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3.
Gefangene des Königs von Preußen

In einer der engen Straßen von Halle zog seit einiger Zeit eine ganz merkwürdige Erscheinung in den Fenstern des ersten Stockwerkes eines einfachen, ja sogar ziemlich ärmlich aussehenden Hauses die Aufmerksamkeit der neugierigen Kleinstädter auf sich.

Ganze Tage lang konnte man in der Umrahmung eines dieser Fenster eine junge Frau von engelgleicher Schönheit sehen, das Auge unverwandt auf einen Punkt gerichtet, unendliche Traurigkeit über die feinen Züge gelagert und in düsteres Brüten versunken. Die Haltung und der Gesichtsausdruck dieser Frau hatten etwas Majestätisches und unwillkürlich fühlten sich die Vorübergehenden von einer gewissen Ehrfurcht ergriffen. Niemand kannte sie; erst ganz kurze Zeit zeigte sich die in allen Herzen Mitleid und Verwunderung erregende Erscheinung; ein einziger Blick auf sie ließ errathen, daß man es hier mit einer von schwerem Unglück Gebeugten zu thun habe. Stundenlang konnte man sie beobachten; ganz in Träumerei versunken und unbeweglich wie eine Statue, schien sie gar keinen Antheil an dem zu nehmen, was außer ihr vorging, nie fiel ihr Blick in die Straße und haftete an dem Antlitz eines der Vorübergehenden. Sie war ganz und gar von ihren Gedanken über die Vergangenheit oder die Zukunft in Anspruch genommen. Nur manchmal, wenn sich Gruppen von Neugierigen vor dem Hause bildeten und deren Flüstern und Murmeln bis zu ihr drangen und sie in die Wirklichkeit zurückrief, fuhr sie erschreckt auf und floh vom Fenster weg.

Die Thüren des Hauses, das die interessante Fremde bewohnte, waren beständig geschlossen. Die Frau schien durchaus keine Verbindung mit der Außenwelt zu haben, denn sie empfing gar keine Besuche. Eine Dienerin holte ihr zu den Mahlzeiten die Speisen aus einem benachbarten Wirthshause. Nur manchmal sah man einen jungen, eleganten Cavalier an das Hausthor pochen; ihm wurde Einlaß gewährt; indessen war sein Besuch immer nur von kurzer Dauer und er erschien stets gar bald mit trauriger Miene wieder. Die zahlreichen Studenten der alten Universitätsstadt, deren Aufmerksamkeit natürlich die interessante Unbekannte sofort erregt hatte, hielten ihn für den Geliebten der schönen Frau; indessen hatte es nicht den Anschein, daß dem so sei.

Bald sprach ganz Halle fast von nichts Anderem als von der schönen Fremden. Vergeblich mühte man sich ab, das Räthsel zu lösen, das dahinter stecken mußte. Unschwer war zu erkennen, daß man es mit einer Dame der feinen Welt zu thun habe; die stolze Haltung, wenn sie trotzig sich vom Fenster zurückzog, ließ errathen, daß diese Frau daran gewöhnt war, sich den Blicken der Menge ausgesetzt zu sehen, obgleich sie jetzt mit majestätischer Würde sich denselben, die sie vielleicht ehedem gesucht hatte, entzog.

Vergebens gaben sich die Nachbarn alle Mühe, den Eigenthümer des Hauses und seine Frau auszuforschen, vergebens bot man den Dienern des Hauses Geld an, um irgend etwas über die Fremde zu erfahren. – Allen schien der Mund verschlossen zu sein. Die Befragten blickten verstohlen nach allen Seiten, zuckten die Achseln und antworteten, daß sie nichts weiter wüßten, als daß die Frau von weit hergekommen, keine Preußin und sehr krank sei. Außer den Neugierigen und Müßiggängern, welche zuweilen das Haus umstanden, sah man nicht selten auch wie zufällig Leute die Straße passiren, welche nicht schwer als Spione zu erkennen waren; bald war es ein Soldat, der, die Blicke nach den Fenstern der Fremden gerichtet, vor dem Hause mehrmals auf und ab ging; bald ein in Civil gekleidetes Individuum, dessen Gang und Haltung deutlich den Militär erkennen ließ. Abends traf von Zeit zu Zeit eine Gruppe Soldaten hier zusammen, welche oft stundenlang auf der anderen Seite der Straße bei einander stehen blieben.

Der Leser hat zweifellos längst errathen, daß die schöne Unbekannte, welcher all diese Aufmerksamkeiten galten, keine Andere war als die Gräfin Cosel. Aber wie hatte sich alles bei ihr geändert!

In Berlin konnte die Gräfin ungehindert gehen und kommen, wohin sie wollte; alle Wege standen ihr offen und bis in die letzte Zeit ihres dortigen Aufenthaltes war es ihr unbenommen, Berlin frei zu verlassen und sich zu wenden, wohin es ihr beliebte. In Halle war das ganz anders – hier war sie Gefangene. Zaklika, der ihr selbstverständlich auch hierher gefolgt war, hatte ihr am Morgen nach ihrer Ankunft mitgetheilt, daß alle Ausgänge des Hauses überwacht werden, und daß sie in dieser Stadt eine Gefangene sei. Raimund selbst konnte anstandslos aus- und eingehen; anders aber stand es mit seiner Herrin, welcher jede Freiheit benommen war. So hatte sie gleich Sonntags, als sie zur Kirche gehen wollte, die Bemerkung gemacht, daß man ihr auf Schritt und Tritt folge; nach dieser Wahrnehmung kehrte sie sofort um und ging nach Hause zurück.

Der Hausherr, sowie seine Frau begegneten ihr stets ehrerbietig und bezeigten ihr auf jede Weise ihre Achtung; sie konnte indes kein Vertrauen zu ihnen gewinnen. Das ganze Haus stand im Dienste der Preußischen Regierung und man konnte unschwer erkennen, daß alle Maßregeln getroffen waren, um sich der Person der Gräfin zu versichern und dieser jeden Weg zur Flucht abzuschneiden. Der Hausherr war von wenig einnehmendem Aeußern und sein Gesicht verrieth List und Verschlagenheit; seine sehr blaß aussehende Frau ging geräuschlos ab und zu und vermied sichtlich jede Gelegenheit zu längerer Conversation. Zaklika hatte anfangs versucht, sich den Beiden zu nähern und ein Gespräch mit ihnen anzuknüpfen, allein sie zogen sich so rasch und auffällig vor ihm zurück, als wäre er ein Pestkranker.

Drei Tage nach der Ankunft der Gräfin in Halle wurde ihr der Kammerherr van Tinen gemeldet. Sie konnte bei der Nennung dieses Namens eine Bewegung der Ungeduld und Abneigung nicht unterdrücken; trotzdem befahl sie, den Besuch vorzulassen.

Als der junge Cavalier eintrat, schien er sichtlich verwirrt zu sein, als ob er nicht wüßte, was er sagen solle. Er sah übrigens sehr bleich und niedergeschlagen aus.

Die Gräfin empfing ihn mit den Worten: »Wollt Ihr mir gefälligst mittheilen, mein Herr, worin Euer Auftrag an mich diesmal besteht; denn ich setze voraus, daß es nicht Mitleid für mich ist, was Euch hierher geführt hat, sondern vielmehr ein Befehl Eueres Königs.«

»Da irret Ihr doch ein wenig, Frau Gräfin,« antwortete van Tinen; »sowohl das Eine wie das Andere führt mich zu Euch ... So peinlich nun aber auch der Auftrag ist, mit dem man mich betraute, habe ich es doch für besser gehalten, daß ich der Ueberbringer desselben sei, statt irgend ein Anderer, der vielleicht die Rücksichten, die man Euerem Unglück schuldet, außer Acht gelassen hätte.«

»O, ich bitte sehr, nehmet durchaus keine Rücksicht auf mich,« erwiderte die Gräfin; »sprecht unverhohlen. Ich bin zwar sehr leidend, aber ich werde all meinen Muth zusammenraffen, um die neue Botschaft zu hören. Ich bin ja ohnedies schon auf alles gefaßt und vorbereitet.«

»Ach, gnädige Gräfin,« sagte der Kammerherr, »wenn Ihr nur in einem Punkte nachgeben wolltet ... Mit ein wenig Entgegenkommen und Geduld dürfte sich ja noch alles zum Besten wenden, und wer weiß, wie sich Euer Schicksal noch gestalten könnte!«

»Was wollt Ihr eigentlich von mir?« fragte Anna kurz.

