Artur Landsberger
Emil
Artur Landsberger

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Achtzehntes Kapitel,
in dem Emil gegen sich selbst verhandelt

Als Emil mit dem Inspektor das Verhandlungszimmer betrat, war es bereits voll von Menschen. Da war der Kommissionsrat Kurt Redlich mit seiner Tochter Konstanze, der Oberstaatsanwalt Spicker im Gespräch mit der Filmdiva Assunta Lu, der ältere von den beiden Kommissaren, die den Einbrecher mit der Perlenkette vernommen hatten, und die beiden Polizisten, denen die Verhaftung zu danken war.

Emils erster Blick galt dem Oberstaatsanwalt. Er stellte fest, daß er die Auslandsakten von Coeur-As nicht mitgebracht hatte, vielmehr in den deutschen Strafakten blätterte und gar nicht auf Assunta achtete, die in großer Erregung auf ihn einsprach.

»Herr Oberstaatsanwalt, das ist gegen die Vereinbarung. Die Akten gehören mir.«

»Ich wollte nur sehen . . .«

»Sie haben hoffentlich die Auslandsakten mitgebracht.«

»Da hier nur die in Deutschland begangenen Straftaten zur Aburteilung kommen, so hielt ich es nicht für nötig.«

»Ich fürchte, ich werde gezwungen sein, beim Minister vorstellig zu werden. Die von mir gestellte und von ihm akzeptierte Bedingung war, daß mir der Fall zur ausschließlichen Bearbeitung überlassen würde.«

»Wir hatten uns doch geeinigt. Oder haben Sie vergessen, daß wir eine Wette abgeschlossen haben?«

»Ich habe das mehr als einen Scherz aufgefaßt und muß auf Auslieferung der Akten bestehen.«

»Ich habe die Priorität und bedaure, ablehnen zu müssen. Der Fall hat mein volles Interesse und ich sehe keinen Grund, warum wir nicht gemeinsam den Fall behandeln sollen.«

»Weil das Unfug ist.«

»Was ich tue, ist niemals Unfug.«

»Das galt der Sache, nicht der Person. Wir müßten, um Kollisionen zu vermeiden, einander von jedem Schritt, den wir tun, unterrichten – das hält auf. In Fällen wie diesen kommt es aber oft auf Minuten an.«

»Dann muß ich Sie bitten, zurückzutreten. Einmal bin ich der Ältere im Amt, dann aber hatte ich die Akten bereits, als Sie von der Existenz dieses Coeur-As noch keine Ahnung hatten.«

»Was erst zu beweisen wäre.«

»Ich verfolge den Mann seit zweieinhalb Jahren.«

»Dann dürfte der Mangel an Erfolg den Übergang an mich rechtfertigen.«

»Ich muß es ablehnen, eine Kritik meiner Tätigkeit von Ihnen entgegenzunehmen. Selbst wenn Sie zu diesen Vorarbeiten nur die Hälfte Zeit benötigten, wäre ich Ihnen immer noch mehr als ein Jahr voraus.«

»Ich wüßte nicht, was es da vorzuarbeiten gäbe.«

»Die Zusammenhänge. – Auch die Straftaten und Strafakten anderer können auf die Spur dieses Coeur-As führen.«

»Sie komplizieren unnötigerweise.«

»Ich glaube zum mindesten, was praktische Erfahrung anbelangt, Ihnen voraus zu sein.«

»Sie sehen aber, daß unsere Methoden durchaus auseinandergehen.«

»Das spricht weder für Sie noch gegen mich.«

»Das spricht jedenfalls gegen die gemeinsame Bearbeitung ein und desselben Falles.«

»Dann werde ich im Ministerium eine Entscheidung erwirken.«

»Ich bitte darum.«

»Und was soll bis dahin geschehen?«

»Bis dahin gilt natürlich die letzte Bestimmung, nach der die Bearbeitung mir zusteht.«

»Dann bin ich hier wohl überflüssig?«

»Ich stelle anheim.«

»Aus Ihrem Telephongespräch glaubte ich zu entnehmen, daß Sie meine Teilnahme wünschen.«

»Ich hatte auf Ihr Entgegenkommen hinsichtlich der Akten gerechnet. Aber bitte! Ich will nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Leiten Sie die Verhandlung.«

»Entgegenkommen gegen Entgegenkommen,« erwiderte Spicker. »Die Akten stehen in meiner Wohnung zu Ihrer Verfügung.«

»Ich nehme davon mit besonderem Dank Kenntnis.«

Der Oberstaatsanwalt und Emil reichten sich die Hand. Der Weg zum Beginn der Verhandlung war bereitet.

Es wäre ja nun gewiß sehr viel netter gewesen, wenn Emil in die Lage gekommen wäre, gegen sich selbst zu verhandeln. Noch dazu bei der Kompliziertheit dieses Verfahrens, in dem einer dem andern aus seinem schlechten Gewissen heraus nicht weh tun wollte. Aber im Grunde genommen war es ja doch Emil, dessen Geist zugleich am Richtertisch und auf der Anklagebank – wenn man so sagen darf – Platz nahm.

»Ich eröffne,« sagte der Oberstaatsanwalt, der zwischen Emil und dem Inspektor saß. Rechts saß der Kommissar, rechts seitwärts der Schreiber und die beiden Polizisten. Links die Zeugen: Redlich, Konstanze und Assunta Lu.

Auf einem Tisch, der in der Mitte stand, lagen Silberschalen, Schalen, Bronzen und ein paar Gobelins.

Der Oberstaatsanwalt hatte sich mit ein paar Worten von dem Inspektor informieren lassen. Ganz im Bilde war er nicht. Da aber sein Zutrauen zu der eigenen Geistesschärfe und zu der Beschränktheit der anderen gleich stark war, so stürzte er sich mit beiden Beinen in die Materie. (So heißt es in der Juristensprache.)

»Wir haben hier zwei Einbrüche,« begann er, »die zeitlich auseinander liegen, die aber einen inneren Zusammenhang dadurch haben, daß der Spiritus rector beider Einbrüche der von uns gesuchte, leider aber noch immer nicht ermittelte Coeur-As ist.« – Er wandte sich an Redlich und wies auf den Tisch. »Bitte, Herr Redlich, stellen Sie fest, ob die dort liegenden Gegenstände aus dem Einbruch bei Ihnen herrühren.«

Redlich stand auf und besah sich zunächst das Silber. Er klemmte sich eine Lupe ins Auge und prüfte es gründlich.

Emil lächelte. Und als Redlich jetzt eine Schale umdrehte und mit dem Nagel daran herumkratzte, bluffte er und sagte:

»Es hat kein Silberzeichen und ist nicht echt,« woraufhin Redlich automatisch die Schale wieder auf den Tisch stellte.

»Sie sollen ja nicht untersuchen, ob es echt ist, sondern ob es Ihnen gehört,« sagte der Oberstaatsanwalt.

»Wenn es echt ist, gehört es ihm, und wenn es nicht echt ist, gehört es ihm nicht,« erwiderte Emil.

Redlich wandte sich um und rief dem Oberstaatsanwalt zu:

»Ich bitte um Schutz gegen derartige Beleidigungen.« – Und zu Emil sagte er: »Sie scheinen vergessen zu haben, daß ich einmal Ihr Sozius war.«

»Aber nein! Wenn du willst, erzähle ich sogar, wie ich es wurde. Der Oberstaatsanwalt hat Humor genug und hört gern lustige Geschichten.«

»Aber nicht im Dienst!« erwiderte Spicker scharf und zu Redlich sagte er verbindlich: »Sehen Sie sich die Sachen bitte an, Herr Kommissionsrat, und sagen Sie ›ja‹ oder ›nein‹. Wenn ich die unsachliche Bemerkung meines Kollegen nicht für einen schlechten Scherz halten würde, so hätte ich sie natürlich gerügt.«

»Danke!« sagte Redlich und verbeugte sich. Dann ging er die Sachen weiter durch. Auch jetzt sah er nur an, was er für wertvoll hielt. Ein Zigarettenetui, von dem er nicht recht wußte, ob es Gold war, hielt er lange in der Hand.

