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München, die neue Königstadt

Eine Audienz beim König. – Charakteristik des Königs Max. – Der Minister Graf von Montgelas. – Lang wird Mitglied der Akademie. – Die königliche Finanzmißwirtschaft. – Lang stellt ein Ultimatum und fährt nach Erlangen zurück. – Beim Reichsheroldenamt. – Langs Urgeschichte des Königreichs Baiern. – Große bairische Adelsprobe.

 

So langte ich denn, ungefähr in der Stimmung eines eingelieferten Rekruten, zu München an (Januar 1811), im Gasthof zum Goldenen Hahn, wo ich gleichwohl von dem zutraulichen Empfang einer schönen Wirtin mich ermutigt fand. Die ersten dringenden Fragen an mich waren: ob ich schon mit einem Billett zum Hofball, zum Hofkonzert und zur maskierten Akademie versehen sei? – Man wollte alsbald darnach senden. Welchen Platz ich in der Loge zu nehmen belieben wolle? Man schien von einem Mann comme il faut, für den man mich hielt, und der auf alle Fälle keinem betrübten Supplikanten gleichsah, keinen andern vernünftigen Grund einer Reise nach München in dieser Karnevalszeit vorauszusetzen, als einen Trieb nach Freudengenüssen. Ein Billett in mein Archiv wäre mir fast nötiger gewesen. Man nannte mir zwar ein Hausarchiv, ein Staatsarchiv, von einem Reichsarchiv aber, wo ich Direktor sei, war nichts zu erfragen; es solle erst geschaffen werden aus dem Landesarchiv; aber wie? daran hatte man weiter noch nicht gedacht, und schien fast befremdet, daß ich den Plan dazu, die Instruktionen und die Leute, gleichsam wie ein Direktor einer neuen Schauspielerbande, nicht schon mitgebracht. Kaum daß der bisherige Landesarchivar, Herr Samet, mich in seinem Lokal zuließ; mir aber einen Schlüssel zu übergeben, war er nicht geneigt.

Der Minister Graf von Montgelas bezeigte mir seine Zufriedenheit, mich nun in München zu haben. Er erkundigte sich nach meinen Freuden- und Vergnügungsplänen und stellte mich seiner Gemahlin vor, einer schönen, geistreichen Frau, die in gleicher Art mich zum Genuß der Münchner Freuden aufrief. Als ich, fast etwas kläglich, die Materie von meinem ganz unbestimmten Geschäftsverhältnis gegen den Minister erwähnen wollte, hieß es: Ah, Monsieur, laissez ça; ça se fera, und dann kam man wieder auf lustige Geschichten und Schwänke, wozu ich dann am Ende auch mein Kontingent stellte. Wenige Tage darauf wurde ich zur Tafel des Ministers gebeten; und da hatte auch wieder nicht ein Sonnenstäubchen von meiner Angelegenheit durch den Mischmasch aller andern Konversationen dringen können. Ich suchte nun dem Chef des Ministerialbureaus, Herrn Geheimen Legationsrat Ringel, den Hof zu machen, um durch diesen vielleicht zur Lösung der Rätsel meines Lebens zu gelangen. Es war dieser ein Pfälzer, früher Privatsekretär des Ministers, dessen Hauptbestimmung war, die Portefeuilles vom Minister zum König und vom König wieder dem Minister zurückzuliefern, mehrfache Dinge gleich mündlich auszurichten und dabei die eigene Privatkorrespondenz des Königs zu besorgen, Audienzen oder Bescheide der Bittsteller zu vermitteln, die Kanzlei zu leiten und die Abfertigung der Kuriere, sowie die Annahme der Depeschen zu besorgen. Der Minister selbst war zu bequem, als daß er alle Morgen schon um sechs Uhr sich persönlich beim König, das war seine Zeit, zur Unterschreibparade hätte stellen mögen, und doch zu argwöhnisch, um andere Ministerialchefs oder geheime Referendäre dazwischentreten zu lassen, und so entstand denn die Mittelsstelle des Ministerialprivatsekretärs, von dem man eine bedenkliche selbständige Einmischung nicht glaubte befürchten zu dürfen, und der vielmehr den König selbst unter eine ersprießliche Ministerialaufsicht stellen sollte. In solcher Art konnte sich der Minister begnügen, den König alle Donnerstage, wo er ein für allemal zur Tafel geladen war, zu sehen, oder dem König es zu überlassen, in außerordentlichen Fällen sich selbst in das Hotel des Ministers oder auf seinen Landsitz in Bogenhausen zu begeben. Inzwischen war doch dem Einfluß des Herrn Ringel dadurch ein bedeutendes Ziel gesetzt, daß der Minister, welcher alle mündlichen Vorträge der geheimen Referendäre so viel als möglich vermied, sich alles nur von seinem Generalsekretär vorlegen, im Grund aber vortragen, abändern und zurückgeben ließ, so daß die wichtigsten Sachen Herrn Ringel meist dann erst vor die Augen kamen, wenn sie bereits beschlossen waren.

Herr Ringel nahm es als Zeichen eines guten Verstandes an, daß ich den Weg so bald und richtig zu ihm gefunden. Er versicherte mir mit Worten, daß er gar nichts tun könne, als alles dem Minister vorzulegen: sein freundliches Belächeln dieser Phrase und seine wehklagende Geschäftigkeit trugen mir stillschweigende Verzeihung an, wenn ich diesen eingelernten Redensarten keinen Glauben schenken wollte. Er erklärte sich bereit, mir in meinen Angelegenheiten mit Ratschlägen und Nachrichten zu dienen, machte mir, was sonst nicht seine Gewohnheit war, einen Gegenbesuch und erbot sich, mir beim König eine Audienz zu bewirken.

