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Für schweres Geld war es Phöbe gelungen, Leute zu werben, welche vor einem Leichenraub nicht zurückschreckten. Schwierigkeit bereitete es schon, überhaupt einem Manne begreiflich zu machen, daß es sich um die Ausgrabung eines schon seit längerer Zeit bestatteten Menschen handle; denn im heißen Indien gehen die Leichen ja schon nach einem Tage in Verwesung über.
Als aber erst der eine Mann gefunden war, brachte dieser noch andere herbei, welche nicht nur den bezeichneten Sarg ausgraben und nach einem bestimmten Hause bringen wollten, sondern welche für eine besondere Summe auch stillschweigen versprachen – ein Plaudern hätte ihnen überhaupt selbst den Hals gebrochen, sagte sich Phöbe.
Sie wohnte mit ihrem Diener Aleen außerhalb Bombays in einem gemieteten Häuschen; niemand beobachtete die beiden Leute.
Pünktlich zur verabredeten Nachtstunde erschienen die vier Männer, einen länglichen, nicht besonders schweren Kasten zwischen sich tragend.
Phöbes Augen leuchteten triumphierend auf, sie zitterte vor Erregung. Jetzt kam der zweite Genuß ihrer Rache. Sie überzeugte sich, daß der Sarg gut vernagelt war.
»Alles in Ordnung, Missis,« sagte der Anführer der Leichenräuber, ein verkommener, englischer Matrose; »wir haben wahrhaftig keine Lust gehabt, die Nase in den Kasten zu stecken, und da, wo der oder die verscharrt lag, da gibt's auch sicher nichts Wertvolles zu nehmen.«
Phöbe zahlte ihnen den bedungenen Lohn; die Männer entfernten sich mit dem Versprechen, reinen Mund zu halten. Sie würden wohl nicht so dumm sein, zu plaudern.
Hoch atmete Phöbe auf, als sie mit Aleen und dem Sarg allein war. Sie erbrachen den Deckel, wobei Aleen meinte, die Nägel gingen merkwürdig leicht heraus.
Das Weib achtete nicht der mißtrauischen Worte, es hatte nur Augen für den Sarg.
Siehe da, Westerly lag noch so da, wie man ihn hineingelegt hatte, unverwest, unversehrt, mit demselben Gesichtsausdruck, wie man ihn gefunden.
»Den Dolch, Aleen!« flüsterte sie.
Sie vollführte die Operation mit dem Gegenmittel an der verwundeten Hand, der Tote seufzte, öffnete die Augen, richtete sich auf und sah sich erst mit starren, entsetzten Blicken um, dann Phöbe an.
»Nun, Lord, wie ist Ihnen der Schlaf unter der Erde bekommen?« spottete das Weib.
Ein Zittern ging durch den Körper des Unglücklichen.
»Töte mich!« brachte er nur mit klappernden Kinnladen hervor. »Töte mich oder ich werde wahnsinnig!«
»So wird Alphons – du weißt schon, die schwarze Maske – auch gedacht haben, als du ihn im Starrkrampf in das eisige Wasser der Themse warfst. Hast du den Totenwurm ticken hören? Hast du die Würmer nagen hören?«
»Töte mich!« wimmerte Westerly.
»Mitnichten. Du wirst noch einmal lebendig der Erde überliefert, dann wieder ausgegraben werden, und so immer wieder, bis ich dich einst von den Würmern angefressen finde. Hast du Hunger? Ich will dich erst pflegen, denn du sollst nicht – Aleen, was machst du da?« Aleen hatte die Schraube des Heftes gelöst, die goldgelbe Flüssigkeit auf den Erdboden gespritzt und wischte die Höhlung auch noch sorgfältig mit einem Tuche aus.
Wie eine Tigerin war Phöbe auf ihn zugesprungen.
