Artur Landsberger
Emil
Artur Landsberger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel,
in dem Emil mit einem Oberstaatsanwalt die Klingen kreuzt

Die Besprechung auf dem Ministerium dauerte nur wenige Minuten.

Der Staatssekretär stellte die beiden Herren einander vor. Als er sagte:

»Herr Oberstaatsanwalt Spicker,« zuckte Emil merklich zusammen, und Spicker, dem es nicht entging, dachte:

»Ein etwas nervöser Mensch!«

Emil verbeugte sich und sagte:

»Habe ich das Vergnügen, dem berüchtigten« – er verbesserte schnell – »ich wollte sagen berühmten Staatsanwalt Spicker gegenüberzustehen?«

»Jawohl,« erwiderte der Oberstaatsanwalt und fügte lächelnd hinzu: »Solange Sie mir nicht als Angeklagter gegenübertreten, haben Sie nichts zu fürchten.«

Und der Staatssekretär ergänzte:

»Im privaten Verkehr ist der Herr Oberstaatsanwalt ganz gemütlich.«

»Man erzählt sich ja Dinge von Ihnen . . .«

»Kommen Sie mit Verbrechern in Berührung?« fragte der Oberstaatsanwalt.

Auch dieser unbewußt versetzte Hieb saß. Emil zuckte abermals zusammen, und der Oberstaatsanwalt sagte:

»Scheinbar nicht. Denn Sie zittern ja schon bei der bloßen Vorstellung.«

»Sie werden als so grausam geschildert.«

»Also vor mir zittern Sie?«

»Aber nein! Warum sollte ich?«

Unverkennbar verlor Emil dem Oberstaatsanwalt gegenüber einen guten Teil seiner bisherigen Sicherheit und Überlegenheit.

»Sie haben ja wohl einen hohen Preis für den ausgesetzt, dem es gelingt, Sie zu überlisten.«

»Hätten Sie nicht Lust?« fragte der Oberstaatsanwalt. »Sie werden mir als ein besonders gescheiter und – verzeihen Sie, in meinen Augen ist das ein Kompliment – gerissener Mensch geschildert. Zwanzigtausend Mark sind in heutiger Zeit ja kein Pappenstiel.«

Jetzt hatte sich Emil wieder in der Gewalt.

»Geld hat für mich keinen Reiz. Im übrigen fehlt mir die Zeit für derartige Scherze.«

»Das klingt ja beinahe verächtlich,« meinte der Oberstaatsanwalt.

»Wenn nur die Hälfte von dem wahr ist, was man sich von Ihnen erzählt . . .« brauste Emil auf. Der Oberstaatsanwalt fiel ihm ins Wort und sagte:

»Was ist dann?«

Emil besann sich, schalt sich im stillen einen Tölpel und erwiderte:

»Dann sind Sie weit gerissener als ich.«

»Wenn Sie das glauben, müßte das Match Sie um so mehr reizen.«

»Ich sagte ja schon . . .«

»Ich verdoppele die Prämie.«

»Haben Sie mich dazu hergebeten?« fragte Emil und wandte sich an den Staatssekretär.

»Natürlich nicht,« erwiderte der. »Ich nahm an, Sie würden erstaunt sein . . .«

»Ich wundere mich längst über nichts mehr.«

»Es handelt sich um die Anregung Seiner Exzellenz von heute nachmittag. Es ist an sich natürlich ungewöhnlich. Schon, daß ein Privatmann plötzlich Kommissar wird, ist ein Fall, den ich während meiner Dienstzeit noch nicht erlebt habe. Daß aber ein Kommissar ohne jeden Übergang Regierungsrat im Ministerium wird – das grenzt bereits an Umsturz.«

»Ich dränge mich nicht danach.«

»Das weiß ich. Und es lag mir fern, Ihnen einen Vorwurf zu machen. Ich sehe im Gegenteil darin ein Opfer. Denn Sie entziehen damit Ihre wertvolle Arbeitskraft einem Unternehmen, das Ihnen großen Gewinn abwirft.«

