Selma Lagerlöf
Eine Herrenhofsage
Selma Lagerlöf

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Zweites Kapitel.

Gunnar Hedes Gut, Munkhyttan, lag in einem armen Kirchspiel weit drin in Westdalarne.Dalarne, die Täler. Früher wurde in Deutschland allgemein »Dalekarlien« gesagt neuerdings wird der schwedische Name der Landschaft beibehalten. Anmerkung der Uebersetzerin. Ein großes, dünn bevölkertes Kirchspiel war es, inmitten einer kargen und harten Natur; fast lauter steinige, bewaldete Hügel und kleine Teiche machten den größten Teil der Gegend aus. Und wenn die Menschen nicht das Recht gehabt hatten, im Lande umherzuziehen und Hausierhandel zu treiben, hatten sie sich hier gar nicht ernähren können. Dafür war aber auch die ganze arme Gegend von lauter alten Sagen erfüllt, die von armen Bauernburschen und Bauernmädchen handelten, die mit einem Sack voll Trödelwaren auf dem Rücken ausgezogen und später in einer goldenen Kutsche, den Kutschkasten voll Geld, heimgekehrt waren.

Eine der allerbesten dieser Geschichten war die von Hedes Großvater. Er war der Sohn eines armen Spielmanns gewesen, der mit der Geige in der Hand aufgewachsen und mit siebzehn Jahren mit dem Kramsack auf dem Rücken ausgezogen war. Aber wo er hinkam, hatte er beim Handel die Geige zur Hülfe gehabt, hatte abwechselungsweise den Leuten zum Tanz aufgespielt und ihnen seidene Tücher, Kämme und Nadeln verkauft. Aller Handel war unter Spiel und Scherz vor sich gegangen, und er war so gut ausgefallen, daß der Großvater schließlich Munkhyttan mitsamt der Grube und dem Hüttenwerk dem verarmten Baron, dem das Gut damals gehörte, abkaufen konnte.

So war es zugegangen, daß er ein Gutsherr und überdies der Mann der schönen Tochter des Barons geworden war.

Die »alte Herrschaft«, wie sie allgemein genannt wurde, hatte dann an nichts weiter gedacht, als ihr Besitztum zu verschönern und auszuschmücken. Sie war es gewesen, die das Hauptgebäude verlegt hatte, hinaus auf die reizende Insel, die nahe am Ufer in einem kleinen See lag, um den sich Aecker und Grubendistrikte ausdehnten. Das obere Stockwerk war zu ihrer Zeit gebaut worden, denn sie wollte gern Platz für recht viele Gäste haben, desgleichen auch die große Freitreppe mit den zwei Aufgängen. Die ganze, mit Fichten bewachsene Insel hatte sie mit Laubwald bepflanzt, sie hatte schmale, verschlungene Wege in den felsigen Boden gebrochen und kleine Aussichtspavillons gebaut, die über den See hinaushingen wie große Vogelnester. Die wunderschönen französischen Rosen, die die Terrasse bekränzten, die holländischen Möbel, die italienische Geige, alles hatte sie angeschafft, und sie war es auch gewesen, die ein Treibhaus angelegt und die Mauer errichtet hatte, die den Obstgarten vor dem Nordwind schützte.

Die alte Herrschaft waren heitere, freundliche Leute von der alten Art gewesen; die gnädige Frau hatte wohl ab und zu ein wenig vornehm getan, aber der alte Herr ganz und gar nicht. Inmitten all der Pracht, die ihn jetzt umgab, vergaß er nie, was er gewesen war, und in seinem Arbeitszimmer, wo er seine Geschäfte besorgte und wohin alle Leute kamen, hing der Kramsack und die rotangestrichene, im Land verfertigte Geige, gerade über dem Pult des alten Herrn.

Sogar nach seinem Tode blieben der Sack und die Geige noch immer an dem alten Platz hängen. Und so oft der Sohn und der Enkel sie sahen, wurde ihr Herz von Dankbarkeit erfüllt. Diese ärmlichen Gegenstände waren ja das Werkzeug gewesen, das Munkhyttan geschaffen hatte, und Munkhyttan war das beste auf der Welt.