Diese fand denn auch in den nächsten Tagen statt, früh um sechs Uhr, in den königlichen Zimmern, die sich drei Treppen hoch unterm Dach befanden, indem die eigentliche königliche Wohnung zum Teil von der Königin eingenommen, zum Teil für die damals von allen Enden herreisenden Kaiser und Könige aufbewahrt wurde. Im Vorzimmer befand sich, in Ermangelung des diensttuenden Kammerherrn, der erst später herbeikam, ein großer Affe, der mich ziemlich geringschätzend anblickte, und dann eifrig in seinem Geschäft des Flöhsuchens fortfuhr. Diese Frühstunde war es, wo der bereits angekleidete König sein Frühstück nahm, das er mit einem großen Löwenhund teilte, hierauf von Herrn Ringel sich die Ausfertigungen zur Unterschrift vorlegen ließ, geringere zeremonielose Audienzen gab, hierauf vom Staatskassierer sein Taschengeld, täglich 1000 Gulden, in Empfang nahm, und vom Polizeidirektor die Geschichte des Tags und die Abenteuer der Nacht erfuhr. Dann ging es umher in den Gängen, im Stalle, auf der Schranne (dem Markt), wo die Höflinge Schwänke mit Bauern und Dirnen aufzuführen suchten.

Nach der Wiederkehr ins Schloß erfolgten militärische Rapporte und Aufwartungen und die schamlosesten Anbetteleien von allen Ständen, schriftlich und mündlich, so daß die 1000 Gulden täglich meist schon in den Vormittagsstunden aufgeflogen waren; hierauf Besuch bei der Königin, die vor zehn Uhr nicht vom Bette erstand, dann bei den königlichen Töchtern, sodann diplomatische Vorstellungen und Empfang fremder Herrschaften, und endlich ging's zur Tafel, welche aus Mangel an Aufsicht sehr schlecht bestellt war. Man tat sehr ängstlich wegen heiterer Unterhaltung bis zur Theaterzeit oder dem Hofkonzert, griff auch an andern Tagen zur Karte; um zehn Uhr eilte der König zu Bette. Da der König nicht las und keine besondere Liebhaberei für irgend einen Zweig der Künste oder Wissenschaften hegte, so wenig als für Jagd und Reiterei, dabei auch kein Schwelger oder Trinker war, so blieb es eine schwere Aufgabe für die Höflinge, den Tag mit Spazierengehen, Liebeleien, verkappten Hofnarren, Stadthistorien und Kleinigkeitskrämereien aller Art auszufüllen. Aus solcher Geschäftslosigkeit des Königs gingen dann auch viele üble Launen hervor, besonders wenn irgend etwas sich seinen schnellen Wünschen entgegenzustemmen schien. War er einmal gegen gewisse Personen, besonders wider Geschäftsleute, durch die Einblasungen seiner Umgebung eingenommen, so brach er nicht selten in Drohungen aus, diesen ...kerlen 25 Prügel aufzählen zu lassen, welches zwar nicht stattfand, jedoch zur heftigen Kränkung der armen Beleidigten von den Höflingen überall schadenfroh ausgebreitet wurde. Auf diese Art galten Sr. Majestät der Staatsrat von Hazzi, der berühmte Advokat von Ehrne, in der Folge auch ich, überhaupt jeder, der sich etwas keck und selbständig darstellte, wenigstens als ...kerl. Überhaupt war in dem König eine gewisse Anlage zur Strenge nicht zu mißkennen, der es nur an Ausdauer fehlte, und die sich nicht selten in gewaltsamen Ausbrüchen äußerte. Gleichsam als besonderer Ehrenpunkt galt es, daß die Hofdamen und Kammerzofen, wenn sie schwanger wurden, was sozusagen unter die gewöhnlichen Zufälle gehörte, sich unter den höchsten Schutz flüchteten, wofür sie dann 60 000 Gulden Ausstattung aus der Schuldentilgungskasse und einen Gardeoffizier zum Gemahl erhielten. Die Leitung der Staatsangelegenheiten war unter solchen Umständen ausschließlich dem Grafen Montgelas überlassen. Der Neigung, sich je zuweilen in die Besetzung großer Staatsämter einzumischen, begegnete der Minister in der Art, daß er dem König alsbald mündlich dazu jemand vorschlug, von dem er wußte, daß er dem König über alles zuwider war. Indem nun der König sich mit allen Verwünschungen und Beteuerungen dagegen erklärte, rückte der Minister mit einem neuen nicht minder mißfälligen Bewerber hervor, und endlich, nachdem auch dieser verworfen war, und gleichsam nach langem Besinnen, mit seinem eigenen Kandidaten, an dem aber der Minister selbst tausend Einwürfe und Ausstellungen machte; dann rief der König, froh, die anderen Schreckensmänner abgewiesen zu haben, gewöhnlich triumphierend aus: »Nein! Nein! den will Ich gerade haben,« und »Sie werden nun meinen Befehl zu vollziehen wissen.« An der Tafel rühmte er sich dann: »Heute bin ich dem Patron, dem Montgelas, wieder recht durch den Sinn gefahren. Der hat mir zwei saubere Burschen einschwärzen wollen, aber ich habe ihn schon von weitem schleichen sehen, und habe meinen Kopf aufgesetzt.«

