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5.
Im neuen Gefängniß

Das alte Schloß Stolpen war zu jener Zeit schon halb verfallen. Wind und Wetter, Blitzschläge und Feuersbrünste hatten den größeren Theil der zu demselben gehörigen Gebäude verwüstet und zerstört, so daß man Mühe hatte, für die kleine Besatzung des Schlosses entsprechende Unterkunft zu finden. Ein Theil dieser alten Residenz der Meißener Bischöfe war zwar restaurirt worden, der Rest aber zerfiel zusehends unter dem nagenden Zahn der Zeit. Der einzige noch ziemlich erhaltene Theil des Schlosses war von dem Commandanten Johann Friedrich von Wehlen bewohnt; was die unglückliche Geliebte August's II. betrifft, so haben wir schon erwähnt, daß ihr der Johannisthurm zum Aufenthalte angewiesen worden war. Dieser Thurm diente schon unter den ehemaligen geistlichen Besitzern des Schlosses als Gefängniß und jede seiner gewölbten Zellen trug noch einen an ihre frühere Bestimmung erinnernden Namen. Zwei dieser kaum den Namen einer menschlichen Wohnstätte verdienenden düsteren Zellen mußten jetzt der stolzen Frau genügen, die einst Besitzerin des herrlichen »Palais der vier Jahreszeiten« in Dresden gewesen war.

Als man die Arme aus dem Wagen heraushob, um sie in ihr neues Gefängniß zu führen, dessen dicke Mauern von sechs langen, schmalen Fenstern durchbrochen waren, befand sie sich immer noch in jenem Zustande nervöser Ueberreizung, in dem wir sie gesehen haben, als sie ihre unfreiwillige Reise von Nossen nach Stolpen antrat. Gewaltsam mußte man sie nach dem Thurm bringen, und hier angelangt, begann sie von neuem zu toben. Man mußte sie stets im Auge behalten, um zu verhindern, daß sie sich den Kopf an den Mauern zerschelle.

Die Zeugen dieses Auftrittes konnten sich, so wenig sie sonst dem Mitleid zugänglich waren, eines menschlichen Mitgefühles nicht erwehren, als sie die Unglückliche so leiden sahen. Die Schmerzensausbrüche dieser von so schwerem Schicksal betroffenen und so überaus schönen Frau rührten ihre rauhen Kerkermeister bis zu Thränen. Ganz betroffen sahen sie diese beispiellose Verzweiflung, diese convulsivischen Zuckungen, welche den ganzen Körper der Armen erschütterten und jeden Augenblick ihr den Tod bringen zu sollen schienen. So oft Anna's Blicke wieder auf die sie umgebenden finsteren Mauern fielen, wurde sie aufs neue von unsagbarer Wuth ergriffen und stieß gräßliche Schmerzenslaute aus, bis sie endlich immer wieder in tiefe Erschöpfung zurücksank.

Der Commandant Wehlen, ein alter, wenig zugänglicher und in seinem Berufe verknöcherter Soldat, welcher aber nicht gewohnt war, mit Weibern Krieg zu führen, verlor bei diesen Auftritten vollständig den Kopf und die Geduld. Es war ihm nicht wenig peinlich, der Vollstrecker von Befehlen sein zu müssen, deren Folgen die Kräfte der unglücklichen Frau nicht gewachsen zu sein schienen. Zudem war ihm der Weihnachtsabend, dieses freudenreiche Familienfest, durch den Anblick solcher Scenen der Verzweiflung vollständig vergällt worden.

Die Soldaten, welche an diesem Abend in die Nähe des alten Thurmes kamen, blieben betroffen stehen, als sie die Wuth- und Schmerzensschreie der neuen Bewohnerin desselben vernahmen. Es war, als hörte man die Klagen und Seufzer jener unglücklichen Opfer der Folter, wie sie dieses Gefängniß Generationen hindurch so zahlreich verschlungen hatte.

Die erste Nacht in Stolpen verstrich unter fortgesetzten Aufregungen. Des anderen Morgens lag die Gräfin ganz erschöpft und kraftlos halbtodt auf ihrem Bette, sie nahm nicht den geringsten Antheil an dem, was um sie her vorging. Ihre erschreckten Dienerinnen sprachen gegenseitig die Meinung aus, daß ihre Herrin diese Krise nicht überdauern und den folgenden Tag nicht überleben werde. Zur Ueberraschung Aller sprang sie indessen am kommenden Morgen vom Lager auf und verlangte Tinte und Papier, um an den König zu schreiben.

