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Im Beruf

Boden und Aussaat

Es kann weder meine Absicht noch meine Aufgabe sein, das Berlin der siebziger Jahre zu schildern, das man unter dem heutigen kaum noch zu erkennen vermag. Aber es gehört zu dieser Rückschau, den Stand der Frauenbildung und Frauenbewegung kurz anzudeuten, wie sie sich um diese Zeit darstellten und in der nächsten Zeit entwickelten. Nicht als ob das mein erstes Studium in Berlin gewesen wäre. So innerlich alt und trocken war ich nicht. Ich genoß zunächst in vollen Zügen, was mir zum erstenmal richtig geboten wurde: Kunst. Ich habe das halbe Jahr, das ich mir zur Vorbereitung auf die Lehrerinnenprüfung gönnte – von einem guten Repetitor in ein paar Wochenstunden, besonders in brandenburgischer Geschichte und in dem, was man unter Religion verstand, eingepaukt –, in der Hauptsache in den Museen zugebracht; hier trieb ich ganz systematische Studien, die mir völlig neue Gebiete erschlossen. Damals war man mit 23 Jahren noch kunst gläubig, nicht kunst kritisch, und als Glaubender saß man überwältigt unter den Kaulbachschen Fresken, jeden Kopf, jede Geste mit Andacht in sich aufnehmend. Die Fragen der Frauenbildung und Frauenbewegung traten mir als Gesamtproblem erst allmählich in den Vordergrund. Wenn ich sie hier zusammenfassend gebe, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, nur soweit wie sie mir allmählich motivgebend wurden, so soll damit nur für den weiteren Fortgang meiner Darstellung ein Stück Grundlage gegeben werden. Wer Frauenbewegung und Frauenbildungswesen in Deutschland wie im Ausland wirklich studieren will, der nehme die beiden ersten Bände des »Handbuchs der Frauenbewegung« vor. (Berlin, W. Moeser 1902.)

In meinen Anschauungskreis traten die einschlägigen Fragen zuerst durch eine nicht schulmäßige Einrichtung, mit der mich Berliner Freunde gleich zu Anfang bekannt machten: das Victoria-Lyzeum. Es war 1868 durch Miß Archer gegründet worden und bot Vorlesungen von Universitätslehrern aus der Literatur- und Kulturgeschichte, der Philosophie und angrenzenden Gebieten. Das Gebotene war vollwertig; sah man sich aber die bunt gemischte Schar der Hörerinnen an, so mußte man berechtigte Zweifel hegen, ob es wirklich voll aufgenommen und verarbeitet werden konnte, da weder an die Vorbildung noch an die Arbeitsleistung der Hörerinnen irgendwelche Ansprüche gemacht wurden.

Die zweifellos sehr klug und bewußt arbeitende Begründerin der Kurse, die in engster Fühlung mit der damaligen Kronprinzessin Victoria, späteren Kaiserin Friedrich, stand, war sich dieses Mißverhältnisses durchaus bewußt. Sie hat sich in einer späteren Rede, in der sie den Vorwurf der Oberflächlichkeit von den Kursen abwehrt, einmal dahin geäußert, daß die Art der Arbeit mit vollem Bewußtsein gewählt worden, der Augenblick aber, sich darüber auszusprechen, noch nicht gekommen sei. Was sie meinte und wollte, war vollkommen klar: das nämlich, was Goethe im Wilhelm Meister durch den Hinweis auf den Kohlenmeiler sagen will, der erst ganz und gar durchgeglüht sein müsse, ehe man ihm für den Bedarf brauchbare Stücke entnehmen könne. So galt es damals, durch die Einführung weiter Kreise in wissenschaftliche Gedankengänge zunächst die allgemeine gefühlsmäßige Grundlage der Erkenntnis zu schaffen, daß eine anders fundierte Bildung eine Notwendigkeit für die Frauen sei; den geistigen Hunger zu wecken, der dazu treiben mußte, sie zu suchen.

Was im Victoria-Lyzeum zunächst mehr als edles Luxusbedürfnis erschien, das war von anderer Seite schon als das tägliche Brot erkannt und gefordert, auf das die Frauen ein Recht hatten. Mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins durch Luise Otto und Auguste Schmidt hatte die Frauenbewegung in Deutschland ihre offizielle Vertretung gefunden. Ihren ersten mutigen Anlauf nahm sie schon in den 40er Jahren, als Luise Otto den Arbeiterinnen im Kampf ums Dasein ihr Wort lieh, als sie für die Teilnahme der Frauen an den Staatsinteressen eintrat. In den sechziger Jahren fand sie ein anderes Deutschland vor als 1848, »ein Deutschland, das nicht im kühnen Schwung idealistischer Gedanken, sondern auf dem breiten Grunde wirtschaftlicher Tatsachen und im Geist eines eisernen politischen Realismus seiner großstaatlichen Zukunft entgegenwuchs.«

Und andere Frauenprobleme. Ich darf auch auf diese und den Weg, den man zu ihrer Lösung einschlug, mit früheren Ausführungen hinweisen: Helene Lange: Fünfzig Jahre Frauenbewegung. Berlin 1915, W. Moeser, Buchhandlung.

