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Die gleichmütige Natur

Das Haus lag in einer stillen Seitenstraße der Hauptader von Algier, und es war weithin kenntlich. Die Glyzinen, die ihm den Namen gaben, hingen in heller Last über die Mauer hinaus, sie bedeckten beinahe die schwarze Tafel, die ich suchte. »La villa aux Glycines« A. Maurier, Familienpension.

Landsleute hatten uns hieher empfohlen, es wurde als Glücksfall dargestellt, wenn wir in dem stets überfüllten Heim Aufnahme fänden.

Nun stand ich in dem Gartenhof, in dem sich eine einsame Dattelpalme erhob, und das Lob dünkte mich denn doch ein wenig zu reichlich bemessen.

Das Haus schien aus der Zeit der französischen Eroberung zu stammen. Es war sonderbar winklig und willkürlich angelegt – wie ohne jeden Plan erbaut. Eine ebenso kunstlos angefügte eiserne Außentreppe schob sich in trägen, grauen Windungen einer Pythonschlange bis zu dem Balkon des ersten Stockwerkes empor, an dem allen Zimmern ihr wohl bemessener Anteil zustand.

Zwei arabische Diener und ein junger Bursche in weißer Kellnerjacke schwatzten im Hintergrund, ohne sich durch mich stören zu lassen.

Nur eine samtohrige, braungefleckte Jagdhündin kam still herbei und machte auf die höflichste Weise die Honneurs.

Als ich das freundliche Tier streichelte, tönte plötzlich von irgendwoher ein Pfiff. Die Hündin schrak zusammen und kroch zur Seite.

Der Mann, der nun erschien, war mir vom ersten Augenblick an zuwider. Es wehte solch tückische Ehrbarkeit um ihn, solch verschlagene Beschränktheit. Kleine rotunterlaufene Augen, ein zerpflückter Spitzbart, braune, widerliche Zahnstummeln, Glatze, Embonpoint: er sah aus wie einer der beiden Alten, die Susanna im Bade belauschten. »Sie wollen mieten?« fragte er und sah dabei zur Seite. »Meine Frau ist jetzt nicht zu Hause. Das macht alles meine Frau. Übrigens« – und zum erstenmal traf mich sein Blick – »werden Sie mehr zahlen müssen, als Ihre Freunde bezahlt haben, das geht nicht so weiter ...«

Ehe ich zu antworten vermochte, tönte scharf dreimal wiederholt eine Hupe vor dem Hause. Der Kellner schoß herbei, die Araber öffneten grinsend das Tor. Die schweigsame Jagdhündin war wieder da, und mit ihr erschien jetzt ein noch ganz junger Hund, ein schwarzer Köter, der schrecklich bellte.

»Da kommt ohnehin meine Frau«, murmelte Herr Maurier und trollte sich zur Seite, genau wie sich vorhin die Hündin getrollt hatte.

Das kleine Auto fuhr mit präzisem Schwung in den Hof ein. Eine Frau saß am Volant, die hochrote Baskenmütze schief auf dem geringelten Haar, ein Lächeln um den hochroten Mund. Sie schien mir sehr reizvoll, als sie aus dem Wagen sprang, in dem ärmellosen, weißen, kurzen Kleide, das ihre schönen Beine zeigte.

Nach den ersten Worten, die ihre Verspätung entschuldigten, deutete sie mit dem runden energischen Kinn nach dem Hause und fragte: »Sie haben sich doch auf keinen Preis mit ihm eingelassen? Sie zahlen natürlich dasselbe wie Ihre Landsleute. Ich freue mich, daß Sie kommen! Ich mag euch Österreicher so gern.«

Madame rief auf arabisch den Dienern ein paar freundlich-bestimmte Worte zu, die die sofortige Garagierung des Autos zur Folge hatten.

Die Zimmer mit der Aussicht auf blühende Agaven und blaues Meer gefielen mir. Sie waren groß und bequem und peinlich sauber. Ein kleiner Empireschreibtisch reinsten Stiles erregte mein Entzücken.

»Das freut mich, ich habe ihn heraufgestellt, weil ich hörte, daß Sie schreiben«, lächelte Madame.

Jetzt, da ich sie nahe sah, erkannte ich, daß sie nicht mehr ganz jung war, sie schminkte sich stark. Aber während es so viele Frauen gibt, die die Schminke wie eine Uniform des Gesichtes tragen, verstärkte hier die Kunst nur die Pikanterie der unregelmäßigen Züge. Die Augen waren groß, feucht, dunkel, ich meinte, niemals noch so ungeduldige Augen gesehen zu haben. Ich kann es nicht anders sagen. Die Augen behielten, so liebenswürdig und herzlich Madame auch sprach, einen Ausdruck, als müsse sie jetzt und jetzt auf den Boden stampfen und sagen: »Weiter, weiter! Das kann doch, um Gottes willen, nicht alles sein?«

»Es wohnen lauter nette Leute hier, Sie werden sehen. Auch meine Studenten sind »bien sérieux« (ernste Jungen). Es gibt keine Dummheiten in meinem Hause. Und die Küche ist gut. Herr Maurier kocht selbst, das kann er. Ich denke, Sie werden zufrieden sein.« – Ich mietete also, und die Koffer kamen. Als ich dabei war, den Empireschreibtisch einzuräumen, der so aussah, als müsse das Geheimfach mit den Briefen und Locken plötzlich unter meinen Händen aufspringen, kamen die samtohrige Jagdhündin Missou und ihr unehelicher Sohn Moricaud, um mir beim Auspacken zu helfen. Zumindest bei der Keksschachtel gelang ihnen das vortrefflich. Aber eben als Moricaud mir in Rückenlage vertrauensvoll das Brüstchen zum Kratzen darbot, eben als Missou mir eine gefleckte, dankbare Pfote reichte, – – huiiit, kam wieder dieser Pfiff, und sie trabten davon, daß ihre Ohren wackelten.