»Einmal ist genug. Du kannst mit deiner Rache zufrieden sein,« sagte er ruhig. »Wenn du ihn wieder tötest, sollst du kein Mittel haben, ihn wieder zum Leben zu erwecken. Es ist nicht gut, daß dieser Dolch in der Hand eines rachgierigen Weibes ist, denn die Rache des Weibes ist maßlos.«
»Schurke!« knirschte Phöbe.
»Tötet mich ganz – oder laßt mich ganz leben, das Leben ist so schön!« flehte der Erwachte.
Phöbe streckte die Hand nach dem Dolche aus.
Da flogen die Scheiben des Fensters klirrend zu Boden; ein Konstableroffizier sprang in die Stube, durch das andere Fenster blickten die Mündungen einiger Revolver.
»Im Namen des Gesetzes, ich verhafte euch wegen Leichenraubes – vorläufig wenigstens!« setzte der Beamte hinzu.
Hinter dem Konstabler kam das grinsende Gesicht des englischen Matrosen zum Vorschein, er war der Verräter gewesen.
»Wirf den Dolch weg! Hebt beide die Hände!«
Versteinert stand Phöbe da; ihr Blick ruhte voll unsäglichen Hasses auf Westerly, welcher beide Hände aufhob. Das Opfer war ihr entgangen; doch sie hatte ihre Rache genug befriedigt, sie konnte zufrieden sein.
Aleen dagegen hob den Dolch, stieß ihn sich in den Arm und brach zusammen.
Gleichzeitig hatte einer der Konstabler, an Widerstand denkend, auf ihn geschossen. Im Fallen noch entriß ihm der Offizier den Dolch.
»Ich widersetze mich nicht, ich lasse mich gefangennehmen, um gegen diesen hier als Anklägerin aufzutreten,« sagte Phöbe, auf Westerly deutend.
Ihre Hände wurden gefesselt wie die Westerlys, trotz seiner Lamentationen. Man hüllte den nur mit dem Totenhemd Bekleideten in einen Militärmantel, ein Bote wurde in die Stadt nach dem Arzte geschickt, denn Aleen schien tot zu sein, es mußte bestätigt werden.
Dann nahm der Offizier das Protokoll des Tatbestandes auf. Es mußte hier etwas Grausiges vorliegen; doch der Beamte hatte nicht das Recht, nach der Ursache zu fragen; er hatte Übertreter des Gesetzes zu verhaften, und er tat seine Pflicht.
»Sagte ich nicht, daß es sich um etwas ganz Besonderes handelt?« frohlockte der Matrose.
»Ich dachte es mir doch gleich, als ich den Sarg öffnete und den Scheintoten darin liegen sah.
Das Frauenzimmer hat ihn wahrscheinlich scheintot gemacht oder ihn gar –«
»Schweigen Sie!« herrschte ihn der Beamte an. »Die Untersuchung wird alles ans Licht bringen.«
Phöbe und der zeternde Westerly wurden abgeführt, die Leiche Alleens aufgehoben.
– – – – Franziska war noch nicht lange in Bombay mit ihren Eltern und Geschwistern vereint, als ihr eines Abends gemeldet wurde, im Portale des Hotels stehe ein verschleiertes Mädchen, wahrscheinlich eine Indierin, welche sie zu sprechen begehre.
Empfangen und anhören wollte Franziska sie zwar, doch nicht allein, denn sie war mißtrauisch geworden.
Otto bot sich ihr als Beschützer an, und den tapferen Jungen, der, mit der Waffe in der Hand das Fort, welches Frauen und Kinder barg, verteidigt und sich dann durch die Reihen der Indier geschlagen hatte, abzuweisen, wäre für ihn eine Beleidigung gewesen.
Kein Auge wendete Otto von der eintretenden Gestalt. Vielleicht konnte es ein gedungener Meuchelmörder sein. Doch es war die Gestalt eines zartgebauten Mädchens, sie schlug das Tuch zurück, und schöne, sanfte Züge kamen zum Vorschein; große, mandelförmige Augen schauten traurig auf Franziska.
