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1.
In Berlin

In den ersten Decennien des achtzehnten Jahrhunderts war Berlin kaum erst ein schwacher Schatten von der stolzen Residenz, die sich heute an den Ufern der Spree ausdehnt. Es begann eben seine Glieder etwas zu recken; wohin man blickte, sah man neuerstehende Gebäude. Indessen hatte es doch schon ganz das Aussehen einer ansehnlichen Stadt. Das Erste, was dem Auge auffiel, waren die vielen Kasernen und Soldaten. Größte Ruhe und Ordnung herrschte in der neuen Stadt; nicht selten und nicht mit Unrecht hat man sie mit einem Kloster verglichen. Nichts geschah hier durch die Initiative oder den Willen der Bevölkerung – alles auf Befehl von oben. Das Anwachsen der Bevölkerung, die Verschönerung der Stadt, Handel und Wandel, alles und jedes entstand und entwickelte sich hier wie mit einem Schlage und in ganz anderer Weise als anderswo. Man konnte sich schwer etwas Traurigeres denken, als diese von den schmutzigen Fluthen der Spree bespülte neue Hauptstadt Preußens. In den öden Straßen begegnete man viel mehr Soldaten als sonstigen Bewohnern und unaufhörlich war das Geschmetter der Trompeten, das Gelärm der Trommler und Pfeifer zu vernehmen – weit häufiger als das Läuten von Glocken, denn Berlin zählte damals weit mehr Kasernen als Kirchen. In den Hauptstraßen reihten sich große Gebäude schnurgerade aneinander, denen man es förmlich ansah, daß sie nicht jedes einzeln nach dem Wunsche und Plane eines Bürgers entstanden seien, sondern daß sie insgesammt ein höherer Wille hatte aus der Erde erstehen lassen. Alles in Allem genommen, machte Berlin einen äußerst unangenehmen Eindruck, trotzdem es bereits fünf große Stadttheile und mehrere ansehnliche, da und dort verstreute Vorstädte umfaßte. Die Paläste und Villen der königlichen Familie hoben sich von den übrigen Gebäuden durch eine äußerst anspruchsvolle Architektur ohne einheitlichen Stil fremdartig ab. In der Spandauer Vorstadt bemerkte man Monbijou, das Schloß der Königin, in Strahlau das von dem König bewohnte Belvedere. Alles war neu in der preußischen Hauptstadt wie das preußische Königthum selbst; die ältesten Bauwerke konnten ihr Alter nach Decennien zählen. Da und dort langweilte sich eine einsame Statue in tiefer Verlassenheit; auf dem Molkenmarkt aber war bereits die ursprünglich für das Arsenal bestimmt gewesene Statue Friedrich's I. zu sehen. Die Straßen und Plätze harrten im Uebrigen noch meist ihrer Bewohner und damit eines regeren Lebens. Ueber die Spree hatte man eine Brücke gebaut, der man nach dem Vorbilde des Pariser Pont-Neuf den Namen »Neue Brücke« gegeben hatte; wie auf jener das Reiterstandbild Heinrich's IV., erhob sich hier dasjenige des Kurfürsten Friedrich Wilhelm.

Das königliche Schloß überstrahlte all die anderen Paläste in prächtiger Ausstattung. Schlüter hatte es so überreich mit Guirlanden verziert, daß von den Mauern fast nichts mehr zu sehen war; da dieses Meisterwerk indessen drei verschiedene Baumeister hatte und die zwei Nachfolger Schlüter's Jeder nach seinem eigenen Geschmack zu dessen Verschönerung beizutragen für gut fanden, so konnte es nicht ausbleiben, daß das Ganze etwas grotesk aussah und ziemlich schlechten Geschmack bekundete.

Berlin hatte, wie gesagt, alles, um eine große Stadt zu repräsentiren – es fehlte ihm nur noch an der hierzu nöthigen Anzahl von regsamen Bewohnern. Es war in aller Eile ein Theater erbaut worden; man hatte ein Museum, eine Bibliothek, eine Gemäldegalerie geschaffen und sie, so gut man eben konnte, ausgestattet.

Ganz im Gegensatze zu Dresden, opferte man indessen hier die Armee nicht für schöne Porzellangefäße, sondern man wog im Gegentheile die Soldaten förmlich mit Gold auf. Was die größte Sehenswürdigkeit Berlins bildete und das, worauf seine Zukunft, wie die der neuen Monarchie überhaupt beruhte, war diese wohlgedrillte Armee, die mit der Pünktlichkeit eines Uhrwerkes manöverirte und sich wie ein Mann bewegte. Hier war das aus den größten Leuten, deren man in irgend einem Lande habhaft werden konnte, zusammengesetzte famose erste Grenadierbataillon entstanden; es zeigte in merkwürdigster Weise, was alles man aus dem Menschen zu machen im Stande ist und welche Stufe militärischer Ausbildung fortgesetzte Uebung und Drillung zu erreichen vermag. Der Sold dieser Riesengrenadiere stand ganz im Verhältniß zu ihrer Größe; es war dies der einzige Luxus, welchen sich die sonst in allen Dingen so übertrieben sparsame preußische Regierung erlaubte. Manche dieser Grenadiere hatten es schon zu Hausbesitzern gebracht und trieben in den Mußestunden, welche ihnen der militärische Dienst ließ, Handel oder sonst irgend einen Nebenerwerb. Das sprechendste Beispiel, wie diese Riesen umgemodelt wurden, bot Jonas, genannt der Norweger. Als er den Dienst antrat, war er ein ungeschlachter, ungeschickter, beinahe verwachsener großer Lümmel; aus ihm machte man in Berlin einen so wohldressirten, geschickten Menschen, daß er förmlich als das Ideal eines Soldaten damaliger Zeit galt, was ihm in der Folge zu einiger Berühmtheit verhalf ....

