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14. Die Hyänen des Schlachtfeldes

In derselben Nacht noch taten die Engländer ihr möglichstes, die beim Sturm auf Delhi gefallenen Kameraden, welche nach Tausenden zählten, zu begraben. Fern, fern von den Ihren, im fremden Lande fanden sie ihr Massengrab.

Das zwischen der westlichen Batterie und der Mauer gelegene Feld war ein einziger, großer Leichenplatz. Lichter wandelten hin und her, sie begleiteten die Totenträger, und immer wurden auch noch Verwundete gefunden, welche in ihrer Ohnmacht erst für Tote gehalten worden waren und jetzt mit schwacher Stimme um Hilfe riefen. Diese wurden vor allen Dingen nach Delhi in die Hände der Ärzte getragen.

Ab und zu erscholl auch ein Schrei oder ein Röcheln, der letzten Todesnot eines Sterbenden.

Als der Mond aufging, machte er die Fackeln unnötig. Jetzt ging die Arbeit schneller vonstatten.

Zu dieser Zeit schritt über das ungeheure Leichenfeld eine weibliche Gestalt, ein Mädchen, wie eine Indierin gekleidet, aber mit verhülltem Gesicht.

Mit Entsetzen wendete sie sich oft von dem Anblick ab, den die von Granatsplittern zerfetzten Leichname ihr boten; dann drückte sich in ihrem schönen, aber wachsbleichen Gesicht wieder das tiefste Mitleid aus, wenn ein Verwundeter aufstöhnte und die Näherkommende mit röchelnder Stimme um Wasser bat.

Sie konnte nicht helfen. Weder trug sie Wasser bei sich, noch hatten die stürmenden Engländer Trinkflaschen gehabt, mit deren Inhalt sie die lechzenden Gaumen der Verschmachtenden hätte erfrischen können.

Es war nicht auffallend, daß die einsame Wanderin den Totenträgern mit der größten Vorsicht auswich, denn es konnte ihr nicht daran gelegen sein, mit englischen Soldaten zusammenzutreffen.

Je näher sie der Stadt kam, desto langsamer wurde ihr erst eiliger Schritt und desto furchtsamer ihr Gesicht. Einmal, als der Mond eben hinter einer Wolke verschwunden war, vernahm sie in der Ferne einen Hilfeschrei, dem ein schmetternder Schlag folgte. Dann ward es wieder still.

Erschrocken blieb das Mädchen stehen.

Als der Mond wieder zum Vorschein kam, konnte sie jedoch noch nichts sehen, und da sie auch nicht wußte, woher der Ruf gekommen war, so schritt sie in ihrer ersten Richtung weiter.

Dann bemerkte sie einen englischen Soldaten, dessen Schädel eingeschlagen war. Das unerfahrene Mädchen dachte nicht daran, wie eine solche Todesart durch Erschlagen hier möglich gewesen war, wo doch nur Kugeln und Granatensplitter getötet haben konnten, es fiel ihr nur auf, weil dieser Leichnam eben eine andere Verwundung als die bisher gesehenen hatte. Ebensowenig wunderte sie sich darüber, daß dem Manne ein Finger von der linken Hand anscheinend abgeschnitten worden war, daß er neben der Hand lag, und daß aus dem Stumpfe noch Blut floß.

Wie schon oft, so war sie auch jetzt beim Weitergehen genötigt, über einen leblosen Körper zu steigen, der ihr quer über den Weg lag.

Aber sie stutzte, als sie den Fuß heben wollte. Was für eine Kleidung war das? Jedenfalls nicht die von einem englischen Soldaten.

Ein langer, schmutziger Kaftan hüllte die hagere Gestalt ein, unter dem Käppchen quollen silberfarbige Locken hervor.

Kein Zweifel, es war ein Jude.

Der Mann lag mit dem Gesichte auf dem Boden und war anscheinend tot.

Wenn wir erfahren, daß das Mädchen eine Jüdin war, so ist es begreiflich, daß sie mit dem Toten Teilnahme hatte.

Zugleich schauderte sie ahnungsvoll zusammen.

Sie nahm die Hand, an der Blut klebte. Sie war bewegungslos, aber warm.