Mit einem Seufzer erwiderte van Tinen: »Man hat mich mit einem ganz bestimmten Befehl zu Euch geschickt, Madame; der König verlangt von Euch jenes Document, jenes Heiratsversprechen zurück, welches er Euch einst eingehändigt.«

»Und er glaubt wirklich, daß ich ihm dies zurückgeben werde – daß ich darein willigen könnte, auf meine Rechte als Gattin zu verzichten, um damit zu einer gemeinen Courtisane herabzusinken, welche man davonjagt, wenn es Einem gerade beliebt? ... Mein lieber Herr van Tinen,« fügte Gräfin Cosel in ruhigem, aber festem Tone hinzu, »wenn Ihr nur deshalb hierher gekommen seid, so könnt Ihr schon heute wieder nach Dresden zurückreisen, um Denjenigen, welche Euch hierher sendeten, als mein letztes Wort die Botschaft zu überbringen, daß Gräfin Cosel niemals – merket wohl auf – niemals ihre Ehre verkauft hat, noch je verkaufen wird!«

»Bedenket um des Himmels willen, Madame,« rief van Tinen bestürzt, »welchen Gefahren Ihr Euch durch Eueren Starrsinn aussetzet, während Ihr ja doch, wenn Ihr den Wünschen des Königs Euch fügen wolltet, Euere Freiheit, ja, alles, was Ihr verloren habt, wiedergewinnen könntet!«

»Auch August's Herz?« sagte die Gräfin kopfschüttelnd leise vor sich hin ... »O nein, ich kann kein Vertrauen mehr zu ihm fassen. In seiner mit Gold und Edelsteinen bedeckten Brust wohnt kein menschliches Gefühl! ... Nichts kann ich wiedergewinnen, denn ich habe das verloren, was mir das Theuerste war auf dieser Welt. Nein – ich kann weder an ihn, noch an die Menschen überhaupt mehr glauben!«

Sie wiederholte van Tinen neuerdings, was sie auch anderen Abgesandten des Königs schon gesagt hatte – sie lehnte jede Concession rundweg ab. Aber der junge Cavalier gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden; zwei Stunden lang versuchte er mit allen möglichen Vernunftgründen die Gräfin umzustimmen, und als er sah, daß all seine Beredtsamkeit über diesen unbeugsamen Geist nichts vermochte, verzögerte er aus Mitleid für sie seine Abreise von Halle noch um mehrere Tage, um ihr Zeit zur Ueberlegung zu gönnen.

Jeden Tag erneuerte er seine Bemühungen, um ihren Widerstand zu besiegen – alles vergeblich; auf sein inständiges Bitten und Flehen hatte die Gräfin nur die eine Antwort: »Ich werde dieses Document nicht herausgeben, denn auf demselben beruht meine Ehre und die meiner Kinder, welche man mir entrissen hat! Und wenn man mich tödten wollte, würde man es nicht von mir erhalten!«

Noch während sich van Tinen in Halle aufhielt, rief die Gräfin eines Tages Zaklika zu sich. Der arme Teufel hatte sich seit einiger Zeit gewaltig verändert; er war nur mehr ein Schatten seiner selbst. Zum Skelet abgemagert, bleich und das Gesicht voll Falten, konnte man ihn nur mit einem aus Mitleid und Entsetzen gemischten Gefühle betrachten; man sah es dem Manne an, daß er unter einem mit Gewalt zurückgedämmten Schmerze leide.

Man wagte im Hause der Gräfin kaum laut zu sprechen, denn man konnte darauf rechnen, daß hinter jeder längeren Unterredung ein Complot gesucht und die strenge und lästige Ueberwachung noch verschärft werde. Zaklika ging daher nur unter allerlei Vorwänden ab und zu, und während er anscheinend emsig damit beschäftigt war, die Rechnungen der gräflichen Haushaltung zu ordnen, entspann sich zwischen ihm und seiner Gebieterin folgendes, in abgerissenen Sätzen geführte Gespräch:

»Ich bin hier eine Gefangene,« begann die Gräfin.

»Wir werden von allen Seiten streng bewacht,« antwortete der Pole.

»Mißtraut man auch Dir?«

»Bis jetzt nicht.«

»Du mußt mich verlassen, um vollkommen frei zu sein.«

Zaklika sah erschreckt auf; er begann förmlich zu zittern.

»Ich soll Euch verlassen?« stieß er endlich hervor. »Was soll dann aus mir werden? Was soll ich mit mir anfangen? Welchen Werth sollte das Leben noch für mich haben, wenn ich es nicht für Euch opfern könnte? ... Es bliebe mir nichts übrig, als mich zu tödten!«

»Meine Gefangenschaft beginnt jetzt erst,« sagte die Gräfin weiter, »Du mußt Deine Freiheit wieder gewinnen – dann kannst Du mich vielleicht retten.«

Nach kurzem Nachdenken erwiderte Raimund entschlossen: »Gut, wenn es sein muß, werde ich gehorchen.«

»Du wirst stets in Kenntniß darüber zu bleiben suchen, wo ich mich befinde, wirst alles thun, was in Deinen Kräften steht, um mich zu befreien. Der Banquier hat noch einige tausend Thaler für mich in Händen; ich werde Dir ein paar Zeilen an ihn mitgeben, denn Du mußt unbedingt über Geld verfügen können.«

»Aber, Madame ...« stotterte Zaklika.

»Nicht für Dich, sondern für mich wirst Du das Geld nöthig haben,« unterbrach ihn seine Herrin, indem sie einen langen Blick auf den armen Raimund warf, der mit einem Kopfnicken zustimmte.

»Vor allem,« fuhr die Gräfin fort, »mußt Du sehen, daß Du unangefochten von hier fortkommst; vielleicht werden sie Dich nicht ziehen lassen, wie? Du mußt ihnen auf glaubhafte Weise beibringen, daß es Dir bei mir nicht mehr passe und daß Du daher meine Dienste verlassen wollest ... Im Uebrigen handle, wie Du es für gut findest ... Du trägst meinen theuersten: meinen einzigen Schatz auf Deiner Brust, Zaklika – die Ehre der Gräfin Cosel. Ich habe Dir dieses Kleinod anvertraut, bewahre es getreulich! ... Auf Dich allein setze ich noch Vertrauen,« fügte sie hinzu, indem sie ihm die Hand reichte, »und Du wirst mich hoffentlich nicht verrathen!«

»Ich,« rief Zaklika in tiefster Erregung, »ich Euch verrathen? ...«

Ein wildes Feuer strahlte bei diesen Worten aus seinen Augen, so daß die Gräfin unwillkürlich betroffen einen Schritt zurücktrat.

Raimund ließ den Kopf auf die Brust sinken und sagte mit dumpfer Stimme: »Ich könnte wohl für Euch sterben, aber Euch verrathen ... niemals!«

»Gut, also verlasse mich jetzt,« sagte die Gräfin, »denn wenn Du für mich handeln sollst, mußt Du frei sein und vollkommen unverdächtig erscheinen.«

Es war Zeit, das Gespräch abzubrechen, wollte man nicht Verdacht erregen. Raimund ging und kam erst am nächsten Tage wieder in Begleitung eines jungen Mannes, den er als seinen Nachfolger im Dienste der Gräfin engagirt hatte. Er bedankte sich bei seiner Herrin und stellte ihr seinen Ersatzmann vor.

Gräfin Cosel, die wohl wußte, daß der Hauswirth mit seiner Frau an der Thür horche, that, als wäre sie hierüber im höchsten Grade aufgebracht und wollte nichts von einer sofortigen Entlassung wissen. Die Liebe, welche Zaklika für die Gräfin hegte, lehrte ihn, auf Mittel zu verfallen, die ihm sonst sehr ferne lagen, ließ ihn zur Verstellung und List greifen. Er ging sofort zum Stadtmagistrat und verlangte Schutz und Hilfe in seinem Streit mit der Gräfin, deren Dienste er verlassen wolle; er berief sich dabei auch auf seine Eigenschaft als polnischer Edelmann. Als solcher könne er niemandem ein Recht einräumen, ihn wider seinen Willen zurückzuhalten.

Der preußische Beamte lachte spöttisch über diese Begründung, denn er wußte gar wohl, wie wenig Umstände man in Preußen mit der Unverletzlichkeit dieses polnischen Adels machte, den man ohneweiters in die preußischen Regimenter steckte, um ihn vorkommendenfalls in der ersten Linie zu verwenden. Er heftete forschend seine kleinen Augen auf Zaklika, doch schien ihm das schlechte Aussehen unseres Helden nicht dafür zu sprechen, daß man ihn die preußische Muskete tragen lassen solle, wobei vielleicht auch die Erwägung maßgebend sein mochte, daß man dem preußischen Staate nicht die Kosten aufhalsen dürfe, ein so abgemagertes Individuum wieder herauszufüttern.

Man säumte also nicht, den Wünschen des Polen zu entsprechen und ihm seine volle Freiheit zu geben. Zaklika ging nun auf den Markt, kaufte sich da ein Pferd und begab sich dann zur Gräfin, um sich definitiv von ihr zu verabschieden. Da man wußte, daß er gegen den Willen seiner Herrin diese verließ, gab sich niemand die Mühe, bei dieser Verabschiedung zu spioniren.