»Ich nehme an, daß Sie sich genau über mich informiert haben?«

»Der Name Ihrer Familie ist mir Gewähr genug.«

»Es gibt Außenseiter – auch in den besten Familien.«

»Zu denen Sie nicht gehören, es sei denn im guten Sinne.«

»Das klingt nicht gerade schmeichelhaft für meine Familie.«

»Ich wollte damit nur auf Ihre besonderen Fähigkeiten hinweisen. Im übrigen teile ich damit die Ansicht Ihrer Familie.«

»Woher wissen Sie das?«

»Ich habe mir erlaubt, Fühlung zu nehmen.«

»Mit wem? – Das war in der kurzen Zeit doch wohl kaum möglich?«

»Eine Verwandte von Ihnen, die in Berlin lebt.«

»Tante Amalie etwa?«

»Eben diese Dame hat mir alles über Sie erzählt.'

»Und Sie sind sicher, daß sie Ihnen nichts verschwiegen hat?«

»Durchaus. Die Schwierigkeiten, unter denen Sie sich im Gegensatz zu allen übrigen Mitgliedern Ihrer weitverzweigten Familie durchsetzen mußten, und die Art, wie Sie sich durchgesetzt haben, sprechen nur für Sie.«

»Ich gebe zu, ich habe es nicht leicht gehabt«

»Jedenfalls ist Ihr Vorleben so, daß man auch in bezug auf die Beamtenkarriere mit Ihnen eine Ausnahme machen kann.«

»Eine derartige Beurteilung meines früheren Lebens aus einem so berufenen Munde wie dem Ihren tut mir besonders wohl.«

Diese Phrasen, dachte der Oberstaatsanwalt; sprach es aber nicht aus.

»Immerhin,« fuhr Emil fort, »gibt es in meinem Vorleben Dinge, die meine Tante Amalie nicht weiß oder Ihnen absichtlich verschwiegen hat«

»Was wird das groß sein. Weibergeschichten.«

»So begann's.«

»Ein Mann von Welt wie Sie erlebt natürlich mehr als ein anderer. Das gerade hebt Sie aus der üblichen Beamtenatmosphäre heraus.«

»Es war nicht alles so harmlos, was ich trieb.«

»So werden Sie Erfahrungen gesammelt haben.«

»Das habe ich.«

»Umgebracht haben Sie ja wohl niemanden,« scherzte der Oberstaatsanwalt, und Emil erwiderte:

»Das ist aber auch so ziemlich das einzige, was ich nicht getan habe.«

»Nun also! Dann darf ich wohl hoffen, Sie nehmen an?«

»Der Polizeipräsident dürfte damit nicht einverstanden sein.«

»Was heißt denn das? Wir verfügen einfach. Das ist mit einem Telephongespräch erledigt.«

»Nicht für mich. – Ich habe da eine Aufgabe zu erledigen, die mich reizt und an der sich bereits ein paar Kommissare vergebens versucht haben.«

»Was ist denn das für eine Aufgabe?« fragte der Staatssekretär.

»Es handelt sich um den berüchtigten Einbrecher Coeur-As.«

»Ein Teufelskerl!« sagte der Oberstaatsanwalt. Aber der Staatssekretär erwiderte:

»Ich bitte Sie, das ist doch keine Aufgabe für einen Mann wie Sie! Sie werden doch nicht damit Ihre Zeit verbringen.«

»Der Mann interessiert mich.«

»Dieser Einbrecher?«

»Das kann ich verstehen,« sagte der Oberstaatsanwalt. »Mich interessiert er auch.«

Emil wandte sich blitzartig zu ihm um und fragte:

»Wieso Sie? Sie sind, soviel ich weiß, doch gar nicht mehr im Amte?«

»Das hindert nicht, daß die Behörden, wenn sie einen besonders schwierigen Fall haben, mit dem sie nicht weiterkommen, auch heute noch meine Hilfe in Anspruch nehmen.«

