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2.
Von Berlin nach Halle

Dresden hatte sich seit der Flucht der Cosel in nichts verändert. Die Lebensweise des Hofes war noch immer dieselbe: man kannte nur den einen Zweck: sich zu zerstreuen und zu unterhalten.

König August begann zu altern, und wie es jedem blasirten Menschen, der das Leben flott genossen und sich keinen Wunsch versagt hat, zu ergehen pflegt, so begannen auch für ihn verschiedene Vergnügungen mehr und mehr ihren Reiz zu verlieren und immer schwieriger wurde es, neue Zerstreuungen für ihn aufzufinden ... Die Jugend findet an allem Gefallen, ihr bietet oft selbst das, was dem gereiften Alter Anlaß zur Traurigkeit giebt, Gelegenheit zu lachen; später nimmt das Vergnügen lebhaftere Farben an, es wird tiefer empfunden, greift mehr in das Gemüthsleben ein; endlich aber kommt das Alter und ihm erscheint alles schal und eitel.

August der Starke war bei jenem Zustand der Uebersättigung angelangt, wo das Vergnügen seinen Reiz verliert. An seinen ersten Liebschaften hatte bei all ihrer Flüchtigkeit doch das Gefühl auch noch einigen Antheil gehabt, das Herz hatte dabei mitgesprochen – seine letzten derartigen Verbindungen indessen waren nur mehr sinnlichen Anregungen entsprungen. Der Firniß französischer Galanterie mußte dies allerdings mit golddurchwirktem Schleier verhüllen.

Die Feste folgten sich ohne Ende und wurden immer gesuchter und damit kostspieliger, und trotzdem langweilte sich König August. Selbst an der Jagd, die er früher so leidenschaftlich geliebt, fand er nicht mehr so wie früher Gefallen, obgleich es ihm noch ein Lächeln entlocken konnte, wenn seine Doggen einen angeschossenen Bären zu Boden rissen oder ein armer gehetzter Hirsch sich im Todeskampfe wälzte.

Seinen heranwachsenden Sohn in der Jagd, die ihm einige Aehnlichkeit mit dem Kriegsspiele bot, zu üben, gewährte ihm auch noch am ehesten Vergnügen. Der Anblick des Blutes gab nach seinen eigenen Worten den anderen Genüssen erst den rechten Geschmack; es sei dies ein nothwendiger Contrast zu dem süßen Lächeln der Frauen, den Entrechats der Ballet-Koryphäen und der einschmeichelnden Harmonie der italienischen Musik. Um diese zarten Melodien besser würdigen zu können, erschien es ihm unerläßlich, vorher das Brüllen reißender Thiere zu hören.

Inzwischen blieben die Feinde der Cosel durchaus nicht unthätig. Obgleich der König seinen Günstlingen zu verstehen gegeben hatte, daß er es durchaus nicht liebe, an sie erinnert zu werden, und ungeachtet er selbst es sorgfältig vermied, das Gespräch auf einen Gegenstand zu lenken, der irgendwie mit ihrer Persönlichkeit in Beziehung gebracht werden könnte, wußten doch der Haß und die Rachsucht der Gegner der Gräfin unter den verschiedensten Formen sich bei August Gehör zu verschaffen. Unter dem Vorwande, daß ihm Gefahr drohe und daß man auf Maßregeln zu seiner Sicherheit Bedacht nehmen müsse, wußten die unermüdlichen Verfolger im Gedächtniß August's das Andenken an die unglückliche Frau, natürlich in ihrem Sinne, stets wach zu erhalten und sie immer wieder ihm als bösartige und gefährliche Person darzustellen.

Die Gräfin erschien ihren Feinden jetzt, wo sie weit von Dresden entfernt, ihnen unerreichbar und vollkommen frei war, auch über beträchtliche Mittel verfügte – man wußte, daß sie große Summen mitgenommen hatte – nichts weniger als ungefährlich. Aus eigener Initiative und ohne den König davon zu verständigen, hatten denn auch Flemming, Löwendahl, Watzdorf, Lagnasco und Vitzthum Spione nach Berlin entsendet und sich untereinander über die einzuschlagenden Wege berathen, um die Gräfin unschädlich zu machen und sich ihrer bedeutenden Schätze zu bemächtigen. Leitete die Einen Rachsucht bei diesen Schritten, so war bei den Anderen unersättliche Habgier die Triebfeder. Die Cosel hatte während der Zeit ihrer Herrschaft Keinem von ihnen Schaden zugefügt, ja, mehrere dieser Herren hatten sogar ihr allein ihre Erhebung und ihr Glück zu danken. Der Kanzler Beichling zum Beispiel war nur auf ihre Verwendung wieder in Freiheit gesetzt worden; es war ihm gestattet worden, seine noch übrige Lebenszeit auf dem Lande zu verbringen und sich da nach Herzenslust seiner Neigung zur Alchymie hinzugeben. Löwendahl war von der Gräfin dem König empfohlen worden und verdankte ihr die Stellung, welche er einnahm. Von all den früheren Schmeichlern war ihr aber in Dresden nur ein einziger Freund geblieben: Haxthausen, welcher den Muth gehabt hatte, trotz alles Zuredens und aller Rathschläge Flemming's der armen Frau bis zu ihrem Ende treu zu bleiben. Auch Friesen hielt sich, obwohl ihm die Gräfin, wie wir wissen, seinerzeit ihre Hilfe versagt hatte, als er in Geldnöthen steckte, neutral und trug ihr nichts nach. Alle anderen Höflinge aber kannten kaum noch ein wichtigeres Ziel, als sie zu verderben, und sie fanden keine Ruhe, bis ihnen dies gelungen war. Kein Wunder also, daß fast kein Tag verging, an dem man nicht eine Gelegenheit gesucht und gefunden hätte, den König gegen die Gräfin aufzuhetzen.

