Artur Landsberger
Emil
Artur Landsberger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel,
in dem Emil die Bekanntschaft eines Filmstars macht

Glaubt ja nicht, liebe Leute, daß Bedenken, die euch jetzt kommen, nicht auch Emil, dem ehemals so sympathischen jungen Manne, der sich inzwischen zu einer Persönlichkeit ausgewachsen hat, gekommen wären. Das Tempo dieses Tages fand er genau so beängstigend und unerträglich wie ihr. Das ist kein solider und verdienter Aufstieg, der sich auf Leistungen stützt, sagte er sich, der allein durch die Voraussetzungslosigkeit, mit der ich an alle Dinge herantrete, noch lange nicht begründet ist. Als Folge eines Bluffs wäre der Aufstieg denkbar. Aber womit bluffe ich? Wenn die Menschen wüßten, wer ich bin, die Welt hörte für ein paar Sekunden auf, sich zu drehen, und die Menschheit hielte sich den Bauch vor Lachen. Da man in mir aber nichts anderes als einen jungen Mann namens Emil sieht, der aus einer angesehenen Frankfurter Kaufmannsfamilie stammt, so könnte an sich Millionen Menschen täglich das gleiche passieren, was mir passiert. Aber es passiert ihnen nicht. Also muß irgend etwas von dem, was sich hinter mir verbirgt, ohne nach außen in die Erscheinung zu treten, eine Art Suggestion auf die Umwelt ausüben. Das ist gewiß eine psychologisch interessante Feststellung, der nachzugehen sich verlohnte. Vorausgesetzt, daß man Zeit dazu hat. Ich habe die Zeit nicht, sagte er sich, denn, wenn ich jetzt in mein Bureau zurückkomme, sitzt bestimmt schon wieder ein halbes Dutzend Menschen und wartet. Immerhin: Da ich mir über die inneren Erfolge klar bin, so weiß ich auch, in welcher Gefahr ich mich befinde. Lebt in dem Unterbewußtsein vieler tatsächlich so etwas wie eine Ahnung – wie schnell kann Unterbewußtsein bewußt, Ahnung zu Verdacht, Verdacht zur Gewißheit werden! – Und er sagte sich weiter: Darin also liegt der Erfolg. Das Tempo aber bestimme ich. Ohne es zu wissen. Der Instinkt diktiert es mir. Der Instinkt sagt mir: je höher du steigst, um so sicherer stehst du. Wenn Polizisten sich irren, fliegen sie. Das Weltbild erfährt dadurch keine Veränderung. Wenn Kommissare sich irren, gibt es einen kleinen Skandal, aus dem Reporter Profit ziehen. Läßt sich der Präsident bluffen, so werden Minister und Presse mobil. Es droht öffentlicher Skandal. Man hat also Interesse, es zu vertuschen. Wird aber ein Minister zur komischen Figur, so gerät die Autorität des Staates ins Wanken. Lohnt sich das eines Einbrechers wegen? Wo es deren hunderttausend und nur ein Dutzend Minister gibt? – Nein und nein! Vorausgesetzt freilich, daß die Herrschaften ebenso logisch denken wie ich – was noch nicht bewiesen ist. Ich tue also gut, ehe ich noch höher emporsteige, zuvor für die Sicherheit von Coeur-As zu sorgen.

Mit diesem Entschluß betrat er sein Arbeitszimmer, in dem Redlich ihn bereits mit Ungeduld erwartete.

»Eine Dame wartet draußen . . .«

»Eine? Die ganze Halle sitzt voll von Leuten, die mich sprechen wollen.« – Er legte Hut und Mantel ab. – »Ich verstehe gar nicht, bei all den Leuten kann doch unmöglich eingebrochen worden sein.«

»So rate doch erst, wer dich zu sprechen wünscht.«

»Interessiert mich nicht. – Wenn bei all denen, die da warten, eingebrochen worden ist,« – sagte Emil mehr zu sich – »das würde ja eine Konjunktur bedeuten . . .« – er überlegte und fuhr dann fort: »Dieser Berufswechsel war am Ende doch übereilt.«

»Du bedauerst am Ende, ein anständiger Mensch geworden zu sein,« sagte Redlich – und in der Art, wie er es sagte, lag ein stiller Vorwurf.