Mit vieler Anstrengung gelang es ihr, den Leblosen auf den Rücken zu wälzen.

»Vater!« flüsterte sie entsetzt.

Da schlug der Mann plötzlich die Augen auf; sein Gesicht nahm einen ganz anderen Ausdruck an, halb lag darin Schrecken, halb Mißtrauen, er richtete sich in sitzende Stellung auf.

»Gott meiner Väter,« murmelte er, »Mirja, Tochterleben, bist du's? Hast du mich erschreckt!«

»Ich dich erschreckt? Wie kommst du hierher?«

»Wie heißt, wie kommst du hierher? Werde ich kommen hierher auf meine zwei Beine.«

»Aber was machst du hier auf dem Schlachtfelde?«

Der Alte erholte sich sichtlich von seinem ersten Schrecken, als er nur seine Tochter vor sich stehen sah. Aber er mußte sich doch sammeln, er war überrascht worden.

Nachdenkend rieb er sich die Stirn.

»Gott der Gerechte,« mauschelte er dann, »bin ich auch nur ein armer Jud, habe ich doch ein Herz im Leibe und gehe zu tränken die Durstigen und zu suchen die Verwundeten.«

»Du?« erklang es gedehnt.

»Was hast da zu sagen duuuhh?, als bekämst du bezahlt nach der Elle. Sind doch noch andere angestellt, zu suchen die Verwundeten und stehen sich gut dabei.«

»Ah so! Wo ist denn deine Flasche?«

»Da, wo sie ist, unter'm Mantel. Wirst du nu aufhören, zu examinieren deinen alten Vater?«

»Ich wundere mich natürlich, dich hier wie einen Toten liegend zu finden, und nun bist du ganz munter.«

»Gott, hab' ich doch auch gemacht einen schweren Fall, daß ich wurde ganz meschukke im Kopfe und habe verloren meine Besinnung.«

»Ich hörte vorhin etwas wie einen Schlag.« »Das war ich, das war ich,« versicherte der Jude schnell; »bin ich doch hingeschlagen, daß es mir hat getönt wie Donner in den Ohren.«

»So warst du es, der so schrie?«

»Nu, soll ich etwa singen Halleluja, wenn ich schlage hin, daß mir das Feuer spritzt aus den Augen? Wirst du mir nu endlich helfen auf?«

Mirja reichte ihm die Hand.

Der Jude sah sich wie scheu um und wollte nun seinerseits wissen, was Mirja hier zu suchen hätte. Sie wich indessen seinen Fragen aus und sagte, sie sei außerhalb der Stadt gewesen und kehre nun nach Delhi zurück.

»So bist du gewesen drinnen, als die Engländer haben umzingelt gehabt die Stadt und haben hineingeschossen mit eisernen Kugeln?«

»Immer.«

»So – hm hm. Haben sie auch geschossen zusammen unser Haus, das du sollst erben von mir?«

»Es steht noch,« entgegnete Mirja, obgleich sie das gar nicht wissen konnte; aber sie wollte dem Alten, zu dem sie keine Liebe mehr fühlte, nicht mitteilen, wo sie die letzte Zeit gewesen war.

»So – hm hm. Nun, wenn es stünde nicht mehr, würde es schaden auch nichts weiter.

Mirjaleben, du bist meine Tochter.«

Seine Stimme wurde plötzlich zärtlich.

»Ich weiß es nicht.«

»Wie kannst du sprechen so, Mirjaleben? Hast du mich nicht genannt deinen Vater?«

»Es wurde mir so gelehrt.«

»Hast du keine Liebe mehr zu mir? Sagt nicht dein Herz, daß ich bin dein Vater?«

»Verlange kein solches Geständnis!« entgegnete Mirja dumpf.

Sie wollte Vergangenes nicht auffrischen. Diesen Mann liebte sie nicht mehr, aber sie fühlte doch noch etwas Pietät gegen ihn.

»Wie siehst du denn aus so bleich!« begann Sedrack wieder in zärtlichem Tone. »Bist du gewesen krank? Will ich dir geben Geld zu kaufen Arznei.

