Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III

Hans Vedel hatte nicht weit zu gehen, um nach Hause zu gelangen, außerdem ging er schnell seines Wegs, nachdem er Ingeborg und ihrem Mann Adieu gesagt hatte.

Ihm war so froh und dankbar zu Mute, waren doch Ingeborg und er den ganzen Abend auf einerSeite gewesen, gegen die andern. Er hatte sie verteidigt, und sie hatte ihm beigestanden. So war es gut und schön, mehr verlangte er nicht. Und er fühlte noch immer ihren Händedruck dort auf seiner linken Hand.

Als er nach dem Hafen hinabkam, bog er links ab und ging durch einen schmalen Garten dem Hause zu, in dem er wohnte. Es war ein kleines, nettes, zweistöckiges Gebäude, strohgedeckt, mit großen Giebeln. Er sah zu den Fenstern hinauf: Alles war dunkel. Ja, Mamsell Paulsen ist natürlich zu Bett gegangen, dachte er, aber ich finde mich auch wohl allein hinauf.

Er kam in sein Wohnzimmer, zündete die Hängelampe an und öffnete das Fenster. Die Luft war immer so schwer und eingeschlossen von dem Duft der Lavendel und getrockneten Veilchen, die die alte Haushälterin überall hinsteckte. Aber die Fenster mußtengeschlossen bleiben. Sonderbar mit der alten Person, dachte er lächelnd, ihre Angst vor Dieben verliert sich nie. Als ob die Einbrecher wie Fliegen an den Mauern in die Höhe kriegen könnten! – –

Er trat an einen alten, geschnitzten Louis XIV. Eichenschrank, der fast die eine ganze Wand des kleinen Zimmers einnahm, öffnete ihn und nahm einen kleinen, metallbeschlagenen Kasten heraus. Dann ging er an den Schreibtisch am Fenster und setzte sich. In dem Kasten lag ein zierlich gebundenes Buch, das er herausnahm und öffnete. Es war voll weißer, beschriebener Blätter.

Er saß eine Weile da und starrte vor sich hin, dann nahm er eine Feder, und langsam und beschwerlich mit seiner ungeschickten kindlichen Handschrift zirkelte er folgende Linien auf das Papier:

Freitag den 28. Juni.

Ich war heute wieder zu Tische bei J. Wir waren nur dreie, Hartwig, sie und ich. Nach Tische kam die Unterhaltung auf die Ehe, die ich verteidigte. Am Abend kamen Herr Thomsen und Frau, und wir verbrachten eine gemütliche Stunde in der Laube miteinander. Als ich zu einem bestimmten Zeitpunkt von den andern angegriffen wurde, nahm mich J. in Schutz. S. d. m. H. u. d. T.

Sie drückte meine Hand unter dem Tisch, sagte er zu sich selber, aber es ist vorsichtiger, es nicht ganz auszuschreiben.

Und er schloß mit dem Gewöhnlichen:

Morgen werde ich sie wiedersehen.

Hans Vedel.

Dann schloß er das Buch mit einer vergnügten Miene, und verschloß es wieder sorgfältig in den Kasten und den Schrank.

Einen Augenblick stand er am Fenster und sah über das dunkle Wasser hinaus. In weiter Ferne schimmerte etwas zu ihm herüber, das ihm bekannt und lieb war: das Blinckfeuer auf der Südspitze von Hveen. Er dachte daran, wie oft er in dunklen, unruhigen Herbstnächten das Feuer umkreuzt, damit gespielt, sich damit belustigt hatte, sein Licht in seinen Kegeln zu fangen. Er liebte es. Es war ein guter, treuer Freund.

Dann schloß er das Fenster, ließ den Vorhang herab und ging langsam in den Alkoven neben der Wohnstube. Er entkleidete sich, und bald darauf schlief er fest.

Als er am nächsten Morgen erwachte, sah er zu seinem Staunen, daß die Uhr bereits über elf war. Das muß der Whisky gestern abend bei Hartwigs verschuldet haben, dachte er, ich bin ja nicht daran gewöhnt. Und er stand auf, ganz ärgerlich, daß so viel von seinem Tage verloren war. Gerade heute hatte er so viel zu thun, und nun war seine ganze Zeitordnung gestört!

