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6.
Pflicht und Liebe

Zum zweitenmale fand der Frühling die Gräfin Cosel in Stolpen. Ihr kleines Gärtchen schmückte sich neuerdings mit Blumen und freudig öffnete Anna ihre Fenster, um die belebende Frühlingsluft einzuathmen.

Tagtäglich kam sie nun wieder in das Gärtchen herunter, das sie dem Mitleid Wehlen's verdankte. In einer kleinen, eigens für sie hergerichteten Laube saß sie dann und überließ sich ihren Gedanken. Dicht nebenan befand sich eine durch die Gartenmauer abgeschlossene Terrasse, auf welcher die sie bewachenden Soldaten und die Officiere der kleinen Garnison sich ergingen. Anfangs hatten die Blicke dieser Leute die hochmüthige Dame sehr belästigt, da sie sich nicht gerne als gefallene Größe begaffen lassen wollte; zuletzt hatte sie sich aber daran gewöhnt, auch andere Gesichter als die ihrer Dienerinnen zu sehen. Uebrigens schienen ja die Gefühle, welche diese stummen Zeugen ihres Unglückes bei ihrem Anblick bewegten, mehr dem Mitleid als der Neugier zu entspringen.

Am häufigsten und längsten ging auf dieser Terrasse der junge Wehlen auf und ab, ein Neffe des Commandanten von Stolpen, welcher ihn theils aus dem Grunde bei sich behielt, um einen Partner zu seinem täglichen Spielchen zu haben, theils aber auch, um einen tüchtigen Soldaten aus ihm zu machen. Der junge Mann suchte bald den, bald jenen Vorwand, um sich dem Gärtchen zu nähern und die Züge der schönen Diana, als welche Gräfin Cosel einst bei den mythologischen Festen am Hofe August's gar häufig figurirte, in der Nähe betrachten zu können.

Heinrich von Wehlen hatte nicht besonders große Neigung zum militärischen Beruf, allein seine Mutter, eine Witwe, hatte ihn bestimmt, sich den Wünschen des Oheims zu fügen, welcher die Sorge für seine Zukunft übernehmen wollte und überdies keinen anderen Erben hatte als diesen seinen Neffen.

Der Jüngling, welcher eben im zwanzigsten Lebensjahre stand, hatte sich früher in dem alten Schlosse zum Sterben gelangweilt. Man kann darnach leicht ermessen, wie groß seine Freude war, als er zum erstenmale die schöne Gefangene erblickte. Er war nicht im Stande, zu begreifen, wie man so grausam sein konnte, eine Frau von so idealer Schönheit hinter diese schrecklichen Mauern zu stecken, wo sie in dem elenden Kerker sich langsam verzehren mußte. Mit dem ganzen Feuer und der Ueberschwänglichkeit der Jugend verliebte er sich in die schöne Gräfin; auf jede mögliche Art suchte er sich ihr angenehm und nützlich zu machen und etwas dazu beitragen, ihr trauriges Los zu erleichtern. Trotz seines sonstigen Scharfblickes merkte der alte Commandant nichts von dieser Leidenschaft. Bei seiner prosaischen Natur dachte er nicht an derlei Dinge. Ihm waren alle Frauen gleichgiltig; es ging ihm wie so manchem Anderen, der in der Jugend viel geliebt hat und im Alter dafür Buße thut. – Der junge Officier war sicher nicht ganz unschuldig an den vielen Rücksichten, welche der Commandant der Gräfin angedeihen ließ; er wußte ihm in geschickter Weise die eine oder die andere zarte Aufmerksamkeit einzureden, die dem Alten sonst nicht in den Sinn gekommen wäre. Die Gräfin ihrerseits bemerkte gar bald den Zustand des jungen Wehlen und wußte, daß sie im Nothfalle unbedingt auf ihn rechnen könnte; sie hielt es jedoch für das Gerathenste, die Rückkehr Zaklika's abzuwarten, was sie indessen nicht hinderte, ihrem stillen Anbeter dann und wann einen freundlichen Blick zu schenken.