»Ich glaube,« sagte er und besah es von allen Seiten. Dann nickte er mit dem Kopf, sagte »ja« und machte Anstalten, es einzustecken.

Emil sprang auf und riß es ihm aus der Hand.

»Aber, Herr Kollege!« rief Spicker vorwurfsvoll. »Der Herr Kommerzienrat wird doch wohl . . .«

»Kommissionsrat,« verbesserte Redlich.

»Wenn auch,« sagte Spicker. »Sie werden doch nichts für sich reklamieren, was Ihnen nicht gehört.«

»Eben damit das nicht geschieht, griff ich ein,« erwiderte Emil, öffnete das Etui und sagte: »Hier steht eine Widmung!« – Er las: »Emil seiner Paula.« – »Du heißt ja wohl Kurt und deine Tochter Konstanze. Es ist also nicht sehr wahrscheinlich, daß es dir gehört.«

»Ich habe so viel von solchen Dingen,« erwiderte Redlich, »daß mir da leicht ein Irrtum unterlaufen kann.«

»Durchaus verständlich,« sagte der Oberstaatsanwalt, aber Emil, der auf seinen Platz zurückgekehrt war, fuhr fort:

»Wenn ich nicht irre, hast du doch damals alle deine Sachen zurückbekommen.«

»Es könnte doch sein . . .« erwiderte Redlich. »Wenn man eine Villa von vierundzwanzig Zimmern hat, da vermißt man manches Stück erst nach einem Jahr oder länger.«

»Man hat eben nicht vierundzwanzig Zimmer!« erklärte Emil.

»Herr Kollege, ich verstehe nicht, Sie sind von einer Animosität. Der Herr ist Zeuge – im übrigen lag nicht der geringste Anlaß vor.«

»Ich begreife auch nicht,« sagte Redlich, »was du gegen mich hast. Wir sind doch bisher so gut miteinander ausgekommen.«

»Wenn du hier Sachen einsteckst, die Paula . . . wie? was? – – na, also jedenfalls Sachen, die anderen gehören, so habe ich die Pflicht als dein ehemaliger Sozius, dich davor zu bewahren.«

»Das hat er ja gar nicht getan,« sagte Spicker.

»Er wollte es aber tun.«

»Ist mir nicht eingefallen.«

»Es war schon halb in deiner Tasche.«

»Wenn ich wirklich was nehmen wollte, würde ich es nicht tun, wenn ich weiß, daß acht, zehn, zwölf, sechzehn Augen auf mich gerichtet sind.«

»Ich bitte, davon überzeugt zu sein,« sagte der Oberstaatsanwalt, »daß ich auch nicht einen Augenblick lang daran geglaubt habe.«

Redlich sagte:

»Danke!« und verbeugte sich. »Im übrigen«, fuhr er fort, »verzichte ich. Auch wenn sich noch etwas darunter befinden sollte, was mir gehört. Ich bin nicht darauf angewiesen. Lassen Sie es Leuten zukommen, die es nötiger haben.«

Jetzt griff der Inspektor ein und wandte sich an den Kommissar.

»Es muß sich doch irgend etwas darunter befinden,« sagte er. »Wie wären Sie sonst darauf gekommen, daß es aus dem Einbruch in die Villa stammt?«

»Mein jüngerer Kollege, der den Einbrecher noch verhört, hat die Feststellung gemacht,« erwiderte der Kommissar.

»Mir ist schon lieber, man forscht nicht weiter,« sagte Redlich.

»Das muß sein!« widersprach der Oberstaatsanwalt.

»Ich erkläre jedenfalls, daß ich keinerlei Interesse daran habe.«

»Es muß Ihnen doch eine moralische Genugtuung bereiten, wenn die Einbrecher gefaßt und bestraft werden.«

»Ich bin froh, wenn ich nicht mehr daran erinnert werde.«

»Papa hat ein gutes Herz,« sagte Konstanze, »ihm liegt nichts daran, daß die Leute bestraft werden.«

»Aber uns,« sagte der Oberstaatsanwalt. »Dazu sind wir da! Im übrigen müssen Sie, solange dieser Coeur-As frei herumläuft, ständig darauf gefaßt sein, daß man von neuem bei Ihnen einbricht.«

»Das Gefühl habe ich nicht,« erwiderte Redlich.

Der Kommissar, der inzwischen den Tisch abgesucht hatte, überreichte dem Oberstaatsanwalt ein Buch und sagte:

»Aus diesem Buch, das man bei dem Mädchen gefunden hat, geht hervor, daß die beiden Festgenommenen in Verbindung mit Coeur-As stehen.«

Der Oberstaatsanwalt schlug auf und las:

»Lachendes Asien! – Fahrt nach dem Osten. – Exlibris der Konstanze Redlich. – Das ist allerdings belastend. – Fehlt Ihnen das Buch?« fragte er Konstanze.

So kurz die Aussprache gewesen war, die Konstanze mit Paula gehabt hatte, so stark war der Eindruck, den Paula als Mensch auf Konstanze gemacht hatte. Die Vorstellung, daß dies dumme Buch Paula verraten und womöglich ins Gefängnis bringen sollte, erschien ihr so furchtbar, daß sie etwas konfus antwortete:

»Ja!! – das heißt: nein! Ich habe soviel Bücher – was kommt es da auf eins mehr oder weniger an.«

»Sie haben also bemerkt, daß es fort ist?«

»Nein! bemerkt hätte ich es nicht. – Ich sehe ja meine Bücher nicht alle Tage durch. – Aber vielleicht – habe ich ihr es gegeben.«

Redlich sprang auf und rief:

»Was? – Du kennst das Mädchen ja gar nicht – du hast sie ja nie gesehen!«

»Vielleicht, daß ich sie doch gesehen habe,« erwiderte Konstanze.

»Wie ist das möglich?« fragte der Oberstaatsanwalt, während Emil ein nachdenkliches Gesicht machte und schwieg.

»Durch einen Zufall,« sagte Konstanze. »Sie tat mir leid.«

»Dazu müssen Sie sie doch erst einmal gesehen haben, damit sie Ihnen leid tun konnte,« sagte der Oberstaatsanwalt.

»Man sieht viel Elend heutzutage,« sprang Emil ihr bei, obschon er gar nicht begriff, worauf Konstanze hinauswollte. »Man begegnet auf der Straße Menschen, die einem leid tun, man spricht sie an, man gewinnt Interesse an ihnen, man nimmt sie mit. – Ich begreife das, denn mir geht es genau so.«

»Sie haben das Mädchen also auf der Straße aufgegriffen und mit sich in die Villa genommen?« fragte der Oberstaatsanwalt.

»Ein unerhörter Leichtsinn!« rief Redlich. »Ich hatte bis zu diesem Augenblick natürlich keine Ahnung davon.«

»Ich muß auch sagen, gnädiges Fräulein,« stimmte der Oberstaatsanwalt bei, »daß ich das zum mindesten gewagt finde. Solche Mädchen sehen es darauf ab, nutzen Ihre Gutmütigkeit aus, stehlen wie die Raben und kundschaften Gelegenheiten für einen nächtlichen Einbruch aus.«

»Wer sagt Ihnen denn, daß dies Mädchen eine Diebin ist?« fragte Emil.

»Aber lieber Kollege, was sollte sie denn sonst sein? Sie ist nichts, sie hat nichts, sie lungert auf der Straße herum – ja, was können Sie von einer solchen Person denn erwarten?«

»Das kann ein grundehrlicher Mensch sein,« widersprach Emil.

