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7.
Ein neues Opfer

Wir haben gesehen, wie der erste Versuch der Gräfin Cosel, aus Stolpen zu entfliehen, ein so trauriges Ende nahm. Sie beweinte aufrichtig den unglücklichen Mann, der sein Leben für sie geopfert halte, und befahl ihren Dienerinnen, Erkundigungen einzuziehen, wo Heinrich von Wehlen bestattet worden war, worauf sie sämmtliche Blumen ihres Gärtchens auf sein Grab bringen ließ.

Nach den erzählten Ereignissen wurde die Besatzung von Stolpen vollständig gewechselt. An die Stelle des alten Wehlen kam ein strengerer Commandant, Namens Birling, ein roher, ungebildeter, aufbrausender Mann, in welchem alle Fehler und Schwächen eines alten Haudegens verkörpert erschienen. In der ersten Zeit nach diesem Wechsel wurde die Wachsamkeit in jeder Beziehung verschärft; so durfte auch die Gräfin ihr Gefängniß nicht mehr verlassen und keinen Fuß über die Schwelle des alten Thurmes setzen. Da, wie erwähnt, die ganze Garnison gewechselt wurde, erhielt auch Zaklika die Ordre, zu seinem Regimente einzurücken. Einen günstigen Augenblick benutzend, da der Commandant, der sich täglich, nachdem er die Schlüssel in Empfang genommen hatte, bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken pflegte, eben wieder in solchem Zustande sich befand, schlich sich Zaklika zu der Gräfin, um sich von ihr zu verabschieden.

Er fand sie in Thränen aufgelöst und eine Beute vollster Verzweiflung. Sie vermochte kaum ein Wort hervorzubringen.

»Wie – auch Du willst mich verlassen!« rief sie endlich aus, »auch Du? ... Du fürchtest Dich also, Raimund!«

»Nein, Madame,« erwiderte Zaklika. »Wenn ich Stolpen verlasse, so geschieht dies nicht mit meinem freien Willen, sondern nur, weil man mir befohlen hat, zu meinem Regiment zurückzukehren. Ich gehorche und reise ab, um Euch um so nützlicher sein zu können.«

»Und ich soll vielleicht noch Jahrzehnte lang hier schmachten!« rief die Gräfin schluchzend. »O, ich muß hier langsam zugrunde gehen!«

»Verfügt über mich, Madame! Ihr wißt, daß ich stets bereit bin, Euch zu gehorchen. Verlangt alles, verlangt mein Leben von mir, gerne will ich es für Euch opfern!«

Anna überlegte einen Augenblick.

»Nein, sagte sie dann, »es muß so geschehen. Verlasse also Stolpen und denke darüber nach, was zu thun ist, Du weißt das besser als ich zu beurtheilen, denn mir schwindet bald der Verstand ... Gott, die Menschen – alles ist gegen mich, nur Du allein bist mir noch treu geblieben. O, verlasse mich nicht, verrathe mich nicht, denn bei Gott, mein Fluch würde bis an Dein Lebensende auf Dir lasten!«

Jeden Augenblick konnte eine der Dienerinnen der Gräfin kommen, es war also keine Zeit mehr zu verlieren, Zaklika mußte scheiden. Gräfin Cosel bezeichnete ihm noch genau einen Baum in der nächsten Nähe von Pillnitz, wo sie vor ihrer Abreise eine Cassette mit Pretiosen und Edelsteinen vergraben hatte, mit der Weisung, den Schatz zu heben und ihn zu Geld zu machen, um die nächste Gelegenheit, welche er erspähen könnte, zu benutzen und ihr zur Flucht zu verhelfen ...

Es verstrichen mehrere Jahre, ohne daß es dem treuen Raimund möglich gewesen wäre, wieder in die Nähe seiner Herrin zu gelangen. Die einzigen Beziehungen, welche zwischen ihnen aufrecht erhalten werden konnten, beruhten auf den paar Hausirern, denen zeitweilig der Eintritt ins Schloß gestattet wurde.

Mittlerweile hatte ein ebenso unglücklich wie der erste verlaufener Fluchtversuch es verhindert, daß die Ueberwachung der Gefangenen eine weniger strenge geworden wäre.