Wie überrascht war aber die Gräfin, als sie eines Tages, da sie eben herabgekommen war, um in ihrem Gärtchen frische Luft zu schöpfen, auf der Terrasse den jungen Wehlen in Gesellschaft Raimund Zaklika's erblickte! Dieser sah in seiner neuen Uniform so verändert aus, daß sie ihn erst nach längerer Betrachtung sicher erkannte.

Da die Beiden ziemlich laut miteinander sprachen, verstand sie jedes Wort. Zaklika erzählte seinem Kameraden, daß er den Capitän Zittauer in Stolpen abzulösen habe, welcher ihm seine Charge abgetreten um den väterlichen Grundbesitz zu übernehmen.

»Mir scheint, Capitän Wehlen,« fügte Raimund hinzu, »daß das Leben in diesen, nur von den Geistern der alten Mönche bevölkerten Ruinen nicht besonders lustig werden wird! Wenn ich gewußt hätte, daß dies ein so gottverlassenes, ödes Felsennest ist ...«

Wehlen, dem es hier durchaus nicht langweilig vorzukommen schien, unterbrach den Polen: »Ja freilich, wer Vergnügungen liebt, der muß sie wo anders suchen als in Stolpen, wer aber die Einsamkeit und ein beschauliches, ruhiges Leben vorzieht, der kann sich auch hier recht glücklich fühlen.«

Die Gräfin verlor keine Silbe von dieser Unterredung, gab sich aber den Anschein, als achte sie nicht darauf, und sah nach der anderen Seite, während die Aufregung ihr alles Blut zum Herzen trieb.

»Capitän Wehlen,« sagte Zaklika plötzlich, »glaubt Ihr nicht, daß es schicklich wäre, mich als neuen Ankömmling der Gräfin vorzustellen?«

»O recht gerne!« rief Wehlen, welchem jeder Vorwand, sich der angebeteten Frau zu nähern, erwünscht kam.

Die Beiden traten nun an die Gartenmauer heran, welche sich ein wenig über den Hof erhob, in dem sie eben promenirten. Der junge Officier begrüßte die Gräfin respectvoll und sagte dann: »Gestattet mir, Madame, Euch einen Kameraden, der soeben hier eingetroffen ist, vorzustellen: Capitän von Zaklika.«

Mit einem leichten Neigen des Kopfes und der gleichgiltigsten Miene wendete die Cosel sich gegen den sich verbeugenden Raimund, der, blaß vor innerer Erregung, die Frau betrachtete, welche er einst in allem Glanze ihrer Macht so oft gesehen und deren Züge noch immer jene unverwüstliche Schönheit zeigten, die ihn sofort auf ewig an sie gefesselt hatte, als er sie das erstemal unter den Linden des Parkes in Laubegast erblickte.

Die Gräfin wendete sich nun ruhig wieder ihren Blumen zu, da sie eben damit beschäftigt war, das Unkraut auszujäten, welches das Wachsthum ihrer Lieblinge behinderte. Nach einer Weile fragte sie den ihr Vorgestellten unbefangen: »Ihr habt wohl nur auf der Durchreise in diesem Schlosse Halt gemacht, Herr von Zaklika?«

»Ich glaube, Frau Gräfin,« antwortete der Gefragte, »daß ich wohl eine geraume Zeit hier zubringen werde, denn ich zweifle sehr daran, daß ich sobald Einen finden werde, welcher bereit wäre, mich hier abzulösen; der Ort ist nicht sehr einladend ...«

»Ja, ja, das ist richtig,« meinte die Gräfin, »man kann sich kaum ein schrecklicheres Gefängniß denken als dieses Schloß. In seinen kalten, düsteren Mauern vergißt man ganz, daß es eine herrliche Natur, daß es Sonnenlicht, Freiheit giebt. Nur auf diesem engen Raume hat man einen etwas weiteren Horizont vor sich; hier sieht man noch Berge, Felder und Wälder – mit Einem Worte: ein Stückchen der lebendigen Welt, allein zwischen all diesen Dingen und mir armen Gefangenen erhebt sich eine undurchdringliche Kerkermauer ...«

Tief bewegt hörten die beiden Officiere diese wehmüthige Klage.

