Paul de Kock
Edmund und seine Cousine
Paul de Kock

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VIII. Ehestand

Man sah Edmund nicht mehr im Hause des Herrn Pause. Pelagie und ihr Onkel erstaunten darob; sie begriffen Edmunds Betragen nicht. Aber wenn Pelagie ihn anklagte, wenn sie rückhaltslos ihr Urtheil über seine Gleichgültigkeit, sein schnödes Verlassen Constanzens äußerte, so übernahm Diese seine Vertheidigung.

Obwohl leidend, obwohl sehr verändert, seit jener Begegnung am Wasserschloß, verheimlichte Constanze doch ihre Schmerzen; sie suchte ihren Kummer in ihrem Busen zu verschließen und sprach nie den Namen ihres Vetters aus.

Wenn Pelagie ihn anklagte, was fast jeden Abend geschah, wenn die Stunden fortrückten, ohne daß Edmund erschien, so antwortete seine Cousine mit ruhiger Miene: »Wenn mein Vetter uns nicht mehr besucht, so rufen ihn wahrscheinlich Geschäfte oder Vergnügungen anderswohin ... warum forderst Du, daß er hieherkomme, wo er sich langweilt, während er in der Welt tausend Gelegenheiten zur Zerstreuung hat?« – Sich bei uns langweilen? ... Aber sollte sich denn Dein Vetter bei Dir langweilen? ... bei Dir, der er sein Leben, seine Ehre schuldet? ... bei Dir, die ihm stets so gut war? ... bei Dir, die er heirathen soll? ... In der That, Constanze, ich begreife die Ruhe nicht, womit Du das unwürdige Zurückziehen Deines Vetters erträgst. An Deinem Platz ... ha! da würde ich ihm schreiben: ›Mein Herr! Sie sind ein Ungeheuer, ein Elender, ein roher Mensch!‹ ...« – »Ach, Pelagie, glaubst Du denn, auf diese Weise führe man ein Herz zurück, das sich von uns entfernt? ...« – »Nein!« murmelte Ginguet, in einem Buche blätternd; »man muß nie so Etwas schreiben ... das ist sehr unschicklich.« – »Herr Ginguet, ich frage Sie nicht um Ihre Ansicht. Ich wiederhole: Edmund ist ein Undankbarer und führt sich unwürdig gegen seine Cousine auf.« – »Vielleicht klagst Du ihn mit Unrecht an, meine theure Pelagie ... Du weißt nicht, ja Du kannst nicht wissen, aus welchen Beweggründen er so handelt. Mein Vetter ist frei; es würde mir sehr leid thun, wenn er sich als einen Sklaven seiner Dankbarkeit betrachtete, weil ich einmal das Glück hatte, ihm einen Dienst zu leisten. Allerdings wollten unsere Eltern uns vermählen, aber wir haben sie verloren und seitdem hat sich so Vielerlei zugetragen ... Mir scheint, ich müsse alle diese Jugendpläne als einen Traum betrachten, und wahrscheinlich denkt Edmund ebenso.« – »Das ist etwas Anderes! Wenn Du findest, daß Dein Vetter Recht hat, Dich nicht mehr zu besuchen, sich nicht einmal mehr zu erkundigen, ob Du existirst, o! dann habe ich nichts mehr zu sagen, und es wäre Unrecht von mir, ihn anzuklagen.«

Und fortan schwieg Pelagie. Eine Zeit lang redete sie Nichts mehr von Edmund; aber im Herzensgrund fühlte sie ihre Ungeduld, ihren Zorn wachsen; denn sie war überzeugt, daß Constanze den Kummer über ihr Verlassensein nur verheimliche, daß dieser aber doch der Grund sei, warum sie so tiefsinnig, so traurig geworden, warum die Rosenfarbe auf ihren sonst so frischen, so runden Wangen erloschen war, warum diese so blaß, so entsetzlich mager aussahen ...

Pelagie, welche durchaus wissen wollte, wie es sich mit Edmund verhalte, hatte mehrere Male heimlich zu Ginguet gesagt: »Legen Sie sich doch auf Kundschaft, was er thut, was aus ihm wird; fragen Sie ihm nach, gehen Sie in sein Logis und berichten Sie mir, was sie erfahren.«

Herr Gingnet hatte Fräulein Pelagie gehorcht, aber bis dahin Nichts erkundet, als daß Edmund nicht mehr in seinem alten Quartier wohne.

