Elisabeth Langgässer
Proserpina
Elisabeth Langgässer

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Die Mutter konnte das Kind nicht nähren, und es verschmähte die Milch der guten Jo – aber die es blühen sahen wie eine schlummernde Wolke, die von dem aufgehenden Morgenlicht gerötet wird, fragten sich, ob denn Genien es nachts auf den Knieen hätten und ihm das himmlische Horn huldvoll zu trinken gaben.

Denn das Haus stand an der Römerstraße, und der uralte Boden teilte noch immer die Geschenke der Vorzeit aus, wenn der Landmann mit dem Pfluge darüberging, und weckte viele Erinnerungen. Man stieß den Spaten in den Schlaf der Legionäre und hob Schild und Harnisch, aber auch die Mischgefäße der Freude, Schale und Krug, an der geschweiften Hüfte empor, reinigte sie von der anhaftenden Erde und verbarg wohl manches Stück in der eigenen Truhe. So gingen diese Schätze aus Dunkel in Dunkel, und es wurde von ihnen wie von gegenwärtigen Göttern geredet.

Ach, wohl ist jede Kinderspeise ein irdisches Ambrosia, und jene Mischung aus Milch und Honig, die von allen mit Entzücken genossen wird, 6 hat schon Ceres ihrem Schätzchen bereitet, doch die kleine Proserpina, von der hier berichtet werden soll, empfing weder dies noch die Gabe gefälliger Penaten, sondern trank sich an wolkigen Brüsten, aus denen unaufhörlich ein glühendes Fieber strömte, immer tiefer der Unterwelt zu.

Nun begriffen zwar, die ihre Jugend hüteten, den Purpur der Wangenhöhe und den achatfarbenen Glanz ihrer Augäpfel, aber die Ursache der stillen und gegen Abend ansteigenden Feuer konnte niemand ergründen.

Schon im zweiten Lebensjahr gab man das Kind verloren; nach weiteren fünf war es gerettet. Vielleicht erwachte es eines Morgens an dem Gezwitscher der Vögel und lag reglos vor Schwäche und Seligkeit, aber es mag auch so gewesen sein, daß eines Abends ein linder Schweiß sich löste, und die vertrauten Gestalten des Hades – rauchende und hochgeflügelte Fackeln – blieben aus.

Täglich waren sie gekommen, von den dumpfen Wirbeln des Blutes vorherverkündigt, und hatten das Kind ermattet, aber über einen hellen und wie mit Tau besprengten Kreis vermochten sie nicht vorzudringen, sondern brannten sich düster schwelend an ihm nieder.

Oft dachte die Herangewachsene nach, ob dies das geweihte Wasser der ersten Tage gewesen sei, das im Namen des orphischen Freiers die kleine 7 Todesbraut übersilbert und wiedergeboren hatte – aber da sie sich billigerweise sagen mußte, daß es ebensowohl die frischen Kräfte der Natur gewesen sein konnten, die ihr Bereich voll Mut verteidigt hatten, stand sie bald wieder seufzend von dieser Frage ab.

Niemals jedoch versäumte sie es, sich der lieblichen Erscheinung zu erinnern, welche mit großer Regelmäßigkeit das Verlöschen des Fiebers und den Heraufzug der Morgendämmerung anzeigte: Wenn nämlich die feuertragenden Eroten wie die kämpfende Flamme, deren Wachs schon abgeschmolzen ist, sich noch einmal reckten und die Löwen, die in dem Fenstervorhang eingewebt waren, mit geöffnetem Rachen in die Höhe sprangen – da, in diesem schrecklichen Augenblick, öffnete sich, nicht anders wie vom Wind bewegt, die Tür, und es traten zwei kleine Knaben herein, die sich an den Händen hielten.

Sie waren blond, von gleicher Größe und Bildung des Körpers und der Gesichtszüge, mit freundlichem Ausdruck, aber in alter römischer Tracht. Wenn sie lächelten, schob sich ihre Oberlippe leicht in den Winkeln zurück und ließ zwei scharfe, milchweiße Dolche sehen, denen eine winzige Lücke folgte, der sich die übrigen Zähne anschlossen; ihr nackter Hals war säulenförmig rund, die Brust von einem Panzer umschlossen, und über 8 der Beinschiene spielte die feste, glänzende Kniescheibe.

Am Fußende des Lagers angekommen, ließen sie einander los und klatschten in die Hände, eine Bewegung, die – so oft sie sich auch wiederholte – stets etwas Gespenstiges hatte, da sie unhörbar blieb, worauf mit durchdringender Stimme ein ferner Hahn zu krähen begann.

Was nun folgte, läßt sich schwer beschreiben: Schneidende Helle, die ebensogut von der aufgehenden Sonne wie den durchdringend hohen Tönen des Tagverkünders herrühren konnte, erfüllte plötzlich das Zimmer und verzehrte die Dioskuren; das Krähen ging in einen unendlichen Wirbel von trillernden und rollenden Lauten über, und ungeheurer Jubel, Duft und Wolkentau senkten sich kühlend herab; kam dann die Mutter in der Dämmerung hinzu, so lag das Kind in ersten Schlaf gesunken.

Waren es Apollos Boten, die der Strahlende geschickt hatte, oder wiederholte sich der Kreislauf des Lebens mit jedem Tag ? Vielleicht ist hier kein Unterschied zu machen, denn auf gleiche Weise stellt sich ja auch die Sonne dar. Genug, daß die Herrschaft des Lichtes allmählich immer umfassender wurde und die Dunkelheit aufzusaugen begann – wennschon es nicht die Dunkelheit gewesen ist, die das Licht aus ihrem Schoß entlassen hat. 9

Doch je weiter das Kind genas und die scheue Stille des Krankenzimmers von den offenen Schauplätzen künftigen Lebens abgelöst wurde, desto inniger trauerte sein Herz um die Gestalten der Vorzeit und begann, sie in Schattenreichen zu suchen, wie jener Sänger einst Eurydike, ja, es fing an, ihnen einen Kult zu bereiten, der ebenso entsetzlich wie süß und kindisch war.

Es würden aber, die ihn gesehen hätten, schaudernd gesagt haben, dies sei der Kult des Pluto und der Proserpina . . . 10

 


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