Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Mitte Juli kehrten sie beide heim. Am Bahnhof erwarteten sie die Tante und der Onkel. Beide begrüßten Isidor besonders freundlich; Gräfin Thekla, weil sie die nie versagende Wohltätigkeitsquelle wieder auftauchen sah, der Hofmarschall, weil er nun endlich seines kontraktlich gesicherten Verlegers haftbar wurde. Auch hatte Isidor, ohne es zu wissen, einen Erfolg davongetragen: Prinz Lothar war sofort, nachdem der unglaubliche Toast dem Herzog bekannt geworden war, nach Berlin auf Turnanstalt geschickt worden, – eine Verbannung, die der Prinz mit Freudenausbrüchen begrüßt hatte; er bedauerte nur, wie er ostentativ versicherte, das eine, daß »Graf Cohn« nicht alle sechs Monate Hochzeit abhielt. Und der Hofmarschall, der unter der prinzlichen Kritik manchmal schwer hatte leiden müssen, war Isidor, dem unschuldigen Anlaß zu dessen Abkommandierung, innerlich dankbar.

Dora begrüßten sie kühl, sie war versorgt und hatte ihre Aufgabe erfüllt. Und seltsamerweise trugen sie beide, ohne sich darüber klar geworden zu sein oder es gar ausgesprochen zu haben, trotz ihrer Freundlichkeit zu Isidor selbst, ihr diese Heirat mit dem getauften Juden nach, die doch ihr eigenstes Werk war. Und für die Tante trat bei ihrem ersten Besuch im Heim der jungen Eheleute ein neuer Grund zur Mißstimmung gegen Dora hinzu: Vergebens forschte sie im Gesicht der Nichte, wagte sie leise Anspielungen, verhüllte Fragen, – ihre brennende Neugier, den Schleier vom Liebesleben des jungen Ehepaares gelüftet zu sehn, blieb unerfüllt. Alle scherzhaften Sondierungen und geheuchelten Besorgnisse glitten glatt an der jungen Frau ab. Ein etwas verdutztes Gesicht machte Gräfin Thekla, als sie dann in der Villa eine auffällige Veränderung vorfand: Das Ankleidezimmer Isidors neben dem zuerst für beide bestimmten Schlafzimmer war zu seinem Schlafraum umgestaltet. Isidor hatte hierzu schon von der Reise aus Auftrag gegeben, in der Hoffnung, daß sein Entgegenkommen auf Dora Eindruck machen würde, zum guten Teil aber, weil er eine andere Lösung der Schwierigkeit eben nicht gefunden; auch hatte er wenig Lust, dauernd auf Kanapees und Chaiselongues zu übernachten. Dora schien die Änderung gar nicht zu bemerken oder sie als selbstverständlich zu betrachten.

Der sichtlich chokierten Tante erklärte er, er schnarche leider so stark, daß seine Frau des Nachts kein Auge schließe.

Übrigens traten seine ehelichen Sorgen einen Augenblick vor den geschäftlichen zurück.

Kaum saß er am zweiten Tage nach der Rückkehr zum erstenmal wieder in seinem Bureau, als ihm der alte Prokurist Goldschmidt seinen Austritt erklärte. Er wisse, daß der Vertrag mit dem Hofmarschall abgeschlossen sei und ziehe die Konsequenzen, die er bereits in Aussicht gestellt habe. Er sei jedoch bereit, bis zu dem Zeitpunkt weiter zu arbeiten, wo der Chef alles zu überblicken vermöge.

Isidor befand sich in der scheußlichen Stimmung, in der sich der Mensch nach langer Ferienzeit wieder in das Geschirr des Alltags einspannt. Zum erstenmal in seinem Leben fuhr er den Alten an, so heftig, daß gleich das ganze Personal zusammenlief. Und ohne weiteres setzte er ihm den Stuhl vor die Tür.