»Die Arbeiterinnenfrage, an der Luise Ottos sozialer Wille, aber auch das Feuer ihres Kampfes für die Frauen sich einst entzündet hatte, hatte sich verschoben. Hatte sie in den vierziger Jahren neben dem ewig gleichen Heimarbeitselend in der Notlage von Frauen bestanden, die durch Gewerbebeschränkungen in der Verwertung ihrer Fähigkeiten verkürzt waren, so entstand jetzt – Luise Ottos sächsischen Jugenderfahrungen noch ganz fremd – die großindustrielle Arbeiterinnenfrage. Sie war in ihrem Kern weder eine Konkurrenz- noch eine Lohnfrage, sie war das Problem der Frau, die sich hilflos in eine auf Manneskräfte und männliche Lebensumstände eingerichtete Arbeitsorganisation einspannen lassen mußte, bei der sie als Hausmutter keine Berücksichtigung finden konnte. Und in dem Maße als Großindustrie und Frauenarbeit in Deutschland wuchsen, entstand die ganze Folge von wirtschaftlichen Verkettungen, die uns heute in ihrem Zusammenhang so geläufig sind, damals aber erst Glied für Glied neu erkannt werden mußten: ungelernte Frauenarbeit, Organisationsunfähigkeit der Frauen, Lohndrückerei, Überlastung durch den Doppelberuf – und daraus hervorgehend neue Hemmungen für Arbeitsqualität, Lohnkampf usw. in ewig wechselndem Zirkel.

Was aber zu Luise Ottos Jugendzeit die Signatur der Arbeiterinnenfrage gewesen war, Kampf um die Arbeit, das wiederholte sich jetzt in einer anderen Schicht: in den bürgerlichen Frauenkreisen.

Ich brauche die Veränderung des Frauenlebens im Mittelstande, von der 1865 die deutsche Frauenbewegung im wesentlichen ausging, hier nicht erst ausführlich zu kennzeichnen. Sie ist bekannt genug. Die Begründerinnen des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins standen ganz und gar im Gesichtskreis solcher Erfahrungen. Sie sahen um sich herum Mädchen, die wirtschaftlich gezwungen waren, sich auf eigene Füße zu stellen, und nicht wußten, wo im deutschen Arbeitsleben sie für diese ihre Füße einen Platz finden sollten. Sie sahen andere, die an der Leere ihres Daseins krankten, und durch unzerbrechliche Sitte und unüberwindbares Vorurteil in dieser Leere verkümmern mußten. Sie sahen die seelische und wirtschaftliche Not der Mädchen »aus guter Familie« in dem weitesten Sinne des Bürger- und Beamtentums.

Man muß bedenken: niemals, solange es eine deutsche Geschichte gab, hatte die Tochter der gesellschaftlich führenden Kreise für fremde Arbeitgeber gegen Geld gearbeitet – niemals außer in den Fallen besonderen persönlichen Unglücks, wie sie etwa Achim von Arnim für das adlige Fräulein in der Gräfin Dolores, oder wie sie später die Marlitt in ihren Romanen von armen Mädchen zu allgemeiner Rührung beschrieb. Die Berufsarbeit der gebildeten Frau war eine Folge unglücklicher Lebensumstände, das Los der vom Schicksal Benachteiligten, denen sich ein bestenfalls mit ein wenig moralischer Achtung gepaartes Mitleid zuwandte. Und sie war auch – Notbehelf im stärksten Sinne des Wortes – nicht danach angetan, ihre Trägerin erhobenen Hauptes und festen Schrittes durch das Leben schreiten Zu lassen. Zusammengedrängt auf den schmalen Raum von ein paar »standesgemäßen« Berufen konnten diese Frauen bei der verschämten Heimarbeit, als »Stützen« oder in einem mit unzulänglicher Vorbereitung bestrittenen Lehramt kaum die innere Sicherheit und den freien Stolz gewinnen, der der Welt eine andere Anschauung von dem Wert der Arbeit als Gestalterin des Frauenschicksals hätten geben können.

An der Lage dieser Frauen wurden die alten achtundvierziger Ideale Luise Ottos wieder lebendig. Sie sah darin nicht nur eine wirtschaftliche, sie sah auch die seelische und rechtliche Gebundenheit, die in dem allen Sinne nach »Freiheit« rief. Als Mensch mit einem weiten geistigen Leben und kräftigen politischen Interessen erfaßte Luise Otto diese Frauenfrage des Mittelstandes sofort in ihrer allgemeinen kulturellen und sozialen Bedeutung, der mit bloßer beruflicher Freiheit allein nicht abzuhelfen war, sondern die ein neuer Beweis war, daß die gesellschaftliche Entwicklung auch nach einer geistigen und rechtlichen Befreiung der Frauen verlangte. Der seltsame Gegensatz dieses großen, vielumfassenden Programms und der unendlich beschränkten Möglichkeiten, es zu verwirklichen, stempelt die Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins mit dem Zeichen des mutigen Idealismus, der so oft das einzige Gut der Anfänge großer Bewegungen war.