Vor dem Frühstück hatte er seine Briefmarkensammlung durchsehen wollen, er hatte gestern die neuen Kataloge bekommen, und es sei die höchste Zeit, hatte ihm sein Händler geschrieben: es lägen seltene Marken da und warteten seiner. Außerdem wollte er gern den Nachmittag frei haben: es war Aussicht, Hartwigs heute mit auf die See zu bekommen. – –

Aber wie sollte das jetzt werden. Vielleicht erhaschte er heute nicht einmal einen Schimmer von Ingeborg!

Er beeilte sich in die Kleider zu kommen, machte aber so sorgfältige Toilette wie immer. Heute Nachmittag blieb ihm doch für nichts mehr Zeit. In Mamsell Paulsens Gesellschaft verzehrte er sein gewöhnliches Frühstück; eine Portion Hafergrütze und zwei Spiegeleier, – und dann wollte er an seine Briefmarken gehen. Plötzlich aber erfaßte ihn der brennende Wunsch, sein Boot zu sehen, und er beschloß einen Augenblick nach dem Hafen hinabzugehen, ehe er sein Tagewerk begann.

Soigniert, fein und korrekt, kam er an den Strandweg hinab, mit Wohlgefallen den starken Geruch nach Tang, Salzwasser und Theer einatmend, der ihm aus dem gegenüberliegenden Hafen entgegenströmte. Mit seinem gewohnten Lächeln begrüßte er die Fischer, die ihre Netze am Strande reinigten, tauschte ein paar Worte mit ihnen über das Wetter aus und ging dann auf die Mole hinaus.

Ja, da lag das Boot, sein liebes, kleines weißes Entlein. Alf II stand mit goldenen Buchstaben an dem Steven, und es sah so rein, so zierlich und geputzt aus, als sei es vor einer Stunde gespült worden. Es hielt sich die Nacht hindurch gut. Und da war Platz genug für ihn und für Ingeborg und Hartwig. Selbst wenn sie ein wenig dicht zusammensitzen mußten, machte das ja nichts, Hartwig erlaubte vielleicht sogar, daß er neben Ingeborg saß, – ja dazu war er ja geradezu gezwungen, wenn er steuern wollte! – Es sollte schon gemütlich werden!

Er schlenderte ein wenig weiter auf die Mole hinaus, – und plötzlich hörte er eine Stimme, die er kannte, eine laute, helltönende, erregte Frauenstimme: war das nicht Frau Thomsens? Aber wie heftig und scharf sie klang!

Ja, ganz recht, da unten auf dem Boot des Fischhändlers stand Frau Thomsen, in heftigem Streit mit dem Händler, der eine große, zappelnde Scholle vor ihr in die Höhe hielt. Sie war im Morgenkleid, einen roten Shawl lose um den Kopf geworfen, und sah ziemlich salop und unordentlich aus, fand Vedel.

»Fünfundfünfzig Öre das Pfund!« hörte er sie ausrufen, – »Sie sind ja nicht recht gescheit, Mensch! In Kopenhagen hab' ich nie im Leben mehr als fünfundvierzig gegeben! Nein, wissen Sie was, – dann esse ich lieber gleich Steinbutt!«

Sie machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand und wandte sich um. Im selben Augenblick gewahrte sie Vedel, der grüßte.

»Sie sind es, Herr Baron, – ach, kommen Sie doch einmal her und helfen Sie mir, mit diesem schrecklichen Menschen fertig zu werden! Er verlangt fünfundfünfzig Öre für seine Schollen, nur weil man aus Kopenhagen ist! Ich bin überzeugt, die Leute hier am Ort bekommen sie für fünfundreißig! Was geben Sie?

Vedel räusperte sich. »Ja, ich besorge ja meine Einkäufe niemals persönlich,« sagte er, »da weiß ich das nicht so genau. Aber Hansen dort soll übrigens ein durchaus ehrlicher Mann sein.« Er sah mit einem leisen Unbehagen auf Frau Thomsen herab. So würde sich Ingeborg niemals benehmen, dachte er bei sich.