Der Graf Montgelas, von den günstigsten Umständen bei seinem Emporkommen geleitet, war anfänglich Privatsekretär des Zweibrücker Prinzen, dann dessen Ratgeber und Gefährte bei allem Mangel und Unglück, und stieg endlich beim Sonnenschein zur Zeit des plötzlich seinem Herrn angefallenen Kurfürstentums ohne Schwierigkeit zum Posten eines allgewaltigen Ministers empor. Wirklich hätte auch das Glück dem Könige nicht leicht einen verständigern und ergebenern Diener zuführen können. Er war ein Mann, wie ich mir einen Mazarin oder Richelieu denke. Seinen Plänen, seinen Unterhandlungen, seinem richtigen Ergreifen des Augenblicks hat Baiern seine Erhebung zu einer größern selbständigen Macht, und selbst den äußerlichen Schmuck einer königlichen Krone zu verdanken. Sein Geschlecht stammt zwar ursprünglich aus Savoyen ab; doch war schon sein Vater in Diensten Kaiser Karls VII. und zuletzt baierischer General. Der Sohn studierte zu Straßburg Geschichte und Staatsrecht unter dem berühmten Koch. Seine Bildung und sein ganzes Äußere war altfranzösisch. Ein stark gepuderter Kopf, hell von Verstande sprühende Augen, eine lange hervorstehende krumme Nase, ein großer etwas spöttischer Mund, gaben ihm ein mephistophelisches Ansehen, obgleich die kurzen Beinkleider und die galamäßigen weißseidenen Strümpfe, anders erschien er nie, keinen Pferdefuß zu verstecken hatten. Kein Feind der sinnlichen Freuden und Genüsse, liebte er auch die Scherze und Gespräche der Tafel, weshalb er auch immer seine Gäste mit aus dem Künstler- und Gelehrtenstande wählte.

Der baierischen Geschichte widmete er eine besondere Aufmerksamkeit, obwohl er sie im ganzen für unerfreulich, und überhaupt München – ich gebrauche seinen eigenen Ausdruck – noch für eine sehr rohe Stadt hielt. Im Arbeiten wußte er ein Maß zu finden, haßte das pedantische Treiben und behandelte das Ministerium des Innern und der Finanzen, wo er, aufrichtig gesagt, nicht viel leistete, zu diplomatisch, das ist, er pausierte, lauerte und schlich auch hier und ließ darin den lieben Gott zu viel walten. Für Audienzen und Sollizitationen war er nicht allezeit gut zu erwischen, im ganzen aber für die Staatsdiener mild und nachsehend, oft bis ins Weite. In bezug auf den Unterschied der Stände und der Vorrechte des Adels, das ist des hohen Adels (den papierenen, wenigstens den nicht begüterten, zog er gar nicht in Betracht), waren seine Ansichten nicht unbefangen, doch verschloß er nirgends die Wege unbedingt, wie die unter seiner Verwaltung bekanntgewordenen Namen Cetto, de Bray, Giese und Stichaner beweisen. Der König aber, wenn er solche große Erhebungspatente Bürgerlicher unterzeichnen sollte, pflegte oft mißmutig auszurufen: »Warum muß es denn schon wieder so ein Abenteurer sein?« Ergötzend war es, wenn der Graf Montgelas sich in seiner dreifachen Eigenschaft, als Minister des Äußern, des Innern und der Finanzen so rein individualisiert anschaute, daß er nicht selten, bei der Tafel besonders, über die Verordnungen des Finanzministeriums loszog, und seine Gäste befragte, ob sie darin eine Spur von Menschenverstand fänden? wobei es denn freilich das sicherste Spiel war, Sr. Exzellenz, die sich doch unfehlbar auch ihrer Eigenschaft eines Finanzministers hätte entsinnen können, das Widerpart zu halten.

Mir selbst blieb am Ende nichts übrig, als mir vorerst ein Reichsarchiv, dessen Direktor ich sein könnte, zu erobern und die Pläne nebst Instruktion für mich selbst, und Vorschläge zu den weiteren neuen Anstellungen zu entwerfen und sie dem Minister zur Genehmigung vorzulegen, der aber aus Scheu, eine Arbeit von solchem Umfange einzusehen, und etwas Festes zu beschließen, die Sache von einer Woche zur andern schob. Jede dringende Mahnstimme von meiner Seite wurde von ihm mit einer Einladung zu Tische abgeschlagen, und endlich die Sache, um ihrer los zu werden, an den Staatsrat abgegeben, wohin sie gar nicht gehörte. Betrieb ich nun da die Sache, so hieß es, mein Plan müsse erst lithographiert und dann allen Mitgliedern des Staatsrats ins Haus geschickt werden; der Direktor der lithographischen Anstalt aber entschuldigte sich: er hätte so viele Sachen für den Staatsrat zu lithographieren, daß an die meinige vor zwei oder drei Jahren nicht zu denken sei. Schöne Aussicht und herrlicher Geschäftsgang! Ich erbot mich freilich, auf eigene Kosten so viele Abschriften meines Berichtes fertigen zu lassen, als Staatsratsexzellenzen seien, aber da hieß es: Ei, bei Leib, das gehe nicht an, die Herren seien nun einmal gewohnt, keine anderen als lithographische Schriften zu lesen.

Unterdessen benutzte ich doch die Zeit, mich mit allen einzelnen Fächern des Landesarchivs, welches der Zentralpunkt meines künftigen Reichsarchivs werden sollte, und mit der speziellsten Topographie von Baiern bekanntzumachen, mir eine umfassende Geschichtsliteratur zu verschaffen, und vorläufig jetzt schon allen besonderen Bestandteilen der baierischen Monarchie nachzuspüren.