Zum 16. Oktober 1865 rief Luise Otto eine Konferenz der Schwächsten der Schwachen in Deutschland, der deutschen Frauen, nach Leipzig ein. Diese deutsche Konferenz war schon in den Satzungen des Frauenbildungsvereins vorgesehen, der als erster seiner Art im Februar des gleichen Jahres in Leipzig gegründet worden war. Dieser Satzungsparagraph war damals heftig bekämpft worden als geeignet, den ganzen Verein lächerlich zu machen. Luise Otto trug ruhig den Verlust von Mitgliedern, die auf diesem Boden standen, und stellte sich ihrerseits auf den des unbesiegbaren alten achtundvierziger Reichsgedankens: »Das ganze Deutschland soll es sein!« Sie wußte, daß es galt, eine Organisation über das ganze Reich zu schaffen, die als Trägerin der Idee der Frauenbewegung zugleich die Verfolgung der praktischen Ziele in Angriff nehmen sollte.

Und so fand denn die erste große öffentliche Versammlung in Deutschland statt, die von einer Frau geleitet wurde. Sie erklärte »die Arbeit, welche die Grundlage der ganzen neuen Gesellschaft sein soll, für eine Pflicht und Ehre des weiblichen Geschlechts«, sie nahm dagegen das Recht auf Arbeit und erhöhte geistige Bildung und die Beseitigung aller für die Frauen noch dafür bestehenden Hindernisse in Anspruch. Die Grenzen wurden dabei mit vollem Bewußtsein nach oben und unten so weit gezogen, daß einmal die Interessen der Arbeiterinnen, andererseits die Erschließung höherer Frauenberufe hineinfielen. Und wenn auch diese Ziele: Freiheit der Arbeit und der Bildung, im Vordergrund standen, so wurden sie doch in tieferem und weiterem Sinne begründet. Auguste Schmidt führte sie in ihrer Eröffnungsrede auf die natürliche Berechtigung der Frauen zurück, sich »aus der bisherigen Unterordnung zu der ihnen gebührenden Gleichberechtigung neben dem Manne emporzuheben«.

Auf diesem Boden trat dann am 18. Oktober der Allgemeine Deutsche Frauenverein ins Leben. Als reine Frauenorganisation. Der Paragraph, der die Männer von der Mitgliedschaft ausschloß, wurde von diesen selbst als durchaus konsequent gutgeheißen, von vielen Frauen aber anfänglich als »männerfeindlich« heftig bekämpft. Der Erfolg hat gezeigt, daß nur auf diese Weise das Prinzip der Selbsthilfe, auf dem die ganze Bewegung ruhen mußte, gewahrt werden konnte.«

Nüchterner als der Allgemeine Deutsche Frauenverein, der bei den kleinen Schritten, die er in den nächsten Jahren – um nicht Jahrzehnten zu sagen – zu praktischen Zielen tun mußte, nie die leitenden Ideen vergaß, erfaßte die nicht mehr zu übersehenden Frauenprobleme der fast gleichzeitig (Februar 1866) gegründete Letteverein zur Förderung der weiblichen Erwerbstätigkeit. Dem Begründer, Präsident Lette, einem der praktisch nüchternen liberalen Politiker der sechziger Jahre, war die Versorgungsbedürftigkeit der Mittelstandstöchter ein Problem, zu dessen Lösung er gern die Hand bot, aber unter deutlichster Absage an jedes weitere, insbesondere jedes auf die Teilnahme der Frauen am öffentlichen Leben gerichtete Ziel. »Was wir nicht wollen und niemals, auch nicht in noch so fernen Jahrhunderten wünschen und bezwecken, ist die politische Emanzipation und Gleichberechtigung der Frauen.« So Lette in der Denkschrift, mit der er die Gründung des Vereins in Angriff nahm. Was aber der Verein wollte und konnte – er nahm auch die Förderung der höheren Frauenbildung schon 1869 in seine Ziele auf –, das hat er in mustergültiger Weise gelöst und dadurch ungezählten Frauen zu Lebensunterhalt und -inhalt verholfen. Vor allem, weil er in Anna Schepeler-Lette, Elisabeth Kaselowsky, Mathilde Stettiner Leiterinnen fand, die ihm ihre ganze Kraft und Teilnahme gewidmet haben.

