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VI

In dem Garten, der zu der Hartwigschen Sommerwohnung gehörte, streckte sich ein langer, überschatteter Gang an dem nach dem Strandwege hinausgelegenen Gartengitter entlang. Hier schlenderte am nächsten Vormittage Hartwig auf und nieder in elegantem weiß und blau gestreiftem Flanellanzug und Strohhut, einen kleinen, dünnen Spazierstock in der Hand, die Cigarette im Munde.

Er hatte schon ein langes Tagewerk hinter sich! Er war um sechs Uhr aufgestanden, hatte einen Schimmer von Ingeborgs feindlichem Rücken im Bett neben dem seinen gesehen, und hatte dann einen langen Ritt in den schönen Morgen hineingemacht, der jetzt nach dem Regen so frisch und duftend war. Nach Hause zurückgekehrt, hatte er ein hastiges Seebad genommen und war hinaufgegangen, um Toilette zu machen. Lange war er da oben umhergegangen, – er hatte sogar leicht gepfiffen – leise gesummt – aber Ingeborg schlief jetzt fest mit ruhigen, schweren Atemzügen. Und er wollte sie nicht stören.

Jetzt ging er hier, frisch, leicht, elastisch, in vollster männlicher Kraft, einen spähenden Blick in die Zukunft gerichtet.

Denn auf seinem langen Ritt hatte er den Status aufgemacht. Ruhig – mit so verwundertem Zerren an den Zügeln, daß das Pferd still stand – hin und wieder in kurzem Trab, – hauptsächlich aber im Schritt – hatte er die Krisis untersucht, ihren Ursachen nachgeforscht und ihre Resultate gezogen.

Vedel war der Ausgangspunkt. Er hatte ihn geneckt, und Ingeborg hatte mit ihm kokettiert. Beides aber war ohne Bedeutung. Seine Neckereien rührten nur daher, daß der Mensch zum Necken geschaffen war; es war keine Spur von Eifersucht seinerseits mit im Spiel gewesen. Ingeborgs Koketterie war nur eine Folge ihrer Jugendbekanntschaft mit dem kleinen Baron, einige unschuldige Erinnerungen, gemeinsame Erziehung und dergleichen alte Sachen; von ihrer Seite war da kein Funke von Verliebtheit. Vedel selber war neutral und verantwortungslos wie immer. Er war gleichsam das Messer in der Hand des kundigen Arztes gewesen, der das Geschwür mit einem schnellen Schnitt entfernt.

Denn seine und Ingeborgs Ehe hatte sich in den letzten Monaten mit einer Geschwindigkeit zusammengezogen, die bewies, daß diese Ehe krank, abnorm war. Jeder Tag hatte sie ja weiter voneinander entfernt. Ein Glück, daß das ganze Verhältnis so frisch war, daß es sich ohne besonderen Schmerz und Mühe lösen ließ. Und er war ja nicht im geringsten im Zweifel darüber, wie er geheilt werden konnte.

Ohne Qual würde die Kur natürlich nicht ablaufen, – Ingeborg würde es sich wohl sogar recht nahe gehen lassen, denn sie war zweifelsohne noch in ihn verliebt. Sie war wirklich auch ganz allerliebst und frisch, die Kleine, so drollig in ihrer unbeherrschbaren Heftigkeit – – Aber, – was konnte das nützen: sie paßten nicht zusammen. Da war kein festes Band, was sie aneinander kettete, keine sichere Ruhe für sie beide im Zusammenleben. Bisher hatte er geglaubt, daß sie sich nur noch zu wenig kannten, jetzt kannte er sie aus dem Grunde: sie paßte nicht zu ihm. Sie war zu leicht für ihn, zu leer, ohne richtigen Grund weder im Herzen noch im Gehirn. Er selber war ja eigentlich schwerfällig; hinter all dem angelernten, ästhetischen Wust, den er seinen verblüfften Standesgenossen mit Vorliebe an den Kopf warf, war er von Natur und dem Herzen nach Bauer. Sie paßten nicht zusammen.

Nein, und zu guterletzt: sie war im geselligen Leben nicht recht zu zeigen. Sie legte Wert auf eine gewisse formelle Tadellosigkeit, war aber so verhätschelt und launenhaft, daß sie den Ton in der Gesellschaft einmal über das andere durch ihre Einfälle gestört hatte, wenn sie zusammen aus waren. Diese Zeichen von »Unmittelbarkeit« machten ihm nun einmal kein Vergnügen. Sie war keine richtige Dame.

Nein, es war sicher und gewiß: sie paßten nicht zusammen.

Aber wenn die Sache zwischen ihnen nun also heute ganz vorbei war, – so war die Heilung ja nahe – –

Hartwig sah nach seiner Uhr. Er erhob den Kopf, und während er den Weg nach links hinabspähte, vibrierten seine Nasenlöcher, als wittere er etwas.

Wo blieb sie denn nur einmal, – die schöne Frau?

Er sehnte sich nach ihr. Sie war so heiter, so klug, von so rühriger Liebenswürdigkeit, sie hörte so intelligent zu, antwortete so offen und überlegen. Es war zwischen ihnen gleich jenes geheimnisvolle Einverständnis zwischen den Worten zu stande gekommen, das für ihn die erste Bedingung war, um sich überhaupt unterhalten zu können. Mit Ingeborg hatte er niemals eine Unterhaltung gehabt. Nur ein wenig Flirt, ein wenig Neckerei oder Zankerei, was einem gerade einfällt, wenn man nichts zu sprechen hat.

Ja, – jetzt handelte es sich also darum, welche von den beiden Frauen es werden sollte. – –

Schon heute Morgen hatte er seinen Schlachtplan gemacht: er wollte sie mit einander vergleichen. Ganz ruhig und gewissenhaft wollte er die eine gegen die andere halten, ihre Vorzüge auf diese Weise prüfen. Er hatte zufällig daran denken müssen, wie er immer seine kleinen sächsischen Porzellanfiguren zu Hause untersuchte, indem er sie erst ganz leise gegeneinander stieß und dann – ein wenig stärker – gegen die Zähne: auf diese Weise hörte er augenblicklich und sicher, ob sie restauriert oder fehlerlos, aus einem Gusse waren. So sollten auch die beiden kleinen modernen Schäferinnen ihm ihre geheimen Risse offenbaren.

