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Hochzeit ohne Braut

»Drei Dinge im Leben sind unvergeßlich«, sagte mir einmal ein eisgrauer französischer Offizier. – »Der erste Kuß der Frau, die man geliebt hat, das erste Trommelfeuer und die Sonnenuntergänge in der Sahara.«

Er sagte nicht »der erste Sonnenuntergang« – dieser alte »saharien«. Anders als Todesdrohung und Liebesverheißung, maß er diesem alltäglichen Schauspiel eines sich entflammenden Himmels über sich verdunkelndem Land unvergängliches Gedenken bei.

Wir waren in Beni-Isguen gewesen, Julia Wagner-Jauregg und ich, und kehrten nach Ghardaia heim. Wir hatten uns im Gewirr der Stufengassen ein wenig verirrt und waren zum Schluß beinahe gelaufen. Und mit uns strebte in so hastigem Drängen, daß es schier an Flucht gemahnte, ein Strom von Menschen und belasteten Tieren dem Stadttor zu. Wir hatten mit dem letzten Ruf des Muezzins das aus riesigen Palmbohlen gefügte Tor sich schließen sehen, das Tor der »heiligen Stadt« der Mozabiten, in der nach Sonnenuntergang kein Europäer und kein Araber verweilen darf.

Nun, da wir auf das gastlichere Ghardaia zu hielten, war es, als ritten wir geradeswegs in den Sonnenuntergang hinein. Um uns her war nichts als Steinwüste, hie und da mit Büscheln von Kamelkraut übertüpfelt. Über uns brannte der Himmel in Schwefelgelb, Orange, Hochrot und Bischofsviolett, um im Aschgrau des streifigen Horizonts zu verlodern.

»Schuf, schuf!« wies unser arabischer Begleiter.

Ich legte die Hand über die Augen, geblendet vom kalkigen Weiß des »Marabout«, des Heiligengrabes, dahin er deutete. Da sah ich einen Mann in vollem Laufe die Weihestätte umkreisen. Er trug einen roten Burnus, wie ich ihn als Zeichen der Stammesherrschaft anzusehen gelernt hatte. Während er, wie vom Scheitan verfolgt, rannte, sprach er mit sich selbst, schrie er atemlos und singend lange Sätze in die leere Luft. Und was mein Staunen vermehrte, war, daß zwei ältere schwarzbärtige Männer im Sande hockten und dem Treiben des Besessenen wohlwollend zusahen.

In der Sahara sind dem Neuling zwei Dinge vor allem ratsam: sich niemals über Wasser, Lager, Nahrung zu beklagen und nicht allzuviel Fragen zu stellen. Ich wandte mich also vorsichtig nach Julia um, zu sehen, wie eine wirkliche »saharienne« sich zu so sonderbarem Geschehen einstelle, und hörte sie seelenruhig die Rätselworte sagen: »Ich habe gar nicht gewußt, daß Achmed heiratet?«

Im gleichen Moment kam der junge Mann im roten Burnus hinter dem Grab hervorgeschossen. Er stürmte auf seine Begleiter zu, die aufspringend ihn in die Mitte nahmen, und nun rannten alle drei nach dem Stadttor hin.

Mit der Plötzlichkeit eines räuberischen Überfalls brachen nun sechs, acht, zehn Männer über sie herein. Ich hörte Schreie, ich sah wildes Gemenge. Es war ganz deutlich, daß der Überfall dem Jüngling im roten Burnus galt, den seine Begleiter mit ihren Leibern deckten. Er selbst hob keine Hand zur Verteidigung. Stolpernd, schwankend, gestoßen, gezerrt, gemahnte der schlanke Mann im roten Mantel, der schweigend Unbill erlitt, ganz sonderbar an alte Darstellungen von Christi Leidensgang.

Aber so plötzlich, wie dies Bild der Schmerzen sich dargeboten hatte, löste es sich in Heiterkeit. Atemlos vor Lachen, in ihre blühweißen Burnusse verknäult, wälzte sich die ganze Schar im Sande.

Julias »kch – kch – kch« machte ihren weißen Kamelhengst niederknien, und ohne jede Hilfe sprang sie aus dem Sattel. Sie kam zu meinem Kamel herüber, um ihm den Fuß aufs Knie zu setzen, damit es sich nicht erhöbe, ehe ich stocksteif aus der »Rachla« krabbelte. Unser arabischer Begleiter war längst vorausgerannt, um auch seinerseits ein wenig am roten Mantel zu zerren.

Und jetzt erfuhr ich auch, welcher Zeremonie wir beiwohnten.

Die Pflicht des arabischen Bräutigams erheischt, am Frühabend der Hochzeit das Heiligengrab zu umschreiten, die Suren absingend, Fruchtbarkeit erflehend. Er weiß, wie weit das Rot seines Ehrenmantels leuchtet. Er ist also bestrebt, die Gebetsdauer möglichst abzukürzen. Denn jedem Manne, der ihn auf dem Rückweg zur Stadt begegnet, ist es erlaubt, den Bräutigam zu schlagen, zu stoßen, womöglich ihn des Burnusses zu berauben, ohne den jener nicht zur Braut eingehen darf. Und da dem Armen Gegenwehr nicht vergönnt ist, so sind ihm zwei Begleiter beigegeben, deren Ehrenpflicht sein Schutz ist.