Wenn diese Ereignisse hier ihre historisch gewiesene Stelle erhalten haben, so haben sie mich doch, wie schon erwähnt, damals noch kaum berührt. Nicht nur deshalb, weil die Frauenbewegung sich noch fast lautlos vollzog – außer den Lokalblättern berichteten die Zeitungen selten über die Versammlungen, die von den Frauen veranstaltet wurden, weniger noch aus Feindschaft, als weil man sie für belanglos hielt –, sondern in der Hauptsache, weil es mir noch vollkommen fern lag, mich aufs Enge, auf ein bestimmtes Wirkensgebiet einzurichten. Vielleicht war das gut so. Ich bin nicht in irgendwelcher »Gefolgschaft« in die Frauenbewegung hineingekommen. Und wie ich es später als ein Glück empfand, daß ich nie ein Lehrerinnenseminar besucht, also auch nicht nötig hatte, eingerammte Methoden und festgelegte Überzeugungen erst wieder los zu werden, so erscheint es mir auch als eine Schicksalsgunst, daß ich in die Frauenbewegung auf die mir wesensgemäße Weise hineinkam: nicht vom Kopf, von irgendeiner Theorie aus – ich glaube, ich bin in meinem ganzen Leben in keine Bewegung vom Kopf aus hineingekommen –, sondern als Auswirkung eines mein ganzes Wesen ergreifenden Willens.

Vorläufig lag mir nur eines am Herzen: zu erfassen, was die große Stadt, was der neue Menschenkreis an Bildungsgut im weitesten Sinne des Wortes bot. Den ersten Sommer nach dem Examen (1872) hatte ich mit der Familie des Abgeordneten Hammacher in Heidelberg zugebracht, um die drei jüngsten Töchter während ihres dortigen Sommeraufenthalts zu unterrichten. Die leichte Arbeit, die angenehme, reiche Häuslichkeit und der rege geistige Verkehr hätten viel Verlockendes gehabt, aber ich fühlte, daß mir das alles die Freiheit nicht ersetzen könne, meine Zeit ganz nach dem inneren Plan auszufüllen, der mir vorschwebte, und daß ich ernsthafte Arbeit brauchte. So gab ich den Unterricht im Hammacherschen Hause zum Teil weiter, ohne im Hause zu leben. Natürlich war es nun die erste gebieterische Forderung, fürs tägliche Brot zu sorgen. Aber ich konnte mit wenig auskommen – die nächsten Jahre habe ich durchschnittlich von etwa 1500 Mark jährlich gelebt – und so stellte ich denn »mein Sach' auf nichts«, d. h. ich suchte keinerlei feste Anstellung, sondern nahm, was sich gerade bot. Da nun die Stunden, die ich – zum Teil über mein Können und Wissen hinaus – zu geben hatte, mich direkt auf eingehendstes Studium hinwiesen, so griff alles gut ineinander. So hatte ich u. a. den drei Töchtern des Abgeordneten Grafen Bethusy-Huc den Unterricht in Literatur und Geschichte zu geben, und da ich – eben infolge mangelnder Seminarbildung – des naiven Glaubens war, daß man nichts unterrichten könne, was man nicht an den Quellen selbst geschöpft hatte, so ergab sich für mich daraus ein umfassendes Studium, das sich in der Literatur tatsächlich auf erste Quellen, in der Geschichte wenigstens auf Spezialwerke erstreckte. Da zog dann aber eines das andere nach sich. Schon bei Lessing wurde mir klar, daß ohne Latein und die Grundlagen des Griechischen nicht auszukommen sei. Und da bot sich mir eine beneidenswerte Einführung. Ich hatte in Reichenhall, das ich kurz vor meiner Übersiedlung nach Berlin eines Halsleidens wegen aufgesucht hatte, Caroline Michaelis (später Frau von Vasconcellos, die jetzt eine Professur für romanische Sprachen in Portugal inne hat) und Jeannette Abarbanell (später Frau Schwerin) kennen gelernt. Mir waren uns schnell näher gekommen, und der Kreis beider Häuser hatte sich mir in Berlin zu reicher Anregung geöffnet. Die für die guten Berliner Bürgerkreise bezeichnende Gastlichkeit der siebziger Jahre, das ungezwungene Zusammenkommen an festen Tagen hatte im Michaelisschen Hause besonders junge Philologen – Freunde des Haussohnes – angezogen, unter denen Caroline nicht nur wegen ihrer fast die Grenzen des Begreiflichen überschreitenden Sprachbegabung, sondern auch als liebenswürdigste Wirtin den Mittelpunkt bildete. Sie hat mir mehrere Jahre hindurch wöchentlich ein paar Nachmittagsstunden geschenkt, um mir das Latein, dessen Grundlagen ich für mich durchackerte, zu einem wirklichen Genuß zu machen. Den Reiz, den etwa die gefälligen Rhythmen des Ovid auf mich ausübten, mußte nach meiner Meinung jeder Gymnasiast empfinden; ich verstand wieder einmal den Stumpfsinn nicht, der dagegen gleichgültig machen konnte. Was dabei an der Methode lag, ging mir erst später auf.