»Was habt Ihr denn gar so Schreckliches verbrochen,« fragte Zaklika, »daß man Euch hierher schickte?«

»Das unerbittliche Schicksal hat es so gewollt,« antwortete die Gräfin traurig. »Sei dem, wie ihm wolle, so viel ist sicher, daß das Leben mir keine Freude mehr bieten kann ...«

Nach diesem kurzen Gespräch grüßten Zaklika und Wehlen die Gefangene ehrerbietig und entfernten sich.

Der junge Wehlen legte seinen Arm in den des Polen und führte ihn in den dritten Hof, wo er zwei kleine Zimmer bewohnte.

»Nun, Capitän Zaklika,« fragte er ihn, nachdem sie platzgenommen hatten, »was sagt Ihr zu dieser königlichen Schönheit? Ihr seht sie ohne Zweifel zum erstenmale in Euerem Leben ... Ist diese Frau nicht eines Thrones würdig? Obgleich sie von ihrer Höhe heruntergestiegen ist, hat sie sich doch die ganze Majestät einer Herrscherin bewahrt. Welche strahlende Schönheit! Welch ein herrliches Antlitz! ...«

Das jugendliche Feuer, die überschwänglichen Ausdrücke, in denen Wehlen von der Gräfin sprach, sowie sein verlegenes Erröthen, als Zaklika ihn verwundert anblickte, ließen nur zu leicht sein Geheimniß errathen, das er übrigens auch gar nicht einmal zu verbergen suchte.

Raimund hatte ihn, den Kopf auf den Ellbogen gestützt, träumerisch angehört. »Mein lieber Wehlen,« antwortete er nun, »Euere Begeisterung für die Gräfin überrascht mich durchaus nicht, denn sie ist in der That eine blendende Schönheit. Wenn man Euch aber so reden hört, könnte ein anderer als ich leicht auf den Verdacht kommen, daß Ihr in diese Frau verliebt seid ...«

Der junge Mann legte die Hand auf das Herz und rief: »Wir sind beide Soldaten und ehrliche Männer, wozu also etwas leugnen, was Ihr schon errathen habt. Ja, ich habe den Kopf verloren, indem ich diese Frau betrachtete – ich liebe sie leidenschaftlich; es ist wahr und ich brauche mich dessen durchaus nicht zu schämen, denn es giebt sicher kein weibliches Wesen auf dieser Erde, welches sich mit ihr vergleichen könnte!«

»Bedenkt aber doch, wohin diese Liebe führen kann!« erwiderte Zaklika mit traurigem Lächeln. »Diese Frau, welche einmal Königin gewesen, wird ihre Augen nimmermehr auf einen niedrig Geborenen werfen. Das Unglück hat ihr Herz vertrocknet und überdies – ist sie denn nicht zu ewigem Gefängniß verdammt?«

»Giebt es denn hienieden etwas, das ewig dauerte?« fiel Wehlen ein. »Sie ist noch jung ...«

Lächelnd fügte Raimund hinzu: »Und Ihr auch, mein Freund, Ihr seid ebenfalls noch jung ...«

»Ja, ich weiß es,« erwiderte Wehlen, leicht erröthend, indem er die Hand Zaklika's ergriff und freundschaftlich drückte, »Ihr habt vollkommen recht; aber giebt es denn einen Mann, welcher einem Blick aus ihren Augen zu widerstehen vermöchte? ... Seht Euch doch einmal meinen Oheim an, diesen mürrischen, graubärtigen, alten Soldaten – selbst er findet ein inniges Vergnügen daran, sie zu beobachten, wie sie sich in ihrem kleinen Gartenwinkel im Sonnenschein wärmt und erholt; mit einem stillen Seufzer kehrt er dann in seine Stube zurück und vergißt jenen Anblick erst dann wieder, wenn er sich niedersetzt, um seine Partie zu spielen ... Stundenlang betrachten die Soldaten Gräfin Cosel, als sähen sie eine Heilige, eine Madonna! Verlangt Ihr, daß ein junger Mann wie ich mit meinen zwanzig Jahren besonnener und kaltblütiger sei wie alle diese?«

Der junge Wehlen mit seiner wahnsinnigen Leidenschaft zur Gräfin war für Zaklika zugleich ein werthvoller Bundesgenosse und ein Hinderniß für seine Pläne.