Diesmal hatte die Gräfin ganz sicher auf das Gelingen des Planes gerechnet. Zaklika wurde von dem Vorhaben benachrichtigt und angewiesen, sich an einem nahe der Grenze gelegenen Punkte mit Pferden bereit zu halten.

Dieser neuerliche Fluchtversuch ähnelte in manchem dem ersten. Kurze Zeit, nachdem der junge Wehlen sein Vergehen mit dem Tode gebüßt, hatte die Strenge, mit der man gegen die Gräfin verfuhr, ein wenig nachgelassen. Anna hatte dies rasch benutzt, um den Lieutenant Helm zu gewinnen, der sie ebenfalls leidenschaftlich liebte; seine Neigung war vielleicht noch inniger und standhafter als die Wehlen's. Es dauerte fast zwei Jahre, bis sich die Gräfin so weit der Charakterfestigkeit und Ergebenheit dieses Unglücklichen versichert hatte, daß sie ihn in ihre Pläne einweihen konnte. Nachdem sie der Ueberzeugung geworden, daß sie in jeder Hinsicht auf Helm bauen könne, willigte die Gefangene ein, daß er einen Versuch unternehme, sie zu befreien.

Lieutenant Helm war fast mehr noch von Anna's Geiste und dem Zauber ihrer Worte gefesselt als von ihrer Schönheit. Wenn er die Gräfin zuweilen in die Lecture der heiligen Schrift vertieft sah, glaubte er eine Prophetin vor sich zu haben. Das Unglück hatte die Schönheit ihrer Erscheinung noch gehoben. Schon Jene, die Gräfin Cosel am Beginne ihrer leidensvollen Witwenschaft gesehen und gesprochen hatten, waren hingerissen worden von dem unaussprechlichen Reiz, den sie in ihre Worte zu legen wußte; später, und namentlich in Stolpen, war der Eindruck, den sie beim Sprechen auf Alle, welche mit ihr verkehrten, machte, noch unwiderstehlicher geworden. Selbst Zaklika staunte, welche Veränderung mit ihr vorgegangen war. Sie war noch immer gleich schön, allein seit das Unglück ihr seinen Stempel aufgedrückt hatte, war diese Schönheit, über welcher nun ein tiefer Ernst lagerte, geradezu erhaben zu nennen.

In derselben Nacht, da die Gräfin mit Helm fliehen sollte, wartete Zaklika in Gesellschaft eines verläßlichen Wenden mit frischen Pferden unweit der böhmischen Grenze. Indessen verstrich die Nacht, der Tag rückte vor, ohne daß sie etwas von den Flüchtigen zu sehen oder zu hören bekamen. Raimund dachte, daß die Beiden aus irgend einem Grunde die Ausführung ihres Fluchtplanes verzögert hätten, und blieb noch zwei volle Tage auf seinem Posten – allein niemand kam. Endlich, am vierten Tage, hörte er, wie einige Krämer, die von Stolpen kamen, erzählten, daß Gräfin Cosel, nachdem sie bereits die Umfassungsmauer des Schlosses hinter sich hatte, eingeholt und wieder in ihr Gefängniß zurückgebracht, sowie auch ein Officier, welcher sie begleitete, festgenommen worden war.

Das war alles, was Zaklika erfahren konnte; er kehrte in seine Garnison zurück, um über den Verlauf der Sache weitere Erkundigungen einzuziehen, und dann zu überlegen, was zu thun sei.

Zaklika erhielt das Gehörte im vollsten Umfange bestätigt; er unterrichtete sich bald darauf im Marktflecken Stolpen selbst über alle Einzelheiten. Dieses letzte Vorkommniß im Schlosse bildete lange Zeit den Gesprächsstoff der ganzen Umgegend.

Ein ganzes Jahr lang hatte Helm emsig gearbeitet und nach und nach eine Oeffnung durch die Mauer gebrochen, und zwar an jener Seite des Schlosses, wo der Felsen, auf dem es stand, ziemlich steil abfiel, weshalb hier keine Wache stand. Da Helm jeden Stein in dem felsigen Unterbau des Schlosses genau kannte, so bildete die Schwierigkeit des Abstieges an jener Stelle für ihn kein ernstliches Hinderniß. Die Oeffnung hatte er durch geschickt übereinander geschichtete Steine wieder genau verschlossen und unkenntlich gemacht.