»Von hier wirst Du Dich nach Dresden begeben,« sagte die Gräfin zu Zaklika, »und dort so laut als möglich Jedem, der es hören will, erzählen, daß Du mich verlassen hast. Dann wartest Du ruhig die Ereignisse ab. Lehmann soll Dir Geld geben und Du wirst stets davon unterrichtet sein, was aus mir geworden ist. Wenn ich frei bin, kommst Du wieder zu mir – bin ich gefangen, so rettest Du mich! Wenn man Verdacht schöpft und Dich etwa festnehmen wollte, so denke an das Papier, das ich Dir anvertraut habe. Vernichte es im äußersten Falle, aber liefere es ihnen nicht aus. Bewahre es auf, so lange Dir noch ein Schimmer von Hoffnung bleibt; erst im letzten Moment lass' es verschwinden, ohne daß jemand etwas davon merkt – denn dieses Schriftstück soll als fortwährende Drohung über dem Haupte meiner Feinde schweben.«

Gräfin Cosel war so bewegt, daß sie nicht weiter zu sprechen vermochte; sie reichte dem treuen Zaklika ihre zitternde Hand, welche dieser, das Knie beugend, lange in der seinen hielt und mit Küssen und Thränen bedeckte. Endlich entzog sie ihm dieselbe, indem sie still vor sich hin sagte: »Es giebt doch noch Menschen, welche ein fühlendes Herz in der Brust tragen!«

Mit glühenden Wangen, ganz berauscht von dem Uebermaß seiner Empfindungen, erhob sich Zaklika und entfernte sich eiligen Schrittes.

Als van Tinen am nächsten Morgen zu der Gräfin kam, fand er sie viel ruhiger als gewöhnlich, ja selbst heiter. Er hoffte zuerst, daß sie nach einiger Ueberlegung zu dem Entschlusse gelangt sei, das Schriftstück, welches man von ihr verlangte, herauszugeben, aber er begriff gar bald, daß er der Veränderung in ihrem Benehmen eine falsche Deutung gab, denn als er sich verabschiedete, sagte die Gräfin:

»Ich bedauere Euch sehr, Herr van Tinen. Ihr werdet Euch diesmal den König nicht zu Dank verpflichten, Flemming wird Euch nicht um Eueren Erfolg beneiden können und auch mein sehr ehrenwerther Vetter, Herr von Löwendahl, wird über Euch nicht sehr erbaut sein. Ja selbst auf die paar tausend Thaler, welche Euch bei günstigem Ergebnisse Euerer Mission als Lohn für Euere Mühe nicht entgangen wären, werdet Ihr verzichten müssen. Ich bin in der That zu unverständig, zu eigensinnig, nicht wahr?«

»Also sind alle meine Bitten erfolglos geblieben?«

»Ganz und gar, mein lieber Herr van Tinen,« antwortete Gräfin Anna, indem sie einen Ring vom Finger zog. »Unglücklicher Bote der irdischen Götter, ich beklage Eueren Mißerfolg, aber ich will Euch wenigstens ein Zeichen meines Wohlwollens geben – nehmet diesen Ring; es ist ein Smaragd, dessen Leuchten mir einst in glücklicheren Zeiten Freude machte; heute hat er aufgehört, ein angenehmes Andenken für mich zu sein – im Gegentheile, er brennt auf meiner Hand wie eine schmerzhafte Wunde. Nehmet ihn von mir an, ich bitte Euch darum!«

Schweigend nahm der Cavalier den Ring entgegen. Nach einer kleinen Pause wollte er nochmals versuchen, sie umzustimmen, allein die Gräfin schnitt ihm das Wort ab.

»Ersparet Euch jede weitere Mühe, mein Herr,« sagte sie kalt. »Ich weiß ja im voraus Wort für Wort alle die Argumente, welche Ihr mir vorzuführen habt. Wozu soll das nützen? All Euer Reden wird meinen Entschluß nicht zu erschüttern vermögen. Genug davon! ... Möge mein Schicksal sich erfüllen!«

Vor seiner Abreise kam van Tinen nochmals, um der Gräfin seine Achtung zu bezeigen; indessen unternahm er keinen Versuch mehr, etwas von ihr zu erreichen.

»Ihr verursacht mir großen Kummer, werthe Gräfin,« sagte er beim Abschied. »Ich beklage es tief, daß es mir nicht möglich ist, das Los, das Euer wartet, von Euch abzuwenden ... allein ...«

»Ich weiß, daß ich von der Zukunft nichts Gutes zu erwarten habe,« unterbrach ihn Gräfin Cosel, »das alles kann mich aber in meinem Entschlusse nicht beirren. Niemals und niemandem werde ich das schriftliche Versprechen, welches ich vom König in Händen habe, ausliefern. Es stand ihm ja frei, es mir zu geben oder nicht! Eine arme Frau so zu betrügen, sein gegebenes königliches Wort nicht halten, sondern verleugnen zu wollen – das ist in der That so unwürdig gehandelt, daß ich selbst heute noch Anstand nehme, dies dem König zuzumuthen ... Nein, nur Flemming und Löwendahl, diese elenden Creaturen, sind es, welche diese Intrigue gesponnen haben, welche mir das letzte Zeugniß meiner Ehrenhaftigkeit rauben wollen, um es dem König zu Füßen zu legen und von ihm eine gute Belohnung in klingender Münze dafür in Empfang zu nehmen!«

Nach diesen leidenschaftlich gesprochenen Worten kehrte sie dem Kammerherrn den Rücken und verließ rasch das Zimmer.

Noch am selben Tage reiste van Tinen ab. Diese letzte Reise hatte einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen. Als er sich das erstemal in einer solchen Mission zu der Cosel begeben, hatte er sich der unangenehmen Aufgabe mit der Unempfindlichkeit und dem kalten Blute des Diplomaten entledigt; inzwischen hatten die Charakterfestigkeit, die stolze Würde und der Muth dieser Frau eine vollständige Umwandlung in seiner Meinung über sie zuwege gebracht. Er schämte sich vor sich selbst über die Rolle, die er da spielte, und sein Herz war erfüllt von Mitleid und Achtung für die Unglückliche. Mehr erbittert über Jene, die ihn geschickt, als von der hochmüthigen Art, in der ihn die Cosel verabschiedet hatte, verletzt, kehrte er nach Dresden zurück.

Nach seiner Ankunft in der sächsischen Residenz hatte van Tinen genügend Zeit, sich von seiner Reise auszuruhen. Man war bei Hofe eben mit den Vorbereitungen zu einem großartigen Feste beschäftigt, das am nächsten Tage in Morizburg stattfinden sollte. Da alle Welt mit anderen Dingen vollauf in Anspruch genommen war, kümmerte man sich nicht weiter um ihn und er selbst hatte nicht eben große Eile, über seinen Mißerfolg zu berichten.

Das Jagdschloß Morizburg war erst vor wenigen Jahren inmitten eines schönes Waldes in der Nähe von Dresden erbaut worden. Das kleine Schloß mit seinen schlanken Thürmchen, welche sich in dem klaren Wasser eines großen, von prächtigen Baumriesen umsäumten Teiches spiegelten, war ein reizender Aufenthalt. Es bildete lange Zeit das Rendezvous der feinen Gesellschaft und mit Vorliebe empfing hier August der Starke seine fremden Gäste ... Die ehemaligen Geliebten des Königs, die Teschen, Königsmark etc., begegneten sich hier nicht selten mit der Dönhoff und der Potzki.

Als Festplatz diente eine breite Böschung rings um den großen Teich, auf welcher sich eine kreisrunde Galerie erhob, die durch Guirlanden und Laubwände in Logen abgetheilt war. Auf dem Teiche sollte eine große Regatta mit venetianischen Gondeln und holländischen Barken stattfinden; außerdem wurde eine Treibjagd arrangirt, wobei das Wild in der Richtung gegen den Teich zusammengetrieben wurde, um hier unter den Streichen der Jäger zu verenden.

Der Zudrang zu diesem Feste war so groß, daß das Schloß mit seinen Nebengebäuden, die Zelte und die Wagen nicht hinreichten, um sämmtliche Gäste während der Nacht zu beherbergen; die meisten derselben übernachteten unter freiem Himmel, und da man vorher so manchen Becher geleert hatte, so war es nicht zu verwundern, wenn am anderen Morgen Dieser seine Perrücke, Jener seinen Degen suchte und da und dort auch ein kleiner niedlicher Schuh in dem Gehölze verloren gegangen war.

Van Tinen spazierte den ganzen Tag in dem schattigen Walde umher, ohne sich unter die Menge zu mischen, da er durchaus nicht in der Stimmung war, an dem allgemeinen Vergnügen theilzunehmen. Der König war im Gegentheile heute in der allerbesten Laune; er schien sichtlich Vergnügen zu finden an dem Treiben, das sich unter seinen Augen abspielte. Nie sah man ihn so zuvorkommend und so zärtlich gegenüber seinen abgedankten Maitressen als bei diesem Feste. Frau von Dönhoff verging fast vor Eifersucht, wenn er sich so angelegentlich mit der Teschen unterhielt oder wenn die Königsmark, am Arme des Königs an ihr vorüberkommend, mit stolzer Verachtung auf sie herabblickte.