Nach dem eben gehörten Gespräch besichtigten sie zusammen das ganze Schloß. Es gab in der That viel zu sehen in diesem alten Gebäude aus den frühesten Zeiten des Mittelalters. Raimund nahm auch die unterirdischen Räume genau in Augenschein und durchlief alle Gänge, dabei fortwährend in seinem Kopfe mit irgend einem Fluchtplane beschäftigt. Er sah keinen anderen Ausweg als einen unterirdischen Gang in dem sieben Stock hohen Thurme, welcher nach dem Capitelsaale führte, von wo aus man in die Capelle gelangen konnte, in welch letzterer eine kleine Thür einen Gang abschloß, der, sich immer mehr verengernd, in der Richtung nach dem Marktflecken zu verlief. Zaklika bewunderte laut die merkwürdigen gothischen Bauten, welche sie zu Gesicht bekamen, nicht ohne sich alles genau einzuprägen, was ihm für seinen Plan förderlich erschien. Wie er sich die Sache überlegte, konnte die Gräfin, als Mann verkleidet, des Nachts aus ihrem Thurm herunterkommen und in den äußeren Hof gelangen, wo keine Wache stand; unter dem Schutze der Nacht konnte man dann wohl im Schatten der Mauern bis zu der unterirdischen Thür gelangen und von da aus in die Stadt entkommen, wo es nicht schwer hielt, sich Pferde zu verschaffen. Da die österreichische Grenze ziemlich nahe war, so würde auch die Reise nicht viel Zeit in Anspruch nehmen.

»Nicht wahr, das macht einen beengenden Eindruck auf Euch?« meinte der junge Wehlen. »Da ist alles so wohl verwahrt, so fest gemauert, daß selbst das schärfste Auge keinen Ausgang sieht, kein Entrinnen für möglich hält ... Und doch,« fuhr er nach einer kleinen Weile mit dem ganzen Leichtsinn seiner zwanzig Jahre fort, »trotz all dieser Mauern und fest verschlossenen eisernen Thüren, trotz der Soldaten, welche vor ihnen Wache stehen, ist es durchaus keine Unmöglichkeit, in das Schloß zu kommen oder dasselbe zu verlassen, ja, es ist dies viel leichter, als man meinen sollte ...!«

Zaklika schwieg nachdenklich.

Einige Tage später wußte er eine Gelegenheit zu finden, bis in die Zimmer der Gräfin vorzudringen, ohne daß es den geringsten Verdacht erregen konnte – denn er wollte es streng vermeiden, sie irgendwie zu compromittiren.

Gräfin Cosel reichte ihm die Hand zum Kusse.

»Du hast lange auf Dich warten lassen,« begann sie dann flüsternd, »vielleicht schon zu lange ...«

»Die Umstände zwangen mich dazu,« antwortete Zaklika; »wer so wie ich einen letzten, entscheidenden Schlag führen will, muß seine Vorsichtsmaßregeln dazu treffen. Es ist nicht die Sorge um mich oder um mein Leben, die mich dabei leitet, allein wenn ich mich den Nächstbesten anvertraut hätte, wurden sie mich vielleicht verrathen haben; wenn ich dann auf irgend eine Weise unschädlich gemacht worden wäre, so hätte ich Euch ja ohne Hoffnung auf Rettung Euerem Schicksale überlassen müssen.«

Die Gräfin dachte einige Augenblicke nach. »Du hast nur recht und klug gehandelt,« sagte sie dann freundlich, »und bist wie immer mein treuester Diener und Freund, deshalb muß ich Dich so viel wie möglich schonen und für den äußersten Fall aufsparen. Aus diesem Grunde werde ich auch jetzt zunächst dem Neffen unseres braven Commandanten die Sorge für meine Befreiung überlassen ...«

»Was fällt Euch ein, Madame! ... Ihr denkt wirklich daran ...« unterbrach sie Zaklika.

»Ich habe meinen Entschluß gefaßt,« entgegnete die Gräfin. »Dieser Wehlen ist in mich verliebt, ich weiß das bestimmt; er kennt sich hier im Schlosse besser aus als Du, da er ja sozusagen hier zu Hause ist. Mische Dich nicht in die Sache, leiste ihm insgeheim Vorschub, thue aber, als ob Du nichts merkest, und betheilige Dich in keiner Weise an dem Vorhaben ... Ich werde versuchen, mit ihm zu fliehen.«

»Aber dieser Wehlen ist ja ein ganz unbesonnener, unzurechnungsfähiger junger Mensch!« warf Zaklika ein.