Wenn dann Frau Thomsen die Probe mit Glanz bestanden hatte, – was dann? konnte er sie gewinnen? – –

Hartwig lächelte kräftig, die Cigarette zwischen den Zähnen. Er ging eine Strecke weiter, lächelnd, mit dem Stock in die Luft schlagend. Er fühlte seine breite Männlichkeit in sich. Er erinnerte sich seiner vielen schnellen Siege und lachte in plötzlichem Triumph. Was konnte ihm geschehen, ohne daß er es wollte? – –

Schon gestern abend, – sie hatten kein Wort mit einander gesprochen, das nicht jeder hätte hören können, – aber durch all das gleichgültige Geplauder hindurch leuchtete ihr Lächeln, ihr Blick um so heller. Er entsann sich, daß er ein wenig erstaunt gewesen war, eine so schnelle Eroberung hatte er noch nie gemacht. – – Ob sie wohl unglücklich mit ihrem Manne lebte? – – Wenn das doch der Fall wäre, denn der Gedanke an den Großhändler genierte ihn ein wenig.

»Guten Morgen, mein lieber Herr!« ertönte plötzlich eine Stimme vom Strandwege her.

Es durchzuckte ihn leise, – er sah hinaus: Da stand Frau Thomsen.

Er verneigte sich tief. »Guten Morgen, gnädige Frau!«

»Kommen sie denn mit?«

»Ja, ja, – gewiß!«

Er ging an dem Gitter entlang, sie schritt draußen daneben her. Während sie ein paar Worte über das Wetter wechselten, betrachtete er sie genau: sie sah anders aus, als er sich gedacht hatte, – ganz anders, als er sie jemals bisher gesehen hatte. Er kannte sie nur in Toiletten, die so offen und üppig waren wie sie selbst, ihr Rede, ihr Wesen; in Kleidern, die gewöhnlich einen Unterarm frei ließen, – die den Hals entblößten und die sie munter und ungezwungen umwogten. Aber nun ging sie da unten in einem stahlgrauen tailor-made-Kostüm, das sie stramm umschloß und ihre Formen vielleicht ein wenig zu kräftig hervorhob. An und für sich stand es ihr! Sie trug es mit Aplomb, und die Manschetten und der weiße, enganschließende Kragen gaben ihr gewissermaßen etwas Männliches, was sie sehr wohl durchzuführen vermochte. Aber trotzdem war dieser erste Augenblick eine kleine Enttäuschung für ihn. Ingeborg hatte ein gelbes Kleid von genau demselben Schnitt, und ohne Frage paßte das besser für ihre schlanke, schmächtige Figur. Er entsann sich, was er ihr so oft von diesen tailormade -Kostümen gesagt hatte, daß sie durch ihre Einfachheit das Eleganteste und zugleich Einfachste von allem seien, es komme nur darauf an, wer sie trüge.

Er kam aus der Pforte heraus und ging auf sie zu, den Hut in der Hand. Da stand sie, die schöne Frau, ihr Haar stramm aufgesteckt unter dem kleinen weißen, englischen Strohhut, einen blauen Sonnenschirm über den Schultern, mit hoch erhobenem Nacken. Neben ihr saß ihr schwarzer Seidenpudel, schwach wedelnd, mit weißen Zähnen, die Zunge zum Halse heraus.

Es lag etwas Gesammeltes, Geschlossenes etwas bewußt Überlegenes und ruhig Siegesbewußtes über ihrer Erscheinung, das Hartwig entzückte und bezauberte, jetzt, wo er sie aus nächster Nähe sah.

Sie musterte ihn mit Wohlbehagen, während sie einen Augenblick seine Hand hielt.

»Und Madame?« fragte sie plötzlich leise.

» Madame n'est pas visible ,« sagte er schnell.

Sie lächelte. » Tant pis!So gehen wir.«

Hartwig aber hatte plötzlich den Diener Anton entdeckt, der ein wenig hinter seiner Herrin stand, einen Spankorb in der Hand, ein Plaid überm Arm.

»Sollen wir den mit haben?« fragte Hartwig.

Sie überlegte einen Augenblick. »Ja,« sagte sie nachdenklich, – sie hatte ihn ja auf jeden Fall bald nach Hause schicken wollen, – aber so lange sie auf dem Strandwege gingen –

»Er trägt ja das Frühstück,« lächelte sie.

»Das nehme ich!« lachte er.

»Na ja, – hören Sie einmal, Anton!«

Der Diener näherte sich schnell.

»Geben Sie Herrn Hartwig den Korb und das Plaid. Und dann können Sie nach Hause gehen, Anton.«

Der Diener gab die Sachen ab, verneigte sich tief und zog sich mit zwinkernden Augen zurück.

»So!« sagte Frau Thomsen ganz vergnügt über ihre plötzliche Entschlossenheit, und ganz gleichgültig gegen die frechen Blicke des Dieners: warum sollte er nicht auch über sie klatschen? – – Jetzt machen wir also eine Waldpartie! Wie ich mich darauf gefreut habe! Pollux, bist du da?«

Sie gingen den Weg hinab – an der Villa vorüber. Hartwig sah plötzlich ganz nervös aus, – Frau Thomsen aber redete schon lustig darauf los. Sie erinnerte ihn daran, was eigentlich der Grund zu diesem improvisierten kleinen Pic-nicwar: er hatte gestern abend einräumen müssen, daß er noch nicht ein einziges Mal hier draußen im Wald gewesen sei, – in diesem entzückenden kleinen Wäldchen, das kaum fünf Minuten von seiner Villa entfernt lag.

»Nein,« sagte er jetzt, – »ich habe immer das Feld lieber gehabt.«

»Oder die Stadt?« warf Frau Thomsen lächelnd ein.

»Auch die,« sagte er, »aber der Wald hat etwas Beengendes,« finde ich.

»Beengendes!« rief sie aus, – »dann sollen Sie einmal sehen, mein Lieblingsplatz wird Sie ganz bezaubern!«

Leute kamen vorüber, grüßten, oder sahen ihnen mit zwinkernden Augen nach. Frau Thomsen grüßte ruhig und gleichgültig wieder, Hartwig ein wenig scheu und hastig mit zusammengezogenen Brauen.