An dem Tage, da die Flucht unternommen wurde, schien alles nach Wunsch zu gehen; die Wachen waren fast ausnahmslos betrunken, der Commandant nach der Stadt geritten. Die Nacht war stockfinster und regnerisch – ein weiterer Grund, um an dem Gelingen des Unternehmens keinen Zweifel mehr aufkommen zu lassen. Der Gräfin, welche in Männerkleidern steckte, glückte es, ohne bemerkt zu werden, ihren Thurm zu verlassen und bis in den dritten Hof zu gelangen, wo Helm sie erwartete, da hier die für die Flucht vorbereitete Oeffnung sich befand. Alles ging vortrefflich; die Gräfin passirte anstandslos die Mauerlücke, hinter ihr Helm. Ungeachtet der großen Schwierigkeiten, welche es bot, an den Basaltpfeilern entlang sich einen Weg zu suchen, gelang auch dies den beiden Flüchtlingen, und sie waren schon am Fuße des Schlosses angelangt, hatten nur mehr wenige Schritte bis zur Straße zurückzulegen, wo Pferde für sie bereit standen ... als plötzlich oben im Schlosse Alarm ertönte. Eine Dienerin der Gräfin war nämlich zufällig in ihr Schlafzimmer getreten, hatte dasselbe leer gefunden, vergebens nach ihrer Herrin gesucht und Lärm gemacht. Im nächsten Augenblick war alles auf den Beinen; es dauerte natürlich nicht lange, bis man das Loch in der Mauer bemerkte, und sogleich machten sich die Soldaten daran, die Spur der Flüchtigen zu verfolgen. Der Mann, welcher auf der Straße die Flüchtigen mit Pferden erwarten sollte, war, als er im Schlosse Lärm schlagen hörte, von großer Angst befallen worden und hatte in größter Eile sich davongemacht.

Gräfin Cosel und Lieutenant Helm wußten, als sie den letzteren Umstand entdeckten, momentan nicht, wohin sie sich wenden sollten; sie liefen rasch den Feldern zu und verbargen sich dort in einem Gestrüppe, in der Hoffnung, daß man sie hier nicht entdecken werde. Der Commandant aber, der zur selben Zeit nach Stolpen zurückgekehrt war, und welcher wohl wußte, daß es ihm den Kopf kosten könne, wenn es der Gräfin gelang, zu entwischen, ließ Fackeln anzünden und sämmtliche Bewohner des Fleckens aufbieten; es wurde ein förmliches Treibjagen organisirt, Reiter durchstreiften die Gegend nach allen Richtungen und ehe der Morgen anbrach, waren die Flüchtlinge entdeckt worden. Sowohl Helm als die Gräfin hatten Pistolen bei sich und vertheidigten sich, wobei ein Soldat verwundet wurde, allein auf die Schüsse liefen mehrere Kameraden desselben herbei und ungeachtet alles Widerstandes wurden die Beiden überwältigt und festgenommen.

Wie einst Heinrich Wehlen wurde auch Lieutenant Helm vor ein Kriegsgericht gestellt. Letzterer hatte einflußreiche Verwandte und Freunde bei Hof, welche sich bei der in großer königlicher Gunst stehenden Gräfin Orselska für ihn verwendeten, damit diese beim König seine Begnadigung erwirke – allein vergebens.

Zum Tode durch Erschießen verurtheilt, wurde Helm nach Dresden geführt, wo die Todesurtheile in der Regel auf dem Neuen Platze in Anwesenheit des Gardecorps vollstreckt wurden. Dieser Platz war durch die blutigen Schauspiele, welche er schon gesehen, zu einiger Berühmtheit gelangt; es fehlte bei den letzteren nie an Zuschauern, ja, selbst nicht an Neugierigen aus den besseren Ständen, die sich an den Qualen derjenigen weiden wollten, welche hier gerädert, geköpft, gehängt, erschossen wurden. Diesmal war es zwar nur ein junger Lieutenant, welcher füsilirt werden sollte, allein die Umstände der That, für die er büßen mußte, machten ihn zum Helden des Tages. Allenthalben erzählte man sich, daß der junge Mann, wahnsinnig in die Gräfin Cosel verliebt, sie aus Stolpen entführt habe, dabei aber ertappt worden sei, und daß er nun, in Eisen geschlagen, muthvoll dem Tode entgegengehe, eine Bandschleife, die er von der Angebeteten erhalten, unaufhörlich mit seinen Küssen bedeckend.