»Kann, kann! aber das müßte sie erst beweisen.«

»Mir scheint, daß es unsere Pflicht ist, ihr das Gegenteil nachzuweisen, ehe wir das Recht haben, sie eine Diebin zu nennen.«

»Wir wollen doch hier keine ethischen Gespräche führen, sondern Coeur-As zur Strecke bringen,« erwiderte Spicker und fuhr zu Konstanze gewandt fort: »und statt ihr ein altes Kleid oder ein Stück Brot zu geben, haben Sie dieser Person . . .«

»Warum sagen Sie immer Person?« fragte Emil, und Spicker erwiderte:

»Soll ich etwa gnädiges Fräulein sagen? – Also, gnädiges Fräulein,« wandte er sich wieder an Konstanze: »Sie haben ihr dies Asienbuch gegeben?«

»Ja! – Sie machte einen so unglücklichen Eindruck.«

»Um sie zu zerstreuen,« sagte Emil, und Konstanze erwiderte:

»Ja!«

»Mit dem Einbruch in Redlichs Villa ist es demnach nichts,« erklärte Emil. »Die Konstruktion war falsch. Die Leute haben weder mit dem Einbruch noch mit Coeur-As etwas zu tun, können also entlassen werden.«

Der Inspektor widersprach:

»Der Mann hat doch auf das Buch hin den Einbruch bereits gestanden.«

»Das wäre dann doch ein eigentümliches Zusammentreffen.«

»Durchaus nicht!« sagte der Oberstaatsanwalt. »Das Mädchen hat, wie ich schon sagte, den Besuch nur dazu benutzt, um eine Gelegenheit zum Einbruch auszukundschaften.«

»Demnach müßte die Buchübergabe zeitlich vor dem Einbruch liegen,« sagte Emil, und Spicker fragte:

»Ist das der Fall?«

Konstanze, die Furcht hatte, sich zu verheddern, sagte:

»Ich glaube nicht.«

»Das widerspräche ja jeder Logik,« erwiderte Spicker.

»Liegt denn sonst ein Verdacht gegen das Mädchen vor?« fragte Emil.

»Selbstredend!« sagte der Inspektor, »man hat die Kette bei ihr gefunden.«

»Die Kette?« fragte Emil erstaunt, und die Filmdiva rief:

»Doch nicht etwa meine?«

»Auf die Weise kriegen wir Coeur-As nie!« brauste der Oberstaatsanwalt auf. »Das gibt ja ein wüstes Durcheinander.«

Das hinderte nicht, daß die Diva laut rief:

»Wenn das meine Kette ist, so protestiere ich.«

»Sie protestieren?« fragte Spicker. »Ja, wogegen denn?«

»Gegen alles! Das ist kein Sitzungssaal hier, das ist ein Hühnerstall!«

»Was fehlt Ihnen denn?« fragte Spicker.

»Die Perlenkette!« erwiderte Emil.

»I Gott bewahre!« widersprach die Diva in großer Erregung. »Darauf pfeife ich! Oder glauben Sie, ich werde zehn Prozent zahlen, wenn man sie mir schon heute, und noch dazu in einer Aufmachung wie hier, sang- und klanglos wiedergibt? Fällt mir nicht ein.«

»Die Polizei hat keinen Anspruch auf eine Belohnung,« belehrte sie Spicker.

»So etwas muß sich auswirken. Dazu gehört Zeit. Bis die Nachricht in amerikanischen Blättern steht, vergehen Tage! Bis meine Interviews gedruckt sind, sogar Wochen! Ich erhebe Protest! Sie werden mir den Schaden ersetzen, wenn das große amerikanische Engagement in die Brüche geht.«

»Haben Sie es denn schon?« fragte Emil.

»Dumme Frage!« erwiderte die Diva, und als der Oberstaatsanwalt sie zurechtweisen wollte und laut sagte:

»Hören Sie mal!« rief sie:

»Ruhe! Jetzt rede ich. Wie soll ich ein Engagement in Amerika bekommen, wenn der Skandal nicht mal bis London und Paris dringt.«

»Was wollen Sie eigentlich?« fragte der Oberstaatsanwalt »Wir verhandeln hier gegen Coeur-As und Sie sind, soviel ich weiß, hier nur Zeuge.«

»Da hört's auf!« tobte Assunta Lu. »Seit Jahren lehne ich jeden Film ab, in dem ich nicht die Hauptrolle spiele, und Sie wollen mich hier zum Komparsen erniedrigen? Herr!« fuhr sie Spicker an, »mir scheint, Sie sind von meinen Kolleginnen . . . bestochen!«

Der Oberstaatsanwalt sprang auf und rief:

»Nehmen Sie das zurück oder ich mache Ihnen den Prozeß wegen verleumderischer Beleidigung.«

»Wie wird da verhandelt?« fragte die Diva.

»Was soll das heißen? Sie haben sechs Monate Gefängnis zu gewärtigen.«

»Interessiert mich nicht Ich will wissen, ob da in einem großen Saal verhandelt wird. Mit elegantem Publikum, Zeugen, Presse und Photographen!«

»Was haben Sie nur?« fragte der Oberstaatsanwalt.

»Was ich habe? Einen Namen habe ich zu verteidigen. Oder glauben Sie, ich werde mich hier unter Ausschluß der Öffentlichkeit beisetzen lassen? Ich unterhalte zur Pflege meines Ruhms mit einem halben Dutzend Leuten von der Presse Beziehungen. Glauben Sie, das ist eine Kleinigkeit? Das kostet Zeit, Nerven und Überwindung. Hier hatten Sie Gelegenheit, etwas für mich zu tun und da verhandeln Sie in einem Raum, von der Größe eines Schrankkoffers.

»So beruhigen Sie sich doch,« vermittelte Emil, obschon ihm die Ablenkung vom Wesentlichen willkommen war, »das ist doch nur die Voruntersuchung. Die Hauptverhandlung kommt erst noch.«

Assunta Lu atmete auf.

»Sie proben nur!« rief sie erleichtert. »Dann kann ja noch alles gut werden.«

»Nehmen Sie den gegen mich erhobenen Vorwurf zurück?« fragte Spicker.

»Wenn Sie mir versprechen, die Sache in der Hauptverhandlung ganz groß aufzuziehen.«

»Ich lehne jede Bedingung ab.«

»Geben Sie nach!« rief Emil. »Im übrigen liegt die Leitung der Hauptverhandlung in anderen Händen.«

»In wessen?«

»Das steht noch nicht fest.«

»Also nicht morgen oder übermorgen?«

»Es kann Wochen dauern.«

»Herrlich! dann ist ja alles in bester Ordnung.«

»Jetzt reißt mir aber die Geduld,« sagte Spicker, »Sie sind hier vor Gericht und nicht in einem Propagandabureau, wo Sie Aufträge geben und Zahlung leisten.«

»Ich lasse mich das gern etwas kosten.«

»Ich verhänge über Sie wegen Ungebühr eine Haftstrafe von . . .«

»Nein!« rief die Diva.

». . . drei Tagen.«

»Wird das Aufsehen machen?« fragte Assunta.

»Ich lasse Sie abführen.«

Die Diva wandte sich um und rief:

»Ist denn kein Photograph da?« – Und da sie niemanden sah, so sagte sie: »Primitiv ist das hier.«

»Ich lasse Sie auf Ihren geistigen Zustand hin untersuchen.«

»Eine großartige Idee!« rief sie. »Jedes Genie ist verrückt.«

»Man kann auch wegen Geisteskrankheit eingesperrt werden.«

»Wenn Sie das fertigbringen!« rief sie begeistert, stürzte an den Tisch und ergriff die Hand des Oberstaatsanwalts. »Mich haben im letzten Vierteljahr mehr als tausend Verehrer und Verehrerinnen um ein Autogramm gebeten. Die gehen für mich durchs Feuer! Die befreien mich! Die stürmen das Gefängnis! – Lieber Freund, Sie haben es mir versprochen! Vor Zeugen! Sie müssen Wort halten! Ich nehme auch alles zurück, und mit der Perlenkette können Sie machen, was Sie wollen. Wenn Sie mir das managern, verzichte ich auf alles andere.«

»Man muß Sie in Ketten legen!« sagte Spicker und machte sich von Assunta frei.