Wenn man von Dresden kam, mußte Berlin in der That den Eindruck eines Klosters machen.

Als der ganz mit Staub und Straßenkoth bedeckte Wagen der Gräfin Cosel im Galopp durch die Straßen der preußischen Hauptstadt fuhr und dessen schöne Insassin sich neugierig aus dem Fenster beugte, um sich ein wenig umzusehen, schnürte ihr der Anblick dieser langen sandigen Alleen, dieser viel eher großen Grabstätten als Wohnsitzen lebender Wesen gleichenden Häuser förmlich das Herz zusammen; doch hoffte sie hier wenigstens Sicherheit und die lang entbehrte Ruhe zu finden; unter dem Schutze der Gesetze dieses Landes glaubte sie da unbehelligt abwarten zu können, bis ihre Lage und ihr Schicksal sich wieder gebessert haben würden.

Ein von Frankfurt aus vorausgeschickter Courier hatte für die Gräfin bereits eine Wohnung gemiethet, die ihr allerdings, entsprechend den eben empfangenen äußeren Eindrücken, äußerst frostig und traurig, ja geradezu armselig erschien. Das konnte in der That nur vorübergehend eine Herberge für sie sein.

Am nächsten Tage installirte sich Zaklika in aller Form als Hüter des Hauses. Es wurden sofort alle zu längerem Aufenthalte nöthigen Einrichtungen getroffen und Vorräthe herbeigeschafft. Frau von Cosel behielt sich in ihrem neuen Heim ein kleines abgelegenes Eckzimmer zurück, wo sie sich ungestört ihren Gedanken überlassen konnte. So begann nun eine ganz neue Existenz für sie – eine traurige, entsetzlich langweilige Existenz, in welcher die Tage mit hoffnungslosester Gleichförmigkeit aufeinander folgten.

In Berlin war es indessen nicht möglich, gänzlich unerkannt und unbeachtet zu bleiben. Noch waren nicht volle drei Tage seit der Ankunft der Gräfin Cosel verflossen, als man ihr den officiellen Besuch des Statthalters von Berlin, des Marschalls von Wartensleben, ankündigte. Fast zu derselben Stunde kam auch der Befehlshaber der Gendarmerie, Oberst Natzmer, der eben die Straße passirte, in das Haus der Gräfin, um bei den Bewohnern desselben Erkundigungen über die Fremde einzuziehen. Beide Herren entwickelten indessen die ausgesuchteste Höflichkeit.

In den höheren Gesellschaftskreisen der Residenz hatte die Neuigkeit von der Ankunft der Gräfin Cosel, namentlich als sich gleichzeitig das Gerücht verbreitete, daß sie im Besitze von Creditbriefen auf das Haus Lippmann über sehr beträchtliche Summen sich befinde, einen nicht ungünstigen Eindruck gemacht.

Obgleich die beiden Herrscher von Preußen und von Sachsen die besten Beziehungen unterhielten, deutete doch nichts darauf hin, daß man von Dresden aus gewillt sei, die Gräfin aus ihrem Asyl aufzustören.

Hier, inmitten dieser Einsamkeit, sich selbst überlassen in dieser schweigenden, in Nebel gehüllten Stadt, in dieser unheimlichen Ruhe lernte die unglückliche Frau erst die ganze Bitterkeit des Schicksals ermessen, zu welchem sie jetzt verdammt war. Unendlicher Schmerz bemächtigte sich ihrer Seele. Stundenlang verharrte sie in vollster Unbeweglichkeit, ihre großen schwarzen Augen träumerisch bald auf die Wände ihres Zimmers, bald auf die Straße gerichtet und vergeblich darnach ringend, die traurigen Erinnerungen, die sie bestürmten, aus ihrer Seele zu verbannen.

»Ist es denn so leicht, der Liebe zu entsagen?« fragte sich ihr wundes Herz im Stillen, »und muß man denn so bald schon einige Jahre des Glückes mit Vergessenheit und Undank büßen?«

König August's Charakter erschien ihr jetzt wie ein unlösbares Räthsel; indem sie sich die vielen Beweise von Zärtlichkeit und Anhänglichkeit, die ihr derselbe gegeben, ihre noch in frischer Erinnerung lebenden Triumphe, ihre gegenseitigen feierlichen Schwüre ins Gedächtniß zurückrief, vermochte sie nicht zu begreifen, wie der Mann, den sie so sehr geliebt, sie verstoßen konnte. Dieser ganze Mensch, wie ihn Gott geschaffen, erschien ihr als eine grausame Satire auf alles Menschenthum. Der Meineid, dieses schnöde Spiel mit den heiligsten Dingen, dieses Verleugnen und Verhöhnen der Vergangenheit erschienen ihr als ebenso viele Ungeheuerlichkeiten und sie vermochte sich nicht zu erklären, daß alles dies ruhig geschehen konnte, ohne daß die Welt darob aus den Fugen ging. Sorgsam prüfte sie ihr ganzes zurückgelegtes Leben, um einen Fehler zu entdecken, der solch' harte Strafe zu rechtfertigen vermöchte – sie konnte keine Schuld finden, welche so groß wie ihr jetziges Unglück war.