Da lachte Emil laut auf und sagte:

»Anständiger Mensch nennst du das?« und wies auf den Schreibtisch. »Mich mit einem Menschen wie du es bist zu etablieren und meine alten Freunde . . . und . . .« – er dachte an Paula, sprach ihren Namen aber nicht aus – »im Stiche zu lassen.«

In diesem Augenblick stürzte eine Dame ins Zimmer. Was sage ich da? Eine Dame? – Ein Star! – Wissen Sie, was ein Star ist? Eine Frau zwischen fünfundzwanzig und fünfzig. Von der in allen Papierhandlungen Ansichtskarten hängen, an denen die heranwachsende Jugend sich berauscht. Chauffeure und Nähmädchen nageln diese Karten als Schmuck an die Wände ihrer Arbeitsstätten. Sie haben meist einen verklärten Blick und einen entblößten Oberkörper. Ihr Toilettentisch sieht aus wie das Schaufenster eines erstklassigen Parfümerieladens. Ihr charakteristisches Merkmal ist ihr Name. Sie heißen nicht wie gewöhnliche Sterbliche Martha Schulz oder Else Meyer – Pardon, sie heißen wohl so, aber sie nennen sich Pia de Groot oder Astarte Avalun – ohne selbst zu wissen, was das bedeutet. Man begegnet dieser Gattung Mensch selten im Leben, wo man sie wohl kaum beachten würde, sondern im Kino, wo sie auf der Leinwand allerlei tragische Schicksale erleiden, am Ende aber zur Freude des Publikums stets zum Guten erlöst werden. Wir brauchen mit dieser Art Frauen, von denen wir ein besonders gut entwickeltes Exemplar jetzt kennenlernen werden, also kein Mitleid zu haben.

Ich sagte ja schon: eine Dame stürzte ins Zimmer. Eine Dame, die ein Star war. Ein kleiner runder Hut, der wie aufgeklebt auf dem Kopfe saß, darunter ein feines, schmales Gesicht, das aussah, als sei es eben einem Schminktopf entstiegen, und Augen, die wie zwei riesenhafte Flecke tiefschwarzen Pechs auf einer Schüssel Mehl hingeklext schienen. Eine zum Zerbrechen zierliche Figur, mit Armen, die fortgesetzt in Bewegung waren, und einem Gang, der bei jedem Schritt die Stellen markierte, an denen in einer formfreudigeren Zeit einmal die Hüften saßen. Ein zierlicher Fuß und ein auffallend gutes Bein – das aber erst im Laufe der Unterhaltung zum Vorschein kam – sehr bewußt und aus kluger Berechnung immer nur für wenige Augenblicke. Das Ganze aber steckte in einem Zobel, der am Hals bis an den Band des Hutes und – der Mode entgegen – unten bis an die schlanken Knöchel reichte. Und alles das hörte auf den Namen Assunta Lu, ohne daß man wußte, ob Lu der Ruf- oder der Vatername war.

So, und nun lassen wir sie eintreten. Eine Assunta Lu kommt nicht wie jede andere Dame, die eine gewisse Hemmung zu überwinden hat, wenn sie das Bureau eines ihr fremden Herrn betritt, mit einer Zurückhaltung, die beinahe schüchtern wirkt – o nein! eine Assunta Lu macht sich draußen bemerkbar, noch bevor der Diener die Hand auf die Klinke legt. Dabei spricht sie einen ganz fremdländischen Akzent, so daß man annehmen sollte, sie könne sich in einem ihr fremden Milieu gar nicht recht zu Hause fühlen. Hört man aber, was sie sagt, so wird man sehr schnell eines Besseren belehrt. Sie spricht stark russischen Akzent.

»Weg, Sie Affe!« ruft sie erregt, reißt die Tür auf, schiebt den Diener beiseite und stürzt ins Zimmer: »Ich bin nicht gewöhnt, zu warten.«

Emil wandte sich um, schien im Gegensatz zu Redlich, dessen Gesicht höchste Begeisterung verriet, von dem Anblick durchaus nicht geblendet und sagte, indem er auf den Diener wies, der hilflos dastand:

»Wissen Sie, daß das gegen seine Instruktion geht, Klienten unangemeldet hereinzulassen? Daß ihm das unter Umständen seine Stellung kostet?«