Dennoch fuhr diese erschrocken zurück und streckte abwehrend die Hände aus.
»Bist du nicht jenes – jenes –«
»Ich bin Mirja, die Jüdin, welche dich einst den Rebellen auslieferte. O, glaube mir, es war ein unheilvoller Irrtum, ich hielt dich für eine andere. Verzweiflung hat mein Herz zermartert, als ich den Irrtum erkannte, und ich habe ihn wieder gutzumachen versucht. Verzeihe mir, stoße mich nicht von dir! Höre mich an, und du wirst mir verzeihen, sonst bin ich die Unglücklichste aller Unglücklichen!«
Nur widerstrebend befolgte Otto den Wunsch, sie allein zu lassen. Er hielt an der Tür Wache, um im Falle der Not gleich bei der Hand zu sein. Seine Hilfe wurde nicht gebraucht.
Nur leises Sprechen, Weinen und Schluchzen drang an sein Ohr, es war ihm, als ob auch seine Schwester weine.
Dann, nach einer halben Stunde, führte Franziska die Jüdin an der Hand in den Kreis der Familie.
»Dies ist Mirja, von welcher ich euch, liebe Eltern, schon längst erzählt habe. Erschreckt nicht; ihre Tat damals beruhte auf einem Mißverständnis; sie hat es wieder gutgemacht, als sie den Irrtum gewahrte. Ihr habe ich es hauptsächlich zu verdanken, daß ich von Delhi fortkam; denn sie verriet meinen geheimen Aufenthalt an John und Oskar und fand sonst Mittel und Wege, mich befreien zu lassen.
»Sie hielt mich für die Braut Westerlys, und ich weiß nun, was für Unrecht dieser an ihr verübt hat.
»Mirjas Vater ist tot, sie steht allein in der Welt, sie bittet mich, sie als Dienerin anzunehmen; da wir eine suchen, so denke ich, wir nehmen sie an. Ich bitte euch darum, gewährt meinen Wunsch – Mirja ist eine Leidensgefährtin von mir.«
So blieb die Jüdin in der Familie Reihenfels als Dienerin Franziskas, doch wurde sie bald mehr als das, sie wurde ihre Freundin, ihre Gesellschafterin, ohne welche sie nie ausging.
Mirja wußte sich unentbehrlich zu machen, alle waren von ihr entzückt, man betrachtete sie wie ein Familienglied, aber sie war immer bemüht, sich die Stellung einer dienenden Person zu geben. Sie war liebenswürdig, sah ihrer Herrin die Wünsche an den Augen ab und dankte für jede neue Gunstbezeugung wie für eine unverdiente Gnade. Alle Vertraulichkeit, alle Bitten konnten sie nicht von diesem unterwürfigen Benehmen abbringen, auch das traurige Wesen wich nicht von ihr. Man schrieb es dem schrecklichen Tode ihres Vaters zu; denn es war bekannt geworden, daß dieser sein Leben unter den Händen des rächenden Dick Red gelassen hatte.
Zu jener Zeit beschäftigte ein furchtbares Ereignis ganz Bombay. Ein Weib hatte aus Rache den Mann, der ihren Geliebten gemordet, durch ein ins Blut geflößtes Gift scheintot gemacht. Im Begriff, in ihrer unersättlichen Nachgier zum zweiten Male die fürchterliche Prozedur an dem Unglücklichen zu vollziehen, wurde sie vom Gesetz dingfest gemacht.
Einer der von ihr gedungenen Leichenräuber hatte das Geheimnis der Polizei verraten, in der Hoffnung, als Konstabler angestellt zu werden, denn er hatte den Sarg geöffnet und gesehen, daß ein Scheintoter darin lag, also mußte es ein ganz besonderer verbrecherischer Fall sein.
