Artur Landsberger
Emil
Artur Landsberger

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Zweiter Teil

Erstes Kapitel
Die Arrivierten

Wer auch nur ein wenig Menschenkenntnis besitzt, weiß jetzt schon, daß die auf solider Grundlage aufgebaute Firma Redlich und Aufrichtig, trotz der wirtschaftlich schlechten Lage, einen sehr regen Geschäftsgang aufwies. Wenn wir mit dem Leser also nach Verlauf von kaum vier Wochen einen Blick in das Wohnzimmer von Kurt Redlich werfen, so wundert es uns auch nicht, daß alle Gegenstände genau wieder auf dem Platz stehen, auf dem sie vor dem, nicht nur zeitlich ungewöhnlichen Besuch des sympathischen jungen Mannes standen. Uns fällt höchstens auf, daß ein paar mäßige Bilder an der Wand durch besonders kostbare Gobelins ersetzt sind und daß der Frühstückstisch eine Menge von Delikatessen aufweist, wie man sie sonst nur auf den Büfetts erster Hotels findet.

Unser Erstaunen wächst noch, wenn wir bedenken, daß es erst neun Uhr morgens ist, daß es sich hier also um ein erstes Frühstück handelt. Es ist zwar für drei Personen gedeckt. Aber an dem großen runden Tisch sitzt nur Redlich, der sehr viel vergnügter ausschaut als in jener Nacht, in der wir ihn zum letzten Male sahen. Er scheint aber auch allen Grund zu haben. Denn wer am frühen Morgen schon so dick den Kaviar auf den Toast legt, muß über einen guten Appetit, aber auch über ein volles Portefeuille verfügen. Anfangs denkt man, daß irgendwo in der Ecke ein junger Hund schnalzend einen Napf mit Milch löffelt. Aber man überzeugt sich bald, daß auch ein Mensch, der Kaviar ißt, derartige Geräusche hervorbringen kann.

Aber wir sind nicht die einzigen Zuschauer. Denn jetzt betritt Emil Aufrichtig, im Bademantel, das Monokel im Auge, das Zimmer, bleibt hinter Redlich stehen und erfreut sich sichtlich an dessen gutem Appetit. Erst nach einer ganzen Weile, als Redlich gerade wieder den Kaviar auf das Brot türmt, klopft er ihm jovial auf den Rücken und sagt:

»Guten Morgen, mein lieber Kurt! – Na, wie schmeckt der Kaviar?«

Der erwidert mit vollem Mund und ohne sich umzusehen:

»Ausgezeichnet!«

»Und wie sind Sie sonst zufrieden mit mir?«

»Unsere geschäftlichen Erfolge sind geradezu beängstigend!«

»Es geht nichts über ein reelles Geschäft. Am Montag erzählen Sie mir, wie sehr Sie diesen ungesalzenen Kaviar lieben, in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch erfolgt ganz zufällig ein Einbruch in die Kaviarzentrale von Nicoutsch . . .«

». . . die, statt sich an die Polizei zu wenden, unsere Dienste in Anspruch nimmt.«

»Und noch am selben Abend des gleichen Tages die gestohlene Ware zurückerhält . . .«

». . . und außer den vertraglichen zwanzig Prozent für die Wiederbeschaffung uns aus Dankbarkeit täglich ein Pfund ihres besten Kaviars ins Haus schickt.«

»Das gehört sich so.«

»Konstanze äußerte den Wunsch nach einem Flügel . . .«

»In der darauffolgenden Nacht erfolgte zufällig ein Einbruch bei Steinway . . .«

». . . die zehn gestohlenen Instrumente werden der Firma wieder zugestellt.«

»Das kostbarste schickt uns die Firma mit einem Dank- und Anerkennungsschreiben zurück . . .«

». . . und wir verwerten den Vorfall als Propaganda in allen großen Zeitungen.«

Emil nahm Platz und begann lustlos zu frühstücken.

»Nur mein Magen verträgt dies neue Leben nicht.«

»Sie täten vielleicht besser, nicht täglich zu baden.«

»Ohne das Bad am Morgen hätte ich den ganzen Tag über ein unbehagliches Gefühl.«

»Ganz wie man's gewöhnt ist,« erwiderte Redlich spöttisch.