»Sie sind ein Engel!« rief die Diva. »Sie müssen mein Impresario werden! Akt eins: Assunta Lu wird in Ketten gelegt. Ich sehe das Bild schon als Titelblatt in der ›Illustrierten‹. Akt zwei: Assunta Lu schmachtet im Gefängnis bei Wasser und Brot! Herr Rat, oder was Sie sonst sind, man kann sich doch selbst beköstigen, wenn man's bezahlt? Akt drei: Assuntas Befreiung. – Da werden meine Verehrer den Deutschen einmal zeigen, wie man Revolution macht«

Die Diva begleitete jeden ihrer Sätze mit bildhaften Gesten. Bei dem Bild der Befreiung ereiferte sie sich so weit, daß sie dem Polizisten das Seitengewehr zu entreißen suchte. Dem Oberstaatsanwalt riß die Geduld. Er sprang auf:

»Ich bin noch mit jedem Verbrecher fertig geworden!« rief er. »Aber eine entfesselte Filmdiva geht über meine Kraft.« – Er packte seine Papiere zusammen und wandte sich an Emil: »Herr Kollege, bitte führen Sie die Verhandlung weiter. Sie wissen mit Damen dieser Art vermutlich besser umzugehen.«

»Sie überlassen mir also Coeur-As?«

»Ich reiße mich zum mindesten nicht mehr darum.«

»Ich kann also auch auf die Auslieferung der Akten rechnen?«

»Darüber kann ich mich erst entscheiden, wenn ich sie ausstudiert habe.«

Emil faßte den Oberstaatsanwalt scharf ins Auge und sagte:

»Ich sehe schon, ich werde sie mir selber holen müssen.«

»Keine schlechte Idee, Herr Kollege! Sie kennen den Preis für den, der mich überlistet.«

Er verbeugte sich – auch zu dem Inspektor hin – und ging.

Dieser Exodus hätte sich wahrscheinlich etwas stürmischer gestaltet, wenn unsere Freundin Assunta Lu nicht die Zeit für gekommen gehalten hätte, neu Schminke und Puder aufzulegen. So kam es, daß sie erst wieder aufsah, als Emil neben ihr stand und ihr zuflüsterte:

»Liebe Lotte Krause, halte von jetzt ab gefälligst dein Schnäuzchen und rede nur, wenn du gefragt wirst.«

Dann begab er sich wieder auf seinen Platz, gab sich die straffe und ernste Haltung eines Beamten, der sich seiner Würde bewußt ist, und sagte zu dem Polizeidiener, der an der Tür stand:

»Lassen Sie die Strafgefangenen der Reihe nach vorführen.«

Redlich, der über dem Anblick von Assunta Lu die Situation, in der er sich selbst befand, vergessen hatte, wurde unruhig, rückte noch näher an seine Tochter heran und flüsterte ihr zu:

»Das kann ja nett werden.«

Konstanze erwiderte:

»Am besten, du schweigst, Papa.«

Gleich darauf ging die Tür und Anton wurde vorgeführt.

»Bitte, vernehmen Sie ihn,« sagte Emil zu dem Kommissar, der neben ihm stand. Der wandte sich an Anton:

»Geben Sie den Einbruch zu?«

Anton sah sich, ehe er eine Antwort gab, erst Emil und den Inspektor, dann Redlich und seine Tochter genau an und erwiderte:

»Welchen?«

»Haben Sie denn noch andere auf dem Gewissen?«

»Das festzustellen, ist Ihre Sache. Dafür werden Sie bezahlt. Ich misch' mir grundsätzlich nich in andere Leute ihre Angelegenheiten.«

»Bleiben wir also bei diesem Einbruch.« – Er wies auf Redlich und Konstanze. »Kennen Sie den Herrn und die Dame, die da sitzen?«

»Ich erinnere mir nich. – Im Profil da gleicht er dem Fassadenfranz. Aber so dämlich sieht der nich aus. Und so uff neu – als wenn er jrade von 'm Einbruch ins Konfektionsviertel kommt, auch nich.«

»Dummes Zeug, Sie stehen den Herrschaften gegenüber, bei denen Sie eingebrochen sind.«

»Sehn Se mal an. Und ick habe jedacht, des wär' 'n hochjekommener Jannove, mit dem daß ich mal in Verbindung stand.«

»Eine vorzügliche Type!« rief Assunta und betrachtete Anton interessiert mit ihrem Lorgnon.

»So was jibt's heutzutage. Bis in de höchsten Beamtenstellen ruff beziehn se neuerdings den Bedarf von uns.«

»Sind Sie etwa Einundfünfziger?« fragte der Kommissar.

»Sie! Sehen Sie sich vor. Es kann sind, daß ich morjen Ihr Vorgesetzter bin.«

»Großer Gott! der weiß etwas!« flüsterte Konstanze ihrem Vater zu.

»Nachdem Sie den Einbruch zugegeben und die Geschädigten ihre Sache zurückerhalten haben – das Buch ist inzwischen von der Dame ebenfalls als ihr Eigentum rekognosziert worden –«

»Das vereinfacht ja das Verfahren.«

»Hängt es jetzt von Ihrem weiteren Verhalten ab, ob Ihnen das Zuchthaus noch einmal erspart bleibt.«

»Wie meinen Sie 'n das?«

»Daß Sie vielleicht noch mal mit Gefängnis davonkommen.«

»Wenn ich was tu?«

»Wenn Sie uns den Aufenthaltsort von Coeur-As verraten.«

»Aus das Loch pfeift's!« – Er schien einen Augenblick lang zu überlegen. Redlich zitterte wie Espenlaub, Konstanze biß die Zähne aufeinander und sagte vor sich hin: »Großer Gott!« – aber Anton trat dicht vor den Tisch und sagte mit fester Stimme:

»Nee! – wenn er's auch verdient – auf die Art nich!«

»Sie verbessern damit Ihre Lage.«

»Ich weiß von nichts.«

»Er verdient es, sagten Sie. Das heißt doch so viel als daß er schlecht an Ihnen gehandelt hat.«

»Wenn's das wär'. Was liegt an mir?«

»Hat er Sie verpfiffen?«

Anton zog die Schultern hoch und sagte:

»Vielleicht – vielleicht auch nich.«

»Hat er Ihnen Ihr Mädchen fortgenommen?«

Anton fuhr auf:

»Weiß Gott, das hat er!«

»Und den wollen Sie schonen?«

»Mein Mädchen war's nich. Es war seins. Aber er hat se aufm Jewissen.«

»Sie lieben das Mädchen?«

»Was jeht'n das Sie an?«

»Wenn er das Mädel auf dem Gewissen hat, dann schonen Sie ihn zu Unrecht:

Anton nickte und sagte:

»Jawoll!«

»Er verdient es nicht.«

»Det stimmt!«

»Sie sind es dem Mädchen schuldig.«

Anton dachte nach und sah den Kommissar an.

»Ja . . . das bin ich.«

»Sie würde es Ihnen danken – und Sie liebgewinnen.«

Anton zuckte zurück.

»Nee! nee!« rief er und hob die Hände hoch. »Die wär' fertig – mit mir – und mit sich.« Dann überlegte er wieder und fuhr fort: »Fertig is se ja so auch. Und es wär' jerecht, wenn er's denn auch is.«

»Schon, damit er nicht wieder eine andere ins Unglück stürzt.«

Anton schien das einzuleuchten. Er stand in Gedanken und bewegte langsam den Kopf. Der Kommissar umklammerte ihn noch fester.