Eines Abends, da die beiden Jungfrauen neben Herrn Pause arbeiteten, den ein kleiner Gichtanfall verhindert hatte, in sein Theater zu gehen, trat Herr Ginguet mit ganz entstellten Zügen und heraushängenden Augen ein. So sichtbar war seine Verwirrung, daß der gute Herr Pause, welcher in der Regel nichts bemerkte, zuerst sagte: »Mein lieber Freund, haben Sie unterwegs gleichfalls einen Anfall von Zipperlein bekommen?« – Nein, mein Herr, nein ... O, aber ich möchte lieber das Zipperlein haben! ... ich möchte lieber ich weiß nicht was haben! ...« – »Sind Sie Ihrer Anstellung beraubt worden?« fragte ihn Constanze.

»Nein, mein Fräulein, im Gegentheil habe ich Hoffnung, bald Zulage zu erhalten ... auf zwölfhundert Franken gesetzt zu werden ... meine Chefs sind sehr zufrieden mit mir.« – »Warum sehen Sie denn so verstört aus?« fragte Pelagie, ohne die Zeichen zu bemerken, die ihr Ginguet hinter dem Rücken Constanzens machte.

»Ach, weil ich eben eine Neuigkeit erfahren habe ... etwas so Abscheuliches, Unwürdiges! Nach Dem, was er mir sonst sagte, hätte ich ihn nimmermehr einer solchen Handlung fähig gehalten ... Im Uebrigen muß es Fräulein Constanze doch einmal erfahren.«

»Ich!« sagte Constanze, ihre Augen nach dem jungen Angestellten aufschlagend, während Pelagie, welche zu ahnen begann, wovon es sich handle, Ginguet zu schweigen winkte. Aber Dieser war außer sich vor Erbitterung und konnte nicht mehr an sich halten; er rannte im Zimmer auf und ab und schlug mit der Faust auf alle Möbeln, indem er wiederholte: »Ja, es ist abscheulich ... ist ein eines Ehrenmannes unwürdiges Benehmen ... entweder hat man Verbindlichkeit oder hat keine ... im erstern Fall muß man sie respektiren. Man muß nicht mit der Liebe seinen Scherz treiben ... ich kenne nichts Heiligeres als die Liebe; daher findet man mich einfältig; doch einerlei, ich will lieber einfältig und gutherzig sein ...« – »Mein lieber Freund,« sagte Herr Pause, »es sind sehr schöne Ideen in Dem, was Sie da vorbringen. Aber damit erfahren wir nichts Neues, und Constanze ist, wie wir, ungeduldig, Näheres von Ihnen zu hören.« – »Wohlan denn, Herr Pause, es muß heraus! ... Ich habe diesen Abend erfahren, daß der Vetter des Fräuleins sich mit Fräulein Clodora Bringuesingue verheirathet hat.« – »Verheirathet!« riefen Pelagie und ihr Onkel in einem Athem aus.

Constanze blieb lautlos; sie ließ nur ihr Haupt auf ihre Brust sinken.

»Das ist unmöglich, Herr Ginguet,« nahm gleich darauf Pelagie das Wort; »man hat Sie getäuscht, sich über Sie lustig gemacht.« – »Nein, mein Fräulein, man hat sich nicht über mich lustig gemacht; es ist nur zu wahr. Als man mir's sagte, wollte ich mich, wie Sie wohl denken können, selbst überzeugen: ich ging auf Kundschaft in das Haus, wo Herr Edmund jetzt wohnt ... denn er ist jetzt bei seinen Schwiegereltern eingezogen ... und in der That seit vier Wochen Gemahl von Fräulein Bringuesingue.« – »Ha! das ist ehrlos, sich so aufzuführen,« rief Pelagie. »Constanze, meine arme Constanze! Dich zu verlassen! ... Wie, Du sagst noch immer nichts? ... Du verfluchst ihn nicht? ... Ha! Du bist zu gut ... hundertmal zu gut. Diese Männer ... Ja, liebet sie nur, diese Krokodile ... O! aber ich ... ich will Dich niemals verlassen, vernachlässigen; ich werde Dich trösten, werde mich niemals verheirathen, um mich nicht von Dir zu trennen, um Dir Alles zu ersetzen.«

So redend umarmte und küßte Pelagie Constanzen; sie weinte, sie drückte sie in ihre Arme, und Diese, welche ihre Thränen lange zurückgehalten hatte, war ihrer Freundin an den Busen gesunken und fühlte sich ein wenig erleichtert, indem sie ihrem Schmerz freien Lauf ließ; denn obwohl sie dieses Ereigniß, das sie selbst eingeleitet, erwartet hatte, besaß Constanze doch die Kraft nicht, ohne Erschütterung zu erfahren, daß das Opfer vollendet, daß ihr Vetter auf immer für sie verloren sei.