Erst als sie in den Wald kamen, atmete er erleichtert auf.

»Ich kann mich nicht mit dem Strandweg aussöhnen,« sagte er.

»Ist die Östergade besser?«

»Absolut!«

»Und das sagen Sie, ein Landjunker?«

»Ja, dieser Bastard zwischen Stadt und Land ist mir geradezu widerlich! Die Kopenhagener nehmen alle ihre geheimen Gebrechen mit hier heraus, und dann meinen sie, daß sie das Recht haben, sie in ihrem vollen Flor zu entfalten, weil sie auf dem Lande sind.«

»Zum Beispiel?« fragte sie ein wenig verletzt.

»Ja, in der Östergade begnügen sie sich doch damit, einander etwas zuzuflüstern und sich leise anzustoßen, hier stellen sie sich auf, die Arme in die Seiten gestemmt, die Augen weit aufgerissen.«

»Herr Hartwig scheint heute ein wenig nervös zu sein?« sagte sie mit einem leichten, spöttischen Lächeln.

Er sah sie an, und mußte wieder staunen, wie schön sie doch war! Hier drinnen im Schatten der Bäume war ihr Haar dunkler, ihre Haut weißer, ihre Augen tiefer und dunkler als in dem starken Sonnenschein da draußen. Jetzt hatte sie – trotz des Schneiderkleides – wieder jenen leisen Schimmer von Üppigkeit und reichen Verheißungen, der nun einmal zu ihr gehörte. Ingeborg erschien spitz neben ihr.

»Ja,« sagte er gedämpft und beugte sich ein wenig zu ihr hinüber, – »wenn man neben der schönsten Frau unter der Sonne geht.«

Sie lachte wieder vergnügt. »Ei was, – sagen Sie, der schönsten Frau Kopenhagens oder Skotterups, – das höre ich viel lieber.«

Sie kamen jetzt durch einen dichten jungen Wald, durch den das Sonnenlicht herabsickerte, hier war es kühl und licht, – und weiter über Wege, die von grünem Laub geschlossen waren, das ihnen im Gehen ins Gesicht schlug. Frau Thomsen ging voran, der Pudel folgte ihr auf den Fersen, schnell und sicher marschierte sie dahin, mit jugendlichen Bewegungen in ihrem enganschließenden Kleide. Sie redete unaufhaltsam, bald mit dem Pudel, bald mit Hartwig, gleichgültig, ob jemand sie hörte. Im Gehen wandte sie sich um, sandte ihm ein Lächeln zu, ein schnelles Auflachen: »Können Sie mitkommen?« Weiter ging es über kleine, seichte Bäche, wo ihnen große Steine als Brücken dienten, – geheimnisvolle Stufen hinab. – –

»Nun, was sagen Sie denn?«

Sie war stehen geblieben und sah ihn mit einem triumphierenden Lächeln an.

Hartwig war ganz außer Atem. Er legte Plaid und Korb hin, nahm sein Taschentuch und trocknete sein Gesicht ab.

»Nun?« fuhr sie fort.

Er sah sich um. »Sehr schön!« sagte er, es ist wirklich einladend hier.«

Sie standen in einem kleinen, dichten Eichenhain, der sich zu einer Art Hütte wölbte. In der Mitte ragte eine riesenhafte Fichte auf. Eine niedrige Bank war an ihren Wurzeln befestigt, und rings umher war die Erde mit braunen Nadeln, Eicheln und Moos bedeckt.

Frau Thomsen setzte sich auf die Bank.

»Sehen Sie!« sagte sie und zeigte vor sich hin. Durch eine Lichtung des Eichengestrüpps schimmerte ein Streifen des blauen Sundes tief unter ihnen hindurch.

»Hören Sie nur!« flüsterte sie und hob die Hand empor.

Es war ganz still um sie her. Nur hoch oben über ihren Köpfen hörten sie ein leises ununterbrochenes Sausen in den Zweigen des großen Baumes.

»Welch ein Fund!« sagte Hartwig.

Frau Thomsen machte sich über den Korb her. »Ja, hier ist es schön!« sagte sie vergnügt. »Hier sitze ich oft mit meinem Buch. – –

Aber jetzt wollen wir etwas zu essen haben! Sind Sie hungrig?«

»Gewaltig! rief er aus.

Sie lachte laut. »Du lieber Gott! Dann müssen Sie gewiß hungrig zu Bett gehen, Herr Hartwig!«

Er zwinkerte mit den Augen, begriff nicht recht, was sie meinte. Sie war so eigentümlich lustig. – – Dann nahm er das Plaid, breitete es aus und setzte sich zu ihren Füßen.

»Lassen Sie uns die Herrlichkeiten einmal untersuchen!« sagte er.

Sie legte eine Serviette auf die Bank und deckte auf.

Da war leckeres Butterbrot in kleinen, zierlichen Päckchen; da waren pflaumenweiche Eier, Stilton und eine kleine Kruke Straßburger Gänseleberpastete, da waren frischgepflückte Erdbeeren mit dem Stengel daran, um trocken mit Zucker gegessen zu werden, da waren zwei halbe Flaschen Rheinwein und eine Feldflasche mit Madeira, da war eine Kruke mit Kaffee, in einen wattierten Theewärmer gewickelt, da waren Cigarren und Cigaretten.

»Sie sind zu gut gegen mich!« sagte Hartwig mit aufrichtigem Wohlbehagen.

»Essen Sie jetzt nur!« sagte sie vergnügt.

Sie griffen tüchtig zu und schwatzten darauf los. Hartwig war so hungrig und so zufrieden mit dem Augenblick, daß er alle übrigen Pläne vergaß. Auch Frau Thomsen aß tüchtig, wie sie es zu thun pflegte, und berührte plaudernd tausenderlei Dinge, – aber es lag etwas Angestrengtes in ihren unruhigen Bewegungen, ein Fieberglanz in ihrem Blick; ihr Gesicht rötete sich schnell, und sie faßte sich alle Augenblicke nervös an die Wangen, als sei sie ärgerlich, daß sie so rot wurde, aber keine Sekunde verlor sie ihren Plan aus dem Auge.

