Selma Lagerlöf
Eine Herrenhofsage
Selma Lagerlöf

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Achtes Kapitel.

Von dem Augenblick an, wo Ingrid in dem Verrückten den Studenten erkannt hatte, dachte sie an nichts anderes, als ihn zu heilen. Aber das war eine schwere Arbeit, und sie hatte durchaus keine Ahnung, wie sie es angreifen sollte.

Im Anfang überlegte sie nur, wie sie ihn zum Bleiben bewegen könnte. Und dies gelang ihr leicht genug. Nur um sie jeden Tag eine kleine Weile Geige oder Guitarre spielen zu hören, saß er nun vom Morgen bis zum Abend geduldig in Jungfer Stafvas Zimmer und wartete auf sie.

Es kam Ingrid vor, als wäre es schon ein großer Erfolg, wenn sie ihn nur dazu bringen könnte, auch in die anderen Zimmer zu gehen. Aber das wagte er durchaus nicht. Sie machte den Versuch, selbst im Zimmer zu bleiben, und sagte, sie werde ihm nicht vorspielen, wenn er nicht hereinkomme. Nachdem sie aber zwei Tage nicht herausgekommen war, begann er einzupacken, um seiner Wege zu gehen, und da mußte sie nachgeben.

Er hatte eine große Vorliebe für sie und zeichnete sie vor allen anderen aus, aber von seiner Angst konnte er ihr nichts zum Opfer bringen.

Sie bat ihn, den Pelz abzulegen und einen gewöhnlichen Rock anzuziehen. Er ging auch sogleich darauf ein, hatte aber am nächsten Tage doch wieder den Pelz an. Alsdann versteckte sie diesen, da erschien er im Pelz des Knechts, und da war es immerhin noch besser, wenn er seinen eigenen trug.

Er war fortgesetzt gleich furchtsam und ängstlich darauf bedacht, daß ihm niemand zu nahe kam. Nicht einmal Ingrid durfte dicht neben ihm sitzen.

Eines Tages bat sie ihn, er möge ihr etwas versprechen. Er solle es aufgeben, sich vor der Katze zu verbeugen. Um so etwas Schweres, wie sich nicht vor einem Pferd oder einem Hund zu verbeugen, wolle sie ihn gar nicht bitten, aber vor einer kleinen Katze könne man sich doch unmöglich fürchten.

»Doch,« sagte er, »die Katze ist ein Ziegenbock.«

»Nein, sie kann doch weder ein Bock noch eine Ziege sein,« erwiderte Ingrid. »Sie hat ja keine Hörner.«

Darüber freute er sich sehr. Es war, als habe er nun endlich herausgefunden, woran er die Ziegen von anderen Tieren unterscheiden könne.

Am nächsten Morgen lief ihm Jungfer Stafvas Katze in den Weg.

»Der Ziegenbock hat keine Hörner,« sagte er und lachte ganz stolz.

Er ging an ihr vorüber und setzte sich aufs Sofa, um Ingrids Spiel zuzuhören. Aber nach einer kleinen Weile wurde er unruhig, er stand auf, ging zur Katze hin und verneigte sich.

Ingrid war ganz verzweifelt. Sie faßte ihn am Arm und schüttelte ihn. Da lief er sogleich zur Türe hinaus und ließ sich erst am nächsten Tage wieder blicken.

»Kind, Kind!« sagte die gnädige Frau, »Du machst es gerade wie ich, versuchst es wie ich. Du wirst ihn schließlich auch scheu machen, daß er sich nicht mehr in Deine Nähe traut. Laß ihn lieber in Frieden. Wir sind schon froh, daß es so ist wie jetzt, wenn er nur daheim bleibt.«

Nein, es ließ sich nichts weiter tun; Ingrid rang vergebens die Hände in heißem Schmerz, daß der feine, liebenswürdige Mensch in diesem Irrsinnigen untergegangen sein sollte.

Aber das eine nur hätte sie gerne gewußt, ob sie zu nichts weiter hierher geführt worden sei, als ihm die Melodien ihres Großvaters vorzuspielen? Sollte es so das ganze Leben lang fortgehen? Würde es niemals anders werden?