König August war an diesem Tage ganz in seinem Elemente. Er gönnte sich keinen Augenblick Ruhe, ehe das von ihm selbst entworfene Programm bis in die letzten Details durchgeführt war. Dann erst setzte er sich mit seinen Intimen zur Tafel und nun folgte Toast auf Toast.

Beim Trinken lösten sich gar bald die Zungen der Tischgäste. Flemming, Vitzthum, Friesen und Andere ergingen sich in den gewagtesten Scherzen und selbst jene Damen wurden nicht verschont, welche August noch vor wenigen Minuten mit so großer Auszeichnung beehrt hatte. Die pikantesten Anekdoten, die scandalösesten Hof- und Stadtgeschichten wurden nacheinander aufgetischt.

Löwendahl hatte am anderen Ende der Tafel Platz genommen. Plötzlich sagte der König, sich gegen ihn wendend: »Mir scheint, ich habe heute auch diesen Hungerleider, diesen van Tinen hier herumstreichen gesehen.«

»Da habt Ihr Euch nicht getäuscht, Sire,« antwortete der Marschall, »er ist in der That von seiner Reise nach Halle zurückgekehrt.«

August erhob sich und Löwendahl folgte ihm in einen entfernten Winkel des Saales.

»Van Tinen hat Gräfin Cosel gesehen – was bringt er für Nachrichten von ihr?« fragte der König.

»Er kann nur wiederholen, was Alle von dieser Frau zu berichten wissen, die sie sehen. Niemandem kann ihr Schicksal näher gehen als mir – aber gegen eine solche Starrköpfigkeit giebt es bald kein Mittel mehr ...«

»Man muß Ihr im Austausch gegen das bewußte Document vollste Freiheit versprechen – überhaupt alles, was sie haben will!«

»Sie sagt, daß sie dasselbe um keinen Preis der Welt hergeben werde,« antwortete der Marschall kopfschüttelnd.

August runzelte finster die Stirne.

»Man sollte der Sache ein- für allemal ein Ende machen,« fuhr Löwendahl fort, »indessen ...«

»Ja, ja, man muß der Sache ein Ende machen!« wiederholte August. »Es muß an den König von Preußen geschrieben und die Auslieferung der Cosel verlangt werden; später werden wir dann sehen, was weiter zu machen ist ...«

»Und wo wünscht Ihr, königlicher Herr, daß man sie für den Moment unterbringe?«

Nach kurzem Nachdenken erwiderte der König: »Man kann sie ja in das Schloß Nossen führen; dort wird sie Zeit haben, sich die Sache zu überlegen und ihren Entschluß zu fassen. Ich kann nicht länger dulden, daß man mir in so verwegener Weise Trotz bietet! Uebrigens langweilt mich auch die Dönhoff Tag für Tag mit dieser Geschichte. Ich habe das nun satt und möchte für einige Zeit damit in Ruhe gelassen werden!«

Diese dem König in der Ungeduld und in einem Augenblicke, da er nur auf sein Vergnügen dachte und durch nichts gestört sein wollte, entschlüpften Worte wurden von den lauernden Feinden der Cosel sofort ausgegriffen und schon am nächsten Tage in Vollzug gesetzt.

In dem Briefe, welchen man an den König von Preußen abschickte, um die Auslieferung der Gräfin Cosel zu verlangen, wurden nicht bloß die kühnen und beleidigenden Aeußerungen, die sie über den König August gethan, sondern auch ein angebliches Complot gegen dessen Leben als Gründe für diese Forderung angeführt. Die Drohungen, welche die Gräfin nicht selten ganz öffentlich hatte fallen lassen, gaben dieser Anklage eine gewisse Berechtigung. Das Schreiben wurde sofort mit einem Courier abgesandt.

Der König von Preußen war keinen Augenblick unschlüssig, was er thun solle, als er den Brief erhielt. Er ließ den Oberst von Treuenfels vom Regiment des Prinzen von Anhalt-Dessau rufen.

»Herr Oberst,« sagte er zu diesem, »Ihr sollt Euch sofort nach Halle verfügen, wo Ihr die Gräfin Cosel aufsuchen werdet. Diese müßt Ihr mit guter Bedeckung und unter Euerer Verantwortlichkeit an die sächsische Grenze bringen; dort werdet Ihr die Gräfin einem sächsischen Officier übergeben, welcher Euch eine Empfangsbestätigung auszufolgen hat.«

Treuenfels war ein noch ziemlich junger Officier. So peinlich ihm diese Mission war, verlor er doch, an strenge militärische Disciplin gewöhnt, kein Wort darüber und machte sich auf die Reise nach Halle. Als er früh Morgens in dieser Stadt angelangt war, zögerte er durch sein Zartgefühl zurückgehalten, sofort den ihm gewordenen Befehl auszuführen. Er ging wiederholt an den Fenstern der Gräfin vorüber, um sich zu vergewissern, daß sie nicht etwa entschlüpft sei, und nachdem er sie gesehen hatte, fühlte er sich umsomehr gedrungen, sich seiner unangenehmen Aufgabe mit aller erdenklichen Rücksichtnahme zu entledigen. – Nach Tisch ließ er sich bei der Gräfin anmelden.

Obgleich diese nun längst auf ein solches Ereigniß vorbereitet war, erschrak sie doch nicht wenig, als sie einen Militär in ihr Zimmer treten sah; sie war leichenblaß geworden.

Nach einer respectvollen Begrüßung machte ihr Treuenfels die Mittheilung, daß er vom König von Preußen den Befehl erhalten habe, sie an die sächsische Grenze zu geleiten, wo sie den sächsischen Behörden ausgeliefert werden solle.

Wie vom Blitz getroffen, starrte die Gräfin ihn an. Sie war keines Wortes mächtig.

Endlich löste sich der Schreck in einen Thränenstrom auf. »Welche Ungerechtigkeit! Welche Barbarei!« rief sie wiederholt aus. Dies waren die einzigen Worte, welche sie sprach.

Sofort wurden die nöthigen Befehle gegeben, um einen Reisewagen herbeizuschaffen; man brachte die Effecten der Gräfin in demselben unter und dann stieg sie selbst halb bewußtlos und ohne irgend jemanden eines Blickes zu würdigen, geführt von dem Obersten, die Treppe herunter und ließ sich in den Wagen helfen. Weinend drückte sie ihr Gesicht in die Polster. Unmittelbar darauf setzte sich der Wagen, escortirt von einer Anzahl preußischer Cavalleristen mit dem Obersten Treuenfels an der Spitze, in Bewegung, und nun ging's förmlich im Galopp der Grenze zu.

Auf der ganzen Reise blieb die Gräfin still und unbeweglich; als aber der Wagen anhielt und sie, den Vorhang zurückschiebend, sächsische Uniformen erblickte, wurde sie von einem nervösen Zittern befallen; sie rief nach dem Obersten von Treuenfels, der sogleich herbeikam. Sie begann nun in fieberhafter Hast ihre Taschen zu durchwühlen und alles, was sie Werthvolles vorfand, herauszunehmen. Es befand sich darunter auch eine kleine goldene Bonbonniere und eine Uhr mit prächtiger Camée, welche Gegenstände sie dem preußischen Officier hinhielt.

»Nehmet das als Andenken von mir,« sagte sie zu ihm, und als er sich sträubte, fuhr sie fort: »Ich bitte Euch, schlagt mir dies nicht ab; ich möchte nicht, daß diese Dinge den sächsischen Henkersknechten zur Beute werden.«

Dann leerte sie noch den Inhalt ihrer Börse aus und vertheilte ihn unter die preußischen Soldaten. Hieraus drückte sie sich wieder in eine Ecke des Wagens und zog die Vorhänge fest zu. Sie wollte nicht sehen, wo man sie hinführe und was man mit ihr beginne. Nach den Aufregungen der letzten Stunden verfiel sie nun in vollste Apathie.

Von der nicht geringen Anzahl von Leuten, welche früher den Hofstaat und die Dienerschaft der Gräfin Cosel gebildet hatten, war ihr nun gar niemand mehr geblieben. Lauter neue, unbekannte Gesichter umgaben sie. Allerdings behandelte man sie noch mit einiger Rücksicht und ihr ging nichts ab, was sie bedurfte, aber von dem Augenblicke an, da sie wieder in die Hände der sächsischen Machthaber gefallen war, hatte ihre eigentliche Gefangenschaft begonnen. Das fühlte sie jeden Augenblick.