Aber da war noch weit mehr in die Scheuern zu sammeln. Ich hatte nun auch gelernt, die philosophischen Bretter an dünneren Stellen zu bohren. Übergangswerke, wie Buckles Geschichte der Zivilisation in England und die englischen Popularphilosophen, dienten als Brücke; dann fand ich durch Schopenhauer den Zugang in die Philosophie, den ich durch Kant noch nicht hatte erzwingen können. Im Abarbanellschen Kreise trieben wir gemeinsam das Studium des damaligen Modephilosophen Eduard von Hartmann, und wenn ich auch seine Ausführungen mit innerer Ablehnung begleitete, so lernte ich doch an der lebhaften Debatte, die sich jedesmal an die Lektüre anschloß, philosophische Probleme anfassen und vom naiven zum kritischen Aufnehmen fortschreiten. So konnte ich in den nächsten Jahren Kant wieder vornehmen, diesmal von seinen leichteren Schriften ausgehend; dann aber das für mich entscheidendste Studium: Lotzes Mikrokosmus. Er hat das meiste dazu beigetragen, mir ein inneres Weltbild zu schaffen, das mich befriedigte und befriedete. Es folgten Höffding, Fechner, Wundt. Nietzsche las ich später auch; er hat mir innerlich nie etwas bedeutet.

So wurden allmählich die Grundfesten einer Weltanschauung zusammengetragen, oder wenigstens Teile des Rohmaterials. Eine Weltanschauung kann man sich nicht erlesen, man muß sie sich erleben. Aber zu einem konnte das Studium die intellektuellen Vorbedingungen schaffen: die Vordergrundkulissen wichen langsam immer weiter zurück, und dahinter öffnete sich die Weltenferne, die sie bisher verdeckt hatten. An die Stelle der Dynamik der Physik trat allmählich immer überzeugender die Dynamik der geistigen Mächte. Die Sinnestäuschung der greifbaren und wägbaren Welt löste sich auf und das Unsichtbare und Unwägbare wurde zu greifbarster Wirklichkeit.

Aber daß das nicht nur erkenntnistheoretische Schulweisheit, Kühle philosophische Überzeugung blieb, daß dem Akt intellektuellen Erwägens, logischen Ableitens ein tiefes warmes Gefühl entgegenkam, das gab erst die eigentliche Grundlage einer Weltanschauung, die Lebenstriebkraft werden konnte. Die aus innerstem Versenken stammende Weisheit: »Ist nicht der Kern der Natur Menschen im Herzen?« das Gefühl dafür, daß die Ehrfurcht vor diesem immateriellen Kern Ursache und Träger alles Guten in der Welt ist, daß da, wenn irgendwo, die Lösung des Welträtsels zu suchen sei, erwuchs mir mehr und mehr aus dem Leben selbst, und besonders tief beglückend aus meiner Berufstätigkeit. Es war keine sprunghafte Wandlung, kein Paulusakt, nur Wachstum. Es hat meine Lebensführung nach außen hin sicher nicht merkbar beeinflußt, mein Temperament nicht abgeschwächt und mich der Lösung der Preisaufgabe der Pädagogiklehrbücher: »die harmonische Persönlichkeit«, um keinen Schritt näher gebracht. Aber es war doch das Entscheidende: eine neue Kraftquelle, die so nicht dagewesen war und aus der alle anderen sich speisten. In dieser unentrinnbaren Verknüpfung des eigenen Daseins in das Unsichtbare war der archimedische Punkt gegeben, von dem aus man die geistigen Probleme wie die Probleme des Lebens wuchten konnte. Und erst das Auswirken der neu gewonnenen Kraft, das damit Zusammenhängende geistige Gestalten und Menschenbilden machten die Weltanschauung wirklich zu einer solchen, zu einem nicht wieder aussetzenden. Zu dem ausschlaggebenden Impuls meines Lebens, und zwar um so mehr, je tiefer ich in mein Berufsleben hineinwuchs. Die schwere Verantwortung für alles, was ich junge Menschen zu lehren, was ich mit ihnen zu durchleben hatte, ließ mich gerade in den Fächern, die ihnen selbst wieder Grundlagen der Lebenserfassung geben sollten, jedes Wort doppelt wägen, die Verwurzelung jeder von uns gemeinsam gesuchten und gefundenen Wahrheit im Immateriellen ihnen wenigstens als Ahnung ins Leben mitgeben.