Herr Pause sprach nichts, aber er war tief bewegt und fühlte den Schmerz seiner Gicht nicht mehr. Herr Ginguet weinte und murmelte, die Augen wischend, zwischen den Zähnen: »Du lieber Gott! ich ein Krokodil! ... ich, der ich kein Hühnchen beleidige! ... weil sich ein Mann schlecht beträgt, so muß man sie alle in Bausch und Bogen verabscheuen! ist das gerecht und billig? ... aber freilich, Frauenzimmer und Billigkeit! ... und vollends gar zu schwören, daß man sich nie verheirathen wolle ... schöner Trost für einen vielgeprüften Ehestandscandidaten!«

Abermals war es Constanze, welche Alle trösten mußte, sie hatte ihren Schmerz bewältigt und schien resignirt, indem sie sprach: »Aber warum denn mich so beklagen? O, ich versichere euch, daß ich mich schon lange auf Aehnliches gefaßt hielt. Ich habe stets nur einen einzigen Wunsch gehegt: den, daß mein Vetter glücklich werde, und ich hoffe, daß er es mit der Person, die er geheirathet hat, sein wird. Mit mir hätte er vielleicht Reue, Langweile empfunden ... ich konnte ihm nur den Mangel anbieten; soll ich ihm gram sein, daß er den Reichthum vorzog? O nein, ich schwöre euch, daß ich keinen Groll gegen ihn habe; ich bin nicht unglücklich, da ich nie ehrgeizig war und echte Freunde besitze. Aber ich muß euch um eine Gefälligkeit bitten ... daß niemals von meinem Vetter die Rede mehr sei; wahrscheinlich werden wir ihn nie mehr sehen ... Nun gut! ich werde ihn zu vergessen suchen und die Vergangenheit als ein leeres Traumbild betrachten.«

Man versprach Constanzen, ihr zu gehorchen. Jedes bewunderte den Muth, die Ergebung der Jungfrau; aber man theilte ihre Parteilichkeit für Edmund, dessen Betragen unentschuldbar schien, nicht. Der rechtschaffene Pause tadelte, Ginguet verachtete und Pelagie verfluchte ihn.

*

Inzwischen hatte Edmund geheirathet und saß im Schooße der Familie Bringuesingue. In den ersten Tagen hatte er, noch ganz betäubt von dem Vorgegangenen und dem neugeknüpften Bande, seinen Umgebungen wenig Aufmerksamkeit geschenkt; aber nach Beruhigung seiner Geister begann Edmund zu überlegen und die Personen, mit denen er lebte, zu prüfen.

Natürlich mußte die Prüfung bei seiner Frau beginnen. Clodora hatte ein ziemlich hübsches Gesicht, aber eine nichtssagende oder eigentlich gar keine Physiognomie. Von ihrer glänzenden Erziehung war ihr nichts im Kopfe geblieben, daher war ihre Unterhaltung sehr beschränkt. In den ersten Tagen ihrer Verbindung hatte Edmund die mehr als naiven Antworten oder das Verstummen seiner Frau der Schüchternheit zugeschrieben. Aber sechs Wochen nach der Hochzeit muß man doch mit seinem Mann ein wenig zu reden wagen.

Eines Tages, da Edmund mit seiner Gattin allein war, wollte er sie um die Art der Verwendung ihres Vermögens befragen.