Der Fischhändler stand da und wog seine Scholle in der Hand. »Es ist übrigens der Marktpreis, Frau Thomsen,« sagte er, »aber –«

»Nein, es nützt Ihnen nichts, ich will sie nicht haben!« sagte sie ärgerlich. »Haben Sie sonst was?«

»Prächtige, große Steinbutt!«

»Was kosten die denn?«

»Fünfundachtzig.« Er nahm sein Netz und langte bedächtig in ein anderes Hüttfaß hinein.

»Na ja, meinetwegen,« sagte Frau Thomsen. »In Kopenhagen gebe ich selten mehr als achtzig, aber wenn ich doch einmal übers Ohr gehauen werden soll, dann doch lieber um fünf als um zehn Öre, – Ja, geben Sie mir die da, die muß wohl ungefähr ein Pfund wiegen.«

Der Fischhändler beugte sich mit einem listigen Lächeln über die Wagschale. »Akkurat ein Pfund!« rief er aus, erfreut, seinen teuren Fisch auf redliche weise abgesetzt zu haben. »Soll ich ihn hinaufschicken?«

»Nein, geben Sie ihn mir nur gleich mit,« sagte Sie, – der Herr Baron hilft mir schon.«

Sie stieg die Treppe hinan, die von dem Boot nach der Mole hinaufführte, – und reichte lächelnd Vedel die Hand. »Guten Tag, lieber Baron, wollen Sie meinen Korb die kleine Strecke tragen?«

Vedel verbeugte sich abermals. »Mit Vergnügen!« sagte er.

»Ich habe nämlich beide Hände voll,« fuhr sie fort und zeigte auf eine Menge Pakete, die in einiger Entfernung auf einer Bank lagen. »Man muß ja seine Einkäufe selber machen, sonst ahnt man ja nicht, wo das Geld abbleibt, nicht wahr?«

Vedel hatte nichts dagegen einzuwenden. Er bekam den Korb mit dem zappelnden Fisch, und sie gingen zusammen die Mole hinab.

»Ich weiß wirklich nicht, warum wir unglückseligen Kopenhagener uns immer betrügen lassen sollen, sobald wir auf dem Lande wohnen,« sagte Frau Thomsen. »Und namentlich ich, die ich nun also jeden Sommer hier wohnen werde, ich halte es geradezu für meine Pflicht, die Leute wissen zu lassen, daß ich nicht die Absicht habe, auch nur einen Öre mehr zu bezahlen, als sie selber das ganze Jahr hindurch bezahlen. Wir sind ja erst vierzehn Tage hier gewesen, aber Sie sollen sehen, ich werde meinen Krieg schon durchsetzen. Das ist doch zu ärgerlich!«

»Ja, ich begreife es sehr wohl,« bemerkte Vedel entgegenkommend.

»Was geben Sie für Gemüse?«

Vedel räusperte sich. »Ja –«

»Ach, das ist wahr, Sie ahnen es nicht. Aber es ist unverschämt, was sie hier verlangen! Denken Sie nur, gestern mußte ich dreißig Öre für eine winzig kleine Gurke bezahlen! In Kopenhagen hätte ich sie für fünfzehn bekommen. So groß!« Sie zeigte mit dem Finger.

»Ja,« stimmte Vedel bei. »Und dabei sind wir in der Gurkenzeit!«

Sie sah ihn an, – und lachte plötzlich laut.

»So, Sie sind mockant, Herr Baron! Aber es ist wirklich wahr, was ich sage!« »Ja natürlich!« beeilte er sich zu erklären, – es war wirklich gar nicht meine Absicht –«

Sie lachte abermals. »Ja, Ihnen ist nicht zu trauen, Baron Vedel! Sie gehen gewiß so still und ruhig einher und machen sich über uns alle lustig!«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, Sie irren wirklich, Frau Thomsen,« sagte er, – weshalb sollte ich mich wohl über die Leute lustig machen?«

Sie waren jetzt auf den Strandweg gekommen, der in der starken Sonnenglut beinahe öde da lag; langsam bogen sie nach links hin ab.