»Ich war nicht krank, ich brauche kein Geld.«

»Du bist so kurz gegen deinen armen, alten Vater. Was hat er dir getan?«

»Frage nicht. Du mußt es selbst wissen«.

»Nichts weiß ich, gar nichts. Ich war weit weg, in Bombay, wohin ich habe gebracht Franziska, das Täubchen, in Schutz, daß es sich freuen kann auf ihren Schatz, den großen Gouverneur.«

»Lüge nicht,« fuhr Mirja auf, »das hast du nicht getan.«

»Habe ich getan das doch. Was soll ich getan haben das nicht? Hat mir doch bezahlt der Lord Canning, welcher ist ein sehr nobler Herr und ein reicher Mann, zehntausend Pfund in Gold und hat mir gegeben dazu noch extra für meine Mühe, weil er war so sehr glücklich.

Denkst du, Mirja, die Franziska hat ihm gesagt, daß ich habe gehängt eine Null hinter die Tausend? Gelacht haben sie und gegeben mir das Geld.«

Dadurch, daß der Alte seine Betrügerei ganz ruhig eingestand, wurde Mirja irre. Sie war geneigt. an seine Worte zu glauben.

»So hast du Franziska wirklich nach Bombay gebracht?«

»Soll meine Hand doch auf der Stelle verdorren, wenn ich nicht spreche die lautere Wahrheit.«

»Für Lord Canning?«

Soll ich sie geben dem armen Schnorrer, dem Westerly?«

Mirja atmete tief auf.

»Ich glaube dir, Vater. Aber früher dachtest du anders.« »Wußte ich damals doch nicht, daß Lord Canning hat gerettet mein Tochterleben aus dem Ganges.«

Jetzt war jeder Zweifel bei Mirja verschwunden.

»Mirja, willst du tun einen Gefallen deinem alten Vater, der ist so schwach geworden in letzter Zeit?« bat Sedrack wieder schmeichelnd.

»Was soll ich tun?«

»Tragen das Geld, welches ich habe bekommen von Lord Canning, in mein Haus, wo ich dir sagen werde das Versteck.«

»Hast du es denn hier?«

»Werde ich es doch haben hier, wenn ich es will geben dir.«

»Wo hast du es?«

»Mich verließ die Kraft, und da habe ich es geworfen in eine Grube, wo ich es wollte holen morgen.«

»Bis hierher hast du es getragen und es dann versteckt?«

»Wie kannst du so fragen. Wurde ich doch so schwach, daß ich gefallen bin hin wie ein Toter.«

»Ist es auch dein Geld?« fragte Mirja mißtrauisch.

Der Alte versicherte es ihr, und nach einigem Zögern willigte Mirja ein.

Darauf hin beschrieb der Alte ganz genau ein Versteck im Keller seines Häuschens, wie sie es zu öffnen hatte, eine sehr komplizierte Einrichtung, und wie sie das Geld, das er ihr einhändigen würde, dort verstecken solle.

Mirja wunderte sich, daß ihr Vater sie in das Geheimnis des selbstgegrabenen Kellers einweihte. Sie wußte allerdings auch, daß er darin Schätze verborgen hatte, aber nicht, wie und wo.

Sedrack hatte zu seiner Tochter viel Vertrauen gefaßt, der geizige, alte Jude war ganz anders als sonst – oder es steckte etwas Besonderes dahinter, was Mirja nicht ahnen konnte.

Als Mirja eingewilligt hatte, führte er sie eine Strecke abseits, wo das Feld mit Büschen besetzt war, kroch hinein und kehrte bald mit einem großen, ziemlich schweren Bündel zurück. Für den alten Mann, der schon bedenklich humpelte, war es allerdings eine bedeutende Last, die jugendkräftige Mirja konnten sie aber bis nach der Stadt tragen.

Der Sack war fast einen halben Meter hoch; war er voll Gold, so mußte er Zentner wiegen, und so schwer war er nicht.

Als Mirja ihn wieder zur Erde gleiten ließ, gab es einen Klang, als enthielte er hölzerne Kugeln.