»Um so besser taugt er zu dem gefährlichen, ja wahnsinnigen Unternehmen!« entgegnete Anna.

»Aber wenn sein Vorhaben mißlingt?« fragte Raimund besorgt.

»Was kann man mir dann anhaben? Mehr als jetzt kann man mich nicht verfolgen und quälen,« antwortete die Gräfin kalt und entschieden. »Nur das Schicksal dieses jungen Mannes wird in solchem Falle zu bedauern sein, aber weder ich noch Du laufen dabei Gefahr ... Du hast recht, Raimund, Du mußt Dich für mich für alle Fälle in Reserve halten.«

»In dem Alter dieses Menschen,« begann Zaklika wieder, »passirt es Einem leicht, daß man im entscheidenden Augenblick den Muth oder die Geistesgegenwart verliert ... Uebrigens glaube ich gar nicht, daß er ernsthaft an Euere Befreiung denkt.«

»Lass' mich nur machen,« entgegnete Anna, »ich werde ihn schon dahin bringen. Ich bin glücklich darüber, daß ich Dich in der Nähe weiß, will indessen nicht alle meine Hoffnung auf eine Karte setzen.«

Ein Geräusch von der Treppe her zwang sie, das Gespräch abzubrechen. Der Officier verabschiedete sich laut von der Gräfin und zog sich zurück.

Er war sehr bekümmert darüber, daß Gräfin Cosel die Dienste eines Anderen den seinen vorziehe, allein gewohnt, sich den Wünschen seiner Herrin in allem und jedem zu unterwerfen, fügte er sich darein.

Der junge Wehlen hatte eine herzliche Zuneigung zu Zaklika gefaßt und machte ihn zu seinem intimsten Freund und Vertrauten, mit welchem er sich nun fast von nichts anderem mehr als von seiner Liebe unterhielt. Eines Tages äußerte er auch, daß er für die Gräfin gern sein Leben hingeben würde, wenn es ihr nutzen könnte.

»Ihr werdet mich nicht verrathen, mein Freund?« fügte er, Raimund umarmend, hinzu.

»Darüber könnt Ihr vollständig beruhigt sein,« erwiderte dieser, »denn ich bin ganz unfähig, jemandes Vertrauen zu mißbrauchen ... Allein, ich rathe Euch, überwacht Euch selbst besser, denn Ihr verrathet Euch unwillkürlich jeden Augenblick und wie leicht könntet Ihr durch Eueren Mangel an Vorsicht die Gräfin compromittiren!«

Bald bemerkte Raimund, daß der junge Wehlen Zusammenkünfte mit der Gräfin hatte, welche sich immer häufiger wiederholten und daß er auffallend oft in der Gegend des alten Thurmes sich herumtrieb. Er vernachlässigte sogar seinen Dienst und war überhaupt stets fieberhaft aufgeregt. Mehr als einmal hatte Zaklika mit seinem Onkel an seiner Statt das tägliche Spielchen machen und den Abend mit ihm verplaudern müssen.

Diese Unterhaltungen waren gerade nicht sehr amüsant für ihn, denn in der Regel drehten sie sich um die Geschichte dieser oder jener hervorragenden sächsischen Familie, also ein Feld, auf dem der Pole nicht recht heimisch war. Heinrich von Wehlen war unausgesetzt sehr in Anspruch genommen und Raimund erkannte aus verschiedenen Anzeichen, daß die Stunde der Ausführung des Fluchtplanes herannahe.

Da er nicht mit ins Geheimniß gezogen worden war, hütete er sich wohl, sich in die Sache zu mengen; er konnte sich aber einer gewissen Unruhe nicht erwehren und als er eines Tages mit Heinrich unversehens zusammentraf, benutzte er die Gelegenheit, ihm einen Wink zu geben.