Bisweilen erzählte sie ihm auch Geschichten. Und mitten in einer solchen Geschichte wurde manchmal der Ausdruck seines Gesichtes ganz klar und er konnte etwas merkwürdig Feines und Schönes sagen, worauf ein kluger Mensch niemals gekommen wäre. Mehr aber bedurfte es auch nicht, um Ingrids Mut neu zu beleben, und bald waren sie wieder mitten in den endlosen Versuchen – –

* * *

Es war gegen Abend, und der Mond war eben am Aufgehen. Auf der Erde lag weißer Schnee, schimmerndes Eis. Die Bäume standen schwarzbraun da, und der Himmel war nach dem Sonnenuntergang glühend rot.

Ingrid war auf dem Wege hinab zum See, um Schlittschuh zu laufen. Sie benützte einen schmalen Fußpfad, der in den Schnee getreten war. Gunnar Hede ging hinter ihr. Es war etwas in seiner Haltung, das an einen Hund erinnerte, der seinem Herrn nachläuft.

Ingrid sah müde aus. Ihre Augen hatten keinen Glanz und ihr Gesicht war sehr blaß.

Während sie dahinschritt, stieg der Gedanke in ihr auf, ob der Tag, der nun verschwand, wohl mit sich selbst zufrieden sei? Hatte er wohl in jubelnder Freude den großen, glühend roten Sonnenuntergang dort im Westen angezündet?

Sie selbst fühlte nur zu gut, daß sie keine Freudenfeuer hätte anzünden können, weder über diesen Tag noch über einen der anderen. Ein ganzer Monat war nun verflossen, seit sie Gunnar Hede wieder erkannt hatte, aber nichts war seitdem gewonnen worden.

Und gerade heute hatte große Angst sie erfaßt. Es war ihr, als verspiele sie allmählich bei alledem ihre Liebe. Sie war nahe daran, den Studenten zu vergessen, weil sie immer nur an den Kranken dachte. Alles, was an der Liebe leicht und schön und freudig war, verschwand, nichts blieb zurück, als schwerer, schwerer Ernst.

Sie war ganz verzweifelt, während sie zum See hinabging. Sie fühlte, daß sie nicht verstand, was eigentlich getan werden könnte, fühlte, daß sie jeden weiteren Versuch aufgeben müsse. Ach, lieber Gott, da ging er nun hinter ihr her, äußerlich stark und frisch, und doch so hülflos, so krank und unheilbar!

Nun waren sie am See, und Ingrid zog die Schlittschuhe an. Sie wollte haben, er solle auch laufen, und schnallte auch ihm die Schlittschuhe an, aber er fiel hin, sobald er aufs Eis kam. Er kroch wieder ans Land und setzte sich auf einen Stein, sie aber fuhr davon.

Dem Stein, auf dem Hede saß, gegenüber lag ein kleines, mit Birken und Espen bewachsenes Eiland; hinter diesem strahlte der Abendhimmel noch immer in leuchtender Glut, und die feinen, leichten, kahlen Kronen der Bäume hoben sich von diesem Rot in solch wunderbarer Schönheit ab, daß es unmöglich war, diese Pracht nicht zu sehen.

Es ist ja meistens so, daß das, woran man einen Ort wiedererkennt, ein einzelner Zug ist, denn selbst was man am besten kennt, ist einem nicht von allen Seiten gleich vertraut. Und Munkhyttan erkannte man besonders an der kleinen Insel. Hätte man auch das Gut in vielen Jahren nicht gesehen, so würde man es doch sofort an dem Eiland wieder erkannt haben, das nun seine dunklen Baumkronen dem Sonnenuntergang entgegenstreckte.

Hede saß ganz still da und betrachtete die Insel, das feine Geäst der Bäume und das graue Eis, das sich nach allen Seiten ausbreitete.