Eines Nachmittags also ertönte Trommelwirbel auf diesem Platze und bald darauf sah man den Lieutenant Helm inmitten eines Detachements Soldaten festen Schrittes einhermarschiren. Aller Augen waren natürlich auf den hübschen jungen Mann gerichtet. Auf der Seite des Platzes nach dem Schlosse zu konnte man mitten zwischen dem Meer von Köpfen auch eine Menge geputzter und hübscher junger Damen erblicken. An den äußersten Enden des Platzes hatten sich Wagen mit reich livrirten Kutschern aufgestellt, deren Insassen ebenfalls Zeugen dieses aufregenden Schauspieles sein wollten.

Helm hat gebeten, ihm die Augen nicht zu verbinden, und trat fest und ohne Zagen an die ihm bezeichnete Stelle vor einer Mauer, wo er sein Leben aushauchen sollte. Schon hatte das hierzu commandirte Peloton geladen, das Opfer harrte der tödtlichen Kugeln, eben wollte der mit der Ausführung des Urtheiles beauftragte Officier sein verhängnißvolles »Feuer« commandiren – als man vom Schlosse einen Adjutanten des Königs dahersprengen sah, welcher im letzten Augenblicke noch Pardon für den Verurtheilten brachte.

Es hieße den Charakter der zu solch grausamen Schauspielen sich versammelten Menge vollständig verkennen, wenn man glauben wollte, daß dieser Gnadenact allgemeine Befriedigung hervorgerufen habe. Viele der Zuschauer sahen sich bitter enttäuscht, denn sie waren gekommen, um eine blutige Scene mitanzusehen und dann davon erzählen zu können und nun sollten sie wieder nach Hause gehen, ohne ihre Schaulust befriedigt zu haben! ...

Der Begnadigte wurde in die Kaserne zurückgeführt, die Wagen rollten davon und die Menge verlief sich langsam ...

Im Schlosse Stolpen hatte sich, abgesehen von einigen neuen Maßregeln behufs strengerer Ueberwachung der Gefangenen, nichts geändert. Ein neuer Commandant und andere Soldaten ersetzten ihre Vorgänger, man besserte einige Mauern aus, ließ aber sonst die Gräfin ungestört. Litt ja doch die arme Frau schon genug bei dem Gedanken, daß dieser zweite mißglückte Fluchtversuch abermals einen jungen Mann das Leben gekostet hatte, denn sie erfuhr erst lange nachher, daß Helm begnadigt worden sei.

Zaklika vermied es, nachdem er zurückgekehrt war, einige Zeit hindurch sich öffentlich zu zeigen, um keinen Verdacht zu erwecken. Er begriff, daß jetzt wieder an ihn die Reihe kam, zu handeln. Durch die Versuche seiner beiden unglücklichen Vorgänger gewitzigt und überhaupt vorsichtiger in derartigen Unternehmungen, wollte er nichts beginnen, bevor er sicher war, daß sein Plan in allen seinen Details durchführbar sei und die Flucht gelingen müsse. Das Schicksal Wehlen's und Helm's vermochte ihn nicht zu entmuthigen oder abzuschrecken.

Während seines Aufenthaltes in Stolpen hatte Raimund Gelegenheit gehabt, jeden Winkel des alten Schlosses genau zu erforschen, und niemand kannte vielleicht so wie er dessen verborgenste Ecken ... Er war noch unschlüssig darüber, ob es nicht am besten wäre, wenn er seine Charge quittirte und sich in dem Marktflecken Stolpen niederließe, um so der Gräfin stets nahe zu sein und nach und nach die Flucht vorbereiten und rasch eine sich etwa darbietende Gelegenheit ergreifen zu können. Unterdessen waren wieder einige Monate verstrichen.

Unter den Soldaten der Besatzung von Stolpen hatte Zaklika noch einige alte Bekannte, darunter auch einen ausgezeichneten Kameraden, Namens von Kaschau, einen sonst liebenswürdigen, aber dem Trunke etwas ergebenen Officier. Sie plauderten früher öfter zusammen von Polen, denn Kaschau war mehrmals dort gewesen und sprach auch etwas Polnisch. Unter dem Vorwand ihn zu besuchen, begab sich Raimund eines Tages nach Stolpen und fragte nach seinem Kameraden. Dieser, der sich in dem alten Schlosse zum Sterben langweilte, hatte Zaklika kaum erblickt, als er ihm um den Hals fiel und ihn vor Freude fast erdrückte. Er führte ihn zum Commandanten, um von diesem für seinen Freund die Erlaubniß zu längerem Verweilen zu erwirken.

