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Eine Känguruhjagd und eine Überschwemmung

Weihnachten war vorüber, und nun fragte es sich: wird die Regenzeit kommen oder nicht. Jedoch – dieses Jahr kam sie, vielleicht aus Zerstreutheit, und siehe da, wie auf Zauberwort veränderte sich das Land umher. Die nackten Sanddünen, denen man nie einen Keim zugetraut, die öden, von der Hitze gespaltenen Ebenen und die grimmig toten Granithügel kleideten sich in das Gewand des Frühlings – nein, des Sommers. Frühling gibt es so wenig wie eine Dämmerung in dem Innern Australiens. Bald stand das Vieh bis über den Rücken in Gras und kräftigen Kräutern, und ein feuchtwarmer Brodem der Befruchtung zog über die Weite. Überall Blumen und junge Blätter, Zufriedenheit und Fülle, wer hätte geglaubt, angesichts dieser wogenden Gefilde, daß hier noch vor kaum vierzehn Tagen eine lechzende Wüste das Blut aus allen Lebewesen sog!

*

»Nun wollen wir mal Känguruh jagen gehen, ehe die Überschwemmung kommt,« meinte der Stationsvorsteher. Das Vieh hatte sich noch nicht genügend von der Dürre erholt, um getrieben zu werden. Der dürstende Boden aber hatte in tiefen Zügen den Regen getrunken, noch ohne Übersättigung. Es war ja auch gar so lange trocken gewesen! Die klaffenden Spalten hatten sich geschlossen, und die eiserne Erdrinde hatte eine jugendliche Elastizität angenommen, die man selbst auf dem faulsten Gaule fühlen konnte.

»Jetzt fällt man wenigstens nicht mehr so hart,« sagte ich mir mit einem Schmunzeln innigster Befriedigung.

Auf Wrotham Park gab es einige vorzügliche Känguruhhunde, Tiere wie das Windspiel gebaut, aber viel größer und knochiger, gröber. Und nachdem wir uns so gut, wie es die Zeiten gestatteten, beritten gemacht hatten – wir hatten ja die Auswahl unter 800 Pferden – ging es eines Morgens vor Sonnenaufgang los, Tier und Mensch erfüllt von einem ganz neuen Gefühl der Energie, der Lebenslust.

Wir folgten dem schnurgeraden Stacheldrahtzaun, der, etwa 40 Meilen lang, die Station in zwei Hälften teilt; auf der einen wurden die Mastochsen, auf der anderen das Zuchtvieh gehalten. Am anderen Ende des Zaunes lag eine kleine Außenstation, mit Wrotham Park durch Fernsprecher verbunden, indem der Induktionsstrom über den Stacheldraht geleitet wurde. Diese Einrichtung ersparte auch einen Grenzreiter, da ein Bruch sofort von der Station aus entdeckt werden konnte. Rechtwinklig durchschnitt der große Mitchellfluß, der im Golf von Carpentaria mündet, den Zaun, das ganze Gebiet vierteilend.

Übrigens, als der große Überlandtelegraph quer durch Australien gebaut wurde, erschien eines Tages ein alter Neger, eine Autorität in allem, was die Viehzucht betrifft, auf der Bildfläche und beobachtete lange kopfschüttelnd die Drähte. Endlich wandte er sich entrüstet ab.

»Weißer Mann viel Schafskopf. Macht Draht so hoch, alles Vieh läuft drunter weg!«

Sprach's und schlug sich seitwärts in die Büsche.

Als wir über den Fluß setzten, rieselte mitten durch das gewaltige, über 500 Meter breite, tief eingeschnittene Bett ein dünner Faden Wasser, wie ein sehr kleiner Junge in den Hosen seines sehr beleibten Vaters einherstolziert. Aber es war doch wenigstens fließendes, lebendes Wasser. Ich sprach meine Verwunderung aus über das scheinbare Mißverhältnis zwischen Bett und Strom. Aber der Vorsteher lächelte nur und sagte: »Warten Sie mal ab!«

Kurz darauf sichteten wir die ersten Känguruhs.

