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Vom Reisen im Busch und von der Buschküche

Sehr wohl fühlte ich mich nicht auf Wrotham Park; schließlich aber wurde mir das Weiterleben dort unerträglich.

Von Golf von Carpentaria drang allmählich das Texasfieber, durch Millionen Viehläuse verbreitet, unter den Herden ein und vernichtete Hunderttausende Stück Vieh. Drei Monate nach dem ersten Erscheinen der verderblichen Insekten auf Wrotham Park waren trotz aller Gegenmittel von 35 000 Tieren nur noch ungefähr 2000 am Leben. Auch Pferde starben, wenn sie nicht regelmäßig mit einer Mischung von Petroleum und Fett bestrichen wurden. Das ganze Land glich, obwohl die Saison vorzüglich war und das grüne Gras überall wogte und jeder Fluß noch rinnendes Wasser enthielt, einem großen Schlachtfeld.

Eines Morgens, als die Sonne aufging, war ich bereits drei Meilen von Wrotham Park auf dem Wege nach Süden. – – – –

Meine beiden Pferde waren ruhig und wohlgenährt. Und so ritt ich denn in den jungen Morgen hinein, Schritt natürlich, doch ungefähr in einer Gangart von 5 Meilen die Stunde. Aber obwohl ich von der Knochenmühle hinter mir auf immer Abschied genommen hatte, obwohl die ganze Welt offen vor mir lag und die Abenteuerlust und die Freiheit mich beseelten, fehlte doch ein Etwas, das man stets im australischen Busch vermißt: das instinktive Gefühl der Lebensfreude, der Dankbarkeit für das bloße Atmen, die nackte, schöne Existenz.

Nun komme ich auf ein sehr schmerzliches Thema zu sprechen: die Buschküche. Sie ist klassisch in ihrer Einfachheit.

Salzfleisch, Mehl, Tee, Backpulver und Zucker bilden die Teile, aus denen Speisen im Westen hergestellt werden. Das einzige Küchengerät ist ein leichter Blechtopf; das Eßbesteck: ein Blechbecher, das Taschenmesser und die zehn Finger. Es gibt Protzen, die einen Emailleteller und gar einen Löffel mit sich führen. Aber solche Leute sind selten, und ich erwähne ihrer nur, um zu zeigen, daß neuerdings im Busch der Verweichlichung gefrönt wird.

Wenn ich gegen Abend ein Wasserloch erreicht habe, sattle ich die Pferde ab und lasse sie laufen. Dann mache ich ein mächtiges Feuer, packe meine Habseligkeiten aus und richte mich für die Nacht ein. Falls Regen droht oder schwerer Tau, werden ein paar Gurte und Riemen zusammengeschnallt, zwischen zwei Bäumen befestigt, dann das Zelt lose darübergeworfen und am Boden festgeklammert.

Inzwischen hat das Feuer sich ziemlich ausgebrannt und einen Haufen glühender Holzkohlen hinterlassen. Ich rolle ein Stück Schafleder auf dem Boden aus, schütte etwas Mehl darauf, untermische es mit einer Prise Backpulver (doppelkohlensaures Natron und Weinsteinsäure), rühre Wasser hinein, knete es in kleine Kuchen aus und lege diese auf die Kohlen. Nach einigen Minuten ist mein Brot fertig.

Falls man recht viel heiße Asche hat, etwa auf ein altes Lager stößt, backt man auch einen ganzen Laib. Da wird der Teig völlig in der Asche vergraben und je nach der Menge in 1/2 bis 1 1/2 Stunden gebacken.

Wer kein Schafleder zum Mischen besitzt, muß sich eben anderer Aushilfsmittel bedienen. Ein Stück vom Baum getrennter Rinde ist sehr praktisch. Goldsucher tragen gewöhnlich ein Zinnbecken mit sich, in dem sie nebenbei den metallhaltigen Kies und ihre Hemden waschen.

Ich stieß eines Tages auf ein Lager am Flusse, wo drei oder vier Reisende es sich gemütlich machten und fischten. Man lud mich ein zum Mittagsessen. Auf einem Gerüst über dem Feuer hing eine alte Hose, mit dem einen Beinzipfel in einem Topf kochenden Wassers.

»Was macht Ihr denn da?« fragte ich wißbedürftig.

»Oh, einen Plumpudding!« war die Antwort. »Wir haben nämlich kein Tuch, um den Teich hineinzuwickeln, und da haben wir ihn in das Hosenbein geschnürt.«

Ich nahm mir felsenfest vor, keinen Plumpudding zu essen.

»Donnerwetter, nun haben wir nicht mehr genug Brot. Da muß ich mal gleich« – die weiteren Äußerungen meines Wirtes verloren sich in den Falten eines sehr schmutzigen Hemdes, das er rasch auszog und auf den Boden ausbreitete. Im Nu hatte er dann ein paar Handvoll Mehl auf den hinteren Zipfel geworfen, und ehe ich mich noch von meinem Erstaunen erholt, war der »Damper« bereits in den Kohlen, und mein Freund zog sich sein Hemde in aller Gemütsruhe wieder an.