»Was ist da groß bei?« erwiderte Assunta und wandte sich an den Diener: »Wenn man Ihnen entläßt, engagiere ich Ihnen mit das doppelten Gehalt.«

Emil stutzte und sagte:

» Soo?«

»Wundert Ihnen das? Sie wissen, scheint's, nicht, wen Sie vor sich haben.«

»Eine sehr schöne, aber etwas lebhafte Dame.«

»Ausgezeichnet! Schön, lebhaft! – Und sonst nichts? – Fällt Sie gar nichts auf an mir?«

»Sie tragen einen Zobel von unschätzbarem Wert.«

»Trage ich? Sie wird es interessieren: ich besitze ein Dutzend Pelze, darunter einen Hermelinmantel, der mit hundertfünfunddreißigtausend Goldmark versichert ist.«

»Das interessiert mich in der Tat ganz außerordentlich.«

»Aber mich nicht!« fuhr sie ihn an. »Ja, in was für einer Welt leben Sie denn, daß Sie nicht wissen, wer ich bin?« – Sie wandte sich an Redlich, der sich drehte und spreizte und gar nicht wußte, wie er seiner Bewunderung Ausdruck geben sollte. »Gott, wie komisch!« rief sie. »Genau wie der alte Ge . . .« – sie besann sich. »Ja, wissen Sie etwa auch nicht, wer ich bin?«

»Das Schönste, das Herrlichste, das Begehrenswerteste, was mir in meinem . . .«

». . . fünfundsechzig Jahren begegnet ist,« fiel sie ihm ins Wort, und er verbesserte leidenschaftlich:

»Fünfundfuffzig, wenn ich bitten darf.«

»Zehn Jahre! Was machen das aus in das Alter? Ein bißchen mehr oder weniger verkalkt – stimmt's?«

»Ich . . . ich . . .,« widersprach Redlich und schob sich näher an sie heran.

»Sie nicht! Ich weiß. Das merken immer nur die andern.« – Dann lachte sie wieder. »Genau wie der alte Geheimrat – das aufgedunsene Gesicht, die freche Nase, der spitze Bauch . . . und Sie wissen wirklich nicht, wer ich bin?«

»Ich . . . ich . . . glaube . . .«

»Quatsch!« – Sie wandte sich an den Diener, der noch immer an der Tür stand. »Blamieren Sie Ihre Chefs! Zeigen Sie, daß Sie mehr von die Kunst verstehen als sie.«

Der Diener sagte zögernd:

»Das ist doch die bekannte Filmdiva . . .«

»Assunta Lu!« rief Redlich erlöst und machte eine tiefe Verbeugung.

Sie nahm die Huldigung als etwas ganz Selbstverständliches hin und sagte zu Emil:

»Schämen Sie sich nicht?«

»Ich habe leider keine Zeit, Kinos zu besuchen.«

»Zu meinem neuen Film werden Sie kommen! – Und zwar in meiner Loge! Ein Mann, der aussieht wie Sie, muß sich zeigen. Das ist auch für Ihre Geschäfte eine Reklame. Das Publikum fragt, wer sind der Herr, der in der Künstlerloge hinter die Assunta sitzt?«

»Unser Unternehmen hat keine Reklame nötig.«

»Was? Sie brauchen keine Reklame? Sie wollen behaupten, mit reellen Mitteln so schnell groß geworden zu sein?«

»Das gerade nicht. Aber durch Leistungen.«

»Wenn Sie aber die richtige Reklame machen, brauchen Sie nichts zu leisten. Wozu anstrengen sich, wenn man es bequemer hat?«

»Sie sind vermutlich nicht gekommen, um mir das zu sagen?«

»Unhöflicher Mensch! Wenn Sie mir nicht gefielen, wäre ich Sie sehr böse.«

»Also, was wünschen Sie?«

»Zunächst einmal eine Zigarette.«

Emil zog sein Etui heraus. Aber Redlich war schneller. Er stand bereits mit krummem Rücken, einer offenen Schachtel in der rechten und einem brennenden Streichholz in der linken Hand vor ihr.