»Was ist denn drin?«

»Kokosnüsse, verstehst du?« schmunzelte Sedrack schlau. »Die ersten reifen, ganz kleine.

Wenn du wirst angehalten vor den Mauern von den Wachen, so sagst du, sie seien für jemanden bestimmt, vielleicht für Lord Canning. Verstehst du?«

»Laß diesen aus dem Spiele!«

»Nun, mein Mirjaleben ist schon schlau. Nur darfst du verkaufen keine Nüsse davon, zeigen kannst du sie. Laß dich nicht halten auf; die Untersuchung wird nicht sein strenge, weil sie nicht brauchen zu fürchten Spione; ist doch in Delhi alles gefangen mit Mann und Maus.

Vergiß das Versteck nicht, setze gleich den Sack hinein.«

Mirja nahm den Sack auf den Rücken und ging, gar nicht sehr erbaut von ihrem Auftrage.

Sedrack blickte ihr nach, bis sie verschwunden war, rieb sich dann schmunzelnd die Hände, schaute sich vorsichtig um und schritt oder huschte vielmehr einem buschreichen Teile des Schlachtfeldes zu.

Aufs sorgfältigste vermied er, mit Leichenträgern zusammenzustoßen. Oft verkroch er sich ohne jede Scheu hinter einer Leiche, schmiegte sich dicht an dieselbe, dann schlüpfte er wieder wie eine Schlange über den Boden. Als er sich wieder einmal im Schatten einer Leiche verbergen mußte, blieb er länger als nötig liegen. Es war ein Offizier, der die Todeswunde im Herzen trug. An seinen Fingern glänzten einige Ringe, an denen Sedracks Augen gierig hingen.

»Gott meiner Väter,« murmelte er, »was hat gesündigt der alte Sedrack, daß du ihm gibst so schwache Augen, zu übersehen diesen Offizier. Wie schade um das schöne Gold und um die schönen Steine, daß sie trägt solch ein verfluchter Gauch. Werde ich tun ein gutes Werk, wenn ich sie nehme dem Christenhunde; gehören doch die Schätze der Erde dem Volke Gottes.«

Er untersuchte erst die Taschen des Toten, machte eine gute Beute an Geld, nahm die Uhr, ein silbernes Petschaft und zog dann die Ringe vom Finger.

Den wertvollsten davon, welcher einen großen Diamanten trug, konnte er nicht abstreifen.

Er gab sich auch nicht lange Mühe damit, sondern zog ein Messer hervor und schnitt den Finger ab, worauf er den Ring bald ablösen konnte.

Der Leichenschänder kannte weder Scheu noch Gewissensbisse. Sein Auge hing nur mit unbeschreiblicher Gier an dem Diamanten, den er im Mondscheine funkeln ließ.

»Gott, welch schöner Diamant! Wie schade, daß Mirja schon ist gegangen fort! Doch ich kann auch nicht bringen mehr beiseite, sonst wird sagen der Levi, ich sei ein Gauner. Wird er mich wohl schon nennen Schnorrer; werd ich ihn nennen wieder Schnorrer – alle guten Geister!«

Der letzte Ausruf, in Schrecken ausgestoßen, bezog sich auf eine Erscheinung, die gespensterhaft an ihm vorüberjagte. Es war ein Pferd, ein Falbe, der, mit dem Bauche fast die Erde berührend, lautlos vorbeisprengte.

Sedrack sah aus dem Rücken des Tieres noch eine Gestalt sitzen oder vielmehr hängen, wahrscheinlich ein Weib, denn langes Haar flatterte in der Luft, dann war alles verschwunden.

Mit aufgerissenen Augen starrte der Jude ihr nach, und als nichts wieder erschien, murmelte er einen gegen böse Geister schützenden Spruch und setzte seinen Weg nach dem Gehölz fort.

Unbemerkt hatte er es erreicht. Daß er vorhin Mirja nicht ausweichen konnte, daran war die Wolke vor dem Monde schuld gewesen, und ein Glück für ihn war es, daß Mirja und kein Engländer ihn gefunden hatte.