Nachdem sie so einige Tage in selbstquälerischen Gedanken verbracht hatte, ließ sie sich eine Bibel bringen, um vielleicht aus ihr Trost zu schöpfen.

Noch weilte Gräfin Cosel nicht ganz eine Woche in Berlin, als eines Nachmittags Zaklika, welcher nur vor seiner Herrin erschien, wenn er gerufen wurde oder ihr eine wichtige Mittheilung zu machen hatte, ganz niedergeschlagen ihr Zimmer betrat.

Die Gräfin hob den Kopf und sah fragend nach ihm auf. Der junge Pole verharrte nach seiner Gewohnheit in Stillschweigen.

»Was giebt's?« fragte die Gräfin endlich; »bringst Du mir irgend eine unangenehme Neuigkeit?«

»Was hätte man denn Gutes zu erwarten!« sagte der junge Mann traurig. »Es haben sich bereits Spione gezeigt, die das Haus umkreisen und alles auskundschaften. Ich bin nur gekommen, um der Frau Gräfin zu rathen, daß sie auf ihrer Hut sein möge, denn wenn mich nicht alles täuscht, so wird in den nächsten Tagen irgend ein Abgesandter aus Dresden sich hier einstellen, um sich unter irgend einem Vorwande in Euer Vertrauen einzuschleichen. Es wird sich deshalb empfehlen, wenn die Frau Gräfin dabei alle Vorsicht und Klugheit walten läßt.«

Stirnrunzelnd hatte ihm die Gräfin zugehört.

»Du solltest mich doch schon kennen,« sagte sie, »und solltest wissen, daß ich nicht zu lügen und nicht zu heucheln verstehe – auch nicht einmal durch Stillschweigen. Ich habe mich nicht gescheut, ihm und ihr Beleidigungen ins Gesicht zu schleudern, und ich werde wohl auch den Muth finden, das, was ich gesagt habe, Jedem gegenüber zu wiederholen, der Lust hat, es zu hören.«

»Verehrte Frau Gräfin,« wagte Zaklika zu bemerken, obgleich die Gräfin ihm durch eine Kopfbewegung zu verstehen gegeben hatte, daß die Unterredung als beendet anzusehen sei, »wozu soll es dienen, Euere Feinde noch mehr zu erbittern, sie noch mehr gegen Euch aufzubringen? Das wird sie ja doch nicht hindern, ihrerseits zu lügen und zu verleumden ...«

Die Gräfin antwortete nichts auf diesen Einwand. Zaklika sah zwei große Thränen aus ihren halbgeschlossenen Augen hervorschießen; rasch entfernte er sich.

Drei Tage später ließ sich ein junger, hübscher Cavalier bei der Gräfin anmelden. Es war van Tinen. Die Cosel kannte ihn bereits. War er doch einer von Jenen, die zu ihr gesandt worden waren, um ihr das bewußte Document mit der Unterschrift des Königs herauszulocken, und hatte er doch, ähnlich wie der unglückselige Watzdorf, die Ungeschicklichkeit begangen, in einem hierzu wenig geeigneten Augenblick seine so unangenehme Mission mit der Erklärung feurigster Liebe zu schließen, von welcher er vielleicht nicht sehr viel fühlte. Die Cosel hatte den Schimpf über sich ergehen lassen müssen, welcher in diesen ihrer so wenig würdigen Zumuthungen lag, und war genöthigt gewesen, die tiefe Verachtung zu unterdrücken, welche dieselben ihr eingeflößt hatten ...

Van Tinen wurde eingeführt.

Der junge Diplomat begann die Unterhaltung, indem er die große Freude ausdrückte, welche es ihm bereite, die Gräfin wiederzusehen, sowie das Erstaunen schilderte, in welches er versetzt worden sei, als er zufällig vernahm, daß sie in Berlin weile.

Cosel betrachtete ihn mit ironischen Blicken.

»Aber, mein Herr,« fragte sie, »wo waret Ihr denn, als ich Sachsen verließ?«

»Ich? Ich war in Dresden,« erwiderte van Tinen, »auch an jenem Abend, als Euer plötzliches Erscheinen der armen Dönhoff die heftigsten nervösen Anfälle zuzog. Als sich endlich der Hof von seiner Bestürzung wieder etwas erholt hatte, suchte ich Euch vergeblich überall und es war mir seither nicht möglich, zu erfahren, was aus Euch geworden.«

»Wirklich? Das freut mich sehr. Uebrigens hättet Ihr auch ganz und gar meiner vergessen können – das ist alles, was ich jetzt noch wünsche.«

»Ich bin der Meinung, Madame, daß man da unten viel lieber wissen möchte, ob Ihr all das Unrecht vergessen habt, das man Euch angethan hat.«

Da die Gräfin hierauf die Antwort schuldig blieb, stockte die Unterhaltung einige Augenblicke.

»Ihr glaubt gar nicht,« fuhr van Tinen fort, »was für interessante Dinge sich ereignet haben, seit Ihr von Dresden weg seid! Wünscht Ihr nicht, daß ich Euch davon erzähle?«

Diese in halbvertraulichem Tone vorgebrachten Worte deuteten darauf hin, daß van Tinen bestrebt war, sich der Gräfin gefällig zu zeigen und ihr Vertrauen zu erwerben.

