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V

»Wenn wir nur erst wieder glücklich zu Hause wären!« sagte Frau Ingeborg Hartwig zu ihrem Mann, als sie Arm in Arm den Strandweg entlang, nach Strandheim gingen.

»Hm, das pflegt man ja stets zu sagen, wenn man in Gesellschaft muß,« bemerkte er.

»Ich kann aber die Menschen nicht leiden,« sagte sie und schauderte leise.

Ganz weiß war sie unter dem lichten Umhang: ein weißes Kleid mit lang geschwungenem, stilisiertem Blumenmuster, ein antiker silberner Gürtel um die feine Taille, und um den Hals eine einzelne Reihe weißer Perlen.

»Du wunderliches Ding!« lächelte er und schüttelte sie ein wenig. »Ich bitte mir aber aus, daß du heute recht liebenswürdig bist.«

Sie gingen schweigend weiter.

»Kannst du mich nicht zu Tische führen?« fragte sie plötzlich und sah zu ihm auf.

Er lachte. »Nein, das geht wirklich nicht!« rief er aus. »Du bekommst natürlich den Hausherrn.«

Sie sandte ihm einen hastigen Blick zu. »Und dann wirst du natürlich die Hausfrau führen?« fragte sie.

»Ja, das vermute ich. Wir sind ja zum ersten Mal da und es kommt niemand außer uns.«

»Doch! Hans!«

»Ja, den kannst du ja auf die andere Seite bekommen. Dann bekommst du sicher keinen Mund voll Essen vor lauter Konversation!«

»Ach, das wird ja schrecklich!« rief sie aus. »Worüber soll ich nur einmal mit den beiden Murmeltieren reden!«

»Mit Hans, deinem teuren Hans!« neckte er sie.

»Kann ich dich denn nicht an die andere Seite bekommen?«

Er lächelte und drückte ihren Arm an sich. »Ja, das läßt sich am Ende einrichten!« meinte er. »Wenn wir es recht schlau anfangen. Aber du mußt nicht gleich auf mich zustürzen, wie du zu thun pflegst, denn dann sieht es aus, als wären wir gar zu verliebt ineinander, und dann lachen sie uns aus.« »Das können sie gern thun!« sagte sie.

Sie kamen nun in den Garten hinein und gingen hinauf. Im Entree standen Anna und Anton und nahmen ihre Umhüllungen ab.

Als sie in die Gartenstube kamen, sahen sie Thomsen und Vedel an der Verandathür stehen, die Hände auf dem Rücken, ohne miteinander zu reden.

Der Großhändler kam ihnen entgegen und hieß sie in »Strandheim« willkommen.

»Sie reden wie ein Burgherr!« sagte Hartwig lächelnd.

»Das habe ich von meiner Frau gelernt!« entgegnete Thomsen trocken.

»Die gnädige Frau hat recht. Es ist wirklich pompös hier!«

»Wunderhübsch!« sagte Ingeborg und sah gebildet und freundlich aus.

Sie sahen nach dem gezackten Mauerwerke hinüber, das die steinerne Treppe, die zum Garten hinabführte, flankierte, – und ließen den Blick leicht über die stattliche Paneelung und die geschnitzten Holzornamente der Decke gleiten. »Vollkommen mittelalterlich!« bemerkte Hartwig.

»Soll so sein, soll so sein!« lächelte der Großhändler vergnügt.

»Troja!« versetzte Vedel ganz ruhig.

Hartwig wandte sich lachend nach ihm um. »Nein, hören Sie nur! Jetzt fängt er schon wieder an, Witze zu machen.«

»Das war sicher gar nicht seine Absicht,« lächelte der Großhändler und packte ihn beim Arm. »Übrigens habe ich den Witz nicht recht verstanden!«

»Das ist ja ein Citat, Herr Thomsen!« erklärte Vedel höflich. »Es steht in einer von Holbergs Komödien, – in Yeppe vom Berge, soweit ich mich entsinne.«

Hartwig trat an ihn heran. »Sagen Sie mir doch Vedel, haben Sie sich so kostümiert, um Yeppe zu citieren?« fragte er und knipste lächelnd mit den Fingern nach seiner Weste! »Es ist jedenfalls ganz im Stil.«

Alle betrachteten Vedel. Statt der weißen Weste, wie sie die andern trugen, hatte er eine altmodische seidene Weste, mit kleinen roten Rosenknospen gestickt, angezogen.

»Die habe ich vom Vater geerbt,« sagte er.

»Die ist hübsch!« sagte Ingeborg. »Ich kenne sie, sie steht dir gut Hans!«

»Ja!« sagte er vergnügt, sie mit einem dankbaren Blick ansehend, »ich ziehe sie auch nur an, wenn ich –« er stockte und senkte den Blick.