Der Minister, um mich einigermaßen in der Geduld zu halten, ließ mich in die Akademie der Wissenschaften aufnehmen. Die Akademie schickte mir ihr Patent als außerordentliches Mitglied unterm 24. Mai 1811 zu. Da ich aber nicht wußte, warum ich nicht ebensogut als andere, namentlich der Staatsarchivar von Pallhausen, ein ordentliches Mitglied sein sollte, so nahm ich keine Notiz von dieser Ernennung und erhielt hierauf unterm 20. Juni 1811 die Einladung als ordentliches: allein ein eigner böser Stern schien zu drohen, daß ich auch diesesmal nicht in diesen Hafen des Glücks würde einlaufen können. Längst schon hatte ich mich nach dem berühmten Lustspiel: der Prinz Schnudi und die Prinzessin Eva Kathel gesehnt. Endlich kam der glückselige Tag herbei, da es gegeben werden sollte, aber es war unglücklicherweise derselbe, an dem meine Einführung in die heiligen Hallen der Akademie festgesetzt war. Ich kämpfte lange – aber endlich, es war umsonst, mein Herz entschied für den Prinzen Schnudi. Es war mir ein sehr angenehmer Gedanke, die gelehrten Herren, wenn sie auf diese Weise heute doch nichts Besseres wissen würden, vielleicht auch bei dem Prinzen Schnudi zu treffen; aber ich irrte mich in ihnen, wie fast immer; sie stellten, Gott sei bei uns, eine Untersuchung über die Teufelsmauer an und über das alte Haferfeld, auf dem jetzt die Akademie der Wissenschaften ihren Palast hat. Eine echte Liebe fand schon von jetzt an zwischen uns nicht mehr statt.

Nur ein einzig Mal übernahm ich zum Namenstage des Königs im Jahre 1815 die herkömmliche akademische Rede, durch Vorlesung eines Bruchstückes einer baierischen Handelsgeschichte aus der Zeit Ludwigs des Strengen, die nachher auch in mehreren ausländischen Journalen in Wien und Riga nachgedruckt wurde, und worüber selbst der kaiserlich russische Staatskanzler, Graf Rosumovsky, einige Erläuterungen über den Breslauer Karawanenhandel nach Rußland abverlangen ließ. –

Ich dankte jedoch dem Himmel, daß es in München auch noch andere Herzen gab, besonders unter den Weibern, welche geneigter waren, dem Mutwillen und Leichtsinne zu verzeihen. Ich brachte es in kürzester Frist bis zu einer gleichzeitigen Quadrupelallianz, mit einer Gräfin, einer Französin, einer Komödiantin und einer Jüdin, die aber, nach dem gewohnten Schicksale der Allianzen, sich auch wieder auflöste, da meistens ein Teil zu gefährliche und herrschsüchtige Absichten verriet, und der andere nicht richtig und reichlich genug seine Subsidien stellen wollte. Die Französin sagt jetzt meinem Andenken noch am meisten zu. Durch ein paar im Grunde unbedeutende Geschenke an die Schauspielerin erschien ich bei der ganzen Gesellschaft im Strahlenglanze eines Schutzgottes der Künste. Man hielt mich bei der Kasse fest, sorgte für vorzügliche Plätze für mich, und bot mir Teilnahme an der eigenen Loge an. Aber nur zu bald verscherzte mein Geiz dieses große und vielfache Glück. Den meisten Schreck jagte mir die Jüdin ein, die Frau eines Würzburger Handelsmannes, als sie mir beim Heimweg vom Theater mit der größten Heftigkeit erklärte, sie kehre nie, durchaus nie mehr zu ihrem Mann ins Gasthaus zurück, sie könne und wolle ohne mich nicht mehr leben, und ich sollte sie jetzt nur ohne Weiteres mit in meine Wohnung nehmen. Ich brachte sie mit schönen Worten noch vor die rechte Tür und zur Rückkehr zu ihrem Manne nach Würzburg.

Das schönste in meiner Lage war, daß, wenn ich auf die Kasse nach meiner Besoldung schickte, ich jederzeit nur den Bescheid erhielt, man solle in 14 Tagen wieder anfragen. Die Wirtschaft war die elendeste; zu Hunderten standen die Leute in einer Reihe gestellt, um zur Kasse eingelassen zu werden; Gendarmen und Grenadiere hatten nur zu tun, um das gewaltsame Hineindrängen zu verhüten. Gleichsam nur als Armenrecht erhielten vielleicht unter Hunderten nicht zehn manchmal ein paar Gulden auf Abschlag. Was sonst übrig war, verschlang täglich die Haushaltung des Hofs, das Militär und der wucherische Judenwechsel. Wer glücklich war, erlangte Tratten, das ist Anweisungen oder Wechsel auf die Kasse selbst ausgestellt, wozu hernach noch ein zweites Glück gehörte, daß Wucherer oder Juden diese Anweisungen zu 50 oder 60 Prozent Verlust auslösten.