Als van Tinen von Berlin nach Dresden zurückkehrte, war der Eindruck, den die unglückliche Frau auf ihn gemacht hatte, noch so lebendig in ihm und ihr Schicksal flößte ihm so tiefes Mitleid ein, daß er es einige Tage hindurch vermied, sich bei Hofe zu zeigen. Allein Löwendahl wachte; durch seine Spione von der Ankunft van Tinen's benachrichtigt, ließ er diesen sogleich zu sich bitten.

»Wie habt Ihr die Dinge da oben gefunden?« fragte er ihn sofort nach seinem Erscheinen. »Erzählt mir alles! Wir hatten hier Gelegenheit, zu bemerken, daß der König für diese Cosel noch immer ein kleines Faible hat. Das erscheint uns gefährlich. Die Dönhoff und ihre Schwester passen uns viel besser, denn diese mischen sich nicht in die Geschäfte, schieben niemanden vor und scheinen gar keine Neigung dafür zu besitzen, den Hof zu beherrschen ... Allerdings kosten sie so viel, daß man selbst das größte Faß dabei ausschöpfen könnte, und der König muß nach seinem eigenen Geständniß anerkennen, daß Gräfin Cosel nicht so anspruchsvoll war. Aber alles in allem genommen sind sie eben doch weniger zu fürchten als die Cosel ... Also erzählt mir doch! Was treibt die Gräfin in Berlin? Hat sie noch immer die Hoffnung nicht aufgegeben, hierher zurückzukehren? Spricht sie immer noch von dem famosen Heiratsversprechen und von ihrem Plane, dem König eines schönen Tages zu erschießen?«

Auf all diese Fragen antwortete van Tinen in betrübtem Tone: »Alles, was ich weiß, ist, daß diese Frau sich sehr unglücklich fühlt.«

»Unglücklich? Das ist ihre eigene Schuld. Sie konnte ja unter den schönsten Partien wählen, aber sie hat alle ausgeschlagen. Das königliche Heiratsversprechen muß ihr offenbar den Kopf verdreht haben. Sie hält sich gewiß noch immer für die Gattin des Königs, ja für die Königin von Sachsen selbst, nicht wahr?«

»Das ist allerdings wahrscheinlich,« meinte van Tinen, »denn sie ist ganz dieselbe geblieben; ich habe sie in nichts verändert gefunden.«

»Aber so sprecht Euch doch einmal deutlich aus, mein Lieber! Ihr habt mir ja noch gar nichts davon erzählt, was Ihr gesehen und gehört!«

»Ich gestehe Euch ganz offen, daß das, wovon ich Zeuge war, mir das Herz zerrissen hat. Gräfin Cosel ist noch immer gleich aufgebracht, gleich halsstarrig und durchaus nicht geneigt, irgend etwas zu verzeihen; allein, ihr Unglück hat mir Achtung eingeflößt. Sie ist wirtlich bewundernswürdig, sie ist großartig in ihrem Schmerz!«

»Dann ist sie nur um so gefährlicher,« erwiderte Löwendahl lachend. »Warum mußte aber auch ihre Jugend und Schönheit verblassen!«

»Was fällt Euch ein!« rief van Tinen begeistert, »sie ist heute schöner als jemals. In ihrem Marmorantlitz haben die Thränen, welche sie vergoß, der Kummer, den sie erleidet, nicht die geringste Spur hinterlassen. Sie hat in den letzten acht Jahren auch nicht das Mindeste an Frische und Anmuth eingebüßt, ihre Stirne zeigte nicht die geringste Falte – kurz, sie strahlt auch heute noch in Jugend und Schönheit!«

»Desto schlimmer, desto schlimmer!« entgegnete Löwendahl. »Der König könnte sie sehen, er könnte Vergleiche ziehen zwischen ihr und der kleinen halbverwelkten Dönhoff, er könnte Reue empfinden ...«

»Gewiß,« bestätigte van Tinen, »es ist nicht wegzuleugnen, daß sie auf Jeden, der in ihre Nähe kommt, einen unwiderstehlichen Einfluß ausübt.«

»Habt Ihr mit ihr gesprochen?«

»Ja, oder vielmehr sie hat sich mir gegenüber rückhaltlos, mit der ganzen Bitterkeit, von der ihre Seele erfüllt ist, ausgesprochen.«

Nach und nach ließ sich der Kammerherr zu immer weiteren vertraulichen Mittheilungen herbei und erzählte endlich dem Hofmarschall alles, was dieser wissen wollte und setzte ihn so in den Stand, später Frau von Dönhoff einen mit allen möglichen Zuthaten versehenen Bericht zu erstatten.

Obgleich Marie Dönhoff ziemlich unüberlegt und von leichtsinnigem Charakter, dabei sehr furchtsam und zuweilen auch bösartig war, besaß sie doch nicht so wenig Gefühl, um einer armen, gehetzten Frau das Einzige, was ihr noch geblieben war, entreißen zu wollen – ihre Freiheit. Sie fühlte sehr wohl das Unrecht, welches der Cosel widerfahren und dessen Ursache sie selbst war und es widerstrebte ihr, dem steten Andrängen der erbitterten Feinde der Gräfin nachzugeben. Sie hätte vielleicht denselben noch mehr Widerstand entgegengesetzt, wenn nicht ihre Mutter, die als vorsichtige und praktische Frau unausgesetzt darauf bedacht war, ihrer Tochter die Herrschaft so lange als möglich zu sichern, sie gezwungen hätte, mit Allen in ihrer Umgebung auf gutem Fuße zu bleiben.

