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Auf einem Viehranch

Doch jetzt sind wir wirklich lange genug in Palmerville gewesen.

Ich hatte eine schimpfliche Nacht zugebracht. Denn an den Qualm hat man sich erst zu gewöhnen, wie mir der Mailman später, aber zu spät, sagte. Mir schien es, als triebe ich den Teufel durch Beelzebub aus.

Wir stiegen nach einem Frühstück von Tee und Salzfleisch zu Pferde, und um in Wrotham Park endlich mal anzukommen, setze ich mich mit der Leichtigkeit, mit der man vergangene Mühseligkeiten vergißt, über die Reisewoche und ihre stumpfe, langwierige Eintönigkeit hinweg und erreiche nach achttägigem Ritte den von mir bevorzugten Viehranch.

Wrotham Park umfaßt etwa 1000 englische Geviertmeilen Grasland. Die Bevölkerung bestand zurzeit meines Eintreffens aus vier Weißen, einem Chinesen, 20 Eingeborenen, 40 Hunden, 800 Pferden und 35 000 Stück Hornvieh.

Schaf- und Viehzucht bilden noch heute die Stapelindustrie von Queensland; und mit 18 Millionen Schafen und 6 Millionen Hornvieh, trotz des Texasfiebers, der furchtbaren Regenarmut der letzten Jahre und der damit verbundenen Vernichtung ungeheurer Herden, ist es nicht zu verwundern, daß selbst die Ausfuhr von Gold und Metallen nicht annähernd so groß und wertvoll ist, als die von Wolle, Fleisch, Hörnern, Extrakt, Knochen, Talg, Fellen und all den anderen Erzeugnissen des Weidelandes.

Aber die Zucht von Schafen und die Zucht von Vieh sind ganz getrennte Gewerbe, und während die Küste, der Norden und der Nordwesten meistens der letzteren überlassen sind, gehört der eigentliche Westen der Kolonie dem »Affen«, wie der Australier das gemeine Wald- oder Wiesenschaf zu bezeichnen pflegt. Schafe verlangen besseres Gras, und vor allem Gras ohne die in den Bergen nach der Regenzeit so häufigen Grassamen: die scharfen, lanzenartigen Körner, die in die Wolle geraten und diese wertlos machen, und selbst ins Fleisch eindringen und Tiere töten.

Der Grassame ist überhaupt eine der Plagen des Busches. Überall in den Kleidern setzt er sich fest und sticht und reibt, bis man sich am Wege hinsetzt und anfängt, geduldig die Tausende von Stacheln einzeln herauszulesen. Überall, und wohin man sich auch wende, lauert er einem auf. Und einmal ins Fleisch gedrungen, wandert er, wie eine Nähnadel im ganzen System umher und hat oft schwere und schmerzhafte Leiden zur Folge.

Die großen Viehstationen des Innern sind gewöhnlich von der Regierung gegen eine sogenannte Rente gepachtet und zwar auf 21 Jahre. Neuerdings sind viele parzelliert (geteilt) und an kleine Leute abgegeben worden. Es läßt sich ein glänzendes Geschäft mit Vieh machen, wenn das Wetter gnädig ist und der Regen nicht ausbleibt. Doch anders ist es, wenn der stahlblaue Himmel Monat auf Monat erbarmungslos herabbrennt auf das lechzende Land; wenn Kräuter und Gräser verdorren und die letzten Wasserlöcher langsam austrocknen. Dann hört man vielleicht abends und früh morgens von ferne ein dumpfes Brüllen, das wie ein vorwurfsvoller Chorgesang gen oben steigt, in die nackte, erbarmungslose Unendlichkeit: Das Gebet der Tiere um Wasser! Und man reitet tagaus, tagein auf einem halbverkommenen Gaule durch die weiße Einöde und zählt seine Verluste, und sieht das arme Vieh, wie es einem stumm bittend nachschaut. Doch man ist ja so machtlos, so hilflos!

Und für diesen Lohn hat der Pionier alles, was das Leben schön macht, hingegeben. Hunger und Durst und Fieber hat er getrotzt, der endlosen Langeweile langsamer, bleifarbener Jahre. Dann, als seine Zukunft endlich gesichert schien, hat er seine Frau herausgebracht, hat ein Haus gebaut, hat seine Kinder ohne Gefährten heranwachsen sehen – zwei, drei Jahre nur noch, und er kann ja fortgehen, an die Küste, in die Zivilisation. Doch die Jahre kommen und gehen, und die Frau wird alt und hoffnungslos, und die Kinder wild und dumm und gleichgültig. Nur eine gute Regenzeit – aber sie kommt nicht. Statt dessen erscheint der Inspektor der Hypothekenbank und – –

*

Die ganzen Stationsgebäude waren aus dem üblichen Buschholz und Rinde gebaut. Doch der Wert einer Station, abgesehen von der Lage und den Regenverhältnissen, liegt nicht soviel in den Wohnlichkeiten, als den Koppeln und den Zäunen, die gewöhnlich bei weitem die größte Geldauslage darstellen.