Und in dem Augenblick, da es den Freunden gelungen war, den Reglosen durch das Stadttor zu ziehen, sah ich Dulden in Triumph sich wandeln.

Auf allen Dächern standen Frauen. Ihre weißen Schleier schimmerten im rasch einfallenden Dämmern. Und von allen Dächern scholl das »J-i-i-i-i«, der messerscharfe, pfeifenschrille, für Europäer unerlernbare Jubelton der arabischen Frauen. An diesem einzigen Tage taten sich dem Bräutigam alle Pforten auf. Die Begleiter, blieben zurück, und stumm trat er in jedes Haus, wo weibliche Anverwandte wohnten. Und wohin er kam, trat eine Frau im Festschmuck auf ihn zu und steckte unter Segenswünschen eine Goldmünze oder ein Schmuckstück in jenen Teil seines Turbantuches, den der Araber lose um das Kinn geschlungen trägt, um ihn bei Sonnenbrand oder Sandwehen bis zu den Augen aufzuziehen.

Als es Nacht geworden war, gingen Julia und ich ins Haus des Brautvaters. Je höher wir uns die enge Treppe hinauftasteten, desto lauter ward der Lärm. Wir betraten ein Zimmer, in dem die Karbidlampen prasselnd und sprühend wie Wunderkerzen am heimatlichen Christbaum brannten. Der ganze fensterlose Raum war Kopf an Kopf mit Frauen angefüllt. Sie sangen im Takt etwas, das klang wie »Juja-jijala«, und dabei warfen sie die hennaroten Hände im lockeren Handgelenk taktmäßig vor- und rückwärts, worauf sie die Ellenbogen an den Leib rissen. Die wilden Farben ihrer Turbantücher und Gewänder loderten wie vorhin der Abendhimmel. Die riesigen, um die ganze Ohrmuschel gehängten Ohrringe klirrten, alle diese Münzketten, alle diese schweren Armreifen, die von dicken, zollangen, silbernen Nägeln starrten. Alle waren unverschleiert. Manche waren jung und hatten die herrlichen, erschreckten, feuchtdunklen Augen von Gazellen. Manche waren von vielen Geburten gedunsen, gelb und krank. Manche hatten uralte Mumiengesichter, von Furchen wie von Abertausenden von Messerkerben gezeichnet.

»Zeig mir die Braut!« bat ich Julia. Sie lächelte nachsichtig. »Du denkst doch nicht, daß du bei einer arabischen Hochzeit die Braut zu sehen bekommst?«

»O doch!« sagte ich. »Ich habe eine gesehen. Sie durfte nicht essen, nicht sprechen, sie saß da unter all dem kiloschweren Silberschmuck ... damals in Algier.«

»Na ja ... in El Djezair!« sagte Julia mit soviel Nichtachtung, wie nur ein Saharabewohner sie in diesen Stadtnamen legt. »Hier ist es der Bräutigam, der drei Tage fastet, drei Tage lang nicht spricht. Das erste Wort richtet er an den Schwiegervater, wenn er ihm das Brauthemd aus der Tür reicht. Dann sagt er: »Es ist gut ...«

Wir tasteten die nachtdunkle Treppe hinab, und ich dachte an sie, an das kleine Mädchen – fast noch ein Kind –, das auf dem Brautbett kniet, ganz allein des Herrn wartend, der sie nicht kennt und den sie nie zuvor gesehen hat. – Er wird eintreten, den Schesch abnehmen und ihn ihr mit all den darin eingebundenen Schmuckstücken als Brautgabe in den Schoß werfen. Er hat soundso viel Dattelpalmen oder soundso viel Schafe an ihren Vater abgetreten, an ihren Vater, dessen Ehre dafür verpfändet ist, daß sein Schwiegersohn, wenn er später die Tür öffnet, »es ist gut« sagen wird. Und sie wird in der Gefangenschaft dieser Lehmmauern leben, Kinder gebären und sterben ... Arme kleine Fatmah ...

Aus dem Hause von Achmeds Vater tönt Reita und Trommel. Hier wird das wahre Hochzeitsfest gefeiert, das der Männer. Man hat am Spieß gebratenes Lamm gegessen und Kuskus – alle die elf Speisen der festgesetzten Reihenfolge – und jetzt trägt man uralte, handgehämmerte Kupferplatten herbei, darauf Berge von Erdnüssen sich häufen, zwischen denen Schälchen des traditionellen Menthetees stecken. Und mitten zwischen diesen Burnus an Burnus hockenden Männern tanzt eine Ouled Nail – eine Unverschleierte – den Bauchtanz. Da ist keiner, dessen wilde Augen nicht an ihr hingen. – Die längsgefalteten Zwanzigfrancsscheine, die rings in ihrem Turban stecken, wehen nicht, die Münzenketten auf ihrer Brust klirren nicht, ihre Füße regen sich nicht, während sie tanzt. Nur ihre Leibmitte kreist unter seidenen Gewändern.

Im Hintergrund, reglos, stumm, allein, den Kopf vom schweren Turban herabgezogen, sitzt der Bräutigam im roten Burnus und seine Augen flammen.


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