Noch an dem Tage, da van Tinen ihm seine Erlebnisse in Berlin erzählt hatte, ließ Löwendahl sich bei Frau von Dönhoff melden; er wählte dazu eine Zeit, da dieselbe eben mit ihrer Schwester allein war. Er begann die Unterhaltung damit, daß er den beiden Damen allerlei Schmeicheleien sagte, wohl wissend, daß diese hiefür sehr empfänglich seien; dann machte er wie von ungefähr einige Anspielungen auf die Vergangenheit und verglich damit die jetzigen Verhältnisse, was ihn natürlich dahin führte, auch der Cosel zu erwähnen; schließlich machte er die Mittheilung, daß er einige neuere Nachrichten über die Exfavorite erhalten habe.

»Was macht sie?« fragte Frau von Dönhoff.

»Sie befindet sich in Berlin, unter dem Schutze des Königs von Preußen und macht ziemlich schlechten Gebrauch von ihrer Freiheit. Sie verwendet ihre Zeit dazu, uns Alle gehörig anzuschwärzen, den König und den ganzen Hof in den abscheulichsten Farben zu malen. Das ist gewiß crasser Undank; indessen sind wir schon daran gewöhnt. Uebrigens,« fügte er hinzu, »hätte das alles nichts zu bedeuten, wenn sie nicht bei jeder Gelegenheit ihre Drohung wiederholte, daß sie bei der ersten Begegnung mit dem König denselben erschießen werde.«

Mit einem Angstschrei sprang Frau von Dönhoff von dem Sopha, auf welchem sie sich niedergelassen, auf, sich die Hand vor die Augen haltend; Frau von Potzki indessen zuckte leicht die Achseln und sagte gleichgiltig: »Das sind tolle Einfälle, derentwegen man sich nicht zu beunruhigen braucht.«

»Wir würden ebenso wie Ihr denken,« erwiderte Löwendahl, »wenn wir Frau von Cosel nicht kennen würden. Ich, der ich die Ehre habe, ihr Cousin zu sein, kenne sie nur zu gut! Sie ist eine Frau, welche nie ohne Grund oder ohne die Absicht, ihre Worte zu verwirklichen, etwas sagt.«

»Glücklicherweise,« meinte Frau von Potzki, »hat es durchaus nicht den Anschein, daß sie sobald in die Lage kommen wird, dem König zu begegnen.«

»Ja, glaubt Ihr denn, meine Gnädige,« warf Löwendahl ein, »daß sie geduldig abwarten wird, bis sich ihr eine passende Gelegenheit darbietet? ... Da kennt Ihr dieses Weib wirklich schlecht! Hat sie sich nicht unbemerkt auf eine Maskerade einzuschleichen gewußt? Wer will sie daran hindern, daß sie in irgend einer Verkleidung nach Dresden kommt, hier dem König auf der Straße auflauert und ihr unglückseliges Vorhaben ausführt?«

»Ja wohl,« rief Frau von Dönhoff, »dessen ist sie gewiß fähig! O, ich ahne Schreckliches! Der König handelt sehr unklug. Diese Frau sollte ... Mein Gott, ich weiß nicht, was man mit ihr anfangen sollte ... indessen ...«

»Madame,« unterbrach sie Löwendahl, »wer seine Freiheit so schlecht anwendet und sich gewillt zeigt, Anderen Schaden zuzufügen, der muß seiner Freiheit verlustig erklärt und unschädlich gemacht werden ... Ihr werdet wohl verstehen, was ich meine?«

Die beiden Frauen schwiegen; gleichzeitig fuhr ihnen der Gedanke durch den Kopf, daß das Schicksal der Cosel sehr leicht eines Tages auch dasjenige von Marie Dönhoff sein könnte. Löwendahl schien ihre Gedanken zu errathen, denn er fügte sogleich hinzu: »Seine Majestät hat sich niemals gegen Frauen, deren Rolle bei Hof zu Ende ging, allzu streng erwiesen; ich könnte Euch diesfalls als Beispiele Damen bezeichnen, welchen Ihr hier schon begegnet seid – allein es giebt Umstände ...«

Inzwischen war Frau von Bielinska eingetreten. Sie war unbestritten die Klügste von den drei Damen. Trotz ihres vorgerückten Alters kleidete sie sich stets mit großer Sorgfalt. Sie trat alle Augenblicke zum Spiegel und musterte ihre Toilette, um nachzuhelfen, wenn etwas in Unordnung gerathen war, vielleicht damit ihre sehr sorgfältig gepflegte und mit kostbaren Ringen bedeckte feine weiße Hand gehörig zur Geltung gelange.

Bei ihrem Eintritte begrüßte sie Löwendahl mit einem verbindlichen, halbvertraulichen Lächeln; nachdem sie einen raschen, Blick auf ihre Töchter geworfen, mischte sie sich sogleich in das Gespräch.