»Ich bin durchaus nicht neugierig darauf, mein Herr,« erwiderte Anna traurig. »Glaubt ja nicht, daß all das mich noch irgendwie interessiren könnte ... Ich glaubte einst an die Aufrichtigkeit und Wahrheit jener Welt, in der ich mich bewegte, weil ich noch glaubte, daß sie das, was sie thut, auch mit dem Herzen thue, allein heute sehe ich, daß Hochmuth und Frivolität dort alles regieren!«

»Dresden hat sich in der That gar nicht verändert,« fuhr van Tinen fort, indem er sich stellte, als habe er den Sinn ihrer Worte nicht begriffen, »wir unterhalten uns Tag für Tag recht gut. Es ist das wohl nichts neues für Euch, Madame, die Ihr so oft die Königin der herrlichsten Feste waret .... indessen ...«

Van Tinen machte eine Pause, er wollte ersichtlich durch irgend ein Zeichen der Zustimmung angeeifert sein, in seiner Erzählung fortzufahren; als aber die Gräfin beharrlich schwieg, begann er, nach und nach seine anfängliche Verlegenheit bemeisternd, von neuem: »Es war also in Laubegast ... Diese Gegend ist Euch ja doch bekannt, Madame?«

»Ich habe dort stille, sorgenfreie Tage verlebt,« sagte die Cosel still vor sich hin.

»Es war also in der Ebene von Laubegast, wo Flemming uns in den letzten Tagen eines der merkwürdigsten Feste gab, die ich je erlebte ... Der König wohnte demselben mit der Dönhoff ebenfalls bei.«

»So!« sagte die Gräfin.

»Zuerst defilirten sechs Regimenter nebst der ganzen königlichen Leibgarde zu Pferde vor uns. Auf den das Oertchen Laubegast dominirenden Höhen waren Batterien placirt und Infanterie- und Cavalleriemassen bedeckten die Ebene. Es war alles so arrangirt, daß sich das Schauspiel einer wirklichen Schlacht vor den Augen des Hofes abspielte. Alles gelang aufs vortrefflichste. Die Regimenter avancirten Zug um Zug, manöverirten, gaben Feuer, machten glänzende Angriffe, und einige Soldaten ausgenommen, die niedergeritten und unter den Hufen zertreten wurden, ging die Sache ohne weiteren Unfall ab. Aus der Entfernung gesehen, war der Effect dieses Schauspieles ein großartiger; man glaubte in der That eine mit gegenseitiger Erbitterung geführte Schlacht vor sich zu sehen, in der das Blut in Strömen floß. Der König hatte, als er diesem Schauspiele beiwohnte, zu seiner Rechten Frau von Dönhoff, zur Linken die Frau des Hetmans Potzki, beide zu Pferd und als Amazonen gekleidet. Die Cavaliere des Hofes, in prächtigen Gewändern und superbe Pferde reitend, bildeten das Gefolge. Die übrigen Damen betrachteten von ihren Wagen aus das kriegerische Spiel. Die Blüthe des weiblichen Geschlechtes, alles, was Sachsen an Schönheit und Jugend aufzuweisen hat, war da versammelt.«

Die Gräfin lächelte ironisch. »Zwei Frauen als Begleitung,« rief sie, »das ist in der That schon ein beträchtlicher Fortschritt; dann dieses fliegende Lager, diese Arrièregarde in den Carrossen – das setzte dem Ganzen die Krone auf; das ist wirklich königlich, wahrhaftig prächtig!«

»Es ist in der That nicht zu leugnen,« fuhr van Tinen halblaut fort, »daß diese beiden Damen weder untereinander, noch gegen Andere irgendwie eifersüchtig sind ... Doch ich komme von meiner Schilderung ab ... In geringer Entfernung von unserem Standplatze waren Zelte aufgeschlagen; unter einem derselben speiste der König mit den beiden schon genannten unzertrennlichen Gefährtinnen und deren Mutter Frau von Bielinska; den Rest der Tafelgenossen bildete die Elite des Hofes.«

»Ohne Zweifel gehörtet Ihr auch dazu?« fragte die Gräfin.

Van Tinen erröthete leicht. »Nein, Madame,« erwiderte er, »ich befand mich in einem anderen Zelte; aber von diesem aus konnte ich alles genau übersehen. Während des Diners spielte das Orchester und auf jeden Toast antwortete eine Artilleriesalve. Man hörte ununterbrochen Fanfaren, Freudengeschrei und Kanonenschüsse.«

»Das muß freilich sehr schön gewesen sein,« bemerkte die Gräfin, »seid Ihr nun zu Ende?«