In Wrotham Park waren die Beuteltiere ziemlich selten. In anderen Gegenden dagegen werden sie vielfach zur Landplage. Seitdem der Neger, der sie jagte, vor der »Zivilisation« verschwunden ist, haben die Tiere oft unglaublich überhand genommen. Fast jeder Distrikt im Innern legt sich eine Steuer auf, die nach der Kopfzahl des Viehbestandes berechnet wird, um einen Kriegsfond gegen diese Vernichter des Weidelandes zu gründen; und Hunderte von Menschen leben lediglich vom Känguruhschießen. Für den Skalp erhalten sie einen gewissen Preis, und das Fell verkaufen sie auch noch, oft zu 5-6 Mark das Stück.

Der Känguruhjäger muß ein sicherer Schütze sein und dazu ein guter Pfadfinder. Auf seinem Pferde sitzend verfolgt er mit dem Repetiergewehr eine Familie, vom Sattel eine nach der anderen der hüpfenden Riesenratten erlegend. Dabei darf er, um das Fell zu schonen, nur die Kugel benutzen. Dann kehrt er nach einer Jagd von vielleicht zehn Meilen auf seinen eigenen Spuren zurück und balgt die Beute ab, wo sie gefallen ist, das Pferd mit den Häuten beladend. Habichte, Krähen und Hunde teilen sich in das Fleisch. Im Lager angekommen, spannt er die Felle dann auf dem Boden in der Sonne aus, die Innenseite nach oben, und bestreut sie mit Salz und Asche, bis sie getrocknet und zum Versand bereit sind.

Auf wilde Hunde, die viel Schaden unter den Herden anrichten, steht ein oft sehr hoher Preis. In Süd-Australien bezahlte die Regierung vor einiger Zeit 20 Mark für den Skalp, während das benachbarte West-Australien 10 Mark zahlte, aber die Rute als Wahrzeichen verlangte. So taten sich denn die Schützen in beiden Kolonien zusammen, und es entstand ein lebhafter Handel in Ruten und Skalps. Scheinbar zogen allerdings die West-Australier dabei den kürzeren, wie die Herren das ausgeglichen haben, weiß ich nicht. Jedenfalls kostete den Regierungen der Hund 30 Mark.

Wir kletterten das steile Ufer im Zick-Zack empor und landeten auf einer weiten, baumbestandenen Ebene. Plötzlich schlugen die Hunde an, und nicht 100 Schritt vor uns sprang ein Rudel Känguruhs auseinander. Die Hunde suchten sich ein großes Tier aus; es war jedenfalls der Stammvater, grau, sechs Fuß hoch, technisch genannt ein »alter Mann«. Mit gewaltigen Sätzen, den dicken Schwanz wie ein Ruder nach hinten gestreckt, flog er in den Busch hinaus und hinter ihm her die Meute. Tief über den Sattelknopf gebeugt, die Zügelhände am Gurt, mit den Augen sorgfältig das Gelände nach Löchern und Baumstümpfen abstreifend, sausten wir durch den jungen Morgen dahin, Pferd sowohl als Reiter von Jagdlust beseelt, nicht achtend der vorüberhuschenden Bäume, der überhängenden Zweige, die uns das Gesicht zerpeitschten und die Kleider zerfetzten.

Bild: Heinrich Kley

Die Meilen flogen vorbei, aber der »alte Mann« zeigte noch keine Ermattung. Das Terrain wurde schwieriger, denn wir näherten uns den Hügeln. Steine und loses Geröll brachten die Pferde zum Stolpern, und hier und da prellte nackter Fels die unbeschlagenen Hufe. Es ging bergauf, und das Känguruh begann zu gewinnen, wir setzten die Sporen ein, und die Hunde keuchten mühsam höher.

Endlich war der Kamm der Hügelkette erreicht, und nun ging es wieder bergab. Zwei – drei gewaltige Sprünge machte das Wild, und dann fiel es auf einmal auf die Nase und rollte einige Meter den Abhang hinunter, wieder sprang es auf, und wieder schlug es einen Purzelbaum. Känguruhs können nicht gut bergab laufen. Da verlieren sie das Gleichgewicht, und der Schwanz ist ihnen im Wege.

»Er hat sich gestellt!« rief plötzlich der Vorsteher, der allen voraus und am besten beritten dicht hinter den Hunden geblieben war. Und wirklich, von der Vergeblichkeit seiner Fluchtversuche überzeugt, hatte der »alte Mann« seinen Stand mit dem Rücken gegen einen mächtigen Felsblock genommen und erwartete kampfbereit seine Verfolger.

