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Erfolge und Enttäuschungen in der Frauenbildungsfrage

Die preußische Januarkonferenz von 1906

Einen äußeren Abschluß der Aufgabe, die ich im engeren Sinne als meine Lebensleistung ansah, der Umgestaltung des Mädchenschulwesens, brachten die Regelungen, die endlich von Staats wegen die höhere Lehranstalt für Mädchen schufen und dem Unterrichtswesen eingliederten. Die Vorbereitungen dazu – von uns als endliche Erfüllung langer Kämpfe begrüßt – war die Konferenz, die im Januar 1906 vom preußischen Kultusministerium einberufen wurde. Die Initiative dazu war wohl mit durch die Kaiserin selbst gegeben, die vor allem durch die energische und temperamentvolle Marie Martin, Oberlehrerin an der Königlichen Augustaschule, dazu angeregt worden war. Jedenfalls wurde die Konferenz durch ein Handschreiben der Kaiserin eröffnet, in dem sie ihr lebhaftes Interesse an der Lösung der uns gestellten Aufgabe bekundete.

Die der Konferenz vorausgehenden und nachfolgenden pädagogischen und schultechnischen Auseinandersetzungen eingehend darzustellen, würde den Rahmen dieser Erinnerungen weit überschreiten. Sie sind überdies nicht nur für Schulmeister bestimmt und sollen keine Geschichte der Frauenbildung für Fachkreise geben. In den Jahrgängen der »Frau« und der »Lehrerin« findet der fachlich Interessierte, was von unserem Standpunkt dazu gesagt worden ist.

Was aber der Konferenz ihren geschichtlichen Charakter und innerhalb unseres Kampfes ihre prinzipielle Bedeutung gab, das läßt sich heute klarer übersehen als damals, und das muß ich hier herausheben.

Das höhere Mädchenschulwesen war seiner Einordnung in das preußische Kultusministerium nach damals ein unglücklicher Zwitter zwischen höherem und Volksschulwesen. Es war trotz seiner höheren Ziele verwaltungsmäßig noch in der Volksschulabteilung. So waren an der Konferenz zwei Abteilungen beteiligt, die jetzt und die Künftig zuständige, die eine unter Ministerialdirektor Schwarzkopff, die andere unter Althoff. In den Abteilungen herrschten über die Sache selbst nicht durchaus übereinstimmende Meinungen.

Die Pläne nämlich, die uns vorgelegt wurden, waren ein Kompromiß zwischen den beiden einander gegenüberstehenden Anschauungen. Der Deutsche Verein für das höhere Mädchenschulwesen vertrat einen Aufbau, der an eine zehnklassige höhere Mädchenschule einen dreijährigen Ausbildungskursus für die Universität anschließen sollte. Die Frauen, d. h. der Allgemeine Deutsche Lehrerinnenverein und der Verein Frauenbildung-Frauenstudium, traten für die Übernahme des Frankfurter Reformschulsystems für die Mädchen ein: d. h. es sollte nach dem 7. Schuljahr eine Gabelung eintreten, so daß von da ab ein besonderer Lehrgang in sechs Jahren zur Reifeprüfung führte, während ein anderer in drei Jahren den zweckentsprechenden Abschluß einer nicht als wissenschaftliche Vorbildung gedachten allgemeinen Schulung erreichte.

In diesen schultechnischen Meinungsverschiedenheiten steckten tiefere Gegensätze, und wenn von uns der Kampf für die Gabelung so hartnäckig geführt wurde, daß im Laufe der weiteren Verhandlungen einmal der milde Philosoph Friedrich Paulsen, zu mir gewandt, seufzte: Infandum, regina, jubes renovare dolorem, so wußten wir, warum!

Ich habe später, besonders auch in Äußerungen jüngerer Akademikerinnen, zuweilen den Vorwurf erheben hören, die Frauen hätten sich damals zu einseitig an das Knabenschulwesen geklammert. Sie hätten aus lauter Doktrinarismus (Gleichberechtigung!) darauf verzichtet, eigene, der weiblichen Natur angepaßte Bildungsgänge aufzubauen, sondern hätten die mechanische Anlehnung an das seinerseits reformbedürftige Knabenschulwesen erzwungen.

Dieser Vorwurf verwechselt die äußere Form mit dem Wesen und Inhalt der Mädchenbildung und verkennt überdies die äußeren Bedingungen, mit denen wir zu rechnen hatten.

Es mußte uns daran liegen, den Mädchen zunächst vollkommen sichere Voraussetzungen der Universitätsbildung zu schaffen. Sicher, sofern sie in ihrem Studium darauf fußen Konnten. Und sicher auch, sofern niemand nachher einen Grund haben durfte, die Andersartigkeit ihrer Vorbildung gegen sie auszuspielen, wenn es sich um den Zugang zu bestimmten Berufen handelte.