In Leipzig wurde Station gemacht und übernachtet. Des Morgens erschien ein höherer Beamter in großer Perrücke, den Degen an der Seite, als Vollstrecker von Dresden ihm zugegangener Befehle in dem Zimmer, wo sie in Thränen und in voller Verzweiflung die Nacht zugebracht hatte. Der Mann war im Besitze einer vom König unterzeichneten Ordre, die ihm Vollmacht gab, eine genaue Durchsuchung der Effecten der Gräfin vorzunehmen und alles, was ihm gutdünke, zu confisciren. Als er eintrat, schleuderte ihm die Gräfin einen Blick voll Verachtung zu und weigerte sich, ihm irgendwelche Auskunft zu geben. Man nahm ihr nun ohneweiters ihre Koffer und Schachteln weg, an welche das Amtssiegel gelegt wurde, wühlte in ihren Kleidern und in ihrer Wäsche herum, ohne irgend etwas finden zu können, und legte selbst Hand an die letzten Schmucksachen, die ihr noch übrig geblieben waren. Nach Verlauf von etwa vier Stunden – so lange hatte die lästige Untersuchung gedauert – zog sich der Mann des Gesetzes zurück und der Gräfin war kaum mehr geblieben, als was sie auf dem Leibe trug.

Man kann sich kaum einen Begriff von dem Zustande machen, in welchem sich diese stolze und aufbrausende Frau befand, die sich unschuldigerweise so grausam verfolgt sah. Bald in ohnmächtiger Wuth die Fäuste ballend, bald wieder einer Ohnmacht nahe, bald in Thränen zerfließend, schien sie fast eine Beute des Wahnsinnes werden zu sollen. Die Diener, welche ab und zu gingen, konnten sich des innigsten Mitleides mit der unglücklichen Frau nicht erwehren.

Man hatte der Gräfin kaum Zeit gelassen, sich noch einen Augenblick auszuruhen, als man sie einlud, wieder in den Wagen zu steigen. Wohin man sie führte? Niemand wußte es oder wollte es ihr sagen.

Ein Reitertrupp umgab den Wagen. Die Fahrt ging in raschem Tempo fort bis zum Einbruch der Nacht. Nun sah man von dem noch sanft gerötheten Abendhimmel die Mauern und Thürme eines Schlosses sich abheben, der Wagen passirte einen dunklen Thorbogen und hielt endlich in einem weiten Hofe.

Die Gräfin warf einen raschen Blick ringsum – der Ort war ihr gänzlich unbekannt. Das Schloß schien seit langer Zeit verlassen und unbewohnt zu sein; nur einige Diener standen zum Empfang der Ankommenden an den Thüren. Die unglückliche Frau, deren Kraft durch so viele aufeinanderfolgende Schläge ganz gebrochen war, mußte die Unterstützung dieser Leute in Anspruch nehmen, um die schmale Treppe zu ersteigen, welche ins erste Stockwerk führte. Hier geleitete man sie in eine aus mehreren gewölbten Zimmern bestehende Wohnung mit nackten rauhen Wänden und kleinen Fenstern. Einige unentbehrliche Möbel bildeten die ganze Einrichtung dieser einen düsteren Eindruck machenden Räume. Ein Schauer überlief Anna, als sie ihr neues Gefängniß betrat. Müde und abgespannt, warf sie sich auf ein Bett. Sie verbrachte die Nacht fast ganz schlaflos. Wenn sie auf Augenblicke in unruhigen Schlummer versank, wurde sie von düsteren Träumen geängstigt und schreckte bald entsetzt wieder auf.

Endlich begann es zu grauen und die in Purpur getauchten Wölkchen am Firmament verkündeten das Nahen des Tagesgestirnes. Im Schlosse schlief noch Alles und nur der eintönige Schritt einer Schildwache schallte dumpf aus dem Corridor in das Zimmer herein, als die Gräfin sich erhob; rasch eilte sie ans Fenster, durch dessen kleine, in Blei gefaßte Scheiben kaum ein schwacher Schimmer des erwachenden Tages drang. Das Panorama, welches sich ihr darbot, zeigte ihr nichts Bekanntes. Sie sah eine große Ebene vor sich, in der Ferne von dunklen Wäldern begrenzt; da und dort hob sich von der weiten Fläche eine dichte Baumgruppe oder ein kleines Dörfchen ab. Aus den Schloten der niederen Hütten stiegen bläuliche Rauchsäulen zum Morgenhimmel empor; in der ganzen Umgebung war alles still und öde.

Das Schloß lag auf einem stumpfen Bergkegel, an dessen Fuße sich ein kleiner Weiler ausdehnte. Da unten zog sich auch eine von verkrüppelten Weidenbäumen eingefaßte Straße hin, allein niemand war darauf zu sehen; nur eine Heerde Kühe zog mit gesenkten Köpfen der nahen Weide zu, von einem ärmlich gekleideten kleinen Hirten gefolgt.

Aus dem Schlafzimmer, wo Gräfin Cosel die Nacht zugebracht, begab sie sich nun leisen Schrittes in einen angrenzenden kleinen Saal, in dessen Mitte ein großer eichener Tisch stand; an der Mauer liefen lange Bänke hin, einige alte Stühle standen umher und an einer der Wände hingen zwei sehr alte, verstaubte Porträts; über einem großen Kamin waren zwei schon etwas schadhafte, in Stein gehauene Wappenschilder angebracht, welche nebst den erwähnten Porträts den einzigen Schmuck dieser kahlen Wände bildeten.

Aus diesem Saale kam man in ein drittes, rundes, ziemlich kleines Zimmer, das eine Ecke des Schlosses bildete und aus dessen Fenstern sich die Aussicht in eine andere, mehr bergige und abwechslungsreichere Gegend eröffnete, welche indessen der Gräfin ebenso wenig bekannt war als die früher gesehene. In diesem Thurmzimmer fand sie einen in die Mauer eingelassenen Schrank und in einem der Fächer desselben eine alte, halb von den Ratten zerfressene und über und über mit Staub bedeckte Bibel vor. Rasch griff sie darnach, allein das Buch entglitt ihren Händen und zerfiel, auf den Fußboden aufschlagend, fast ganz. Eine eiserne, fest verriegelte Thür schien von hier in einen geheimen Gang des Schlosses zu führen.

Inzwischen war der Tag voll angebrochen und die Schwalben begannen das Fenster zu umflattern, in dessen Umrahmung sie ihr Nest gebaut hatten. Gräfin Cosel begab sich wieder in ihr Schlafgemach, wo die zu ihrer Bedienung bestimmten Frauen ihrer Weisungen harrten. Sie nahm ein Glas Milch zum Frühstück und kehrte dann wieder zum Fenster zurück, in dessen tiefer Nische eine Steinbank angebracht war, auf der man bequem die Aussicht genießen konnte. Forschend ließ sie ihre Blicke über die lang sich hindehnende Straße gleiten; einige Wagen, eine vorüberziehende Heerde, einige Landleute – sonst war nichts zu sehen, als vom Winde aufgewirbelte Staubwolken, die sich in der Ferne verloren.

Langsam verstrichen die Stunden, bis endlich eine der Dienerinnen die Gräfin einlud, sich zum Speisen zu begeben. Mechanisch ließ sich Anna an dem schweren Eichentisch nieder und genoß etwas Weniges von den ihr vorgesetzten Speisen. Unwillkürlich traten ihr Thränen in die Augen, wenn sie der Zeiten gedachte, wo sie als Königin bei den Festen des Hofes glänzte und Monarchen ihr zu Füßen lagen. Ihre herrlichen schwarzen Augen, die einst Alle bezauberten, hatten trotz der vielen vergossenen Thränen nichts von ihrem Feuer verloren – allein das Glück war von ihr geflohen.

Neuerdings kehrte sie ans Fenster zurück. Hoffte sie, irgend jemanden kommen zu sehen, der sie befreien werde, oder war es nur das natürliche Verlangen jedes Gefangenen, wenigstens mit den Augen in jener herrlichen freien Natur zu leben, von welcher Kerkermauern und Gitter sie trennen, was sie an das Fenster zog? ... Der Gedanke an Zaklika gab ihr wieder einige Hoffnung. Sie rechnete darauf, daß er sie nicht lange in ihrem Unglück ohne Hilfe lassen werde.

Allein, weder an diesem noch am nächsten Tage erspähte sie irgend jemanden, der sie zu retten käme – immer dieselbe Aussicht auf Viehheerden und deren Hirten, hie und da von einem ländlichen Fuhrwerk unterbrochen. All diese Leute zogen vorüber, ohne auch nur einen Blick auf ihr Gefängniß zu werfen. Vergeblich lief Anna von einem Fenster zum anderen. – Nichts unterbrach die einförmige ländliche Stille. Am Abend des zweiten Tages kam ein halbnacktes kleines Mädchen in die Nähe ihrer Fenster, um da Gras heimzuholen. Die Gräfin warf demselben ein kleines Geldstück zu, das man ihr zufällig noch gelassen hatte, und fragte die Kleine halblaut, wie das Schloß heiße, das ihr als Gefängniß diene. Das Kind blieb einige Secunden ganz erschreckt stehen, dann rief es mit halb unterdrückter Stimme: »Nossen!« und lief eiligst davon.