Kläffend fielen die Hunde auf den bejahrten Herrn. Aber heulend flohen sie wieder, und einer von ihnen wand sich, von der schrecklichen Klaue des Hinterfußes aufgeschlitzt, im Todeskampfe auf dem Boden.

Jetzt kam der Vorsteher zu Hilfe. In voller Karriere hatte er den rechten Steigbügel und Riemen aus der Sattelschnalle geschlüpft, und die schwere Waffe um den Kopf schwingend, zielte er, während er so nah wie möglich an dem Känguruh vorbeijagte, nach dessen Hinterschädel – und fehlte!

Es ging alles so schnell, ich sah es kaum. Durch die Wucht des Schlages hatte er wohl das Gleichgewicht verloren, und war geradeswegs in die kurzen Arme des großen, aufrechtstehenden Tieres gefallen, wie ein Bär packte ihn der »alte Mann«, und eines seiner kräftigen Hinterbeine fuhr empor, um das Opfer aufzuschlitzen, wie den unglücklichen Hund. Im selben Augenblick sauste der Hauptherdenmann vorbei, seinen Bügel schwingend, und wie von einer Kugel getroffen brach das prächtige Wild zusammen und wälzte sich, noch immer mit dem Vorsteher in den Armen, auf dem Grase umher.

Nun stürzten die Hunde darauf los, und zerfetzt und blutig machte sich der Vorsteher aus der Umarmung frei, erhob sich, – und fluchte. Er rief die Rache des Himmels herab auf das Känguruh und alle seine Verwandten, selbst bis in das vierte Glied. Er verwünschte des Känguruhs Vorfahren zu den tiefsten Tiefen des Ozeans und wandte sich dann an die umliegende Landschaft. Er sprach sich mißbilligend über die Granitblöcke aus und benahm sich höchst unehrerbietig gegen das Klima. Er schimpfte über die Regierung der Kolonie und die Zuverlässigkeit des Sattlers. Er beschwor, den Gaul, der ihn getragen, sofort zu erschießen, und verprügelte gewissenhaft alle Hunde, die noch am Leben waren, und den einzigen Neger, der uns gefolgt.

Offenbar tat es ihm wohl.

Der Vorsteher sagte, daß Känguruhjagden nur für Neulinge und Stadtgigerl wären, und er für seine Person ginge jetzt nach Hause, wir sollten uns aber nicht stören lassen. Offenbar gefiele es uns ja. Aber seine Mißstimmung wirkte ansteckend. Nur der Herdenmann lächelte, während er seinen Steigbügelriemen an den Sattel schnallte.

Der Steigbügel-Morgenstern ist eine ebenso einfache wie furchtbare Waffe in den Händen eines geübten Mannes. In einer der Zuckerstädte an der Queenslandküste kam es vor einigen Jahren während eines Rennens zu Ausschreitungen seitens der betrunkenen farbigen Plantagen-Arbeiter. Diese waren in zehnfacher Übermacht und mit langen Buschmessern und Speeren bewaffnet. Aber die anwesenden Weißen sprangen auf ihre Pferde, lösten den Bügelriemen aus und veranstalteten eine Kavallerieattacke auf die schäumenden Wilden mit glänzendem Ergebnis. Selbst ein Negerschädel widerstand einem solchen Hiebe nicht.

Schweigend ritten wir zum Fluß zurück, wo wir einen Neger mit dem Frühstück zurückgelassen hatten. Das Pferd des Vorstehers war über den Horizont verschwunden. Aber da es immer auf der Station gefüttert wurde (ein besonderer Luxus, den sich der Vorsteher leistete) und seine Krippe nur zu gut kannte, so war Verlust des Sattels nicht zu fürchten. Der Schwarze mußte einfach zu Fuß gehen.

Ingrimmig rannte der Vorsteher seine Sporen in das Pferd des Negers. Und das war sehr nett von ihm, denn nun konnte ich in Ruhe das Schauspiel eines richtigen, kernigen Buschpferd-Bockens genießen, ohne selber in Mitleidenschaft gezogen zu werden.