Die alltäglich bestürmte und belagerte Kasse war am Ende in einer solchen Konfusion, daß man gar nicht wußte, an wen man solche Tratten ausgestellt, oder was darauf bar oder in Abrechnung wieder abbezahlt war. Manche verschmitzte Burschen erlangten ihre Befriedigung anfangs in lauter Abschlagszahlungen, und weil man diese nicht gehörig in der Hauptrechnung vorgemerkt, endlich das ganze nocheinmal in der Hauptsumme. – Der Staat nahm Geld auf zu 30 Prozent Abzug, und remittierte dann diese Papiere, welche nun im Umlauf abermals 30 Prozent wenigstens verloren. Daher erschienen auch Karikaturen, worin der wohlerkenntliche Geheime Rat von K... den Juden und Wucherern, die ihm ihre Geldsäcke zu berüchtigten Lottoanlehen darbrachten, die Antwort erteilte: »Nein! 90 Prozent ist für eine Anleihe nicht zu viel, macht man ein Lotto daraus, wird wieder die Hälfte am Kapital gewonnen.« Kurz, Ruder und Segel waren in den Finanzen verloren, und das an der jüdischen Küste gestrandete Schiff einer völligen Plünderung preisgegeben. Die Gesandten und das ganze auswärtige Ministerium, nur ich nicht mehr, als Neuangestellter, erhielten ihre Besoldung unverkürzt und auf den Tag aus den Händen der dankbaren Judenschaft durch Herrn Bankier Seligmann, der dem König dafür wieder Spesen und Provision aufrechnete. Der König, außer den 1000 Gulden bar, die ihm täglich früh um sechs Uhr der Generalkassierer überbringen mußte, stellte außerdem noch eine Menge Wechsel aus auf Herrn Seligmann, auf die Schuldentilgungskasse, auf die Lottokasse und auf die Kriegsökonomiekasse. Er wurde aufs äußerste erbittert gegen jede Maßregel der Sparsamkeit oder einer Kontrolle, in der Meinung, man wolle ihm allen persönlichen Genuß verpönen. Beim Frühstück genoß der König ein weißes Brötchen und reichte davon einiges seinem Lieblingspudel hin. Für dieses Brötchen berechnete man täglich fünf Gulden. Als nun der Oberrechenkammer diese Ausrechnung befremdend vorkam, und sie glaubte, daß schon mit einem halben Gulden ein so unbedeutendes Bedürfnis gedeckt werden könnte, so brachte die Dienerschaft dem König das nächste Frühstück nur mit einem halben Brötchen, und erwiderte dem erstaunt fragenden König mit Achselzucken: die Oberrechenkammer hätte befunden, daß Se. Majestät sich künftig mit einem halben Brötchen begnügen könnte, worauf der König in einen solchen Zorn geriet, daß er sich im Augenblick, dem Rechnungshofe zum Trotz, bei allen Bäckern in der Nähe für 25 Gulden weiße Brötchen herbeiholen ließ, welche dann der Hund und die höhnische Dienerschaft verzehrten. Die Hofküche berechnete täglich für Rindfleisch eine so übermäßige Summe, daß jedes Pfund auf 30 Kreuzer zu stehen kam. Als nun auch hierin der Rechnungshof ein Maß einführen wollte und sich deshalb an den Hofbeamten wandte, lief dieser in seiner Bosheit zum König, angeblich, Befehl zu holen, was er dem Rechnungshof antworten solle. Der Bescheid war, er solle diesen Burschen schreiben, sie möchten ihn – – (eine gewöhnliche. baierische Einladung). Für Kaffee wurden täglich 60 Pfund berechnet. Unter dem Titel der Apothekerfreiheit ließen sich alle Hofdiener und Angestellte der Ministerien ihren jährlichen Bedarf an Zucker und Kaffee und nach Belieben die größten Körbe von Punsch und kostbaren Weinen holen. Nach dem Landhause eines Hofbeamten gingen täglich aus der Hofküche ganze Wagen mit Wildbret, mit Fleisch, Zuckerhüten, Kaffeefässern und Weinkörben ab, was dem König, wenn er solchen Transporten begegnete, nichts als lustige Bemerkungen über diese Aufräumungsweise entlockte.

Die Schulden der Komödianten, der Tänzer, des Sängers Bricci, von mehr als 20 000 Gulden, und einer Menge anderer Personen wurden vom König bezahlt. Als der geheime Sekretär K., jetziger Staatsrat, gewohnt, unter dem Scheine kleiner Aufträge und Ausfertigungen dem Könige lustige und süße Geschichten vorzutragen, ein paarmal schwermütige Mienen machte und Seufzer ausstieß, fragte ihn der König, dessen ungewohnt: »Was ist denn dir, daß du tust, als ob dir die Hunde das Brot genommen?« worauf Herr K. erwiderte, es ginge ihm schlimm. – »Wie denn schlimm? was fehlt dir?« – »Ach, es drücken mich jetzt im Augenblick Schulden.« – »Schulden? Schulden? jetzt schaut an, hat der auch Schulden? Wieviel wird denn das etwa sein?« – »16 000 Gulden, Ew. Majestät.« – »Was? so ein Bettel? Geh hinauf zum Kaiser, dem Kabinettskassierer, und laß dir's zahlen.«

Endlich riß mir unter einem solchen Taumel der Tage und der Nächte und dem eisernen Schlummer meiner eigenen Angelegenheit doch die Geduld, und ich gab am 9. Juli 1811 bei dem Minister meine Erklärung ein: daß ich mich in solche Verhältnisse, wie ich sie in München getroffen, nicht zu finden vermöchte, auch mein Amt, das im Grund nur ein Amt dem Namen nach, ohne Instruktion, ohne Personal sei, wo durchaus nicht an einen reinen Genuß einer nützlichen Tätigkeit zu denken wäre, lieber aufgeben wollte, fest entschlossen, spätestens am 1. Oktober dieses, München wieder zu verlassen, ohne von der Zeit an irgend einen weitern Anspruch an eine Besoldung, die ohnedies nur auf dem Papier stehe, oder sonst an eine königliche Gnade zu machen.