»Bei Gott, Herr Kamerad,« redete er ihn an, »ich weiß nicht, was Euch im Kopf herumgeht, aber ich fürchte stark, daß Andere ebenso gut wie ich die außergewöhnlichen Vorbereitungen bemerken werden, die Ihr trefft und die jedermann auffallen müssen. Ich weiß von nichts und will nichts wissen, beschwöre Euch aber, die Klugheit doch nicht ganz außer Acht zu lassen!«

Etwas erschreckt über die Anrede, nahm ihn Wehlen beim Arm, zog ihn in eine Ecke und fragte hastig: »Nun, was habt Ihr gesehen? Was glaubt Ihr denn, was ich zu unternehmen gedenke?«

»Ich will nichts errathen,« entgegnete Zaklika, »allein ich sehe, daß Ihr Anstalten treffet, um einen verzweifelten und gefährlichen Schritt zu thun.«

»Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht,« fuhr Wehlen fort; »ich sehe nichts in all meinem Thun und Lassen, was irgend einen Verdacht zu erwecken geeignet wäre ... Das einzige Verbrechen, dessen ich mir bewußt bin, ist diese Liebe, welche mich noch wahnsinnig macht und die mein ganzes Leben und Sein ausfüllt ...«

»Nehmt Euch wohl in Acht, daß diese Liebe nicht gewissen Leuten die Augen öffne und sie veranlasse, der Sache auf den Grund zu gehen ... Was ich sehe, das kann ja ebenso gut jeder Andere auch merken!«

Wehlen wurde sichtlich verwirrt; es war leicht zu erkennen, daß er nicht mehr ganz Herr seiner Entschließungen war. Vermuthlich trieb ihn Gräfin Cosel an, die Flucht zu beschleunigen, vielleicht zu übereilen. Am nämlichen Tage noch fand Raimund Gelegenheit, in den Johannisthurm zu kommen; er traf die Gräfin anders als gewöhnlich gekleidet und unruhig in einer ihrer Zellen auf und ab schreitend.

»Zaklika,« sagte sie zu ihm, »verhalte Dich heute ganz ruhig und spiele mit dem alten Commandanten so lange als möglich; sollte allenfalls das Schloß alarmirt werden, so suche ihn zurückzuhalten.«

»Und wenn nun Euere Flucht gelingt, was soll ich dann anfangen?«

»Du? – Du wirst sofort dahin kommen, wohin ich Dich rufe!«

Das war alles, was er von ihr erfahren konnte. Auf ein Zeichen der Gräfin zog er sich zurück. Er ging langsam nach dem Schlosse zu; eine unbestimmte Ahnung schnürte ihm das Herz zusammen, er hatte das Gefühl, als stünde eine Katastrophe bevor. Er begegnete dem jungen Wehlen, welcher seine fieberhafte Ungeduld nur schlecht zu verbergen vermochte und alle Augenblicke nach der Sonne sah, die ihm heute viel zu lange zögerte, am westlichen Horizont unterzutauchen.

Der alte Commandant, welcher keine Ahnung von den Dingen hatte, welche sich unter seinen Augen vorbereiteten, lud Zaklika ein, ihm zu folgen, um ein Glas Bier zu trinken und das tägliche Spielchen mit ihm zu machen. Der Unterofficier von der Wache, welcher allabendlich die Thore zu schließen und dem Commandanten die Schlüssel zu überbringen hatte, fand den Letzteren mit seinem Partner gewöhnlich schon ganz in ihr Spiel vertieft, wobei sie oft bis spät in die Nacht sitzen blieben.

Der Abend war schön, der Himmel klar – sicherlich nicht sehr günstige Umstände für Wehlen's Vorhaben. Zaklika rückte unruhig auf seinem Sitz hin und her, horchte mit ängstlicher Spannung auf jedes Geräusch, das von außen kam und spielte überhaupt ungemein zerstreut. Der alte Wehlen, welcher jede Partie gewann, begann sich über ihn lustig zu machen.

»Was zum Teufel habt Ihr denn heute, Capitän?« fragte er lachend.

»Ach, ich leide schon den ganzen Tag über an Kopfschmerz,« war die Antwort.