Frau von Dönhoff theilte ihr die Befürchtungen mit, welche die Erzählung des Hofmarschalls in ihr erregt hatte. Frau von Bielinska kannte, wenn es sich um ihre Töchter handelte, keine Rücksicht und kein Mitleid mehr; in diesem Punkte war sie äußerst empfindlich. Ihre Töchter galten ihr alles und was sie und ihre Zukunft bedrohte, brachte sie außer sich und stachelte ihren ganzen Haß und ihre Rachsucht auf.

Nachdem sie die Erzählung ihrer Tochter angehört, rief sie ganz aufgebracht: »Das ist wahrhaftig zu viel! Gegen eine Wahnsinnige darf man die Rücksicht nicht zu weit treiben. Der König ist zu gut. Diese Person greift ihn unausgesetzt an, beleidigt, beschimpft und verspottet ihn und wenn ihm ein Unglück widerfährt, wird man sich nur an sie zu halten haben ... Dem muß endlich ein- für allemal ein Ende gemacht werden.«

Man kam zuerst überein, daß Marie den König neuerdings zu warnen habe; nach einiger Ueberlegung jedoch entschloß sich die Marschallin, welche befürchtete, daß ihre Tochter diese Aufgabe nicht in genügender Weise erfüllen könnte, selbst die Sache in die Hand zu nehmen, nachdem Marie diesfalls dem Könige einige Andeutungen gemacht haben würde.

Da Löwendahl die Sorge für die Befriedigung seines Rachedurstes in so guten Händen wußte, zog er sich beruhigt zurück.

An diesem Abend fand im Hesperidengarten – wie man den Zwinger später benannt hatte – ein großes Ballfest statt. Dieser Garten war ganz im Geschmack jener Zeit angelegt. Die Blumenbeete und Rabatten waren mit Buchs eingefaßt; Springbrunnen, Grotten, mythologische Statuen boten eine reizende Abwechslung. Der Garten war namentlich Abends, wenn er taghell beleuchtet wurde, von überraschendem Effect. Im prächtig arrangirten Orangenwäldchen waren Sitze angebracht, die während des Tages Ruhebedürftigen einen willkommenen schattigen Aufenthalt und bei Nacht lauschige Verstecke boten. Auf den Balkons der Galerie, welche das Palais umgab, spielten Orchester, deren Melodien, von dem leichten Abendwinde entführt, sich in der Ferne verloren. In der Mitte des Gartens war ein riesiges, prächtig geschmücktes und erleuchtetes Zelt aufgerichtet und hier sollte nach den Souper der Ball stattfinden.

König August trug an diesem Abende einen prächtigen Anzug aus blauer Seide; derselbe war reich mit Silber aufgeputzt und mit Stickereien und Spitzen bedeckt. Er erschien heute jünger als sonst. Frau von Dönhoff, die sich in einer kostbaren Robe aus hellblauer Seide dicht an seiner Seite hielt, sah reizend aus; sie bot im Vereine mit ihrer Schwester alles auf, um den König zu unterhalten und den tausenderlei Spässen und frivolen Bonmots, die da aufgetischt wurden, war es zu danken, daß man einen Theil des Abends unter Lachen und Scherzen verbrachte.

Frau von Potzki und deren Schwester verstanden und ergänzten sich aufs vortrefflichste und obgleich ihre beiderseitigen Beziehungen zum König wohl geeignet gewesen wären, die Eifersucht der Einen gegen die Andere zu erregen, war doch bei keiner der beiden Damen auch nur eine Spur hiervon zu bemerken. Frau von Potzki war anscheinend zarter gebaut als ihre Schwester, war aber nichtsdestoweniger ausdauernder als diese. Ein von ihr in Begleitung eines Cavaliers unternommener Ritt von Warschau nach Danzig und zurück, ein Ritt, der mit solcher Schnelligkeit durchgeführt wurde, daß selbst ein geübter Reiter dadurch erschöpft werden konnte, und nach welchem sie nur einen einzigen Tag zu ihrer Erholung brauchte, hatte in Sachsen und Polen Aufsehen gemacht. Im Gespräche wußte sie ihrer Schwester immer im rechten Augenblick zu Hilfe zu kommen. Für diesen Tag hatte die Mutter ihr die nöthigen Weisungen gegeben; das Gespräch sollte nämlich auf die Cosel geleitet werden.

August verfiel nach kurzer Zeit wieder in seine gewöhnliche Ermüdung und Schläfrigkeit. Frau von Potzki benutzte dies, um im Laufe des Gespräches dem König in vorwurfsvollem Tone vorzuhalten, daß er sich früher, zu den Zeiten der Cosel, anscheinend viel besser unterhalten habe und mehr Vergnügen zu finden schien als jetzt, so daß es beinahe so aussehe, als ob er den Abgang der Frau von Cosel bedauere.

Der immer galante August beeilte sich natürlich zu antworten, daß es in Gesellschaft so schöner und liebenswürdiger Damen ganz unmöglich sei, Jemanden zu vermissen oder an irgend jemand Anderen zu denken.

Frau von Dönhoff ergriff rasch die Gelegenheit, hing sich an den Arm August's und begann nun ebenfalls von der Cosel zu sprechen; allein wie gewöhnlich fand sie sich sehr schlecht in die ihr zugewiesene Rolle, so daß ihre Mutter, die schon auf den geeigneten Moment wartete, gar bald zu interveniren genöthigt war, und nun ergossen sich Beide in Klagen und Befürchtungen betreffs der Gräfin.

Der König, über diesen doppelten Angriff überrascht, schien davon etwas unangenehm berührt zu sein. Er schwieg anfangs beharrlich, zuletzt erwachte er indessen doch aus seiner Träumerei.