Auf dem Bauche fast kroch er durch das dichte Gebüsch, bis er einen kleinen, freien Platz erreichte. Knurrend erhob sich eine Gestalt, die der Sedracks sehr ähnlich war. Auch sie trug Käppchen und Kaftan, nur zeigten die Locken noch die Schwärze der Jugend.

So wie diese beiden blicken sich zwei Hyänen an, die sich vereinigen, gemeinsam ein Stück Wild zu jagen.

Daß hier im fernen Indien auf deutsch gemauschelt wurde, war kein Wunder. Wenn man unter einer Weltsprache die versteht, welche man überall antrifft, man mag hinkommen, wohin man will, so ist es nicht Englisch, sondern Deutsch. Gleichgültig, ob man in Spanien, China oder in dem entlegensten Winkel von Afrika ist, trifft man einen Juden dort – und wo findet man keine Juden – so rede man ihn auf deutsch an, und er wird auf jüdisch-deutsch antworten. Der Engländer hat bei weitem nicht so oft Gelegenheit, sich in jedem Lande einen Dolmetscher zu verschaffen, wie der Deutsche.

Die Wiege des würdigen Kollegen Sedrack hatte entweder in Böhmen gestanden, oder seine Vorfahren stammten von dort.

»Wo ist sich geblieben so lange?« knurrte der Kumpan. »Hat sich gewartet hier, bis sich gewachsen sind bald Schwämmchen auf dem Leibe.«

Sedrack entschuldigte sich damit, er habe eine sehr gute Beute gemacht, was den Levi tröstete.

Beide kauerten sich im Schatten eines Busches nieder, breiteten je ein Tuch beim Lichte des Mondscheines aus und schütteten darauf den Erwerb ihrer nächtlichen Arbeit. Es war ein Haufen von Wertgegenständen, Ringe, Uhren, Ketten, silberne und goldene Petschafte, Bleistifthülsen, Streichholzbüchsen, Etuis und andere Taschenutensilien. Daß etwas aus Messing oder Tomback sei, war nicht zu erwarten, denn dieser Jude konnte echt und unecht auch im Finstern unterscheiden.

Besonders groß war der Ertrag an Ringen, denn die englischen Soldaten verwenden ihr Geld, wenn sie bei Kasse sind, mit Vorliebe für Ringe, wie in England überhaupt auch der gewöhnlichste Mann viel auf Schmucksachen hält.

Mit Argusaugen musterten die Juden die blitzenden Haufen, jeder den des anderen.

Es zeigte sich sofort, daß der Haufe Levis bedeutend größer war als der Sedracks, auch zeigte der von jenem viel Ringe mit wertvollen Diamanten, während Sedracks Ringe nur wenige und geringere Steine aufwiesen.

»Waih geschrien, wie haißt,« begann Levi sofort zu jammern, »hat sich gesteckt das beste und Schainste in die Taschen und will sich mir geben das Plunder, was ist sich nix wert bei keinem ehrlichen Jüd.«

»Nix Taschen,« entgegnete Sedrack und wies mit Entrüstung jeden Verdacht von sich, vor der Teilung schon etwas beiseite gebracht zu haben.

Levi überhäufte ihn mit Schmähungen, mit Schimpfworten, wie ihrer nur die jüdische Sprache fähig ist, jammerte, nannte sich einen ruinierten, geschlagenen Mann, doch Sedrack blieb fest dabei, ein ehrlicher Mann zu sein, der seinen Partner nicht betrüge.

Die Teilung ging dann schließlich vor sich unter endlosem Zanken, Streiten, Vorwürfen, Beteuerungen der Ehrlichkeit und unter Schimpfworten. Dabei stellte sich heraus, daß Sedrack der Hauptmacher war, weil nur er imstande war, die Schmucksachen, die leicht zum Verräter werden konnten, an den richtigen Mann zu bringen. Sonst hätte sich Levi die Übervorteilung nicht gefallen gelassen und auf eigene Faust und Rechnung gearbeitet.

Jeder bekam immer einen Ring von gleichem Werte, jeder Tausch rief erneuten Zank hervor. Der Mond beschien das saubere Paar.