Nachdem einige Partien gemacht waren, begann man zu plaudern. Wehlen stopfte sich gemächlich seine Pfeife, setzte sie in Brand und da es inzwischen im Zimmer finster geworden war, zündete man die Kerze an. Um diese Zeit pflegte sich gewöhnlich Heinrich einzufinden, er ließ aber heute auf sich warten ...

»Er wird wohl in die Stadt gegangen sein,« meinte der Alte, »denn der arme Junge langweilt sich hier. Das ist mir indessen hundertmal lieber, als wenn ich ihn immer um diese schöne und stolze Dame herumstreichen sehe, welche die übrige Welt kaum eines Blickes zu würdigen scheint!«

Zaklika beeilte sich, das Gespräch von diesem Thema abzulenken.

Im ganzen Schlosse herrschte die größte Stille und die Stunde nahte heran, wo der Unterofficier die Schlüssel zu bringen hatte. Plötzlich wurde heftig an die Thür geklopft.

Ein alter Soldat, welcher schon in allen deutschen Heeren in Preußen, in Flandern und in Holland gedient hatte, ehe er in die sächsische Armee eingetreten war, ein wahrer Condottiere, erschien auf der Schwelle. Betroffen starrte Zaklika den Mann an, der sehr blaß und erregt aussah.

Der Commandant mochte diesen Soldaten, der sich Wurm nannte, nicht recht leiden, aber er war ihm fast unentbehrlich, denn er verstand es vortrefflich, die Soldaten in strenger Disciplin zu halten.

»Herr Commandant,« begann Wurm, »ich habe Euch eine sehr wichtige Meldung zu machen.«

Hastig sprang Wehlen auf und rief: »Was giebt's? Es wird doch nicht etwa Feuer im Schlosse ausgebrochen sein?«

»Nein,« antwortete der Sergeant, »aber Euer Herr Neffe steht in diesem Augenblicke im Begriffe, der Gräfin Cosel zur Flucht aus Stolpen zu verhelfen. Das ist eine nette Geschichte, hahaha!«

In höchster Bestürzung eilte der alte Wehlen der Thür zu.

»O, Ihr habt nichts mehr zu befürchten,« fuhr Wurm mit einem sonderbaren Lachen fort, »ich habe den Plan längst errathen, ich habe die Beiden schon seit geraumer Zeit beobachtet und auf den entscheidenden Moment gewartet. Ich wußte recht gut, daß es so kommen werde und daß ich mir nicht umsonst so viel Mühe gab ...«

»Das ist eine infame Lüge!« rief der Commandant zornig. »Wie kannst Du es wagen ...«

»Ich habe meine Pflicht gethan,« sagte Wurm kalt. »Und Euer Neffe hat mich schon mehr als einmal thätlich beleidigt, wenn er gerade in Zorn gerieth. In diesem Augenblicke haben die Soldaten in dem alten Gange neben der Capelle die Gräfin und den Capitän Heinrich Wehlen festgenommen. Der Spaß wird ihm den Kopf kosten ...«

Der Sergeant lachte höhnisch bei diesem Gedanken, während sein teuflischer, haßerfüllter Blick auf den unglücklichen Alten haftete, der vor Schrecken und Verzweiflung nicht wußte, was er beginnen solle. Er gerieth in einen an Raserei grenzenden Zustand, wenn er an das Schicksal dachte, das seinem ihm so theueren Neffen bevorstand. Er verlor alle Fassung, griff bald nach seinem Säbel, bald nach seinen Schlüsseln.

»O, Zaklika,« rief er mit halberstickter Stimme, »rettet mich, rettet meinen armen Heinrich!«

»Da wird wohl keine Rettung mehr möglich sein,« sagte Wurm höhnisch, »denn morgen wird die ganze Stadt, der König, der Hof um die Sache wissen ... O, ich habe meine Maßregeln sehr gut getroffen – ich habe mich gerächt!«

Während er noch sprach, vernahm man vom Hofe her Lärm und Geschrei. Die Soldaten brachten die beiden Flüchtlinge. Gräfin Cosel schritt stumm und leichenblaß voran, während der junge Officier, den man gebunden hatte, da er in seiner Verzweiflung den Versuch gemacht, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen, hinter ihr ging.

