Artur Landsberger
Emil
Artur Landsberger

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Neunzehntes Kapitel
Emil und Paula

Als Emil in sein Zimmer kam und an das Sofa trat, richtete Paula sich auf, sah ihn groß an, schwieg erst und sagte dann:

»Warum hast du das getan?«

»Weil ich ein schlechter Kerl bin,« erwiderte Emil und ließ sich vor Paula auf der Erde nieder. »Weil ich erst seit ein paar Tagen weiß, was das für Menschen sind – und wie gut du bist.«

»Schlimm ist das, wenn du das jetzt erst weißt,« sagte Paula, legte den Arm um seinen Hals und sah ihm in die Augen. »Schämst du dich nicht?«

»Doch, Paula! – Ich schäme mich.«

»Ist das wahr, was mir Anton erzählt?«

»Was sagt er denn?«

»Daß es die einzige Rettung war. Wenn du dich mit dem Mann aus der Villa nicht verständigt hättest, so wärst du heute fest – und wir auch.«

»Das mag sein.«

»Du mußt es doch wissen!«

»Ich konnte nicht fort, das weißt du ja – und der Alte hatte die Polizei schon alarmiert.«

»Dann hast du doch recht gehabt! – Dann konntest du doch gar nicht anders. Aber ohne Nachricht hättest du mich nicht lassen sollen, – das war nicht gut.«

»Man kam so in den Betrieb – von früh bis in die Nacht – ohne eine Stunde für sich.«

»Die hättest du finden müssen. Du mußtest doch wissen, wie mir zumute ist.«

»Daß es so ist, wußte ich nicht.«

»Und gedacht an mich hast du die ganze Zeit über auch nicht?«

»Nicht oft, Paula – und nicht so wie ich es hätte müssen.«

»Hast du denn nicht gefühlt, wie ich mich nach dir gesehnt habe?«

»Jetzt weiß ich es.«

»Ist das wahr?«

»So lange ich lebe – nicht einen Tag mehr ohne dich, Paula!«

»Ich glaube dir.«

Sie richtete sich ein wenig hoch, schlang die Arme um seinen Hals und zog ihn zu sich.

»Meine Paula!« sagte er, und sie erwiderte:

»Mein geliebter Junge!«

Das war alles, was sie sprachen.

Anton stand ein paar Schritte abseits. Es tat ihm nicht weh, daß sie sich küßten. Er sagte sich: Nun wird sie gesund. Sie hat's verdient. Und er? – Er schüttelte den Kopf und sagte sich: Er wohl nicht.

Als Anton Stimmen hörte, rief er den beiden zu:

»Es kommt wer!«

Emil richtete sich auf. Er sah Anton an. Er wußte, ihn gewann er nicht so leicht zurück wie sie. Er ging ein paar Schritte auf ihn zu und sagte:

»Und nun, Anton, was wird aus uns?«

»Was soll denn werden?«

»Ich komme zu euch – das ist doch klar.«

»Bis zum nächsten Mal,« antwortete Anton.

Da richtete sich Paula hoch und sagte:

»Pfui, Anton!«

»Traust du ihm?«

»Ja!« erwiderte Paula. »Ich weiß, daß er nie wieder von uns geht.«

Emil hielt Anton die Hand hin.

»Wenn du es weißt, Paula,« sagte Anton, »denn wird es wohl so sein.«

Anton schlug ein und fragte:

»Kannst de denn hier so weg – so mir nichts dir nichts?«

»Das kann ich nicht Euret- und meinetwegen und dieses Barons wegen geht das nicht. Aber wir sehen uns jeden Tag.«

»Und wie lange willst du hier bleiben?« fragte Paula.

»Ich will mir einen ehrenvollen Abgang sichern,« erwiderte Emil.

»Von denen hier?« fragte Anton verächtlich und wies auf die Tür, hinter der sie eben noch verhandelt hatten.

»Aber nein! Von denen da unten, unter denen wir alle so lange gelebt haben. Ich setze erst die Reform des Strafvollzugs durch – aber davon verstehst du nichts, Anton! – und dann, Paula, fangen wir als Mann und Frau irgendwo in einem fremden Erdteil ein neues Leben an.«

»Und mich nehmt ihr mit?« fragte Anton.

»Selbstredend!« erwiderte Emil. »Wir brauchen doch einen Schutz.«

Paula sprang auf und warf sich Emil an den Hals. Anton ergriff Emils Hand. Und so standen die drei jetzt – der Anton nehme mir den Vergleich nicht übel – wie am Schluß eines sechsaktigen Films und bildeten eine Gruppe. Es fehlte nur das Publikum, das sich schnäuzte, aufstand und gerührt nach Hause ging.

Und doch: ich glaube nicht, daß es auch nur einen Menschen gibt, der diese Vorgänge von Beginn an miterlebt hat und diesen Ausgang unnatürlich findet.


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