»Meine liebe Frau,« sagte er zu ihr, »Dein Vater hat Deine Mitgift zu meiner Verfügung gestellt; sie beträgt ungefähr zweimalhundertfünfzigtausend Franken. Was denkst Du: sollen wir uns mit den Zinsen aus diesem Kapital begnügen oder bist Du der Ansicht, daß wir unser Vermögen vermehren?«

Clodora machte große Augen, sah ihren Mann mit erstaunter Miene an, dann starrte sie auf ihre Zehenspitzen und antwortete: »Du lieber Gott ... ich weiß nicht! ...« – »Aber ich begehre einen Rath von Dir; da es sich um Dein Vermögen handelt, so möchte ich ohne Deinen Rath nichts beginnen ... hast Du Ehrgeiz?« – »Ehrgeiz ... ich weiß nicht ... man hat mir nie davon gesagt.« – »Bist Du zufrieden mit dem, was wir besitzen? Oder hast Du weitere Wünsche? möchtest Du, daß Dein Mann Wechsler, Bankier, Notar werde?« – »O! das ist mir sehr einerlei!«

Edmund stampfte mit dem Fuß vor Aerger und biß sich vor Wuth in die Lippen. Die junge Frau gerieth in Angst, wich zurück und sagte: »Was hast Du denn? Du schneidest Gesichter?« – »Ich habe nichts, Madame, gar nichts!«

Und der junge Mann entfernte sich mit einem schweren Seufzer, indem er zu sich sagte: »Wahrlich, meine Frau ist eine Gans.«

Madame Bringuesingue war entzückt gewesen über Edmunds Heirath mit ihrer Tochter, weil Herr Guerval Contretänze auf dem Piano gut spielte, und wir wissen ja, daß Tanzen die Leidenschaft von Clodora's Mutter war.

Da Edmund ihr Schwiegersohn geworden war und bei den Eltern seiner Frau wohnte, so schmeichelte sich Madame Bringuesingue, daß er ihr den ganzen Tag Contretänze aufspielen und sie vom Frühstück an tanzen werde.

In der That, kaum erschien Edmund Morgens im Salon, als auch Madame Bringuesingue schon zu ihm sagte: »Ah, lieber Sohn, einen kleinen Contretanz für mich und meine Tochter; wir werden uns gegenüberstellen.«

Edmund wagte keine abschlägige Antwort und Madame Bringuesingue stellte sich auf, um mit Clodora »en avant deux« zu tanzen. Indeß spielte er, da er diese Tanzkomödie zwischen Mutter und Tochter in aller Frühe seltsam fand, nicht lange. Aber wenn irgend ein Besuch kam, und man zu Vieren war, lief Madame Bringuesingue Edmund von Neuem nach und führte ihn mit dem Ausruf an's Piano zurück: »Lieber Sohn! eine kleine Quadrille: wir sind zu vier; meine Tochter und ich haben Herren; welche Melodie Sie wollen ... es wird recht hübsch sein.«

Er konnte unmöglich ausweichen; die Schwiegermutter war hartnäckig; sie holte Edmund an der Hand, setzte ihn nieder und er mußte seinen Contretanz spielen, was er oft mit Aerger that, indem er dachte: »Madame Bringuesingue hat mir ihre Tochter gegeben, um immer ein Orchester zu ihrer Verfügung zu haben; aber sie täuscht sich sehr, wenn sie glaubt, ich werde meine Zeit damit zubringen, sie tanzen zu lassen.«

Was Herrn Bringuesingue betrifft, so konnte er den Schwiegersohn keinen Tag entbehren; wenn er in Gesellschaft, zu einem Essen, auf einen Ball ging, so schleppte er Edmund mit; wenn er ein Gastgebot, eine Gesellschaft gab, so mußte Edmund zu Hause und immer in seiner Nähe bleiben; dadurch gewann der alte Senfmacher Selbstvertrauen, Taktfestigkeit; dann wagte er es, sein Wort, seine Ansicht in der Unterhaltung anzubringen, überzeugt, daß er mit Beihülfe seines Schwiegersohns immer sehr gute Einfälle, treffliche Ideen vorbringen müßte.

Aber Edmund fühlte sich bald durch dieses Gebundensein an seinen Schwiegervater gelangweilt. Seit seiner Hochzeit mit Fräulein Bringuesingue genoß er keines freien Augenblickes mehr. Daheim wollten seine Frau und Schwiegermutter ihn immer Contretänze spielen lassen, und wünschte er auszugehen, so verfehlte sein Schwiegervater nicht, ihn auf Weg und Steg zu begleiten.