»Sie wird die Erste nicht sein –« fuhr er fort, »und auch nicht die Letzte.«

»Das – kann – schon – sein.«

»So ein armes Mädel ist ja wehrlos.«

Anton nickte und sagte:

»Ja . . . ja! was soll se 'n tun?? Es hilft ihr doch keiner.«

»Sagen Sie, wo Coeur-As ist – und Sie retten damit ein Dutzend hilfloser Geschöpfe.«

Man sah, wie Anton mit sich kämpfte.

»Man sollt' es tun,« sagte er, und es schien, als wenn er sich langsam entschlösse, Emil preiszugeben. Er hob den Kopf, sah erst Emil an, der keinerlei Bewegung zeigte, dann den Kommissar, der eine Handbewegung machte und sagte:

»Na also!«

Da riß Anton plötzlich beide Arme hoch, tat ein paar Schritte rückwärts und rief laut:

»Nee!« – ließ die Arme sinken und sagte: »Gott sei Dank! daß ich das nich« – er legte die Hand an die Stirn – »beinahe! – es hat nich viel jefehlt – und ich hätt' mir jemein jemacht.«

Er ging auf den Tisch zu, schenkte sich ein Glas Wasser ein und goß es herunter. – Man hörte deutlich, wie Redlich und Konstanze aufatmeten.

Assunta Lu saß ganz gebannt und starrte Anton an. Dann klatschte sie in die Hände und rief:

»Bravo!« stand auf, trat an Anton heran und sagte: »Sie sind ein großer Künstler. Bitte um Ihren Namen und Ihre Adresse. Sie werden in meinem nächsten Film eine große Rolle spielen.«

Anton machte eine abwehrende Bewegung, kehrte ihr den Rücken und sagte:

»Hör'n Se mit dem Quatsch auf. Des interessiert mich nich.«

Aber der Kommissar ließ sich dadurch, daß er einmal abgeblitzt war, nicht abhalten, in seinen Bemühungen fortzufahren. Als Sportsmann sagte er sich: ›um einen Kopf! Kurz vor dem Ziel brach er weg. Vielleicht das nächste Mal‹ – Er wandte sich wieder an Anton und sagte:

»Aus alledem geht jedenfalls hervor, Sie wissen mehr als wir alle hier.«

»Ich? – Wieso?«

»Sie wissen, wo Coeur-As sich aufhält.«

»Na, vielleicht weiß es hier auch sonst noch wer?« – Er wies auf Redlich, der in sich zusammenkroch:

»Fragen Se den mal!«

»Wie soll denn der Herr das wissen?«

»Vielleicht, daß er'n jesehn hat, als er bei ihm einjebrochen is.«

»Und wenn er ihn gesehen hätte, würde er ihn heute nach Monaten . . .«

»Sagen Se das nich. Aus'm flüchtigen Zusammensein wird manchmal 'ne dicke Freundschaft.«

»Sie sind ja verrückt.«

»Nee! diesmal nich. Es steht zuviel aufm Spiel.«

»Allerdings. Es handelt sich für Sie darum, ob Sie durch eine Zuchthausstrafe endgültig aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschaltet werden.«

»In die menschliche Gesellschaft war ich noch nie drin – und passe ich auch nicht.«

»Es gab doch mal eine Zeit, zu der Sie noch nicht vorbestraft waren.«

»Nee! die gab es nie. Ich bin sozusagen schon vorbestraft auf die Welt jekommen.«

»Sie sind ein uneheliches Kind?«

»Wenn's weiter nichts wär'! Ohne Vater, das jeht noch. Aber einer, der säuft und die Mutter halbtotschlägt – aber für so was kann der Mensch nich – er war mal so und nich anders.«

»Dann denken Sie mal an Ihre Mutter.«

»Nee!« rief er plötzlich wie ausgewechselt und in höchster Erregung. »Hör'n Se uff! Die jeht Sie gar nischt an. Machen Se mir nich verrückt!« Seine Stimme schlug plötzlich um und wurde weich. » Meine Mutter! Was wissen Sie denn von so eine Mutter? – die hat sich totgehungert und totgeschuftet für die sechs Kinder – des hat sich gelohnt.« Er raffte sich auf und rief laut: »Ich wünschte nur, ich hätte die Kräfte – dann würde ich das janze Gebäude hier inreißen – mich uff de Trümmer stellen und rufen: Mutter, ich habe dir jerächt.«

Emil beugte sich zu dem Kommissar und sagte:

»Sie bringen den Mann ja zur Verzweiflung.«

»Das ist meine Absicht,« erwiderte der – »ich will ihn weich machen . . .«

»Hören Sie mal,« sagte Emil zu Anton gewandt: »Ihre Mutter hat natürlich gar nichts damit zu tun.«

»Doch hat se! – Mit alles hat se zu tun – bis zuletzt – bis es aus is.«

»Aber so hören Sie doch, Ihre Mutter ruht doch längst unter der Erde.«

»Jott sei Dank! – Denn sonst – die wär' schon sechsmal gestorben, wenn se mich so sähe.«

»Die hat ihre Ruhe,« redete Emil ihm zu, um ihn zu beruhigen.

»Die hat se – und verdient hat sie se auch.«

»Sehen Sie! Und wollen wir ihr nun auch lassen. Und mit dem, was wir hier zu verhandeln haben, damit hat die alte Frau nichts zu tun.«

»Die hat keinen Sechser umjedreht, der ihr nich jehört hat«

»Sehn Sie!« sagte Emil, und den Kommissar fuhr er an: »Solche Mutter, das ist eine heilige Sache! Deren bedient man sich nicht als Folter. Gegen den eigenen Sohn schon gar nicht.«

Anton richtete sich auf.

»So war das gemeint,« rief er, trat dicht an den Kommissar heran, spuckte vor ihm aus und sagte: »Pfui Deibel!«

»Im übrigen«, fuhr Emil fort, »ist damit, daß man das Buch in der Wohnung dieses Mädchens gefunden hat, noch lange nicht gesagt, daß Sie an dem Einbruch in Redlichs Villa beteiligt sind.«

Anton sah auf und sagte:

»Was soll'n das?«

»Ich vermute stark, daß Sie da die Schuld für einen anderen auf sich nehmen. Aber die Polizei läßt sich nicht düpieren. Von Ihnen schon gar nicht.«

»Nu schlägt's dreizehn,« sagte Anton.

»Für das, was Coeur-As ausgefressen hat, sitzt Coeur-As! Nicht Sie!«

»Papa!« rief Konstanze laut und hielt sich an ihrem Vater fest.

»Wo soll'n das Buch her sein?« fragte Anton.

Emil wandte sich an den Kommissar:

»Aus dem Eifer, mit dem er sich selbst bezichtigt, sieht man schon, daß er einen anderen deckt. Wer schuldig ist, leugnet.«

»Das stimmt!« sagte der Kommissar.

Emil wandte sich wieder an Anton:

»Was sagen Sie zum Beispiel dazu, wenn ich Ihnen verrate, daß dies Fräulein dort« – er wies auf Konstanze – »dem Mädchen das Buch gelegentlich eines Besuches persönlich ausgehändigt hat?«

»Da lach' ich.«

»Es ist aber so,« log Konstanze.

Anton wandte sich zu ihr um, trat ein paar Schritte auf sie zu und sagte:

»Was denn? – Sie und die Paula . . .?« Er faßte sich an den Kopf und rief: »Herrgott nee! ich werd' verrückt«

»Geben Sie den Versuch, hier für einen anderen einzutreten, also auf! Es nützt Ihnen nichts.«

»Was wird 'n dann?«

»Sie werden entlassen.«

»Und Paula?«

»Die bleibt!« erwiderte der Kommissar.

»Weshalb?« fragte Emil.

»Wegen Diebstahls und Hehlerei.«

»Gemeine Lüge!« rief Anton.

»Mäßigen Sie sich!« befahl Emil. »Ich muß Sie sonst in Haft nehmen.«

»Man immer zu! – Aber für Paula, da leg' ich meinen Kopf hin, daß die nichts anrührt, was ihr nich jehört. Das kann ich sogar beweisen. Sie hat von einem Mann – Pardon! – von einem Herrn, von einem hohen Herrn – Tausende von Mark in Aufbewahrung . . .«

»Wieso hat man ihr die bei der Haussuchung nicht abgenommen?« fragte der Kommissar den Polizisten.