Grenzzäune kennt man gewöhnlich nicht auf einem Viehranch. Die Tiere werden, wenn sie zuerst auf ein neu »aufgenommenes« Stück Land versetzt werden, einige Wochen lang gehütet. Bald aber gewöhnen sie sich an die neue Umgebung, erwählen sich ein Wasserloch als regelmäßige Stammkneipe und verursachen dann wenig Mühe.

Nach der Regenzeit, wenn das Gras aufgesprungen ist, reitet man dann aus und treibt Kühe und Kälber heim in die Koppeln, um dort dem Nachwuchs die Stationsmarke aufzubrennen. Jeder Ranchbesitzer gibt der Regierung eine solche Marke an, die in Queensland z. B. aus zwei Buchstaben und einer Ziffer besteht, und die mit glühenden Eisen dem jungen Tiere auf einer vorgeschriebenen Stelle ins Fell gebrannt wird. Außerdem, um das Vieh leichter vom Sattel aus unterscheiden zu können, werden die Ohrlappen noch in dreieckiger, viereckiger, Stern- oder anderer Form ausgeschlitzt.

Dieses »Branden« wird allerdings nicht in der rohen amerikanischen Weise mit dem Lasso betrieben. Dazu hat man besondere Koppeln, wo das Tier in eine enge Gasse getrieben und behandelt wird. Es geht schnell und ist verhältnismäßig wenig schmerzhaft (ich bin allerdings nie selber gebrandet worden). Aber es schadet dem Fell doch, und wer ein gutes und unschädliches Mittel zur Kenntlichmachung der Tiere erfinden kann, würde mit offenen Armen in Australien empfangen werden.

 

Der Stationsvorsteher in Wrotham Park war nur ein Angestellter und ein junger Mann. Er empfing mich mit besonderer Freundlichkeit, und ich muß gestehen, daß er diese Freundlichkeit durchführte während meines ganzen Aufenthalts.

Leider jedoch ging es mir nicht so gut mit der zweitwichtigsten Persönlichkeit in Wrotham Park, dem chinesischen Koch. Ah-Fau verachtete den Europäer, weil er eine rohe Religion und keine Ahnen hat und – außerdem den Gebrauch des Opiums nicht kennt. Ah-Fau liebte mich nicht. Aber da es wirklich nicht menschenmöglich war, selbst für einen Mongolen, schlechter zu kochen, als er bereits zu tun beliebte, so kümmerte mich seine Feindseligkeit eigentlich wenig.

Die drei weißen Arbeiter auf der Station gehörten zu dem Volke der heimatlosen Nomaden, die hinter den Kulissen der Welt ihre karge Existenz fristen. Das sind Menschen, die vielleicht hohe Stellungen inne gehabt, oder wiederum vorgestern einem Gefängnis entsprungen sind. Menschen mit Erinnerungen und ohne Erinnerungen. Aber ich möchte bemerken, daß die unter ihnen, die sich keiner traurigen oder schlechten Vergangenheit erfreuen, eine solche bald erfinden und so oft und so umständlich beschreiben, daß sie zum Schluß selbst daran glauben. Wirklichkeit und Einbildung kennen keine scharfen Grenzen in einem Lande, wo selbst Leben und Tod ineinander fließen.

Und so wandern sie die ewigen, wüsten Hinterwaldspfade entlang, ihr zerlumptes Bündel auf dem Rücken, einen Hund als Gefährten, ein Stückchen Salzfleisch am Abend in Aussicht, den Tod in dieser gottvergessenen Einsamkeit jeden Tag vor Augen. Und je länger sie wandern, desto mehr fliehen sie menschliche Gesellschaft, desto mehr verlieren sie Arbeitslust und Ehrgeiz, desto abgestumpfter werden sie gegen den Reiz aller Leidenschaften. Geistern gleich, Gespenstern der nackten, grimmen Mittagshitze, wandern sie lautlos entlang, fleischgewordene Verdammte aus einer noch unbeschriebenen Hölle. Und im Takte mit ihren schleifenden, schlechtbeschuhten Füßen, Schritt für Schritt, klingt immer nur das eine Lied, der eine Kehrreim, den sie lieb gewonnen haben trotz seiner Bitterkeit: Was ich hätte sein sollen! Was ich hätte tun sollen!