Diese Stimmung wurde durch einen Stoß Rechnungen auf seinem Pult nicht gebessert. Mit vollen Händen, mit freudigem Herzen hatte er sein neuerworbenes Heim geschmückt, als einen Tempel seiner Liebe, einen würdigen Rahmen für seines jungen Weibes Schönheit. Jetzt stand er vor der nackten Wirklichkeit. Er addierte flüchtig die Zahlen, – es war weit mehr, als er jemals gedacht hatte; und er wußte in seiner Unkenntnis des Geschäfts, jetzt, wo Goldschmidt ihn eben verlassen hatte, im Augenblick nicht, ob er die Mittel zur Deckung überhaupt flüssig machen konnte. Der Ankauf der Villa, die Stiftung für das Viktor-Krankenhaus, viele andere Tausende, die er dahingegeben, – alles an sich Zahlen, die nicht erschrecken konnten – türmten sich in ihrer Gesamtheit doch zu einem Felsblock auf, der schwer auf seinen Schultern zu lasten drohte. Er bereute es fast, schon während der Brautzeit ein Auto bestellt zu haben, das er Dora zu ihrem Geburtstag im August schenken wollte und das über zwanzigtausend Mark kostete.

Dann wieder wurde er ruhiger und schalt sich selbst kleinmütig. Der plötzliche Austritt des Prokuristen, nach dem er jeden Augenblick im Begriff stand zu läuten, war ihm offenbar auf die Nerven gefallen.

Aber noch etwas lastete ihm auf dem Herzen. Er las den mit dem Hofmarschall geschlossenen Vertrag wieder durch, und manche Punkte, auf die schon Goldschmidt hingewiesen, machten ihn jetzt selbst unruhig. Heute begriff er nicht, wie er so willenlos in allem hatte nachgeben können, wo er doch alle Trümpfe in der Hand gehalten. Denn er ersah aus den Korrespondenzen, die Goldschmidt ihm auf das Pult hingelegt hatte, daß Graf Erich Holm schon seit zehn Jahren mit seinem Werke bei Krethi und Plethi hausieren gegangen und für die maßgebenden Firmen des Buchhandels bereits zur humoristischen Figur geworden war. Der Hofmarschall hätte sicher also jede Bedingung, wenn auch mit der Faust in der Tasche, angenommen, nur um sein Pantheon erscheinen zu sehen. Und während Isidor grübelnd vor seinem Schreibtisch saß, auf den des Vaters Marmorbüste wie ein steinerner Gast herabsah, fühlte er dumpf die Gefahr herankriechen, ohne doch zu wissen, woher sie kam, wie ein wehrloser Mensch, der sich mit seinem Todfeind in ein dunkles Gemach gesperrt weiß.

Der Vater hatte ihn nie an seinen Arbeiten teilnehmen lassen, und wenn er es einmal versuchte, war Isidor ihm nach Möglichkeit ausgewichen. Er wußte: Wer Verantwortung trägt, kann fehlen, wer Fehler begeht, muß dafür büßen. Auch nach dem Tode des Vaters war es dabei geblieben; der junge Chef fühlte sich dem erfahrenen Prokuristen gegenüber zu unsicher, um ihm die Zügel aus der Hand zu reißen.

Und jetzt stand Isidor allein einem Unternehmen gegenüber, dessen Durchführung die volle Tatkraft eines sachkundigen Verlegers forderte, unter dem Zwange eines Vertrages, dessen schwere Pflichten nur Energie, Umsicht und Fleiß zum Teil ausgleichen konnten.

Er überlegte flüchtig, ob er nicht mit allen Mitteln versuchen sollte, den Prokuristen Goldschmidt zur Rückkehr zu bewegen. Ihm graute vor dem Gedanken, den ganzen Tag im Kontor zu arbeiten, sein Weib sich selbst zu überlassen, ihm immer mehr entgleiten zu sehn. Solange er fern von ihr war, war sie frei, Herrin ihres Tuns. Es konnte jeder ein- und ausgehn bei ihr, ohne daß der Gatte es wußte, – auch er, der Freiherr von Trettach ...

Eine unüberwindliche Unruhe befiel ihn. Schon griff er nach seinem Hut, um heimzueilen, als ihm der Hofmarschall gemeldet wurde.