Trotzdem sie nun den Namen ihres Aufenthaltes kannte, wußte die Gräfin noch immer nicht viel; sie erinnerte sich nur, diesen Namen früher vielleicht zwei- oder dreimal flüchtig gehört zu haben, und wußte, daß sie sich nicht allzuweit von Dresden, in der Gegend von Meißen befand. Sie, die einst die Begnadigung Beichling's, seiner Brüder und Mitschuldigen zu erwirken vermochte, sie, die das Los Böttcher's und so mancher Anderer erträglicher gestaltet hatte, sie mußte nun selbst in bitterer Gefangenschaft schmachten und keine Seele schien daran zu denken, sie daraus zu befreien ... Von neuem kam ihr der Gedanke an Zaklika – allein, was konnte dieser letzte Freund ausrichten gegen den König, gegen ihre Wächter, gegen all ihre Feinde, welche ihr den Untergang geschworen hatten!

Am dritten Tage nach ihrer Ankunft in Nossen, als sie, ihren traurigen Gedanken nachhängend, wieder am Fenster saß, bemerkte sie von weitem auf der Straße einen Reiter dahertraben; er schien von Dresden zu kommen und ritt sehr langsam, fortwährend neugierig die Gegend und namentlich das Schloß, dem er sich näherte, betrachtend. Er hatte offenbar absichtlich den Gang seines Pferdes verlangsamt und schien nach irgend etwas auszuspähen. Seine Kleidung und Haltung erinnerten die Gräfin lebhaft an den treuen Zaklika, und sie beeilte sich, mit ihrem Taschentuch dem Reiter ein Zeichen zu geben. Dieser seinerseits zog sofort ebenfalls sein Taschentuch, that, als ob er sich den Schweiß von der Stirne wische, und winkte einigemale unauffällig nach dem Schlosse hin, zum Zeichen, daß er das Signal gesehen und verstanden. Es war also in der That Raimund. Die Gräfin gerieth durch diese Entdeckung in freudige Bewegung, denn wenn Einer auf der Welt sie noch retten konnte, war er es. Der Pole ritt in langsamem Schritte unter den Fenstern der Gefangenen vorüber und verschwand bald an einer Biegung des Weges.

Nachdem Zaklika sich in Halle von der Gräfin verabschiedet hatte, war er noch in dieser Stadt verblieben, einestheils um über die Sicherheit seiner Gebieterin zu wachen, anderentheils, um, falls sie abreiste oder wo anders hingeführt würde, ihre Spur verfolgen zu können. Nach Ablauf weniger Tage hatte er indes von den preußischen Behörden den Befehl zur Abreise erhalten. Nach kurzer Ueberlegung schlug er den Weg nach Dresden ein.

Hier angekommen, galt sein erster Gang dem Bankier Lehmann. Als dieser ihn kommen sah, erschrak er sichtlich. Er beeilte sich, vorsichtig die Thüren zu schließen, und fragte Zaklika ängstlich, ob er sicher sei, daß ihn niemand bei ihm eintreten gesehen habe. Erst nachdem Zaklika ihn über diesen Punkt beruhigt hatte, athmete er etwas erleichtert auf, hatte aber immer noch Mühe, seiner Aufregung Herr zu werden. »Ihr wisset nicht,« sagte er endlich stockend, »was hier vorgeht? ... Wer an dem ganzen Unglück Schuld ist, das ist schwer zu sagen. Es mußte wohl so kommen und heute wäre alles Klagen darüber unnütz. Der König ist ungeheuer aufgebracht und das ist gewiß nicht leicht zu nehmen, da er ein kaltherziger und unversöhnlicher Mensch ist ... Gräfin Cosel ist verloren!«

Schweigend hörte Zaklika die entmuthigenden Worte Lehmann's.

»Ja, ja, Gräfin Cosel ist unzweifelhaft verloren!« fuhr dieser nach einer kurzen Pause fort. »Wenn einmal jemand den König zum Aeußersten gebracht hat, dann verzeiht er ihm niemals mehr und verfolgt ihn unablässig und ohne Erbarmen. Anna von Cosel hat ihm offen Trotz geboten und hat sich geweigert, ihm das mit seiner Unterschrift versehene Document, das er verlangte, auszuliefern – sie ist unrettbar verloren! König August hat befohlen, ihr alles wegzunehmen, was sie besaß, ihr bewegliches und unbewegliches Gut, ihr Geld, ihren Schmuck – kurz, alles; Löwendahl erhielt diesbezüglich strenge Weisungen. Pillnitz wurde wie die übrigen Güter der Gräfin zu Gunsten des Staatsschatzes eingezogen. Der König hat angeordnet, daß alles, was ihr gehörte, inventarisirt werden solle, wie er sagte, um die Zukunft ihrer Kinder sicherzustellen und ihr zugleich die Möglichkeit zu benehmen, sich zu rächen oder sich seiner Verfolgung durch die Flucht zu entziehen.« Lehmann trat nun dicht an Raimund heran und sagte zu ihm: »Man hat mir alles weggenommen, was die Gräfin bei mir deponirt hatte. Der König schickte Leute, die meine Bücher durchforschten, und da diese natürlich genauen Aufschluß gaben, sah ich kein Mittel, mich dieser Gewaltthat entgegenzustemmen!«

»Wie? ... Alles haben sie genommen?« rief Zaklika aus. »Es ist Euch aber doch jene Euch insgeheim anvertraute Summe geblieben, welche zu beheben die Gräfin mich beauftragte?«

Bei diesen Worten nahm er ein Messerchen vom Tische, trennte das Futter seines Wamses auf und zog das Billet hervor, das ihm die Gräfin für Lehmann übergeben hatte. Zitternd nahm Lehmann es entgegen und durchflog es rasch.

»Wisset wohl,« sagte Lehmann, »was uns Beiden passiren würde, wenn man dieses Papier in unseren Händen sähe? Ich würde in Euerer Begleitung eine Reise nach dem Königstein unternehmen, mein Haus würde geplündert und meine Kinder zu Bettlern gemacht werden; denn Flemming, Löwendahl und die Anderen von dieser Sippe würden gierig die Gelegenheit ergreifen, einen Blick in meinen eisernen Geldschrank zu werfen, wo ich meine Ersparnisse aufbewahre.«

Schon der bloße Gedanke hieran bewirkte, daß der ehrliche Jude wie Espenlaub zitterte.

»Also habt Ihr den Feinden der Gräfin auch jene Summe ausgeliefert?« fragte Zaklika in voller Verzweiflung.

Forschend betrachtete Lehmann einige Augenblicke den Frager, ohne ein Wort zu erwidern; er schien mit sich selbst zu kämpfen.

»Hört mich an,« sagte er endlich; »schwört mir bei allem, was Euch theuer und heilig ist, daß Ihr mich nicht verrathen werdet, selbst nicht, wenn Euer Leben auf dem Spiele stünde ...«

Lehmann öffnete eine Schublade seines Schreibtisches und entnahm derselben ein mit Diamanten besetztes Kreuz, welches die Prinzessin Teschen einmal bei ihm verpfändet hatte.

»Schwört mir darauf!« sagte er zu Zaklika.

Raimund nahm das Kreuz in die eine Hand, hob die andere zum feierlichen Eide und sagte mit fester Stimme: »Ich schwöre es! ... Es wäre übrigens nicht nöthig gewesen,« fügte er hinzu, indem er dem Juden das Kreuz wieder einhändigte, »mir diesen Schwur abzunehmen, mein Wort hätte Euch genügen können. Raimund Zaklika hat noch niemals jemanden betrogen oder verrathen!«

Lehmann, noch immer bleich vor Angst, wendete kein Auge von dem jungen Polen. »Und wenn man Euch nun festnähme,« sagte er, »und dieses Geld bei Euch fände?«

»Es wird niemanden überraschen, Geld bei mir zu finden, und wenn es sogar eine größere Summe wäre. Die Gräfin kann es mir ja während meiner langjährigen Dienste in ihrem Hause geschenkt haben!«

»O, der Fiscus rafft alles zusammen, selbst die Geschenke, welche die Gräfin gemacht, oder die Kleinodien, die sie irgend jemandem anvertraut hat.«

»Auf jeden Fall weiß man, daß ich niemals ganz besitzlos war; übrigens wird man mich wohl in Ruhe lassen ... Nun, wollt Ihr mir das Geld geben oder nicht!«

Lehmann überlegte noch eine Weile. »Ihr könnt mich und meine Kinder unglücklich machen,« sagte er dann, »allein ich will meine Schuldigkeit thun. Ich möchte mir nicht den Vorwurf aufs Gewissen laden, daß ich die Gräfin in ihrem Unglück verlassen oder verrathen habe. Wir Alle glauben an einen Gott und vor ihm sind alle Unglücklichen gleich!«

Er erhob sich, öffnete den eisernen Schrank und begann nun das Geld aufzuzählen, indem er die einzelnen Häufchen auf seiner Schreibtafel notirte und zusammenrechnete. Zaklika athmete erleichtert auf und wischte sich die dicken Schweißtropfen von der Stirne. Um seine Aufregung etwas zu dämpfen, griff er nach einer in der Nähe stehenden Flasche mit Wasser und leerte rasch ein paar Gläser; dann setzte er sich nachdenklich an das andere Ende des Tisches, stützte den Kopf in die Hand und überwältigt von Müdigkeit und Aufregung, schlief er alsbald ein.