Jeden Morgen wiederholte sich nun dies Spiel. Sobald das ältliche, spitze Stubenmädchen das Frühstück brachte, waren sie da, Moricaud winselnd, Missou in sanftem Schweigen. Sie schlapperten Kaffee und Brocken aus dem ihnen geweihten Schwammschüsselchen, um zu enttraben, wenn der Pfiff kam. Mein Mann war wütend, daß ich diesem Harpagon – oder wie er ihn gut waldviertlerisch nannte: »diesem Knopferldrucker«, das Hundsfutter ersparen half. »Haben die in so einem Haus nicht Abfälle genug? Was braucht denn der auf die Jagd zu gehen, der Kracher, der notige, wenn er nicht einmal seine Hundsviecher füttert?«

Denn Herr Maurier ging auf die Jagd. Jeden Sonntagmorgen erlebten wir den Auszug Tartarins von Tarascon nach mystischen Jagdgefilden. Er trug Mütze, Ledergamaschen, Jagdtasche und Doppelflinte, und hatte Missou an der Leine. Bei diesen Fahrten zur Bahn chauffierte niemals Madame, sondern nur der Kellner Jean.

Obgleich der Aushilfskoch schauerliche Puddings gebar, die wie arme Sünder am Tage des Weltgerichtes zitterten, atmete doch das ganze Haus an solchen Sonntagen auf. Die arabischen Diener strahlten. Die sechs französischen Studenten, die an der algerischen Universität studierten, brachten Madame Rosen, und sie saß wie ein guter Kamerad mitten unter ihnen. Nach Tisch sangen sie alle französische Lieder, der Professor der Chemie und seine Frau sangen mit. Die alte Gräfin begann von der Sahara zu erzählen, und selbst der »Herr mit der Leber« brachte Marius-Anekdoten im Marseiller Dialekt so gut, daß Madame nicht aufhören konnte zu lachen. Ich mochte ihr Lachen gern. Sie lachte so unbändig wie ein junges Mädchen, bis ihre schönen Augen in Tränen schwammen und sie sie hilflos mit dem geballten Taschentüchlein zu betupfen begann, noch mehr lachend, weil die Wimpernschminke sich aufzulösen drohte.

All die Zeit kreiste der Kellner Jean um die Tische. »Der erzählt morgen dem Alten alles«, flüsterte mir einer der Studenten zu.

»Heute noch!« gab ich zurück.

Nach dem Essen kamen die sechs an unsern Tisch und weihten uns wispernd in eine Verschwörung ein. Sie wollten alle Herrn Maurier einen Streich spielen, ob mein Mann ihnen dabei helfen wolle. Oh, der wollte gern. Sie steckten wie die Schulbuben die Köpfe zusammen. Aber es fiel ihnen nichts ein. Nein, das war alles nichts. Ich begann zu lachen. Warum ich denn lachte, fragten sie. »Weil ich wohl etwas wüßte«, sagte ich, »aber das kann man nicht machen, es ist zu bösartig.« Um so besser, meinten sie, sie drängten mich. Und wie ich so Moricaud, der rundgefressen auf meinem Schoß schlief, streichelte, sagte ich ihnen meinen Plan.

Vom Balkon aus sah ich die sieben Zigarettenenden im Dunkel glühen. Sie kicherten drunten, und ich machte: »st!« Ich sah das Kellnerjackett im Dunkel schimmern. Dann begann Moricaud einen Freudengesang und Tanz: Herr Maurier und Missou kamen. Den Rückweg von der Bahn legte Herr Maurier stets zu Fuß zurück. Er schloß sehr leise das Tor auf, da blendeten ihn sieben Taschenlampen, und alle sieben Verschwörer fragten, von Lachen erstickt, nach seiner Jagdbeute.

Da sah ich sein Gesicht im Schein der Lampen. Es war ein armes ertapptes, verzerrtes Altmännergesicht, und mir tat furchtbar leid, was ich angestellt hatte.

Aber schon hörte ich Herrn Maurier gefaßt sagen: »Sieben Hasen, meine Herren. Mir waren sie zu schwer. Man bringt sie morgen, und Sie bekommen alle Ihren Hasenbraten. Gute Nacht!« Er pfiff den Hunden und ging, sie in dem Zwinger einzuschließen.

Die Verschwörer kannten keine Reue.