Es schien nun fast, als hätte mir der Minister in der Provinz nicht recht getraut, und es daher sicherer gefunden, mich in dem Burgfrieden der Stadt München unter irgend einem Ehrenvorwande zu behalten, wo es mir übrigens an Genüssen und Freuden an seiner und anderen Tafeln nicht ermangeln sollte. Zur Sicherung gegen alle Neckereien und Verunglimpfungen ließ ich mir noch vom Herrn Landesarchivar Samet ein Zeugnis ausstellen, daß ich nicht das Allermindeste von Archivalien in meinen Händen zurückbehalten; und so fuhr ich am 1. Oktober (ich hatte seit dem 9. Juli bis dahin nicht die mindeste Antwort erhalten) mit schwer bepacktem Wagen richtig zum Tor hinaus. Ade!

Eines solchen Schrittes hatte es bedurft, um den Herrn Minister tätig zu machen. Ich war kaum in Erlangen angelangt, so ereilte mich sein Schreiben vom 5. Oktober, mit dem Verlangen, ich sollte zurückkommen, es wäre alles dem Könige meinen Wünschen gemäß zur Unterschrift vorgelegt. Sollte ich aber in meiner böslichen Flucht beharren wollen und lieber die Stelle eines Kreisdirektors wählen, so sollte mir auch diese gewährt sein. Ich lehnte unter Vorschlägen, wie mit meiner ersparten Besoldung das Archivwesen gleichwohl nützlich bestellt werden könnte, die Direktion desselben wiederholt ab, erklärte mich zur Annahme einer Kreisdirektorstelle bereit, noch lieber aber dazu, mit einer Pension von 1200 Gulden in Erlangen zu leben. So blieb ich nun ganz ohne Antwort, bis mir endlich zu Anfang des Monats März 1812 zu meinem Erstaunen ein ganzes Kistchen Geld zukam: es war meine volle seit zwei Jahren im Rückstand gebliebene Besoldung, um die ich mich weiter gar nicht mehr bekümmert hatte. In wenigen Tagen kam noch ein königliches Dekret vom 22. März, welches mich an die Stelle des verstorbenen Geheimen Rats von Krenner zum Sektionschef des auswärtigen Ministeriums, genannt Reichsheroldenamt, ernannte. Ein folgendes Dekret vom 15. April erklärte, daß mit dieser Stelle auch die Direktion des Reichsarchivs verbunden, meine Besoldung auf 4000 Gulden festgestellt und mir der Rang eines geheimen Referendars beigelegt sei.

Ich suchte mich nun ganz in die Tiefen der baierischen Geschichte zu versenken und darin nach einem festen Grunde zu forschen, indem ich erstens in der Gesamtmasse des jetzigen baierischen Staats den ursprünglichen Volksstamm der Baiern, die Alemannen und Franken, unterschied, zweitens den Umfang eines jeden Stammes und seiner Gaue aus den Grenzen der alten Bistümer und ihrer Kapitel entwickelte, und endlich zeigte, wie aus diesen Gauen und den Geschlechtern der Gaugrafen die späteren Territorien der erblichen Grafen und die weltlichen Gebiete der Geistlichen, nach deren Erlöschung aber das heutige Königreich Baiern entstanden sei.

Überall stellten sich mir in diesem neuen Grundlegen und Ausbauen die unterirdischen Sümpfe grundloser Fabeln und Legenden und das wüste Treiben einer kritiklosen, nachbetenden historischen Liebhaberei dar. Die Heiligkeit der historischen Fabeln sollte gleichsam als Vorwall und Schanze für alle übrigen Wunder- und Wallfahrtsgeschichten dienen, und bei den Jesuiten, welche sich die längste Zeit der baierischen Geschichte ausschließend bemächtigt, galt es als strenger Grundsatz: der menschliche Scharfsinn und Verstand dürfe sich bloß darin üben und versuchen in Dingen, welche die heiligen Väter bisher schon vorgetragen und gelehrt haben, niemals aber neue Gründe aufklären, um damit einmal angenommene Sätze umzustoßen. Bei jedem Schritt stellten sich mir, dem Ketzer, dem Ausländer, wie sie sagten, alte Mönche und Klosterbrüder entgegen. Das war alsbald der Fall mit einer kleinen Abhandlung, die ich unentgeltlich im Reichsarchiv austeilte: »Über die Fabel von des Grafen von Abensberg 30 Söhnen« (München, 1813). Man kann nichts Abgeschmackteres und Ungereimteres finden, als dieses Ammenmärchen, nach welchem König Heinrich II. jedem dieser Söhne eine baierische Grafschaft geschenkt haben soll, von welchen hernach alle spätern Dynastengeschlechter in Baiern ihren Ursprung genommen. Es war aber durchaus nötig, diese in Baiern allgemein geglaubte Albernheit zu bekämpfen. Kaum war das kleine Schriftchen ausgeflogen, so erschien dagegen: »Rede und Antwort wider und für das historische Dasein des Babo von Abensberg und seiner 30 Söhne« von Roman Zirngibl, einem Exbenediktiner von St. Emmeran in Regensburg (München 1814). Alles schrie, Priester, Komödianten, Publizisten und Romandichter, man schrie mich gleichfalls für einen historischen Vatermörder und verruchten Bilderstürmer aus.

Wahrscheinlich um München noch besser kennen zu lernen, wollte man mir eine baierische Schöne anhängen, ein reiches und junges Fräulein, Besitzerin des ansehnlichen Rittergutes bei Hohenkammer. Mit einem wackern Weiblein künftig auf dem Lande zu leben, ganz der Wirtschaft gewidmet, hätte mich fürs erste wohl angesprochen. Aber das war den Wünschen meiner Schönen entgegengesetzt, die einen Mann von Rang nur deswegen suchte, um unter seinem Namen und in seinem Wagen allen Gesellschaften und Vergnügungen der Stadt nachzujagen.