»Grotesk komisch!« sagte Assunta und nahm Zigarette und Feuer. »Sie sind auch nicht in seidenes Pyjama auf die Welt gekommen.«

»Zu meiner Zeit trug man . . .«

»Hemden! Ich weiß. Aber wir Russen haben ein gutes Blick für Kinderstube. Mein Vater, der Graf Assunta Ludowicz, pflegte zu sagen: Vieh bleibt Vieh. Auch wenn man es in einen goldenen Stall sperrt.«

»Sie haben eine ganz reizende Art, einem Menschen Liebenswürdigkeiten zu sagen,« erklärte Emil. Aber Redlich nahm sie in Schutz und sagte:

»Eine Frau, und noch dazu eine Gräfin, die aussieht wie Sie, kann sich alles erlauben.«

»Aber ich denke doch, wir sprechen nun endlich über geschäftliche Dinge,« meinte Emil.

»Wollen Gräfin nicht den Pelz ablegen?« fragte Redlich und stand im selben Augenblick auch schon wie ein Lakai mit ausgebreiteten Armen hinter ihr.

»Um Himmelswillen, nein! was denken Sie? Ich komme direkt aus Atelier und habe mir nicht einmal die Zeit genommen, mich anzukleiden.«

»Den Eindruck, als ob Sie es sehr eilig hätten, machen Sie nun gerade nicht,« sagte Emil.

»Wenn man zu Leuten kommt, die man erst muß aufklären über die Bedeutung von eine Assunta Lu für die heutige Kultur,« erwiderte sie.

»Also bei Ihnen ist eingebrochen worden,« sagte Emil, um zur Sache zu kommen. Assunta Lu sprang auf und sagte:

»Herrlich! Wann? Während ich im Atelier war?«

»Aber nein! Ich vermutete nur, daß Sie darum kommen.«

»Das tue ich ja auch.«

»Nun also.«

»Man hat mir gesagt, Sie wären Spezialisten für alle einschlägigen Fragen, die mit Einbruch zusammenhängen.«

»Das kann man wohl sagen.«

»Dann kennen Sie auch meine Kollegin Ulla Ull?«

»Ist das die Diva, die beim Motorbootrennen in den Bodensee gestürzt ist?«

»Da hören Sie's! Die Reklame! Schändlich! Jeder Mensch hat es gelesen.«

»Sie ist ja wohl gerettet worden?«

»Gerettet! Wenn ich das höre! Die Möglichkeit, daß hier die Decke einstürzt und mich unter sich begräbt, ist größer als die Gefahr des Ertrinkens für sie war.«

»Eine tüchtige Frau. – Aber wollen Sie nicht wenigstens den Kragen öffnen?«

»Nein!« rief Assunta energisch und schloß den Kragen noch fester. »Ich habe Ihnen doch gesagt, ich komme aus dem Atelier und hatte nicht Zeit, mich anzuziehen.«

»Etwas werden Sie ja wohl anhaben?«

»Wer sagt Ihnen das? Nichts habe ich an. Ich spiele die Monna Vanna.«

»Es ist sehr warm,« sagte Redlich, und sie erwiderte:

»Mir nicht.«

»Sie kommen also Ihrer Kollegin Ulla Ull's wegen,« sagte Emil.

»Quatsch!« erwiderte Assunta. »Für die gehe ich noch nicht von hier bis an das Tür. Aber wenn Sie Ulla Ull kennen, dann ist Ihnen wahrscheinlich auch der Name Tuki Taki geläufig?«

»Ist das nicht die Diva, die sich aus unglücklicher Liebe unter einen Eisenbahnzug geworfen hat?«

»Natürlich!« rief Assunta und lief wie rasend im Zimmer umher. »Kopf und Beine sind sie abgefahren worden und das Rückgrat hat sie sich auch gebrochen.«

»Entsetzlich!« jammerte Redlich. »Dann ist sie vermutlich ihren Verletzungen erlegen?«

»I Gott bewahre! So eine Diva hält was aus. Es hat sie fast nichts gemacht. Sie ist noch am selben Abend in eine Sketsch aufgetreten – den Kopf hat sie im linken Arm gehalten und die Beine im rechten. Das Publikum hat gerast.«

»Wenn Sie uns amüsante Reklametricks erzählen wollen, dann muß ich Sie schon bitten, zu einer anderen Zeit wiederzukommen.«

»Wenn Sie das amüsant finden – ich finde es dumm. Sie hat sich auf die Schienen geworfen, hundert Meter hinter das Wärterhaus, nachdem sie den Beamten vorher bestochen hatte, den Zug zum Stehen zu bringen.«

»So ein Luder!«

»Ich muß schon sagen, man mutet mir etwas viel zu. Erst lassen man sich drei Stunden lang in das Atelier als Monna Vanna von einem Schimmel durchrütteln und dann muß man hier von zwei erwachsenen Menschen zu hören bekommen, wie berühmt eine Ulla Ull und Tuki Taki ist, während man eine Assunta Lu nicht einmal dem Namen nach kennen.«

»Aber gnädigste Gräfin! ich wußte doch . . .« sagte Redlich, um sie zu beruhigen.