»Was hast de zu greifen in meine Taschen Levi?«

»Gott der Gerechte, hat sich geglaubt, es wären sich Taschen meinige.«

Nach einer Weile begann Sedrack abermals. »Was hast de zu greifen in meine Taschen?«

»Gott, was ist sich heute zerstreut. Hat sich geglaubt, es wären sich meine. Waih geschrien, hat sich gekauft 'nen goldenen Ring aus Taschen meiniges.«

Während sie so teilten, suchten sie sich gegenseitig wieder zu bestehlen, und ertappte einer den anderen dabei, so schimpften sie, waren sich aber nicht weiter böse.

Viele der Ringe waren blutig, besonders solche von Sedrack.

»Hat sich geschnitten zu viel Finger ab ...«

»Und hat sich genommen beim Kragen und hat sich gehalten fest,« ertönte hinter ihnen eine Stimme, zwei Hände legten sich wie eiserne Klammern um die Hälse der beiden bis zum Tode Erschrockenen.

Mit unwiderstehlicher Kraft wurden sie niedergedrückt, und ehe sie noch die unbekannte Person gesehen, waren ihnen schon wie durch Zauberei die Hände mit Schlingen auf dem Rücken zusammengeschnürt, wobei ihre Gurgeln nur für einen Augenblick losgelassen worden waren.

»Und hat sich gefangen die Leichenplünderer, und wird sich hängen gleich am nächsten Baume – he, hallo, ho, hierher, Leichenräuber, Leichenschänder!«

So ertönte es laut durch die Nacht, und jetzt trat vor die beiden, denen die Zähne im Munde klapperten, eine rote Gestalt – Dick Red.

Die Juden sahen, daß es mit ihnen vorbei war; ihre letzte Stunde, vielleicht ihre letzte Minute war gekommen. Sobald sie in die Hände englischer Soldaten gerieten, wurden sie, ohne ein Wort zu verlieren, aufgehängt, und sie konnten noch von Glück sagen, wenn ein Offizier dabei war, der nach Vorschrift handelte, sonst war zehn gegen eins zu wetten, daß man sie erst mit ledernen Säbelscheiden schlug, bis ihnen die Haut in Fetzen abfiel, oder daß sie erst anderen Grausamkeiten ausgesetzt waren.

So legten sie sich denn schnell aufs Bitten für ihr Leben, versprachen Dick ihre ganze Beute, tausend Pfund, schließlich alles, was sie besaßen, sie wollten für ihn ihr ganzes Leben lang beten und arbeiten.

Dick achtete ihrer Worte nicht; immer lauter ließ er seine Stimme erschallen, und jammernd knickten die Elenden zusammen, als Menschen durch die Büsche brachen. Jetzt war es um sie geschehen.

»Wie, Leichenräuber?« rief der hervortretende Offizier sofort. »Wahrhaftigen Gott, da liegt noch die Beute! Wartet, Schurken! Natürlich wieder zwei Juden! Einen haben wir schon erwischt und gehängt.«

»Gehängt, das ist schade!« sagte Dick.

»Wie meinen Sie?«

»Die Finger solltet ihr ihnen erst abschneiden. Ich kam eben dazu, wie sie sich vom Fingerabschneiden wie vom Nägelputzen unterhielten.«

»Ich weiß, haben genug Kameraden mit abgeschnittenen Fingern gefunden. Auf, ihr Hunde!«

Er gab dem jüngeren Juden einen Fußtritt, daß er sich wimmernd am Boden krümmte.

»Den da kenne ich,« sagte einer der Soldaten, welche die Gefangenen umringt hatten, »das ist der alte Sedrack, ein bekannter Blutsauger.«

»Der Name tut nichts zur Sache. Macht die Stricke bereit und an den nächsten Baum mit ihnen!«

»Sedrack – Sedrack,« murmelte Dick nachdenkend, »es ist doch gerade als ob – halt,« rief er plötzlich, stieß die Soldaten beiseite und ergriff Sedrack, »dieser Mann gehört mir!«

Der Offizier maß ihn mit großen Augen.