»Wenn Sie mit meiner Frau zusammen sein sollen!« rief Hartwig laut auflachend aus. »Na ja, das ist ja auch eine Art und Weise, den Hof zu machen.«

Ingeborg runzelte die Brauen und sah ihren Mann erzürnt an. Vedel schwieg.

»Sie paßt jedenfalls sehr gut zu der Umgebung,« bemerkte Thomsen.

»Ja, das ist wahr,« sagte Hartwig. »Hätte ich daran gedacht, so würde ich ein altes Seidenwams angezogen haben, das ich zu Hause habe.«

»Und ich bin noch im Besitz von ein Paar gelben Kniehosen und hochroten Strümpfen,« bemerkte der Großhändler, »von einem Karneval her, wo ich den Kardinal Richelieu gemacht habe.«

Man lachte bei dem Gedanken, – und Hartwig nahm Thomsen unter den Arm und ging mit ihm auf die Gartentreppe hinaus, wo sie sich in leisem Zwiegespräch hinsetzten.

Ingeborg trat auf Vedel zu.

»Warum machst du dich immer lächerlich, Hans?« sagte sie leise, und entfernte einen Staubfleck von seiner Schulter. Und warum verteidigst du dich nie?«

Vedel räusperte sich.

»Ja, ich weiß, was du sagen willst. Du bist kein Mann, Hans.«

Er blickte nieder und antwortete nicht.

Sie ging ein wenig auf und nieder, kehrte dann wieder zu ihm zurück.

»Wie kommt es übrigens, daß du hier bei uns andern im Zimmer bist?« fragte sie und sah ihn herausfordernd an.

»Was meinst du damit?« fragte er.

»Ich glaubte, du seiest als Lohndiener hier im Hause gemietet,« sagte sie, »du pflegst ja hinter der Hausfrau herzugehen und ihre Einkäufe zu tragen, wenn sie Besorgungen macht.«

Er wurde plötzlich dunkelrot und fing an, mit den Augen zu zwinkern. »Wie kannst du nur so etwas sagen, Ingeborg?« flüsterte er.

»Glaube nur um Gottes willen nicht, daß es Eifersucht oder dergleichen ist!« rief sie ärgerlich aus. »Aber du solltest nur wissen, wie albern du neulich aussahst, als du mit dem Fisch hinter Frau Thomsen hergetrottelt kamst! – – –

Gott weiß, wie lange wir noch auf das Essen warten sollen!«

Und sie ließ ihn abermals stehen.

Gleich darauf that sich die Thür zum Eßzimmer auf, und Frau Thomsen kam hereingebraust. Sie trug ein mattgrünes seidenes Kleid, das ihrem rotblonden Haar und dem vom Herdfeuer glühenden Gesicht nicht kleidete.

»Guten Tag, liebe, süße kleine Frau!« sagte sie und drückte Ingeborg warm die Hand, – »Willkommen in Strandheim! – – Guten Tag, Baron. Noch vielen Dank für die gütige Hilfe neulich!« Und sie brauste weiter, »willkommen auf Strandheim, lieber Herr Hartwig! Wie hübsch von Ihnen, daß Sie gekommen sind! Ich denke, wir können jetzt essen, – die Mädchen hatten natürlich Unsinn gemacht, da mußte ich, –«

Im selben Augenblick öffnete der Diener die Flügelthüren zu dem Eßzimmer und stellte sich auf.

Frau Thomsen verneigte sich vor Hartwig, Thomsen bot Ingeborg den Arm, und sie gingen hinein, – während Vedel, finster und verwirrt, still folgte.

Bei Tische ging die Unterhaltung ungleichmäßig, fieberhaft. Frau Thomsen redete ununterbrochen, mit lauten Lachanfällen und eifrigen Blicken nach allen Seiten; Hartwig antwortete ihr munter und willig. Die andern drei aber fast gar nicht. Thomsen versuchte eine Unterhaltung mit Ingeborg, da sie aber nur kurz und gezwungen antwortete, ergriff er bald sein Glas und bat sich die Ehre aus, es auf ihr Wohl zu leeren; ein Lächeln und ein schelmischer Blick in seinen Augen sagten ihr: wir beide sind nicht dafür, uns unnötige Mühe zu machen, nicht wahr? Darauf machte er sich schweigend über sein Essen her und überließ seiner Frau das übrige. Ingeborg lauschte mit wachsender Nervosität dem Geplauder der Wirtin; sie konnte es nicht leiden, sie und Hartwig zusammen zu sehen, – sie entdeckte Andeutungen, verborgene Aufforderungen, Koketterie hinter ihren Worten, – sie kannte Ernst gar nicht wieder, wie er mit einem eifrig lächelnden, selbstzufriedenen Gesicht da saß. Auch Vedel, der an ihrer rechten Seite saß, machte sie unruhig und ängstlich. Sie war ganz schweigsam und erhob kam die Augen von ihrem Teller.