Der Commandant, welcher kränklich war und sich fast immer in seinen Dienstesobliegenheiten von Kaschau vertreten ließ, nahm keinen Anstand, die verlangte Erlaubniß zu gewähren, und Zaklika folgte nun seinem Freunde in dessen Behausung, wo sie über dies und jenes zu plaudern begannen, nachdem Kaschau einen Krug Bier hatte herbeibringen lassen. Selbstverständlich dauerte es nicht lange, so kam man auf die Gefangenschaft der Gräfin Cosel zu sprechen.

»Es kommt mir allerdings nicht zu, mich zum Richter der Handlungen Anderer aufzuwerfen,« meinte von Kaschau, »am allerwenigsten aber über das, was unser geliebter Herrscher zu thun für gut findet, ein Urtheil zu fällen; aber trotz alledem muß ich sagen, daß ich diese Strenge gegen eine Frau und nun gar obendrein diese Furcht vor ihr nicht begreife ... Was könnte sie denn noch Böses beginnen? ... Höchstens, daß sich irgend einer in sie verliebt und darob den Kopf verliert, wie der arme Helm – und das ist nicht zu verwundern, denn sie ist noch immer sehr schön. Also kann auch das nicht gerade ein Verbrechen sein!«

»Ah, wenn Ihr diese Frau so wie ich im Vollbesitze ihrer Macht und ihres Glanzes gesehen hättet,« erwiderte Zaklika, »so würdet Ihr wohl begreifen, wie gefährlich sie für die Ruhe des Königs ist ... Glaubt Ihr denn, daß er sich vor ihren Pistolen fürchtet? Nein, nein, er fürchtet ihre Augen und die Macht, welche sie ehedem über ihn ausübte, denn er weiß sehr wohl, daß, wenn er sie wieder sähe und auch nur eine Stunde lang mit ihr spräche, er ihr zu Füßen fallen und sie um Verzeihung bitten würde.«

»Das mag vielleicht seine Richtigkeit haben, aber dann müßte das ja auch bei Fräulein Dieskau oder bei der Osterhausen der Fall sein ... Uebrigens hat das Alter den König, unter uns gesagt, fast gar nicht verändert – er ist noch immer der alte flatterhafte Verehrer des schönen Geschlechtes!«

»Ich möchte Gräfin Cosel wieder einmal sehen,« sagte Zaklika, »ich wäre sehr neugierig darauf, ob sie sich bedeutend geändert hat. Arme Frau!«

»Wer hindert Euch daran?« meinte von Kaschau. »Am hellen Tage werdet Ihr die Gräfin ja wohl nicht entführen! ... Geht ohneweiters zu ihr und Ihr werdet sehen, daß Euere frühere Göttin nichts von ihren Reizen und von ihrer Anziehungskraft eingebüßt hat, trotz all des Unglückes, welches über sie hereingebrochen ist, trotz der Leiden, welche sie durchgemacht hat.«

Zaklika beeilte sich, von der Erlaubniß Gebrauch zu machen und ging nach dem Johannesthurm.

Die Wohnung der Gräfin lag im zweiten Stock. Er klopfte sachte an die Thür, und da keine Antwort erfolgte, öffnete er und trat ein. Der Anblick, welcher sich ihm darbot, war so merkwürdig, daß er seinen Augen gar nicht trauen wollte.

In der Mitte des kleinen Raumes stand ein ganz mit Büchern und Papieren bedeckter Tisch, an welchem die Gräfin saß, mit der einen Hand den Kopf stützend und einen Finger der anderen Hand auf die Lippe gelegt, sinnend über eine große Bibel geneigt. Sie war sonderbar gekleidet, so daß Raimund einen Augenblick befürchtete, sie habe den Verstand verloren. Sie trug eine faltenreiche Robe von schwarzem Stoff mit weiten Aermeln, um die Taille mit einem mit vielen kabbalistischen Zeichen verzierten Gürtel zusammengehalten. Um den Kopf hatte sie nach orientalischer Art ein Tuch geschlungen, das durch ein breites, mit hebräischen Schriftzeichen bedecktes Stirnband zusammengehalten wurde.