Der Diener des Weibes tötete sich; die beiden wurden in Gewahrsam gebracht, und nun erhob das Weib gegen den Mann die Anklage des Hochverrates. Er habe, scheinbar auf der Seite der Engländer stehend, zu den Rebellen gehalten und diesen die Pläne seiner Freunde verraten. Ferner habe er Bruder und Mutter ermordet und führe wissentlich einen falschen Namen und Titel und anderes mehr.
Der Name des Weibes war Phöbe Dubois, der des Mannes Lord Edgar Westerly. Es läßt sich denken, welche Sensation diese Enthüllungen in Bombay hervorriefen, und nicht zum mindesten im Hause von Reihenfels. In Mirjas Augen glühte ein dunkles Feuer, als sie von Westerlys Entlarvung erfuhr; Franziska dachte mit Schrecken an den Mann, dem sie bald zum Opfer gefallen wäre.
Dann einige Wochen später ging ein neues Gerücht durch Bombay. Westerly sei gut verpflegt worden, denn er wäre halb verhungert gewesen. Neuer Lebensmut müsse in ihm erwacht sein – als man ihn zur ersten Untersuchung vorführen wollte, wäre seine Zelle leer gewesen, er sei auf eine ganz unerklärliche Weise ausgebrochen.
Das Gerücht bestätigte sich, Westerly war verschwunden und wurde nicht wieder ergriffen. Eine bange Furcht bemächtigte sich der Bevölkerung Bombays. Es hieß, Westerly hätte auch in der Zelle nur das Totenhemd getragen, so wie er gefunden wurde, und nun streife er so nachts durch die Straßen Bombays und gehe auf Raub aus. Einige Morde, welche in der mit Soldaten und Abenteurern gefüllten Stadt vorkamen, beglaubigten nur dieses Märchen.
Doch die Familie Reihenfels hatte jetzt an anderes zu denken; Freude war in ihr Haus eingekehrt. Jede Depesche, jeder Brief brachte immer freudigere Nachrichten.
Oskar hatte Bega gefunden; sie war die Tochter Sir Carters; beide waren schon ein vermähltes Paar. Sir und Lady Carter waren den Lebenden als glückliche, gesunde Menschen wiedergegeben, sie hatten den Bund selbst gesegnet, Oskar und Eugenie blieben vorläufig in Delhi, – bis sie Lord Canning nach Bombay begleiteten.
Oskar, Eugenie und John kamen nach Bombay! Endlich, endlich traf die Nachricht ein, Lord Canning käme mit den siegreichen Generälen mit dem und dem Zuge in Bombay an. Der Aufstand galt für beendet, andere Maßnahmen mußten getroffen werden.
Ganz Bombay war in Aufregung; es galt, die Sieger zu empfangen. Und was für eine Stellung würde nun England zu Indien nehmen? Mit der Bundesgenossenschaft, wie das Verhältnis zwischen England und den Radschas früher genannt wurde, war es jetzt vorüber.
Herrlicher konnte der Blumenschmuck nicht gewesen sein, in welchem damals zum Feste Siwas Delhi geprangt hatte, zum Ausbruch des Aufstandes, als der, welchen jetzt nach seiner Beendigung Bombay aufwies. Die Straßen waren mit Blumengirlanden überspannt, die Häuser damit bedeckt, und aus allen Fenstern flatterte das englische Banner.
Noch festlicher war der Bahnhof dekoriert; eine tausendköpfige Menge füllte die Räume an. Es war dem alten Reihenfels nicht schwer geworden, für sich und seine Familie einen Platz auf dem der Menge verschlossenen Perron zu erhalten, wo die Aussteigenden von den hohen Offizieren und Beamten Bombays empfangen wurden. War doch schon das Verhältnis von Miß Franziska Reihenfels zu dem Generalgouverneur stadtbekannt geworden; die Anklagen Phöbes gegen Westerly hatten dies bewirkt.