»Warum sagen Sie eigentlich nie ein Wort, Vedel?« fragte sie nach einer Weile und sah ihn an. »Macht es Ihnen kein Vergnügen, sich mit Leuten zu unterhalten?«

»Ja,« sagte er, »das thut es allerdings!«

»Aber warum sind Sie denn so ganz phänomenal schweigsam?«

Vedel räusperte sich ein wenig und lächelte.

»Ja,« sagte er, »ich habe selber eigentlich keine Empfindung davon, aber wenn alle Menschen es sagen, muß es sich natürlich so verhalten. Es kommt wohl daher, weil ich fast mein ganzes Leben mit mir allein verbracht habe, – in meiner eigenen Gesellschaft, – –Aber ich bin immer froh, wenn ich mit andern zusammen bin,« schloß er.

»Das war ja ein ganzes Bekenntnis,« lachte sie. »Ja, die Einsamkeit muß einem wohl den Mund verschließen. – – Sind Sie immer allein gewesen?«

»Ja, seit meine Eltern starben!«

»Ist das schon lange her?«

»Fünfzehn Jahr. Sie starben im selben Jahr, kurz nacheinander. Ich war damals erst sechzehn Jahre.«

Und haben Sie sonst keine Verwandte?«

»Nein, kaum. Jedenfalls sehe ich nie etwas von ihnen.«

»Keine Geschwister?«

»Nein!«

»Das muß herrlich sein. Großer Gott, wenn ich an meinen Anhang denke! Wir haben einmal ausgerechnet, daß wir in der nächsten Familie vierunddreißig sind! Und wenn wir Thomsens nächste Verwandte mitnehmen, so werden es einundfünfzig! Sie können mir glauben, das füllt in einem Eßzimmer! Na, im übrigen amüsieren wir uns ganz gut untereinander,« lachte sie und sah ein wenig vor sich hin. »Aber schrecklich ist es doch! Ein Geburtstag jede Woche, das ganze Jahr hindurch, stellen Sie sich das nur vor! Und die Sache wird immer schlimmer, denn jetzt fangen ja die Kinder an, wie Pilze aus der Erde hervorzuschießen, – drei neue Nichten oder Neffen jeden Monat, hätt' ich beinah gesagt! Es ist mir bei Gott im Himmel ganz unbegreiflich, wo die alle herkommen!« rief sie aus und lachte aus vollem Halse.

»Sie haben keine Kinder, nicht wahr?« bemerkte Vedel.

»Nein, ich habe keine,« sagte sie. »Thomsen ist –« Sie hielt plötzlich inne, errötete leicht und schwieg.

Sie gingen eine Weile schweigend dahin.

Da sahen sie plötzlich einen kleinen Jagdwagen den Weg entlang, auf sie zu kommen. Er wurde von zwei schnellen Ponys gezogen.

»Na, da haben wir ja das eheliche Idyll!« rief Frau Thomsen vergnügt aus, – »in vollem Galopp!«

Auf dem Bock erblickte man Hartwigs hohe Gestalt, neben ihm saß Ingeborg, aufrecht, blond und schmal.

Sie waren schon neben den andern.

»Guten Morgen!« rief Hartwig munter und hielt die Pferde an.

»Guten Tag!« lächelte Frau Thomsen. »Ist Ihnen der gestrige Abend gut bekommen?«

Vedel stand da, die Mütze in der Hand und starrte Ingeborg an. Sie grüßte nicht, sondern musterte ihn scharf.

»Ich bin auf Fischfang gewesen, wie Sie sehen!« lachte Frau Thomsen und hielt Vedels Arm in die Höhe. Der Fisch fing wieder an zu zappeln.

»Ich sehe es, ich sehe es!« Hartwig zeigte mit der Peitsche auf Vedel: »Guter Fang?«

»Das wird sich zeigen!« lachte Frau Thomsen. »Wohin wollen denn Sie?«

»Nur an der Küste entlang.«

Frau Thomsen sah mütterlich zärtlich zu Ingeborg hinauf. »Wie geht es Ihnen denn, liebe kleine Frau?« »Danke!« sagte Ingeborg kurz; sie runzelte die Brauen und versetzte ihrem Mann einen leisen Puff in die Seite.