»O nein, Madame, das ist erst der Anfang. Nach dem Diner kam das wahre Vergnügen. Die Tafeln wurden nicht abgeräumt, denn Flemming wollte, daß seinen Soldaten die Reste des Mahles zufielen. Da das Brot etwas wenig geworden, legte man in jedes Stückchen einen Gulden. Diese schöne Idee verschlang natürlich einige Tausende. Dann wurde das Signal zum Angriff gegeben. In Schlachtordnung stürzten sich die Soldaten auf die halbgeleerten Schüsseln; Diejenigen, welche zuerst angelangt waren und sie ergriffen hatten, wurden von den ihnen zunächst Folgenden überrannt und niedergeworfen, das dritte Glied machte es natürlich dem zweiten nicht besser, bis endlich alles drunter und drüber ging und ein ganz unbeschreiblicher Tumult folgte. In buntem Durcheinander, sich die kostbaren Bissen entreißend und mitunter wüthend aufeinander einhauend, boten diese Soldaten den sonderbarsten Anblick, den man sich denken kann. Wir platzten förmlich vor Lachen. Diese Scene dauerte so lange, als noch ein Ueberbleibsel von dem Diner vorhanden war, worauf zum Rückzug geblasen wurde. Seine Majestät, von den Damen umgeben, lagerte sich sodann in einiger Entfernung auf dem Plateau des Hügels. Als es dunkel zu werden begann, wurden in dem großen Zelt des Königs Teppiche ausgebreitet; die Musik begann lustige Weisen und man tanzte lustig darauf los bis in die Nacht hinein. Flemming ging während dieser Zeit von einem seiner Gäste zum anderen, umarmte sie, animirte sie unaufhörlich zum Trinken und war einer der Ersten, denen der Wein den Kopf verwirrte. Der König selbst war mehr als gut gelaunt; er wußte indessen seine königliche Würde so gut zu wahren, daß eigentlich niemand ihm seinen Zustand recht anmerkte. Nicht ohne wahrhaftes Mitleid konnte ich den armen Kammerherrn des Königs ansehen, der, einen Präsentirteller mit einem Glas Wasser in der Hand, vor seinem Herrn stand und sich alle erdenkliche Mühe gab, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, und der, wie sein Zustand bezeugte, offenbar vorher etwas ganz Anderes als Wasser getrunken hatte. Er konnte sich nicht ruhig an seinem Platze halten und wankte dergestalt hin und her, daß er sicher zu Boden gestürzt wäre, wenn man ihn mit dem Finger berührt hätte ... Nie habe ich aber noch Flemming in so guter Laune gesehen!«

»Darüber braucht Ihr Euch wahrlich nicht zu wundern,« unterbrach ihn die Gräfin, »der General feierte ja seinen Triumph und meinen Sturz!«

»Endlich machte der König Anstalten, um aufzubrechen,« fuhr van Tinen fort, »als Flemming, vollständig betrunken, sich ihm mit wahrhaft brüderlicher Vertraulichkeit an den Hals warf und, ohne der Umstehenden zu achten, deren Blicke natürlich unverwandt auf die Gruppe gerichtet waren, ganz laut, so daß wir Alle es hören konnten, ausrief: »Bruder, lieber Bruder, ich sage Dir die Freundschaft auf, wenn Du jetzt weggehst!« Madame Dönhoff, die dem König nicht von der Seite weicht, wollte Flemming darauf zur Vernunft bringen; das war indessen durchaus keine leichte Sache. Der General sah und hörte nichts; alles drehte sich mit ihm im Kreise. Als sich Frau von Dönhoff ihm näherte, kneipte er sie herzhaft in die Arme, und da sie ihm an diesem Abend besonders hübsch erschien, nahm er keinen Anstand, ihr dies in ungenirter Weise zu erklären, daß sie vor Zorn und Entrüstung laut aufschrie – worauf sie aber bald wieder in helles Gelächter ausbrach ... Ungeachtet der Bitten Flemming's, bestiegen der König und Frau von Dönhoff nun ihre Pferde und ritten davon. Dank einem geschickten Stallmeister, welcher dem König unablässig zur Seite ritt, konnte sich Seine Majestät, welche anfänglich mehrmals nahe daran war, vom Pferde zu stürzen, im Sattel halten; man suchte den König vergeblich zu bereden, den Rest des Weges im Wagen zu machen. Statt dessen ging er in scharfen Galopp über und stieß den Stallmeister Backnitz, der sich ihm zu sehr genähert hatte, in brüsker Weise zurück; dann rief er, seinem Pferde beide Sporen einsetzend, der Dönhoff zu: »Lasset mich doch in Ruhe mit Euerer Besorgniß, Madame, mein Pferd und ich, wir kennen uns ja beide sehr gut, Ihr braucht nicht die geringste Angst um mich zu haben!« Und nun ging es ventre-à-terre, gefolgt von seiner Reitergarde und dem ganzen Gefolge von Cavalieren und Hofleuten. Die Dönhoff, von diesem Strudel mit fortgerissen, fiel vom Pferde; allein die sie umringenden Garden fingen sie noch rechtzeitig auf. Dieser Umstand machte sie wohl wieder völlig nüchtern, und trotzdem sie eine sehr geschickte Reiterin ist, zog sie es doch vor, ihren Weg im Wagen fortzusetzen.«

»Warum hat man sie nicht sich den Hals brechen lassen,« murmelte die Cosel vor sich hin.

»Das Lustigste an der ganzen Geschichte,« fuhr van Tinen fort, »war aber dieser Flemming. Trotzdem der König und die Damen sich entfernt hatten, wich er nicht vom Platze; er wollte sich noch unterhalten, wollte tanzen. In Ermangelung von Damen hielt er die Aufwärter zurück und wirbelte nun mit ihnen im Kreise herum, bis ihm die Kräfte versagten, bis der anbrechende Morgen diesem köstlichen Vergnügen ein Ende bereitete ... Und bei alledem traf den übermüthigen Flemming keinerlei Strafe, keinerlei Ungnade,« schloß van Tinen seine Erzählung.