Darum war es undenkbar, in irgendwelche Pläne zu willigen, die von den als Grundlage des Studiums erforderlichen oder tatsächlich geforderten Bedingungen etwas Wesentliches preisgaben. Mir konnten den Mädchen den ohnehin schweren Kampf auf der Universität nicht dadurch belasten, daß wir ihnen für Geschichte oder neue Sprachen ein unzulängliches Latein, für Naturwissenschaften oder Mathematik unzureichende Vorkenntnisse mitgaben. Solange die Ziele der höheren Knabenschulen die normale Voraussetzung für Niveau und Anforderungen des Universitätsstudiums waren, mußten sie erreicht sein. Das war vollkommen unerläßlich. Die Frage, ob nicht die höheren Lehranstalten an sich umgestaltungsbedürftig seien, konnte dabei durchaus offen gelassen werden. Wenn das der Fall war, galt es auch für die Knaben, und es war falsch und schädlich, nicht nur für die Mädchen, Umgestaltungen auf sie zu beschränken. Die andere Frage, ob nicht Natur und Bestimmung der Frau eigene Bildungswege erfordere, war auch nach unserer Meinung zu bejahen. Nur daß diese Anpassung ein weit innerlicheres pädagogisches Problem war und viel weniger den äußeren Aufbau der Klassen und die äußeren Lehrziele, als Auswahl und Behandlungsweise der Stoffe, das ganze seelische Wesen der Schule betraf. überdies war die Anpassung, sofern es sich um bestimmte spezifische Frauenaufgaben handelte, für den größeren Teil der Schülerinnen um so leichter zu vollziehen, wenn man diejenigen, die zur Universität gehen wollten, in rechtzeitiger Abzweigung ihren Weg führte, ohne die anderen mit Anforderungen zu belasten, die etwa nur mit Rücksicht auf die Universitätsreife notwendig waren.

Dieser unserer Argumentation gegenüber bestand der Verein für das höhere Mädchenschulwesen – allerdings stets gegen eine Minorität, die unsere Meinung teilte – darauf, die Universitätsbildung der Mädchen in einem Aufbau zu vollziehen, der sich erst an die zehnjährige höhere Mädchenschule anschloß. Man behauptete, daß eine solche Gliederung der »weiblichen Eigenart« entspreche und gab sich einem fabelhaften Optimismus hin in bezug auf die Fähigkeit der Mädchen, in den drei Jahren, die für die spezifische Universitätsvorbereitung übrig blieben, alles, was dazu gehörte, zu bewältigen. Ich selbst wußte auf Grund meiner Erfahrungen in den Gymnasialkursen, wo uns ja die Umstände das Aufbauverfahren aufzwangen, was sich – unter denkbar günstigen Vorbedingungen – erreichen ließ. Es war, noch dazu mit den vielfach zweitrangigen Lehrkräften der höheren Mädchenschulen einfach ausgeschlossen, in dieser Form Universitätsreife zu erreichen.

Die uns vom Unterrichtsministerium vorgelegten Pläne enthoben uns nun allerdings einer Befürchtung: es waren nicht die des deutschen Vereins. Aber es waren auch nicht die unseren. Man hatte, um einerseits dem Wunsch nach »Intaktheit« der zehnklassigen Lyzeen zu entsprechen, andererseits der Universitätsvorbereitung ausreichenden Raum zu geben, einen vierjährigen Aufbau auf die zehnklassige höhere Mädchenschule vorgesehen, unter der Voraussetzung, daß die Mädchenschule selbst schon in den beiden Oberklassen Gelegenheit für Lateinunterricht bot.

Wenn diese Zumutung einer vierzehnjährigen Schulzeit bis zur Maturität pädagogisch wie wirtschaftlich ganz unannehmbar war – wenn es von uns Kämpfern für die künftige akademische weibliche Jugend auf das entschiedenste abgelehnt werden mußte, daß die Abiturientinnen nur den Lyzeen zu Liebe zwei Jahre zwecklos an die Schulbank gebunden werden sollten, so brachte andererseits die Vorlage – für uns alle überraschend! – eine Erfüllung! Sie enthielt die Frage: »Ist nicht darauf Bedacht zu nehmen, die Leitung der höheren Mädchenschulen in weitgehendem Maße in die Hand von Frauen zu legen?« Eine Frage, die in bezug auf die sonstige Zusammensetzung des Lehrkörpers wiederholt wurde und die im Grunde schon eine Bejahung enthielt.