So führten denn die Wirtin und Hartwig ausschließlich die Unterhaltung.

Frau Thomsens schöne Goldledertapeten wurden pflichtschuldigst bewundert. Dann ging die Unterhaltung auf die Häuslichkeit in der Nähe wohnender Sommerfrischler über: man beredete ihre drolligen Einrichtungen in den kleinen, möblierten Wohnungen, die Einnahmen und Aussichten der Familien, die privaten Passionen der jungen Frauen während der langen Nachmittage, wenn die Herren Gemahle in der Stadt waren. Mit einem Übergang wurden die Eremitagen-Rennen berührt – morgen fand das letzte statt. Niemand hatte Lust, es mitzumachen, – so hatte der Sattelplatz während der letzten Jahre seinen Charakter verändert: Die Demie-mondemachte sich immer breiter, und peinliche Scenen mit halbverrückten und versoffenen Edelleuten waren fast unvermeidlich. Auch die königliche Familie hielt sich ja mehr und mehr fern.

Es entstand eine Pause.

Frau Thomsen fiel in einem Anfall plötzlicher Müdigkeit zusammen. Es summte in ihrem Kopf von ihrem eigenen Gerede, – und sie empfand eine Sekunde lang deutlich, wie schlaff und alt sie aussah, während sie da saß und schwieg. Aber das war ihr einerlei, – alles war ihr einerlei, weil sie sich plötzlich so grenzenlos einsam fühlte.

Hartwig saß da und ärgerte sich über Ingeborgs steifes Wesen, das er für Trotz und Verlegenheit hielt. Da war seine Tischdame allerdings viel freier und überlegener. Er hatte eine Menge Wein getrunken und seine Hand so auf das Tischtuch gelegt, daß sie einen Augenblick die ihre berührte. Darin lag doch nichts Schlimmes! Das gehörte ganz einfach mit zu den Genüssen eines besseren Mittagessens, – jeder durfte das sehen.

»Prost! Herr Baron!« sagte Thomsen plötzlich und erhob sein Glas, sich zu Vedel wendend.

Vedel verneigte sich mit verwirrten und finstern Augen nach allen Seiten.

Hartwig sah mit einem schelmischen Blitz in den Augen zu Vedel hinüber. »Apropos, Herr Baron,« sagt er munter, – »wie denken Sie eigentlich über unsere degenerierte Aristokratie?«

Vedel sah ihn plötzlich an, – mit einem sonderbaren starren, drohenden Blick.

»Ich glaube, es giebt in ganz Europa nichts Ähnliches!« fuhr er fort und lehnte sich in den Stuhl zurück. »Ich habe viel gereist, viel gelesen und entsinne mich meiner Eindrücke. Es herrscht ja überall Degeneration, nirgends aber wie hier. In Deutschland sind sie doch wenigstens Mannsleute, diese Junker. – Donnerwetter, wenn ich an ihre eisernen Fäuste denke, an ihr Lachen, ihre Zähne, ihre Beine, – das ist Rasse! Stüpide wie die Büffel, – selbstredend! Die Renaissance liegt ja in weiter Ferne, und das Regiment da unten setzt ja förmlich Prämien für Dummheit aus. Aber es ist doch ein Stand, sie kennen einander am Geruch! Und in England,« fuhr er fort und lehnte sich eifrig vor, »da sind sie noch mehr, – das sind sie Männer ! So sollen Männer aussehen wie diese Sirs. Es ist ganz sicher die Absicht der Natur gewesen, daß die Herren der Schöpfung sich zu dieser einen Erscheinung vervollkommnen sollten, und nur zu der. Sie umfaßt alle Männlichkeit, geistig wie körperlich. Wenn man nur ihr Lächeln sieht, so weiß man, daß sie wie sonst niemand einer Gefahr trotzen, eine Frau gewinnen, eine Bank sprengen, wie kein anderer! Vielleicht sind auch sie degeneriert, – ich habe etwas von Unmoralität und dergleichen gehört, – und es mag ja sein, daß das wahr ist, aber als Edelleute reicht ihnen niemand das Wasser! Die Franzosen,« fuhr er fort und lehnte sich wieder zurück, mit denen sieht es ja schwächer aus. In körperlicher Beziehung taugen sie, offen gestanden, nicht mehr viel, und in moralischer auch nicht. Sie nehmen sich nicht so recht aus in der heutigen Beleuchtung. Wenn man mit so einem Marquis des französischen Adels spricht, so hat man den Eindruck, daß er nicht ahnt, ob der Präsident des Landes Faure oder Loubet heißt oder Carnot, und daß er das jedenfalls für völlig gleichgültig hält, – was es ja übrigens auch ist. Aber rührt man an seiner Familie, – gare. En arrière, petit-cousin,der sich möglicherweise aus dem Stande heraus verirrt hat, – ein Ahne aus dem zwölften Jahrhundert, der in einer Schlacht, von der niemand mehr etwas ahnt, eine Standarte erobert hat, – das ist sein Leben!«

»Aber ist das nicht schrecklich öde?« fragte Frau Thomsen, die aufmerksam zugehört hatte.