Wir alle wußten, daß Madame – der algerischen Sitte zum Trotz – selbst ihre Einkäufe besorgte. Um sechs Uhr schon raste diese tüchtige Frau im Auto nach dem Markt, um halb acht Uhr mit gefüllten Körben im Fond zurückzukehren. Es schien den Herren sonnenklar, daß morgen des Alten Jagdschande offenbar werde. Welchen Grund sollte Madame haben, ihm die kleine Lehre zu ersparen? Umsonst, daß ich einwandte, Wild müsse »abliegen«. Sie begannen zu wetten. Und mein Mann verlor. Zu Mittag hatte er schon triumphiert, aber abends kam das Hasenragout, ein Gedicht von einem Hasenragout.

Der verwettete Wein wurde im Hinterzimmer serviert, und als Madame den Wuschelkopf zur Tür hereinsteckte, ließen wir sie alle hochleben, ohne daß sie zu bemerken schien, warum. Sie hatte ein reizendes Kleid an, und als der Physikprofessor es lobte, sagte sie: »Lassen Sie doch uns Pariserinnen unser bißchen Schick, wir haben ja doch nichts andres!« Da stand der Alte plötzlich an der Tür. »Qu'est ce que tu me chantes de Paris?« fragte er grob. »Was schwatzt du da von Paris? Aus Coutances ist sie, meine Herren! Achtundzwanzigtausend Einwohner und eine Kathedrale!«

Es entstand eisiges Schweigen.

Wir alle wußten, daß diese Frau, die er soeben beschämte, ihm selbst heute die Beschämung erspart hatte.

Da sprang der Professor auf und brachte ein Hoch voll französischer Ritterlichkeit aus auf Coutances, seine Kathedrale und seine entzückenden Frauen.

Am nächsten Morgen, bei unserm Frühstück – sonderbar! – keine Missou, kein Moricaud. Am zweiten Morgen fehlten die Hunde wieder. Ich füllte das Schüsselchen, rief, lockte, lief zur Treppe – da stand unten der Kellner und grinste.

Beim Mittag fragte mich die alte Gräfin, ob auch uns das Winseln der Hunde so belästige. Sie hätte kaum geschlafen. Ich nahm den Araberboy Salem zur Seite, um ihn auszufragen. »Es geht den Hunden nicht gut«, sagte er scheu. Außer mir, erkannte ich des Alten Rache. Ich rannte hinunter und pochte an Madames Tür. Die öffnete sich sofort, und Madame im Schlafrock stand auf der Schwelle. Mir war nicht nach psychologischen Studien zumute. Ich hatte Moricauds hungriges Weinen noch im Ohr und hätte den Alten zerreißen mögen. Und doch blieb mir der Atem aus, als ich dies Zimmer betrat. Es war ein nettes, freundliches Schlafzimmer mit einem riesigen französischen, weißen Bett mit Baldachin und Volants und Spitzen. Aber dies alltägliche Zimmer war erfüllt mit Puppen. Nicht seidene Hampelmänner, wie die gräßliche Mode von damals sie auf die Sofas setzte, sondern richtige Puppen mit Schlafaugen, jede so groß wie ein Kind und wie Buben und Mädchen gekleidet. Und in dem weiten Bett lag ein Puppenbaby im Wickelpolster mit Saugflasche.

Ich war so verwirrt, daß ich kaum sprechen konnte.

Aber Madame sprach freundlich und herzlich wie immer: »Sie kommen wegen der Hunde. Liebe, ich kann da nichts tun. Mein Mann und ich haben jeder zuviel Respekt für die kleinen Eigenheiten des andern. Aber wenn Monsieur votre mari vom Balkon der Gräfin aufs Dach steigt, kann er das Futter direkt in den Zwinger hinunterwerfen. Ich habe Salem das Paket schon herrichten lassen.«

Mein Mann sagte, als er herunterkam, die armen Tiere hätten sich wie Wölfe darauf gestürzt. »Das war sein Dank für unsere Hasen«, meinte er.

Die Studenten kamen empört an unsern Tisch. »Jetzt müssen Sie etwas Neues ausfindig machen!« baten sie mich.

»Das werde ich nicht tun, meine Herren. Schon diesmal haben wie immer die Unschuldigen büßen müssen. Ach, und überhaupt: wenn die Menschen soviel Kraft und Mühe aufbringen wollten, einander Gutes zu tun, wie sie aufbringen, einander zu schaden, dann wäre die Welt ein Paradies.«

Ein paar Wochen dieses algerischen Winters vergingen nun.

»Sie werden sehen, was ich ihnen für einen hübschen, blonden Nachbarn ausgewählt habe«, lachte Madame. »Einen Amerikaner.«

Am nächsten Morgen weckten uns die wilden Klänge eines Rag-time. »Halb sieben! Ist der Kerl verrückt geworden? Na, dem werd' ich's zeigen!« Mein Mann sauste im Pyjama auf den Balkon. Ein Augenblick verging. Dann eine junge heitere Stimme in atemlosen Stößen: »Morning, Sir!« Dann die Stimme meines Mannes, die besänftigt den gleichen Gruß sprach. Kichernde Rückkehr ins Bett. »Fabelhafte Muskeln hat der Bub! Turnt da halbnackert auf dem Balkon. Man müßte wirklich wieder einmal zu boxen anfangen.«