»Nun, fangen Sie denn jetzt an, sich mit dem Walde auszusöhnen?« fragte sie nach einer kleinen Pause und schenkte ihm ein. »Beengt er sie noch immer?«

Hartwig war mit dem Stilton beschäftigt. »Nein,« sagte er munter, – » hierwenigstens sind Aussichten genug!« Und mit dem Messer zeigte er auf den Streifen des Sundes vor ihnen, – dann auf seine Begleiterin – und schließlich auf das Frühstück.

Sie lachte. »Sie sind doch ein unverbesserlicher Sybarit! Gottlob, daß es nicht viele von Ihrer Art giebt!«

»Weshalb?« fragte er schnell.

Sie sah ihn einen Augenblick an. »Nun,« sagte sie dann und warf dem Pudel ein Stück Butterbrot hin, er saß in einiger Entfernung auf den Hinterpfoten und schnappte nach jedem hingeworfenen Bissen – »dann würde man die wenigen, die es giebt, ja nicht so schätzen!«

»Ha, ha, ha!« lachte er, »Sie schlagen mit der einen Hand und streicheln mit der andern! Vielen Dank!« Er reichte sein Glas zu ihr hinauf.

Sie stießen miteinander an.

»Nein, aber allen Ernstes, Herr Hartwig,« sagte sie nach einer Weile, – »wissen Sie, was ich an Ihnen nicht begreifen kann?«

»Nein,« sagte er wohlwollend mit vollem Munde.

»Ja, sehen Sie,« fuhr sie fort und fing an, in den Käse hineinzuhöhlen, »Sie, der Sie so viel gereist sind und so viel gesehen und erlebt haben, so viele Frauen haben Sie auch gekannt, ja, Sie haben mir gestern abend eine Menge erzählt, wissen Sie wohl noch?« lächelte sie mit einem schnellen Blick, – – »ich kann nicht begreifen, daß Siesich so bald zur Ruhe gesetzt haben. Sie sind doch nicht müde, wie?«

»Nein!« rief er aus und lachte.

»Ja, denn ich habe nie an den Unsinn geglaubt, daß sich Männer mit Erfahrungen am allerbesten für die Ehe eignen sollen. Mein guter weiblicher Instinkt sagt mir, daß sie ganz und gar nicht dazu taugen!«

Jetzt geht's los! dachte Hartwig. Warte nur, ich hab' dich gleich!

»Nun – und der Herr Gemahl?« fragte er lächelnd.

»Thomas,« sagte sie. Sie wandte den Blick einen Moment ab, – dann sah sie ihn an. »Thomas hat keine Erfahrungen!«

»Er ist also ein guter Ehemann?«

»Ja, ich wünsche ihn jedenfalls nicht anders,« sagte sie und sah ihn ganz ernsthaft an.

»Hm!« sagte Hartwig nachdenklich und schwieg.

Es entstand eine kleine Pause.

»Haben Sie genug bekommen? – Sind Sie satt geworden, meine ich?« lachte sie.

Er räusperte sich. »Vollkommen, liebe gnädige Frau! Ich bin vollkommen befriedigt.«

»Dann wollen wir abdecken!« Sie nahm die Serviette bei den Zipfeln, hob sie in die Höhe, so daß die ganze Anrichtung zusammengeschüttelt wurde und packte dann das Bündel in den Korb.

Hartwig war unzufrieden mit sich. Er kam gar nicht aus der Stelle, – sie entschlüpfte ihm fortwährend. Und das war seine eigne Schuld. Wo ist mein altes Feuer? dachte er. Er fühlte es nicht mehr, – er fühlte nur, wie diese Trägheit nach dem Essen, die er so gut aus den letzten Jahren kannte, – wie die ihn langsam beschlich. Ja, das Essen machte ihn schwerfällig und der Rheinwein schlich ihm leise am Rückgrat hinab. Er mußte wirklich versuchen, sich zu ermannen, sonst verlief ja das Ganze im Sande.

Frau Thomsen hatte die Schale mit Erdbeeren auf ihre Knieen gesetzt und, die Madeiraflasche in der Hand, rückte sie jetzt ganz nahe an ihn heran. Sie schenkte ein und reichte ihm ein Glas.

»Erquicken Sie sich jetzt aus meinem fruchtbaren Schoße,« sagte sie lächelnd.

Den Teufel auch! dachte er, – das hätte ich ja sagen müssen!

Er nahm eine Erdbeere, und ihre Hände streiften sich.

»Vorhin sind Sie mir ausgekniffen,« sagte sie, – »ich habe nicht erfahren, ob Sie jetzt wirklich zur Ruhe gekommen sind!«

»Zur Ruhe gekommen?« wiederholte er langsam. Dann aber richtete er sich auf und räusperte sich energisch.

»Nein,« sagte er, »natürlich haben Sie recht. Ein Mann wie ich kommt niemals zur Ruhe. Ich habe zu viel gesehen, – das Leben ist für mich zu konkret. – – Ich kann keine Ruhe in Begriffen finden, ich glaube nicht an ihre Unvergänglichkeit. – – Ich glaube nur an Nuancen, an Veränderungen. Ich muß sie von einem Tag zum andern verfolgen, sonst werde ich nicht glücklich.« –

»Ja, nicht wahr?« sagte sie. Sie hatte ein Gefühl, als wenn sie nicht das Geringste bei dem empfand, was er sagte, aber sie wurde doch aufmerksam.

»Aber so essen Sie doch! So essen Sie doch!« ermunterte sie.

Er nahm ein paar Erdbeeren und schwieg eine Weile.

»Ich suche, – ich suche,« fuhr er fort, und machte eine langsame Bewegung mit der Hand vor sich hin. Er schwieg.

Sie sah ihn an. Sein Gesicht hatte einen sinnenden Ausdruck angenommen, – einen Ausdruck plötzlichen Bewußtseins, – eine leise Unruhe, die sich ihr mitteilte.

»Wonach suchen Sie?« fragte sie.

»Ich weiß es nicht immer,« sagte er. »Zuweilen glaube ich, daß es eine Wirksamkeit ist, – etwas auszurichten. – – Aber was sollte ich wohl ausrichten! Was kann man überhaupt ausrichten. – Nein, das ist es nicht.«

»Ich weiß, was es ist!« sagte Frau Thomsen leise.