Plötzlich riß sich die Gräfin, von blinder Wuth erfaßt, von den Soldaten los und lief, ohne sich umzuschauen, nach dem Thurme zu, der ihr als Gefängniß diente; Heinrich war, umringt von den Soldaten, mitten im Hofe stehen geblieben. Der alte Wehlen ging händeringend auf ihn zu und zerraufte sich in wildem Schmerze die Haare. Zaklika fühlte tiefes Mitleid mit dem jungen Manne, der so unbesonnen in eine Schlinge gerathen war, und blieb seitwärts stehen, grimmig mit den Zähnen knirschend und Wurm verwünschend, der triumphirend und spöttisch grinsend sich im Hintergründe hielt.

Dem alten Wehlen blieb nichts übrig, als seinen Neffen sofort ins Gefängniß werfen zu lassen und eine Untersuchung einzuleiten. Die Kraft fehlte ihm, um selbst den Rapport an seinen Vorgesetzten niederzuschreiben; seine Hand zitterte zu sehr und seine Augen füllten sich mit Thränen. Er ließ den ihm zugetheilten Schreiber herbeirufen und dictirte ihm die Meldung mit zitternder Stimme unter lautem Schluchzen und heftigen Verwünschungen in die Feder. Der alte Mann konnte die That seines Neffen nicht entschuldigen, er mußte ihn rücksichtslos anklagen, allein er bat zugleich, man möge sein jugendliches Alter in Betracht ziehen und Gnade für Recht ergehen lassen; er erinnerte an seine eigenen Verdienste und warf sich gegen den Fehltritt des jungen Officiers in die Wagschale; er nahm die ganze Verantwortlichkeit auf sich, indem er eingestand, daß er zu nachsichtig gegen Heinrich gewesen sei und ihm zu viel Freiheit gelassen habe, aber er beklagte sich auch bitter über den Sergeanten Wurm, welcher, anstatt ihm seine Wahrnehmungen beizeiten zur Kenntniß zu bringen, den Dingen ihren Lauf gelassen hatte, um schließlich daraus für seine Zwecke Nutzen zu ziehen.

Die Wachposten rings um den Thurm der Gräfin wurden nun sofort verdoppelt und die Nacht verlief in steter Aufregung und Unruhe. Der Commandant hatte auch Wurm ins Gefängniß setzen lassen. Eine Stunde nach dem Vorfall schon ging ein Courier mit der Meldung darüber nach Dresden ab.

Als die Sonne aufging, lag Schloß Stolpen düsterer und stiller als jemals da. Gräfin Cosel wälzte sich verzweiflungsvoll auf ihrem Lager.

Gleich nach Mittag erschien aus Dresden der General von Bodt nebst mehreren Officieren mit dem Auftrage, die Sache zu untersuchen. Der Commandant von Stolpen überreichte dem General schweigend seinen Degen, dieser aber bat ihn, denselben vorläufig zu behalten.

Einem königlichen Befehl gemäß wurden der Capitän von Wehlen und der Sergeant Wurm sofort vor ein Kriegsgericht gestellt, und bevor die Sonne sich zum Untergang neigte, war gegen den ersteren das Todesurtheil gefällt, wonach er alsbald auf einem freien Felde nächst dem Schlosse erschossen werden sollte. Vergebens bat der alte Commandant um einen kurzen Aufschub – all sein Flehen war vergebens, die strengen Richter blieben unerbittlich.

Gräfin Cosel hörte deutlich die Gewehrsalve, welche den Unglücklichen in den Tod schickte. Ein heftiges Zittern befiel sie, denn sie ahnte, daß der arme Jüngling, welcher ihr so rücksichtslos ergeben war, daß er auf seine Pflicht vergessen konnte, um sie zu befreien, in diesem Augenblicke seine Liebe mit dem Tode büßte.

Zaklika war bei dem verhängnißvollen Knattern bleich wie ein Leichnam geworden und Thränen innigen Mitleids traten ihm in die Augen.

Noch am selben Tage quittirte der alte Wehlen seinen Dienst, nachdem er zuvor einen Brief an den König geschrieben hatte ... Wurm aber wurde zur Belohnung für seinen Verrath in Eisen nach dem Königstein gebracht, wo er zu langjähriger Schanzarbeit verdammt war.


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