Er konnte ihn nicht abweisen, er mußte standhalten. Aber seine Gedanken wanderten ruhelos; kaum, daß er verstand, was der Hofmarschall ihm behäbig auseinandersetzte. Graf Holm war heute anders, als vor Monaten, bei ihrer ersten Verhandlung. Eine behagliche Sicherheit, ein befriedigtes Selbstbewußtsein prägte sich in seinen Zügen aus und gab seiner Stimme einen gesättigten Klang. Mit breitgespreizten Beinen auf seinem Ledersessel sitzend, die weichen, gepflegten Hände über dem Silbergriff des spanischen Rohrs gekreuzt, erteilte er wie ein Pascha seine Direktiven, als ob es keinen Widerspruch gegen seinen Willen gab.

Er wünschte schleunigst Papierproben für den Text, für die Beilagen und die Luxusexemplare. Er empfahl für Japanpapier eine Pariser Firma, für Ätzungen eine Münchener. Er schlug vor, für dieses eigenartige Werk eine besondere Schrifttype schneiden zu lassen und übergab Isidor die Adressen der in Betracht kommenden Schriftgießereien. Er hatte sogar schon eine Skizze des Einbandes bei sich, hellgrau Saffian mit vergoldeten Bronzebeschlägen und dem getriebenen Wappen des Herzogtums auf dem Deckel. Alles, was er als Autor ein Jahrzehnt hindurch in immer wieder aufgenommenen Verhandlungen gelernt und gesammelt hatte, ergoß sich jetzt wie ein Wasserfall über den betäubten Verleger. Und immer von neuem klang der Gedanke hindurch, welch gewaltiges Geschäft dem Verlag bevorstehe, und wie dürftig alles in allem dieser habsüchtige Buchhandel seine Autoren abspeise. Ein guter Teil des tiefen Grolls, der in jedem dauernd abgewiesenen Schriftsteller gegen die Verleger kocht, ein unbesiegbares Mißtrauen, das den außerhalb des Geschäftslebens Stehenden gegen den Kaufmann erfüllt, beherrschte fast jeden Satz des Hofmarschalls seinem glücklich errungenen Verleger gegenüber. Und doch war der Graf der weitaus Gewandtere. Seine tausend Fragen nach Qualität, Format und Gewicht des benötigten Papiers, nach Setzmaschinen, Reproduktionsverfahren, Stereotypie und vielem anderen konnte Isidor fast alle gar nicht beantworten. Ihm schwirrte der Kopf, und dabei saß er auf Nadeln, jeden Augenblick im Begriff, das Gespräch abzubrechen und fortzustürmen. Endlich kam er zu Worte. Er wies auf seine lange Reise hin, auf die Fülle von Arbeit, die er vorgefunden, versprach in den nächsten Tagen alles einzuleiten und klingelte endlich in seiner Verzweiflung nach einem seiner Kontoristen, namens Weller, einem jener Mitarbeiter, die ihm durch ihre ungewöhnliche Willfährigkeit und Ehrerbietung besonders sympathisch geworden waren. Diesen hochaufgeschossenen blonden jungen Mann stellte er dem Hofmarschall als Dezernenten für die technische Herstellung des Pantheons vor. Weller war durch diese plötzliche Beförderung ebenso überrascht als erfreut; denn dieses Gebiet war bisher das besondere Arbeitsfeld des alten Goldschmidt gewesen. Er dienerte ehrfurchtsvoll vor dem hohen Herrn und stellte sich ihm ganz zur Verfügung.

Der Hofmarschall hatte innerlich längst festgestellt, daß Isidor keinen blassen Schimmer von alledem hatte, wonach er ihn gefragt hatte. Und er empfand eine lebhafte Befriedigung hierüber; denn er hatte in den langen Jahren seines literarischen Ahasvertums es lernen müssen, daß jede Verhandlung um so schwieriger ist, je besser der Gegner sein Fach beherrscht. Auch den blonden Weller taxierte der Welterfahrene sofort richtig; dieser überhöfliche Jüngling würde geschäftlich zu allem zu haben sein, um sich persönlich in der Gunst des einflußreichen Hofmarschalls sonnen zu dürfen, und solche Leute richtig zu nehmen, das war von Amtswegen die Aufgabe des Hofbeamten, war sein »Geschäft«, in dem er Meister war.