»Und im Falle Coeur-As . . .«

»Ist das auch geschehen.«

»Darf man fragen, mit welchem Erfolg?«

»Ich sitze gerade über den Akten. Der Junge gefällt mir.«

»Das ist sehr freundlich. Aber die Akten habe ich.«

»Wieso ist das freundlich?«

»Weil Sie mir die Arbeit abnehmen.«

»Sie sagten doch eben, Sie haben die Akten. Mir hat man nur die Auslandsakten ausgehändigt. Wohl, weil ich die Sprachen beherrsche.«

»Das tue ich auch. Und ich darf Sie wohl bitten, mir die Akten zuzustellen.«

»Ich habe soviel Freude an dem Jungen, daß ich Sie bitten möchte, sie mir zu überlassen.«

»Als Bedingung für die Annahme der Berufung habe ich ausdrücklich verlangt, daß man den Fall Coeur-As mir überweist.«

»Das ist keine Aufgabe für Sie,« beteuerte der Staatssekretär, und Emil parierte:

»Wenn der Herr Oberstaatsanwalt sich nicht zu gut dafür dünkt.«

»Zum Umgang mit Verbrechern gehört Übung,« erwiderte der, »die ich in mehr als zwanzigjähriger Praxis in reichem Maße gehabt habe. Der Junge reizt mich. Im übrigen überläßt man das Pack am besten den Subalternen.«

»Ob die immer den richtigen Ton finden?« fragte Emil.

»Ich bitt' Sie!« erwiderte der Oberstaatsanwalt. »Die sind nicht so feinfühlig. Für die Art Menschen ist der Gummiknüppel immer noch das probateste Verständigungsmittel.«

»Vorausgesetzt, daß man sie hat.«

»Darin muß ich dem Generaldirektor recht geben,« sagte der Staatssekretär. »Aber für das Einfangen von Verbrechern sind Sie mir wirklich zu schade. Dazu sind die Polizeihunde und Kriminalbeamten da.«

»Ein Vermittlungsvorschlag,« erwiderte Emil. »Lassen Sie mich zuerst diesen einen Fall erledigen – einmal, weil durch den Herrn Oberstaatsanwalt mein Interesse für Coeur-As erwacht ist, dann aber aus Rücksicht auf den Polizeipräsidenten, durch den Sie ja erst auf mich aufmerksam wurden und den ich nicht gern vor den Kopf stoßen möchte.« – Und er dachte, sprach es aber nicht aus: Denn man kann nie wissen, wozu man ihn noch mal braucht.

»Sie stellen sich dem Präsidenten gegenüber gesellschaftlich statt behördlich ein,« erwiderte der Staatssekretär. »Im Dienste gibt es nur über- und untergeordnete Instanzen. Die einen verfügen, die anderen gehorchen.«

»Sie vergessen, daß ich noch nicht Beamter bin.«

»Das bezog sich natürlich auf den Präsidenten, nicht auf Sie.«

»So habe ich es auch aufgefaßt – daß ich dem Präsidenten noch als Privatmann gegenüberstehe.«

»Könnten Sie vielleicht angeben, wie lange Sie für den Fall gebrauchen würden?« fragte der Staatssekretär.

»Falls ich das Material zusammen habe – also auch die in Ihren Händen befindlichen Akten bekomme, Herr Oberstaatsanwalt . . .«

»Lassen Sie uns den Fall doch zusammen bearbeiten. Meine Erfahrung wird Ihnen eine große Hilfe sein.«

»Ich lege gerade Wert darauf, ohne jede Hilfe zum Ziel zu kommen.«

»Sie haben doch nicht nötig, einen Befähigungsnachweis zu erbringen.«

»Fassen Sie es als Sport! als Marotte!«

»Dafür habe ich in dienstlichen Angelegenheiten kein Verständnis,« erwiderte der Staatssekretär. Der Oberstaatsanwalt widersprach und sagte:

»Ich ja!« – Und zu Emil gewandt fuhr er fort: »Also gehen wir gesondert vor. Jeder auf eigene Faust. Das kann ganz lustig werden. Sie haben das für die Ergreifung wertvollere Material, ich habe die Erfahrung voraus. Unsere Chancen sind also gleich groß. Ein interessantes Match.«