»Er ist ein Leichenplünderer, eine Hyäne des Schlachtfeldes, und nach den Kriegsgesetzen jedes Landes muß er hängen.«

»Was gehen mich eure Kriegsgesetze an?«

»Mich desto mehr.«

»Das ist mir gleichgültig. Dieser Mann gehört mir und damit basta!«

»Ich denke, Sie werden diesen Schuft nicht in Schutz nehmen wollen.«

»Denkt, was ihr wollt. Dieser Mann gehört mir, sage ich zum letzten Male; den anderen mögt ihr meinetwegen hängen, ich habe nichts dagegen.«

Dick legte dabei die Hand auf die Schulter Sedracks und blickte sich im Kreise der Soldaten, welche angesichts des einzelnen Mannes spöttische Gesichter machten, mit entschlossener Miene um.

Der Offizier war vernünftig genug, einzusehen, daß er es hier mit einem Original zu tun hatte, und versuchte es mit Milde, kam aber nicht weit dabei.

»Haben Sie ein besonderes Interesse an diesem Manne?«

»Das geht Euch nichts an.«

»Sind Sie Engländer?«

»Das geht Euch wieder nichts an.«

Jetzt schwand dem Offizier die Geduld.

»Dieser Jude ist beim Leichenraub erwischt worden, lieber Freund ...«

»Oho, kommt mir nicht so,« entgegnete Dick grob, »erstens habt Ihr den Kerl nicht erwischt, sondern ich fing ihn. Zweitens bin ich nicht Euer Freund. Verstanden? Basta, dieser Mann gehört mir, ich beanspruche ihn für mich! Fangt Euch die Leichenräuber selber, und nun scheert Euch zum Henker.«

»Nehmt die Gefangenen in die Mitte!« kommandierte der Offizier kurz. Die Soldaten wollten Hand an Sedrack legen, wurden aber von Dick wie Federbälle links und rechts in die Büsche geschleudert. Mit blitzenden Augen, den Revolver in der Hand, stand er vor dem Juden und schlug auf den Offizier ein.

»Bei Gottes Tod, wagt, dem roten Dick das zu nehmen, was ihm gehört! Ein Befehl noch, mich oder den Juden anzutasten, und Ihr seid eine Leiche!«

Der Offizier prallte doch zurück, denn in den Augen dieses kleinen Mannes stand felsenfest geschrieben, daß er seine Worte buchstäblich erfüllen würde.

Kaum hatte Sedrack den Namen ›roter Dick‹ gehört, als er wußte, wer dieser Mann war.

»Gott der Gerechte, Herr Offizier,« rief er jammernd und zitternd, »laßt mich nicht in den Händen dieses Roten, welcher schlimmer ist als Pharao, der gepeinigt hat die Kinder Israels! Es ist der Mahanloggi, der Menschenjäger, der abzieht den Menschen die Haut samt den Haaren und hängt sie hinein mit dem Kopfe in die Ameisenhaufen. Knüpft mich auf, nur macht mich frei von diesem Roten; lieber will ich essen mein ganzes Leben lang Schweinefleisch.«

»Seht Ihr, wie gut mich der Kerl kennt?!« lachte Dick. »Er hat allen Grund, ängstlich zu sein.«

»Du sollst kein Schweinefleisch zu essen brauchen Bursche,« entgegnete der Offizier, der sich gesammelt hatte, »und Sie werden ihn auch nicht behalten. Ich befehle Ihnen jetzt, uns den Juden auszuliefern. Ich fürchte Ihre Waffe nicht, Sie könnten doch nur einen Schuß tun.«

»Vielleicht auch mehrere. Aber gut,« Dick hatte sich anders besonnen, »ich will Euch den Burschen überlassen, wenn Ihr mir versprecht, ihn nicht aufzuhängen, sondern als Gefangenen nach Delhi zu transportieren.«

»Warum?«

»Das geht Euch nichts an.«

»Er wird gehangen.« entschied der Offizier.

»So hängt ihn denn!«

Mit einem Satze war Dick verschwunden, aber nicht allein, sondern er hatte Sedrack dabei wie im Sprunge gepackt und ihn mit in die Büsche gerissen. Als er eingesehen, daß er die Soldaten weder einschüchtern noch umstimmen konnte, hatte er zu einem andern Mittel gegriffen.