Was mir so allmählich als freier innerer Besitzstand erwuchs, ohne daß ich das Bedürfnis einer Systematisierung empfand, einer Namengebung, einer Einreihung als »ismus« irgendwelcher Art, kann in zusammenfassender Vor- und Rückschau mit Recht an dieser Stelle eingefügt werden, denn zu dem, was mir gerade in dieser Zeit die Bücher gaben, kamen weitere entscheidende Einflüsse durch alles, was das reiche, flutende Leben der Hauptstadt bot. Was trat nicht alles an einen heran! Was hat man an Versammlungen mitgemacht, was drängte sich einem an Problemen auf! Sozialdemokratie, Heimarbeit, Wohnungselend, Prostitution, Schlafgängerwesen, freie Gemeinde – der ganze Komplex sozialer, sittlicher, religiöser Fragen, den diese Stichworte andeuten. Dann kam der Fachverein dazu – im Jahre 1869 war durch Auguste Schmidt und Marie Calm der Verein Deutscher Lehrerinnen und Erzieherinnen in Berlin gegründet worden, der allerdings ein wenig aufregendes Dasein führte. Dann wieder trat man, mit Butterbrot und einem Apfel versehen, zwischen fünf und sechs vor dem Opernhaus an, um rechtzeitig zum Sturm auf die durch Studentenschaft und Konservatoristen geadelte Fünfzigpfenniggalerie des Opernhauses dazusein und von dort mit allen Nerven die Meistersinger in sich aufzunehmen. Dann waren die freundschaftlichen Beziehungen zu pflegen, die dem Leben Wärme und Farbe gaben, wenn sie auch in diese Darstellung nicht hineingehören. Um aber mein Privatleben nicht ganz in der Luft schweben zu lassen, sei wenigstens gesagt, daß ich mir nach längerer Pensionsexistenz mit meiner Freundin Dora Sommer ein behagliches Heim gegründet hatte, von dem aus ich bis zum Schluß des abrollenden Jahrhunderts mein Schifflein auf die hohe See und wieder zurücklenkte. So war die rein menschliche Grundlage und die warme häusliche Atmosphäre geschaffen, aus der auch die geistige Arbeit unbewußt ihre Nahrung zieht.

Das Gegebene kann nur andeuten, wie mir ungefähr die eisten Jahre meiner Berliner Zeit vergingen. Innerer Aufbau der geistigen Persönlichkeit war ihre Kennzeichnung. In der Mitte der siebziger Jahre trat mir dann auch die Frauenbewegung von zwei Seiten näher: einmal praktisch im Tiburtiusschen Hause, andererseits durch John Stuart Mills » Subjection of women«, das mir zuerst in der Übersetzung von Jenny Hirsch, »Die Hörigkeit der Frau« bekannt wurde.

Henriette Tiburtius war Pionierin der Frauenbewegung im allerbesten Sinne. Auf der Insel Sylt geboren, hatte sie die ganze Zähigkeit ihres niedersächsischen Stammes, aber nicht seine Schwerlebigkeit. Zweimal verheiratet, das zweitemal in sehr glücklicher Ehe, und Mutter zweier Söhne, sah sie dennoch – vielleicht auch gerade deswegen – den Mann als solchen ganz ohne Illusionen und pflegte das Urteil, das »Isebies« über das »schwerbewegliche Geschlecht« fällt, in drastischerer Form auszusprechen, die Mann oder Söhne ihr wohl humorvoll selbst in den Mund legten: »Nicht wahr, Mutter, die Männer sind zu dumm.« Was sie vor allem bei ihnen nicht verstehen konnte, weil es ihr selbst so ganz fern lag, war die Aufrechterhaltung unberechtigter Konventionen. Zu diesen gehörte für sie das Privileg des Mannes auf Bildung, Stellung, Gesetzgebung. Und was weiter ihrem ganzen Wesen zuwiderlief, war die Gleichgültigkeit, die gegebene Zustände als unabänderlich hinnimmt. Jeder aber, der vorwärts strebte, ob er zunächst sich selbst oder anderen helfen wollte, war auch ihrer tätigen Teilnahme sicher. Ihr eigener Aufstieg war schwer genug gewesen. Als sie zwischen ihrer ersten und zweiten Ehe sich vergebens in Berlin nach einer passenden Stellung als Leiterin eines Haushalts umgesehen hatte, als ihr klar wurde, daß den Frauen weitere Berufe erschlossen werden mußten, setzte sie bei der preußischen Regierung die Erlaubnis durch – damals fast ein Wunder – in Preußen zu praktizieren, wenn sie in Amerika die Zahnheilkunde studiert haben würde. Sie brachte dann – im Herbst 1867 – auch noch die ganze Fakultät in Philadelphia in Aufruhr, als sie Aufnahme in das Pennsylvania Dental College verlangte – hatte doch noch keine Frau dort studiert. Aber sie setzte sich dort durch, wie sie sich später in Berlin durchsetzte und eine glänzende Praxis schuf, die sie als Frau und Mutter fortführte, beiden Berufen gerecht werdend.