»Aber meine Herren! Wir sind doch im Dienste und nicht auf dem Sportplatz!«

»Unter unserem sportlichen Ehrgeiz kann die dienstliche Abwicklung nur gewinnen,« erwiderte Oberstaatsanwalt Spicker und wandte sich wieder an Emil. »Ich wette zehntausend Mark. Halten Sie die Wette?«

»Formulieren Sie sie.«

»Sehr einfach: Wem es gelingt, Coeur-As zur Strecke zu bringen, hat gewonnen.«

»Gleichgültig, ob lebend oder tot?«

»Selbstverständlich! Was liegt an dem Leben eines solchen Menschen? Schade um die Mühen und Kosten, die sein Prozeß macht.«

»Da er in Ihren Augen ein wildes Tier ist und es für einen Jäger, der auf wilde Tiere jagt, besonderen Reiz hat, seinen Löwen oder Elefanten lebendig zu fangen, so müßte das auch für diesen Coeur-As gelten.«

»Meinetwegen,« sagte der Staatsanwalt und hielt Emil die Hand hin. Der schlug in dem Gefühl, zum mindesten sein Leben gerettet zu haben, ein – und dachte: jetzt brauchte er mich nur festzuhalten.

Zu weiteren Betrachtungen, die gewiß interessant gewesen wären, ließ es der Staatssekretär nicht kommen. Denn schon hielt auch er Emil die Hand hin und sagte:

»Und nach diesem Match gehören Sie mir.«

»Mit besonderer Einwilligung des Oberstaatsanwalts,« erwiderte Emil.

»Wieso?« fragte der Staatssekretär. »Was hat er damit zu tun?«

»Da Sie ihn zu der Besprechung hinzugezogen haben, so muß das doch seine Gründe haben.«

»Der Oberstaatsanwalt Spicker ist nicht nur mein Freund, sondern auch ein Menschenkenner, der sich selten irrt.«

Emil wandte sich an Spicker und fragte:

»Und Sie billigen die Wahl des Herrn Staatssekretärs?«

Der erwiderte:

»Durchaus!«

Woraufhin Emil sich auch dem Staatssekretär gegenüber durch Handschlag verpflichtete.

Dann entschuldigte er sich mit Geschäften und ging. Als er fort war, fragte der Staatssekretär:

»Welchen Eindruck haben Sie von ihm?«

»Aalglatt. Der typische Diplomat. Also völlig ungefährlich.«

»Sie halten also nichts von ihm?«

»Oder aber ein ganz Gehenkter.«

»Das sind doch Gegensätze.«

»Gewiß! Wenn das Gesicht, das er hier gezeigt hat, wahr ist, dann rate ich Ihnen: verwenden Sie ihn weiter in den diplomatischen Salons. Er wird stundenlang die Unterhaltung führen, ohne etwas zu sagen. Wenn, was er zeigt, aber eine Maske ist, dann bedeutet er auf jedem Posten, auf den Sie ihn stellen, eine Gefahr. Ich würde dann vorschlagen, ihn als Gesandten nach Bolivien oder Haiti zu schicken.«

»Was wäre in diesem Fall Ihrer Ansicht nach der Grund, aus dem er Maske macht und sein wahres Gesicht verbirgt?«

»Das habe ich in den zehn Minuten natürlich nicht feststellen können.«

»Sie sind so sehr daran gewöhnt, mit Leuten zu tun zu haben, die etwas verbergen müssen, daß Sie von vornherein jeden Menschen für unaufrichtig halten.«

»Da ich die meisten Erfolge meines Lebens darauf zurückführe, so gedenke ich diesem Prinzip auch fernerhin treu zu bleiben.«

»Ich bin auch nicht leichtgläubig, aber man muß doch Ausnahmen machen.«

»Mache ich auch. Aber nicht in diesem Falle. Wenn dieser Herr aus Frankfurt wirklich bedeutend ist, was ich glaube, dann muß er Gründe haben, so unbedeutend zu erscheinen.«

»Demnach hätte er ja etwas zu verbergen.«

»Ich freue mich darauf, das in gemeinsamer Arbeit festzustellen.«


 << zurück weiter >>