»Sagen Sie nicht immer Gräfin! Gräfinnen gibt es wie das Sand am Meer. Aber eine Assunta Lu existieren nur einmal.«

»Wenn ich Sie recht verstanden habe,« sagte Emil, »so leiden Sie unter der Reklame Ihrer Kolleginnen?«

»Was heißt leiden? Ich tobe! ich platze! ich komme um!«

Redlich, der die Heizung angestellt hatte, war wieder dicht an die Diva herangetreten.

»Es ist die Hitze, Gräfin! Wollen Sie nicht doch lieber den Pelz . . .«

»Ferkel!« rief Assunta und kehrte ihm den Rücken, während Emil sagte:

»Sie müssen Ihre Kolleginnen also übertrumpfen!«

»Gott sei Dank!« rief sie und atmete auf. »Endlich haben Sie mich verstanden!«

»Ich muß Sie leider enttäuschen,« erwiderte er. »Wir sind kein Reklamebureau.«

»Was hat das damit zu tun? Ich bin eine schöne Frau – und Sie sehen aus wie ein Kavalier!«

»Vielleicht, daß ich es wäre, wenn ich Zeit dazu hätte.«

»Sie werden sie haben für mich. Ich habe eine große Idee.«

»Nämlich?«

»Ich besitze ein Perlenkollier.«

»Das Ihnen gestohlen werden soll.«

»Erraten!«

»Die Idee haben schon andere vor Ihnen gehabt.«

»Ja, mein Lieber, mit meinem Perlenkollier hat es aber eine besondere Bewandtnis.«

»Nämlich?«

»Wenn Sie das erraten?

»Es ist doch nicht etwa . . .?«

»Doch! es ist echt!«

»Das ist allerdings noch nicht dagewesen.«

»Nicht wahr?«

»Sie wollen riskieren, daß man es Ihnen stiehlt?«

»Ja! Da staunen Sie!«

»Und Sie haben in den Kreisen, in denen Sie verkehren, einen Menschen, der bereit ist, Ihnen das Kollier zu stehlen?«

»Ein halbes Dutzend.«

»Bei dem Sie sicher wären, daß er es Ihnen auch wieder zurückgibt?«

»Nein! Und darum bin ich hier. Für diese Sicherheit sollen Sie sorgen.«

»Eine Kleinigkeit. Wir jagen es ihm innerhalb vierundzwanzig Stunden wieder ab.«

»Das ist ja gerade meine Angst. Das dürfen Sie nicht.«

»Ja, was wollen Sie denn, daß wir tun?«

»Nichts! – Wenigstens zunächst. Der Einbruch müssen sich erst auswirken.«

»Ich verstehe. Sie meinen die Reklame durch die Presse?«

»Überhaupt die ganze Skandal. Denken Sie, ein Mann, der nachts zu mir ins Zimmer steigt . . .«

»Sie schlafen bei offenem Fenster?« fragte Redlich.

»In der Nacht bestimmt.«

»Darf man fragen, wie hoch?«

»Hochparterre. Für Ihnen mit das Bauch also unerreichbar.«

»Schade! – Aber man könnte am Ende auch durch die Tür . . .«

»Wie denn? Sie wären bereit?«

»Noch heute nacht, wenn Sie es wünschen.«

»Das wäre natürlich das einfachste,« erwiderte Assunta. »Und bei Ihnen wären ich ja wohl sicher, daß der Schmuck nicht in falscher Hände kommt. Der Einbruch müßte aber täuschend echt sein. Die Polizei sein Damen vom Film gegenüber argwöhnisch, sie müssen alles finden, was zu ein fachmännisches Einbruch gehört.«

»Darin könnten Sie sich auf uns verlassen,« sagte Redlich. »Wir liefern Ihnen einen Einbruch mit allen Schikanen. Fingerabdrücken, Fußspuren, Teerpapier, zurückgelassenen Einbruchswerkzeugen und irgendeinem Halstuch, das auf die Spur des Täters weist.«

»Ausgezeichnet! Sie sind also doch brauchbarer als ich dachte.«

»Ich hoffe sehr, Ihnen das heute nacht noch beweisen zu dürfen.«

»Es ist natürlich ganz ausgeschlossen, daß du das machst,« erklärte Emil.