»Öde? Liebe gnädige Frau, das ist schön! Ich liebe den Adelsstand, ich huldige ihm in meinem Herzen, ich begreife nicht, wie man ohne ihn fertig werden kann! Aber hier zu Lande, du lieber Gott!« Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

»Kennen Sie den hiesigen Adel genau?« fragte Frau Thomsen.

»Sehr genau!« sagte er. »Ich bin selber von Blut, – meine Mutter ist eine geborene Rantzau, – und ich habe die besten Jahre meiner Jugend damit hingebracht, mich auf den seeländischen Rittergütern herumzutreiben, teilweise auch auf den laalandischen und fünenschen. Jütland kenne ich nicht. Damals dachte ich nicht weiter über das nach, was ich sah; aber wenn ich jetzt an die Leute zurückdenke, die ich dort traf, – und die ich noch immer treffe, – es ist ein Jammer! Ich ziehe die Arbeiter vor, die haben doch eine Art Standesgepräge, unser Adel ist nichts! Nichts! Nichts! Ich fordere ja keine geistige Kultur, Gott bewahre! Nicht einmal körperliche Kultur! Ich fordere nur ein wenig Standesgefühl, ein wenig begründete Eingebildetheit, wenn Sie wollen. Da ist natürlich hin und wieder einmal eine schöne Dame, ein tüchtiger Kerl, hier wie überall, aber der Stand als Stand ist null, gar nichts! Ich weiß wahrhaftig nicht, was der Grund ist. Isolation ist es nicht, denn sie isolieren sich selten, und wenn sie es thun, werden sie deswegen nicht besser. Auch natürlich das Gegenteil nicht, obwohl bürgerliche Kraft und Tüchtigkeit bei der Amalgamierung in der Regel so eigentümlich in Staub zerfällt. Aber in einer unglücklichen Blutmischung ist der Grund wohl im eigentlichen zu suchen. Die meisten dieser Familien haben ja keine natürliche Wurzel hier im Lande. Es ist schlechtes, deutsches Blut, das sich nicht mit dem dänischen hat vermischen können. Dann verkrüppelt der ganze Körper. Ein Arm welkt hin, ein anderer schwillt an, ein Bein wird steif durch Verkalkung der Gelenke, der Kopf wackelt auf dem Halse. Der Organismus ist zerstört.«

Er schwieg, – und alle sahen Vedel an, als sei der Angriff gegen ihn gerichtet, als müsse er sich jetzt verteidigen.

»Nun, Baron!« sagte Frau Thomsen mit einem neckischen Lächeln, »was sagen Sie denn zu derSalve!«

»Na, es trifft ja –« begann Hartwig in leichtem Ton.

»Ich schweige wenigstens von unsern Fehlern,« sagte Vedel plötzlich gedämpft, aber mit einem ernsten, drohenden Tonfall, indem er Hartwig gerade ins Gesicht sah.

Hartwig sah ihn einen Augenblick an.

»Es trifft ja Vedel nicht so ganz eigentlich,« fuhr er darauf langsam fort, indem er den andern anstarrte. »Seine Familie ist ja ziemlich ungemischt schwedisch-norwegisch. Freilich ganz zu Grunde gegangen. Sind Sie nicht der einzige Baron dieses Namens hier zu Lande, Vedel?«

»Ja!« sagte Vedel.

»Das meinte ich doch. Er sitzt am äußersten Ende des welken Armes als kleiner, einsamer, verdorrter Nagel.«

Frau Thomsen brach in ein lautes Gelächter aus, und der Großhändler grunzte.

Vedel wurde dunkelrot und sah hastig zu Ingeborg hinüber, dann sah er Hartwig mit einem dunklen ratlosen Blick an.

»Ja, womit wünschen Sie denn sonst, daß ich Sie vergleiche?« sagte Hartwig ruhig und lächelnd. »Etwa mit einer Hand mit einem Schwert? oder einem helmgezierten Kopf? Wie ist Ihr Wappen?«

»Das kenne ich!« rief Frau Thomsen aus, »er hat es mir gezeigt! Es ist eine weiße Blume auf rotem Felde mit der Unterschrift: Rühr' mich nicht an, auf lateinisch!«

» Noli me tangere , – ei, ei!« sagte Hartwig. »Was für eine Blume ist es denn? Eine Taubnessel?«

»Ich möchte Sie bitten, sich nicht mehr mit mir zu beschäftigen, Herr Hartwig,« sagte Vedel plötzlich und sah nieder.