»O, das war nicht das erstemal, daß er sich solche Freiheiten gegen den König herausnahm!« erwiderte die Gräfin. »Der König selbst hat mir einmal erzählt, daß Flemming nach einer toll durchschwärmten Nacht, während welcher er in der Trunkenheit sich gegen ihn in gröbster Weise vergessen hatte, des Morgens zu ihm ins Schloß gekommen sei und zu ihm gesagt habe: »Sire, ich habe gehört, daß Flemming sich gestern Abends ein wenig vergessen hat; Euere Majestät werden das hoffentlich nicht übelnehmen!« ... Ja, der König lacht manchmal zu solchen Dingen,« fügte die Gräfin hinzu, »und er verzeiht derlei sehr oft; wer wollte aber behaupten, daß dies immer der Fall sein und daß Flemming nicht doch noch eines Tages auf dem Königstein enden werde, wenn seine Feinde ihm so mitspielen, wie mir die meinigen, und ihn verrathen? ... Der König ist sanft wie ein Lamm,« fuhr sie ironisch fort, »nicht wahr, das ist Euere Meinung, mein Herr? Und wißt Ihr warum? Weil jede Aufregung ihn in seinem Vergnügen stören würde. Wenn irgend ein Mensch ihm nicht mehr zusagt, giebt er einfach Befehl, daß man ihn heimlich verschwinden und ihm nie mehr vor das Gesicht kommen lassen solle! So endet gewöhnlich die Komödie.«

Nach diesen Worten erhob sich die Gräfin und begann im Zimmer auf und ab zu gehen; van Tinen schwieg, sehr betroffen von dem, was er eben gehört.

»Es setzt mich nicht gerade in Erstaunen, so bittere Worte aus Euerem Munde zu vernehmen, Frau Gräfin,« sagte er endlich.

»Ja, wenn ich ein herz- und gefühlloses Geschöpf wäre, so würde ich sicherlich nicht so sehr unter der Ungerechtigkeit leiden, deren Opfer ich bin; ich würde heute um den Preis, um die Belohnung für meine früheren Gunstbezeigungen schachern. Ich könnte mich dann anders ausdrücken. Ich könnte sagen, daß August ein vortreffliches Herz habe, daß er keiner Ungerechtigkeit fähig und in dieser Sache ganz unschuldig sei, daß lediglich die Umstände diese Wandlung herbeigeführt haben oder noch besser die erste Falte auf meiner Stirne, der Ueberdruß, der sich nach einem mehrere Jahre andauernden Verhältnisse einstellen mußte, oder was weiß ich, mein Charakter, meine Heftigkeit, mein oft ohne Grund aufbrausendes Temperament; denn es ist wahr, ich hätte ja lachen können über die Affaire mit der Duval, ich hätte mich freuen können über die Ankunft der Mademoiselle Duparc, und ich hätte diese kleine Dönhoff, welche nicht mehr werth ist als alle die Uebrigen, zur Freundin nehmen können! ... Ist es nicht so, lieber Herr van Tinen, habe ich nicht Unrecht gehabt, mir nicht das Beispiel zunutze zu machen, welches mir Madame Haugwitz, Aurora Königsmark, die Esterle und die Teschen gegeben, welche Arm in Arm nach dem Leipziger Stadtwäldchen gingen und so der Welt das rührende Beispiel des herzlichsten Einvernehmens von vier Rivalinnen gaben?« Die Gräfin brach hier in ein nervöses Lachen aus. Nach einer kleinen Weile fuhr sie fort: »Nein, wahrhaftig, ich bin nicht dazu geboren, in so guter Gesellschaft zu leben; ich habe mich nie recht da hineinzufinden gewußt und die Menschen wie die Dinge nicht verstanden. Das ist mein Fehler. Ich war so naiv, zu glauben, daß in der Brust dieser Leute ein menschliches Herz schlage, daß sie ein Gewissen besäßen, daß die Liebe nicht bloß ein frevelhaftes Spiel mit edlen Gefühlen, daß die Eide heilig wären und auf die Worte der Könige zu bauen sei. Doch ach, all das waren nur Illusionen! ... Das sind meine Fehler, das ist mein wirkliches Verschulden. Darum muß ich, während die Anderen glücklich sind und von allen Widerwärtigkeiten verschont bleiben, hier vor Demüthigungen und Schande sterben!«

Diese Worte, aus dem Munde einer so bewundernswürdig schönen Frau kommend, machten einen tiefen Eindruck auf van Tinen, der dem edlen Zornesausbruche der Gräfin mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört hatte. Er fühlte sich dadurch mehr und mehr bewegt, verwirrt, ja geradezu beschämt. Die Cosel warf einen bedauernden Blick auf ihn.

»Höret mich an,« sagte sie, sich ihm nähernd, »ich weiß recht gut, daß Ihr nicht einem Gefühle des persönlichen Mitleides oder der Neugier folgend hierher gekommen seid, sondern auf Befehl ...«

»Madame ...«

»Unterbrecht mich nicht,« fuhr sie fort, »sondern höret mich ruhig bis zu Ende. Welches immer das Motiv sein möge das Euch hierhergeführt hat, ich verzeihe Euch. Weiß ich ja doch, daß es Euch ebenso wie all den anderen Höflingen als viel wichtiger erscheint, Carrière zu machen, denn wahrhafte Menschen zu sein. Wiederholt ihnen also, was Ihr jetzt hören werdet, denn ich will, daß Ihr auf den Grund meiner Seele seht. Zwischen Jenen und mir sind alle Brücken abgebrochen, und wenn Ihr ein eifriger Diener Eueres Herrn sein wollt, so erzählt in Dresden, daß Ihr es aus dem Munde der Gräfin Anna von Cosel selbst gehört habt, daß, wie sie dies dem König persönlich schon angekündigt hat, er seinen Verrath und seine Untreue mit dem Tode büßen soll. Ich wiederhole es heute: das erstemal, wo ich August wieder begegnen werde, sei es nun in einem oder in zehn Jahren, werde ich mein Versprechen einlösen und ihm eine Kugel in den Kopf jagen. Ich trage meine Pistolen ununterbrochen bei mir und ich werde mich erst an dem Tage davon trennen, wo das Stück Blei, das für ihn bestimmt ist, sein Ziel erreicht haben wird! ... Das ist es, was ich Euch noch mittheilen wollte und was Ihr Eueren Auftraggebern berichten könnt, Herr van Tinen!«