»Ja,« sagte er ruhig und nickte vor sich hin, – »ich weiß es selbst, – es ist eine Frau.«

Sie nickte. Ich bin es, dachte sie, und lachte tief.

»Eine Frau,« fuhr er langsam und gedämpft, gleichsam für sich fort, – »eine Frau, – eine Frau –«

Er schwieg eine Stunde und sah vor sich hin.

Plötzlich fuhr er sich über das Gesicht und wandte sich ihr zu. Sein Ausdruck war jetzt vollkommen klar.

»Ich will Ihnen etwas sagen, Frau Thomsen,« begann er – »Wir Männer können alles zwischen Himmel und Erde satt bekommen, – und wenn etwas an uns ist, so wird es uns stets so ergehen. Aber das Einzige in der Welt, das uns fesseln kann, ist schließlich eine Frau. Es kann nichts nützen, dagegen anzugehen: So ist es nun einmal bestimmt.«

»Nun, und Sie?« fragte sie leise.

»Ja, ich,« fuhr er fort, – »ich bin genau so wie alle die andern. Ich habe einen Heißhunger nach meinen Fesseln. Das einzige, was ich von der Frau verlange, die mich fesseln soll, ist, daß sie so sein soll wie ich. Sie mag gern alle meine Fehler haben: Trägheit, Eitelkeit, Übermut, – sie soll mir nur folgen können. Ich meine nicht nach Klampenborg oder nach Dresden und der sächsischen Schweiz, – das muß sie natürlich in erster Linie thun. Ich meine eigentlich auch nicht in einer Unterhaltung, einem Gedankengang, – das muß sie selbstredend auch können. Aber sie soll mein unbewußtes Leben mit mir leben. Sie muß in meinen geheimnisvollen Rhythmen mit mir schwingen. Wenn ich froh oder betrübt bin, so will ich in meinem Innern fühlen, daß sie so ist wie ich. Aber ich will sie nicht danach fragen. Wenn meine Seele »Wurst« murmelt, so soll ihre Seele als Antwort »Haut« flüstern. Aber alle die Frauen, die ich bisher gekannt habe, die haben frisch und unverzagt »Bein« oder »Stiel« geantwortet. Das ist meine Tragödie.«

Er sah zu ihr auf.

Sie errötete heftig. Mit einem Lächeln reichte sie ihm die Hand.

»Sagen Sie einmal »Wurst«,« bat sie leise.

Er lächelte und ergriff ihre Hand. »Wurst,« sagte er.

»Haut!« flüsterte sie und drückte seine Hand fest.

Er saß eine Weile über ihre Hand gebeugt da. Dann führte er sie an seine Lippen und küßte sie langsam.

Sie schwiegen beide, – und horchten nach einander. Um sie her war es ganz still. Im Walde hinter ihnen flog plötzlich ein Vogel auf, zwitscherte leicht und verstummte. Ein leises Summen von Mücken in der Luft, – und hoch über ihren Häuptern das ferne Sausen in der hohen Krone des Fichtenbaumes.

Frau Thomsen saß da und starrte mit einem sonderbaren furchtsamen Lächeln vor sich hin. Sie hielt noch immer seine Hand in der ihren und gab sie nicht frei.

Habe ich ihn jetzt? dachte sie, – habe ich ihn jetzt wirklich? – – ich habe ja nur die Hand nach ihm ausgestreckt – –

Bin ich denn wirklich noch so schön? flüsterte sie sich selbst mit einem tiefen Gefühl von Freude zu. – – Noch gestern so einsam, so gedemütigt, so – vorbei – – Und heute! Rache, – Ruhe – – Gleichgewicht – – Neues junges Glück! – –

Sie sah mit einem zärtlichen, strahlenden Blick zu ihm herab und preßte ihre Hand heftig gegen seinen Mund.– –

Hartwig saß da und betrachtete ihre feste, weiße Hand, in der sich die Adern in einem feinen, vielfach gekreuzten Netz blau unter der Haut hinzogen. Er dachte an Ingeborgs kleine, nervöse, unzuverlässige Hände, die alles umklammerten und wieder losließen. Nein, diese Hand war ruhig und klar, erfahren wie seine eigene, stark und sicher.

Ja, sie war die, die er suchte. Sie besaß die Überlegenheit, die er am meisten bewunderte, – die sich mit einem Lächeln in die Entscheidung stürzte. Ein leichter Scherz, dann war das Schicksal gewendet. Hier, wo andere feierlich gestammelt oder sich beleidigt abgewandt hätten, – ja, das hätte Ingeborg gethan! – –

Und als sie in diesem Augenblick selbst ihre Hand gegen seine Lippen preßte, küßte er sie mit plötzlicher Heftigkeit, wie herrlich, alles zu vergessen! – Ganz wollte er sie lieben, – er hatte ja noch nie geliebt! – Wie schön sie war, wie gut, wie zärtlich! – –

Mit einem schwindenden Lächeln sah er auf. – – Er wollte sich erheben und sie an sich ziehen – –

Eine Unruhe durchzuckte ihn, – er näherte sich nicht. Saß nur unbeweglich da und starrte sie an.

Ingeborg, flüsterte es in ihm. –

Was war dies nur? – –

Es war wie ein blitzschneller Schmerz, – ein Streif weißen Lichts, – – eine plötzliche Angst, die ihn durchzuckte. – –

Unsinn!

Er erhob sich und setzte sich neben sie auf die Bank. Aber wie er so da saß und ihre schönen, üppigen Züge anstarrte und ihre dunklen Augen, die zu ihm auf sahen, – da wurde es alles in einer Sekunde gleichsam zu einer toten Maske, – und in ihm strahlte ein scharfes, junges, blondes Gesicht mit plötzlicher Stärke auf, – Ingeborg – – –

Wie im Traume beugte er sich zu Frau Thomsen herab. »Wie schön Sie sind!« murmelte er geistesabwesend.

»Für Sie!« sagte sie lächelnd.

Dann erhob sie sich und machte sich mit dem Korb zu schaffen, der in einiger Entfernung von ihnen stand.