Das war, in einer preußischen Regierungsvorlage, ein so weitgehendes Zugeständnis an unser Prinzip, bedeutete auch, bei dem zur Zeit vorhandenen fast ausschließlichen Übergewicht der Männer in der Leitung und ihrem Vorherrschen im Unterricht auf der Oberstufe aller öffentlichen Anstalten eine so weittragende Neuerung, daß diese Frage uns mindestens ebenso überraschte wie sie die Kollegen vor den Kopf stieß.

Aber ich muß zuvor etwas von der Physiognomie der Konferenz sagen.

Der Vorsitzende war Althoff, der allmächtige Ministerialdirektor des höheren Bildungswesens, eine der markantesten Persönlichkeiten, die je durch ein preußisches Ministerium gegangen sind. Wieweit die Frage, die uns Lebensaufgabe war, ihn innerlich wirklich berührte, war schwer zu sagen bei der Maske ironischer Souveränität, mit der er die Leitung handhabte. Jedenfalls war es, wenn man an diese gewisse seichte Sentimentalität und pathetische Philisterhaftigkeit gewöhnt war, in der sich die Diskussion von Mädchenschulfragen zu bewegen pflegte, schon an sich ein Erlebnis, sie einmal von überlegenen und gescheiten Menschen behandelt zu hören. Im übrigen war man in der Zusammensetzung der Konferenz über die Fachkreise der höheren Mädchenschule weitherzig hinausgegangen und hatte wirklich zusammengebracht, was Wilhelm von Humboldt in seinen Schulverwaltungsvorschlägen meint, wenn er den Unterrichtsbehörden einen Beirat von »Kennern der Bildungsbedürfnisse« bestellen wollte. Es waren Vertreter der Wissenschaft, wie Adolf Harnack, Paulsen u. a., Parlamentarier, die Würdenträger der Kirchen, Fürstbischof Kopp und Hofprediger Dryander, dann eine größere Zahl von Frauen, die sich schon in irgendeiner Form für Frauenbildungsfragen eingesetzt hatten – »die berufsmäßigen Führerinnen der politischen Frauenbewegung«, wie die dem ganzen Schauspiel mit säuerlichen Mienen zuschauenden Konservativen Interessenten der alten männlich verwalteten Mädchenschule sagten.

Unter den nicht dem engeren Fachkreis entstammenden Mitgliedern der Konferenz waren hervorragende Freunde einer fortschrittlichen Umgestaltung des Mädchenschulwesens, Harnack vor allem, und man kann wohl sagen, daß sie auch besonderes Verständnis für die Forderung nach ausschlaggebendem Fraueneinfluß in der Mädchenschule hatten. Diese Forderung fand eine starke Stütze auch bei den Katholischen Mitgliedern der Konferenz – das Prinzip der weiblichen Leitung der Mädchenschule ist ja mit Anschauungen und Interessen der Katholischen Kreise mannigfach verknüpft. So fand die Regierungsvorlage in dieser ihrer Fragestellung in der Konferenz eine Zustimmung, die für die anwesenden Vertreter der Direktoren und Oberlehrer anscheinend etwas Erdrückendes hatte. Sie erhoben ihrerseits keine Einwände, sondern verwahrten sich nur gegen die Fragestellung, insofern sie etwa ein Mißtrauensvotum gegen die bisherigen Inhaber der Leitung höherer Mädchenschulen ausdrücken wolle.

Uns Frauen mußte, bei allem Reiz, den eine auf dieser Höhe, mit Geist und Vorurteilslosigkeit geführte Verhandlung hatte, doch sehr bald klar werden, daß die Unterrichtsverwaltung uns gegenüber eine bestimmte Politik verfolgte. Wenn auch die Zugeständnisse bezüglich der weiblichen Leitung wirklicher Überzeugung entstammten, so glaubte man andererseits doch dadurch auch unsere Zustimmung zu Aufbau und vierzehnjährigem Schulweg der Mädchen erreichen zu Können. Ich weiß heute noch nicht, warum man eigentlich diesen merkwürdigen Plan vertrat. War es eine Stauvorrichtung für den Zudrang zur Universität, den man fürchtete? War es nur ein Zugeständnis an die Wünsche der Direktoren, die ihre Schulen durch den vorzeitigen Abgang zu den Studienanstalten nicht um die Begabtesten verarmt sehen wollten?

Natürlich konnten wir auch um den Preis des Fraueneinflusses in der Mädchenschule einem solchen Plan nicht zustimmen und beharrten auf unserem Widerstand, trotzdem Althoff uns in einem Augenblick der Verhandlungen die Pistole auf die Brust setzte und die Konferenz auffliegen zu lassen drohte, wenn wir nicht mit uns reden ließen.