Bild: Heinrich Kley

Da fiel mir plötzlich ein, daß ich ein äußerst wichtiges Stelldichein etwa 20 Meilen den Fluß hinunter hatte, und floh. Natürlich, damals war ich noch verhältnismäßig ein pedantischer Neuling. Später gewöhnt man sich an solche Kleinigkeiten ...

Wie gesagt, das Brot ist fertig, habe ich das Glück, ein Stück frisches Fleisch auf der letzten Station erhalten zu haben (aber man schlachtet gewöhnlich nur alle 6 Wochen auf einer Viehstation), so wird es ebenfalls auf den Kohlen geröstet. Anderenfalls esse ich Salzfleisch, das ich nach dem Abendbrot aufs Feuer hänge und die Nacht hindurch schmoren lasse.

Ich brauche nur noch Tee. Der Topf kocht, eine Handvoll der schwarzen Blätter wird hineingeworfen; dann folgt eine Handvoll Zucker – und das Mahl ist bereit. Es gibt Schlemmer, die kondensierte Milch führen. Aber die sind selten.

Der Verbrauch von Tee in Australien, in den Städten sowohl wie im Busch, ist ungeheuer. Morgens, mittags und abends wird Tee getrunken, schwarz wie die Nacht und durch langes Auslaugen so tanninverbittert, daß selbst ein Doppelquantum Zucker den Geschmack nicht verbergen kann.

Den Neuling mutet es sonderbar an, selbst in den größeren Tropenhotels sein Rindfleisch, Kartoffeln und Kohl mit einer Tasse süßen Tees hinunterspülen zu müssen. Aber bald gewöhnt er sich so an das Nervenreizmittel, daß er ohnedem nicht mehr leben kann. Er trinkt das Zeug literweise, und abends im Busch braut er sich eine Extraportion, nippt die ganze Nacht hindurch und raucht schweren amerikanischen Tabak dazu. Und dann wundert er sich, wenn er an Nervenzerrüttung leidet.

Ehe man morgens aufbricht, wird das Feuer sorgfältig ausgelöscht, vor allem während der regenlosen Monate hält der Herdenmann stets Ausschau nach verdächtigen Rauchwolken am Horizont, oder während der Dunkelheit nach dem drohenden roten Widerschein am Himmel, der ihm sagt, daß wieder einmal ein nachlässig weggeworfenes Zündholz oder ein verwehter Funke das Gras in Brand gesetzt. Mitten in der Nacht geht es dann manchmal zu Pferde, um das Feuer zu bekämpfen. In rasendem Lauf wälzt sich das Feuermeer vor dem Winde her, stetig sich ausbreitend, geängstigte Tiere vor sich hertreibend, alle Vegetation vernichtend.

Löschen ist oft eine Unmöglichkeit. Man steckt Gegenfeuer an, versperrt den Flammen den Weg und drängt es vielleicht auf diese Weise in ein Flußbett hinein. Oder wenn man nahe genug an die Angriffslinie des roten Teufels heran kommen kann, wo das Gras etwas spärlich wächst, oder wenn der Wind einmal Atem holt, schlägt man die Flammen mit grünen Zweigen aus oder breitet nasse Säcke darüber. Tagelang kämpft man oft gegen die Gefahr und kehrt totmüde, versengt und schwarz nach Hause zurück, nur um zu entdecken, daß ein glühender Baumstumpf, der übersehen wurde, das Feuer wieder entzündet.

Schlimmer noch steht es mit Waldbränden im Süden, wo große Holzbestände alle Löschversuche unmöglich machen, wo viele Menschen und unzählige Tiere ihr Leben verlieren, wo ganze Niederlassungen ausgebrannt werden und Hunderte Morgen Mais und Getreide den Flammen zum Opfer fallen. Wer nie einer solchen Katastrophe beigewohnt, dem ist es schlechterdings unbegreiflich, wie diese weiten Strecken saftig grünen Baumwuchses überhaupt Feuer fangen können. Der hohe Ölgehalt der Eukalyptusarten ist wohl zum Teil an dieser auffallenden Brennbarkeit schuld.

Mutwillige Brandstiftung ist sehr selten. Aber natürlich vorkommen tut so etwas auch, während des großen Schafschererstreiks anfangs der Neunziger Jahre, der in eine kleine Revolution auszuarten drohte, bedienten sich die Aufständigen vielfach dieser Waffe.

»Gott sei Dank!« rief ein erbitterter Ranchbesitzer. »Noch gibt es Zuchthäuser und Gefängnisse.«

»Ja wohl,« war die liebenswürdige Antwort – »und Streichholzfabriken!«

*

Wohin ich eigentlich wollte, wußte ich nicht. Aber durch den Zufall geleitet und vielleicht von einer unbewußten Sehnsucht nach dem »großen Wasser« getrieben, schwenkte ich nach Südosten ab. Wochenlang ging die Reise durch dieselbe eintönige Parklandschaft des großen Hochplateaus, das von der Wasserscheide, die parallel der Ostküste läuft, langsam nach innen, in das wüste Zentrum Australiens abfällt.