Man hatte ein solches Verlangen wohl vorausgesehen. Ihre Briefe wurden an Löwendahl geschickt und von diesem sogleich vernichtet, so daß kein Mensch davon Kenntniß erhielt. Der König selbst hatte anbefohlen, daß es damit so gehalten werde, da er ohne Zweifel befürchtete, daß solche Briefe seine Ruhe stören würden und er jeden Einfluß abzuhalten wünschte, der ihn zum Mitleid fortreißen könnte. So war es der armen Gefangenen zwar gestattet, Briefe an August zu schreiben und sie mit ihren Thränen zu benetzen, allein sie wurden ausnahmslos den Flammen überliefert, während Anna, die von dieser Anordnung natürlich keine Ahnung hatte, sich der Hoffnung hingab, daß doch eines Tages einer ihrer Hilferufe bis zum König dringen werde.

Nachdem die ersten Ausbrüche ihrer Verzweiflung vorüber waren, sammelte Gräfin Cosel endlich ihre Gedanken wieder und begann sich in ihrem Gefängniß umzusehen. Sie erinnerte sich ihres ersten Besuches in Stolpen und des schrecklichen Eindruckes, den diese unheimlichen grauen Mauern auf sie gemacht hatten. Durch eine der schmalen Schießscharten, die der Zelle als Fenster diente, erblickte sie die crenelirte Festungsmauer, welche das Schloß umgab, in einiger Entfernung davon einen bewaldeten Hügel und am weiten Horizont graue, kahle Gebirge, welche die, wie es schien, fast unbewohnte Gegend von der übrigen Welt abschlossen.

In dieser trostlosen Einsamkeit, von aller Welt verlassen, sollte sie also ihre Tage verbringen, bewacht von rohen Soldaten und der Unverschämtheit von Dienern ausgesetzt, welche zugleich ihre Kerkermeister waren. Bei der geringsten Nachlässigkeit im Dienste ließ sich die heisere Stimme des alten Wehlen, des Commandanten, vernehmen, der, an sich schon ein finsterer, mürrischer Mann, überdies die strengsten Weisungen von Dresden aus erhalten hatte. Es war ihm darin die peinlichste Ueberwachung der Gefangenen zur Pflicht gemacht worden und er sollte mit seinem Kopfe für dieselbe verantwortlich sein. Allerdings hatte man ihm gleichzeitig empfohlen, Gräfin Cosel mit aller Höflichkeit zu behandeln, jedoch ihm auch aufgetragen, jeden ihrer Schritte genau zu beobachten, um von vornherein irgend einen Fluchtversuch zu verhindern. Das Letztere erschien allerdings beim ersten Anblick fast als überflüssig, denn das Schloß war rings mit einer hohen Mauer eingeschlossen und der Thurm, welchen die Gräfin bewohnte, lag noch etwas höher als das Schloß, so daß die auf den Wällen postirten Schildwachen, wenn sie in die Höhe blickten, stets die Fenster der Gefangenen im Auge hatten. Um bis zu ihrem Kerker zu gelangen, mußte man überdies noch zwei mit festen Thoren abgeschlossene Höfe passiren. In den Höfen und an den Thoren standen Schildwachen und diese wurden wieder regelmäßig von Patrouillen controlirt. Da das Schloß auf einem ziemlich hohen Berge lag, dominirte es die ganze Gegend, und niemand, der sich dem Schlosse näherte, konnte dem Auge der Wache entgehen.

Außer dem Commandanten, den Officieren und Soldaten, welche die Besatzung bildeten, wohnte niemand im Schlosse, abgesehen von den Dienerinnen der Gräfin. Niemand durfte das Schloß ohne die Erlaubniß des Commandanten verlassen und allabendlich wurden die Thore sehr zeitlich geschlossen.

Stolpen war als befestigter Platz hart an der böhmisch-sächsischen Grenze nicht ganz ohne Bedeutung; da indessen aus dieser Seite schon lange keine Störung des Friedens mehr zu befürchten war, wurde es von Jahr zu Jahr mehr vernachlässigt. Die damals als unüberwindlich geltenden Festungen Königstein und Sonnenstein benahmen ihm mehr und mehr seine strategische Wichtigkeit.