Hartwig strich sich über das Gesicht, was ging nur auf einmal mit ihm vor? – – Wie kam es nur, daß in der Sekunde, wo er an seinem Ziel stand, alles in seinem Innern sich herumdrehte? – – war es Feigheit, oder was war es? – – Warum wurde ihm plötzlich so schwer ums Herz? – –

Kindische Thorheit! Den Teufel auch, er war doch ein Mann!

Frau Thomsen kehrte mit Cigarren und Cigaretten zurück, die sie ihm hinhielt.

Er räusperte sich schnell. »Danke!« sagte er laut und munter. »Sie sind heute ja unerschöpflich!«

Sie zündeten die Cigaretten an, und sie setzte sich neben ihn.

»Jetzt will ich Ihnen etwas erzählen, Hartwig,« sagte sie und legte ihre Hand über die seine auf der Bank, – »Thomsen ist mir untreu.«

Er saß eine Weile da und starrte sie an. »So?« sagte er gedämpft. »Davon hatte ich keine Ahnung.«

Sie lächelte kurz. »Nein, ich auch nicht, – bis neulich.«

»Aber Sie sagten doch gerade vorhin, er habe keine Erfahrungen,« fuhr Hartwig fort. Mit einer sonderbar erstaunten, zornigen Miene saß er da und betrachtete die Spitze seiner Cigarette.

»Die hat er auch nicht!« entgegnete sie flüchtig, – »Sie ahnen nicht, wie alltäglich das Ganze ist. Eine kleine, ältliche Dame, die er seit vielen Jahren gekannt hat, und die er noch immer jeden Sonnabend regelmäßig besucht. Sie sitzt neben ihm und stickt, er befühlt die Stickerei und findet, daß sie brillant gemacht ist. Dann spielen sie einen Whist, und dann ist die Sache aus. Ich war nicht einmal ordentlich ärgerlich oder traurig, als ich es hörte, so langweilig fand ich das Ganze. Aber das sieht ihm so recht ähnlich!«

Hartwig saß da und sah zu Boden, während er mit seinem Stock die Erde aufwühlte.

»Warum erzählen Sie mir das eigentlich?« fragte er. Sie sah ihn ein wenig verwundert an. »Aber das ist doch ganz natürlich,« sagte sie. »Sie müssen über meine Verhältnisse Bescheid wissen. Das ist doch das wenigste, was ich Ihnen schulde.«

Er antwortete nicht. Wenn sie mir das doch nicht erzählt hätte! dachte er.

»Sehen Sie, Hartwig,« fuhr sie unverzagt fort, »und putzte ein wenig Tabak aus der Cigarette von ihrem Munde,« – »jetzt wissen Sie das also, – auch ich sollte meinen, das müßte Ihnen ganz angenehm sein. Thomsen ist dadurch ja neutralisiert. Mit dem können Sie deswegen sehr gut Freund bleiben, ohne daß es Ihr Zartgefühl verletzt, – vom praktischen Standpunkt aus ist das doch ein Vorteil, nicht wahr?«

»Ja natürlich!« sagte er kurz. Sie sah ihn einen Augenblick an. »Komm, Pollux!« rief sie nervös und schlug sich auf das Knie. Pollux kam schnell zu ihr hingelaufen und legte den Kopf in ihren Schoß. »Ich nehme die Sache ja nicht tragisch, wie Sie sehen,« fuhr sie fort, während sie den Hund hastig streichelte, – sie mußte etwas haben, womit sie ihre Hände beschäftigte, – »ich habe das Leben ja immer recht nüchtern und illusionslos angesehen, ich weiß, wie zufällig und sinnlos es alles ist, ganz so, wie Sie es auch auffassen.«

Fasse ich es auch so auf? dachte Hartwig plötzlich. Nun? – Aber er schwieg.

»Das ganze ist ja gleichgültig,« fuhr sie fort, »hätte sich aber Thomsen statt mit mir mit seiner kleinen Gouvernante verheiratet, so wäre es vielleicht besser gewesen. Und das hätte er genau so gut thun können. Er kannte sie, ehe er mich kennen lernte, sie war aus ganz achtbarer Familie, hatte ein bißchen Geld, – sie paßten gerade zu einander. Aber meine Familie war ein wenig eleganter, mein Onkel war Etatsrat, – ich bekam viel mehr Geld, – da wurde ich es denn. Hätte er sich aber mit ihr verheiratet, so hätte er sich allerlei eheliche Unannehmlichkeiten gespart, – er macht sich ja aus nichts in der Welt etwas, wenn er nur ruhig leben und tüchtig Geld verdienen kann. Aber jetzt ist es ja zu spät. Er hat sein Los gewählt. Jetzt wähle ich das meine.«

Er sah sie an. Sie saß da und strich dem Pudel mit der Hand über den Kopf und starrte mit geistesabwesendem Blick vor sich hin, während sie die Cigarette langsam zwischen ihren Lippen auf und nieder bewegte.

Hartwig runzelte die Stirn. Sie war aber doch wirklich auch zu nüchtern und illusionslos, fand er. Sie saß da und sprach von ihren intimsten Verhältnissen, mit einer so ruhigen Miene, als handele es sich um wildfremde Menschen. Das war doch eigentlich sehr sonderbar. Ob sie wohl schon ein wenig verbraucht war? Alles ging ihr so glatt von der Hand, und doch war es nichts weniger als den Ruin eines Familienlebens, den sie da vorbereitete.– –

Der Ruin eines Familienlebens!

»Na,« sagte sie plötzlich und sah ihn lächelnd an, »die beiden hätten wir glücklich zusammengeklatscht. Eins, zwei, drei, das nächste Paar herbei?«

»Und wer ist das?« fragte er.

»Das sind wir, mein Freund,« sagte sie und preßte seine Hand fest, »konnten Sie das denn nicht erraten?« – –

»Ja, das konnten Sie,« fuhr sie nach einer Weile fort, als er nichts erwiderte, »denn als Sie vorhin von der einenFrau sprachen, die Sie suchten, und die Ihnen folgen könne, ohne daß Sie sie fragten weshalb, da meinten Sie mich. Können Sie das leugnen?« fragte sie mit einem hastigen, nervösen Lächeln.

»Nein, das waren Sie,« sagte er schnell.

»Ja!« sagte sie schnell, indem sie sich erhob.