Dicht umringte die Menge den nur durch Schnüre abgesteckten freien Platz; Konstabler und Militär bildeten Spalier für den freigelassenen Gang.
Franziska stand mit Mirja dicht neben dem ausgespannten Seil. Eine Schutzwehr bildete dieses nicht, es brauchte nur etwas gehoben zu werden, so lag es am Boden. Sie wußte nicht, daß sie von zwei glühenden Augen beobachtet wurde; denn aller Augen waren dahin gerichtet, wo in der Ferne eine Rauchwolke sichtbar wurde – der ankommende Zug.
Die Augen, welche das ahnungslose Mädchen so unheimlich anstarrten, gehörten einem Manne, dessen Erscheinung nicht zu der Feststimmung paßte, oder aber, sein patriotisches Gefühl war so groß, daß er, kaum genesen, das Bett verließ, um dem Empfang der siegreichen Generäle beizuwohnen.
Dieser Mann mußte eine schwere Verletzung im Gesicht davongetragen haben, vielleicht Brandwunden. Sein Gesicht war ganz mit Watte bedeckt, auch das eine Auge. Nur die Nase, die Lippen und das andere Auge waren zu sehen. Er war gut gekleidet; man hatte dem Unglücklichen, der sich durch seine Wunden nicht von dem Feste fernhalten ließ, willig Platz gemacht, bis er die Umzäunung erreichte. Wie er, so stand auch Franziska dicht an der Grenze des Perrons, vor ihnen lagen die Schienen.
Näher und näher kam der Zug gebraust; schon wehten Tücher, zwei gellende Pfiffe, und er fuhr in den Perron ein.
Da, als die Lokomotive eben an dem Empfangsplatze vorüberdampfen wollte, wurde Franziska von hinten von zwei kräftigen Armen gepackt und den tiefliegenden Schienen zugedrängt.
Ein Stoß hätte genügt, Franziska wäre hinabgestürzt und von den Rädern der Lokomotive zermalmt worden. Es schien aber, als ob der Mann mit ihr sterben wollte.
»So wollen wir beide zusammen deinen Geliebten freudig empfangen!« schrie er und stürzte vorwärts.
Es wäre ihm gelungen, denn niemand hatte der Szene Beachtung geschenkt, wenn nicht Mirja gewesen wäre.
Noch rechtzeitig erreichte sie den Mann, riß ihn zurück; er drehte sich um und ein kurzer Ringkampf begann.
»Mirja, Schlange!« knirschte er.
»Westerly – zu Hilfe –« schrie sie, ihn trotz der Verhüllung erkennend.
Der Empfang der Angekommenen war nicht der geplante. Statt einer jauchzenden Menge fanden die Aussteigenden ein stürmisch wogendes, aufgebrachtes Durcheinander. Konstabler hatten einen Mann gepackt, rissen ihm den Verband ab, und ein totenbleiches Gesicht kam zum Vorschein; wild rollten die Augen umher; und dort wurde ein Weib fortgetragen, den Weg bezeichnete eine Blutspur.
Franziska warf sich dem Geliebten nicht jauchzend in die Arme, sondern laut jammernd, sie zog ihn mit sich in einen Wartesaal.
Dort lag Mirja, in der Brust die den unvermeidlichen Tod bringende Wunde. Man machte keinen Versuch mehr, sie zu verbinden. Mirja war bei Bewußtsein, sie fühlte das Ende nahe und lächelte glücklich, Lord Canning und Franziska ansehend.
»Mirja!« rief der mit Eugenie hinzugetretene Reihenfels schmerzlich.
Canning hatte erfahren oder doch herausgehört, was sich ereignet. Der verkleidete Westerly wollte Franziska unter die Räder der Lokomotive werfen, sich wahrscheinlich auch; Mirja hatte die Tat vereitelt und dafür einen Messerstich in die Brust erhalten.