Der alte Commandant hatte Gräfin Cosel früher nie gesehen. Er war der Meinung gewesen, daß sie, da der König sie verstieß, eine gealterte Dame wäre, war daher nicht wenig überrascht, als er sie zum erstenmale erblickte. Die Gräfin stand damals in ihrem sechsunddreißigsten Jahre. Die ewige Jugend, welche Anna von der Natur zutheil geworden, hatte all die Leiden, welche über die schöne Frau hereingebrochen waren, überdauert, ohne daß dieselben eine Spur zurückgelassen hätten; Gräfin Cosel war mit Einem Worte noch ebenso schön und verführerisch als je zuvor. Der Glanz ihrer dunklen Augen, die Frische und Reinheit ihres Teints, der Adel ihrer Züge, ihre majestätische Haltung und ihre wunderbaren Formen mußten die Bewunderung Aller erregen, die das Glück hatten, der selten schönen Frau zu begegnen.

Wie sie stets ihren Verfolgern trotzte, so ließ die Gräfin sich auch jetzt durch ihr Unglück nicht beugen. Nachdem die wilde Verzweiflung, welche sie ergriffen hatte, gewichen war, fand sie endlich ihre ganze Energie und ihren stolzen Sinn wieder. Ihre Haltung und der gebieterische Ton, in dem sie mit ihrer Umgebung verkehrte, flößten Allen Achtung und Ehrfurcht ein. Niemals bat sie um etwas, sondern sie befahl stets, und je unglücklicher sie sich fühlte, desto mehr Hochmuth legte sie in ihre Worte.

Die Tage erschienen ihr jetzt unendlich lang und traurig; es blieb ihr nichts, um den trägen Gang der Zeit zu kürzen, als ihre Erinnerungen und manchmal – ein Schimmer von Hoffnung. So sehr sie über die Grausamkeit August's empört war, konnte sie doch unmöglich glauben, daß ihre jetzige Lage lange fortdauern könne. Derjenige, welcher sie so sehr geliebt hatte, konnte doch nicht zum unerbittlichen Henker für sie werden.

Das Schreiben war für sie eine Nothwendigkeit, eine wahre Leidenschaft geworden. Obgleich ihre Briefe selbstverständlich unbeantwortet blieben, bot es ihr eine gewisse Erleichterung, dem ganzen Schmerz, der ihre Seele erfüllte, in denselben Worte zu leihen ... Was hatte sie denn verbrochen, daß man so grausam sein konnte, sie so lange leiden zu lassen, daß man sie des Anblickes ihrer Kinder beraubte, unter dem Vorwande, daß sie denselben Haß gegen ihren Vater einflößen könnte?

Unter den Gegenständen, welche man in Nossen in der Eile zusammengerafft und die man ihr gelassen hatte, befanden sich auch die Ueberreste der alten Bibel, deren wir schon erwähnt haben. Die Bruchstücke, welche sie aus den zerfetzten Blättern las, erweckten das Verlangen in ihr, das ganze Buch zu besitzen. Sie schickte daher dem Commandanten den Auftrag, eine Bibel für sie zu kaufen; Wehlen fragte dieserhalb in Dresden an und erhielt die Antwort, er möge immerhin diesen Wunsch seiner Gefangenen erfüllen. Von da an trennte sich die Gräfin nicht mehr von diesem ihr liebgewordenen Buche; sie fand in den Blättern desselben, wenn nicht Trost, so doch Vergessen ihrer Lage; sie lernte daraus, wie die Geschichte der Jahrtausende nichts anderes sei als fortgesetzter Todeskampf vor dem schließlichen Untergang.