Das war ihm von jeher der vertrauteste Anblick gewesen. Auf dem ganzen Gut gab es nichts, was er besser gekannt hätte. Denn wie gesagt, diese kleine Insel war es immer gewesen, die seine Blicke auf sich gezogen hatte. Und er betrachtete nun die Insel unverwandt, ohne etwas dabei zu denken, wie es einem bei dem, was man sehr gut kennt, zu gehen pflegt. Lange, lange saß er da und starrte hinüber, nichts störte ihn, kein Mensch, kein Windhauch, nichts Fremdes. Ingrid sah er nicht, sie war weit auf den See hinausgelaufen.

Da bekam Hede eine solche Ruhe und Stille, wie man sie nur in solchen heimatlichen Umgebungen fühlen kann. Von der kleinen Insel strömte ihm Sicherheit und Friede entgegen. Sie schläferte die ewige Unruhe, die ihn quälte, ein.

Hede glaubte sich stets von Feinden umgeben und war nur immer darauf bedacht, sich zu verteidigen. Seit Jahren hatte er die Ruhe nicht gekannt, die es ihm möglich machte, sich selbst zu vergessen; aber nun kam sie über ihn.

Während Gunnar Hede so am Ufer saß, ohne an etwas Bestimmtes zu denken, machte er unwillkürlich eine mechanische Bewegung, wie man sie wohl macht, wenn man sich in gewohnten Verhältnissen befindet. Das blanke Eis lag vor ihm, er hatte die Schlittschuhe an, da stand er auf und begann auf den See hinauszulaufen. Und er dachte ebensowenig an das, was er tat, als man beim Essen daran denkt, wie man Gabel und Löffel hält.

Er glitt hinaus auf die Eisfläche: es war die herrlichste Eisbahn, die man sich denken konnte, und er war schon weit vom Ufer entfernt, ehe er merkte, was er getan hatte.

»Ein vortreffliches Eis,« dachte er dann, »warum bin ich eigentlich heute nicht schon früher hergekommen?«

»Gestern war ich dafür um so länger hier,« tröstete er sich. »Ich darf jetzt keinen Tag mehr versäumen, so lange ich Ferien habe.«

Vielleicht, weil Hede jetzt etwas unternahm, das er getan hatte, ehe er krank geworden war, vielleicht erwachte dadurch etwas von seinem früheren Ich in ihm. Gedanken und Vorstellungen, die im Zusammenhang mit seinem früheren Leben standen, tauchten in seinem Bewußtsein auf. Gleichzeitig, aber sanken alle jene Gedanken, die mit seiner Krankheit zusammenhingen, in Vergessenheit.

Wie gewöhnlich, wenn er Schlittschuh lief, fuhr er in einem großen Bogen hinaus auf den See, um an einer scharfen Landspitze vorbeisehen zu können. Er tat es unbewußt, als er aber um den Vorsprung herumgefahren war, wußte er, daß er diese Richtung eingeschlagen hatte, um zu sehen, ob im Zimmer seiner Mutter Licht sei.

»Nun meint sie, es sei Zeit, daß ich nach Hause komme, aber sie muß. noch ein wenig warten; das Eis ist zu gut.«

Hauptsächlich waren es unbestimmte Gefühle der Freude über die körperliche Bewegung und über den schönen Abend, die in ihm erwachten. An einem solchen Mondscheinabend, ja gerade da mußte man Schlittschuh laufen. Er liebte diesen milden Uebergang zur Nacht. Noch war es licht, aber die Abendstille ruhte schon über der Flur. Das Allerbeste bei Tag und Nacht!

Draußen auf dem See lief noch jemand Schlittschuh. Es war ein junges Mädchen. Er wußte nicht, ob er sie kannte, und steuerte auf sie zu, um es herauszufinden. Nein, es war keine Bekannte, aber er konnte es doch nicht unterlassen, im Vorbeifahren ein paar Worte über das schöne Eis zu ihr zu sagen.

Die Fremde war wohl ein Fräulein aus der Stadt und gewiß nicht gewohnt, so ohne weiteres angeredet zu werden, denn sie sah ganz erschreckt aus, als er die paar Worte zu ihr sagte. Aber er war auch höchst merkwürdig angezogen. Er trug ja vollständige Bauerntracht!