Als daher Isidor jetzt hastig nach seinem Hute griff und unter dem Vorwande Abschied nahm, daß Dora nach der langen Reise etwas angegriffen sei und er nach ihr sehen müsse, waren die beiden anderen über sein Fortgehen nichts weniger als unglücklich.

 

Nach einigen scharfen Mahnungen größerer fälliger Posten, die allerdings den Verlag mehrere seiner besten Kunden kosteten, zahlte Isidor ohne Schwierigkeiten in den nächsten Wochen seine Rechnungen ab.

Aber er kam immer seltener in das Geschäft. Weller, der bestrebt war, alles Unangenehme von ihm fernzuhalten, wurde ihm gerade dadurch bald unentbehrlich; als der junge Mann von seinem Sommerurlaub wieder zurückkam, atmete Isidor förmlich auf. Er gab ihm die Prokura, die durch Goldschmidts Ausscheiden frei geworden war. Und wenn der Hofmarschall erschien, was fast täglich der Fall war, begrüßte er Isidor nur flüchtig und ließ sich sofort Herrn Weller kommen, der dann Hals über Kopf herbeieilte und in stundenlangen Konferenzen die Wünsche des vornehmen Autors entgegennahm.

Die Kosten des ersten Bandes drohten sich tatsächlich auf achtzehntausend Mark zu stellen, genau wie es Goldschmidt vorausgesagt hatte. Dem Hofmarschall stieg daher eine Besorgnis auf, trotz des Vertrages in seiner Tasche. Wenn das Unternehmen materiell ein Mißerfolg wurde – und dies ließ sich schon jetzt an den Fingern nachrechnen –, so konnte Isidor die Herausgabe der folgenden Bände so lange hinausschieben oder in jahrelangen Prozessen verweigern, daß Hoheit ungehalten wurde und seinen Hofmarschall es entgelten ließ. Als daher der in Aussicht genommene Papierlieferant und Drucker zu einer Besprechung in der Residenz eintrafen, nahmen sie bei einer ersten Verhandlung mit Graf Holm und Weller die private Anregung des Hofmarschalls, gleich für das ganze Werk abzuschließen, mit Begeisterung auf und boten hierfür so bedeutende Ermäßigungen, daß der Vorteil auf den ersten Blick in die Augen zu springen schien. Und da der Hofmarschall in einer zweiten Konferenz am Nachmittag desselben Tages, zu der auch Isidor erschien, sich wiederholt dafür verbürgte, daß das Manuskript auf das pünktlichste geliefert werden würde, »immer mit dem im Vertrage vorgesehenen, in der ganzen Sachlage begründeten Vorbehalt« wurde wirklich so abgeschlossen, daß die Papierfirma den Auftrag zunächst für fünf Bände, halbjährlich ein Fünftel des ganzen Quantums lieferbar, zahlbar bar mit zwei Prozent oder in Dreimonatsakzept, erhielt. Ebenso wurde der Druckerei unter der Verpflichtung, völlig neue Schriften und neue Maschinen für das Extraformat anzuschaffen, eine feste Akontozahlung von sechstausend Mark halbjährlich, am 1. April und 1. Oktober, für zweiundeinhalb Jahre zugesagt, auch wenn das Manuskript einmal erst etwas später geliefert würde.

Isidor sträubte sich zuerst gegen dieses Abkommen, aber Autor, Drucker und Papierhändler überschütteten ihn mit Versicherungen und Beteuerungen und letztere erklärten, unverrichteter Dinge abreisen zu müssen, wenn das Abkommen nicht in dieser Form akzeptiert würde.

Der Drucker war kein im Buchhandel bekannter Name, sondern ein bescheidener Geschäftsmann, der sich einige Tausend gespart hatte und in dem Auftrag für das Pantheon den Weg sah, sich ohne Risiko in seinem Betriebe zu erweitern. Er war unter den vom Hofmarschall gelieferten Bezugsquellen gewesen und ausgewählt worden, weil er weitaus am billigsten kalkuliert hatte.