»Liebe Marie,« sagte er, »macht Euch keine Sorge über mein Schicksal! Es wachen ja doch mit und ohne meinen Willen so viele eifrige Diener über meine Person; sie werden schon dafür sorgen, daß mir kein Leid widerfährt, dessen könnt Ihr versichert sein. Im Uebrigen liebe ich es nicht, von diesen Dingen zu sprechen ... Lasset uns tanzen gehen!«

Der Angriff war damit abgeschlagen, es erübrigte nichts anderes, als die Sache vorläufig fallen zu lassen. Nach dem Souper indessen, als man in kleinerem Kreise zu zechen begonnen hatte, wollten Flemming und Löwendahl den Versuch erneuern. Lange ließ sie der König ungestört fortschwatzen, obgleich ein aufmerksamer Beobachter aus der Art, wie er seine olympische Stirne in Falten zog, entnehmen konnte, daß ihm dieses Thema nicht eben angenehm sei.

»Höre, mein lieber Löwendahl,« sagte er endlich mit einem Anflug von Ironie, »Du giebst mir heute in der That einen großen Beweis von Deiner Anhänglichkeit an meine Person, indem Du mich vor der Gräfin, die ja doch Deine Cousine ist und welcher Du Deine heutige Stellung verdankst, warnst. Ich sollte mich eigentlich für den Dienst, den Du mir damit erweisest, erkenntlich zeigen, indessen kann ich Dir nicht verhehlen, daß Dein Benehmen mich einigermaßen in Erstaunen setzt ... Ich bitte Euch, überlasset doch mir allein die Sorge für meine Sicherheit!«

Löwendahl wußte hierauf nichts zu erwidern; er unternahm indessen trotzdem auf dieser Soirée noch einen Versuch, indem er van Tinen geschickt dahin zu bringen wußte, daß dieser dem König über seine Berliner Reise Bericht erstattete; August, der den Kammerherrn bekanntlich nicht recht leiden mochte, hörte ihm nur mit halbem Ohr zu und würdigte ihn keines Wortes.

Die Verschworenen sahen bald ein, daß sie einen falschen Weg eingeschlagen hatten und daß sie andere Mittel anwenden müßten, um zu ihrem Ziele zu gelangen.

*

Obgleich Gräfin Cosel fest entschlossen war, in Berlin ein sehr zurückgezogenes Leben zu führen, sah sie sich doch gar bald gezwungen, diesen Entschluß aufzugeben. Der Ruf ihrer Schönheit und ihres Geistes war ein so allgemein verbreiteter, ihre Persönlichkeit so interessant, daß man sich beeilte, ihre Bekanntschaft zu machen. – Dazu kam noch, daß die Gräfin die meisten Angehörigen des Berliner Hofes, namentlich seit der Zeit, da der Preußenkönig in Sachsen verweilt hatte, kannte.

Die Cavaliere am Hofe Friedrich Wilhelm's I., die an den täglichen Paraden, die ihren König so sehr fesselten, durchaus keinen Gefallen finden konnten und sich auf den Soiréen, welche abwechselnd beim König und bei der Königin stattfanden, entsetzlich langweilten, sehnten sich darnach, anderwärts einige Zerstreuung zu finden.

Meistens hielt sich König Friedrich Wilhelm in Potsdam oder in Wusterhausen auf. Um zehn Uhr wohnte er täglich der Ablösung der Wachen bei, dann empfing er die Minister oder machte einen Spaziergang. Der Nachmittag war stets dem Empfange hoher Militärs oder von Fremden gewidmet; dann nahm der König im Kreise seiner Familie ein bescheidenes Mahl ein und arbeitete hierauf in seinem Cabinet. Abends erschien er in den Empfangssalons, wo sich die Königin, einige Hofdamen und ab und zu ein vornehmer Fremder einfanden; man spielte dabei Piquet, L'Hombre, Tric-Trac und rauchte dazu. So verlief das Leben bei Hofe im Familienzirkel ziemlich einförmig. Gewöhnlich trennte man sich um elf Uhr. War der König abwesend, so empfing die Königin um sieben Uhr Abends; es wurden von ihr manchmal mehrere Personen zum Souper geladen. In diese einfache Lebensweise brachte nur selten irgend eine von einem oder dem anderen hohen Staatswürdenträger veranstaltete Soirée einige Abwechslung.

Wie man sieht, konnte Berlin keinen Vergleich mit dem lärmenden Treiben in Dresden aushalten. Am preußischen Hofe lachte man insgeheim über den sächsischen und spottete nicht wenig über die ritterlichen Vergnügungen des Königs August, die niemand ernst nahm.

Die sächsische Armee war äußerst prächtig ausgerüstet; die Uniformen derselben strotzten von Goldborten, Federn etc., während die preußische Armee sich in ihren groben blauen Kleidern sehr wenig elegant ausnahm, nur die Hußaren in ihren rothen Uniformen, welche die ganze Armee herausputzen mußten, machten eine Ausnahme. Die Officiere unterschieden sich in ihrer Ausrüstung nur sehr wenig von den gemeinen Soldaten. Bezüglich der Fahnen herrschte derselbe Unterschied; an Stelle der prächtigen Standarten mit lebhaftem Farbenspiel, die man in Sachsen führte, waren in Preußen nur einfache Fahnen zu sehen, auf deren weißem Felde, wenn sie im Winde flatterten, man einen schwarzen Adler mit ausgebreiteten Flügeln wahrnahm, über dessen Kopf die stolze Devise prangte: » Nec soli cedit!” – ein kühner Wahlspruch, welchen allerdings die Ereignisse einer früheren Zeit rechtfertigten!