Sie war in der That schön in dieser phantastischen Tracht, allein sie glich so gar nicht mehr jener Gräfin Cosel, welche einst, von Geschmeide und Diamanten strotzend, am Dresdener Hofe dem König von Dänemark die Honneurs gemacht hatte. Ihre Züge waren etwas strenger und härter geworden; die ein wenig gefurchte Stirne, der kleine Mund mit den aufeinander gepreßten Lippen gaben ihr ein überaus ernstes, feierliches Aussehen.

Zaklika, der eine Weile auf der Schwelle stehen geblieben war, trat einen Schritt vor, allein, obgleich die Gräfin das Geräusch gehört haben mußte, rührte sie sich nicht und erhob die Augen nicht von ihrem Buche. Nach einer Weile indessen wendete sie den Blick wie zufällig nach der Thür und schien höchlichst überrascht zu sein, den treuen Polen vor sich zu sehen.

»Bist Du es, Zaklika, oder ist es Dein Geist?« fragte sie.

»Ihr treuer Diener, Gräfin, harrt Euerer Befehle!« antwortete Raimund leise.

»Also giebt es doch noch treue Menschen, und selbst ich, die Gefangene, habe noch über einen solchen zu gebieten?«

»Ueber mich, so lange ich leben werde!« entgegnete der Pole.

»Wie war es Dir denn möglich, bis zu mir zu gelangen? Man läßt doch sonst niemanden hier herein!«

Zaklika deutete auf seine Uniform. »Nach Wehlen und Helm,« sagte er dann, »ist nun die Reihe an mich gekommen. Ich werde mich bemühen, die Sache klüger anzufassen und vielleicht werde ich glücklicher sein als jene!«

Mit schmerzlichem Lächeln und auf die vor ihr liegende Bibel deutend, antwortete die Gräfin: »Nein, nein, das glaube ich nicht. Unsere Schicksale sind insgesammt in diesem heiligen Buche vorgezeichnet und niemand ist im Stande, etwas daran zu ändern.«

»Und warum sollte es nicht geschrieben stehen, daß ich Euch retten werde?«

»Weil ich auf eine ganz andere Weise befreit werden muß,« sagte sie kopfschüttelnd ... »O, auch ich war früher mit sehenden Augen blind und unwissend – heute sehe ich das mir bestimmte Los voraus, heute vermag ich im Buche der Zukunft zu lesen ... Es giebt keine Anhänglichkeit, keine Dankbarkeit auf dieser Erde, die Nothwendigkeit, die eiserne, unerbittliche, unerschütterliche Nothwendigkeit allein regiert die Welt und man muß sich ihren Gesetzen unterwerfen, sie studiren und kennen zu lernen suchen. Alle Weisheit ist im alten Testamente enthalten, man muß sie nur herauszufinden verstehen.«

Die ganz unerwartete Wendung, welche die Gräfin dem Gespräche gegeben, machte Zaklika verstummen; er wußte nicht, was er auf diese Worte erwidern solle.

»Wirst Du hier bleiben?« fragte sie wieder.

»Das weiß ich noch nicht, Madame, das hängt von Euch ab. Ich erwarte diesbezüglich Euere Befehle.«

Die Gräfin wandte sich wieder ihrer Bibel zu und blätterte hastig darin.

»Man muß das Orakel befragen,« sagte sie. »Warte ein wenig!«

Nun schloß sie das Buch, erhob die Augen gegen Himmel und murmelte etwas wie ein Gebet vor sich hin; dann öffnete sie die Bibel rasch wieder, blickte nach der rechten Seite oben und begann zu lesen:

»Und Josua sprach zu ihnen: Fürchtet Euch nicht und erschrecket nicht; seid getrost und unverzagt, denn also wird der Herr allen Eueren Feinden thun, wider die Ihr streitet.«

Nun versank sie in tiefes Nachdenken.

»Ja, ja, ich verstehe,« sagte sie nach einer Weile. »Mit Dir werde ich stark sein, allein man darf jetzt noch nichts unternehmen und muß warten, bis die Stimme Gottes selbst uns ruft und den richtigen Augenblick bezeichnet ... Wie willst Du es anfangen, um hier bleiben zu können?«

Zaklika war durch die Scene mit dem biblischen Orakel ganz verwirrt geworden und stand nun sprachlos da.