Isidor graute vor neuen Anfragen, Proben, Konferenzen, Abschlüssen. Ein Machtwort von ihm hätte der ganzen Verhandlung ein neues Gesicht gegeben; er hatte nicht den nötigen Mut, kam auch zum Teil nicht darauf. Allen den anderen erschien es so selbstverständlich, daß die Drucklegung des Pantheons sich absolut glatt abwickeln und einen großen Erfolg bringen würde, daß Isidor den Hofmarschall nicht durch neue Zweifel zu kränken wagte. Auch fiel ein anderer Grund noch für ihn ins Gewicht: Es war seine letzte Hoffnung, im Notfall sich dem Grafen als dem Vormund seiner Frau anzuvertrauen, von ihm eine Hilfe gegen Doras abweisendes Verhalten zu erbitten. Überhaupt war Isidor nicht ganz bei der Sache; er fühlte sich erschöpft von den langen, schlaflosen Nächten neben dem Zimmer seiner Frau. Endlich riet auch Weller seinem Chef zum Abschluß, nachdem beide Lieferanten in letzter Minute noch um eine Kleinigkeit mit ihren Preisen herabgegangen waren. Denn Weller war jetzt weiches Wachs in der Hand des Hofmarschalls; er hatte seinen fünfjährigen Vertrag als Prokurist in der Tasche, und eine leicht hingeworfene Äußerung des Grafen, daß dieser höchsten Orts auf seine Mitwirkung hinweisen werde – »Wozu haben wir denn den Viktororden? –« hatte ihm völlig den Kopf verdreht. Als am Abend dieses Tages die beiden Lieferanten mit ihm bei einer Flasche Wein saßen und ihm eine Schmeichelei nach der anderen über seine Geschäftsgewandtheit sagten, sah er sich schon im Geiste als Sozius des Hauses Siegfried Cohn.

Isidor aber kam von Tag zu Tag seltener in das Geschäft. Er folgte seiner Frau wie ein Schatten durch das Haus; hatte sie Besorgungen in der Stadt, so begleitete er sie und wählte das Kostbarste unter den Dingen, die sie bedurfte, für sie aus; stundenlang saß er geduldig im Vorzimmer der Schneiderin, so oft Dora Anprobe hatte. Nur wenn sie zur Tante ging, blieb er daheim, um ihren beständigen Forderungen »für unsere Armen« zu entgehen. Dann schlich er sich in Doras Schlafgemach, wühlte mit trockenen Lippen und feuchten Händen in ihren Schränken, liebkoste heimlich die Kleider, die sie getragen und preßte seinen heißen Kopf hinein, um gierig den Duft ihres Leibes zu atmen. Mitunter brachte er sich aus der Truhe ein Stück ihrer seidenen, spitzenbesetzten Wäsche beiseite und küßte es in tiefer Nacht unter verhaltenen Tränen. Aber das alles steigerte nur sein Begehren nach ihr, statt es zu lindern. Er malte sich all das Abstoßende aus, was ihm die Dirnen verleidet hatten, und übertrug es auf sie, – vergebens! Und wieder wälzte er verwegene Pläne in seinem Hirn, die seiner Qual ein Ende machen sollten. Er bohrte in ihrer Abwesenheit die Tür ihres Schlafzimmers an, hoch oben, wo zwei vertiefte Leisten der Füllung zusammenstießen. Er feilte das Loch von beiden Seiten glatt aus und strich es mit passender Farbe, die er sich unter Schwierigkeiten beschafft hatte. Und am nächsten Abend, kaum daß sie die Kleider hinausgehängt und die Stiefelchen hinausgestellt hatte, trug er leise, wie ein Verbrecher auf Strümpfen einen Stuhl herbei, stieg mit unendlicher Vorsicht hinauf und suchte in das Zimmer hineinzublicken. Er konnte nichts sehn, das Loch war allzu geradeausgebohrt, nicht schräg genug nach unten, wie es hätte sein müssen. Aber er sah ihren Schatten an der Wand, hörte Stühle rücken und endlich das Bett leise krachen, und ihn dünkte, er sei ein glücklicher Mensch.

Als sie eines Abends, während er wieder vor ihrem Zimmer horchte, plötzlich auf die Tür zuging, glaubte er, sein Herz bleibe vor Schreck stehen. Und er wagte es nicht wieder, sich auf den Stuhl zu stellen.