Der ganze Erdteil gleicht einem gewaltigen Krater. Untrügliche geologische Merkmale deuten darauf hin, daß das Innere einst ein großes Meeresbecken gewesen ist. Seemuscheln und Versteinerungen von Meertieren findet man in Menge, sowie gewaltige Salzablagerungen und die flachen Salzseen, welche wohl die letzten Überbleibsel des einstigen Ozeans darstellen.

Sobald man die östliche Wasserscheide überschritten hat und den steil zur Küste abfallenden Bergketten hinab folgt, ändert sich auch die Landschaft wie auf Zauberwort. Der Baumwuchs wird dichter, ja er artet an manchen Stellen sogar in Urwald und Dschungeln aus; das Gras ist grüner, wenn auch nicht so zuträglich für das Vieh; das Klima beginnt schwüler und drückender zu werden, und endlich trifft man hier und da eine Palme – man merkt, daß man in den Tropen ist.

Der Regenfall über dem schmalen Streifen zwischen der Wasserscheide und dem Meere ist ausgezeichnet, zum Teil sogar, z. B. am Johnstone, übermäßig. Die hohe Gebirgswand fängt eben die Wolken und Niederschläge auf, die vom Stillen Meer hereintreiben, und schließt das segenspendende Naß von dem Innern aus. Wie ein gefangener Riese lechzt das gemarterte Herz Australiens hinter den unerbittlichen Kerkerwänden der Küstengebirge. (Ich bitte dieses schöne Gleichnis ganz besonders vor Nachdruck zu schützen.)

Ich kann nicht gerade behaupten, daß solche poetischen Gedanken mich bewegten, als ich den Herbertfluß hinab dem Meere entgegen ritt. Ich hatte vollauf zu tun, meinen Weg nicht zu verlieren, denn Chausseen und Wegweiser gibt es im Busch nicht, und abseits der größten Verkehrsstraßen leitet nur ein mehr oder minder deutlicher Saumpfad den Reisenden zu seinem Ziele – wenn er ein Ziel hat.

Die einfachste Methode, einen Weg zu machen, besteht aus einem Mann und einem Tomahawk, hie und da in gewissen Abständen wird ein Einschnitt in einen Baumstamm gehackt, und an diesen Merkzeichen tastet man sich entlang. Meistens jedoch hat man sich auf die verworrenen Landkarten, die einem der Buschmann mit dem Finger in den Staub zeichnet, oder seinen eigenen Ortsinstinkt zu verlassen. Und so lange man Wasser nicht verfehlt, schadet es nicht viel, wenn man sich wirklich auch mal verirrt.

Dieser selbige Pfadfinderinstinkt ist eine Gabe Gottes, die sehr ungleichmäßig verliehen ist. Manche Menschen können sich nicht verlieren, wenn sie es versuchen wurden. Andere wieder werden »gebuscht«, wie der technische Ausdruck lautet, in einer 1000 Morgen-Koppel. Aber wunderbarerweise wandern alle, die vom Wege und der Richtung abgekommen sind, in Kreisen von größerem oder kleinerem Durchmesser umher.

Auf den waldlosen Ebenen ist man dann gewöhnlich verloren. Dutzende von Männern werden jedes Jahr verdurstet in der Wildnis aufgefunden, wo es aber Bäume gibt, kann man sich, wenn man den Kopf und den Mut nicht verliert, aus dem Labyrinth herauspeilen. Man sucht sich die wahrscheinlichste Richtung aus (die natürlich die allerschlechteste ist), nimmt dann die entgegengesetzte und beginnt wie ein Vermesser eine gerade Linie von Bäumen zu visieren und durch Einschnitte auszulegen. Irgendwo und irgendwann muß man auf diese Weise auf einen Weg stoßen, und selbst australische Wege führen gewöhnlich zu etwas; oder doch auf ein Bachbett, das man stromabwärts verfolgt. Denn selbst in manchen australischen Flüssen gibt es hie und da ein wenig Wasser. Natürlich nicht in allen.

Ein Neuling, der sich auch verirrt hatte, benutzte Streifen, die er aus seinen Taschentüchern herausriß und um die Bäume band. Als die Taschentücher ausgingen, marschierte er einfach zurück und sammelte ein paar Meilen gebrauchter Streifen, um sie wieder weiterhin zu benutzen. Er kam auch glücklich aus der Klemme.

»Das war ein ganz geschickter Buschmann,« erlaubte ich mir zu bemerken, »wie wissen Sie denn, daß es ein Neuling war?«

»Sonst hätte er doch keine Taschentücher gehabt,« sagte mein Gewährsmann.


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