»Ja, wir müssen wohl sehen, daß wir weiter kommen!« Hartwig zog an den Zügeln und die Pferde sprangen davon. »Adieu, gnädige Frau!« rief er zurück. »Viel Glück mit ihrer Scholle!«

»Es ist ein Steinbutt!« schrie sie ihnen nach und wandte sich lachend an Vedel. »Nicht wahr, Herr Baron?«

Vedel antwortete nicht. Ihm war plötzlich so eigentümlich traurig zu Sinn geworden. Er fühlte sich so gering, wie er da auf der Landstraße ging, einen elenden, halbtoten Fisch schleppend. Kein Wunder, daß Ingeborg ihn kaum hatte ansehen wollen. Ingeborg, – wie reizend sie doch aussah, – blond und schlank und fein! – –

»Die kleiden einander merklich, die beiden!« sagte Frau Thomsen, die stehen geblieben war und dem Wagen nachsah, der schon fast in einer Staubwolke verschwunden war. »Dieser Hartwig imponiert mir. So überall Fuhrwerk und Reit- und Wagenpferde mit sich zu führen, das ist schneidig! Und brillant aussehen thut er, es liegt wirklich etwas von einem Grand Seigneur über seiner ganzen Erscheinung. Nach dänischen Verhältnissen, natürlich!« fügte sie schnell hinzu und setzte ihren Weg fort.

»Ja, er ist ein sehr liebenswürdiger Mann,« sagte Vedel mechanisch.

Sie sah ihn einen Augenblick an. »Finden Sie das auch?« fragte sie dann mit einem forschenden Blick, – »das ist doch sonderbar,« – –

»Sonderbar?«

»Na ja, – Diplomat muß man ja sein,« lächelte sie. »Aber sagen Sie mir doch, wie ist seine Frau eigentlich?«

Vedel räusperte sich und sah zu Boden.

»Ja, ich meine, – sie sieht so entzückend aus, – aber ist sie nicht eigentlich ein wenig leer und eingebildet?«

»Ach nein!« sagte er schnell und sah sie an –

»Nun ja,« lächelte sie, »ich habe ja nur gefragt. Aber Sie kennen sie also genauer, – – Kennen Sie sie nicht sehr genau?« fuhr sie nach einer Weile fort und sah ihn wieder forschend an.

»Wir haben uns als Kinder gekannt,« antwortete er kurz.

»So, – aber Sie haben die Bekanntschaft doch aufrecht erhalten, nicht wahr?«

»Nein!« sagte er. Er war rot geworden und fuhr sich mehrmals nervös über die Stirn.

»Ja, was soll das heißen, lieber Vedel?« fuhr sie unverzagt fort, »Sie verkehren doch noch immer, Sie duzen sich!«

»Ja, aus der Kinderzeit her!« rief er ärgerlich aus. »Ich kann doch nichts dafür, daß sie hierher gezogen ist, das ist doch nicht meine Schuld! Ich habe sie nicht aufgefordert!« – In seiner nervösen Heftigkeit schüttelte er den Korb, so daß der Fisch krampfhaft zappelte. »Ja, ich meine nur,« sagte er nach einer Weile in ruhigerem Tone, »es ist eine Kinderbekanntschaft zwischen Frau Hartwig und mir, wie das so oft vorkommt. Es ist nicht das geringste Eigentümliche dabei.«

»Nein, natürlich nicht!« rief Frau Thomsen und sah beleidigt und spöttisch aus. Sie gingen eine Weile schweigend weiter und standen dann an der Pforte, die nach der Villa Strandheim führte.

»Haben Sie Dank für Ihre Begleitung,« sagte sie, – »darf ich dann um meinen Fisch bitten?«

»Es ist mir ein Vergnügen gewesen,« sagte Vedel mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit und reichte ihr den Korb.

»Wir scheiden als gute Freunde, nicht wahr?« lächelte sie. »Und am Montag kommen Sie? Dann verspreche ich Ihnen auch, daß ich Sie nie wieder nach Frau Hartwig fragen will.« Sie blinzelte ihm ein wenig zu und reichte ihm die Hand.