Es entstand eine Pause.

»So necken Sie ihn jetzt nicht mehr,« sagte Frau Thomsen und legte die Hand auf Hartwigs Arm.

»Verzeihen Sie, meine gnädige Frau, ich denke gar nicht daran, ihn zu necken,« sagte Hartwig und beugte sich über den Tisch. Aber seine Stimme klang ärgerlich, und das Messer, das er in der Hand hielt, zitterte, als er es gegen ein Glas stemmte. »Er interessiert mich nur. Er peinigt meine Gedanken unaufhörlich, ich kann nicht aus ihm klug werden, ich weiß nicht, was ich mit ihm machen soll! Baron ist mir nicht genug, nicht einmal die Weste kann mir helfen. – – Fisch? Nagel? Amphibium?« – –

»Ich möchte Sie auf das Eindringlichste ersuchen, nicht mehr von mir zu reden,« sagte Vedel mit fast unhörbarer Stimme. Aber seine Augen brannten sich in die Hartwigs.

Hartwig wurde rot. »Was für ein Amphibium ist das eigentlich?« wiederholte er hart.

Es ging eine Unruhe über den Tisch –

»Hans Vedel ist der feinste, edelste Mensch, dem ich im Leben begegnet bin,« sagte Ingeborg plötzlich laut. Ihre Stimme zitterte, und sie sah in die Höhe, als lege sie ein Bekenntnis ab.

Hartwig starrte sie mit weitgeöffneten Augen an, schwieg aber.

Thomsen und seine Frau sandten einander einen hastigen Blick zu und sahen vor sich hin. Vedel aber hatte ein leeres Glas ergriffen und drehte es unaufhörlich auf dem Tischtuch hin und her.

Am Büffett hinter dem Tisch klirrte der Diener leise mit den Tellern.

»Was ist denn das? regnet es?« sagte Frau Thomsen plötzlich und sah nach dem Fenster hin.

Thomsen erhob sich. »Ja, wahrhaftig!« rief er aus. Er ging hin und sah zum Fenster hinaus. »Nur ein Schauer, nur ein Schauer! Aber das frischt gut auf.« Er kehrte zurück und rieb sich die Hände. »Dann können wir nach Tische eine kleine Fahrt mit dem Kutter machen,« sagte er und setzte sich.

»Ja, das kann sehr nett werden,« bemerkte Hartwig. Er strich sich über das Gesicht und wandte sich dann an Frau Thomsen:

»Segeln Sie viel hier draußen gnädige Frau?«

»Segeln, – ich?« rief Frau Thomsen aus, – mit wem in aller Welt sollte ich wohl segeln? Thomsen ist ja jeden Tage vom frühen Morgen bis abends sechs Uhr in der Stadt, ich bin den ganzen Tag mutterseelen allein!«

»Ja, das sind Sie wohl auch!« sagte Hartwig langsam und schwieg.

Es entstand eine Pause.

Gottlob, da ist die Melone! dachte der Großhändler, denn jetzt wird die Sache peinlich!

In der That hielt Frau Thomsen nur mit der größesten Anstrengung die Unterhaltung während des übrigen Teils des Diners aufrecht, und so schnell wie möglich hob sie die Tafel auf.

»Ha, dann wollen wir doch einmal sehen, wie der liebe Gott über die Sache denkt,« schlug der Großhändler vor, als sie in die Gartenstube gekommen waren. Aber der Regen trommelte und peitschte gegen die Verandenfenster und nach Süden zu standen große, dunkle Wolken, die sich langsam zusammen zogen.

Er schüttelte den Kopf, und sie standen eine Weile da und sahen mißmutig in den Regen hinaus.

»Wir haben uns ja so nach Regen gesehnt!« meinte Hartwig. »Die Erdbeeren vertrocknen ganz.«

»Ja, es ist gut für die Landleute,« sagte Thomsen mit einem verschmitzten Lächeln, »aber weniger erfreulich für die kleinen Damen mit dünnen Kleidern auf See. – – Nun, dann müssen wir wohl sehen, daß wir uns innerhalb unserer vier Wände gemütlich einrichten.« Er rieb sich die Hände, und sie versammelten sich alle um den Kaffeetisch.