Der junge Edelmann war sehr bleich geworden. »Frau Gräfin,« begann er endlich, »so sprechen, das heißt einen ehrlichen Mann zwingen, ein Angeber zu werden und damit eine unwürdige Handlung zu begehen. Euer Verdacht gegen mich war ungerecht, Madame. Allein überseht nicht, daß ich nicht mir selbst angehöre, daß ich im Dienste des Königs von Polen stehe und daß ich ihm als Kammerherr den Eid der Treue geleistet habe. Es ist mir ganz unmöglich, die Worte, welche ich eben gehört, nicht an betreffender Stelle zu wiederholen – ich bin dazu gezwungen; denn Ihr werdet sicherlich das, was Ihr soeben mir gesagt habt, morgen einem Anderen sagen, ja Ihr werdet Euch sogar rühmen, daß Ihr mir dieselben Drohungen schon ins Gesicht geschleudert habt! Es ist nicht mehr Servilität, sondern die Pflicht, welche mir gebietet, zu reden!«

»Ja, habe ich es Euch denn verboten, mein Herr? Im Gegentheil, ich bitte Euch ja, zu sprechen. Uebrigens werdet Ihr damit jenen Leuten gar nichts neues sagen – ich bin überzeugt, daß August meine Drohungen noch nicht vergessen hat.«

»Aber, gnädige Frau, indem Ihr so handelt, leistet Ihr ja doch nur Eueren Feinden Vorschub. Ihr drückt ihnen immer neue Waffen in die Hände ...«

»Fehlt es ihnen denn an solchen?« unterbrach ihn die Gräfin; »eine mehr oder weniger, das macht nichts aus! Lüge, Verleumdung, Verrath, alles ist ihnen zu ihren Zwecken gut! Oder glaubt Ihr etwa, daß ich durch Selbstdemüthigung dieselben besänftigen, sie in ihren Verfolgungen erlahmen machen würde? Nein, mein Herr, die feigen Memmen sehen in mir eine stolze Natur, die ihre Niedertracht nicht zu ertragen vermag; die Elenden begreifen, daß ich ihre geschworene Feindin sein muß. Meine Ehrenhaftigkeit ist für alle diese Leute in ihrer Erbärmlichkeit ein ewiger Vorwurf! Wie könnten sie jemals einer armen Frau verzeihen, die sich geweigert hat, sich gleich ihnen zu erniedrigen und herabzuwürdigen!« Neuerdings brach die erregte Frau in herbes Lachen aus. »Betrachtet mich doch einmal, mein Herr,« fuhr sie dann fort, »und Ihr werdet finden, daß ich auch in meinem Unglück dieselbe geblieben bin, die ich war, da Ihr mich noch im vollsten Glanze sähet. Das Mißgeschick das mich betroffen, hat zwar meine Seele zerrissen, war aber nicht im Stande, mich äußerlich zu verändern.«

Während sie so sprach, füllten sich ihre Augen mit Thränen, die aber schon im nächsten Augenblick, wie von einem inneren Feuer aufgetrocknet, wieder verschwanden. Van Tinen konnte kein Auge von ihr abwenden; unter dem Einflusse, den diese merkwürdige Frau – eine wahre Medea – auf ihn ausübte, war er ganz und gar aus seiner Rolle gefallen ... So wie ihm war es schon vielen Zeitgenossen der Cosel ergangen, welche nach längerem Gespräche mit ihr einstimmig ihrem Erstaunen und ihrer Bewunderung Ausdruck gaben über den Wohlklang ihrer Stimme, die Beredtsamkeit ihres Mundes und die überwältigende Macht ihrer Schönheit.

Lange noch, nachdem die Gräfin zu sprechen aufgehört hatte, saß van Tinen tief bewegt und starrte unablässig in dieses zauberhafte Antlitz. Er schien innerlich mit sich selber im Kampfe zu liegen.

»Frau Gräfin,« sagte er endlich, »Ihr konntet mich sicherlich nicht in grausamerer Weise demüthigen als mit den Mittheilungen, die Ihr mir gemacht habt. Ihr habt mir da eine harte Probe auferlegt. Ich werde zweifellos – wozu soll ich es verbergen? – nach meiner Rückkehr nach Dresden ein strenges Verhör zu bestehen haben. Auf die an mich gerichteten Fragen Lügen zu antworten, das ist mir unmöglich, zudem wäre die Sache auch zu weittragend. Man wird jedes meiner Worte begierig auffangen und ich werde nicht wenig darunter leiden, daß ich ganz gegen meinen Willen dazu beitragen muß, Euer Unglück noch zu vergrößern.«

Es war van Tinen in diesem Augenblicke vollkommen Ernst mit dieser Aeußerung.