Als Lehmann mit seinem Rechnen und Zählen fertig war, wendete er sich nach Zaklika um und war nicht wenig überrascht, ihn eingeschlafen zu sehen und es ließ sich daraus schließen, was der arme Mann durchgemacht haben mußte, wenn im ersten Augenblicke der Ruhe, der ihm gegönnt war, der Schlaf ihn so überwältigen konnte. Der Bankier schlich sich auf den Zehen in das anstoßende Zimmer, wo er voll Ungeduld das Erwachen des jungen Polen abwartete, denn bei aller Zuneigung zu demselben machte es ihm doch große Sorge, ihn so lange in seinem Hause beherbergen zu müssen.

Trotz seiner Erschöpfung dauerte der Schlaf Zaklika's, der in steter Unruhe lebte, nicht lange und bald sprang er erschreckt von seinem Stuhle auf, rieb sich die Augen und blickte verwundert um sich. Da erblickte er das Geld auf dem Tische und sofort entsann er sich wieder, wo er sich befand. Er raffte dasselbe geräuschlos zusammen und barg es rasch in seinem Gürtel bei den paar Goldstücken, die sich noch in seinem Besitze befanden. Da trat Lehmann in das Zimmer und sah ihm schweigend zu; als Zaklika nach seinem Hute griff, näherte er sich ihm, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte:

»Gott allein weiß, ob und wann wir uns wiedersehen werden! Euer Muth und Euere Entschlossenheit erfüllen mich mit Bewunderung, beunruhigen mich aber gleichzeitig sehr. Doch darf man niemanden, der im Begriffe ist, eine gute That zu begehen, daran hindern wollen ... Ihr habt mich sehr muthlos gesehen, indessen möget Ihr deshalb nicht schlecht von mir denken, denn ich habe nur um meiner Kinder willen so große Besorgniß; diese sind mein einziges Glück, mein Leben, und das möge mir als Entschuldigung dienen. Bevor Ihr mich nun verlasset, bitte ich Euch noch, das, was ich Euch jetzt anbiete, nicht zu verschmähen. Die Gräfin hat mir sehr bedeutende Summen anvertraut und dieses Geld hat sich unter meinen Händen beträchtlich vermehrt. Unsere Rechnung ist abgeschlossen, ich habe alles zurückgezahlt, wie ich mit gutem Gewissen sagen kann, aber das Unglück der Gräfin ist derart, daß man da anders rechnen muß als gewöhnlich. Nehmet daher noch den kleinen Betrag an, welcher ihr von rechtswegen zukommt – es ist für Euch und für Euere Herrin ... Und nun geht! Gott möge Euch in seinen Schutz nehmen!«

Bei den letzten Worten hatte Lehmann unter seinem Rocke einen mit Gold gefüllten Beutel hervorgezogen, den er Zaklika in die Hand drückte. Dann fügte er hinzu: »Vergesset nicht, daß ich Euch nicht kenne, daß Ihr niemals bei mir waret!«

»Ich danke Euch im Namen meiner Herrin!« erwiderte Raimund, dem Juden die Hand reichend.

»Geht durch den Garten!« sagte Lehmann und öffnete ihm die Thür. »Gott befohlen!«

Zaklika hütete sich wohl, seinen Weg durch die Stadt zu nehmen, wo er so leicht von jemanden erkannt werden konnte. Er überlegte einen Augenblick, wohin er sich wenden solle. Er hatte sein Pferd in der der Elbe zunächst liegenden Vorstadt bei einem Wenden eingestellt; zu jener Zeit wohnten nämlich noch viele Angehörige dieses slavischen Volksstammes in diesem Stadtviertel. Zu der Zeit, da er noch am Hofe lebte, hatte er sich in seinen vielen freien Stunden gar oft hier herumgetrieben. Er hatte in dem slavischen Idiom, welches die Leute, meist arme Fischer, da sprachen, zu seiner Ueberraschung manche Aehnlichkeit mit seiner Muttersprache entdeckt; auf diese Weise war er leicht mit den Leuten bekannt geworden, und namentlich an Einen derselben, Namens Haulik, hatte er sich enger angeschlossen.

Haulik war katholischer Religion und Zaklika hatte ihm eines seiner Kinder aus der Taufe gehoben; seither wurde der Pole von den braven Leuten als zur Familie gehörig betrachtet. Der Fischer lebte in ziemlich ärmlichen Verhältnissen. Früher hatte er beträchtliche Grundstücke in der Nähe seines kleinen Hauses sein eigen genannt, allein er war vom Unglück verfolgt worden und Stück für Stück war das Erbtheil seiner Väter in die Hände der Deutschen gefallen. Es war ihm nur ein kleiner Streifen sandigen Bodens geblieben, der ihm natürlich blutwenig abwarf. Haulik ernährte sich und seine Familie von dem Ertrage seiner Fischerei, und so wenig dies auch war, so mußte es eben für die bescheidenen Bedürfnisse der armen Leute ausreichen.

Zaklika hatte früher diesen seinen Freund sehr häufig besucht; sie setzten sich dann zusammen auf eine Bank vor dem kleinen Häuschen und plauderten hier oft bis spät in die Nacht hinein, theilten sich ihren Kummer mit und trösteten sich gegenseitig. Der Wende erinnerte sich noch gerne der früheren besseren Zeiten.

»Diese ganze Gegend gehörte einst uns,« pflegte er zu erzählen, »aber mit List und Gewalt haben sie uns von unserem Erbe vertrieben. Heute dürfen wir es kaum mehr wagen, in unserer Muttersprache miteinander zu verkehren, und bald wird nichts mehr von uns übrig sein als eine große Grabstätte. Man läßt uns die Wahl, zu werden, wozu uns Gott nicht geschaffen hat, oder auszusterben. In den Städten schließt man uns von jedem Amte aus; es genügt, ein Wende zu sein, um bedrückt und verfolgt zu werden. Unsere Zahl vermindert sich von Tag zu Tag – wir sind hoffnungslos dem Untergange geweiht, wir sind dazu verdammt, spurlos vom Erdboden zu verschwinden!«

Manchmal erwachte in der Brust des Fischers die Erinnerung an irgend eine alte slavische Melodie, welche er dann leise vor sich hinsummte.

So oft Zaklika in die Stadt gekommen war und ungesehen bleiben wollte, hatte er stets bei Haulik Absteigequartier genommen. Er fand da einen kleinen Stall für sein Pferd, ein zwar hartes Bett und ein bescheidenes Mahl, bestehend aus einer Schüssel voll gekochter Grütze und einem Glas Bier, dafür aber waren es aufrichtige Herzen, die ihm die Gastfreundschaft boten, und die Hände, welche sich in die seinen legten, waren die ehrlicher und wohlmeinender Leute.

Auch diesmal war Zaklika von seinen Freunden in der Fischerhütte mit lebhafter Freude empfangen worden; sie fragten ihn niemals um das, was er trieb, sondern sie erkundigten sich nur darum, ob er sich wohl befinde und glücklich sei.

Als Zaklika Lehmann's Haus verließ, begab er sich zu Haulik, um da die Nacht zuzubringen. Am nächsten Morgen lenkte er, dicht in seinen Mantel gehüllt, seine Schritte über die Elbebrücke nach dem sogenannten »Narrenhause«, um Fröhlich abzupassen und ihn auszufragen. Nachdem er hin und her gedacht hatte, war es ihm als das Klügste und Einfachste erschienen, sich bei seinem alten possirlichen Freunde um das zu erkundigen, was ihm zu wissen nöthig war. Man weiß, daß dieser täglich zu derselben Stunde seine Wohnung verließ, um sich, bald zu Pferd, bald zu Fuß, ins Schloß zu begeben, denn sein Dienst begann dort sofort nach dem Frühstück. Man konnte sicher sein, ihm jeden Morgen Punkt neun Uhr auf der Brücke zu begegnen. Zaklika ging bis zum Hause des Hofnarren, um ihn ja nicht zu verfehlen, und setzte sich auf die Stufen seiner Thür.

Zur bestimmten Minute erschien der alte Possenreißer mit seinem spitzen Hute und dem traditionellen Frack auf der Schwelle seines Hauses; als er da einen Fremden sitzen sah, welcher ihm den Weg versperrte, stieß er ihn leicht mit dem Fuße an und sagte:

»Heda, mein lieber Freund – entschuldigt, wenn ich Eueren Namen nicht zu nennen vermag – ist es nur ein Zufall, daß Ihr mein Haus zu Euerer Herberge gewählt habt?«

Als Zaklika sich auf diese Anrede umwendete, erkannte ihn der Spaßmacher sofort.