Die Stimmung war aber gestört. Frau Thomsen schenkte schweigend den Kaffee ein, setzte sich, schüttelte sich ein wenig und kroch in sich selbst zusammen. Hartwig hatte sie aufgegeben. Ein Mann, der so verliebt in seine Frau war, daß er aus lauter Eifersucht nahe daran war, über einen Eßtisch hinweg eine Prügelei zu beginnen, – mit dem war wirklich nichts aufzustellen. Und diese kleine hochmütige Frau, die mochte ihretwegen ihr Glück behalten. – Sie selber fühlte sich so unsäglich müde und gleichgültig gegen alles, selbst ihre Wirtinnenpflichten, die sie doch niemals vernachlässigte, waren ihr einerlei. – –

Aber was war denn das? – – Plötzlich sah sie Hartwigs großes, braunes Gesicht gerade vor sich – –

Hartwig hatte eine Weile mit unruhiger und zerstreuter Miene dagesessen und schweigend die Spitze seiner Zigarre angestarrt. Was hatte Ingeborg nur einmal? War sie wirklich in diesen unmöglichen Baron verliebt? Wollte sie offenen Krieg? – –

Nun denn, er war Manns genug, ihn aufzunehmen!

Und voll von seiner alten Eroberungsfreude drehte er resolut seinen Stuhl um, so daß er Ingeborg und Vedel den Rücken zukehrte; jetzt saß er Frau Thomsen gerade gegenüber, – ihr erstauntes – lächelndes – fragendes Gesicht beugte sich ihm langsam zu, – die unerwartete Freude machte es plötzlich ganz jung unter seinem Blick. – – Jetzt konnte es losgehen!

Und mit seiner tiefen Stimme begann er, ihr von seinen Reisen und Erlebnissen zu erzählen.

Nach einer Weile sah er, wie Frau Thomsens Augen sich starr auf etwas hinter ihm richteten und sich aufmerksam bewegten, als verfolgten sie irgend etwas, das verschwand. Er sah sich verstohlen um und entdeckte, daß Ingeborg und Vedel weg waren.

Da rückte er näher an Frau Thomsen heran, – ganz nahe. Er legte die große Hand auf die Lehne ihres Stuhles und fuhr fort zu reden.

Ingeborg ging schnell durch die Gartenstube in das Wohnzimmer, von Vedel gefolgt. Dort setzte sie sich auf ein kleines Sofa am Fenster, rückte einen Stuhl dicht an sich heran und zeigte darauf; Vedel nahm schweigend Platz. Ihr Gesicht war ganz blaß, und ihre Augen glänzten. Eifrig und flüsternd begann sie, mit ihm zu sprechen, während er lauschte und in seiner gewöhnlichen höflichen, ruhigen Weise antwortete.

Thomsen saß eine Weile da und sah zu ihnen hinüber, dann wandte er den Kopf ab und sah mit zwinkernden Augen seine Frau und Hartwig an. Er legte die Cigarre hin, griff in die hintere Rocktasche, holte seine kleine Shagpfeife heraus, stopfte sie sorgfältig und zündete sie an.

»Jetzt geben sie gleich Feuer,« sagte er zu sich und erhob sich, – »aber mir ist es wirklich einerlei.«

Er fing an, in den Zimmern auf und nieder zu schlendern. Von der Veranda ging er in das Wohnzimmer, – rund um den Tisch herum und wieder zurück nach der Veranda, dann machte er denselben Weg noch einmal und ging wieder hinaus. So fuhr er fort: »Ich will die Verliebten doch anstandshalber ein bischen im Auge behalten,« dachte er.

Von Zeit zu Zeit schnappte er ein einzelnes Wort auf, wenn er die Gruppen streifte.

Aus dem Wohnzimmer ertönte ununterbrochen Ingeborgs eifriges Flüstern: »Weißt du noch – – ? Weißt du noch – ?«

»Sie sind bei den gemeinsamen Erinnerungen,« dachte er, – dann geht es, wie es soll. Übrigens hatte er geglaubt, daß sie weiter mit einander gekommen wären, – und die heftige Unvorsichtigkeit der kleinen Dame setzte auch ihn in Erstaunen. Gott weiß, ob der Mann wirklich schlecht gegen sie ist! – –«

In der Veranda hörte er Hartwigs gedämpfte Stimme:

»In Liebesangelegenheiten mußt du dich vor einem hüten: vor Kraftvergeudung! sagte er einmal.« – »Hat er das gesagt?« fragte seine Frau. »Ja, und das ist ein gutes Testament.« –

»Hm,« dachte Thomsen, indem er eifrig auf seiner Pfeife paffte und durch die Stuben ging – daraus kann sich alles entwickeln – er wollte das nächste Mal doch genauer hinhören.