So kam endlich der Frühling heran – der Frühling, welcher alle Wesen zu neuem fröhlichen Dasein erweckt, welcher wie ein Lächeln über die Züge des Alters streift und überall, wohin sein lauer Odem dringt, neues Leben schafft! Für die arme Cosel bedeutete er nur die Verlängerung einer leidensvollen Agonie ... In den benachbarten Bäumen begann es lebendig zu werden. Mit fröhlichem Gezwitscher und süßen Lockrufen hüpften leichtbeschwingte Vögel von Zweig zu Zweig; die Schwalben kehrten wieder und suchten ihre alten Nester in den Schießscharten und Löchern des alten Gemäuers auf; die Bäume begannen sich hellgrün zu färben und öffneten ihre Knospen den sie küssenden warmen Strahlen der Frühlingssonne; bald erfüllte süßer Blumenduft die Atmosphäre und selbst rings um das alte Schloß wurde alles lebendig. Die so lange öde und leer gestandenen Felder bevölkerten sich wieder und singend zog der Ackersmann mit seinem Pfluge die Furchen in die schwarze Erde. Alles athmete Leben, Freiheit und sie – gefangen hinter diesen düsteren Kerkermauern, welche kaum einen Strahl des Lichtes einließen, saß sie stundenlang träumend am Fenster, folgte mit den Augen sehnsüchtig dem Fluge der Vögel, ganz in Selbstvergessenheit versunken, während der vom Walle aus sie erblickende wachehaltende Soldat tiefbewegt und ganz entzückt in seinem monotonen Auf- und Abschreiten innehielt und sich kopfschüttelnd fragte, was diese mit so übernatürlicher Schönheit begabte Frau denn Schreckliches verbrochen haben müsse. Selbst der alte Commandant konnte sich solcher Gedanken nicht entschlagen, wenn er, die Pfeife im Munde, auf den Wällen promenirte; ihr Anblick schnürte ihm das Herz zusammen und er kam unwillkürlich zu dem Schlusse, daß sein glorreicher Gebieter Friedrich August denn doch ein sehr hartherziger und grausamer Mann sein müsse.

Ja, Wehlen empfand aufrichtiges Mitleid für die unglückliche Frau, welche zu ihrer Promenade nur die enge Stiege und zwei kleine Zellen, deren jede kaum zehn Schritte maß, zur Verfügung hatte und ununterbrochen die feuchte, dumpfe, von keinem Sonnenstrahle erwärmte Luft einathmete, welche ohne irgend eine Gesellschaft ihre Tage verleben mußte und als einzige Lecture ihre Bibel besaß, die sie mit ihren Thränen benetzte. Ein Seufzer entrang sich der Brust des alten Soldaten, wenn er das Schicksal seiner Gefangenen überdachte.

Am Fuße des Johannesthurmes, eingeschlossen zwischen den Mauern desselben und einer alten Befestigung, befand sich ein kleines Stück Erdreich, kaum größer, als man für ein Grab bedarf; in dieser Ecke wucherte allerlei Unkraut, darunter auch Wermuth und ein paar Steinnelken; an der Mauer wanden sich einige Schlingpflanzen hinauf. Wehlen dachte gelegentlich darüber nach, welch eine Erleichterung es für die arme Gefangene sein müßte, wenn sie selbst nur diese kleine Ecke benutzen dürfte; aber auch hierzu hätte man erst von Dresden die Erlaubniß einholen müssen, selbst diese kleine Freude, diese so geringe Freiheit konnte er nicht selbstständig derjenigen bewilligen, welche durch ihre offene Auflehnung gegen den König eine so schwere Buße auf ihr Haupt herabbeschworen hatte. Der Alte meinte indessen bei sich, daß es ihm wohl nicht verwehrt sein könne, den Fleck Erde unter den Fenstern der Gräfin in ein kleines Gärtchen umzuwandeln ... »Sie wird es täglich betrachten können,« sagte er sich, »und schon das wird ihr einigen Trost geben, es wird die Unglückliche ein wenig aufheitern, wenn sie wieder Blumen sieht.«

Wenige Tage nachher bemerkte die Gräfin, als sie aus dem Fenster sah, daß die Erde in dem Winkel unter ihrem Fenster frisch umgegraben worden war; es kam ihr vor, als sehe sie ein frisch aufgeworfenes Grab vor sich, und schaudernd wandte sie sich ab und ging an ein anderes Fenster. Als indessen der vorschreitende Frühling selbst in dieser verlassenen Ecke in rascher Folge verschiedene Blumen und Pflanzen hervorzauberte, flog ein Lächeln über ihre Züge und sie fand viel Freude an dem kleinen Gärtchen. Sie fühlte, daß sie neu aufleben würde, wenn sie statt auf ihrer Steinbank am Fenster zu sitzen, auf dem kleinen Fleck Erde sich ergehen, sich auf den grünen Rasen setzen, jede dieser zarten Blumen mit ihren eigenen Händen pflegen und befühlen könnte; allein, es war ihrem verbitterten Herzen unmöglich, es über sich zu bringen, daß sie ihre Peiniger um diese Gnade bat; lieber litt sie noch mehr als bisher. Jeden Morgen begrüßte Anna von nun ab die Blumen ihres Gärtchens, und ungern schied sie von ihnen, wenn der sanfte Abendwind ihren Duft in die Lüfte entführte und die Schatten der Nacht herniederstiegen.

