen zurückgetrieben worden war. Der von seiner beinahe bis zur Ohnmacht erbosten und ergrimmten Gebieterin in ihre schützenden Arme genommene Mops keifte und murrte aber so in einem fort, daß der Frau Erbprätendentin nichts übrig blieb, als unter den kürzesten Formalien des Bedauerns ihren Abzug zu nehmen. Als nun einige Tage darauf meine Mutter, von Haus aus eine große Freundin aller Tiere, dazu im schlichten Anzug und ohne scheumachenden Reifrockspopanz, zu einem Besuch kam, wußte der alte Mops gar nicht genug Krümmungen, Sätze und Schwenkungen zu erfinden, um seine Herzensfröhlichkeit auszudrücken: woraus die alte Frau Muhme die Stimme des Himmels zu erkennen glaubte, und meine Mutter, die eigentlich keine Hoffnung mehr dazu hatte, zu ihrer einzigen Erbin und künftigen Schoßhundsverpflegerin erkieste, welches auch bald in Erfüllung ging. Dieser glückbringende Mops machte aber bald darauf selbst noch sein eigenes Glück, indem sich ihn die Gemahlin des Herzogs Ludwig, der damals in Weitlingen wohnte, zu ihrem Schoßhund erbat. Übrigens schien meine Mutter die Triftigkeit meiner Gründe, warum ich so kurz angebunden von Wallerstein zu ziehen gedächte, nicht ganz begreifen zu wollen, jedoch hatte sie Vertrauen genug auf meine eigenen Kräfte, mich durch die Welt zu bringen, um sich selbst darüber weiter nicht zu grämen, noch mir mit Bedenklichkeiten beschwerlich zu fallen.

Meine Freunde und Bekannten blieben noch am letzten Abend im Gasthaus bis nach zwei Uhr, bei Wein und Punsch, mir zu Ehren versammelt; denn auch das war ein schöner Zug dieser Menschen dort, daß sie auch bei der lautesten Ungnade ihrer Freunde sich nicht knechtisch entsetzten. Nur hielten sie es für eine überspannte Heimlichkeit, daß ich ihnen das Ziel meiner Reise verbergen wollte. Ich hatte jedoch in diesem eilenden Gewirr selbst noch keinen ruhigen Augenblick gefunden, mich darüber zu bestimmen, mir aber fest vorgenommen, heute noch vor Schlafengehen diesen unverschieblichen Gegenstand ins reine zu bringen. Meine Freunde begleiteten mich bis vor die Tür, und ich warf mich nun eilends in meinen Armstuhl, um mit ausgespreizten Füßen, und den Finger auf der Nase die große Frage zu lösen: Wohin? – Die Gedanken, Wien oder Göttingen, Göttingen oder Wien, schwirrten in buntem Wechsel vorüber, gleichsam in lieblichen Melodien, aber immer ferner und immer ferner. Da erschreckte mich ein Schlag ans Fenster, in meinem Zimmer stand – der helle Tag. Ich war eingeschlafen; der Soldat, der mich gewöhnlich bediente, hatte mich aufgepocht. Es ist nichts verloren, dachte ich; der Postillon kommt erst in einer halben Stunde und, während dich der Bursche rasiert, reckst du deine Äuglein stier gen Himmel, und machst es kurz ab, wohin, und wo hinaus! – Aber o Himmel, auch dazu kein ruhiger Augenblick; es pocht an der Tür und geht gleich hinein ein Mägdlein, mit einem Zettel in der Hand, ich möchte es nicht ungütig nehmen; werd' es vermutlich nur vergessen haben, das letzte Konto! Ich, vom Messer meines dienstbaren Geistes entlassen, stehe auf vom Stuhl, wundere mich, zucke die Achsel, geh' ins Kämmerlein, hol' Geld; wie ich herauskomme, hilf Gott! da steht schon wieder eine andere, bittet auch, ich soll's nicht übelnehmen; sie waren noch nicht zum Haus hinaus, so klatschte es schon vom Markt her, nun ja, das ist jetzt gar der Postillon, und um den Jammer erst recht voll zu machen, kommen zur Treppe heruntergerannt der Herr Hauswirt, die Frau Hauswirtin, das Hausjungferlein; wollen nicht unterlassen, höflichst Abschied zu nehmen – die Frau läßt sich sogar in eine weitläufige Erörterung ein, über eine Fensterscheibe, welche noch machen zu lassen eigentlich mir zukäme. Nun stieg mir die brennende Hitze ins Gesicht und ich sah in der Geschwindigkeit keinen bequemern Ausweg, als die Entscheidung meiner Reise dem Postillon zu überlassen, dem ich zum Fenster hinaus zurief: »Schwager, ich weiß eigentlich selbst nicht, wo ich hinwill. Es ist mir eins, ob du mich willst nach Dünkelsbühl fahren oder nach Donauwörth. Was ist dir lieber?« Sagt er nun nach Donauwörth, dacht' ich dabei, so geh' ich nach Wien, sagt er aber nach Dünkelsbühl, so sei's denn wohlan nach Göttingen; der Kutscher sah mich verwundert an, und gab sofort lachend zur Antwort: »Wenn's denn nun auf mich ankommen soll, so fahr' ich freilich lieber nach Dünkelsbühl.« Ich hatte heimlich gedacht, er sollte Donauwörth sagen, weil die Deichsel schon dahinstand. Aber nun mußte ich mich schon anders fügen.


 << zurück weiter >>