Nun, verscheuchen wollte er sie nicht! Er drehte deshalb um und lief weiter hinaus auf den See. Das Eis war groß genug für sie beide.

Aber Ingrid hätte vor Ueberraschung beinahe laut aufgeschrien. Er kam dahergelaufen, sicher und elegant, die Arme über der Brust gekreuzt, die Hutkrempe aufgebogen, das Haar zurückgeworfen, so daß es nicht über die Ohren herunterhing!

Er hatte mit der Stimme eines gebildeten Mannes gesprochen, fast ohne den Dialekt der Bauern in Dalarne!

Ingrid gönnte sich keine Zeit zum Erstaunen, so schnell als möglich ging es dem Ufer zu.

Atemlos stürzte sie in die Küche und wußte nicht, wie sie ihre Nachricht rasch und deutlich genug sagen sollte.

»Jungfer Stafva, der junge Herr ist heimgekommen!«

Die Küche war leer, weder die Jungfer noch die Mägde waren da. Auch in der Stube der Jungfer war kein Mensch. Ingrid stürmte durchs ganze Haus, geriet in Zimmer, die sie noch nie betreten hatte, und rief immerfort:

»Jungfer Stafva, Jungfer Stafva! Der junge Herr ist heimgekommen!«

Sie war ganz außer sich und rief es immer noch, als oben im Zimmer schon zwei Mägde, Jungfer Stafva und selbst die Bergrätin sich um sie drängten.

Und keines mißverstand sie; alle vier standen da, ebenso überwältigt, wie sie selbst, mit bebenden Lippen und zitternden Händen.

In großer Aufregung wandte sich Ingrid von einer zur anderen. Sie wollte ja Erklärungen geben, Befehle erteilen, aber wovon, wozu? Ach, daß sie so die Besinnung verlieren konnte! Verwirrt sah sie die Bergrätin an. Was war es, was wollte ich?

Mit leiser, zitternder Stimme erteilte die alte Dame einige Befehle; beinahe flüsternd sagte sie:

»Licht und ein Feuer im Zimmer des jungen Herrn! Die Kleider des jungen Herrn sollen bereit gelegt werden.«

Es war weder Zeit noch Ort für Jungfer Stafva, um sich wichtig zu machen, aber es lag doch eine gewisse Ueberlegenheit in ihrer Stimme, als sie erwiderte:

»Im Zimmer des jungen Herrn ist immer geheizt. Die Kleider des jungen Herrn liegen immer für ihn bereit.«

»Geh Du in Dein Zimmer, Ingrid,« sagte die gnädige Frau.

Das junge Mädchen tat jedoch gerade das Gegenteil. Sie ging in den Salon, stellte sich ans Fenster, schluchzte und zitterte, wußte aber gar nicht, daß sie nicht ruhig und still war.

Ungeduldig wischte sie sich die Tränen aus den Augen, um die Schneefläche übersehen zu können, die sich vor dem Hause ausbreitete. Wenn sie nur nicht weinte, konnte ihr bei dem hellen Mondschein nichts entgehen. Nun kam er.

»Da, da!« schrie sie der gnädigen Frau zu. »Er geht schnell! Er läuft! Kommen Sie doch her und sehen Sie selbst!«

Die Bergrätin saß still vor dem Feuer und bewegte sich nicht. Sie strengte sich an, zu hören, wie die anderen zu sehen; sie bat Ingrid, ruhig zu sein, damit sie hören könne, wie er gehe.

Ja, ja, sie wollte ganz still sein. Die gnädige Frau sollte hören können, wie er ging. Sie hielt sich krampfhaft am Fensterrahmen fest, als ob das ihr helfen könnte.