Nach längerem Ueberlegen nahm es der alte Commandant endlich doch auf sich, der Gräfin die Erlaubniß zu ertheilen, daß sie, so oft es ihr gefiele, in das Gärtchen herabsteigen dürfe, und er ließ ihr dies in sehr artiger Weise durch ihre Kammerfrau mittheilen. Er riskirte dabei nichts; war ja doch eigentlich jeder Gedanke an Flucht von diesem Orte aus von vornherein ausgeschlossen, denn kaum fünf Schritte davon entfernt patrouillirten ununterbrochen zwei Schildwachen. So stieg denn Gräfin Cosel eines Morgens die Stufen des Thurmes herunter, um ihren kleinen Garten zu besuchen. Als sie heraustrat, benahm ihr die ungewohnte frische Luft fast den Athem, die Sonnenstrahlen schienen ihr beinahe unerträglich und das helle Licht des Tages blendete ihr Auge; sie mußte sich einige Augenblicke an der Mauer anhalten, um nicht umzusinken.

Von da an ward dieser kleine Winkel, dieses Gärtchen, ihre hauptsächlichste Erholung; hier verbrachte sie ganze Tage, mit der Pflege ihrer Blumen beschäftigt. Jeder Grashalm, jedes Blatt war ihr bekannt und wurde zum Gegenstand einer fast mütterlichen Sorgfalt.

Von ihren zahlreichen Bekannten aus früheren Zeiten kam ihr nie ein Lebenszeichen zu; ihre Briefe blieben sämmtlich unbeantwortet und der Sommer verstrich, ohne daß sich in ihrer Lage das Geringste geändert hätte. Ihr so beträchtliches Vermögen war eingezogen worden, zum Theil für ihre Kinder, zum Theil war es den habgierigen Menschen, welche sich zu ihrem Sturz verschworen, zur Beute gefallen. Man hatte ihr noch eine Pension von dreitausend Thalern zur Bestreitung ihrer Bedürfnisse gelassen, jedoch mit der Beschränkung, daß sie dem Commandanten auf Stolpen eine genaue Verrechnung über alle ihre Ausgaben, selbst die geringfügigsten, vorzulegen hatte. Niemand wurde ins Schloß zugelassen, der nur den mindesten Verdacht erregte. Einige Hausirer, die von Zeit zu Zeit ihre Waaren im Schlosse feilboten, mußten sich stets vorher einer genauen Durchsuchung unterziehen, um zu verhindern, daß sie etwas einschmuggelten, was der Gräfin irgend eine Hoffnung bereiten oder ihr Los allzusehr erleichtern würde.

Seit ihrer Ankunft in Stolpen wartete Gräfin Cosel sehnsüchtig auf Zaklika. Allein die Monaten verstrichen, die Blumen ihres Gärtchens welkten dahin, ohne daß es ihr gelungen wäre, zu erfahren, was aus ihm geworden. Der Herbst neigte sich schon seinem Ende zu, als man eines Tages einen jüdischen Hausirer bei ihr einführte, welcher, als er sich mit ihr allein sah, ängstlich um sich blickte und dann ihr rasch zuflüsterte, daß der Mann, welcher Hufeisen zerbreche, noch am Leben sei und daß sie ihn bald wiedersehen werde.

Diese wenigen Worte genügten, um die schon halb geschwundene Hoffnung in dem Herzen der Gräfin wieder neu aufleben zu lassen. Sie begann den Juden auszufragen, konnte aber nichts weiter von ihm erfahren ...

Während sich die eben erzählten Ereignisse abspielten, war Zaklika durchaus nicht unthätig geblieben. Als er durch die Ueberführung der Gräfin nach Stolpen alle seine Pläne durchkreuzt sah, war er genöthigt, wieder ganz von vorne zu beginnen. Es war ihm ein Leichtes gewesen, den Namen ihres neuen Gefängnisses zu erfahren, denn in Dresden machte man durchaus kein Hehl daraus. Man hatte die Grausamkeit gegen die arme Frau damit zu rechtfertigen gesucht, daß man das Gerücht verbreitete, Gräfin Cosel habe während ihres Aufenthaltes in Berlin eine Verschwörung gegen das Leben des Königs angezettelt, sie habe Letzteren ferner ganz öffentlich bedroht und wäre von der fixen Idee befallen, sie sei die Königin von Sachsen. Andererseits erzählte man sich allerdings insgeheim, daß ganz andere Gründe den König bewogen haben, gegen seine langjährige Geliebte mit so ausgesuchter Strenge zu verfahren; die Geschichte von dem Heiratsversprechen, das er Gräfin Cosel schriftlich eingehändigt, war nicht verschwiegen geblieben, und man sagte nun, daß er sich ob der Schwachheit schäme, in der er sich ein derartiges Schriftstück noch bei Lebzeiten seiner Frau hatte entreißen lassen.