Woher es aber nun auch kommen mochte – und es kam wohl am meisten daher, daß man ganz von selbst auf dem Hof ein gutes, freundliches und sorgenfreies Leben führte – so hing das Geschlecht der Hede doch mit größerer Liebe an dem Hof, als es gut war. Und besonders war Gunnar Hede so mit dem Hof verwachsen, daß man von ihm sagte, es sei verkehrt, wenn man behaupte, es gehöre ihm ein Hof, es gebe im Gegenteil in Westdalarne einen alten Hof, dem Gunnar Hede gehöre.

Und wenn er sich nicht zum Sklaven eines alten, baufälligen Herrenhauses, einiger Morgen Aecker und Waldboden und einer Anzahl Aepfelbäume gemacht hätte, würde er seine Studien fortgesetzt haben, oder noch besser, er wäre ins Ausland gegangen und hätte Musik studiert, was allem Anschein nach sein rechter Beruf auf der Welt gewesen wäre. Aber als er sich, von Upsala zurückgekehrt, Klarheit über, die Verhältnisse verschaffte und einsah, daß der Hof wirklich verkauft werden müsse, wenn er nicht bald eine Menge Geld verdiente, da gab er alle anderen Pläne auf und beschloß, als wandernder Krämer auszuziehen, wie sein Großvater seinerzeit getan hatte.

Seine Mutter und seine Braut beschworen ihn, doch lieber den Hof zu verkaufen, als sich auf diese Weise für ihn aufzuopfern, aber er war unbeweglich. Er zog Bauernkleider an, kaufte Waren und begann als Handelsmann durchs Land zu ziehen. Und er war überzeugt, er werde, wenn er nur ein paar Jahre Handel treibe, so viel verdienen, um die Schulden zu bezahlen und Munkhyttan zu retten.

Und soweit es den Hof betraf, hatte er Glück bei seinem Unternehmen, sich selbst aber brachte er in großes Unglück.

Nachdem er wohl ein Jahr mit dem Kramsack umhergezogen war, kam er auf den Gedanken, daß er auch versuchen könne, eine große Summe Geld auf einmal zu verdienen. So zog er denn weit nach Norden und kaufte eine große Herde Geißen, wohl ein paar hundert Stück. Und diese wollte er nun mit Hülfe eines Kameraden auf einen großen Jahrmarkt im Wermland treiben, denn dort kosteten Geißen noch einmal soviel als droben in dem nördlichen Teil des Landes. Wenn er alle seine Geißen verkaufte, konnte er also ein ausgezeichnetes Geschäft machen.

Man war erst im November, und es hatte noch nicht geschneit, als Hede und sein Kamerad mit ihrer Geißenschar abzogen. Am ersten Tag ging alles gut von statten, aber am zweiten Tag, als sie in den großen Zehnmeilenwald kamen, begann es zu schneien.

Ein gewaltiges Schneegestöber brach über ihnen los, und schon nach ganz kurzer Zeit konnten die Tiere nur nach mühsam durch den Schnee vorwärts dringen. Ziegen sind zwar mutige, wetterfeste Tiere, und die Herde kämpfte sich lange durch, aber das Unwetter dauerte mehrere Tage und Nächte, und es ward eine grimmige Kälte.

Hede tat, was in seinen Kräften stand, um die Tiere zu retten. Aber seit Beginn des Schneefalls hatte er ihnen weder Futter noch Wasser verschaffen können. Und nachdem sie sich einen Tag lang durch den hohen Schnee hindurchgearbeitet hatten, begann sich die Haut von ihren Beinen abzuschälen. Das tat ihnen weh, und sie wollten nicht mehr vorwärts. Die erste Ziege, die sich am Wegrand niederwarf und nicht mehr aufstehen konnte, um mit den anderen weiterzugehen, hob er auf seine Schultern, um sie nicht zurückzulassen. Als aber dann noch eine und sogar eine dritte sich legte, konnte er nicht alle tragen. Es blieb ihm nichts übrig, als wegzusehen und weiterzugehen.

Wißt Ihr, was ein zehn Meilen großer Wald bedeutet?

Meilen und meilenweit kein Hof, keine Hütte, nur Wald, nichts als Wald. Hochgewachsene Tannen mit harter, holziger Rinde und hochsitzenden Aesten, kein Jungwald mit weicher Rinde und weichen Zweigen, die die Tiere hätten fressen können! Wenn der Schnee nicht gekommen wäre, hätte Hede mit seiner Herde in wenigen Tagen durch den Wald gelangen können; nun konnten sie überhaupt nicht hindurchkommen. Alle Geißen gingen zugrunde, und auch die Menschen waren nahe daran, umzukommen.