Wenn man sich, wie ich es tat, das Leben auf einem Viehranch als ein Gemisch von Räuberromantik und Parforcejagd vorstellt, dann irrt man sich. Meistens besteht es aus harter Arbeit mit der Axt oder dem Spaten; langen, unendlich langen Ritten durch die gluterfüllten Ebenen oder Berge, Nachtwachen und ähnlichen Annehmlichkeiten. Auf einer Station muß man eben alles können. Da ist ein Zaum entzwei, oder ein Ochse in den Sumpf geraten; da sind Kühe zu melken und wilde Hunde zu vergiften; da ist ein Sattel auszubessern oder ein minderwertiger Bulle oder Hengst, die die Herde schädigen, zu pürschen.

Nur zu gewissen Jahreszeiten, wenn Regen gefallen ist (falls überhaupt Regen fällt), wird die eigentliche Arbeit des Herdenmannes Wer den Ausdruck Herdenmann nicht mag, der kann auch Cowboy sagen. in Angriff genommen. Und dann geht es hinaus in den Busch, auf ein oder zwei Wochen jedesmal, bis man eine Unzahl ungebrannter Kälber oder fetter Ochsen zusammen hat und auf die Station zurückkehrt.

Da schläft man auf dem harten Erdboden, von Moskitos zerfressen, von Millionen Ameisen überkrochen und gebissen. Und morgens früh, ehe es noch hell ist, geht man aus, durch das hohe nasse Gras, zitternd vor Kälte, den Zaum überm Arm, die Pferde zu suchen. Dann der heiße, endlose Tag, meist ohne Wasser, die Augen geblendet von dem grellen Licht der Sonne, jeden Augenblick eines Galopps durch den oft dichtgewachsenen Wald gewärtig, und schließlich in Wolken beißenden Staubes gehüllt, fluchend und schreiend, mit trockener Kehle und brennenden Lidern hinter einigen hundert Stück Vieh her im langsamsten Schritt dem Lagerplatz zu.

Und zum Schluß kommt die Nachtwache; denn Koppeln gibt's nicht überall. Totmüde kreist man um die unruhige Herde und dankt seinem Schöpfer, wenn die Tiere nicht durchbrechen. Das südliche Kreuz dreht sich langsam um seine Achse – so furchtbar langsam – bis es endlich auf Mitternacht zeigt. Ah – abgelöst! Und man sinkt nieder, ohne sich zu waschen oder auszuziehen, und schläft.

Da – plötzlich – ein lauter Ruf! Ich werde an der Schulter geschüttelt, fahre auf und reibe mir die Augen. Es ist spät und das Lagerfeuer ist fast ausgegangen, von ferne kommt ein Geräusch wie Donner. Die Erde scheint zu zittern. Eine » Stampede

Ich greife nach dem Zaum und der Peitsche, die neben dem Kopfkissen (einem halben Sack Mehl) liegen und springe in die Dunkelheit hinein. Der erste Gaul, den ich finde, wird gefangen. Die Fesselketten ab, den Zaum an und dann drauf und hinterher, durch den dunklen Wald, sein Leben und seine Kniescheiben der Intelligenz des Pferdes anvertrauend.

Da, neben mir liegt jemand. Tier und Mensch rollen übereinander. Aber ich darf nicht warten.

Jetzt kann ich die Herde der Nachzügler erkennen. Meine Hacken in die Flanken des Gauls, und ich fliege an ihnen vorbei zur Front. Mein Pferd hat ein angenehm scharfes Rückgrat, und ohne Sattel reitet sich's schlecht. Ich lehne mich über den Hals und klammere mich an die Mähne, während es im tollsten Lauf durch die Nacht geht. Die Baumstämme gleiten an mir vorüber, sehr nahe manchmal, wie Telegraphenstangen an einem Schnellzug. Und nun fallen wir der wahnsinnigen Herde in die Flanke.

Bild: Heinrich Kley

Gerade vor uns liegt ein trockenes Flußbett mit unterhöhlten Ufern, wenn das Vieh bis dahin kommt, dann haben wir am Morgen nichts als einen Haufen Rindfleisch. Und so schwenken wir sie denn herum, immer im Kreise, bis sie sich ausgelaufen haben.