»Sie stirbt für mich,« weinte Franziska an der Brust des Geliebten.
»Nein, für mich,« sagte dieser ernst.
»Sie wollte mich für dich retten.«
»Ja, so ist es. Gib ihr die Hand, Franziska,« er ergriff die andere Hand der Sterbenden.
»Lebe wohl, Mirja. Nimm unseren Dank mit hinüber in das unbekannte Jenseits – wir können dir nicht mehr helfen. Weißt du, Franziska, warum sie dich gerettet hat, warum sie für dich sterben mußte? Jetzt darfst du es erfahren. Sie hat mich lange geliebt, ohne daß ich es wußte, und ohne daß sie Gegenliebe forderte. Sie wollte der dienen, welche ich liebte; so groß und uneigennützig war ihre Liebe zu mir, und sie tat es, obgleich ich es nicht haben wollte.«
»Lebe wohl, Mirja!«
Er beugte sich zu ihr herab und küßte sie; unter diesem Kusse hauchte die edle Jüdin ihre Seele aus, ohne noch ein Wort gesprochen zu haben.
Als sich Lord Canning wieder aufrichtete, war ihr Antlitz wie verklärt.
»Sie ist tot!« jammerte Franziska.
»Es ist das beste für sie – vielleicht auch für uns. Sieh, wie glücklich und zufrieden sie aussieht! Ich glaube, sie ist in ihrem Tode glücklicher geworden, als es ihr auf Erden möglich geworden wäre. Arme Mirja, schlummere sanft!« Er drückte ihr leise die Augen zu.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Westerly wurde nach seiner erneuten Gefangennahme in ein Gewahrsam gebracht, aus dem es kein Entweichen mehr gab. Phöbe wiederholte ihre Anklagen, und Westerlys frühere Energie war gebrochen; er gestand alle seine Verbrechen ein, auch, daß er gar nicht den Namen Lord Westerly verdiene.
Ferner machte er noch andere Mitteilungen. Er erzählte, wie er nach seiner Flucht aus dem Gefängnis sich in geheimen Winkeln versteckt gehalten habe und dort mit früheren gleichgesinnten Kameraden, auch mit Frauenzimmern, die einst eine wichtige Rolle gespielt hätten, zusammengetroffen sei.
Unter der Bedingung, daß er sein Besitztum mit ihnen teilen wolle, hätten sie ihm ihre Unterstützung zugesagt, ihn auch in ihre Pläne eingeweiht.
Aber als Westerly von Lord Cannings Triumpheinzug hörte, überwog die Rachgier alle anderen Empfindungen. Canning sollte bei seiner Ankunft die Braut unter den Rädern des Zuges hervorziehen sehen. Er selbst wollte sich dabei töten, um seinem elenden Leben ein Ende zu machen.
Jetzt gab er, seinem erbärmlichen Charakter entsprechend, den Schlupfwinkel seiner verbrecherischen Genossen an; man hob das Nest aus und fand eine ganze Menge Männer und Weiber, welche im Solde der Rebellen gestanden hatten und noch immer hofften, ihre Kräfte für die indische Sache gegen die Engländer verwenden zu können – natürlich gegen Bezahlung. Es waren teils frühere Spione, Helfershelfer von solchen, oder auch ehemalige Offiziere, meist Franzosen und Italiener, aber alles ausgemachte Schurken.
So zum Beispiel war auch Duplessis unter ihnen, der sich früher Giraud nannte, und der sich als ein Individuum entpuppte, nach dem die Polizei manches Landes fahndete. Ebenso fand man einige andere französische Offiziere, viele jedoch fehlten noch, so Francoeur und Montpassier.
Unter den Weibern befand sich Mirzy, ferner auch die fromme Hedwig, und die Beweise lagen klar zu Tage, daß man samt und sonders indische Verräter und Spione vor sich hatte, die unter heuchlerischer Maske gegen England zugunsten der Rebellen operiert hatten.