»In welche Sackgasse habe ich mich verrannt!« dachte Edmund bei sich; »abermals ist es mein böser Genius, der mich in die Familie Bringuesingne warf! Ach! meine Cousine! hätte ich Dich geheirathet, wie glücklich wäre ich geworden ... denn Du bist schön, Du bist sanft und gescheidt ... drei Vorzüge, die man selten vereinigt und bei der Familie Bringuesingue nicht einmal vereinzelt findet! Aber Du liebtest mich nicht mehr ... ein Anderer hatte Dein Herz gewonnen ... Freilich, hätte ich Dich zur rechten Zeit geheirathet, so wäre Der, welcher mir Deine Liebe raubte, nie zwischen uns getreten!«

So verfloß ein Jahr. Im Hause des Herrn Pause war das Leben ruhig und einförmig: Arbeit, Unterhaltung und Lektüre füllten die Stunden aus. Constanze war traurig, aber resignirt, und bisweilen verirrte sich sogar ein Lächeln auf ihre blassen Lippen. Man sprach nie von Edmund, wenigstens nicht in ihrer Gegenwart, und die Jungfrau stellte sich, als ob sie ihn vergessen habe.

Herr Pause beschäftigte sich nur mit seinem Baß, Herr Ginguet mit Pelagie, und diese fuhr fort, den jungen Angestellten, der es endlich zu zwölfhundert Franken gebracht hatte, auf tausendfältige Weise zu quälen.

In der Familie Bringuesingue war man weit entfernt, einer ähnlichen Ruhe zu genießen. Clodora beklagte sich über ihren Gemahl, der böse Launen gegen sie hatte; die Schwiegermutter beklagte sich über den Eidam, der sich oft geweigert hatte, ihr Contretänze zu spielen; der Schwiegervater beklagte sich gleichfalls über Edmund, der ihn in Gesellschaften oft hatte Albernheiten sagen oder machen lassen, ohne sie in geistreiche Züge zu verwandeln.

Edmund war nie in seine Frau verliebt gewesen und empfand nach und nach einen Abscheu vor Herrn und Frau Bringuesingue; um sich von seinem innern Kummer zu zerstreuen, fiel es ihm ein, Spekulationen und Geschäfte zu machen, zwar nicht mehr an der Börse, aber im Kleinhandel mit Realitäten, indem er kaufte, was ihm wohlfeil schien, hoffend, es mit Nutzen wieder anzubringen.

Unglücklicher Weise verstand Edmund eben so wenig von diesen Geschäften wie von der Börsenspekulation. Er kaufte um Baares und verkaufte auf Zieler oder Wechsel; er war entzückt, wenn er mit Vortheil verkauft hatte, aber beim Verfall wurden die Effekten, welche er erhalten hatte, nicht bezahlt, und der Lehrling im Kleinhandel verlor sein Geld und seine Kosten. Dann pflegte er mit schlechter Laune heimzukommen und ließ seine Schwiegermutter barsch abfahren, wenn sie ihn um einen Contretanz bat, oder seinen Schwiegervater, der ihn in eine Abendgesellschaft mitnehmen wollte. Statt Unternehmungen, die ihm nicht gelangen, aufzugeben, beharrte er dabei mit einem Eigensinn, den nur zu viele Leute in Dingen üben, die sie nicht verstehen, und nie begreifen lernen. Der Ehrgeiz kam auch noch in's Spiel, Edmund wollte fortan wenigstens das Verlorene wieder gewinnen: er riskirte starke Summen, ließ sich unbedachtsam in Spekulationen ein, welche ihm abgefeimte Intriguanten vorschlugen, und statt sich wieder auf's Laufende zu bringen, vergeudete er vollends die Mitgift seiner Frau, gleich wahnsinnigen Spielern, die nicht aufhören, bis der letzte Heller aus der Tasche verschwunden ist.