»Was ihr oder einem anderen gehört, kann man ihr doch nicht abnehmen,« sagte Emil. – Da sperrten die Beamten, vom Inspektor herab bis zum Polizeidiener die Mäuler weit auf und hätten wahrscheinlich vergessen, sie wieder zu schließen, wenn jetzt nicht der jüngere von den beiden Kommissaren hereingekommen und mit dem Ruf auf Emil losgestürzt wäre:

» Wir haben ihn!«

Alles sah gespannt auf. Nur Emil blieb ruhig.

»Wen?« fragte er.

»Coeur-As!«

Jetzt sprangen alle auf. Nur Emil blieb, ohne eine Miene zu verziehen, auf seinem Platz sitzen.

Anton lachte laut auf.

»Sind Sie Ihrer Sache ganz sicher?« fragte Emil den Kommissar.

»Absolut.«

»Aber ich habe ja noch gar nichts gegen ihn unternommen.«

»Sie sehen, schon Ihre Anwesenheit genügt,« schmeichelte der Kommissar.

»Stimmt!« rief Anton und bog sich vor Lachen.

Der Kommissar wandte sich nach ihm um und fragte:

»Was wollen denn Sie?«

»Ich amüsier' mir. Das is 'n Junge, der Emil.

»Emil?« fragte der Kommissar.

»Na ja. Wenn Se'n schon haben, denn können Se auch wissen, daß er Emil heißt. – Ne, so'n Kerl! Der stellt de janze Bude uff'n Kopp. Ich lach' mir krank.«

»Halten Sie'n Mund!« befahl der Inspektor.

»Das hab' ich nich jedacht, als sie mir heute früh jeholt haben, daß ich mir heute noch so amüsiere.«

»Sie sind hier nicht im Kino.«

Die Diva sprang auf.

»Soll das etwa eine Anspielung auf mich sein?«

»Ruhe!« befahl Emil und fragte den Kommissar: »Woraus schließen Sie, daß es Coeur-As ist?«

»Der Mann gesteht den Einbruch ein und trägt ein Spiel Karten bei sich, auf dem Coeur-As steht.«

Er legte Karten vor Emil auf den Tisch.

»Führen Sie ihn vor!« befahl Emil.

Und es erschien unter größter Spannung in zerrissenem Anzug, gefesselt und verstört, Baron v. Koppen.

Konstanze wollte auf ihn zugehen. Redlich hielt sie fest und sagte leise:

»Warte ab!«

Der Baron verbeugte sich vor dem Tisch mit den Beamten, erkannte Emil, atmete auf und sagte:

»Welch Glück, daß ich gerade an Sie gerate. Dann wird sich ja alles aufklären.«

Alle sahen Emil an.

»Ja, mein Lieber,« erwiderte Emil. »Mit Speck fängt man Mäuse.«

»Sie kennen ihn?« fragte der Inspektor erstaunt.

»Ja, was glauben Sie denn, wem Sie es zu verdanken haben, daß der Mann jetzt gefesselt vor Ihnen steht?«

»Sie haben gewußt?« fragte der Inspektor.

»Das wird die Vernehmung ergeben,« erwiderte Emil, wandte sich an den Kommissar und sagte:

»Bitte!«

»Treten Sie näher heran,« befahl der Kommissar. Der Baron gehorchte.

»Sie sind geständig?«

»Ja!«

»Sie geben auch zu, Coeur-As zu sein?«

»Aber nein!« – Er wies auf Emil: »Der Herr kennt mich ja. Und die Herrschaften dort« – er wandte sich an Redlich und Konstanze – »kennen mich auch.«

»Eine verrückte Verteidigungsmethode,« sagte der Inspektor, »die jedenfalls den Reiz der Neuheit hat«

»Ich sage die Wahrheit.«

»Glauben Sie, daß Sie damit weiterkommen?«

»Fragen Sie die Herrschaften doch.«

»Lächerlich.«

»Ich bitte darum.«

Der Inspektor wandte sich an Redlich und sagte:

»Sie haben den Menschen natürlich nie gesehen.«

»I Gott bewahre.«

»Aber, Herr Redlich!« rief der Baron erstaunt. »So sagen Sie doch die Wahrheit.«

»Ich kenne Sie nicht,« erwiderte der.

Der Baron betrachtete seine Kleidung, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und fragte:

»Ja, sehe ich denn so verändert aus? Ich bin doch Baron v. Koppen.«

»Wer?« fragte Redlich.

»Sie wissen doch . . .«, wandte sich der Baron an Emil. Und der erwiderte:

»Ich weiß alles. Und mehr als Ihnen lieb ist. – So kommen wir natürlich nicht weiter. Ich werde den Knoten durchhauen. – Also: es stimmt, daß Sie Baron v. Koppen sind. Es hätte auch keinen Sinn, sich für einen anderen auszugeben. Denn Sie wissen genau, ich brauchte nur Ihren Herrn Vater oder den Herrn Minister laden lassen, um Ihre Identität festzustellen.«

»Ich bitte Sie inständigst, das nicht zu tun.«

»Der Wunsch wird, wenn irgend möglich, erfüllt. Aber nicht etwa Ihretwegen. Lediglich mit Rücksicht auf den Minister und den guten Namen Ihrer Familie.«

»Ich bin Ihnen dankbar.«

»Ich verzichte auf Ihren Dank. – Geben Sie den Einbruch bei der Filmdiva Assunta Lu zu?«

»Aber Sie wissen es ja.«

»Natürlich weiß ich es.«

Der Baron wandte sich an die Diva:

»Die Dame weiß es auch.«

»Anzunehmen. Wenn jemand zu einem ins Zimmer steigt und ihm den Schmuck raubt, so pflegt der Betroffene das ja für gewöhnlich zu bemerken. Zum mindesten hinterher. Sie haben eine wertvolle Perlenkette geraubt?«

»Das sollte ich doch.«

»Entsetzlich!« rief Assunta. »Ich falle in Ohnmacht.«

»Dazu liegt kein Grund vor,« beruhigte sie Emil. Und zu dem Baron gewandt, fuhr er fort: »Sie wollen uns also erzählen, daß Sie im Auftrage eines Dritten gehandelt haben?«

»Aber ja . . . ich verstehe gar nicht . . .«

»Womöglich im Auftrage dieses Emil, genannt Coeur-As?«

»Ich . . . ich . . .«

»Natürlich! Bekannte Methode. Von einem Mann Ihres Bildungsgrades sollte man mehr erwarten.«

»Aber Sie haben doch . . .« – Der Baron war ganz verdattert. Er wandte sich an Konstanze: »Ihretwegen wollte ich . . .«

»Was? Die Dame wollen Sie auch noch in Ihre schmutzige Affäre mit hineinziehen? Schämen Sie sich nicht? Und sagt Ihnen nicht Ihr bißchen Verstand, daß Sie die Dame kompromittieren und sich um jede Chance und jedes Mitleid bringen, wenn Sie irgendeinen Zusammenhang zwischen ihr und dem Einbruch konstruieren?«

»Das sehe ich ein.«

»Handelt ein Gentleman so?«

»Nein – er . . . schweigt!«

»Tun Sie nicht so, als wenn etwas zu verbergen wäre. Das hat genau dieselbe Wirkung, als wenn Sie jemanden belasten.«

»Ich will . . . niemanden belasten.«

»Vertrauen Sie auf die Justiz – und mich – und jene Dame, die weit über jeden Verdacht erhaben ist.«

»Ich wollte ja gar nicht –ich dachte ja nur –ich denke natürlich gar nicht daran – ich sehe ein . . .«

»Doch dachten Sie daran. Ich kenne das. Sie hatten vielleicht vor, uns ein Märchen aufzubinden von einem exaltierten Mädchen, das einen Beweis Ihrer Mannhaftigkeit forderte und der zuliebe Sie diesen Einbruch begingen. Ja, reden Sie sich ein, daß auch nur ein Richter der Welt Ihnen das glauben würde?«

»Nein! Das glaube ich nicht!«

»Nun also! Und wenn es so wäre, dürfte ein Baron v. Koppen, er mag in seinen verbrecherischen Instinkten noch so oft gegen das Gesetz verstoßen, aber dürfte er eine Dame der Gesellschaft öffentlich bloßstellen?«

»Nein, das dürfte er nicht. Und ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mich . . .«

»Ich habe Ihnen schon einmal erklärt: ich verzichte auf Ihren Dank. Schlimm genug, daß man Ihnen so selbstverständliche Dinge erst sagen muß.«

Der Baron machte ein ganz verzweifeltes Gesicht und sah, als wenn er abbitten wollte, zu Konstanze hinüber, die mit gesenktem Kopf dasaß, während Redlich schmunzelnd in sich hineinlächelte.