Einer von uns, ein tollkühner kleiner Junge, ist in der Dunkelheit vor die wahnwitzigen Tiere gekommen. Er hat um sein Leben geritten, aber das Pferd war kaput. Im Frühlicht, ehe wir zum nächsten Lager gehen, begraben wir ihn, oder wenigstens was noch von ihm übrig ist. Und ich lege mir 14 Tage lang meine Decke als Polster auf den Sattel.

Was die Tiere auf einmal so ängstigt, ist oft schwer zu sagen. Alte Buschleute schwören, daß sie Gespenster sehen. Es gibt auf den großen Viehstraßen, die das Innere durchziehen, gewisse Lagerplätze, wo jede Herde, auch die ruhigste, durchbricht. Eine wissenschaftliche Erklärung der Erscheinung kenne ich nicht. Ganz urplötzlich scheint ein Schreckschuß wildester Todesfurcht durch die gesamte schlafende Herde zu zucken, mitten in der stillsten Nacht; und ehe man sich's versieht, sind Hunderte oder Tausende auf und davon.

Im allgemeinen jedoch, wenn Hornvieh zu Markt getrieben wird, der Küste oder den großen Plätzen des Südens zu, oder nach einem der gewaltigen Gefrierwerke (oft 2000 Stück oder mehr in einer Herde, die oft ein Jahr oder selbst 18 Monate unterwegs ist) besteht die alte Regel: wenn man sie während der ersten 14 Tage ohne Stampede durchkriegt, so ist die Gefahr eines Unheils vorüber.

Für die Treiber heißt es auf solchen Touren: 18-20 Stunden im Sattel, Tag für Tag. Aber man gewöhnt sich bald daran, und wenn irgendwo ein überschwemmter Fluß wochenlang den Weg abschneidet, oder ein Stückchen guten Graslandes heimlich abgeweidet werden kann (das Gesetz zwingt eine reisende Herde, wenigstens sechs Meilen den Tag zu machen), dann gibt es auch ein wenig Ruhe. Denn die erste Pflicht des Treibers ist, für sein immer hungriges und manchmal verhungerndes Vieh Gras zu stehlen, wo er kann.

Dann wieder – Kehrseite – krepieren Hunderte von Tieren vor Durst, schleppen sich mühsam die tote Wüste entlang, bis selbst die schwere Peitsche, die ihnen messerähnlich das Fell zerschneidet, sie nicht mehr vorwärts martern kann und sie zurückgelassen werden, um im glühenden Lande zu verenden, wer da noch so etwas wie ein Herz unter seinen Habseligkeiten verpackt mit sich trägt, dem geht es schlecht, sehr schlecht. Man malt grimme Bilder von der Grausamkeit des Krieges. Aber eine solche Szene, in der totstillen Einsamkeit einer baumlosen, wasserlosen Ebene, ist unsagbar schrecklicher als das schrecklichste Schlachtfeld. Man kämpft ja gegen unsichtbare, unhörbare, angreifbare Feinde. Die stummen gefolterten Tiere, die sich nur mit einem vorwurfsvollen Blick unendlichen Jammers gegen ihre rohen Peiniger wehren; die abgejagten, klapperdürren Pferde; die grelle, in den Hitzestrahlen tanzende Landschaft; die verzweifelte Langsamkeit des Fortkommens, die brennend trockene Luft; die gierigen, schwarzen Teufel, die Krähen – und fünfundzwanzig Meilen bis zum nächsten Wasser!

Neulich nur, aus einer Herde von 900 Stück, die von einer Station im Innern nach Bourke, der nordwestlichsten Stadt in Neu-Süd-Wales, getrieben wurde, starben 600 innerhalb drei Tagen an Durst!

Und ungefähr um dieselbe Zeit krepierten bei Pullaming Station, gleichfalls in Neu-Süd-Wales, aus einer Herde von 1000 Stück fetten Ochsen, die nach Sydney getrieben wurden, in einer Nacht 785 an einer Giftpflanze, einer Art Distel, die in Menge in der Nähe des Lagerplatzes wuchs. Vieh, das in Gegenden gezüchtet ist, wo Giftpflanzen wachsen, rührt diese nicht an; aber zugetriebene Herden fallen den ihnen unbekannten Kräutern oft zum Opfer.

*

So schlichen die endlosen Tage auf der Station dahin: ein Leben ohne Anregung, ohne Wechsel. Die erdrosselnde Faust der Alltäglichkeit drückte enger und enger um meine Kehle.


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