Der australische Sattel ist wie der englische gebaut, hat aber an beiden Seiten unter dem Kopfe Knieschützen. Außerdem reitet man gewöhnlich mit Schwanzriemen. Die Knieschützen gewähren natürlich einen sehr sichern Sitz; aber was so ein Gaul an Verrenkungen leisten kann, würde den Schlangenmenschen vor Eifersucht rasend machen. Schwanz eingeklemmt und Kopf zwischen den Beinen, den Rücken wie ein Flitzbogen, springt er mit allen Vieren in die Höhe und kommt wieder zu Boden mit einem harten, unnachgiebigen Ruck, der dem Reiter wie ein Erdbeben durch das Rückgrat fährt. Er dreht sich und steigt, sucht die Füße in den Steigbügeln mit den Zähnen zu packen, und wirft sich schließlich in maßloser, schnaubender Wut auf die Erde. Da heißt es schnell sein und sich seiner Haut wehren.

Wenn die schwere Arbeit der Saison auf der Station vorüber ist, werden die meisten Pferde fürs Jahr laufen gelassen, wenn man sie dann wieder braucht, sind sie oft ganz verwildert und bocken sich einfach das Fell vom Leibe, ganz abgesehen von Reiter und Sattel. Und wiederum gibt es liebenswürdige Vierfüßler, die den ganzen Tag milde wie ein Lamm einherschreiten und plötzlich, genau um 4 Uhr 25 Min. nachmittags, wenn man halb im Schlafe Schritt dahin bummelt, mit einem Male das Bedürfnis empfinden, auf dem linken Hinterbein zu tanzen. Dieses ist sehr unangenehm.

Bild: Heinrich Kley

Der Vorsteher hatte oft behauptet, daß das Pferd des Negers ganz fromm sei, und nur das »schweinemäßige« Reiten seines geliebten farbigen Bruders verursache alle etwaigen Mißhelligkeiten. Deshalb war es uns interessant, daß nach etwa dreißig Sekunden dieser Luftturnerei der Vorsteher etwa 5 Meter in die Höhe schoß und dann unsanft im mittleren Hintergrunde landete. Lange saß er da und starrte stumm gen Himmel. Inzwischen fingen wir den Gaul, der sich ausgetobt hatte, und dann erhob sich der Gefallene schweigend, bestieg sein Roß wieder, schweigend, und ritt uns voraus dem Fluß zu, schweigend.

Die englische Sprache langte nicht mehr.

Da kam uns der Neger, den wir zurückgelassen, entgegengesprengt. »Der Fluß kommt runter, Herr, der Fluß kommt runter!« schrie er schon von weitem.

Mit einem Ruck setzte sich die ganze Gesellschaft in Bewegung und galoppierte davon. Doch wir waren zu spät. Gerade als wir am Ufer anlangten, stürzte sich mit donnerähnlichem Gepolter eine hohe Wasserwand an uns vorüber, Bäume und Steine mit sich reißend, und stürmte das Flußbett hinab. Ein wildes Durcheinander von Strudeln und Gischt; eine gelbe, brodelnde Flut, die immer höher stieg; ein Getöse und Geräusche, als ob der Ozean durch eine Düne bräche – die Überschwemmung war gekommen. Das gewaltige Bett füllte sich bis obenan, und vor uns lag eine taumelnde See, die mit schwindliger Schnelligkeit an uns vorüberschoß.

Der Vorsteher blickte wehmütig auf das wirbelnde Wasser. Dann drehte er sich langsam im Sattel um und sagte, ehrfurchtsvoll seinen Hut hebend: »Gott segne dieses Land!«

Ein paar Stück Vieh trieben an uns vorbei und auf einem mächtigen Baumstamm ein wilder Hund, zähnefletschend auf und nieder trippelnd, um jedesmal, wenn er das Ende seines Floßes erreicht, die Nase nach oben zu werfen und in ein schauerliches Geheul auszubrechen.

»Wir müssen eben warten und sehen, ob die Flut abnimmt.«

»Und wenn sie es nicht tut?«

»Schwimmen!« war die kurze Antwort.