Wie aber der kleine Kerl die schwere Last des großen Mannes so ohne weiteres, als wäre er eine Feder, mit sich fortreißen und im Nu verschwinden konnte, das war allen unbegreiflich, es wirkte verblüffend, und ehe die Soldaten wieder zur Besinnung kamen, hatte auch schon das Krachen im Gebüsche aufgehört.

Der Offizier befahl schnell, das Gebüsch zu durchstöbern. Man mußte sie doch wieder fangen, der Rote konnte mit seiner Last doch nicht weit fliehen, und dann mußte der Jude doch auch schreien.

Aber es war als seien Dick und sein Gefangener plötzlich verzaubert, als hätte er sich unsichtbar gemacht.

Das Gebüsch wurde umstellt, soweit dies mit den wenigen Soldaten möglich war, man durchsuchte jeden einzelnen Strauch, aber alles war vergebens.

Die Soldaten riefen sich gegenseitig zu, und verschiedene Male erklang auch der Ruf:

»Hierher, hier ist er!«

Kam man aber dorthin, so war niemand da, ebensowenig wollte jemand gerufen haben.

Ohne Zweifel hielt sich der Rote doch noch versteckt und foppte die Leute.

Das Suchen ging nicht ohne viel Lärm ab, und dies zog wahrscheinlich die Reiter an, welche sich von Delhi aus dem Gehölze näherten.

Der erste sprengte direkt auf die Soldaten zu, welche, als sie den Reiter im Mondscheine erkannten, wie auf Kommando Honneurs machten.

»Was geht hier vor?« fragte er. Der Offizier meldete kurz, wie sie zwei Leichenräuber gefangen hätten, von denen der eine ihnen entführt worden wäre.

»Das ist nicht wahr, Mylord,« sagte eine Stimme, »ich war's, der die Schufte gefangen hat.«

Plötzlich stand Dick wieder unter den Soldaten, so unbefangen, als wäre nichts geschehen, aber ohne den Juden.

»Wie, ist das nicht Dick Red?«

»Dick Red und kein anderer.«

»Der frühere Begleiter von Reihenfels?«

»Derselbe.«

Nachdenklich betrachtete der Reiter den kleinen Mann.

»Hat jemand diese Nacht,« fuhr er dann fort, »vor etwa zwei Stunden, einen auffälligen Reiter wahrgenommen?«

Ich,« entgegnete Dick, und war klug genug, nur andeutend fortzufahren, »es war jene Person, welche ich oft in Wanstead und mit Mister Reihenfels zusammen gesehen habe.«

Überlegend blickte der Reiter vor sich hin.

»Nun, es hilft doch nichts,« seufzte er, »und was ist es nun mit dem Marodeur? Ich vermute, daß ihr ihn gefangen habt und nun nicht herausgeben wollt?«

»Allerdings nicht, Mylord. Der Jude gehört mir, und ich gebe ihn um keinen Preis her.«

»Ein Jude ist es?« fragte der Reiter hastig, »Doch nicht etwa der alte Sedrack?«

»Gerade der.«

»Er lebt?«

»Ja, und soll auch leben bleiben.«

»Gott sei Dank, daß er noch nicht gehangen ist!« rief der Reiter wie erleichtert. »Wo ist er? Ich sehe ihn nicht.«

Dick war in das Gebüsch gekrochen und kehrte bald mit dem alten Juden zurück, den er wie ein Kind in seinen Armen trug; es zeigte sich, daß Sedrack einen Knebel in den Mund bekommen hatte.

Lord Canning – das war der Reiter – befahl, den Juden auf ein Pferd zu nehmen und nach Delhi zu bringen. Nachdem er Dick versprochen hatte, daß das Leben des Juden geschont und derselbe ihm überlassen werden würde, nachdem er ein Geständnis abgelegt habe, ritt der Trupp ab.

Jetzt aber betrachteten der Offizier und die Soldaten Dick mit ganz anderen Augen, und dieser war noch so gefällig, ihnen zum Hängen Levis seinen Lasso zu leihen.

Nach einigen Minuten hatte der schwarzgelockte Schurke im Kaftan sein Leben ausgehaucht.


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