Man konnte sich kaum zwei Charaktere denken, die mehr darnach beschaffen waren, einander abzustoßen, kaum zwei Persönlichkeiten auffinden, welche mehr voneinander verschieden waren, als Friedrich Wilhelm von Preußen und Friedrich August von Sachsen.

Seit dem Tage, da der König von Preußen von Frau von Pannewitz, der gegenüber er sich einen Spaß erlaubte, welcher die Grenzen der Wohlanständigkeit überschritt, wie man sich erzählte, eine Ohrfeige erhalten hatte, schaute Friedrich kein Weib mehr an und war der treueste aller Ehemänner geworden. Seine Familie wurde von ihm sehr streng gehalten und in seinem Haushalte herrschte so große Sparsamkeit, daß man sich von der königlichen Tafel nicht allein mit völlig klarem Kopfe, sondern nicht selten auch noch mit gutem Appetit erhob. Die Ordnung wurde in Staat, Stadt, Haus, Familie und Armee bis zum starrsten Pedantismus getrieben. Wohl hatte es der Adel schon mehrmals versucht, sich gegen das ihm auferlegte Joch aufzulehnen; allein der König hatte die Widerspenstigen stets wieder zum Gehorsam zurückzuführen gewußt und gezeigt, daß seine Autorität wie ein Fels stand und durch nichts zu erschüttern war ... Die Tafel war bei Hofe, wie schon erwähnt, ganz bürgerlich gehalten. Stets wurde nach dem Essen ein Tischgebet gesprochen. Man aß für gewöhnlich auf einfachen Tellern, und nur wenn fremde Gäste zugezogen waren, wurde auf Silbergeschirr servirt, welches aber nach dem Diner sofort in den Schränken wohl verwahrt wurde.

Wohl hatte der König auch seine besonderen Vergnügungen, allein sie bewegten sich in ganz anderer Richtung als diejenigen August's des Starken. Wenn nach dem mageren Souper die Königin sich erhob und sich in ihre Appartements zurückzog, fand sich der König mit seinen Vertrauten zum Tabakcollegium zusammen, das heißt, man begab sich in einen kleinen Saal, wo den Gästen, ob sie nun rauchen wollten oder nicht, holländische Pfeifen gereicht wurden. Hier, an einem in der Mitte des Saales stehenden langen Tische sitzend, konnten sich die Raucher wohl etwas mehr Freiheit als gewöhnlich herausnehmen; es wurde hier sehr viel medisirt, und wer da in die Arbeit genommen wurde, von dem blieb nicht viel Gutes übrig. Jeder der Theilnehmer an dem Rauchcollegium, zu dem hier und da auch Fremde von Namen oder Rang zugezogen wurden, erhielt einen Humpen Bier vorgesetzt – darin bestand aber auch die ganze Bewirthung. Das größte Vergnügen war es für Friedrich, sich über diesen oder jenen Gelehrten, über Mitglieder der hohen Aristokratie oder über seine Gesandten lustig zu machen. Nachdem man einige Schoppen getrunken hatte, nahmen die Scherze nicht selten eine etwas derbe Gestalt an, ja, es kam hier und da sogar zu Handgreiflichkeiten. Indessen blieben alle diese Auftritte ohne ernstere Folgen, wenn auch Einer oder der Andere in Folge derselben auf einige Tage das Bett hüten mußte.

Nicht selten wurden auch zu bestimmten Zwecken eigene Capitel im Tabakcollegium arrangirt. So z. B. wurde als Thema der Verhandlungen aufgestellt: daß die Gelehrten lauter Narren seien. Dann erschien auf einem improvisirten Katheder irgend einer der Theilnehmer dieser sonderbaren Collegien in einer blauen Sammtrobe, mit einer Perrücke mit langem Zopfe und perorirte zur großen Belustigung des Königs eine Stunde lang über das gegebene Thema.

Dies waren die einzigen Vergnügungen am preußischen Hofe. In Dresden machte man sich über Berlin lustig, in Berlin aber betrachtete man die sächsische Hauptstadt als einen wahren Höllenpfuhl. König August von Polen galt für einen Atheisten; der König von Preußen war im Gegentheile sehr fromm, aber nach seiner Art. Man erzählt sich darüber unter Anderem folgende Anekdote: Ein Kammerdiener, der eben erst seinen Dienst angetreten hatte, sollte nach dem Souper das Abendgebet sprechen; als er nun zu den Worten kam: »Gott segne und beschütze Dich,« hielt er es für passender, da er gegen den König gewendet sprach, diese Formel in die höflichere umzuwandeln: »Gott segne und beschütze Euch.« Dies mißfiel aber dem König gar sehr. »Esel!« schrie er ihn an, »lies wie es dasteht; vor Gott bin ich gerade so gut ein Hundsfott wie Du!«

Nach den zweifelhaften Vergnügungen des Tabakcollegiums, nach den mageren Hofdiners seufzte mehr als ein Höfling unwillkürlich nach besserer Gesellschaft, minder derben Witzen und einer anregenderen und geistvolleren Conversation. Die Bekannten der Frau von Cosel begannen daher allmählich ihr Haus fleißiger zu besuchen; die arme gelangweilte Frau öffnete diesen Gästen mit Vergnügen ihre Thür und bald kam jeden Abend Dieser und Jener einzeln und in aller Stille, denn in Berlin war es niemandem gestattet, zu viel Aufsehen zu machen.