Beim Mittagessen sah ich Tobby zum erstenmal. Er kam und entschuldigte sich wegen des Grammophons. Er sei das so gewöhnt, bei Musik zu turnen. Er habe im Augenblick ganz vergessen, daß nebenan Leute schliefen. Das glaubte ich ihm aufs Wort. Er sah nicht aus, als ob er, wenn er etwas wünschte, lange nachdächte, ob es auch andern angenehm sei. Jetzt war er froh, Englisch sprechen zu können, und so setzte er sich zu uns. Madame hatte recht, er war sehr schön. Sein Haar zeigte auf dem Scheitel von der Sonne fast silbrig gebleichte Strähnen, sonst aber war er strahlend blond. Seine Augen waren blau. Wenn er beim Zuhören die sehr dichten Wimpern gesenkt hatte und sie bei einer Entgegnung wieder aufschlug, war es, als zöge man plötzlich einen Stahl aus der Scheide. Es wunderte mich, daß seine Wimpern so dicht waren, denn wenn er nachdachte, hatte er die Gewohnheit, daran zu zupfen, ja sie sich in Büschelchen auszureißen. Er war so unerzogen, so aller Sympathien sicher wie Moricaud. Es war ein Vergnügen, ihn anzusehen. Wie er die starken Schultern zuckte, die halb so breiten Hüften beim Hinlehnen bog, wie er mit der schwarzen Füllfeder beim Zuhören gegen die Lippen klopfte, wie er einen Moskitostich auf der rosigbraunen Wange wies – das alles war so frisch, so unbekümmert und jung. Madame blinzelte mich an, so stolz, als habe sie ihn geboren. Sie verstand nicht, daß er auf Algier schalt wie ein Rohrspatz. Was sollte man in dieser Stadt anfangen, wenn man hier vierzehn Tage auf jemand warten mußte? Er fragte es, und die blauen Augen blitzten böse.

Überhaupt war dies zwanzigjährige Bubengesicht nicht ganz so gut, wie man es wohl hätte wünschen mögen. Es lag so mancherlei um den schönen Mund. Aber, am Ende – wer kann vom Lorbeerbaum auch noch Äpfel verlangen? Ich erwiderte, ich sei nun schon recht lange in Algier und noch immer nicht müde, Landschaft und Eingeborene kennenzulernen, dort, wo sie sich nicht auf »Fremdensaison« zugestutzt zeigten. »Nehmen Sie mich mit!« bat er. Er ward sehr vergnügt, und ich auch. Wir starteten am nächsten Tag, und ich zeigte ihm die andern Straßen der Kasbah, in denen die Araber wirklich wohnen, schlafen und arbeiten, und um die Durchreisende sich selten kümmern, die Straßen der Kupferschmiede, der Töpfer, der Schreiber, der Burnussticker, in denen man vor den dunkeln Häusern die alten Handwerke üben sieht. Jedes zweite seiner Worte war »Miß Gladys«. Dies würde er ihr zeigen, wenn sie mit ihrem Vater käme, hier ihr eine Hand der Fatmeh kaufen, nachher »have a drink« mit ihr im Café »Tantonville«. »Miß Gladys« und »have a drink« schienen seine gebrauchswichtigsten Vokabeln. Er wollte mir unbedingt seinen Whisky mit Soda aufschwatzen, als wir zur ersten französischen Bar kamen. Er selbst kippte deren drei, anscheinend ohne sie zu verspüren, ja er nahm sich sogar noch eine Flasche nach Hause mit und machte sich ein bißchen lustig über die Glyzinenvilla, wo man nur Tischwein erhalten konnte.

»Wie gefällt Ihnen übrigens Madame Maurier?« – »Fine old lady«, warf er hin, indem er einem Trupp von beladenen Eselchen auswich.

»Was? Madame Maurier ist nicht älter als fünf-, sechsunddreißig«, sagte ich.

»Brr! Wenn ich einmal so alt werde, dann schieße ich mich nieder«, verkündete Tobby.

»Das werden Sie gar nicht mehr nötig haben«, antwortete ich rasch, »wenn Sie so weiter trinken, sehen Sie schon mit neunundzwanzig die weißen Mäuse!«

Er wandte sich mit einem Ruck – in den arabischen Gäßchen können selten zwei nebeneinander gehen, so lief er eben voraus. Er lachte strahlend übers ganze Gesicht. »Genau dasselbe hat mir Miß Gladys gesagt. Ich habe das gern, wenn Frauen mir meine Fehler sagen. O ich denke, Sie werden sich fein mit ihr vertragen. »Wissen Sie, jetzt sind es nur mehr elf Tage.«

Ich fragte, warum er denn nicht mit nach Biskra gefahren sei?

Das sei eben der – hier kam ein schlecht verschluckter Fluch – Tante wegen nicht gegangen, der Schwester von Miß Gladys' Vater, bei der sie dort wohnten. Miß Gladys sollte sich nämlich mit einem angeheirateten Vetter verloben, aber das tat sie nicht, verdammt, nein!

»Ist Miß Gladys hübsch?« fragte ich.

»Das ist doch ganz egal. Sie ist das beste Mädchen auf der Welt. Sie ist großartig.« – Kein Mädel von neunzehn in Amerika wäre noch so wie sie gewesen. – »Wissen Sie ..., wir werden heiraten.«

»Jetzt!« staunte ich.