Erst nach geraumer Weile vermochte er den Sinn der an ihn gestellten Frage zu erfassen und antwortete: »Auf diese oder jene Art werde ich es schon einzurichten wissen, daß mir dies möglich wird. Ich will trachten, daß man mich hier oder noch besser in dem Orte Stolpen beläßt. Hier wird mich niemand vertreiben. Allein die andere Frage ist die: Soll ich Soldat bleiben oder den Dienst quittiren?«

»Wirf sie weit von Dir, diese entehrende Livrée, dieses Sklavenkleid der Amalekiter!« antwortete die Gräfin lebhaft. »Sie sind lauter Ungläubige, Heiden und Götzendiener, welche Sonne und Sterne anbeten!«

Da war sie schon wieder auf dem Gebiete, auf welches Raimund ihr nicht zu folgen vermochte.

»Ich werde nicht viel Zeit brauchen,« sagte er, »um mich frei zu machen, meine Charge zu verkaufen, das, was ich besitze, zusammenzuraffen und mich in Stolpen niederzulassen. Den Vorwand dazu habe ich in Kaschau, einem guten Freunde von mir, welcher hier in Garnison liegt – das wird genügen.«

»Kaschau ist, wie sie Alle, ein Sklave, ein Diener der Ungerechtigkeit, ein Henkersknecht!« rief Gräfin Cosel heftig, klappte ihre Bibel zu und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab.

»Kehre hierher zurück,« sagte sie dann, »und mache Dir weiter über mein Schicksal keine Sorgen. Ich weiß, daß ich nicht gegen meine Bestimmung ankämpfen, noch Dich in solch wahnsinnigen Kampf hineinziehen darf; allein Du bleibst doch der einzige Mensch, welcher mir treu geblieben ist. Entweder zur Sühne für Dich oder zu Deinem zukünftigen Heil hat der Herr Deine Geschicke mit den meinigen verflochten. Du mußt jetzt mit mir leiden, allein, wenn der Tag des Triumphes gekommen ist, wirst Du mit mir sein und vor allem Ruhm und Ehre davon haben!«

Zaklika sah ein, daß es schwer war, mit der Gräfin in dem Geisteszustande, in dem sie sich eben befand, ein vernünftiges Gespräch zu führen. Er verabschiedete sich also von ihr, indem er wiederzukommen versprach, und ging beklommenen Herzens von dannen.

Im Hofe, nächst dem hier befindlichen Brunnen, wartete Kaschau auf ihn.

»Wovon habt Ihr denn miteinander gesprochen?« fragte er neugierig.

»Ich bin bei der Thür stehen geblieben und habe vergeblich darauf gewartet, daß sie mir einige Aufmerksamkeit schenke. Es ist ja ganz unmöglich, mit ihr zu sprechen. Sie las eifrig in einer Bibel und war, wie es schien, so in ihre Lectüre vertieft, daß sie die ganze Zeit über mich keines Blickes würdigte. Ich werde eben mein Glück ein andermal probiren müssen.«

»Ich bezweifle aber sehr, daß Ihr dann mehr Erfolg haben werdet als heute,« sagte Kaschau kopfschüttelnd. »Sie sucht und findet jetzt nur mehr Trost in ihrer Bibel – übrigens um so besser für sie! ... Aber wie habt Ihr sie denn sonst gefunden? Hat sie sich gegen früher sehr verändert?«

»Gewiß,« antwortete Zaklika, »wie könnte dem anders sein! Die freie, mächtige Cosel war allerdings eine ganz Andere als die gefangene Cosel. Im Uebrigen hat sie sich noch immer ihre majestätische, Achtung und Ehrfurcht einflößende Haltung bewahrt.«

Zaklika spazierte nun mit seinem Freunde in den Höfen und Gängen des Schlosses umher bis zum Abend, von dem und jenem plaudernd, und verließ das Schloß erst, als man sich anschickte, die Thore zu schließen, nachdem er Kaschau das Versprechen gegeben hatte, am anderen Tage wieder zu kommen. Er kehrte dann in seine Herberge am Platze in Stolpen zurück.

Kaum waren am nächsten Morgen die Thore geöffnet, ging er wieder nach dem Schlosse, wo Kaschau ihn zum Frühstück erwartete.