»Du mußt still sein,« flüsterte sie, »damit die gnädige Frau hören kann, wie er geht.«

Die gnädige Frau saß vorgebeugt und lauschte mit ganzer Seele. Hörte sie schon seinen Schritt auf dem Hof? Nun erwartete sie wohl, er würde nach der Küche abbiegen? Ingrid sah, daß die gnädige Frau nicht anders zu glauben wagte. Hörte sie nun, daß die Vortreppe knarrte? Hörte sie, daß die Tür zu dem großen Flur aufging? Hörte sie, mit welcher Geschwindigkeit er die Treppe zum Wohnstock heraufkam? Zwei, drei Stufen auf einmal! Hatte seine Mutter das gehört? Das war nicht mehr der schleppende Bauernschritt, wie da, wo er ausging.

Es war beinahe nicht auszuhalten, ihn auf die Salontür zukommen zu hören. Wäre er in diesem Augenblick hereingekommen, hätten sicherlich alle beide aufgeschrien.

Aber er bog ab und ging durch den Gang nach seinen eigenen Zimmern.

Die Bergrätin sank in den Stuhl zurück und ihre Augen schlossen sich. Ingrid dachte, die gnädige Frau wäre in diesem Augenblick gewiß gerne gestorben.

Ohne die Augen aufzuschlagen, streckte sie die Hand aus. Ingrid glitt zu ihr hin und ergriff sie, und die alte Dame zog Ingrid an sich.

»Mignon, Mignon,« sagte sie, »es war doch der richtige Name.«

»Nein,« fuhr sie fort, »Jetzt dürfen wir nicht weinen. Jetzt dürfen wir nicht davon sprechen. Nimm einen Schemel und setze Dich hierher ans Feuer. Wir müssen uns beruhigen, mein liebes Kind. Wir wollen von etwas Anderem sprechen, denn wir müssen ganz ruhig sein, wenn er kommt.«

Ein halbe Stunde später trat Hede ein; da stand Tee auf dem Tisch und der Kronleuchter war angezündet. Er hatte sich wirklich umgekleidet, jede Spur von dem Bauern war verschwunden. Ingrid und die Bergrätin drückten sich heftig die Hände. Sie hatten sich darauf vorbereitet, ihn kommen zu sehen.

Es sei ganz unmöglich, vorher zu wissen, was er tun oder sagen werde, meinte die gnädige Frau. Er sei von jeher unberechenbar gewesen. Aber sie beide müßten jedenfalls ganz ruhig sein.

Ingrid war auch wirklich ruhig geworden. Ein großes, großes Glücksgefühl war über sie gekommen, und das stillte ihre Unruhe. Ihr war zu Mute, wie einem, der auf dem Wege zur Seligkeit des Himmels ist. Sorglos ruhte sie in Engelsarmen, die sie hinauftrugen, hinauf!

Aber Hede konnte man keine Verwirrung anmerken.

»Ich komme nur herein,« sagte er, »um zu sagen, daß ich heftige Kopfschmerzen habe und deshalb gleich zu Bett gehen will. Ich hatte sie schon auf dem Eise.«

Die Bergrätin erwiderte nichts darauf. Was er sagte, klang so einfach, aber das hatte sie nicht ahnen können. Sie brauchte einen Augenblick, um sich klar zu machen, daß er nichts von seiner Krankheit wußte, sondern irgendwo in der Vergangenheit lebte.

»Vielleicht könnte ich vorher doch eine Tasse Tee trinken,« sagte er, über das Schweigen etwas verwundert.

Die Bergrätin trat an den Tisch. Er sah sie an.

»Hast Du geweint, Mutter, Du bist so still?«

»Wir sprachen eben von einer traurigen Geschichte, ich und meine junge Freundin hier,« sagte die gnädige Frau und deutete auf Ingrid.

»Ach, entschuldige,« sagte er. »Ich sah nicht, daß Besuch da ist.«

Das junge Mädchen trat in den hellen Lichtschein so schön, wie jemand aussehen mag, der weiß, daß sich im nächsten Augenblick die Pforten des Himmels vor ihm öffnen werden.

Hede grüßte etwas steif. Offenbar wußte er nicht, wen er vor sich hatte. Die Bergrätin stellte vor.

Er sah Ingrid flüchtig an.

»Ich habe Fräulein Berg vorhin auf dem Eise gesehen,« sagte er.

Er wußte nichts von ihr, hatte noch nie mit ihr gesprochen.

 


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