Überdies war mir auch ihre übermäßige Größe anstößig, zumal gegen mein vielbescheidenes Größenverhältnis, und dann mißfielen mir noch die vielen Besuche, die ein junger Tiroler, unter dem Vorwande eines Handschuhhandels, bei ihr und einigen anderen meiner Nachbarinnen, die ich durch das Fenster beobachten konnte, abstattete, da er stundenlang bei ihnen verweilte. Damals wenigstens gehörte es zu den eigenen Lüsten der Münchner Damen, hübsche, schlanke, blonde und theatralisch zugestutzte Tirolerbuben in ihren Schlafzimmern zu empfangen. Das Rittergut würde also durch mancherlei verdrießliche Gegengewichte aufgewogen worden sein. Die Dame heiratete nachher einen siebzig Jahre alten Grafen, der alsbald darauf verschied.

Nachher erfuhr ich, daß das sanfte Kind das Gesinde, das sie eigenhändig puffte und geißelte, fast wöchentlich wechsele und auf den Herrn Gemahl mit Pistol und Säbel anzurennen gewohnt gewesen sei. Vielleicht wäre mir das auch einmal begegnet, aber besser war's doch keinmal. Jetzt bot mir der neckende Rübezahl zum zweitenmal eines seiner Fräulein, ein ganz armes aber noch viel vornehmeres. Auch dieses abgelehnt zu haben, hat mir wichtige Feinde zugezogen, die später ihre stille Rache an mir zu nehmen nicht versäumten.

* * *

Jeder beinahe, der in Baiern zu einer Zivil- oder Militärstelle vorgedrungen war, maßte sich für sich und seine Nachkommen einen adeligen Stand und Namen selbst im höhern Grade, und nicht allein für seine Person, sondern für Kind und Kindeskinder an. Überdem war das Reichsvikariat, das von Zeit zu Zeit an die Kurfürsten von Pfalzbaiern gelangte, eine reiche Quelle von Grafen- und Freiherrnbriefen, die man um ein Spottgeld empfing; gemeinere oder niedere Adelsbriefe konnte man am Schlusse des Vikariats beinahe umsonst, fast wie bloße Visitenkarten erhalten. Es lag darin allerdings ein großer Unfug, um so mehr, als auch aus den allerleersten Titeln am Ende immer Anmaßungen entstehen und der Adel in den baierischen Gesetzen einige ganz besondere Vorzugsrechte gewährte, welche der übrigen Gesellschaft desto beschwerlicher und empfindlicher fallen mußten, jemehr sich die Anzahl der Prätendenten durch unbefugte Usurpation vermehrte, welche außerdem das landesherrliche Vorrecht der Adelsverleihung ganz in Hintergrund stellte.

Zu diesem Behufe wurde das Reichsheroldenamt, nach dem Muster des Bureau des Titres in Frankreich, errichtet, um überall die Erwerbstitel des Adels, oder seine anderen gültigen Beweise zu prüfen, und keinen andern Adel und Adelsgrad anzuerkennen, als worüber das Haupt der Familie vom Reichsheroldenamt einen Attest gelöst, und darauf die öffentliche Ausschreibung im Regierungsblatt erhalten. Die Atteste kosteten bei den unteren Adelsklassen ein für allemal 15 Gulden, bei den Freiherren 50 Gulden, bei den Grafen 100 Gulden, den Fürsten, wenn ich nicht irre, 300 Gulden. Dagegen wurde der ganze Stamm, vom Erwerber angefangen, mit abschriftlicher Beilage der Erwerbsurkunde, der Abstammungsatteste und der gezeichneten Wappen, in die angelegte staatliche Adelsmatrikel, gleichsam das goldene venezianische Buch, eingetragen, worauf die Familie auch in künftigen Fällen ihres eigenen Urkundenverlustes und bei allen erforderlichen Adelsproben zurückgreifen konnte. Gleichwohl erregte diese, zur selben Zeit auch im Königreiche Westfalen, aber unter weit brennenderen Taxen, und jetzt zum Teil auch in Preußen und Hannover gehandhabte Prozedur ein jämmerliches Schreien unter Groß und Klein. Unter den Großen, weil sie diese vermeintliche Torschreibersanfrage verdroß, und der Ursprung ihres Adels, wenn man sie hörte, gar nicht mehr zu ergründen, auf alle Fälle immer schon so alt sei als das Geschlecht des regierenden Hauses. Meistens befand sich aber die Sache nicht also, am allerwenigsten mit den angesprochenen Titeln der Freiherren oder Barone, wo die meisten Geschlechter, welche nur die Alternative vor sich sahen, entweder den unerweislichen Baronstitel aufzugeben, oder ihn von neuem im Wege der Gnade zu lösen, mit ihren meistens gar jungen Diplomen hervorrückten.