»Ja . . . warum denn?« fragte Redlich.

»Schlimm genug, wenn du nicht weißt, was du mir und meiner Stellung schuldig bist!«

»Aber es geschehen doch nur zum Schein,« sagte Assunta Lu, um zu vermitteln.

»Man kann nie wissen, was für Verwicklungen daraus entstehen.«

»Haben Sie einen andern, auf das Verlaß ist? Ich kapriziere mich ja nicht gerade auf ihm.«

»Aber ich mich!« erwiderte Redlich. »Endlich mal ein Fall, für den ich mich erwärme. Ich dulde einfach nicht, daß ein Fremder . . .«

Emil kam auf einen Gedanken, den er aus verschiedenen Gründen nicht aussprach. Er fiel Redlich ins Wort und sagte:

»Kein Fremder!«

»Du gönnst es mir nicht. Du selbst willst . . .«

»Um jedes Irrtum vorzubeugen, meine Herren, und die Abwicklung an Ort und Stelle nicht zu erschweren: es handelt sich um das Kollier, nicht um mich.«

»Eben darum wird sich weder mein Associé, noch werde ich mich in die Gefahr begeben, sondern ein Dritter wird es machen, für den ich mich verbürge.«

»Ausgezeichnet! Wie hoch würde mich der Einbruch zu stehen kommen?«

»Für so eine Bagatelle berechnen wir nichts.«

»Aber Sie müssen den Mann, der den Einbruch vollführt, doch bezahlen?«

»Er macht es nebenher – mehr ehrenamtlich als beruflich.«

»Dann wird er am Ende Anforderungen an mich stellen. Bedenken Sie die Situation. – Ich darf nicht schreien, sonst erwecken die Dienerschaft – und er wird ergriffen.«

»Der Mann wird Ihnen nichts tun.«

»Ich vertraue Sie. – Jetzt wird mir aber wirklich heiß.« – Sie öffnete den Kragen und den untersten Knopf des Pelzes. Im selben Augenblick stand Redlich auch schon wieder neben ihr. »Können Sie nicht das Fenster ein wenig öffnen?«

»Nein! Ich hol' mir den Tod!« widersprach Redlich. »Aber da wir Ihnen sozusagen den Einbruch zum Geschenk machen, so dürften Sie schon für ein paar Augenblicke den Pelz ablegen.«

»Du wirst nie ein feiner Mann werden,« sagte Emil, und zu Assunta Lu gewandt fuhr er fort: »Wie hoch ist der Wert des Kolliers?«

»Dreimalhundertfünfzigtausend Mark.«

»Ich meine nicht den Wert, den Sie für die Zwecke des öffentlichen Skandals angeben, sondern den wahren Wert.«

»An die dreißigtausend Mark.«

»Dann würden die Kosten der Wiederbeschaffung dreitausend Mark betragen.«

»Das ist der Skandal mir wert.«

»Ich darf Sie dann wohl mit dem Herrn, der heute nacht bei Ihnen einbrechen wird, bekannt machen?«

»Muß das sein?«

»Ich denke es mir für Ihre Nerven zuträglicher, wenn Sie sich nicht mitten in der Nacht einem völlig fremden Gesicht gegenübersehen.«

»Sie sind sehr rücksichtsvoll.«

Emil sah nach der Uhr und sagte zu Redlich:

»Du hast, soviel ich weiß, um sechs Uhr eine Aufsichtsratssitzung – es ist bereits Viertel sieben.«

»Sie können mein Auto benutzen, wenn Sie wollen,« sagte Assunta.

»Danke!« erwiderte Redlich und verabschiedete sich von Assunta Lu. »Ich habe hoffentlich bald das Vergnügen, Sie einmal außergeschäftlich sehen zu dürfen.«

»Aber natürlich! Das Vergnügen können Sie alle Tage haben,« erwiderte Assunta Lu.