Den Kreis, den sie und ihre Schwägerin, Dr. med. Franziska Tiburtius, die unter ähnlichen Schwierigkeiten und mit gleichem Erfolg die Bahn für die Ärztin in Deutschland gebrochen hatte, in ihrem Hause um sich sammelten, war keineswegs nur oder auch nur vorzugsweise aus Vertreterinnen der Frauenbewegung gebildet. Zwar kam keine Ausländerin von irgendwelcher Bedeutung auf diesem Gebiet durch Berlin, ohne das Tiburtiussche Haus aufzusuchen, aber sonst fand sich dort zusammen, was irgend dem Hause nahe stand und an einer herzlich gebotenen, zwanglosen Geselligkeit Freude fand; als die Söhne heranwuchsen, mit starker Betonung des jungen Elements. Und gerade da trat der besondere Zug sorgender Mütterlichkeit hervor, der die energische Frau doch so ganz weiblich erscheinen ließ. Ich habe es als einen besonderen Gewinn empfunden, daß mich der Wunsch, von Frauen auch ärztlich behandelt zu werden, frühzeitig in das Haus führte; ich lernte dadurch nicht nur viele hervorragende Vertreterinnen der Frauenbewegung kennen, sondern wurde auch mit den zahlreichen Zweigen der Wohlfahrtspflege bekannt, denen Henriette Tiburtius ihre nie ermüdende Teilnahme zuwandte. Von der »Theorie« der Frauenbewegung dagegen habe ich dort nie ein Wort gehört; Frau Tiburtius würde über die spekulative Betrachtung des »Feminismus« und »Antifeminismus«, in der sich heute eine ebenso altkluge wie unreife »Philosophie« junger Männer gefällt, herzlich gelacht haben. Sie war durch und durch Frau, dessen war sie sicher, und sie handelte ohne Reflexion ihrer Natur gemäß, ganz gleichgültig, ob sie dadurch in die sogenannte »männliche Sphäre« übergriff oder nicht.

Aber, wie erwähnt, die Theorie kam von anderer Seite an mich heran. Die Frauenbewegung hatte bis dahin die Männer der geistigen Oberschicht ziemlich kalt gelassen. Sie griff noch nicht weit in ihre Sphäre hinein, und die untergeordneten Posten konnte man schließlich den Frauen gönnen. Männer wie Hermann Grimm meinten ja sogar noch viel später, sich die Frauenbewegung »mit einem kräftigen Achselzucken vom Leibe halten« zu können. Wenn beim Erscheinen von John Stuart Mills » Subjection of women« in der Tat einmal von den Männern der höheren Berufe blank gezogen wurde, so war das, weil hier ein Mann ihrer eigenen Schicht, dessen staatswissenschaftliche Theorien auch die deutsche Wissenschaft beschäftigten, für die Frauen eintrat und ihre Sache durch Argumente stützte, die doch schließlich einmal bedenklich werden konnten.

Natürlich las man das Buch, das zum erstenmal in Deutschland eine Erörterung der Frauenfrage auf prinzipieller Grundlage erzwang, mit Begierde. Der Grundgedanke, daß die gesetzliche Unterordnung des einen Geschlechts unter das andere nicht nur an und für sich ein Unrecht, sondern auch eines der wesentlichsten Hindernisse für den Aufstieg der Menschheit sei, daß an die Stelle dieses Prinzips das der wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Gleichberechtigung gesetzt werden müsse, war an sich so einleuchtend wie die Forderung, daß alle Bildungsgänge und Berufe, die bis dahin einseitig den Männern vorbehalten waren, auch den Frauen geöffnet werden müßten. Aber bei all den Ausführungen, die darauf hinausliefen, daß Frauen die als männlich bezeichnete Sphäre ebensogut, ja unter Umständen vielleicht einmal besser ausfüllen könnten als der Durchschnittsmann, daß die Frau auf Grund ihres Menschentums befreit werden und zu den männlichen Wirkenssphären zugelassen werden müsse, fehlte mir das Zwingende, das Primäre. Das lag für mich nur in dem Gedanken, daß es vieles gab, das nur Frauen, das Männer nicht oder nicht so gut ausführen konnten, daß die Gleichberechtigung also nicht verlangt werden müsse um der Gleichheit, sondern um der Ungleichheit der Geschlechter willen, daß die einseitig männliche Kultur durch eine weibliche ergänzt werden müsse. Doch war das noch mehr Gefühl als klare Argumentation. Daß das Ziel der Frauenbewegung die volle kulturelle Ausprägung und die unbeschränkte soziale Auswirkung der weiblichen Persönlichkeit sei, würde ich damals noch nicht so formuliert haben; dennoch lebte es so im Untergrund nicht nur meines Bewußtseins, sondern in dem so mancher Frau, die sich mit diesen Problemen überhaupt beschäftigte.