»Und was die bestellte Arbeit anbelangt,« fuhr Emil fort, kam aber nicht weiter, da Assunta Lu wie der Blitz aufsprang, auf den unglücklichen Baron zustürzte und drohend rief:

»Verleumdung! Sie sind von der Konkurrenz bestochen! Die hat Sie bezahlt, um mich zu blamieren. Wenn der Einbruch bestellte Arbeit ist, dann haben Sie ihn bestellt.«

»Aber beruhigen Sie sich doch! Davon ist überhaupt gar keine Rede.«

»Mein Ruhm steht auf dem Spiel! Ich kenne den Mann nicht. Ich verkehre nicht mit Verbrechern! Ich habe ihn nie gesehen. Ich will's schwören. Ich verlange den Eid! Bevor er schwört!«

»Aber so beruhigen Sie sich doch!«

»Man will mich ruinieren! Ich bin das Opfer einer Konspiration! Ich habe es kommen sehen. Ich hatte einen furchtbaren Traum. Ich sah einen Film, in dem zwei meiner bestgehaßten Kolleginnen die Hauptrollen spielten und ich war Komparse, war eine Zofe, die nichts weiter zu tun hatte, als diesen beiden die Schuhe an- und auszuziehen!« – Sie stand jetzt ganz dicht vor dem Baron: »Sie waren der Liebhaber dieser Frauen! Jetzt erkenne ich Sie wieder! Oh, Sie! Sie steckten mir eine Mark Trinkgeld zu – aber ich warf sie Ihnen vor die Füße und sagte: was die beiden sind, bin ich noch lange!«

Assunta war ganz außer Atem. Emil ließ ihr durch den Polizeidiener einen Stuhl hinsetzen, auf den sie völlig erschöpft niedersank.

»Alles das können Sie sich bis zur Hauptverhandlung aufsparen,« sagte Emil. »Obschon es gar nicht nötig sein wird. Denn der Baron wird uns jetzt unter seinem Eide bekräftigen, daß er nicht von der Konkurrenz zu diesem Einbruch gedungen wurde.«

»Ich bin bereit, das zu beschwören,« erwiderte der Baron.

»Sehen Sie! Dann ist alles in bester Ordnung. Und den Einbruch als solchen geben Sie zu?«

»Ja!«

»Ich sehe nur eine Möglichkeit, Ihren Fall milde zu beurteilen. Wenn es sich nämlich herausstellt, daß Ihre strafbaren Handlungen einer krankhaften Veranlagung entspringen, so verlieren sie ihren infamierenden Charakter, was für Ihre Zukunft und Ehre ausschlaggebend ist. Krankheiten lassen sich heilen, Gefängnis und Zuchthaus aber haften einem noch über den Tod hinaus an.«

Der Baron begann zu schluchzen.

»Warum weinen Sie?« fragte Emil.

»Ich bin so glücklich!«

»Glücklich sind Sie?« fragte er erstaunt.

»Ja! In meinem Unglück Sie gefunden zu haben. Das väterliche Verständnis, mit dem Sie mich leiten . . .«

»Ich fühle mich ja in gewissem Sinne verantwortlich für Sie. Ohne mich wären Sie ja nicht hier.«

Der Inspektor beugte sich zu Emil und flüsterte ihm zu:

»Ich bewundere Sie!«

»Kein Grund, Herr Kollege!« erwiderte Emil und wehrte ab. »Für mich steht fest, daß Sie nicht aus Gewinnsucht gehandelt haben. Ein krankhafter Reiz ließ Sie dies Doppelleben führen.« – Emil wandte sich an Konstanze. »Gnädiges Fräulein, ich kenne die Beziehungen zwischen Ihnen und dem Baron nicht. Aber, nicht wahr, Sie werden einem Kranken, der genesen wird, Ihre Sympathien nicht entziehen?«

»Wenn es doch so wäre! Ich möchte es glauben! Ich könnte ihn lieben!« rief Konstanze erregt.

»Sagen Sie ihr, daß es so ist!« sagte Emil und der Baron richtete sich auf und beteuerte laut:

»Es ist so!«

Konstanze sprang auf und wollte sich ihm an den Hals stürzen, aber Emil hielt sie zurück und rief:

»Einen Augenblick noch.« – Er nahm die Karten auf, die der Polizeidiener vor ihm auf den Tisch gelegt hatte, hielt sie hoch und fragte den Baron:

»Und Sie geben auch zu, daß dies hier Ihre Karten sind?«

Der Baron nickte und sagte:

»Ja!«

»Womit bewiesen ist, daß Sie Coeur-As sind.«

Konstanze streckte die Arme nach ihm aus und bettelte:

»Sag' ja!«

»Ja!« erwiderte der Baron mit fester Stimme, und der Inspektor drückte Emil die Hand und sagte:

»Sie sind ein Genie!«

Emil ließ sich auf seinen Stuhl nieder und erwiderte:

»Jetzt glaube ich es bald selbst.«

So ein gerissener Halunke, dachte Anton, und er war der einzige, der überlegte, ob er nicht dazwischenfahren sollte, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Aber wer hätte sie ihm geglaubt?

Auch Emil war ein viel zu guter Psychologe, um nicht zu wissen, daß Anton der einzige war, von dem ihm Gefahr drohte. Er hatte ihn, während er den Baron vernahm, oder besser: ihm seinen Willen aufzwang, nicht einen Augenblick lang aus den Augen gelassen. Er sah auch deutlich, wie Anton sich innerlich empörte, während im Gegensatz zu ihm Redlich seine Befangenheit immer mehr verlor und schließlich einen beinahe vergnügten Eindruck machte. Aber es war weniger Furcht vor Anton, der ihn jetzt kaum noch gefährden konnte, als ein Gefühl der Scham und die Erkenntnis, daß er von allen hier der einzige war, der nicht aus Eigennutz, vielmehr aus Anstand schwieg.

Vielleicht war es nur das, was ihn reizte, das Spiel auf die Spitze zu treiben. Vielleicht war es auch mehr als das. Dieser Anton und diese Paula waren zwei Menschen, über die er nie viel nachgedacht hatte, deren Charakter ihm nun aber klar wurde, wo er Menschen aus einer völlig anderen Sphäre auf den Grund ihrer Seele sah. Und es schien ihm durchaus nicht paradox, daß er sich aus einem Gefühl der Reinlichkeit heraus zu ihnen zurücksehnte. Paula vollends erschien ihm wie eine Gestalt, angesichts deren er zum ersten Male wieder das Bedürfnis fühlte, seit seiner Kindheit – zu beten. Er, dem längst nichts mehr heilig war, er, der große Gauner und Abenteurer, der jede Autorität abschwor, fühlte sich ihr gegenüber klein und verächtlich. Nach seinem Einbruch in die menschliche Gesellschaft war sie der einzige Mensch, zu dem er emporsah. Er, der sein Leben lang über Liebe gespottet hatte, fühlte, daß er zum ersten Male im Leben eine Frau achtete und liebte. Er folgte jetzt nur dem Gefühl, nicht der Zweckmäßigkeit, wenn er dem Gerichtsdiener den Auftrag gab, das Mädchen vorzuführen.