»No!« schnauzte er mich an. »In vier Jahren. Warum lachen Sie?«

»Ich lache gar nicht.«

»Doch, doch! Go on! Warum haben Sie gelacht?«

»O Tobby! Weil es keinen Mann von zwanzig gibt, der vier Jahre lang einem Mädel treu bleibt!«

»Sagen Sie das nicht! Warum sagen Sie das? Ich bleibe treu. Ich bin nicht wie die andern Burschen! Sie werden sehen!«

Tobby hatte sich eingebildet, er wolle die Mederssah, die arabische Schule, sehen, die ich vorhin erwähnt hatte, und so kletterten wir jetzt nochmals diesen entsetzlichen Berg empor. Eine halbblinde, runzelige Araberin saß mitten im Wege und bettelte. Ich war bestrebt, beim Geben des Almosens nicht die zuhaschende Hand zu berühren, die vielleicht soeben die trachomkranken Augen gerieben hatte. Da schob die Alte den Haik aus der Stirn und starrte grinsend zu Tobby auf.

»Dein Sohn, Madame?« fragte sie auf Französisch.

»Ja, natürlich!« lachte ich laut.

»Bismillah.« (»Dann bist du glücklich.«)

»Haben Sie gehört? Selbst die Araberinnen bewundern Sie!« sagte ich, etwas atemlos von diesen schrecklichen Stufen. Wenn man eine Weile fortgesehen hatte, schien dieses braunrosige Gesicht noch schöner als früher. »Ja«, machte er. Er rauchte jetzt eine kurze Pfeife, die seinen Mund ein bißchen nach links hinabzog.

»Freut es Sie kein bißchen, wenn Frauen Sie gern sehen?«

»O Teufel!« fluchte er, aber es konnte auch dem Weg gelten.

Er hätte mir eigentlich ein wenig beim Erklettern der wackeligen Stufen helfen können, aber Miß Gladys würde sie wohl leichter erstiegen haben. Die Mederssah lag vor uns, ein moderner Bau, ohne jede Schönheit, genau wie ich sie Tobby beschrieben hatte. Aber wo wir jetzt standen, sahen wir das Meer und die Sichel des frühen Mondes und den Himmel, über dem rosige Abendwolken lagen, und weit draußen die Lichter von Cap Matifou. Und Tobby sagte natürlich, daß Miß Gladys das sehen müsse.

Als wir heimkehrten, stand Herr Maurier im Hofe, fast als habe er uns erwartet. Mich grüßte er kaum, aber er sprach ein wenig Englisch und fragte Tobby, ob er nicht einen Führer wünsche, um Dinge zu sehen – hihi –, die ihm eine Dame in der Kasbah nicht gut zeigen könne. Wenn der Herr heute abend ein arabisches Tanzhaus zu besuchen wünsche ...

Ich war weitergegangen, aber Tobby holte mich sogleich ein.

»Sie denken doch nicht, daß ich mit diesem schmierigen Kerl gehe?« Und er schüttelte mir auf dem Balkon vor seiner Tür sehr nett, wie einem Kameraden, die Hand.

Täuschte ich mich, oder verschwand da wirklich Madame am Ende des Balkons?

Tobby hatte sich mit den zwei Studenten angefreundet, die englisch sprachen, und nach dem Abendessen brachen die drei in bester Laune auf.

»Sie sind doch mit Monsieur Tobby befreundet«, sagte mir Madame. »Meinen Sie, daß diese beiden der richtige Umgang für ihn sind? Sagen Sie ihm doch, Ihrem Amerikaner, daß er nicht soviel trinken soll, er hat Batterien von Flaschen unter seinem Bett stehen!«

»So weit reichen leider meine Machtbefugnisse nicht. Aber vielleicht kann Herr Maurier da helfen. Ich glaube, ich hörte die Herren von einem Abendausflug in die Kasbah sprechen.« Madame lächelte.

Ich lächelte auch. Madame hatte ein neues rotes Kleid an und rote Korallenohrgehänge – ein wenig zu lebhaft für ihre Jahre. Was würde sie wohl sagen, wenn Miß Gladys mit ihrem Vater drüben auf Nummer 17 einzog?

Tobby war glänzend gelaunt, seit er mit den Studenten allabendlich in die »Alhambra« ging und trank und tanzte. Ich erwachte jedesmal, weil er beim Heimkommen solchen Lärm machte. Das heißt, ich erwartete es, von diesem Lärm aus dem besten Schlaf geschreckt zu werden, und konnte gar nicht einschlafen.

»Jetzt sind es nur mehr acht Tage«, zählte er strahlend, als wir eines Morgens im Jardin d'Essay spazierengingen. »Ich habe schon gemietet. Morgen ziehen die ekelhaften Leute von Nummer siebzehn aus.«

»Miß Gladys wird sich weniger freuen als Sie!«

»Warum?« staunte er.

»Weil Sie miserabel aussehen. Schmal und blaß und verkatert.«

Er zerriß ein herabgefallenes Bambusblatt. Es war braun und völlig trocken und sah wie edelstes Furnierholz aus. »Ich kann so schlecht warten«, schmollte er.

