Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fanfare in Algier

Den ganzen Tag ist es heiß gewesen – höllisch, untragbar heiß. Wenn ich im Schatten grauer, staubbedeckter Palmen dahinschlich, so meinte ich vor Durst zu vergehen. Wenn ich auf einen der breiten, unbeschatteten Plätze hinaustrat, sprach ich heimlich ein Stoßgebet und blinzelte aus meinen grünen Brillengläsern mißtrauisch zu dieser furchtbaren Sonne empor, die wie ein großer, goldener Vogel Rock, auf Beute lauernd, über mir schwebte.

Man sagt mir, daß es nur darum so schlimm sei, weil just seit dem Tag unserer Ankunft – seit jenem Tag, an dem der »Timgad« rauschend in die halbmondförmige Bai von Algier einfuhr – der Schirokko herrscht. Ich muß lächeln, wenn ich denke, was ich für Begriffe mitgebracht hatte. Wirklich, ich dachte, der Schirokko sei ein Wind, der wehe, und weiß doch jetzt, daß er nichts anderes ist als der lastende Steindeckel auf dem weißen Sarkophag dieser Stadt. Wenn er drei Tage geherrscht hat, dann – hinter ihm – kommt der Erlöser: Regen. Aber es kann auch sechs Tage dauern oder neun. Neun Tage ohne Luft, neun Nächte ohne Schlaf auf der Matratze des Bettes, in einem Zimmer, in dem Insekten surren. Und ich habe mir Algier wie einen Traum aus Tausendundeiner Nacht gedacht, weiß gebettet zwischen dem Blau und Grün des Meeres und der Gärten, mit flachen Dächern, überkuppelt von Moscheen. Aber es ist nichts als eine Großstadt, unter der der Teufel just seinen Kessel heizt, mit Straßen von achtstöckigen Häusern und Hunderten von Autogaragen.

Man sagt mir, daß ich sie zu früh besucht hätte, diese Stadt, die, wie eine Frau bei der Toilette überrascht, noch nicht Zeit gefunden habe, ihren Schmuck anzulegen. – Man sagt mir, daß im November diese lehmfarbenen Wüsten sich zu bunten Gärten wandeln werden; man sagt, daß Algier eine wundervolle Stadt sei, und ich glaube es, des Abends, nur des Abends, wenn ich am Hafen entlanggehe und die Lichter fremder Schiffe draußen im Meer wie an einem zweiten, nur dichter bestirnten Himmel glänzen. Denn nun erst kommen die wenigen Stunden, in denen man nicht die Strafen eines Bagnosklaven abzubüßen vermeint, wenn man die weiten Straßenzüge durchwandert. Während des glühenden Tages siedender Geschäftigkeit voll, scheinen sie nun sonderbar verlassen, und die wenigen uns Begegnenden hüllen sich in Mäntel, als fröstle es sie bei diesem kühlen Hauch vom Meere her, den wir als Belebung empfinden. Einzig in den Kaffeehäusern, diesen Kaffeehäusern ohne Zeitung, ohne Musik, ohne Rendezvous, sitzen gelangweilte Ehepaare vor ihrer »Napolitaine«, einem sengend kalten Eis, das den Gaumen für Minuten unempfindlich läßt, wie Lokalanästhesie. Männer, an den Bartisch gelehnt, leeren giftfarbige, eisgekühlte Drinks, Gin, Whisky, Anisette. Keine Frau, die zu irgend einer Stunde allein in einem Kaffeehaus säße. Keine Frau, die abends allein über die Straße ginge, ohne hiedurch ihren Beruf zu dokumentieren. Und so viele Araberinnen ich auch des Tages gesehen, in ihre Leinentücher eingehüllt, ruhig in der Trambahn neben europäischen Männern sitzend, arm zumeist, barfuß, die staubigen Schuhe in der Hand, blaue Kastenzeichen am Unterarm und an der niederen Stirn – zu dieser Stunde sind sie völlig aus dem Straßenbild verschwunden. Wundervoll ist die Nacht, durch die wir gehen unter Palmen, die trocken rauschen, unter flimmernden Sternen. Diesmal, wahrhaftig, ist es ein Traum aus Tausendundeiner Nacht, es ist die kupferne Stadt, die wir durchschreiten, die verwunschene Stadt, in der man keinem Lebenden begegnet.