Übrigens war Althoff trotz der Schärfe, zu der sich der Kampf zwischen uns zuspitzte, ein loyaler Gegner – ebenso weit entfernt von aller Spießbürgerei und Kleinlichkeit wie von irgendwelchen Obrigkeitsposen gegenüber einem freimütigen und ihm sehr unbequemen Widerstand. Ich hatte kurz vor der Konferenz zu einem anderen Gegenstand der preußischen Schulverwaltung (dem Ausschluß der Frauen von den Schuldeputationen des preußischen Volksschulgesetzes in nicht gerade sanfter Form Stellung genommen. Als Althoff mich beim Eintritt in die Konferenz begrüßte, schlug er vergnügt auf seine Brusttasche: »Na, Sie haben da ja einen schönen Artikel gegen uns losgelassen! Aber famos geschrieben! Ich habe ihn hier bei mir!« Ich zuckte die Achseln: »Ja, Exzellenz, à la guerre comme à la guerre.« Worauf er brummte: »Na ja, und Sie sind immer archiprête.« Daß wir mit unserer Stellungnahme gegen gewisse Teile der Vorlage die Pläne der Regierung durchkreuzten, hat Althoff nicht gehindert, bei der Zusammensetzung der Kommissionen für die Lehrpläne uns trotzdem weitgehend und vorurteilslos zu beteiligen. Ich selbst mußte den Vorsitz der Kommission für Griechisch und Latein führen, und als ich ablehnen wollte, da ich selbstverständlich den ersten Fachmännern gegenüber, die die Kommission bildeten, mir zu wenig sachkundig vorkam, erklärte Althoff: »Ach was, Sie wissen am besten, was die jungen Mädchen leisten können, und darauf kommt es an.« Bei diesen privateren Besprechungen zur Regelung der Kommissionsarbeiten konnten wir manchmal eine Probe von dem beißenden Witz Althoffs hören, der vor niemand halt machte. Als es sich bei einer Kommission noch um die Besetzung des letzten Platzes handelte und ich überlegend fragte: »Nehmen wir da nun einen Mann oder eine Frau?«, antwortete er prompt: »Nehmen Sie den Kollegen X, dann haben Sie beides.« Die Charakteristik des feinen, zartbesaiteten alten Herrn mit seiner rosa Wäsche und seinen Gummischuhen war zwar rücksichtslos genug, aber zu treffend, als daß man nicht darüber hätte lächeln müssen. Wie Althoff persönlich dachte, war nicht immer mit Sicherheit aus seinen Äußerungen zu schließen. Wenn er es liebte, Leiterin statt Leiter zu sagen, »weil ihm das natürlicher schiene«, so hatte dabei die stille Freude an dem dadurch erregten Ärgernis sicherlich ihren Anteil; er tat's »aus Haß der Städte und nicht um unsern Dank«.

Die weiteren Arbeiten an den Plänen, die der Konferenz unmittelbar folgten, bestätigten unsere Hoffnungen, daß die Regierung auch hinsichtlich des Aufbaus unseren guten Gründen Beachtung schenken würde. Es war eine Arbeit, an die ich besonders gern zurückdenke, weil in allen Kommissionen wirklich überlegene Menschen herangezogen waren.

Aber nachdem so die Kommissionen der endgültigen Neuordnung die Entwürfe geliefert hatten, kam die ganze Sache ins Stocken. Das Jahr 1906 verging, ohne daß die Pläne erschienen wären. Ein Jahr nach der Konferenz konnte ich in der »Frau« nur einen Aufsatz zu dem Leitmotiv schreiben: »Was sind Hoffnungen, was sind Entwürfe?« Althoff, der, mochte er stehen wie er wollte, immerhin in der Sache seine bekannte Tatkraft eingesetzt hatte und sie auf alle Fälle vor Philisterungen bewahrte, war zurückgetreten. Das Ministerium Studt wurde durch das Ministerium Holle ersetzt. Die endgültige Entscheidung über die revidierten Pläne wurde dem Gesamtministerium übertragen – eine neue Erschwerung, da hier natürlich statt der Sachkenntnis die übliche stimmunghafte Einstellung älterer Herren zum Frauenstudium zu Worte kam. Des Wartens müde und um das Schicksal der Reform ernsthaft besorgt, beriefen Frauen- und Lehrerinnenvereine im Oktober 1907 einen Kongreß nach Kassel ein, der noch einmal den Frauenstandpunkt vor der Öffentlichkeit vertrat »Die höhere Mädchenbildung«. Vorträge, gehalten auf dem Kongreß in Kassel am 11. und 12. Oktober 1907 von Helene Lange, Paula Schlodtmann, Lina Hilger, Lydia Stöcker, Julie v. Kästner, Marianne Weber, Dr. Gertrud Bäumer, Marie Martin. B. G. Teubner Verlag, Leipzig 1908.. Ein zweiter Jahrestag der Konferenz verging, ohne daß etwas geschah.


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