Es war dies übrigens das erstemal, daß König August sich gegen eine in Ungnade gefallene Geliebte so hartherzig zeigte. Selbst die Dönhoff, deren Liebe zu August allerdings nicht im Entferntesten so aufrichtig und so groß war wie die der Cosel, erschrak darob nicht wenig.

Ein so glänzendes Haus die Dönhoff auch führte, besaß sie doch nicht den mindesten Einfluß in politischen Dingen. Liebe und Vergnügungen aller Art waren ihre einzige Domäne. Selbst diejenigen, welche ihre Erhebung zur Maitresse des Königs herbeigeführt hatten, um die gefährliche Cosel zu stürzen, wie Flemming, Manteuffel, Friesen, Lagnasco und Andere, hielten sich fern von ihrem Hofhalt; bloß Watzdorf, welcher davon träumte, daß er durch sie Flemming werde zu Fall bringen können, hatte sich an ihren Siegeswagen gespannt und suchte sich ihr namentlich dadurch angenehm zu machen, daß er dem König ungeheuere Geldsummen entlockte, welche die Dönhoff dann mit vollen Händen vergeudete; so kam es zum Beispiel vor, daß die Ausgaben für eine einzige Soirée bis zum Betrage von zehntausend Thalern anwuchsen, eine für die damalige Zeit gewiß enorme Summe.

Die würdige Tochter der Frau von Bielinska, welche sich durchaus keinen Illusionen über die Beständigkeit August's hingab, war bereits vorsorglich auf ihre Zukunft bedacht und hatte in dieser Hinsicht ihr Auge auf Besenval und den jungen Lubomirski geworfen, deren Schmeicheleien sie sehr gnädig aufnahm.

König August gab zuweilen denjenigen, welche am höchsten in seiner Gunst zu stehen schienen, deren er aber überdrüssig zu werden begann, auf irgend eine Weise zu erkennen, daß die Zeit nicht mehr ferne sei, wo ihr Stern erbleichen werde, und daß sie klug daran thäten, sich bei Zeiten einen ehrenvollen Rückzug zu sichern, bevor sie plötzlich ganz in Ungnade fielen. So hatte Hoym, der Gatte der Cosel, welchen der König nur schwer entbehren konnte, obwohl er ihm nicht sehr zugethan war, gewitzigt durch das Beispiel Beichling's, Imhoff's nach dem Frieden von Altranstädt und endlich durch dasjenige seiner ehemaligen Frau, welche nun hinter den Kerkermauern von Stolpen schmachtete, rastlos darauf hingearbeitet, sich einen Zufluchtsort und die nöthigen Mittel zu sichern. Er hatte nach und nach alle seine in Sachsen gelegenen Besitzungen verkauft und sein Vermögen im Auslande placirt. Dieselbe Sorge beschäftigte auch Schulenburg unablässig.

Mit der Dönhoff endete die Reihe der allmächtigen Favoritinnen am Dresdener Hofe. Der größte Theil derjenigen, welche unter deren Regime eine Rolle gespielt und so viele Intriguen gesponnen hatten, war gealtert oder gestorben. König August selbst hatte inzwischen auch die Lust an den rauschenden Vergnügungen früherer Zeiten verloren und fand höchstens noch an der Jagd oder an dem Treiben der Leipziger Messe Gefallen.

*

Sobald Zaklika erfahren hatte, daß Gräfin Cosel nach Stolpen gebracht worden sei, suchte er eifrig nach Mitteln und Wegen, sich ihr wieder zu nähern. Jenes Schloß und seine Umgebungen waren ihm fast ganz unbekannt und er reiste daher vorerst nach Stolpen, um zu recognosciren. Er hatte nicht zu befürchten, daß er in dem Flecken irgendwie belästigt oder erkannt würde, denn man beachtete dort die vielen Durchreisenden nicht sonderlich. Hier erfuhr er denn, was sich im Schlosse zutrug, wer dort Befehlshaber war, aber auch, wie schwierig es sei, sich daselbst Zutritt zu verschaffen. Dann schlenderte er einige Tage unauffällig rings um die Mauern des Schlosses, um irgend einen Eingang, eine Lücke zu erspähen, durch welche es möglich wäre, in das Innere zu gelangen; sein Suchen war jedoch vergeblich.