Man darf für unsere Lande sicher annehmen, daß, wo ein höherer Titel als Freiherr begründet sein soll, er schlechterdings aus einer Verleihung der neueren Jahrhunderte hervorgegangen sein muß. Die wenigen Freiherren einer älteren Zeit, wie z. B. die Lippe, die Schwarzenberg, haben ihren Platz unter dem reichsständischen hohen Adel behauptet oder genommen. Noch ein größerer Jammer ertönte aus den Hütten derjenigen, welche nicht einmal den untersten Grad ihres angesprochenen Adels mit irgend etwas erweisen konnten, als allenfalls mit Schneiderrechnungen (dazu noch unquittierten), worauf geschrieben stand: Für Seine Hochfreiherrliche Gnaden die alten Kleider ausgebessert, wie folgt usw. Der bekannte Volksdeputierte von Hornthal wollte seinen Adel nachweisen durch die Adresse eines aus dem Kabinett erhaltenen königlichen Schreibens; wieder andere durch Namensvettern, von denen sie doch keine Abkömmlinge waren. Auf diesem Wege sind denn an hundert Familien gänzlich zurückgewiesen, andere aus Gnade zugelassen worden, sich ein ausdrückliches königliches Diplom gegen Erlegung der vollen Taxe geben zu lassen. Die sämtlichen Gebühren für diese Immatrikulation des schon bestandenen Adels (nicht die Verleihung eines ganz neuen Adels oder Adelsgrades) mögen sich während meiner Amtszeit etwa auf 30 000 Gulden belaufen haben. Davon flossen 15 000 Gulden in die geheime Dispositionskasse des Königs, die anderen 15 000 Gulden kamen allmählich zur Verteilung unter das Personal des Ministeriums und davon nach und nach 5000 Gulden unter der Bezeichnung »fürs Reichsheroldenamt« in meine Hände, die ich aber, weil ich nie gewußt hätte, wie ich sie zwischen mir selber und den übrigen Gliedern des Heroldenamts ohne scheelsüchtige Bemerkungen hätte ausscheiden können, ganz und gar meinem Personale: dem Reichsherolde, den Sekretären, Wappenmalern und Boten überließ. Dennoch schrie hin und wieder der Adel, besonders der sonst sehr ehrenwerte und biedere alte Truchseß auf seiner Bettenburg in Franken, der Minister hätte mir als einem Günstling den Adel zu dieser neuen Art von Finanzerpressung preisgegeben, wodurch ich mir ein unermeßliches Vermögen erworben!

Es kamen beim Reichsheroldenamte oft seltsame Prätensionen zur Sprache, denen man den frommen Glauben nicht ohne Gefahr eines großen Verdrusses versagen konnte. So z. B. wollten die Esterhazy unmittelbar von Attila, und noch weit über diesen vom Patriarchen Henoch, die Arco von den längst erloschenen Grafen von Bogen, die Spiering von den Herzögen von Cleve, die Ruffini vom römischen Diktator Publius Cornelius Ruffinus, die Widmer vom gotischen Königsgeschlechte, die Aretine von den Königen von Armenien abstammen. Die alten Hofdamen hätten mir die Augen auskratzen mögen, weil man ihre Taufscheine abverlangte. Eine Gräfin Taxis war so heldenmütig, lieber auf alle Immatrikulationen zu verzichten, als dieses Geheimnis zu verraten; andere ließen's mir nur durch den Beichtvater zukommen, andere verlangten förmliche Eidschwüre von mir.

Ich erlangte ein Privilegium über ein zu druckendes Adelsbuch, das mir allerdings ein kleines Kapitälchen eintrug. Manche eingewebte spaßhafte Züge wurden mir von den Familien meistens übelgenommen, gehörten wohl auch nicht an diesen Ort; ich war jedoch nicht der rechte Mann, solche Sachen zu verbeißen. Zieht man sich aber übrigens aus diesem Adelsbuch ein Bild, aus welchen verschiedenen Bestandteilen der baierische Adel zusammengeknetet ist, so kann man sich des Lächelns nicht enthalten, wenn man auch in Baiern die alte Schulfuchserbehauptung aufstellen will, der Adel sei die Stütze des Thrones, das höchste Ehrenamt der Staatsverfassung und das überwiegende Prinzip der Repräsentation.

Der Minister selbst verachtete alles kleinere Gewürm dieses Adels und schenkte seine Vorliebe nur den auf reichen Fideikommissen und Herrschaftsgerichten ausgespreizten Löwen, Panthern und Leoparden, und dann noch einige persönliche Gunst dem bunten Federspiel, das man Ritter nannte. Sein Plan war, daß, wie etwa in England, nur ein einziger Adel des großen Grundbesitzes, allein durch die ältesten Söhne forterbend, und dann noch ein persönlicher Ritteradel, der bei bedeutendem Grund- oder Geldbesitz auf einen Sohn übertragen werden könne, bestehen sollte. Ein armer und bettelhafter Adel sei dem Lande zur größten Last, und gerade derjenige, der als der zudringlichste und hungrigste sich den besseren Talenten vordrängen wollte. Daher war er auch für eine neue Adelsverleihung, wofür nicht der reelle Besitz eines Rittergutes oder eines Kapitalvermögens von wenigstens 30 000 Gulden sprach, nicht leicht zu gewinnen, ebensowenig als zu einem Nachlasse der Taxen. Der Adel sei ein Luxus, in den meisten Fällen nicht notwendig; wem's also doch hiernach gelüste, der solle bezahlen. Und zwar war die Taxe für die unteren 700 Gulden, für einen Freiherrntitel (wenn man den adeligen vorher schon hatte, sonst wurden auch diese Gebühren nachgeholt) 2500 Gulden, für einen Grafenbrief, wofern man schon Baron war, 5000 Gulden und einen Fürstentitel 12 000 Gulden. Bei solchen großen Summen wurden jedoch auch Versuche zum Abhandeln gemacht. Die Hälfte solcher Taxen verfiel dem Könige unmittelbar zur Disposition. Von der andern Hälfte bezog das erste Drittel der Minister, das zweite Drittel ich, Herr von Ringel und der Generalsekretär des Departements zu gleichen Teilen, das letzte Drittel aber das Unterpersonal der geheimen Kanzlei und des Reichsheroldenamts. Ich mag mir wohl auf diese Art ein paar tausend Gulden erworben haben.


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