»Was würden Sie sagen, wenn ich Sie täglich an Ihre Vergangenheit erinnern würde?«

»Wieso? – was ist mit meiner Vergangenheit?«

»Für Dinge, die Sie angehen, haben Sie ein auffallend schlechtes Gedächtnis.«

»Ich weiß wirklich nicht . . .«

»Aber ich weiß . . .!«

»Was wissen Sie?«

»Ja, glauben Sie, ich hätte mich mit Ihnen assoziiert, ohne Auskünfte über Sie einzuholen?«

»Das ist denn doch die Höhe.«

Ohne von Redlichs Empörung Notiz zu nehmen, fuhr Emil im gleichen Tonfall fort:

»Ich muß sagen, Herr Redlich, daß durchaus nicht alles, was ich über Sie zu hören bekam, nach meinem Geschmack ist.«

»Sie übertreffen alle meine Erwartungen.«

»Ich wünschte, ich könnte dasselbe von Ihnen sagen.«

»Sie sprechen von einer Auskunft – wo ist sie?« drängte Redlich ungeduldig.

Emil holte einen Brief aus dem Bademantel, reichte ihn über den Tisch und sagte:

»Bitte!«

Redlich griff hastig danach und las:

»Herr Kurt Redlich ist ein Kaufmann, der sich hauptsächlich mit Agenturen befaßt, bis zum Kriege allgemeines Vertrauen genoß und . . .«

»Jetzt kommt's!« unterbrach ihn Emil.

». . . seinem Namen alle Ehre machte . . .« fuhr Redlich fort.

»Sie können sich meine Enttäuschung denken.«

». . . während des Krieges soll Herr Redlich sein Vermögen zwar verdreifacht haben . . . – verzehnfacht hab' ich's!« rief Redlich erzürnt.

»Um so besser, Herr Redlich.«

». . . doch ist sein Name heute das einzige, was noch an seine Vergangenheit erinnert.«

»Für den Namen können Sie nichts,« sagte Emil und wollte den Brief zurück haben.

Aber Redlich blätterte um und sagte:

»Es geht ja noch weiter.«

»So?« erwiderte Emil, dem das entgangen war, trat dicht an ihn heran und las laut im gleichen Tempo wie Redlich:

»Doch hat Herr Redlich seinen zahlreichen, lediglich auf Kredit gestellten Geschäften neuerdings ein Unternehmen angegliedert, dem man zum mindesten eine ethische Tendenz nicht absprechen kann.«

»Diese ethische Tendenz bin ich!« erklärte Emil, und der völlig verdutzte Redlich sagte nur:

»Fabelhaft!«

»Weiter!« trieb Emil.

». . . die von ihm ins Leben gerufene Gesellschaft zur Wiederbeschaffung durch Diebstahl oder Einbruch gestohlenen Gutes und deren in kurzer Zeit erzielten Erfolge haben das Vertrauen in den Kaufmann Kurt Redlich wieder befestigt.« – Beide hielten gleichzeitig inne. Ihre Verdutztheit war zu groß. Sie sahen sich an. Erst, ohne eine Miene zu verziehen. Dann lächelten sie und schließlich lachte Emil laut auf. Redlich las weiter:

». . . zumal in seiner Geschäftsverbindung mit dem Kaufmann Emil Aufrichtig . . .« – abermalige Pause, während der sie sich noch erstaunter ansahen – ». . . wenn wir nicht irren, eines Mitgliedes der bekannten Frankfurter Familie gleichen Namens. – Wa . . . wa . . . wa . . .« stotterte Redlich. Aber Emil erfaßte die Situation, richtete sich stolz auf und sagte:

»Was Sie für'n Glück haben!«

Dann wiederholten sie:

»Zumal in seiner Geschäftsverbindung mit dem Kaufmann Emil Aufrichtig, wenn wir nicht irren, ein Mitglied der bekannten Frankfurter Familie, die Gewähr für eine einwandfreie und vornehme Geschäftsführung liegt.«

Sie waren erschlagen und glitten gleichzeitig auf ihre Stühle. Nach einer Weile erklärte Redlich:

»Das heißt doch mit anderen Worten . . .«

»Daß Sie sozusagen ein fauler Kopp sind,« fiel ihm Emil ins Wort.