»Mein Unglück kann niemand auf dieser Welt mehr größer machen!« erwiderte die Gräfin. »Glaubt Ihr vielleicht, mein Herr, daß der Verlust meiner Paläste, meines Ranges in der Gesellschaft, meiner Macht mir so sehr am Herzen nagt? ... Nein, nein, was mich elend macht, das ist, daß ich nun auf kein menschliches Herz mehr zu vertrauen vermag, daß überall, wohin mein Blick fällt, ich nur Verrath und Niedertracht sehe, daß ich mir selbst, daß mein Leben mir verleidet ist – ja, daß ich so weit gekommen bin, den Glauben an mich selbst verloren zu haben! ... Ach, nur sein Herz allein gebt mir wieder, und ich bin gerne bereit, auf alle Kronen, auf alle Güter dieser Welt zu verzichten! ... Ich liebte ihn – in ihm war mein ganzes Sein aufgegangen, er war für mich ein Gott und ein Held zugleich. Aber ach, der Held ist zum Hanswurst geworden, der Gott ist in den Schmutz der Gosse gerollt und ich allein bin übrig geblieben und schleppe nun in dieser verachtenswerthen und niedrigen Welt ein Dasein dahin, das mir zur Last geworden ist!«

Die Gräfin brach nach diesen Worten in heftiges Weinen aus und vergeblich versuchte van Tinen sie zu beruhigen.

»O ihr schönen goldenen Träume meiner Jugend,« rief sie schmerzerfüllt aus, »was ist aus euch geworden! Ihr habt mich geflohen, ihr seid dahin, dahin!«

»Ach, Madame, ich bitte Euch, faßt Euch doch!« rief der tief erschütterte, seiner kaum mehr mächtige Cavalier, »Ihr könnt den Kummer nicht ermessen, den es mir verursacht, Euch so leiden zu sehen und durch meine Hierherkunft die Ursache geworden zu sein ...«

»Ihr seid nicht daran schuld,« unterbrach ihn die Gräfin, »ich habe Euch nur meine Wunden gezeigt, die nie vernarben können, da jeder neue Tag sie wieder aufreißt ... Geht nun hin, mein Herr, und wenn man Euch fragt, was Ihr gehört und gesehen habt, so verbergt ihnen nichts – schont die arme, unglückliche Cosel durchaus nicht!«

Nun war van Tinen nicht mehr im Stande, an sich zu halten; das Mitleid siegte über jede andere Rücksicht und mit zitternder Stimme rief er: »Ich bitte Euch, Gräfin, um des Himmels willen, fliehet, bleibt nicht länger hier ... Ich kann Euch nicht mehr darüber sagen ... fragt mich um nichts weiter ...«

»Wie,« rief die Gräfin entsetzt aus, »hier in Berlin sollte ich nicht mehr in voller Sicherheit sein? Der König Friedrich von Preußen sollte im Stande sein, eine arme Frau ihren Henkern auszuliefern, wie König August es mit Patkul that? ... Er sollte sich doch daran erinnern, daß man ihm seinerzeit die verlangte Auslieferung Böttcher's verweigert hat!«

Van Tinen blieb stumm, die Lippen fest aufeinander gepreßt.

»Wohin soll ich denn fliehen?« fuhr die Cosel wie im Selbstgespräche fort, »es giebt bald keinen Fleck Erde mehr, wohin ich mich wenden könnte! ... Weiter entfernt von Sachsen vermöchte ich gar nicht zu leben, denn immer wird mein Herz mich dorthin ziehen ... Sie sollen übrigens mit mir beginnen, was sie wollen, ich werde nicht fliehen! Das Leben ist mir ohnedies schon eine Last. Sie haben mir meine Kinder genommen und ich wüßte kaum, was sie mir noch Aergeres anthun könnten!«

Der Kammerherr wollte dieser von ihm nicht vorausgesehenen Scene ein Ende machen und griff nach seinem Hute.

»Ich bedauere Euch unendlich,« sagte er, »aber mir will scheinen, daß, so lange Ihr in dieser Gemüthsstimmung verharret, in der ich Euch heute sehe, niemand auf der Welt etwas zur Milderung Eueres Unglückes zu thun vermöchte ... Selbst Euere Freunde ...«

Höhnisch lachend, unterbrach ihn die Gräfin: »Meine Freunde, sagt Ihr? Ach, mein lieber Herr van Tinen, Ihr würdet mir in der That einen großen Gefallen erweisen, wenn Ihr mir dieselben nennen wolltet.«

»Ihr habt Freunde, Madame, mehr als Ihr vermuthet,« erwiderte der Kämmerer. »Betrachtet mich in allererster Linie als solchen.«

»Euch in erster Linie? ... Doch ja, Ihr habt nicht ganz Unrecht, solcher Freunde wie Euch ermangle ich in der That nicht. Ich könnte Euch drei oder vier aufzählen, die ebenso wie Ihr sich erboten haben, mich in meiner Witwenschaft zu trösten und das Bißchen, was mir noch geblieben ist und das wohl auch bald schwinden wird, mit mir zu theilen ... O, solcher Freunde, solcher Freunde« – eine wahrhaft vernichtende Verachtung klang aus dem Tone ihrer Stimme, als die Cosel diese Worte dem jungen Manne zurief – »habe ich in der That genug, das ist wahr!«

Ganz niedergeschmettert von der Heftigkeit dieses Angriffes wußte van Tinen nicht mehr, was er thun, was er antworten sollte – er machte eine leichte Verbeugung und verließ langsamen Schrittes das Zimmer, verfolgt von den wahre Blitze sprühenden schwarzen Augen des erzürnten schönen Weibes.


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