»Sie machen mich glücklich,« sagte Redlich.

»Dazu brauchen Sie nur in eine Kino zu gehen. Irgendwo spielen man immer eine Film mit Assunta Lu.«

Redlich zuckte zusammen, sagte:

»Ich empfehle mich, Gräfin!« nahm ihre Hand und küßte sie.

»Labbern Sie nicht!« rief Assunta und zog die Hand mit einem kräftigen Ruck zurück.

Redlich verbeugte sich an der Tür nochmals und ging.

Als er draußen war, trat Emil an sie heran, faßte sie unters Kinn und sagte:

»Sieh mich mal an!«

»Sind Sie toll?«

»Und nu laß den Quatsch mit dem russischen Akzent und sprich, wie dir der Schnabel gewachsen ist«

»Mein Herr!« rief Assunta – »das ist empörend.«

»Ich tippe auf Berlin N! – Stimmt's? Es kann auch NO sein.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Weil die meisten Menschen etwas anderes vorstellen als sie sind.«

»Das sollte Ihnen einmal jemand sagen!«

»Ich würde mich höchstens über seinen Scharfsinn wundern.«

»Sie wollen mir womöglich einreden, daß Sie ein Prinz sind?«

»Ich würde den Prinzen jedenfalls besser spielen als du deine Gräfin.«

»Duzen Sie mich nicht.«

»Mir imponiert solche Frechheit!«

»Wenn ich nur wüßte, was Sie eigentlich von mir wollen?«

»Aber Kind! Einen so idiotischen Namen wie Assunta Lu wählt doch nur eine Frau, die von nichts eine Ahnung hat – nicht einmal von der deutschen Grammatik, um einen Vorwand für die falsche Anwendung der Artikel zu haben. Und belabbern sagt eine russische Gräfin auch nicht. Ich denke mir, Sie heißen etwa Klara Schulze.«

»Das ist nicht wahr!«

»Oder Frieda Müller.«

»Lotte Krause heiße ich!« platzte Assunta unbeherrscht heraus, woraufhin Emil die Arme ausbreitete und strahlend sagte:

»Na also, Lotte! Komm in meine Arme!«

Assunta warf sich ihm an den Hals und sagte schluchzend:

»Mich so zu quälen!«

»Ist dir jetzt nicht leichter?« fragte er.

»Ja,« schluchzte Assunta. »Du hast mir gleich gefallen und ich bin ja so froh, wenigstens einen Menschen zu haben, bei dem ich nicht Assunta Lu zu sein brauche.«

»Als Lotte Krause gefällst du mir auch viel besser.«

»Immer diese Verstellung! Es ist entsetzlich!«

»Niemand fühlt dir das nach wie ich.«

»Wie gut du bist«

»Wie bist du nur auf die verrückte russische Tour gekommen?«

»Durch einen indischen Film.«

»Indischen? – Richtig, ich erinnere mich von meinen Fahrten her, Assunta ist ja wohl eine indische Göttin?«

»So was Ähnliches kann es sein.«

»Und was bedeutet Lu?«

»Das ist die Büchse der Pandora.«

»Was heißt denn das?«

»Ich weiß nicht. Aber es gibt, glaube ich, ein Stück, in dem eine Frau vorkommt – ich kenne es nicht, aber ein Student, der bei meinen Eltern wohnte, hat immer zu mir gesagt: Fräulein Krause, Sie sind die geborene Lu! – Was er damit gemeint hat, weiß ich nicht.«

»Das kann ich mir ungefähr denken. Aber was hat das alles mit dem russischen Grafen zu tun?«

»Das habe ich mir selbst gemacht. Assunta Krause ging doch nicht. Und einen Vatersnamen mußte ich doch haben – da habe ich aus Lu einfach Ludowicz gemacht – das klingt doch russisch.«

»Findest du?«

»Es kann auch polnisch sein!«

»Oder berlinisch. – Und dann hast du dich in den Grafenstand erhoben.«

»Ja! Auf meinen Karten steht: Assunta Gräfin Ludowicz, und darunter in Klammern Assunta Lu. – Jedes Kind weiß, was das heißt.«