»Wenn ich Ihre Mutter wäre, dann würde ich Sie erst einmal ordentlich durchklopfen.«

Sein Gesicht war so böse, daß es beinahe nicht mehr schön war. »Meine Mutter hatte niemals viel Zeit mit mir verloren ... Ich möchte wissen, ob ich da hinauf kann!« Und im nächsten Moment sahen drei Gartenarbeiter, mit Hüten rund wie Regenschirme, und ich zu, wie Tobby an einer Kokospalme hinaufturnte. Abends zwinkerte er mir zu und rümpfte wie ein ungehorsamer Bub grimassierend die Nase, als er mit seinen Kumpanen loszog. Ich las lange. Ein paarmal schien es mir, als schliche jemand draußen auf dem Gang umher. Mein Mann ging einmal sogar hinaus. Aber es war wohl nichts.

Gegen drei Uhr – das Stück Himmel zwischen den offenen Balkontüren schimmerte schon grau – hörte ich Gelächter im Hof. Das war Tobby. Er bemühte sich, die Außentreppe hinauf zu gelangen.

»Der ist wieder stockbesoffen«, sagte mein Mann, der natürlich erwacht war. »Er wird sich noch auf der Treppe den Hals brechen. Es ist eine Schande mit dem Buben!«

Im Nebenzimmer rumpelte es, und dann gab's Scherben.

»Ich geh hinüber! Ich muß ihm helfen«, sagte mein Mann und zog eilig die Pantoffeln an.

Er war eben bei der Balkontür, als wir beide Tobbys Stimme hörten.

»Sie?« rief Tobby. »Gehn Sie aus meinem Zimmer!« Und dann eine Frauenstimme, die ich kannte, eine verrückte Stimme, die flehte ...

»Donnerwetter«, murmelte mein Mann. Ich zog die Decke über den Kopf. Plötzlich rüttelte mein Mann meinen Arm. »Wenn das nur gut ausgeht«, murmelte er. »Der Alte steht unten und schaut herauf ...«

Als das ältliche spitze Stubenmädchen das Frühstück brachte, lag da ein Strauß von Teerosen auf dem Tablett.

»Für Madame. Madame Maurier hat sie vom Markt mitgebracht, weil sie so hübsch waren.«

»Habe nur ich Blumen bekommen?«

»O nein, auch die Frau Gräfin und die Dame von Nummer siebzehn, die heute wegfährt.«

»Soso.«

Drunten lief Madame auf hohen Stöckelschuhen umher, rief »Abd-el-Kader!«, rief: »Salem!« und sang und lachte.

Tobby und ich hatten heute nach Maison Carré fahren sollen, um den berühmten arabischen Wochenmarkt zu sehen.

Kein Tobby.

Zu Mittag, als ich zum erstenmal seit neun Tagen allein von einem recht wenig unterhaltlichen Spaziergang heimkam – kein Tobby.

Am Abend saß er da.

Eine von Mädchenhändlern verschleppte Jungfrau kann nicht hartnäckiger die Lider niederschlagen – Lider mit dichten, goldbraunen, aufwärts gebogenen Wimpern. Mein Mann rief ein nettes Wort hinüber. Tobby antwortete kaum. Die Linke in der Hosentasche, schaukelte er ungezogen auf den Hinterbeinen des Stuhles und wartete auf den nächsten Gang.

Madame kam in den Speisesaal; heute war ihr Kleidchen geradezu neckisch: ärmellos, tief dekolletiert, nur mehr knielang.

Grausam, diese Natur, die die Kraft zu begehren soviel länger wirken läßt als die Kraft zu gefallen, dachte ich.

Madame kam zu Tobbys Tisch, sie machte das sehr geschickt. Dann sagte sie laut etwas von dem herrlichen Wetter heute. Das sei kein herrliches Wetter, sagte Tobby, ohne aufzusehen, schaukelnd. In Amerika sei herrliches Wetter. Hier sei ekliges Wetter.

Madame flötete weiter. Wo Monsieur Tobby denn den ganzen Tag geblieben sei?

Jetzt hob Tobby den Blick.

»In Maison Carré«, sagte er frech. – So, so, dachte ich.

»Natürlich ohne Überzieher, im offenen Autobus«, schmollte Madame. »Man muß wirklich auf Sie aufpassen wie auf ein Baby ...«

»O Teufel!« machte Tobby und sprang auf. Der Sessel fiel. Er ließ seine Süßspeise stehen, den Sessel liegen, seinen Hut hängen und ging fort.

Ausgezeichnet! Mit mir fortzugehen, würde Tobby keine Gelegenheit mehr haben.

Fünf Minuten später kam Salem mit einem Telegramm für Tobby herein, und mein Mann hieß ihn, es auf Tobbys Zimmer zu bringen.

Am andern Tag gab es herrliches Wetter, diesmal konnte es auch »bei uns in Amerika« nicht schöner sein. Aber ich hatte beschlossen, daheim zu bleiben und meine lang vernachlässigte Arbeit zu vollenden. Ich hatte kaum zu schreiben begonnen, da klopfte es an den Holzladen der Balkontür.

»Kann ich Sie sprechen?« fragte Tobby sehr still.