Ziemlich entmuthigt von dieser ersten Recognoscirung, kehrte Zaklika nach Dresden zurück, mit dem Vorsatze, sich nun ungenirt öffentlich zu zeigen, dabei selbstverständlich den Gedanken nicht aufgebend, seiner Herrin auf irgend einem Wege Hilfe und Befreiung zu bringen. Die Sache war allerdings sehr schwierig. In Dresden besaß er wohl noch da und dort Bekannte, die ihm für seinen Zweck nützlich sein konnten, aber nur wenige wirkliche Freunde. Aus Polen kamen damals stets viele Edelleute an den sächsischen Hof und durch sie konnte er vielleicht einige Protection sich erwirken. Der praktischeste Weg von allen, die ihm in den Sinn kamen, dünkte es ihm zu sein, wenn er trachten würde, unter die Garnison von Stolpen zu kommen; dieser Weg war allerdings ein langwieriger und es thürmten sich da fast unübersteigliche Hindernisse vor ihm aus, allein sein eiserner Wille und seine grenzenlose Ergebenheit für die Gräfin ließen ihn vor nichts zurückschrecken. Sein altadeliger Name mußte ihn übrigens bei den am Hofe lebenden polnischen Edelleuten als gute Empfehlung dienen, so daß er von dieser Seite auf einige Förderung seines Planes hoffen durfte.

Sein Wiedererscheinen in Dresden erregte anfangs einiges Erstaunen bei den Hofleuten, die ihn kannten, denn Jedermann wußte, daß er früher zum Hofhalt der Gräfin Cosel gehörte, nach deren Sturz sich niemand weiter darum gekümmert hatte, was aus ihm geworden sei. Zaklika erzählte ganz unbefangen, daß er zuletzt einige Zeit bei seiner Familie auf dem Lande zugebracht habe. Die Ankunft des Bischofs von Cujavien, Sieniawski, der ihn gekannt hatte, als er noch ein kleiner Junge war, verschaffte ihm endlich die erwünschte günstige Gelegenheit, an die Ausführung seines Planes zu schreiten; er war nämlich entschlossen, sich um die Charge eines Capitäns in der sächsischen Armee zu bewerben.

Als man dem König von ihm sprach, runzelte er anfänglich die Stirne und verlangte ihn dann zu sehen. Er hatte den jungen Polen schon lange aus dem Gesichte verloren und fand ihn jetzt sehr verändert; er musterte ihn zuerst mit mißtrauischen Blicken, allein, das offene Auftreten und das ehrliche Gesicht Zaklika's verscheuchten seine Zweifel, namentlich, als er hörte, daß dieser schon längst freiwillig den Dienst bei der Gräfin Cosel verlassen hatte, und so willfahrte er denn Raimund's Bitte ohne weitere Schwierigkeiten.

Es handelte sich also nur noch darum, sich nach damaligem Brauche die fragliche Stelle zu erkaufen, wozu sich bald Gelegenheit fand. Er wurde mit einem Deutschen handelseins und zog die Officiersuniform an. Die Stellung war in mancher Hinsicht eine äußerst unangenehme; andererseits bot sie aber Vergnügungssüchtigen Gelegenheit, an allen möglichen Zerstreuungen theilzunehmen. Diejenigen Truppenabtheilungen, welche nicht zur Verfolgung der Conföderirten in Polen aufgeboten waren, wurden viel mehr zu Paraden als zu anderen Dienstleistungen verwendet.