Anton stutzte erst, dann wandte er sich an Emil und sagte:

»Das gibt 'n Unjlück! – Wozu? – Wo doch alles klar is!«

»Auch zwischen uns muß alles klar sein,« erwiderte Emil.

»Sie meinen?« fragte der Inspektor.

»Daß mir die Fäden, die von dem Baron zu dem Mädchen laufen, nicht deutlich genug sind.«

Der Polizeidiener öffnete die Tür und sagte:

»Das Mädchen!«

Paula, schmal, blaß, gertenschlank, mit großen tiefumränderten Augen, einem einfarbigen, enganliegenden, bis hoch an den Hals hinauf geschlossenen schwarzen Kleid trat ein. Sie schien völlig apathisch. Anton trat ein paar Schritte auf den Tisch zu, um zu verhindern, daß sie Emil sah. Aber der stand hoch aufgerichtet und faßte sie fest ins Auge. Wie hypnotisiert hob sie den Kopf, sah niemand als ihn – riß die Augen weit auf – holte tief Atem – taumelte ein paar Schritte zurück – rief mit zitternder Stimme:

»Emil!«

Dann brach sie zusammen.

Für die Beamten war es nur erneut ein überzeugender Beweis dafür, daß der Baron mit Emil, also mit Coeur-As, identisch war. Denn, wen anders konnte sie meinen als ihn, der noch immer vor dem Tisch in nächster Nähe von Emil stand?

Anton und ein Polizeidiener mühten sich um Paula.

»Bringen Sie das Mädchen in mein Zimmer und legen Sie sie auf die Chaiselongue,« befahl Emil. »Und dann holen Sie schleunigst den Arzt.«

 

Während Anton und der Polizist Paula hinaustrugen, meldete der Polizeidiener:

»Da draußen steht noch ein Mädchen, das etwas von einer gestohlenen Kette redet und vernommen werden will.«

»Aha!« sagte Emil. »Die kommt ja wie gerufen. Sofort herein mit ihr.«

Und in das Zimmer trat eine verhärmte, nicht mehr junge Person, der man noch ansah, daß sie einmal schön gewesen war. Sie war ängstlich und zitterte, und man merkte ihr an, daß sie etwas sagen wollte, aber angesichts des Tisches mit den Beamten unschlüssig wurde und die Möglichkeit suchte, wieder umzukehren.

»Kommen Sie nur ganz furchtlos heran,« sagte Emil, der sofort die Zusammenhänge erriet. »Sie kommen, um uns etwas zu sagen und Ihr Gewissen zu erleichtern.«

»Ja – das heißt, ich möchte doch lieber nicht.«

»Sie kommen der Kette wegen.«

»Ist es wahr, daß man die schwarze Paula geschnappt hat?«

»Ja.«

»Der Kette wegen?«

»Ja.«

Jetzt ging das Mädchen aus sich heraus, trat dicht an den Tisch heran und beteuerte laut:

»Sie ist unschuldig! – Ich bin – ich habe . . .« – Sie sah den Baron, stutzte und wies auf ihn – »da steht er ja. Also es kam so: Die Paula ist ein anständiges Mädchen. Und der da kam wie ein Verrückter ins Café Kuhle.«

»Sie sind ein guter Menschenkenner. Der Mann ist nämlich wirklich verrückt.«

»Ja, ja,« fuhr sie erregt fort, »das sah man ja! Aber wir dachten, daß er Geld hat – weil er doch gleich einen Zwanzigmarkschein auf den Tisch legte – und da haben wir uns denn an ihn rangemacht. – Aber er hat uns gar nicht beachtet – und was die blonde Emma is, die schuppst'n denn immer so mit'm Bein, daß er halb auf mich rüberwippt – ich saß nu schon dicht bei ihm – aber nich aufm Schoß – das erlaubt der Kuhle, was der Wirt is – nich – na, und denn fass' ich'n so um, weil er doch sonst auf meinen Schoß zu sitzen kam – aber da rutsch' ich auch schon mit de Hand in seine Tasche – und wie ich se rausziehe, hab' ich doch das Kollier in der Hand. Auf einmal läuft er weg und ich sitz' da mit das Ding – und heute morgen kommt die blonde Emma und sagt, Lona, sagt se, sieh dir vor, die Polente! – Und da ich doch die Kette erst noch auf die Polizei bringen wollte – was soll unsereins mit so eine Kette? – so lauf ich schnell zu der Paula und sag': heb se auf! Und nu sagt mir eben der Paula ihre Wirtin, daß sie alle geworden is – und das is falsch – und darum bin ich hier.«

»Das ist anständig von Ihnen,« erwiderte Emil. »Aber Sie haben die Kette nicht gestohlen?«

Das Mädchen stutzte und witterte eine Falle.

»Die Paula war's nicht,« wiederholte sie.

Emil wies auf den Baron und sagte:

»Der Mann hat bereits gestanden, die Kette bei einem Einbruch gestohlen und sie Ihnen in die Tasche gesteckt zu haben.«

»Davon is mir nichts bekannt.«

»Der Mann ist Einundfünfziger!«

»Dann wird's wohl so sein, wie er sagt,« beteuerte das Mädchen.

»Es ist bestimmt so, und Sie können nach Hause gehen.«

»Und die Paula?«

»Machen Sie sich um die keine Gedanken, der passiert nichts.«

»Denn entschuld'gen Se nur, wenn ich hier jestört habe.«

»Sie haben ganz recht gehabt. Und damit Sie sich den Weg nicht umsonst gemacht haben und für Ihre anständige Gesinnung« – er nahm einen Zwanzigmarkschein aus der Tasche und reichte ihn ihr – »da nehmen Sie das.«

Das Mädchen traute ihren Augen nicht, wurde unsicher und fragte:

»Stimmt das denn auch? – Is das hier die Polizei?«

»Jawohl!« erwiderte Emil. »Und nun gehen Sie!«

Das Mädchen küßte ihm die Hand und ging. Als sie draußen war, wandte sich Emil an Redlich und sagte:

»Du hast ja wohl einen besonders zuverlässigen Psychiater, dem man die Behandlung des Barons anvertrauen kann.«

Redlich, der nicht recht wußte, ob es Emil ernst damit war, erwiderte:

»Die Verantwortung müßtest in diesem Falle du übernehmen.«

»Da mir die ausschließliche Behandlung des Falles durch den Minister übertragen ist, so übernehme ich natürlich auch die Verantwortung. Wenn die Heilung gelingt, woran ich bei der Tüchtigkeit des Arztes nicht zweifle, und man die ganze Angelegenheit diskret behandelt – was im Interesse aller liegt –, so wird schnell Gras über die Geschichte wachsen,«

»Das hoffe ich auch,« erwiderte Redlich.

»Die Polizei überläßt den Baron also zu treuen Händen dir – respektive Ihnen, Fräulein Konstanze. Die verständnisvolle Behandlung einer gescheiten Frau wird den Genesungsprozeß vermutlich beschleunigen.«

»Und was wird aus mir?« fragte Assunta Lu. »Wo bleibt mein Prozeß?«

»Für Sie, mein Kind, habe ich noch eine besondere Überraschung,« erwiderte Emil, hob die Verhandlung auf, verbeugte sich nach allen Seiten und ging in sein Zimmer.

Da lag Paula, der das Bewußtsein schnell wiedergekehrt war, auf der Chaiselongue. Anton saß neben ihr auf einem Stuhl, hielt ihre Hand und erzählte ihr, indem er sie und Emil in gleicher Weise schonte, wie alles gekommen war.


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