»Ich arbeite«, sagte ich nicht sehr freundlich.

»Oh, bitte, bitte, kommen Sie mit mir!«

»Wohin denn, um Himmels willen?«

»Oh, kommen Sie, kommen Sie! Fort. Irgendwohin – aus diesem Haus heraus!« murmelte er. Ich nahm schweigend Hut und Mantel. Tobby ging neben mir, ohne aufzusehen. Auch als Herr Maurier von der Garage her uns grüßte, dankte er nicht. Er hatte etwas von einem Besessenen. Und er sah hohlwangig, elend und gar nicht mehr strahlend aus, ich empfand einen Zorn, als habe er mir etwas gestohlen. Er pfiff einem Taxi, und wir fuhren den ganzen Weg zum Jardin d'Essay, ohne ein Wort zu sprechen. Er saß da und ließ seine Fingergelenke knacken. Und machte mich damit maßlos nervös. Endlich hielten wir vor dem »oberen Tor« und betraten die Treppe, die zum Park hinabführt. Vor uns lag das ganze Blumenparterre mit den Teichen, in denen die Frösche so nett knarrten, in denen Papyrusstauden und Lotusblüten wuchsen. Die Palmen waren so schön, das Meer, das wie ein Bühnenrundprospekt, mit weißen Segeln gefleckt, dahinter lag, war so blau, die Natur so herrlich und die Menschen so unglücklich.

Ich entsann mich dessen, daß ein Freund mir Puschkin zitiert hatte, der von der ewig gleichmütigen Natur spricht: »Rawnaduschnaja natura ...«

Tobby tat, auf der Treppenterrasse neben mir stehend, einen zitternden Atemzug und sagte, ohne mich anzusehen und ohne das gewohnte »Miß« vor ihren Namen zu setzen: »Gladys kommt morgen.« –

»Na, Sie scheinen ja darüber nicht allzu erfreut zu sein!« bemerkte ich. Er hörte mich gar nicht. Er hatte die braune Hand vor die Stirn gelegt und schüttelte den Kopf.

»An allem ist nur diese verdammte alte Hexe schuld!« knirschte er.

»Hören Sie«, sagte ich, und dann sagte ich noch einiges andere. Ich ließ ihn unumwunden wissen, daß ich die Gesetzgeber nicht verstünde, die Trunkenheit als Milderungsgrund für Verbrecher ansähen.

»Wenn ich Richter wäre«, sagte ich, »dann würde ich den Kutscher, der im Rausch sein Pferd lahmprügelt, doppelt strafen – erstens für Tierquälerei und zweitens für Verlust des eigenen Besinnungsvermögens!«

Er sah mich an, und ich glaube, er war nahe am Weinen.

»Was soll ich jetzt tun?« sagte er. »Ich will ja die Alte nicht kränken! ... Aber sie denkt, das wird jetzt so weitergehn! O Teufel! ... Und ich habe ja für Gladys und den Vater schon Nummer siebzehn gemietet. Verstehen Sie doch ..., ich kann Gladys nicht herbringen...« Die langen Wimpern sanken über die Augen, der junge Mund murmelte: »Zwischen mir und Gladys ..., Sie verstehen! ...«

»Ich weiß«, sagte ich.

Und die Lider flogen auf, und die blauen Augen blitzten. »Gladys ..., oh ..., sie ist das feinste Mädel der Welt, Sie können sich nicht denken, wie glücklich wir waren.«

Jetzt war er schön wie je.

»Ich kann es mir denken«, sagte ich. »Und Sie werden wieder ganz genau so glücklich sein und alles vergessen. Nur wenn Sie den Rat einer ... einer alten Freundin hören wollen, dann, bitte, beichten Sie Miß Gladys niemals und nichts. Denn eine Frau verzeiht, aber sie vergißt nicht ...«

»Oh«, sagte er, sie hat mich zwar versprechen lassen, aber fragen würde sie nie. Sie ist das feinste Mädel der Welt ...«

»Ja«, sagte ich. »Mit neunzehn zweifelt man auch noch nicht, weder an sich noch an andern ...«

Und dann ging ich mit ihm, und wir bestellten die Zimmer im »Oriental« für Gladys, ihren Vater und Tobby ...

Und als wir heimkehrten, ging Tobby zu Herrn Maurier in die Küche und kündigte und verlangte die Rechnung.

»Ja, aber die Angabe für Nummer siebzehn verfällt«, sagte Herr Maurier schnell.

»Well!« sagte Tobby. »Und empfehlen Sie mich, bitte, Madame.« Wir gingen hinauf. Ich hörte nebenan das Grammophon seinen Rag-time donnern, als Tobby packte.

Es klopfte.

»Entrez!« sagte ich. Ich lag im Dunkeln. Das spitze Stubenmädchen bat, ich solle zu Madame hinunterkommen. Ach, was würde es nun geben?

Ich trat in dieses weiße Schlafzimmer mit den gespenstischen Puppen.

Die Frau fuhr von dem rüschenbedeckten Bett auf, auf dem sie geschluchzt hatte. Ihr Haar hing in Strähnen, sie versuchte mit dem zusammengeknüllten Taschentuch ihre Augen zu betupfen, aber sie verschmierte die Schwärze noch mehr, es sah kläglich aus.