Die Officiere dieser Armee sahen ihre Regimenter oft Jahre hindurch nicht. Im Winter lungerten sie auf der Straße und in den Vorsälen herum, im Sommer fand man sie niemals im Felde oder auf dem Exercirplatze, sie blieben in der Stadt und lebten von dem Gelde, welches sie sich im Winter zu machen gewußt. Von Disciplin war nicht viel zu spüren. Man lebte flott und unterhielt sich so gut als möglich, unbekümmert darum, daß es den Soldaten gleichzeitig oft am nöthigsten fehlte. Mehr als ein Fall lag vor, daß neue Regimenter, welche nur auf dem Papier existirten, regelmäßig verrechnet und das Geld für dieselben eingehoben wurde, während an ihrer Stelle einfach ein Theil eines alten Regimentes exercirte und paradirte. Der fortwährende Wechsel in den höheren Befehlshaberstellen ruinirte den Staatsschatz und führte überhaupt zu den größten Unzukömmlichkeiten. Die unfähigsten Leute wurden oft an verantwortliche Posten gestellt und scandalöse Processe zwischen Officieren, Spielern und Wucherern waren förmlich an der Tagesordnung. Die Generale speculirten mit ihren Untergebenen und die Soldaten ahmten das ihnen von oben gegebene Beispiel nach und nahmen das zu ihrem Unterhalte Nöthige, wo sie es fanden, ohne dabei in der Wahl der Mittel zu ihrem Zwecke besonders scrupulös zu sein. Der Markgraf Ludwig von Baden, dessen Commando im Jahre 1703 im spanischen Erbfolgekriege das sächsische Contingent unterstellt wurde, wußte nicht, was er mit einer solchen Armee anfangen sollte; nicht selten traf er, wenn es in Eilmärschen vorwärts gehen sollte, die sächsischen Herren Officiere, wie sie ganz gemüthlich im Schlafrock in irgend einem Quartier lagen und ihre Ordres einfach ignorirten. Die Geschichte von einem Hauptmann Görtz und seinem Rückzug aus Polen liefert einen sprechenden Beleg für die Insubordination und Indisciplin, die damals in der sächsischen Armee herrschten. Dieser pflichtvergessene Officier sollte dafür bestraft werden, daß er seine Soldaten schlecht geführt hatte und etwas zu viel auf seinen eigenen Vortheil bedacht gewesen, allein es gelang ihm durch ein kluges Manöver, die Detachements, welche abgeschickt worden waren, um ihn festzunehmen, mit seinen Leuten zu umzingeln und zu Gefangenen zu machen.

Die Disciplinlosigkeit und Corruption in der sächsischen Armee kamen Zaklika für seine Pläne ganz trefflich zu Statten; man konnte da mit Geld alles durchsetzen ... Die Gesellschaft, in welche er jetzt eintrat, kannte keinen höheren Zweck als das Vergnügen, ein luxuriöses Leben zu führen, dabei sich auf leichte Weise Geld zu erwerben und so wenig wie möglich sich von den Fesseln der Pflicht beengen zu lassen – das war ihr Programm. Das Beispiel des Hofes wirkte zersetzend auf das Heer ein. Wenn die Angehörigen dieser Armee Zeugen der bacchantischen Feste waren, wie sie die sächsischen Machthaber feierten, wenn sie sahen, wie man zu Ehren schöner Damen Paraden abhielt und ungezählte Summen vergeudete, so ist es am Ende begreiflich, daß Jeden die Lust anwandelte, nach Kräften desgleichen zu thun, und niemand seinen Soldatenberuf ernst nahm. Allerdings fand sich unter dieser Masse von Angehörigen aller Nationalitäten da und dort Einer von ernsterem Charakter und von Pflichtbewußtsein und Diensteifer erfüllt; diese waren aber seltene Ausnahmen und die Neckereien ihrer Kameraden verleideten ihnen gar bald ihre Stellung. Es konnte also Raimund Zaklika durchaus nicht schwer fallen, das Porte-épée zu nehmen und unter seinen neuen Standesgenossen Bekanntschaften anzuknüpfen, welche ihm den Weg nach Stolpen bahnen sollten, umsomehr, da keiner sich nach dem Aufenthalt daselbst sehnte.

Zaklika hatte inzwischen auch schon Erkundigungen über den Commandanten von Stolpen, den alten Wehlen, eingezogen, der ihm als ein im Ganzen gutmüthiger Mann und namentlich als großer Liebhaber des Damenspieles geschildert wurde. Der junge Pole schloß daraus, daß es ihm nicht allzu schwer werden dürfte, das Vertrauen dieses Mannes zu gewinnen und ihn ein wenig hinters Licht zu führen.

Gräfin Cosel war nicht wenig erstaunt, als nach Ablauf einiger Monate, während welcher sie vergeblich auf irgend eine Nachricht gewartet hatte, derselbe jüdische Hausirer, der ihr die erste Meldung gebracht, ihr mittheilte, daß derjenige, welcher die Hufeisen zerbrach, ihr demnächst seine Aufwartung zu machen gedenke.


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