Eines Morgens wurde eine lange Reihe von Menschen mit Ketten belastet dem Hafen zutransportiert, in welchem ein Dampfer mit gehißter englischer Flagge unter Dampf lag, zur Abfahrt bereit.
Viele Soldaten begleiteten mit aufgepflanztem Bajonett die Gefesselten.
Keiner empfand Mitleid für die Gefangenen, nicht einmal für die weiblichen, welche schwer an den Ketten zu tragen hatten. Phöbe fehlte – sie hatte ihrem Leben ein Ende gemacht, sich mit den eigenen Haaren erwürgt.
Am Kai stand eine Gruppe von Menschen; alle alte Bekannte von uns. Es galt Abschied zu nehmen von Lord Canning, welcher in Indien zurückblieb, während seine Braut unter der Obhut ihrer Eltern nach England reiste. Er allein blieb noch hier, alle anderen bestiegen das Schiff, das sie nach England bringen sollte, auch der von langer Krankheit genesene Woodfield und seine Schwester, begleitet von Charly und Dick.
Sie wollten ihren Herrn, der in Indien das gesuchte Glück gefunden und im nämlichen Augenblick wieder verloren hatte, in seine Eiswüsten begleiten, ebenso die Schwester. Die Ruhe würde sein gebrochenes Herz wieder heilen.
August begleitete vorläufig Reihenfels nach England, dann würde er wohl nach Deutschland zu der Mutter gehen, die sehnsüchtig den verschollen geglaubten Sohn erwartete.
Da kam der Zug der Gefesselten.
Scheu senkte Westerly die Augen vor den auf ihn gerichteten Blicken. Dort stand sein Feind, liebevoll hielt er den Arm um Franziska geschlungen. Die Beute und die Rache waren dem Schurken entgangen; seiner wartete lebenslängliche Zwangsarbeit in der Tretmühle oder in den Steinbrüchen zu Pentonville der Hölle der Verbrecher, aus der es kein Entrinnen gibt.
Westerly hatte nicht mehr die Macht, mit den Zähnen zu knirschen: stumm schritt er vorüber – ein gebrochener Mann.
Miß Woodfield fuhr erschrocken zurück, als sie Hedwigs Blicken begegnete. Auch diese senkte schnell die Augen.
»Gott ist gerecht und läßt nicht ungestraft seiner spotten!« murmelte die alte Dame.
»Auch ihre Schuldlast ist groß,« bemerkte Canning zu ihr, »sie war nicht nur eine ganz raffinierte Spionin in indischen Diensten, von Anfang an, als sie in Carters Dienste trat, sie war auch bei dem Kindesraub behilflich.«
Wie ein Gespenst starrte Duplessis die junge Dame an Reihenfels' Arme an. War das nicht die Begum von Dschansi? Doch was ging das ihn an? Auch mit ihm war es jetzt vorbei. Zehn Jahre in der Tretmühle – zehn Minuten treten, fünf Minuten Pause – untergruben auch die kräftigste Gesundheit.
Mit dunkelgerötetem, tief gebeugtem Gesicht schritt er vorüber.
Am Schiffsmast wurde eine Flagge gehißt, die Glocke ertönte.
Mit einem Wunsch auf ein fröhliches Wiedersehen nahm man Abschied von dem am Lande bleibenden Lord Canning, von den übrigen Freunden; noch einmal warf sich Franziska weinend dem Geliebten an die Brust.
Ach, warum konnte er nicht gleich mitkommen! Warum durfte sie nicht bei ihm bleiben! »In einigen Wochen komme ich nach; ich habe noch viel hier zu erledigen. Bereite den Empfang in England vor; ich freue mich auf ihn und werde mit doppelter Kraft an meine Arbeit gehen, um sie so schnell wie möglich zu beenden. Lebe wohl, mein Lieb! Gott schütze dich!«