Er lauerte im Dunklen stehend an der Tür, stets zur Flucht bereit, bis ihre ruhigen Atemzüge ihm verrieten, daß sie schlief. Eines Abends, als er sich gerade in sein Zimmer zurückschleichen wollte, hörte er unerwartet die Treppe knarren. Er wandte sich überrascht um.

Kitty, die Kammerzofe seiner Frau, die wie alle Dienstboten oben in ihrem Mansardenzimmer schlief, stand erstaunt vor ihm. Offenbar hatte sie unten in den Wirtschaftsräumen etwas vergessen, das sie sich jetzt noch holen wollte. Sie war ein niedlich Ding, mit keckem Stutznäschen in dem pikanten, frischen Gesicht; in ihrem kurzen, weißgestrickten Rock, der kaum bis zu den Knieen reichte, den zierlichen bloßen Beinen und den hübschen Füßen in kleinen Pantoffeln sah sie ganz wie ein Püppchen aus. Über der Nachtjacke, die sie vergebens mit einer Hand zuzuhalten suchte, da die andere ein Licht hielt, legte sich schwer und voll der lange, braune, für die Nacht geflochtene Zopf.

Es war das erstemal seit jener Unglücksnacht, daß Isidor ein halb entblößtes Weib erblickte.

»Was gibt's?« fragte er leise.

»Ich, – ich ...« stammelte sie, über Hals und Gesicht errötend. Dann faßte sie sich und blickte ihn halb frech, halb forschend an.

Sie liebte die Männer, sie wußte, daß Isidor reich war, sie sah seine glühenden Augen.

Ein verständnisvolles Lächeln huschte über ihr frisches Gesicht. Langsam sank ihr Arm. Wieder blühte ihm eine Mädchenbrust entgegen.

Eine Sekunde kreuzten sich ihre Augen. Er streckte seine Hand nach ihr aus. Sie duldete seine Berührung, dann wandte sie sich wortlos nach oben.

Er folgte ihr auf den Fersen.

 

Eines Sonntags vormittags begannen sie ihre Besuche zu machen, genau nach der Liste des Hofmarschalls, kreuz und quer durch die Residenz. Sie wurden in zehn Fällen nur einmal angenommen, und wo dies der Fall war, ließ sich unschwer die brennende Neugier als Grund erkennen. Immer wieder bohrten sich glitzernde Frauenaugen in Doras Züge, um Leid und Freud aus ihnen zu lesen, streifte ein flüchtiger Blick ihre Gestalt, um festzustellen, ob ihre Ehe schon gesegnet sei. Überall fielen in oberflächlichem Gespräch die Namen München, Meran, Mailand, Genf, dann erhob sich das junge Ehepaar nach wenigen Minuten, um den gesellschaftlichen Spießrutenlauf fortzusetzen.

Es regnete Karten in das Haus, auch die Trettachs. Hans Joachim war von der Beisetzung in Schloß Trettach als unbeschränkter Erbe seines Großvaters zurückgekehrt; wie kein Mensch mehr an die Möglichkeit gedacht hatte, daß der alte, wetterharte, zähe Graf Bolden noch einmal sterben würde, so auch er selbst nicht. So kam es, daß ein Testament überhaupt nicht vorhanden war.

Das Oberkommando der Schutztruppen legte Hans Joachim eine Versetzung zur Gardekavallerie nahe; er bat jedoch darum, in sein altes Regiment, die herzoglichen Leibhusaren, einrangiert zu werden. Seinem Wunsche wurde entsprochen, so daß er jetzt den Attila trug. Sonst hatte er nichts in seiner Lebensführung geändert; nur, daß er eine kleine, schmucke Villa in der Residenz erwarb, sie nach seinem Geschmack ausstattete und sich einen Rennstall einrichtete, der das Entzücken der Kenner bildete und die Trettachschen Farben glänzend auf dem Rasen zu vertreten versprach.