Sie begegneten keinem Menschen in der ganzen Zeit; niemand half ihnen.

Hede versuchte, den Schnee wegzuräumen, damit die Geißen das Moos fressen könnten, aber der Schnee fiel so dicht, so dicht, und das Moos war an dem Boden festgefroren. Und wie hätte er auf diese Weise für zweihundert Tiere Futter schaffen können?

Er trug es mutig, bis die Tiere anfingen, Klagelaute auszustoßen. Am ersten Tage war es eine fröhliche, ausgelassene und ziemlich lärmende Schar gewesen. Er hatte große Mühe gehabt, aufzupassen, daß alle mitkamen, und daß sie einander nicht totstießen. Aber dann war es, als sei ihnen klar geworden, daß es keine Rettung für sie gebe, und das veränderte sie völlig und machte sie ganz mutlos. Sie fingen alle an, ängstlich zu meckern und zu klagen, nicht schwach und pfeifend, wie es die Art der Ziegen ist, sondern laut und immer lauter, je größer die Not würde. Und als Hede dieses klägliche Schreien hörte, war es ihm, als müsse er wahnsinnig werden,

Sie waren in dem wilden verlassenen Walde; es war keine Hülfe zu erlangen. Ein Tier nach dem anderen sank am Wege nieder. Der Schnee fegte über ihnen zusammen und deckte sie zu. Und als Hede zurückschaute auf die Reihe kleiner Schneehügel am Wegrand, von denen jeder einen Tierkörper barg, und aus denen Hörner und Hufe hervorstaken, da fing sein Verstand an, sich zu umnachten.

Er fuhr auf die Tiere los, die sich da zuschneien ließen, schwang seine Peitsche und schlug sie. Dies war ja das einzige Mittel, um sie zu retten; aber sie rührten sich nicht. Er nahm sie bei den Hörnern und schleppte sie weiter. Sie ließen sich ziehen, aber sie rührten keinen Fuß, um selbst zu gehen. Wenn er die Hörner losließ, leckten sie ihm die Hände, wie um ihn zu bitten, daß er ihnen noch weiter helfe. Sobald er zu ihnen trat, leckten sie ihm die Hände.

All dies wirkte so furchtbar auf ihn, daß er fühlte, er sei nahe daran, den Verstand zu verlieren.

Trotzdem wäre es vielleicht nicht soweit mit ihm gekommen, wenn er nicht, als im Walde alles vorbei war, hingegangen wäre und eine besucht hätte, die er innig lieb hatte. Es war nicht seine Mutter, sondern seine Braut. Er hielt es für seine Pflicht, sofort hinzureisen und ihr zu sagen, daß er viel Geld verloren habe und nun noch Jahre warten müsse, bis er heiraten könne. Aber er reiste doch ganz gewiß einzig und allein deshalb hin, um von ihr zu hören, daß sie ihn trotz all seinem Mißgeschick noch ebenso liebe wie vorher. Er glaubte, sie könne die Erinnerung an den Zehnmeilenwald verscheuchen.

Und das hätte sie vielleicht auch gekonnt, aber sie wollte nicht. Sie war schon sehr unzufrieden mit ihm, seitdem er mit dem Kramsack umherzog und aussah wie ein Bauer, und schon deshalb fand sie es schwer, ihn ebenso lieb zu haben wie früher. Und als sie nun hörte, daß er noch jahrelang so fortmachen müsse, sagte sie, daß sie nicht länger auf ihn warten könne. Und da verlor Hede seinen Verstand beinahe ganz.

Völlig irrsinnig wurde er aber doch nicht. Soviel Verstand hatte er noch, daß er seinen Handel auch ferner treiben konnte. Er machte sogar noch bessere Geschäfte als die anderen, denn es machte den Leuten Spaß, ihren Scherz mit ihm zu treiben, und so war er in den Bauernhäusern immer willkommen. Man neckte und plagte ihn zwar, aber es war in gewisser Weise gut für ihn, da er so gerne reich werden wollte.

Und nach Verfluß von ein paar Jahren hatte er auch wirklich soviel erworben, daß er hätte alle Schulden bezahlen und auf seinem Hof ein sorgenfreies Leben führen können. Aber dies begriff er nicht; stumpfsinnig und verrückt zog er von Hof zu Hof und hatte keine Vorstellung mehr davon, welchem Stand er eigentlich angehörte.

 


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