»Ah, Ihr seid es! Ja, was ist denn aus Euch geworden, mein lieber Herr?« rief er aus. »Ihr seht ja fast so schlecht aus wie Einer, der sich gerade verheiratet hat!«

»Ich komme eben von der Reise.«

»So? Ihr seid, wie ich glaube, katholisch – da kommt Ihr wohl direct aus dem Fegefeuer?«

»O, ich habe die halbe Welt durchstreift,« erwiderte Raimund. »Was giebt es denn neues in Dresden?«

»Ihr fragt mich da etwas viel auf einmal, denn, ein getreuer Historiograph brauchte zur Antwort auf diese Frage ein Stück Pergament so groß wie eine Ochsenhaut ... Ihr wollt wissen, was bei uns vorgeht,« sagte er lachend, »mein lieber Freund, warum fragt Ihr denn nicht lieber, was hier nicht vorgeht?«

»Könnt Ihr mir nicht sagen, was aus meiner ehemaligen Herrin geworden ist?« fragte Zaklika weiter.

»Euere ehemalige Herrin? Beim Gottseibeiuns, ich vermag nicht zu errathen, wen Ihr damit meint ...«

»Nun, die Gräfin Cosel!«

Vorsichtig blickte Fröhlich um sich, legte dann den Finger an den Mund und flüsterte: »Um Gotten willen, schweigt davon. Das ist ein Name, den niemand mehr in Gegenwart des Königs auszusprechen wagen darf ... Ach Gott, es giebt da so wenig mehr zu lachen und Ihr wißt, daß ich vom Lachen lebe und wahrscheinlich auch am Lachen sterben werde.« Fröhlich starb in der That zu Warschau am Lachkrampf.

»Ja, könnt Ihr mir denn nicht sagen, was aus ihr geworden ist?«

»Wie, Ihr wißt davon gar nichts! Ja, wo kommt Ihr denn her?«

»O, ich komme aus sehr fernen Gegenden!«

»Aber diese Neuigkeit hat ja doch schon die ganze Welt durchlaufen und man spricht überall davon. Die Sache ist folgende: Diejenige, welche durch acht Jahre das Herz unseres Königs gefangen hielt, ist nun selbst eine Gefangene ... Aber ich glaube, daß diese Gefangenschaft länger dauern wird als ihre Herrschaft.«

»Und wo befindet sie sich denn nun?« fragte Zaklika ungeduldig.

»Wie mir scheint, im Schlosse Nossen,« antwortete Fröhlich und fügte mit dem ihm eigenthümlichen sonderbaren Lachen hinzu: »Ich glaube indessen, daß man sie nur vorläufig dort untergebracht hat; gewiß wird man für sie noch ein anständigeres Gefängniß ausfindig machen ... Ich möchte wahrhaftig keine Frau sein! Wenn ich zu wählen hätte, so möchte ich am liebsten ein Esel sein. Der Esel wird nicht gegessen, denn sein Fleisch ist zu zäh; seine Haut ist so dick, daß sie den Stockschlägen widersteht, und wenn der Herr Langohr auf seine Weise zu singen anfängt, so läuft alles davon und man läßt ihn in Ruhe. Da er überdies betreffs gastronomischer Genüsse nicht wählerisch ist und sich mit den einfachsten Gerichten begnügt, ja sogar mit einem alten Besen, wenn ihm gerade nichts anderes zwischen die Zähne kommt, so ist doch der Esel das glücklichste Geschöpf auf der Welt, meint Ihr nicht auch?«

Zaklika, welcher dem Geschwätz des alten Narren nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt hatte, sondern ganz in Gedanken versunken war, wiederholte mechanisch vor sich hin: »Nossen ... Nossen!«

»Ah, ich frage ihn um seine Meinung über den Esel und er antwortet mir: Nossen!« sagte Fröhlich achselzuckend. »Was geht Euch denn dieses Nossen an, mein lieber Herr Zaklika! ... Doch sprechen wir lieber nicht von so traurigen Dingen. Lebt wohl!«

Der Possenreißer verabschiedete sich damit in freundschaftlicher Weise, nahm seine Amtsmiene, nämlich sein stereotypes Lächeln wieder an und entfernte sich.

Zaklika hatte nun glücklich erfahren, was er wissen wollte; Haulik konnte ihm wahrscheinlich weitere Aufschlüsse geben und ihm die Gegend bezeichnen, wo jenes Schloß zu suchen war.

Noch am nämlichen Tage, nachdem er von dem Fischer die nöthigen Auskünfte erhalten hatte, machte er sich auf die Suche nach der Gräfin.

Als er in die Nähe von Nossen kam und das Signal bemerkte, welches seine unglückliche Gebieterin ihm gab, war er ganz glücklich, denn er dachte sich, daß schon seine Anwesenheit in der Nähe der Gräfin Trost in ihrer Gefangenschaft bringen werde.

Diese Gegend war nur von Deutschen bewohnt. Als Zaklika in der nächstgelegenen Herberge abstieg, gab er sich für einen Händler aus und fragte alsbald den Wirth um Auskunft, ob nicht in der Nachbarschaft vielleicht da und dort Felle zu verkaufen wären. Dann begab er sich in das ihm angewiesene Zimmer des »Goldenen Hufeisen« – so war das Gasthaus benannt, in welchem er sein Hauptquartier aufschlug – und ordnete seine Sachen.

Schloß Nossen war ganz von einer alten, halbverfallenen Mauer umgeben. Zur Bewachung der Gräfin Cosel waren ein paar Mann Soldaten in dem Gebäude einquartiert. Man ließ zwar niemanden in das Innere des Schlosses, doch war die Wachsamkeit sonst nicht besonders groß. Die Fenster der Gräfin waren ziemlich hoch vom Boden entfernt, so daß man einen Fluchtversuch nicht befürchten zu müssen glaubte und auf dieser Seite des Schlosses, wie Zaklika später bemerkte, auch keine Wache aufgestellt war. Die Soldaten rauchten und spielten sorglos im Hofe und in den weiten Gängen des alten Gebäudes. Es war also ganz leicht, bis unter die Fenster der Gräfin heranzukommen; doch lag immerhin, da der Berg ganz kahl war, die Gefahr nahe, daß man von den Leuten, welche unten auf der Straße gingen, gesehen und erkannt werde.

Um sich in Nossen längere Zeit aufhalten zu können, ohne Verdacht zu erwecken, mußte Zaklika zur List greifen. Er begann über einen heftigen Gichtanfall zu klagen, der ihm die Weiterreise unmöglich mache, obgleich er anderwärts sehr dringend zu thun hätte. Der Wirth vom »Goldenen Hufeisen« war durchaus nicht böse darüber, daß sich ihm die Aussicht eröffnete, seinen Gast nebst dessen Pferd längere Zeit beherbergen und beköstigen zu können, da er hieraus beträchtlichen Nutzen zu ziehen hoffte; er fand also, daß der Zustand des Fremden die größte Schonung benöthige und er empfahl ihm zugleich als ausgezeichnetes Heilmittel Einreibungen mit Bärenschmalz.

Als Raimund Abends mit dem Wirth beim Nachtessen saß, war es ihm ein Leichtes, Letzterem die Zunge zu lösen. Der Pole hatte während seines langen Aufenthaltes in Sachsen so vortrefflich Deutsch gelernt, daß es niemandem einfiel, in ihm einen Fremden zu suchen, was das Vertrauen vielleicht etwas zurückgeschreckt hätte. So erzählte ihm denn der Wirth schon am ersten Abend in geheimnißvoller Weise, daß man kürzlich in das benachbarte Schloß eine Dame gebracht habe, welche einst in näheren Beziehungen zum König gestanden. Er nannte ihm gleichzeitig die Anzahl der Soldaten, welche sie zu bewachen hatten, sowie all die Vorsichtsmaßregeln, die zur Verhinderung einer etwaigen Flucht getroffen worden waren.

Die gefangene Gräfin bot natürlich für die biederen Bewohner von Nossen und der Umgebung eine unerschöpfliche Quelle der abenteuerlichsten Erzählungen. Der ehrenwerthe Herr Wunsch, der Wirth vom »Hufeisen«, erzählte seinem Gaste, daß sie früher ihren eigenen Hofhalt geführt und über Tausende von Dienern in goldgestickten Livreen zu gebieten gehabt habe; jetzt aber bestehe der ganze Personalstand ihres Haushaltes aus zwei Frauen, von denen die Eine als Haushofmeisterin und die Andere als Kammerfrau fungire, aus einem Koch und einem kleinen Küchenjungen.

Zaklika schlief die erste Nacht ganz herrlich in dem Wirthshause; am anderen Morgen kaufte er dem Wirth einige Schaffelle ab, welche dieser ihm offerirte und die er baar bezahlte. Dann gab er vor, einen kleinen Spaziergang machen und sich die Umgebung und das Schloß ein wenig besehen zu wollen.

Als er des Abends nach der Herberge zurückkehrte, stellte er sich wieder leidend, verlangte neuerdings eine Portion Bärenschmalz und zog sich nach seinem Schlafzimmer zurück, um da ungestört seinen Gedanken und Plänen nachzuhängen.


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