Unter den ersten, die ihren Besuch machten, war Sternau. Isidor begrüßte ihn mit offenen Armen, auch Dora nahm ihn freundlich auf; beiden war es eine Erlösung, einen dritten bei sich zu sehn, der die unerträgliche Spannung des Alleinseins zu zweien löste, an den langen Tagen und Abenden, wo sie sich schweigend gegenüber saßen, zwei Menschen, die für das ganze Leben aneinander gekettet und sich doch fremd geblieben sind. Und Sternau war für sie der richtige Mann. Er war durch sein unbefangenes, fröhliches Wesen als Hausfreund prädestiniert, und niemand wäre je darauf gekommen, dem jungen, harmlosen Offizier irgendwelche unlauteren Absichten unterzuschieben. Man wunderte sich, daß er völlig rangiert dastand, aber man forschte nicht weiter nach; jeder gönnte dem netten Husaren das Beste.

Sternau erkannte trotz seiner Harmlosigkeit bald, daß in der jungen Ehe Unstimmigkeiten herrschten. Isidor schien ihm zu sehr unter den Pantoffel geraten zu sein. Und es gelang ihm wirklich, ihn allmählich von zu Hause, wo er wie festgebannt saß, »loszueisen«. Er machte ihm in seiner heiteren, spöttischen Manier klar, daß das Schnäbeln im Liebesnest bei Mensch und Tier normalerweise einmal aufhört, daß auch der brave Herkules, der doch gewiß ein Gemütsmensch war, nur seine Flitterwochen bei Omphale aushielt, – ganz von dem vortrefflichen Tannhäuser zu schweigen, der selbst der Venus heimlich durch die Lappen ging. Er stellte ihm weiter vor, daß er es schon seiner Frau schuldig sei, die kaum angeknüpften gesellschaftlichen Beziehungen nicht fallen zu lassen; »wer sich der Einsamkeit ergibt, ach, der ist bald allein«, habe bereits Exzellenz von Goethe ganz treffend bemerkt, und jedes Ding habe ein Ende, nur die Wurst zwei.

Sternau war wirklich nett zu ihm. Er hatte Recha nicht vergessen, wenn auch der Verzicht auf sie ihn nicht ins Herz getroffen hatte; und ein intensives Gefühl der Dankbarkeit gegen die Schwester zwang ihn, sich auch dem Bruder gegenüber freundschaftlich und gefällig zu zeigen. Hierzu kam, daß Isidor eines Abends beim Wein, als Dora sich schon zurückgezogen hatte, dem Oberleutnant sein Herz ausschüttete, ohne jedoch natürlich alles zu gestehen. Nichts ist ja schwerer für den Menschen, als Kummer und Schmerz in sich zu verschließen, nichts tut so wohl, als einmal sich aussprechen, ausweinen zu dürfen, ganz gleich, wer der Vertraute ist. Sternau war nun allerdings durchaus kein Menschenkenner, und die »Pusselchen«, die ihm bisher himmlische Rosen ins irdische Leben geflochten hatten, nichts weniger als komplizierte Naturen; als er daher aus Isidors abgebrochenen Sätzen die unbestimmte Erkenntnis schöpfte, daß die junge Frau – wie er seinen Eindruck zusammenfaßte – »noch in den Ganaschen etwas schwierig war«, schlug er getrost dem jungen Ehemann als Universalheilmittel für alle Komplikationen im Reiche des Unterrocks die Eifersucht vor.

»Mein teurer Louisdor« – es war Sternaus neuester Witz, auf den er unsäglich stolz war und den sich Isidor nicht ungern gefallen ließ, weil diese Verdrehung seines Vornamens seiner Eitelkeit schmeichelte – »mein teurer Louisdor, die Eifersucht ist im Reiche der Liebe, was der Baldrian in der Medizin ist. Der hilft auch immer; und wenn er wirklich einmal versagt, ist nicht der Baldrian dran schuld, sondern die Krankheit. Da aber meine Sittsamkeit es mir verbietet, Ihnen eine Eheirrung zuzumuten, so rate ich Ihnen einfach: Bummeln Sie! Das genügt vollständig. Denn wenn die Frau nicht weiß, was der Mann treibt, nimmt sie eo ipso das Schlechteste an!«