»Lotte Krause!«

»Nein! Aber die berühmte Filmdiva, die gerade im Begriff steht, einen dreijährigen Vertrag nach Amerika abzuschließen, um eine hohe Gage zu erzielen, zuvor aber einen Skandal braucht.«

»Richtig, der Einbruch!«

»Du wolltest mich doch mit dem Einbrecher bekannt machen?«

Emil sah nach der Uhr und sagte:

»Wenn ich nicht irre, wollte er um halb acht . . . er müßte also . . .« – Emil ging an das Haustelephon und rief: »Hallo! Sind Sie da?« – Ausgezeichnet! – Kommen Sie bitte schnell mal zu mir herüber.«

»Ist er gefährlich?« fragte Lotte Krause.

»Nach welcher Richtung?« erwiderte Emil.

»Gewalttätig, meine ich.«

»Aber nein!«

Der Diener meldete.

Ein Herr trat ein.

Emil stellte vor:

»Baron v. Koppen – Gräfin Ludowicz, die gefeierte Diva Assunta Lu.«

Der Baron trat an Fräulein Krause heran, schlug die Hacken zusammen, verbeugte sich und sagte:

»Ich habe die Ehre, verehrteste Gräfin.«

»Sie werden heute nacht die noch größere Ehre haben, bei der Gräfin einzubrechen.«

Der Baron taumelte ein paar Schritte zurück.

»Ich . . . soll . . .« stammelte er.

»Sie werden Ihren Onkel also unbehelligt lassen und statt dessen« – er wandte sich an Fräulein Krause und fragte: »Um welche Zeit paßt es Ihnen, Gräfin?«

Fräulein Krause war ziemlich verlegen und sagte zu dem Baron:

»Ich weiß ja nicht, Baron, wie Sie über die Nacht disponiert haben. Mir würde so gegen zwei Uhr am besten passen.«

»Und was, wenn ich fragen darf, soll ich . . .?«

»Ein Perlenkollier, das auf dem Toilettentisch der Gräfin . . .«

»Nachttisch,« verbesserte Fräulein Krause, die den Baron nicht mehr aus den Augen ließ.

»Gräfin werden anwesend sein?« fragte der Baron.

»Wenn es Sie recht ist, Baron, so werde ich in der Bett liegen, vor das der Nachttisch steht.«

»Es wird mir ein Vergnügen sein.«

»Ganz meinerseits,« erwiderte sie und fuhr fort: »Und Sie werden es mir nicht nehmen übel, wenn ich Ihnen nicht auffordere, zu bleiben. Aber in dieser Situation – Sie begreifen.«

»Durchaus, Gräfin! – Und wo – wenn ich fragen darf – wäre das?«

»Leibnizstraße elf, Hochparterre rechts. Aber steigen Sie nicht aus Versehen links hinein. Es könnten für Ihnen eine üble Überraschung geben – eine von die Boxers mit seiner Frau wohnen da.«

»Ist das Parterre hoch?« fragte Emil. »Aber du siehst ja aus, als ob du klettern könntest.«

»Um in das Schlafzimmer Assunta Lu's zu gelangen, nehme ich es mit jedem Fassadenkletterer auf.«

Emil stutzte, und die Gräfin sagte drohend:

»Baron! Sie wissen, der Einbruch geht nur bis an den Nachttisch.« – Sie reichte erst Emil, dann dem Baron die Hand und sagte: »Auf Wiedersehen also gegen zwei Uhr.«

»Gräfin nehmen es mir nicht übel, aber ich werde kaum Zeit finden, vorher meine Karte bei Ihnen abzuwerfen.«

»Sie sollten ihn aber vorher mit den Örtlichkeiten vertraut machen,« riet Emil.

»Sie hören doch, der Baron hat keine Zeit.«

»Er wird sie sich schaffen,« erwiderte Emil und fragte den Baron: »Was hast du vor?«

»Ich wollte mit Fräulein Konstanze in die Oper gehen.«

»Das wird zuviel für einen Abend,« erwiderte Emil. »Geh du jetzt mit der Gräfin mit – ich entschuldige dich schon bei Konstanze.«

Der Baron riß die Tür auf und ging mit Fräulein Krause hinaus. Emil kehrte an den Schreibtisch zurück, schüttelte den Kopf und sagte:

»Wir Wilden sind doch bessere Menschen.«


 << zurück weiter >>