Sie blieb eine Weile stehen, ging dann hin und setzte sich auf das Plaid, das zu seinen Füßen lag. Sie stützte die Arme auf seine Knie und legte das Gesicht in ihre Hände.

So sah sie zu ihm auf.

»Hartwig!« sagte sie, »Ernst Hartwig!«

Die Stellung kleidet Sie nicht, dachte er, – man muß schlanker sein, um sich so zu krümmen.

Sie aber beugte sich noch mehr vornüber, faltete die Hände über seinen Knien und sah empor.

»Es ist sonderbar,« sagte sie gedämpft und schüttelte langsam den Kopf, – »ich finde, ich bin in den letzten Tagen eine ganz andere geworden. Ich kenne mich selbst nicht mehr. Glücklicher bin ich eigentlich nicht geworden, denn ich habe nun einmal verlernt, an das Glück zu glauben. Aber ich weiß nicht, – es ist mir als habe sich plötzlich etwas vor mir aufgethan, – etwas, an dessen Vorhandensein ich nicht glaubte. Ich bin also nicht ausschließlich Familienmensch, nicht nur Tante, Cousine, Schwester. Ich hatte immer geglaubt, wenn ich nur darauf los redete, so gäbe jeder das Seine her und sei böse oder vergnügt, oder wie es sich gerade paßte, – und damit sei es aus. Aber da ist also noch mehr. Das ist sonderbar.«

Sie schwieg und starrte in die Höhe.

Hartwig hörte nicht recht hin nach dem, was sie sagte, so erfüllt war er von den unruhigen Gedanken, die plötzlich in ihm rege geworden waren. – Das alles klingt ja ganz nett, dachte er, – aber das Resultat bleibt doch der Ruin einer Familie – –

Ingeborg! dachte er plötzlich – wo bist du? – –

»Ich verstehe es nicht,« fuhr Frau Thomsen leise fort. – – »Meine Augen – sehen sie besser als bisher? – Oder ist es mein Gesicht? – – « Langsam erhob sie die Hand und führte sie in ovalem Bogen in der Luft um das Gesicht herum – in leiser Verwunderung – – »es ist alles stärker – – es ist so viel Eigentümliches in der Luft, was ich bisher nicht gefühlt habe – Oder sind Sie es, Hartwig?« flüsterte sie plötzlich mit einem tiefen Blick und hielt ihm die Hand hin.

Er sah sie nicht. Ein Gedanke hatte ihn so heftig gepackt, daß er ihn nicht abzuschütteln vermochte. Wo ist Ingeborg jetzt? Was thut sie jetzt?

»Hartwig?« fragte Frau Thomsen leise.

Ihre Stimme wurde ihm unleidlich, angreifend. Da saß sie und sprach von ihrer Ehe, von sich selbst, von ihrem Mann. – Aber du großer Gott, waren es nicht ebenso sehr Ingeborg und er, von denen sie sprach? IhreEhe? So würde es jetzt also werden! Auf die Weise würde man darüber reden! – So kaltblütig würde man dasitzen und es betasten und erklären und verteilen und arrangieren – –

Unmöglich! Niemals! flüsterte er sich selber zu und stemmte seinen Stock so gewaltsam gegen den Boden, daß er zerbrach.

»Was haben Sie, Hartwig? Woran denken Sie?« fragte Frau Thomsen und sah ihn an.

Er wurde verwirrt. »An Sie!« sagte er schnell und drückte ihre Hand heftig.

Sie betrachtete ihn einen Augenblick prüfend.

»Ach so, Sie sind nervös,« sagte sie leise, – »das ist ja so natürlich!« Sie wandte sich von ihm ab und sah auf das Wasser hinaus.

Auch seine Augen schweiften nach dem schmalen Sund hinüber, der im Sonnenschein flimmernd, vor ihnen lag.

Es entstand eine Pause.

»Was ist denn das?« sagte Frau Thomsen plötzlich und beugte sich ein wenig vornüber. »Ist das nicht Vedels Boot da unten?«

In weiter Ferne war ein kleines, weißes Segelboot sichtbar geworden. Wiegend glitt es über das blaue Wasser.

Hartwig sprang auf und schleuderte den zerbrochenen Stock von sich.

»Ja,« sagte er.»Das ist Ulf II.«

»Ja, ich sah das Boot ja vorhin draußen vor dem Hafen liegen und kreuzen,« fuhr Frau Thomsen fort. »Der einsame Baron –«

»Einsam?« murmelte Hartwig und starrte hinaus. Das Boot wurde jetzt von den Bäumen zur Rechten fast seinen Blicken entzogen. Er trat an die Seite, um es so lange als möglich zu verfolgen.

»Ja, Sie sehen sicher schärfer als ich,« sagte Frau Thomsen, »ist er denn nicht allein?«

Das Boot verschwand.

»Natürlich!« sagte Hartwig kurz. Er stand noch da und starrte ihm nach. Hatte er nicht etwas Helles hinter dem Segel neben Vedel schimmern sehen, den er deutlich am Steuer erkennen konnte?

»Er segelt ja immer allein,« fuhr er fort und kehrte zu ihr zurück.

Frau Thomsen erhob sich.

»Ja, – war er denn jetzt auchallein?«

fragte sie gedämpft. »Sind Sie dessen ganz sicher, Hartwig?«

»Natürlich!« sagte er gereizt. »Wollen wir nicht nach Hause gehen?«

Frau Thomsen war sehr blaß geworden. Aber sie trat ganz dicht an ihn heran und sah ihm gerade in die Augen.

»Das, was wir dort sahen,« sagte sie, – »war das nicht das dritte Paar?«

»Das dritte Paar?« wiederholte er mechanisch.

»Also Vedel, – und Ihre Frau?«

Er antwortete nicht. Aber sie sah, wie eine jähe Röte sein sonnengebräuntes Gesicht verdunkelte, – und ohne zu wissen was sie that, schlang sie den Arm um seinen Hals und starrte ihn flehend an, während ihre Lippen zu zittern begannen.

»Sind Sie traurig, Hartwig?« fragte sie leise. »Können Sie das nicht leiden?«

»Wollen wir nicht nach Hause gehen?« fragte er hart und schüttelte ihren Arm ab.