König Friedrich, der von Allem, was in der Hauptstadt vorging, stets wohl unterrichtet war, wußte von diesen Besuchen, erwähnte aber nichts davon. Dies ermuthigte außer anderen Cavalieren auch einige Offiziere, der Gräfin ihre Huldigungen darzubringen. Sie kamen in der Regel vor dem Souper, und da Gräfin Cosel oft bis in die späte Nacht hinein aufblieb, so verlängerten sich die Besuche nicht selten bis Mitternacht. Dann wurde das Hausthor geräuschlos geöffnet und die Herren gingen vergnügt und friedlich nach Hause.

Anna von Cosel that sich in ihrer Unterhaltung betreffs dessen, was sie von Dresden und über den König von Polen erzählte, durchaus keinen Zwang an; denn sie glaubte den Charakter des Preußenkönigs zu genau zu kennen, um vorauszusetzen, daß er für seinen prachtliebenden und leichtsinnigen Nachbar besonders eingenommen sei.

Discretion war nun aber nicht gerade die hervorstechendste Eigenschaft der liebenswürdigen Gäste, welche die Gräfin empfing, und da sie sich gar keine Mühe gab, die Empfindungen, welche sie gegen den leichtfertigen August hegte, zu verbergen, so wurde in Berlin bald allerhand über dieses Thema geschwatzt; manches pikante Anekdötchen drang durch die bei ihr Aus- und Eingehenden bis in die intimsten Hofkreise, und man ermangelte nicht, im Tabakcollegium auch den König damit zu unterhalten; man lachte und scherzte über die Sache und nur manchmal schüttelte der König befremdet den Kopf; er schien darüber erstaunt zu sein, daß die Gräfin sich in so kühner, unverhohlener Weise über einen Monarchen ausließ, dem gegenüber er die herzlichste Zuneigung und die größte Achtung heuchelte.

Eines Abends, als wieder mehrere junge Höflinge ihrer Gewohnheit gemäß bei der Gräfin weilten und die Unterhaltung sich eben sehr lebhaft fortspann, wurde man plötzlich durch den Eintritt eines alten bekannten Generals, einen der Intimsten aus dem Tabakcollegium, überrascht. Die Anwesenheit dieses unerwarteten Gastes wirkte einigermaßen erkältend auf die vorher mit jugendlicher Lebhaftigkeit geführte Unterhaltung ein; nur die Gräfin nahm von seiner Anwesenheit weiter keine Notiz und fuhr ungenirt in ihren Ausfällen gegen den sächsischen Hof und König August fort.

Kopfschüttelnd hörte der alte General dem Gespräche zu. Er schien über das, was er hier zu hören bekam, nicht wenig erstaunt zu sein. Er blieb bis nach Mitternacht, und als bereits Alles fort war, zögerte er noch immer, sich zu entfernen, so daß die Reihe des Erstaunens nun an die Gräfin kam. Endlich erhob sich der bis dahin ziemlich wortkarg gebliebene Soldat und näherte sich in ehrerbietigster Haltung der Gräfin, um sich von ihr zu verabschieden.

»Erlaubt mir, Frau Gräfin,« sagte er mit einer ceremoniösen Verbeugung, »eine kurze Bemerkung. Ohne Zweifel verbringt man seine Zeit bei Euch sehr angenehm; allein obgleich Thüren und Fenster gut verschlossen sind, dringt doch manches Wort von dem, was hier gesprochen wird, bis auf die Straße. Wie leicht kann irgend ein ungünstiger Wind diese Worte an die Ufer der Elbe tragen, wo sie zweifellos Seine Majestät den König von Polen, unseren liebenswürdigen Nachbar und Alliirten, sehr verletzen müßten! Er könnte sich dann mit Recht darüber aufhalten, daß unser König in seiner Hauptstadt für ihn so beleidigende Aeußerungen von Mund zu Mund gehen läßt. Das wäre natürlich für unseren Monarchen sehr unangenehm ...«

Gräfin Cosel hatte überrascht den Worten des Generals zugehört und mehr und mehr verfinsterten sich ihre Züge.

»Wie,« rief sie nun, »darf man denn bei Euch nicht einmal in seiner eigenen Wohnung, zwischen seinen vier Mauern mehr reden, wie es Einem ums Herz ist?«

»O, ganz im Gegentheil,« erwiderte der General, »es steht Jedem hier vollständig frei, zu sagen, was ihm beliebt – nur kann es dann eben passiren, daß man gezwungen ist, irgend eine Reise zu unternehmen, auch wenn man nicht gerade Lust dazu hat.«

»Gilt das etwa mir? ... Was, man wollte es wagen ...«

»Liebe Frau Gräfin,« antwortete der General mit einem Seufzer, »das gilt für Euch ebenso gut wie für jeden Anderen. Bei uns geht eben alles streng nach militärischer Disciplin. Die Einrichtungen unseres Landes sind nun einmal so und die Ordnung erfordert das ... Deshalb möchte ich Euch auch gerathen haben, Euere Abende künftighin lieber mit Piquet- oder Tric-Trac-Spielen zu verbringen – das ist ja ganz amüsant und man läuft keine Gefahr dabei.«

Die Gräfin ließ traurig den Kopf hängen und antwortete nicht auf diese Ermahnung.