Als er einen der Höfe passirte, gewahrte er die Gräfin, welche in ihrem Gärtchen stand. Sie machte ihm ein Zeichen, näher zu kommen. Sie war heute wieder einfach wie gewöhnlich gekleidet, auch der prophetische Ton, den sie Tags zuvor in ihre Worte gelegt, war verschwunden und ein freundlicher Zug lag über ihr Gesicht gebreitet.

»Sieh' her,« sagte sie, auf ihre Blumen deutend, »das hier sind meine Adoptivkinder. Meine wirklichen Kinder hat man mir ja geraubt! ... Welche Grausamkeit liegt darin, einer Mutter ihre Kinder wegzunehmen! In den langen, qualvollen Stunden meiner Gefangenschaft ist es mein einziger Gedanke, mein sehnlichster Wunsch, sie zu sehen. Sie werden jetzt herangewachsen sein und wenn man mir sie heute zuführte, so würde ich sie ohne Zweifel nicht wiedererkennen. Ich habe gebeten, gefleht, daß man sie mich, wenn auch nur auf Augenblicke, sehen lasse ... Aber ach, es sind ja die Kinder des Königs und nicht die meinen! Man hat mir geantwortet, daß ich dieselben niemals wiedersehen und daß sie niemals ihre Mutter kennen lernen werden! Ach, nie mehr werden meine Augen diese drei theueren kleinen Geschöpfe erblicken, nie mehr werden meine Arme sie liebend umfangen! Kannst Du ermessen, Raimund, wie sehr mein Herz darunter leidet? ... Wenn der Allmächtige sie wieder zu sich genommen hätte, so wüßte ich, wo ich sie zu suchen hätte – sie wären im Schoße des himmlischen Vaters geborgen; ihr irdischer Vater aber, mein Todfeind, trennt sie von mir! ... Der liebe Gott hat mir diese Blumen gegeben – sie lächeln mich nun an Stelle meiner Kinder an. O, wenn ich nur jedem von ihnen irgend etwas und wäre es auch bloß eine armselige Blume, schicken könnte! Sie würden sie aber mit Abscheu von sich werfen, denn sie werden sich vor ihrer Mutter fürchten ... Man wird ihnen gesagt haben, daß sie gestorben ... oder daß sie wahnsinnig geworden ... daß sie eine Tobsüchtige sei! ...«

Zaklika fühlte, wie ihm die Thränen in die Augen traten.

Es geschah sehr selten, daß die Cosel von ihren Kindern sprach, gleich als ob das Andenken an dieselben sie mit Entsetzen erfüllte ...

Nach dem eben gehörten Ausbruche ihrer im tiefsten Innern des Herzens gehegten Gefühle hielt sie bewegt inne. Nach einigen Augenblicken wendete sie sich wieder an Zaklika und sagte zu ihm: »Nun geh' und kehre wieder! Ich habe meine Bibel, sowie das Orakel der Ziffern befragt – sie sagten mir, Du sollst wiederkommen und hier Deine Zeit abwarten.«

Mit einem leichten Neigen des Kopfes und einer graziösen Handbewegung entließ sie Zaklika und entfernte sich mit dem ganzen Stolze einer Königin.

Der Pole verbrachte nun noch eine Stunde bei Kaschau und verabschiedete sich dann von ihm unter dem Vorwande, daß er zum Abend in Dienst zu treten habe.

Ohne sich über das, was ihn erwartete, die geringste Sorge zu machen, ritt er nun nach Oschatz zurück, wo sich sein Regiment befand und machte sich dort sogleich daran, einen Käufer für sein Officierspatent zu finden, was durchaus nicht schwierig war. Dann packte er alles, was er besaß, zusammen und an einem schönen Herbstmorgen finden wir ihn neuerdings auf dem Wege nach Stolpen.

In dem Marktflecken angekommen, stieg Zaklika in seiner gewöhnlichen Herberge ab und begann sofort Erkundigungen darüber einzuziehen, ob nicht in der Gegend oder im Orte selbst irgend ein kleines Haus mit einem Garten zu kaufen wäre.

Einen Monat später war der Pole Besitzer eines netten kleinen Häuschen geworden und in der Lage, seinen Freund Kaschau in seinem eigenen Heim zu empfangen.


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