Die minderwertigen Argumente, mit denen Stuart Mill von der geistigen Männerschicht in Deutschland abgetan werden sollte, riefen zunächst eine kräftige Abwehr von Hedwig Dohm hervor, deren Bücher »Jesuitismus im Hausstande«, »Die wissenschaftliche Emanzipation der Frau« und »Das Stimmrecht der Frauen« ich trotz meiner ganz anderen prinzipiellen Einstellung mit unleugbarem Vergnügen las. Die Schriften wurden, wie sie selbst in der erst in den neunziger Jahren erschienenen zweiten Auflage sagt (Der Frauen Natur und Recht, Berlin, Friedrich Stahn), »von der Presse entweder völlig ignoriert oder kurz und höhnisch abgefertigt.« Das würde bei der glänzenden Art, wie sie die Gegner der Frauenbewegung zur Strecke bringt, unbegreiflich erscheinen, wenn man sich nicht klar macht, daß sie einerseits die Professoren und Pastoren, andererseits die Hausfrauen gegen sich aufgebracht hatte. Für die ersteren statuierte sie ein Exempel an dem Münchener Anatomen Bischoff, der die damals üblichen fadenscheinigen Gründe gegen das Medizinstudium der Frauen mit besonderer Arroganz und Oberflächlichkeit vorgebracht hatte. Den Hausfrauen aber spielte sie gar übel mit, indem sie das Hausfrauentum ihrer Tage als eine Karikatur des früheren bezeichnete, und den Hausfrauen, die nicht mehr spinnen und weben, brauen, backen und pflanzen, vorwarf, sie spielten mit der Küche, den Kindern und dem Leben. Daß unter all diesen Übertreibungen ein gut Stück Wahrheit steckte, das anzuerkennen konnte man von den Opfern selbst kaum verlangen. Auch die Respektlosigkeit und Selbstsicherheit, mit der Hedwig Dohm ihre geistreiche Feder gegen die Männer führte, war vielen noch ganz »in der Furcht des Herrn« erzogenen Frauen zu ungewohnt. Nun noch das Eintreten für das Frauenstimmrecht! in Deutschland! in den siebziger Jahren! Ein ärgerer Anachronismus war allerdings nicht denkbar. – Mir selbst fehlte vor allem, wie bei Mill, das Positive. Die Kritik war glänzend, aber nicht produktiv. Nicht darauf kam es an, zu zeigen, daß der Gegner unrecht hatte, sondern darauf – ich gebe es etwa in der Form, wie ich es damals empfand – nachzuweisen, daß die einseitige Männerwirtschaft in der Welt ebenso gewirkt habe und wirken müsse, wie die Mutterlosigkeit in der Familie.

Jedenfalls erbaute sich mir gerade aus Stuart Mill und Hedwig Dohm die Überzeugung von der fundamentalen Verschiedenheit beider Geschlechter und der Notwendigkeit, die Forderungen der Frauenbewegung danach einzustellen, mit solcher Sicherheit, daß sie mich zeitweise zu fast reaktionären Folgerungen drängte. Wenn ich später die rein intellektuellen und die sozialen Interessen als die beiden verschiedenen Mittelpunkte bezeichnet habe (Intellektuelle Grenzlinien zwischen Mann und Frau, W. Moeser, Berlin, 1897), um die das geistige Leben der Geschlechter kreist, so waren es damals die Stichworte Abstraktion und sittlicher Idealismus, mit denen ich die Eigenart der Geschlechter zu decken suchte, und die ich bis zur Einseitigkeit zugrunde legte. So ergab sich eine so schroffe Gegensätzlichkeit, daß ich meinte, auch die Gymnasialbildung für die Frauen ablehnen zu sollen, – in seltsamem Widerspruch mit meinen eigenen Studien, in die ich inzwischen auch die Mathematik einbezogen hatte. Besonders das Examen pro facultate docendi erschien mir als unvereinbar mit der Grundanlage der Frau; die Abneigung dagegen schrieb sich zweifellos aus den Erfahrungen her, die ich mit akademisch gebildeten Lehrern gemacht hatte; wenn es die Männer schon als Lehrer schädigte, wie mußte es erst auf die Frauen wirken, deren Wesen die philologische Haarspalterei so fern lag. Erst im Laufe der achtziger Jahre bildete sich mir langsam die Überzeugung, daß die Grundanlage der Geschlechter durch gleichartige Vorbildung nicht verschoben werden könne und daß sie für viele Berufe und Wirkenskreise, die die Frau umgestalten und mit ihrer Besonderheit erfüllen müsse, Vorbedingung sei. Diese Überzeugung wurde mir gerade durch meine Schultätigkeit vermittelt; sie wurde um so fester, je mehr ich erkannte, auf welchem Abwege sich die deutsche Mädchenbildung befand und wie nötig auch den Mädchen die Zucht einer erhöhten intellektuellen Bildung tat, die ernsthafte Ansprüche stellte und als Korrektiv der einseitig literarisch-ästhetischen Bildung dienen konnte, die die offizielle Mädchenschulpädagogik zum Programm erhoben hatte. Daß ich nun erst auf dem rechten Wege war, davon konnte mich der Widerspruch überzeugen, der alsbald einsetzte. Vor dieser Kampfzeit aber noch etwas von der Schularbeit, die meine Überzeugungen gezeitigt hatte. Sie bildet den Beginn meiner eigentlichen Arbeitszeit, für die meine ersten Berliner Jahre, wenn sie auch Arbeit genug brachten, doch nur als Vorbereitung erscheinen.


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