»Besten Dank!« entgegnete er. »Um sechs Uhr?«

Sie nickte und wandte sich ab. Puh! dachte sie, als sie zu der Villa hinaufging, – nein, der ist denn doch zu arg!«

Vedel ging schnell nach Hause.

Er schämte sich seiner unerzogenen Heftigkeit vorhin. Aber warum mußte sie ihn auch nach Ingeborg ausfragen? Was ging die sie an? Er konnte nicht anders antworten, als er geantwortet hatte – – – –

Ingeborg!

Einen Augenblick sah er sie vor sich, so wie sie dort auf dem Wagen gesessen hatte, – so sonderbar fremd und kühl, den Blick in – die Ferne gerichtet. Und ohne ein Lächeln für ihn war sie weiter gefahren – –

Das war ihm noch nie geschehen!

Eiskalt durchschauerte es ihn: War ihre Freundschaft aus? Das war ja unmöglich! Was hatte er denn gethan?

In der heftigsten Gemütsbewegung kam er nach Hause, und so erregt war er von seinen eigenen Gedanken, daß er Mamsell Paulsens freundlichen Gruß auf der Treppe kaum beachtete.

Was war nur einmal geschehen?

Er trat in sein Wohnzimmer, ging ein paar Mal verwirrt auf und nieder, setzte sich dann an den Schreibtisch, die Hände gegen das Gesicht gepreßt.

Fühlte sie denn nicht, wie er sie liebte?

Diese Knabenliebe, die Jahr für Jahr in ihm geschlummert hatte und so tief, daß er sie kaum gefühlt, – – ja, von Zeit zu Zeit war sie durch einen Brief, einen Gruß, eine flüchtige Begegnung wieder entfacht, – und nun in den letzten Monaten, wo er sie jeden Tag gesehen und mit ihr gesprochen hatte, jetzt war sie von neuem so überwältigend hervorgebrochen, daß sie ihn ganz beherrschte –

War er ihr denn plötzlich zuwider geworden? – –

Oder verachtete sie ihn, wenn sie mit ihrem Mann allein war? – –

Ja, Hartwig –

Zum ersten Mal empfand er einen heftigen Haß gegen diesen Mann, der so aufrecht und selbstbewußt an ihrer Seite saß. – Mit Peitschenknall und schnellen Pferden, auf rollenden Rädern, in Staubwolken entführte er sie – weit, weit weg, – für sich allein – –

Wie er ihn haßte!

Ingeborg, – komme zu mir!

Er erhob sich, entsetzt über seine Gedanken. Was war das nur einmal, was er sich wünschte – Plötzlich fiel sein Blick auf einen Brief, der auf dem Tisch lag. Schnell setzte er sich: Die Briefmarken, die Briefmarken!

Er las:

»Ich erlaube mir, Ihre geehrte Aufmerksamkeit auf die seltene Transvaalmarke zu lenken, von der ich anbei eine Abbildung einlege. Der Preis am Markt beträgt zwei Pfund, aber ich würde sie Ihnen in Folge eines besonders vorteilhaften Einkaufes für dreißig Kronen anbieten können.«

Er betrachtete die Abbildung. Ja, das war wirklich eine englisch überstempelte Marke aus dem Jahre 1878. Unter dem Stempel V. R. entdeckte er die Worte: South African Republik. Die in seine Sammlung zu bekommen!

Es flimmerte ihm vor den Augen, während er auf die Marke starrte.

V. R. – – South African – Ingeborg –

South African Republic – – V. R.

Ingeborg ! – –

Lange saß er da, die Hände gegen seine Wangen gepreßt.

Dann holte er einen Briefbogen heraus, und mit zitternden Fingern cirkelte er langsam folgende Zeilen darauf:

Skotteroup den 29. Juni.

Wollen Sie mir gütigst die von Ihnen offerierte Transvaal Marke aus dem Jahre 1878 (Englische Überstempelung) senden.

Der Betrag folgt per Postanweisung.

Ergebenst
Hans Vedel.


 << zurück weiter >>