Sie stand eine weile da und sah ihn an. Es ist vorbei, flüsterte sie sich selber zu, und ihr Herz zog sich in Qual zusammen. – – Dann starrte sie mit einem wunderlich hilflosen Blick vor sich hin, ihre Züge wurden tot und schlaff, sie schauderte leise, als friere sie.

Aber sie nahm sich zusammen, – und langsam ging sie nach ihrem Korb. Warum? – Warum? – – fragte es in ihr. Ruhig und schweigend packte sie den Korb. Als aber der Pudel im selben Augenblick wedelnd an ihr in die Höhe sprang, schlug sie ihn mit der geballten Hand auf die Schnauze, so daß er mit lautem Heulen davon sprang.

Sie nahm das Plaid und den Korb.

»Darf ich es nicht tragen?« fragte Hartwig mechanisch.

Sie aber schüttelte nur den Kopf und ging schnell durch den Wald. Er folgte ihr, und in völligem Schweigen kehrten sie zurück, – denselben Weg, den sie gekommen waren, – auf den Strandweg hinaus.

Hartwig ging aufrecht, steif, mit zusammengepreßten Lippen neben ihr. Er war erbittert auf sie, wütend über sich selber, verwirrt, ohne alles Gleichgewicht.

Sein Benehmen war grob, – das wußte er. Natürlich mußte er plaudern und thun, als sei nichts vorgefallen. Er benahm sich auch dumm. Mit ein klein wenig Gewandtheit hätte er sicher diesen Wahnsinn auslöschen und alles in das Geleise des Alltäglichen hinüberleiten können.

Ja, plaudern, – schwatzen, – thun, als sei nichts vorgefallen.

Aber das konnte er nicht. Er konntees nicht. Tief in seinem Innern wühlten hohe Wellen, – Reue, Sehnsucht, Kummer, Angst, Zorn kämpften in ihm.

Wo bin ich nur einmal gewesen? Was habe ich nur mit mir selber gethan? –

Er spähte auf den Sund hinaus, – aber heute war da draußen ein Segel neben dem andern, – Fischerboote, Kutter, Lustyachten, – er konnte nicht finden, was er suchte. – –

Ingeborg, wo bist du?

Hier gehe ich – neben dieser fremden Dame, – und da unten fliegt sie mir weg, – die einzige, die ich liebe!

Nie hatte er das so empfunden wie jetzt! – –

Kann sie mich denn nicht hören? Ist es zu spät?

Nur mit der größten Anstrengung vermochte er seinen Gang nach Frau Thomsen zu richten, und sein Gesicht wurde immer unruhiger, je mehr er sich der Villa näherte.

Frau Thomsen hatte den ganzen Weg ihren Sonnenschirm dicht vor das Gesicht gehalten. Als sie an Hartwigs Pforte kamen, blieb sie stehen – und wandte sich nach ihm um.

Er zuckte zusammen und starrte sie mit zwinkernden Augen an.

Ihr Gesicht war glühendrot, und ihre Züge waren verzerrt, – gleichsam erstarrt in einer Verzweiflung, die sie nicht beherrschen konnte. Ihre Augen sahen ihn nicht an. Der Blick flüchtete und floh nach allen Seiten mit einem blinden, verwirrten Ausdruck. Die Zähne waren in die Lippen gepreßt.

Hartwig griff an den Hut und nahm ihn ab.

»Zürnen Sie mir, liebe Frau Thomsen?« fragte er leise mit einer gewissen Ehrerbietung in der Stimme.

Sie aber antwortete nicht und sah ihn nicht an. Sie wandte sich langsam um und ging.

In ihrem Gehirn brannte das eineWort:

Verschmäht ! – –

Hartwig stand einen Augenblick da und sah ihr nach. Langsam entfernte sie sich, – mit ihrem Sonnenschirm, ihrem Korb, ihrem Plaid und ihrem Hund.

Nun, sie wird es sich wohl von der Seele reden, dachte er, – und er wandte sich um und ging dem Hause zu. – – Aber ich? Und Ingeborg? Sind wir noch zu retten?

Ein Fieber ergriff ihn, schnell ging er ins Haus und durchschritt die Stuben. Niemand! Niemand! – Überall standen die fremden Möbel und glotzten ihn spöttisch an.

In den Garten hinunter, – eine hastige Runde, – nein! – Dumme Gipsstatuen, – Baumstämme – aber nichts dahinter, leere Bänke! – Keine Menschenseele.

Er begegnete dem Hausmädchen, der schwerfälligen, eigensinnigen Valborg.

»Haben Sie die gnädige Frau nicht gesehen?« fragte er atemlos.

»Die gnädige Frau?« wiederholte sie und setzte ein erstauntes Gesicht auf. – – Die ist ja nicht zum Frühstück zu Hause gewesen.«

»Wo ist sie denn?«

»Ja, wo ist sie?« kicherte das Mädchen.

»Ist sie ausgegangen? meine ich.«

»Ich dachte, sie wäre mit dem Herrn gegangen – «

»Zum Teufel auch, dann würde ich Sie doch nicht fragen! Haben Sie sie ausgehen sehen?«

»Ob ich sie habe ausgehen sehen?« sagte sie schleppend. »Ja, sie ist vorhin mit Hut und Tuch die Straße hinabgegangen.«

»Wie lange ist das her?«

»Ach, – das mag wohl eine Stunde her sein.«

»Welchen Weg ist sie gegangen? Schnell! Schnell!«

»Welchen Weg? Den Weg hinab –«

»Zum Teufel auch! Ging sie nach rechts oder nach links!« rief Hartwig und stampfte mit dem Fuß.

»Nach rechts hinab, nach rechts hinab!« stammelte das Mädchen entsetzt.

Er wandte sich um und entfernte sich schnell.

»Herr du meines Lebens! Die gnädige Frau hat sich doch kein Leid angethan!« rief Valborg und glotzte ihm mit weitaufgerissenen Augen nach.

»Ein Leid angethan« flüsterte Hartwig, – – ja, wer weiß, wer weiß, was sie gethan hat! – –

Aber käme sie nur zu ihm, – er wollte sie in seine Arme nehmen und sie hoch empor heben und nie, nie wieder los lassen!

Käme sie doch nur!

Und mit Sturmesschritten ging er nach dem Hafen hinab.


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