Als er wieder zu ihnen hinauskam, horchte er. Er hörte Hartwig: – – stellte mich der Tochter vor: » Ma chère petite, « sagte er, » regarde ce Monsieur, et tu verras. « – –

Das gedämpfte Lachen seiner Frau klang hinter ihm drein. »Hm,« dachte er beruhigt, »der ist also auch bei den Erinnerungen, – aber die sind gottlob nicht gemeinsam, so viel ich weiß.«

Nein, offen gestanden, war er in Bezug auf seine Frau nicht besorgt. Diese langweilige Geschichte neulich, über die er nicht mit ihr gesprochen hatte, weil er wußte, daß es ja von selber einmal kommen würde, – wie es ja also auch ganz richtig gekommen war. – Gott mochte übrigens wissen, wie? – Sie hatte sie doch wirklich musterhaft aufgefaßt. Sie sah gar nicht so aus, als wenn sie sich rächen wollte. – – –

Er mußte lächeln bei dem Gedanken! Carla auf Liebespfaden! – – Sie mit ihrem Essenkochen, ihren Einkäufen, ihren Mädchenangelegenheiten, ihren Familiengeschichten! Sie redet zu viel. – – Sie hat wirklich keine Zeit! – –

Nein, so ein ruhiger, friedfertiger Mensch wie er selber, – der alles so machte wie es gemacht werden mußte, und außerdem noch Zeit zu allerlei anderem hatte – –

Thomsen wurde ganz weich ums Herz: er mußte an seine liebe, gute kleine Fick denken, die da so brav und geduldig saß, er hatte sie eigentlich ganz verteufelt gern! »Eine bravekleine Dame!« sagte er mit Nachdruck, – eine wirklich brave, anständige kleine Person. Strenge, hatte Carla gesagt, – sie war aber gar nicht strenge, ein wenig mager war sie ja freilich, die Wangen ein wenig schmal, aber sie war fröhlich und liebenswürdig, nie hatte er ein böses Wort von ihr gehört. Du lieber Gott, ihr Lohn war doch so gering: eine kleine Leibrente hatte er ihr ausgesetzt, und damit war sie zufrieden, und unveränderlich dieselbe. Sie hatte ihm wirklich reiche Zinsen für seine Schillinge eingebracht.

»Nein,« dachte er und schielte zu Ingeborg und Vedel hinüber, an denen er gerade vorüberkam, »da sitzen nun die beiden jungen Menschen und glauben an Liebe, als sei das etwas ganz Neues, erst vor einer halben Stunde in der Welt Entdecktes.« – –

»Und hier,« fuhr er fort, als er auf die Veranda hinauskam, »hier sitzen zweie, die doch etwas älter und vernünftiger sind, – und die sind vielleicht nicht weit davon entfernt, einander genau dasselbe einzubilden, – – und währenddes gehe ich hier, – ich, der ich mein ganzes Leben hindurch eigentlich an nichts weiter geglaubt habe als an meine präparierten Ochsenhäute, ich gehe hier mit meiner kleinen, alten, friedlichen Gewohnheitsliebe, die mich jetzt volle zehn Jahre wach gehalten hat. Ich mache mir verdammt wenig aus Nachtigallen und schmelzenden Herzen im Mondschein. Aber ich mag es wohl, wenn mich eine kleine Dame zweimal wöchentlich um den Hals faßt, wenn ich zu ihr komme, und sie sagt: Guten Tag, Tom, wie geht es dir, kleiner Schatz? – – Ja, ich kann es wohl leiden, daß sie das wieder und wieder sagt, sie hat es jetzt in den zehn Jahren jährlich hundertmal gesagt, das macht im ganzen tausendmal. Das kann ich wohl leiden. Ich kenne die Worte, und mache mir nichts daraus, andere zu hören.«

»Hm,« dachte er, als er wieder an Ingeborg und Vedel vorüberkam, – meint ihr, daß ihr mir das nachmachen könnt, ihr beiden?« – –

Er ging noch eine Weile und dachte an seine friedlichen Schäferstunden, während er auf seiner Pfeife paffte, schließlich ward er dessen überdrüssig, – da aber keins der beiden Paare Anstalten machte, sich vom Fleck zu bewegen, obwohl es doch allmählich stark zu dämmern begann, so setzte er sich endlich in einen Lehnstuhl im Gartenzimmer. Dort saß er und starrte in den strömenden Regen hinaus und begann dann über das verdammte Diskonto zu grübeln, das nicht fallen wollte.

Gegen zehn Uhr kam der Diener herein und meldete, daß der Thee serviert sei, – und man versammelte sich wieder im Eßzimmer. Hartwig und Frau Thomsen waren sehr angeregt, und die Unterhaltung zwischen ihnen und dem Großhändler ging lebhaft und ungezwungen. Vedel und Ingeborg waren immer noch still.