»Was erlauben Sie sich?«

»Durch die Geschäftsverbindung mit mir aber im Begriff sind, das allgemeine Vertrauen wiederzugewinnen.«

»Die Frankfurter Familie wird Anzeige wegen Führung falschen Namens erstatten.«

»Da kennen Sie meine Familie schlecht.«

»Was hat denn die damit zu tun?«

»Ich meine natürlich Aufrichtigs.«

»So eine Frechheit.«

»Wir wollten uns doch im geschäftlichen Verkehr anderer Ausdrücke bedienen.«

»Also, was haben Aufrichtigs mit Ihrer Familie zu tun?«

»Nichts!«

»Nun also!«

»Meine kennt mich längst nicht mehr – aber Aufrichtigs werden mich kennen . . .«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Sobald meine Gesellschaft eine A.-G. wird und Aufsichtsratsstellen vergibt.«

»Wenn Sie das fertigbringen!«

»Ich habe mich bereits mit sämtlichen Aufrichtigs in Berlin in Verbindung gesetzt und festgestellt, daß ein Fräulein Amalia Aufrichtig in der Kaiserallee zu der Frankfurter Familie gehört.«

»Und wie haben Sie die Verbindung zu dieser Dame hergestellt?«

»In rein verwandtschaftlicher Form.«

»Nämlich?«

»Man hat heute nacht einen kleinen Einbruch bei ihr verübt.«

»Sind Sie toll?«

»Und da sie, wie alle besseren Familien, im Besitz eines Prospektes unserer Gesellschaft ist, so zweifle ich nicht, daß sie noch heute unsere Hilfe in Anspruch nehmen wird.«

»Und wenn sie kommt, was wollen Sie tun?«

»Meine verwandtschaftlichen Beziehungen ausnützen.«

»Sie kennt Sie doch gar nicht.«

»Kennen Sie alle Ihre entfernten Verwandten?«

»Mindestens doch dem Namen nach.«

»Die wird sie mir alle verraten und nach zehn Minuten werden wir sämtliche Tanten und Onkels durch den Kakao ziehen.«

»Sie glauben, scheint's, selbst schon an die Verwandtschaft?«

»Wo andere es glauben, wäre es doch dumm, wenn ich daran zweifle.«

»Mit Ihnen kann man Pferde stehlen gehen!«

»Passé, mein Lieber! Heute, in meiner gehobenen Position, verschiebe ich höchstens ein Gestüt oder einen Rennstall.«

Es klingelte zweimal kurz hintereinander.

»Aha! Baron Koppen!« sagte Emil.

»Schon so früh? – Empfangen Sie ihn!«

Emil wies auf seinen Bademantel und sagte:

»In dem Aufzug? – Im übrigen gilt doch der Besuch Ihrer Tochter.«

»Ich hoffe! Aber erst muß er Konsul oder Ministerialrat sein. Das kann ich bei seinen Schulden und meinem Vermögen verlangen.«

»Ich finde, er ist auf alle Fälle eine Akquisition für Ihre Familie und für das Geschäft.«

»Ich verlasse mich auf Sie . . .«

»Das können Sie.«

». . . und gehe dann zum Notar, den Vertrag für die A.-G. vorzubereiten.«

»Schade um den Jungen!«

»Wieso schade?«

»Ein so feiner Mensch – und muß sich mit uns abgeben.«

»Erlauben Sie mal! – Ich denke, Sie gehören zur Frankfurter Familie?«

»Ich schon – aber Sie!«

»Sie sind das Unerhörteste an Unverfrorenheit, was mir je begegnet ist«

»Hätten Sie sich sonst mit mir eingelassen?«

»Nicht zu glauben!« sagte Redlich und ging hinaus, während Emil in die Halle trat, um den Baron zu begrüßen.


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