»Was sagt er? Was hat er Ihnen gesagt?« schluchzte sie, auf dem Bette kniend, und umkrallte meinen Arm. »Er kann doch nicht deshalb fortziehen? Ja, was habe ich ihm denn getan? Er kann mich doch nicht so zurücklassen? Mein Gott! Ich habe ihm doch gesagt, wie ich gelebt habe! Andre Frauen, was treiben die, und die Männer hängen an ihnen! Und ich ... Mein Gott, er kann mich doch nicht so verlassen, was hab' ich ihm denn getan? Er kann doch nicht so fortgehen! Missou hat er Adieu gesagt und ihr Kuchen gegeben, Missou! Und ich? Was hat er Ihnen über mich gesagt? Er kann nichts andres gesagt haben, als daß ich ihn gern habe, mein Gott, ist das ein Verbrechen? Was hab' ich denn getan? Sie können mir ruhig alles erzählen, ich habe schon so viel ertragen. Sie wissen ja nicht ..., es weiß ja kein Mensch ...«

Und die Frau mit dem verzerrten Gesicht, über das Tränen und schwarze Schminke rannen, packte die große Babypuppe und schmetterte sie auf die Kachelfliesen, aber sie zerbrach nicht, nur die Perücke fiel ab, und man sah in dem hohlen Porzellanschädel das klappernde Bleigewicht hinter den Glasaugen ...

Ich blieb zwei Stunden bei Madame, und dann gelang es mir, sie das Schlafmittel nehmen zu lassen. Ich saß bei ihr, bis es wirkte, und ich wußte, jetzt würde Tobby davongehen, und sie würde ihn nie wiedersehen.

Ich schlich die innere Treppe zu meinem Zimmer hinauf.

Als ich die Tür öffnete, erschrak ich. Da stand ein Mann im Dunkeln.

»Ich bin es, Maurier«, sagte er.

»Was wollen Sie, was lauern Sie mir auf?« herrschte ich ihn an, während ich das Licht aufdrehte.

Als es licht ward, verflog mein Zorn vor seinem Gesicht, diesem fahlen, verzerrten, armseligen Gesicht von damals, als sich sieben Herren einen Scherz mit ihm gemacht hatten.

Er sprach ganz leise.

»Sie will von mir fort«, sagte er. – »Zwölf Jahre sind wir verheiratet, und jetzt sagt sie, daß sie fort will. – Sie ist sehr aufgeregt, und ich darf nichts sagen, weil ich sie nervös mache. Sie sagt, mein Gesicht macht sie so nervös. – Und da wollte ich Sie bitten ..., ich weiß ja nicht ..., wenn Sie ihr vielleicht sagen wollten ...«

»Madame hat ein Schlafmittel genommen und wird nicht vor morgen früh erwachen«, unterbrach ich.

»Das macht nichts. Aber wenn Sie ihm sagen wollten ..., wenn der junge Mann sich vielleicht schämt, weil er kein Geld hat ..., das macht doch nichts! Ich sage gar nichts dagegen, daß er hier wohnt, so lange sie wollen ... Ich weiß ja nicht! Oder ..., oder ...«, sagte er, und der Adamsapfel unter dem grauen zerpflückten Bart stieg und senkte sich, »wenn sie wirklich gehen will ..., dann gehe lieber ich. Ich kann überall in Marokko als Küchenchef unterkommen. – Bitte, sagen Sie ihr, daß seit acht Jahren ohnehin alles auf ihren Namen umgeschrieben ist, das müssen Sie ihr sagen, das hat sie nämlich nicht gewußt! Alles – jeder Sou, wozu hätte ich sonst gespart und gearbeitet ... Das Geld und die Villa und das Haus in Laghouat. – Es wäre dann genau so, als ob ich heute wirklich gestorben wäre ..., ja, bitte sagen Sie ihr das. Und die Hunde kann sie schließlich auch behalten ..., die hat sie immer lieb gehabt, wenn sie mich auch gehaßt und meinen Tod gewollt hat ...«

»Das dürfen Sie doch nicht sagen, Herr Maurier«, sagte ich ...

»Doch. Seit heute weiß ich es. – Ein Koch bekommt eben mit der Zeit eine zu feine Zunge, da spürt man beim ersten Schluck alles ...«

»Monsieur Maurier!« rief ich entsetzt.

»Doch, doch. Aber das macht ja gar nichts. Es hat ja immer schon alles ihr gehört. Bitte, vergessen Sie nicht, es ihr zu sagen. Und auch wegen der Hunde. Gute Nacht, Madame.«

Ich knipste das Licht aus, als er fort ging. Wo ich stand, konnte ich den Sternenhimmel sehn – es war, als hätte der strahlendste Stern sich in den Wipfeln der Palme verfangen. Ich sah die Lichter der Stadt, den Hafen und das gleichmütige Meer.

Drunten fuhr Tobbys Taxi vor.

Moricaud tanzte, bellte und sprang.

Es klopfte an die Balkontür, sechs Schritte von mir, Tobby rief. Er rief mich dreimal mit einer erlösten und glücklichen Stimme. Ich stand da und rührte mich nicht.


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