»Ihr glaubt vielleicht, Madame,« fuhr der Besuch fort, »daß das nur die Meinung eines alten Schwätzers sei, der die Dinge bloß von seinem beschränkten Standpunkte aus betrachte. Ihr könnt überzeugt sein, daß dem nicht so ist ... Vielleicht hat mich irgend Jemand beauftragt, Euch zu warnen.«

Nach diesen Worten zog sich der General grüßend zurück und ließ die ganz verblüffte und niedergeschlagene Gräfin allein.

Indessen nahm sie durchaus keine Rücksicht auf die ihr gewordene Warnung, und als an den nächsten Tagen ihre gewohnten Gäste sich wieder einfanden, sprach sie so viel und so rückhaltslos, daß man glauben konnte, sie könne es kaum erwarten, bis sich ihr jene Strenge fühlbar machen werde, an welche sie nicht recht glauben mochte.

Bald darauf aber erschien ganz unerwartet eines schönen Morgens der Statthalter von Berlin, General von Wartensleben, bei der Gräfin. Er grüßte sie höflich und begann dann eifrig seinen mächtigen Schnurrbart zu drehen. Nach diesen Präliminarien fragte er Frau von Cosel mit verbindlichstem Lächeln, ob es wahr sei, daß sie ihr Domicil zu wechseln gedenke und daß sie sich einen etwas ruhigeren Zufluchtsort ausgewählt habe – zum Beispiel Halle.

»Ich – nach Halle?« entgegnete die junge Frau höchlich betroffen. »Und was sollte ich denn in Halle zu suchen haben?«

»Nun, die Luft ist dort sehr gesund, die Gegend ist sehr hübsch und – was das Angenehmste ist – es ist dort sehr ruhig. Ihr werdet Euch da sehr wohl befinden, denn es giebt kaum einen schöneren Aufenthalt als Halle.«

Die Gräfin wußte nicht, was sie darauf antworten solle; ihre Ueberraschung wuchs bei jedem Worte des Statthalters.

»Aber, mein Herr,« stieß sie endlich heraus, »ich habe ja gar niemals daran gedacht, nach Halle zu gehen!«

»Das ist ganz einerlei,« erwiderte Wartensleben, »es hat irgend jemand dem König mitgetheilt, daß Ihr den Wunsch hegt, dorthin zu übersiedeln, und Seine Majestät hat sogleich die nöthigen Befehle ergehen lassen, damit der Erfüllung dieses Eueres Wunsches nichts im Wege stehe und daß Ihr an Euerem neuen Aufenthaltsorte mit aller möglichen Rücksicht behandelt werdet. Nun ist, wie Ihr wohl einsehen werdet, ein Befehl des Königs etwas Unwiderrufliches, und es ist das Beste, sich dem zu fügen und nach Halle abzureisen.«

Mehrere Minuten hindurch war die Gräfin keines Wortes mächtig; sie rang verzweifelnd die Hände und weinte bitterlich.

»Also ein Befehl,« sagte sie endlich, »eine Ausweisung – und wofür denn?«

»Der König meint, daß Ihr dort besser aufgehoben sein werdet. Ihr glaubt gar nicht, Frau Gräfin, wie in den Straßen Berlins das Echo jedes Wort auffängt und – unendlich verschärft und vergrößert – weiterträgt. Ihr werdet Euch in dieser Hinsicht in Halle bedeutend beruhigter fühlen können. Dort hört und belauscht Euch niemand, Ihr seid dort viel freier und ungezwungener ...«

Nach diesen Worten erhob sich der General, um Abschied zu nehmen.

»Es ist übrigens nicht nöthig, Frau Gräfin,« fügte er noch hinzu, »daß Ihr Euch besonders beeilet. Wenn es Euch nicht möglich sein sollte, morgen schon abzureisen, könnt Ihr damit auch bis übermorgen Früh warten. Das Wetter ist sehr schön zum Reisen; Ihr könnt auch kleine Etappen machen. Da die Wege indessen nicht überall sehr sicher sind, hat Seine Majestät geruht, Euch eine kleine Escorte anzubieten, die Euch bis an Eueren Bestimmungsort führen und begleiten wird. Das ist eine ganz beispiellose Galanterie von Seiten unseres Königs und Ihr werdet es ihm gewiß Dank wissen.«

In höflichster Weise verbeugte sich nun General Wartensleben und überließ die Gräfin ihrer Bestürzung.

Sie fühlte sogleich, daß dieser Schlag von Dresden aus geführt wurde; man wollte offenbar nicht, daß mehr von ihr gesprochen werde, man arbeitete darauf hin, sie in aller Stille verschwinden zu lassen und sie zu zwingen, sich in ihr Schicksal zu ergeben. Der stolze, unbeugsame Geist dieser Frau empörte sich auf das heftigste bei diesem Gedanken; jeder Schlag, der sie traf, verdoppelte nur ihre Energie.

Noch an demselben Tage gab Anna von Cosel Befehl, alles zur Abreise vorzubereiten und die nöthigen Pferde zu bestellen; ohne ein Wort zu sagen, führte der stets treue und ergebene Zaklika ihre Weisungen aus.

Als der Wagen, der die Gräfin Cosel von Berlin wegbringen sollte, vor ihrem Hause hielt, hatte sich eine Menge Neugieriger daselbst angesammelt; als sie diese schöne, junge Frau ganz in Trauer gekleidet, mit hoch erhobenem Kopfe und majestätischen Schrittes aus dem Hause kommen und zum Wagen schreiten sahen, zogen sie sich scheu und ehrerbietig zurück; die Scene machte ganz den Eindruck, als ob hier ein Opfer zum Schaffot geführt werden solle.


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