So fanden wir uns denn in das Unabänderliche und beschlossen zu frühstücken. Der Vorsteher gestand, er sei sehr hungrig geworden. Er hatte aber eben heute seinen unglücklichen Tag. Das Frühstück befand sich zurzeit ungefähr zwanzig Meilen westlich auf dem Wege zum Golf von Carpentaria. Der Neger hatte den Tee unten im Flußbett gekocht, an dem friedlichen kleinen Strom, den wir am Morgen überschritten. Und dann war er erschreckt weggeritten, um uns die Flut zu melden. Organisationstalent gehört nicht zu den Geisteseigenschaften des australischen Ureinwohners.

Der Vorsteher verdrosch den Neger mit sachgemäßer Ruhe, und wir holten unsere Pfeifen hervor, setzten uns und rauchten; zu sagen war ja da nicht viel.

 

Es ist eines der meteorologischen Wunder dieses Landes größter klimatischer Gegensätze, wie plötzlich die gewaltigen durstigen Flußadern sich mit dem wogenden Schwall füllen. Weit oben in den Bergen ist vielleicht ein schwerer Wolkenbruch gefallen, und wie eine solide Mauer stürzt das Wasser dem Tale zu. Frachtwagen, die für die Nacht im Bette an einem Wasserloch ausgespannt haben (denn der Himmel war blau und die Dürre herrschte ringsumher), werden in wenigen Stunden einige hundert Meilen weiter befördert, Häuser fortgerissen, Vieh und Menschen überrascht und von den heimtückischen Wassern im Schlafe gemordet. Da sind nur äußerste Gegensätze – Darben oder Überfülle. Man verdurstet oder man ertrinkt.

Im Zentrum Australiens gibt es große Flüsse, die überhaupt keine Mündung haben, die sich in der Wüste verlieren, so ganz beiläufig, wie so viele tausend Existenzen dort. Und die Zukunft des Erdteils gründet sich auf eins: die Wasserkonservierung. Jeder Regen, der fällt, wird sofort in das Meer abgeführt oder sickert in totem Sande ein. Und mit Ausnahme der schmalen östlichen Küstenregionen heißt das ganze Vaterunser jedes Australiers: Wasser!

Abgesehen von einigen Strömen im Südosten bilden die Flüsse zur Sommerszeit nur eine Kette von Wasserlöchern, die immer mehr zusammenschrumpfen, bis schließlich die Fische darin mit den Händen gefangen werden können. Unter dem Sande ist gewöhnlich durch Graben auch noch Wasser zu finden; aber es ist nicht leicht, mit einem blechernen Trinkbecher ein 15 Fuß tiefes Loch in den lockeren Sand zu machen. Und über solchem immer wieder einfallenden Schacht hat schon manch' ein Nachkomme der Donaiden sein Leben aus – ge – ge – nun, ich werde sagen, ausge-haucht.

*

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Er fühlt sich unglücklich, wenn das hergebrachte Frühstück einmal ausfällt. Und wenn es gar Mittag und Abend wird, ohne daß die seit undenklichen Zeiten für diese Stunden bestimmten Mahlzeiten eintreffen, so bemächtigt sich seiner eine gewisse Unruhe. Das ist lediglich die Macht der Gewohnheit.

Wir saßen und lagen im Grase am Rande des Flusses umher und beobachteten gespannt die Wasser. Aber die Wasser stiegen stetig, unerbittlich, wir hatten unsere Pferde abgesattelt und in Fesselketten gehen lassen, und bereiteten uns auf die Nacht vor. Da geschah eine Katastrophe. Unser Tabak ging aus!

Der Buschmann kann jede Entbehrung geduldig ertragen – nur diese nicht. Das geht zu weit. Und wundersam und grausig ist der Ersatz, den er in der Tabaksnot für seine Geliebte, die Frau Nikotin, findet. Tee ist sehr erträglich, wenn auch etwas bitter, und getrocknete Blätter verschiedener Kräuter helfen einem über den Mangel. Das Eigenartigste in dieser Richtung jedoch ist wohl eine Mischung von Kurrppulver und getrocknetem Kuhdünger, die sich ganz vorzüglich raucht. Schafdünger ist etwas zu scharf für meinen Geschmack; aber ich bin eben kein schwerer Raucher.

Noch war die Sonne nicht untergegangen. Und nachdem wir zum siebenten Male unsere Taschen ausgekrempelt, beschlossen wir einstimmig zu schwimmen. Die Lage war eben sehr ernst geworden, und man durfte unter solchen Umständen schon etwas wagen, wir fingen also unsere Pferde, sattelten sie und suchten uns dann einen günstigen Platz zum Übersetzen aus.