Bald nach Tische brach man auf. Die Gäste liehen sich Regenmäntel und Schirme und wurden bis an das Gartenthor geleitet.

»Gute Nacht, meine gnädige Frau,« sagte Hartwig und hielt Frau Thomsens Hand in der seinen. »Vielen Dank!«

»Dann bleibt es also bei der Verabredung!« sagte sie laut mit lächelnder Stimme.

Ingeborg reichte Herrn Thomsen die Hand »Gute Nacht!« – und mit einem Blick zu Frau Thomsen hinüber! »Gute Nacht!« Vedel verneigte sich heftig und schweigend.

Thomsen und seine Frau gingen durch den Garten zurück.

»Ein wohlgelungenes Diner!« bemerkte er lächelnd.

»Das finde ich auch!« sagte sie kurz.

Sie kamen auf die Veranda hinauf.

Der Großhändler schüttelte die Regentropfen von dem Schirm.

»Ich meine gehört zu haben, daß du von Verabredungen sprachst?« murmelte er, die Pfeife zwischen den Zähnen.

Sie sah hastig auf. »Hör einmal Thomsen,« sagte sie und trat gerade vor ihn hin, »ich möchte dir ein für allemal etwas sagen! Ich thue, was ich will! Du hast keine Spur von Recht mehr über mich! Ich lasse mir nicht das Geringste mehr von dir gefallen! Wenn es mir einfallen sollte, nach dem Mond zu fliegen, so thue ich es! – –

Sind wir uns nun einig?«

Er zwinkerte ein klein wenig mit den Augen. »Nach dem Mond zu fliegen?« wiederholte er.

»Ja, soll ich mich deutlicher erklären?« fragte sie und starrte ihn an.

»Nein!« sagte er ruhig, aus aller Macht paffend, »das ist nicht nötig.«

Sie wandte sich um und ging hinein.

Er blieb noch eine Weile stehen.

»Sie hat recht,« dachte er, »aber daß sie Lust dazu hat, die alte Person!

Nach dem Mond zu fliegen – – ?«

Er schüttelte den Kopf. Dann setzte er sich hin und trank einen stillen Whisky, ehe er hinauf ging. –

Unten auf dem Strandwege standen Hartwig und Ingeborg unter einemSchirm. Vedel stand in einiger Entfernung.

»Adieu, Herr Baron!« sagte Hartwig sehr bestimmt und streckte den Arm befehlend aus.

Vedel verneigte sich tief vor Ingeborg und bog schnell links ab.

Hartwig packte seine Frau beim Arm. Im selben Augenblick aber riß sie sich mit einem heftigen Ruck los. Einen Moment blieb sie stehen und starrte ihn an. Und ohne ein Wort ging sie in den strömenden Regen hinaus, – Vedel nach.

Sprachlos vor Zorn stand Hartwig da.

Dann aber stampfte er mit dem Fuß und rief ihr nach: »Ja, geh' du nur, geh' du nur! Meinst du, daß ich dich halten will! Geh du nur mit ihm!«

Und langsam folgte er hinterdrein.

Er zitterte vor Zorn, und das Blut schoß ihm siedend in das Gesicht, wahrlich, jetzt hatte er genug! Mochte sie gehen, mochte sie gehen, mochte sie für immer weg bleiben! Fertig mit der Komödie! Ich bin frei! – –

Er ging weiter, und ohne auch nur mit den Augen zu zwinkern, sah er sie bei der Biegung des Weges verschwinden: Vedel in voller Fahrt unter seinem Regenschirm, Ingeborg ein Stück hinterher, fest in ihren Regenmantel gehüllt.

Sie wird ihn schon einholen, dachte Hartwig, – Gott sei Dank!

Als er nach Hause kam, stand die Entreethür weit offen. Er schlug sie zu und schloß sie ab. Schweren Schrittes stieg er die Treppe zum Schlafzimmer hinan. Von den Dienstboten war niemand zu sehen.

Er kam ins Zimmer.

Dort stand Ingeborg vor dem Spiegel, bereits halb entkleidet, in ihrem Frisiermantel. Sie wandte ihm den Rücken zu und kämmte ihr Haar.

Aha! dachte er. Sie ist feige. Am schlimmsten für sie selber.

Aber sein furchtbarer Zorn legte sich.

Ruhig entkleidete er sich.

»Morgen,« dachte er, – »morgen!«

Und mit einem Gähnen genußreicher Erwartung streckte er sich auf seinem Lager aus.

Nach einer Weile merkte er, wie Ingeborg in des Bett schlüpfte, das neben dem seinen stand. Dort legte sie sich ganz still und steif hin, den Rücken ihm zugewendet.

Dann drehte auch er ihr den Rücken zu, und bald schlief er ein, so daß er nicht hörte, wie sie weinte.


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