Wieder tauchte er mit Sternau am Sonntag Vormittag in der Weinstube auf, diesmal nicht mit klopfendem Herzen, sondern im Gefühl seiner gesicherten Position. Und allmählich begann er an dem neuen Leben Geschmack zu gewinnen. Je heißer die Wunde in ihm brannte, je leidenschaftlicher er sich nach Dora sehnte, um so mehr empfand er die Wohltat der Ablenkung, die ihn für Stunden betäubte und sein Leid vergessen ließ. Es gibt Menschen, die, wenn eine große Leidenschaft sie erfüllt, für nichts anderes Sinn haben; es gibt auch solche, die einer Auslösung für ihre innere Glut bedürfen, die im Trunk, bei Weib und Spiel, die Linderung suchen und finden, ohne die sie wahnsinnig zu werden fürchten. Und wenn auch Isidor, in später Nacht mit wüstem Kopf heimkehrend, oder am nächsten Morgen, zu keiner Arbeit fähig, den vergangenen Abend verwünschte, – seine guten Vorsätze hielten nur so lange stand, bis Sternau telephonierte oder kam, um ihn zu neuem »Bummel« abzuholen.

Sternau tat dies in bester Absicht. Erstens entsprach es seinem Eherezept, zweitens ermunterte ihn Dora selbst dazu, in der Hoffnung, ihren Gatten hierdurch von sich abzulenken. So bildete sich denn nach und nach eine Art Clique um Isidor, eine Schar junger Herren vom Zivil und Militär, die in der ersten Zeit die Anmaßung Isidors, heimlich für alle die Zeche zu zahlen, mit Entrüstung zurückwiesen und bekrittelten, dann aber sich bald daran gewöhnten und nun schon bestimmt darauf rechneten, mit dem beruhigenden Gefühl, daß »Graf Cohn« dies als Auszeichnung betrachten müsse und ohnehin nicht wisse, wohin er mit seinem vielen Gelde solle.

Denn in diesen Kreisen der Residenz war und blieb Isidor der »Graf Cohn«. Die jeunesse dorée – isidorée wurde sie von Fernerstehenden genannt – hielt hartnäckig an diesem Titel fest, und er ging in immer weitere Kreise über. Isidor hatte längst verlernt, sich dagegen zu wehren, es kränkte ihn schließlich fast, wenn ihn ein Kellner bei seinem richtigen Namen nannte. Und auch sonst schlich sich in sein Leben der Größenwahn. Im Kreise seiner Kumpane erfand er immer unsinnigere Geschichten, nannte immer märchenhaftere Zahlen; und endlich glaubte er selbst fest an das, was er hundertmal als Tatsache berichtet hatte, und wäre empört gewesen, wenn ihm jemand das Gegenteil hätte beweisen wollen. Er verlor den Maßstab zwischen sich und der Welt; und diese Lüge umspann bald seine ganze Existenz. Er merkte nicht, wie rasch ein großer Teil der Leute, mit denen er in Berührung kam, sich von ihm abwandte und selbst seinen Gruß vermied, merkte es nicht, daß die Menschen, die sich an ihn klammerten, die auf seine Kosten tafelten und kneipten, fast alle minderwertig waren, fühlte nicht den halbverdeckten Hohn, mit dem sie ihm zustimmten, ihn bewunderten und priesen.

Hätte Isidor einmal aufgerechnet, was er in einem Monat für diese Freunde ausgab, er wäre erschrocken gewesen.

Aber er schloß die Augen vor allem, vor seinen Pflichten als Verleger, vor seinen Ausgaben, vor jeder Schwierigkeit. Er hatte nur den einen Gedanken, sich durchzusetzen, groß dazustehen bis oben hinauf, um Dora zu imponieren, ihr ebenbürtig zu erscheinen, sie sich zu gewinnen. Wenn er im Morgengrauen heimkehrte, lauschte er einen Augenblick auf ihre Atemzüge; dann ging er mit schwerem Kopf und schwerem Herzen zu Bett.

Manchmal begegnete ihm wie zufällig Kitty, die kleine braune Kammerzofe. Er schenkte ihr Geld, aber er nahm sie nicht. Er hatte nichts mehr übrig für sie.

* * *

 


 << zurück weiter >>