Ich gestehe, daß mir das ganze Unternehmen etwas unheimlich vorkam. Ich bin ein guter Schwimmer, aber die gärende, kochende Flut vor mir, mit den Baumstümpfen und dem treibenden Kleinholz, flößte mir wenig Vertrauen ein.

»Sind Sie schon mal hier hinübergeschwommen?« fragte ich den Hauptherdenmann.

»Ich kann überhaupt nicht schwimmen,« teilte der mir mit.

»Wa-as?«

»Nein! Ich halte mich einfach am Schwanz meines Pferdes fest. So geht es schon. Aber nu 'mal los, ehe es dunkel wird.«

Bild: Heinrich Kley

Ich biß die Zähne zusammen und trieb meinen schnaubenden Gaul in den Strom, plötzlich kam ein riesiger alter Baum auf mich losgesegelt. Ich wandte mich nach rechts und erhielt sogleich von hinten einen Stoß in die Rippen, der mich aus den Sattel ins Wasser warf.

» Incidit in Scyllam, pui vult vitare CharybdimEin lateinisches Sprichwort, das dem Sinne nach etwa unserm deutschen »Aus dem Regen in die Traufe« entspricht.

»Na, na!« mahnte der Vorsteher. »So schlimm brauchen's auch nicht zu fluchen!« Offenbar war er neidisch.

Man schwimmt mit einer Hand auf dem Sattelknopf und den Zügeln, neben dem Pferde einher, aber auf der Seite, von der der Strom setzt, um nicht verletzt zu werden, falls das Pferd das Gleichgewicht verliert und im Wasser kentert. Das Flußbett, das ja gewöhnlich 50 Wochen im Jahre leer ist, trägt einen starken Bestand von Bäumen, und gar leicht verwickelt man sich in den Gipfeln, die von den Wirbeln unter der Wasseroberfläche hin und her geschleudert werden. Dann muß man auf das herabkommende Treibholz, oft mit scharfen, lanzenähnlichen Spitzen drohend, aufpassen; und schließlich, wenn man in Mitstrom ist und das jenseitige Ufer pfeilschnell an einem vorüberfliegt, darf man nicht schwindlig werden und die Richtung verlieren.

Mit uns ging alles gut. Selbst der Herdenmann, der ein vorzüglich schwimmendes Pferd besaß, landete in Sicherheit, allerdings drei Meilen von dem Platz, von dem wir absetzten.

Es war bereits dunkel, als wir uns alle wieder versammelt hatten und im Sattel saßen. Und dann ging es heimwärts, naß und kalt und hungrig.

»Känguruh-Jagden sind verfehlt!« sagte der Vorsteher. Und diesmal stimmte ich ihm bei.

Gegen 10 Uhr abends kamen wir nach Hause. Die interessanteste Persönlichkeit in unseren Augen war zurzeit Ah-Fau, der chinesische Koch. Ich fühle, daß ich diesen Herrn vorher zu leicht übergegangen habe, und möchte ihm nachträglich einige Zeilen widmen.

Ah-Fau rauchte Opium, aber es bekam ihm scheinbar gut. Er war fett, selbst ölig, und sein ganzes Wesen hauchte Zufriedenheit aus (neben anderen untergeordneten Gerüchen). Ah-Fau ist mir immer ein Rätsel geblieben. Sein Antlitz trug einen stumpfen, verlassenen Ausdruck, wie eine Badeanstalt im Winter. Sein langer Zopf, den er durch reichlich eingeflochtenes Roßhaar ergänzte, war in kühnen Ringen um sein rasiertes Haupt geordnet. Seine Anstellung hatte er der Mär zu verdanken, nach der jeder Chinese notwendigerweise ein Koch sein muß. Schmutzig genug war er dazu.

Er schien keinen besonderen Ehrgeiz zu hegen, außer einmal in China begraben zu werden. Er schaltete und waltete in seinem Reiche als alleiniger Machthaber, und selbst der Vorsteher konnte ihm nicht imponieren.