Aber gerade, da ich dies denke, sind wir um die Ecke gebogen, und ein riesiger Platz liegt vor uns, überstrahlt von hohen Lichtern, und dahinter, schimmernd weiß gegen die Nacht gezeichnet, eine Moschee. Es ist, als träfen wir hier das lebenpulsende Herz dieser schlafenden Stadt, da ist Gewoge und Gewühl, Drängen von Menschen, jählings sind sie da, viele, viele Menschen, zu einem weiten Kreis gereiht, dessen Mittelpunkt wir noch nicht erspähen können. Wir fragen, und mit der freien Höflichkeit dieses Volkes wird uns Bescheid. Es gibt Musik zu hören auf diesem Platz, und deshalb sind sie hier, alle diese kleinen Bürger im Strohhut und weißen Beinkleid, die Geschäftsfrauen in ihren Fähnchen, die Lippen allzu rot geschminkt, um zu verbergen, wie bleichsüchtig, blaß sie sind, und vielleicht auch, wie bitter der Zug um die Mundwinkel. Und Arbeiterinnen sind gekommen, sie sitzen auf Holzsesseln, ihr Kind auf dem Schoß, das abwechselnd schläft und greint. Eines dieser armen, dünnbeinigen, durchscheinenden Geschöpfe, die so sehr leiden unter dieser Sonne und deren Name der Öffentlichkeit nur bekannt wird, wenn »L'Algerie« ihn in ihren Spalten nennt unter »Decès du ... Maurice Girard 9 mois, Geraldine Marti 3 ans ...« Und Araber sind hier überall, zerlumpt wie das Elend selbst, häßlich und schmutzig, von fast negerhaftem Typus. Und andere in fleckenlos weißer Tracht, grün-bräunlichen Gesichtes, mit den zarten Frauenhänden der Abkömmlinge alter Geschlechter. Und kleine Stiefelputzerjungen, die mitten im Gedränge mit schwarzen Augen nach Kunden ausspähen, ihre Kästchen am Riemen schlenkernd, und die »Chass-D'Af«, wie man sie nennt, französische Soldaten mit Fez und breiter, blutroter Leibbinde.

Und nun ist es neun Uhr, und die Musik beginnt sogleich. Man hat uns freundlich einen Platz eingeräumt, und jetzt sehe ich die Spielleute, die solche Menge anlockten und die auf diesen von Palmen umsäumten, von der Moschee begrenzten Platz gehören wie das Ungeheuer zum Märchen. Sie scheinen mir riesenhaft und hundertfach häßlich. Ihre Gesichter sind wie aus der Nacht herausgerissen, die uns umgibt, schwärzer als schwarz, mit weißspielenden Augenwinkeln. Sie tragen roten Fez, von dem oben ein Röllchen absteht wie der Stiel eines purpurnen Apfels. Ihre niedern, runden Stirnen sind mit den tiefen Schnittnarben ihrer Kastenzeichen bedeckt, und wenn sie lächeln, so mahnen ihre weißen Zähne an den Biß. Sie sind mit Trommeln umgürtet, neun, zehn Trommeln. Und die elfte, »la grosse caisse«, trägt einer, der größer ist als alle andern. Und Hörner haben sie, goldblank gewundene Hörner, sie halten sie in den Händen, die aussehen, als wären sie nur schlecht geschminkt, denn sie werden heller an den Fingerspitzen. Sie reißen die Instrumente mit einem einzigen Ruck an den Mund, die Brust fast gesprengt vom Übermaß des Atems, und nun, hinter dem jähen Aufblitzen der Hörner, hallt auch der Donnerschlag der Trommeln.

»Es ist keine Musik, es ist eine Fanfare«, sagt mein Nachbar, ein Uhrmacher, dessen Augen rot sind vom vielen Schauen durchs scharfe Glas. Und die Fanfare dröhnt über den weiten Platz, zerteilt, zerschlagen von dem vibrierenden Takt der Trommeln. Keine Kapelle der ganzen Welt hat den Rhythmus so im Blut wie diese riesigen Teufel, die mit der Präzision von Salven den Trommelschlag ertönen lassen. Der Rhythmus, einförmig und wild, stolz und kriegerisch zugleich, scheint den Schlag meiner Pulse in seinen Takt zu zwingen. Es ist, als würde die blitzende Windung der Hörner zu einem Strom von Feuer, ausgeatmet von fremdzauberischer Gewalt, zu Flammen, die in einem Regen niedersprühen. – Und wie ein Pochen an das Tor der Nacht, hinter dem alle Schrecken lauern, dröhnen und rufen die Trommeln...

Ach, wie schade – ich habe plötzlich den Kapellmeister erspäht, diesen kleinen, blassen Franzosen, der in ihrer Mitte steht wie der Dompteur unter gezähmten Bestien und hin- und hergewendet ihnen das Zeichen gibt, diesen hochbrüstigen, dunklen Riesen, deren jeder ihn wie einen Sperling zu erdrücken vermöchte. Aber sie gehorchen zahm und stehen habtacht. Sie sind ja nichts anderes als das Musikkorps des 13. Senegaljäger-Regiments, das jeden Donnerstagabend von neun bis zehn auf der Place du Gouvernement konzertiert, zwischen den Palmen und der großen Moschee – eine Fanfare fremder Instrumente in dieser fremden Stadt Algier.


 << zurück weiter >>