Als wir in das Heiligtum der Küche drangen, fanden wir den Mongolen grade damit beschäftigt, ein Stück Braten »abzuschrecken«. Zu diesem Zwecke nahm er jedesmal einen Schluck Wasser in den Mund und sprühte es kunstgerecht über das zischende Fleisch.

»Macht es gut knusprig!« belehrte er uns. Dann spuckte er in die Hände und begann kleine Klöße als Zugericht zu rollen.

»Das ist noch gar nichts!« bemerkte der Vorsteher auf meine entsetzte Klage. »Sie sind zu verwöhnt für diese Gegend.«

Nichtsdestoweniger, Ah-Fau war wirklich sehr unreinlich. –

*

Ehe es noch an das Branden der Kälber ging, wurde eine Anzahl junger Pferde gefangen, um eingeritten zu werden. Es gehört ja kaum unter den Titel »Jagd«, dieses Eintreiben von ungebrochenen Pferden. Aber ich glaube nicht, daß es in der ganzen Welt einen besseren Sport gibt, als in der Flanke einer Herde flüchtiger »Brumbies« herzujagen, ihre Schwenkungen bald auf der einen und bald auf der anderen Seite abzuschneiden, durch vorsichtiges Reiten und gegenseitige Unterstützung die zähen Tiere mürbe zu machen, sie auf allen möglichen Umwegen in die Nähe der Koppel zu zwängen und sie schließlich mit einem Unlauf durch das mit trichterähnlichen Flügeln versehene Tor in ihr Gefängnis hineinzuwerfen, wo sie zitternd und schnaubend den Boden scharren und mit gesträubter Mähne und ausgestrecktem Halse die ungewohnten Zaunpfähle beschnuppern.

Bild: Heinrich Kley

Und dann kommt die Arbeit des »Brechens«. Eins der Tiere wird abgesondert und in eine benachbarte Koppel getrieben und lassiert. Dann wird es mit einer langen Stange gekitzelt und bestrichen, bis es zu müde ist, um noch zu reagieren, wutschreiend stürzt es sich auf den Brecher los, so oft der sich zu nähern wagt; aber mit einem geschickten Wurfe hat er die Lose des Lassos um eine Hinterfessel gewunden und das Ende an der Schleife um den Hals befestigt. Nun ist es mit dem Keilen und Bäumen zu Ende, denn jede Bewegung zieht die Halsschlinge zusammen oder bringt das erstaunte Tier zu Fall.

Wenn sich der Brumby etwas beruhigt hat, wird er gesattelt, gezäumt, und dann schwingt sich der Brecher auf seinen Rücken. Bocken kann er nicht, da er den Fessel-Lasso an hat. Aber beißen tut er, und sich hinwerfen und wälzen, bis er sich schließlich gänzlich erschöpft ergeben muß. Nun wird der Rohhautstrick abgenommen, das Tor geöffnet und hinaus geht es in den Busch. Die freie Welt umher reizt ihn, noch einmal sich gegen seinen Zähmer aufzulehnen. Aber es ist umsonst, und nach einem langen Galopp über die Ebene kehrt er schaumbedeckt zurück, dem Zügel gehorsam. Das meuterische Licht in seinen Augen ist erloschen.

Am nächsten Morgen wiederholt sich das Verfahren. Aber das Schlimmste ist vorüber, und nach einigen Tagen wird er unter »Gebrochene Pferde« in das Zuchtbuch der Station eingetragen. Gebrandet ist er schon als Jährling worden.

Pferde brandet man gewöhnlich nur einmal; aber Vieh, besonders wertvolle Zuchtbullen, werden nach Verkauf an eine andere Station wieder mit der Marke des neuen Besitzers versehen. Und wenn ein solcher Besitzwechsel mehrere Male eintritt, so kann man dem Neuling schon verzeihen, der höchst erregt eines Tages nach Hause kam und von einem außerordentlichen Tiere berichtete, das mit längeren lateinischen Inschriften versehen die Umgegend unsicher mache.

Der Wert der Felle wird durch das Feuerbranden bedeutend beeinträchtigt, und australische Squatter verlieren jährlich mehrere Millionen Mark dadurch, viele andere Mittel sind schon versucht worden; aber keins hat sich bewährt. Es werden jetzt Proben mit einer Dampfmarkierungsmethode vorgenommen; aber von Erfolg darf man heute noch nicht reden.


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