Eines Tages begegnete Edmund auf einem seiner Ausgänge, die er, um nicht mit der Familie Bringuesingue zusammen zu sein, so lang als möglich ausdehnte, dem Herrn Ginguet, der aus seinem Bureau kam. Dieser wendete sich ab, um Constanzens Vetter nicht anzureden; aber Edmund lief auf Ginguet zu, nahm ihn beim Arm und sagte: »Ach, wie lange habe ich Sie nicht gesehen! ... wie viele Dinge sind inzwischen vorgegangen! Es macht mir Freude und Qual, so plötzlich mich mit Ihnen zusammen zu finden. Aber Sie machten Miene, mir zu entfliehen ... warum das?« – »In der That, mein Herr!« sagte Ginguet zögernd, »weil ich, seitdem Sie sich verheirathet ... seitdem Sie Ihre arme Cousine, die Sie so sehr liebte, verlassen haben, mich wenig mehr um Ihre Freundschaft bekümmere.« – »Meine Cousine! ... ei, Herr Ginguet, Sie urtheilen eben wie alle Welt, nach dem Scheine ... Hatte ich Ihnen nicht gesagt, daß ich niemals die mir angetragene Verbindung annehmen würde ... daß ich mich als Constanzens Verlobten betrachte?« – »Just darum, weil Sie mir das gesagt und das Gegentheil davon gethan haben.« – »Wenn nun aber meine Cousine zuerst ihr Wort gebrochen, wenn sie mir erklärt hat: ›Sie sind frei, denn schon lange liebe ich Sie nicht mehr?‹ Und das mein Herr, hat sie mir gesagt ... aber ich hätte es ihr nicht geglaubt, wenn nicht anderweitige Umstände mir bewiesen hätten, daß sie mich hintergehe; ich habe sie eines Abends bei einem Stelldichein betroffen ...« – »Fräulein Constanze?« – »Ja, mein Herr, ja, Constanze ... und überwiesen durch meine Gegenwart hat sie eine weitere Verstellung für unnöthig erachtet. Das ist die Wahrheit, mein Herr! Da ich von meiner Cousine nicht mehr geliebt wurde, habe ich mich aus Aerger, aus Zorn verheirathet ... und ich fühle jetzt wohl, daß solche Verbindungen kein Glück bringen. Sie sehen, Herr Ginguet, daß ich meinen Verpflichtungen nicht untreu geworden bin ... Adieu! Sie sind glücklicher als ich, denn Sie besuchen ohne Zweifel meine Cousine; ich aber fühle wohl, daß ich trotz ihrer Verfehlungen gegen mich sie gar zu gerne wiedersehen mochte ... Man kann sich wenigstens mit ihr unterhalten ... sie antwortet Einem nicht immer: ›Ich weiß nicht!‹ oder: ›Es ist mir einerlei!‹ Doch hinweg mit diesen Gedanken! wir sind ja für immer geschieden ...«

Als Edmund so redete, standen ihm beinahe Thränen im Auge; um seine Rührung zu verbergen, drückte er Ginguet die Hand und entfernte sich schnell. Der junge Finanzmann war erstaunt über das Gehörte stehen geblieben, und da sein Gesicht immer der Spiegel seiner Seele war, so merkte Pelagie sogleich, als er sich Abends in's Haus des Herrn Pause begab, daß ihm etwas Neues begegnet sein müsse. Der junge Mann schwieg vor Constanze, machte Pelagien Zeichen mit den Augen, welche diese nicht verstand, weßhalb sie nur um so neugieriger wurde. Constanze bemerkte ein paar Mal diese Augensprache, denn auch sie war durch Ginguets Verwirrung betroffen worden. Ahnend, daß er sich nicht in ihrem Beisein erklären wolle, stellte sie sich, als müsse sie eine Stickerei aus ihrem Zimmer holen und ließ Ginguet mit Pelagien allein; schleunigst fragte ihn diese, was er Neues wisse, das Constanze nicht hören dürfe. »Was ich weiß?« sagte Ginguet, die Augen zum Himmel aufhebend; »ach, Fräulein! ... Dinge, worüber ich vor Erstaunen nicht zu mir selbst komme! Mein Gott! wer hätte das vermuthet ... eine so gut erzogene Jungfrau!« – »Aber ich bitte, erklären Sie sich deutlicher.«

Nachdem er noch einmal zum Himmel aufgeschaut und die Hände zusammengeschlagen hatte, entschloß sich Ginguet, Pelagien seine Unterhaltung mit Edmund zu berichten.

Je weiter der junge Mann sprach, desto bewegter wurde Pelagie; kaum konnte sie sich halten, dennoch hörte sie aufmerksam zu, um kein Wort zu verlieren; aber die Röthe ihrer Wangen, das Feuer ihrer Augen, ihr unterdrückter Athem bewiesen die ganze Entrüstung, von der sie beseelt war.

»Welche Abscheulichkeit!« brach Pelagie aus, als Ginguet mit seiner Erzählung fertig war, »welche himmelschreiende Verleumdung! ... Also nicht zufrieden, diejenige, welche Alles für ihn geopfert hat, feige zu verlassen, muß er sie auch noch entehren, noch in den Augen der Welt an den Pranger stellen! Constanze, meine gute, meine sanfte Constanze, das Vorbild aller Tugenden, deren Herz stets nur edle und großmüthige Gefühle hegte ... Constanze wagt man anzuklagen? Und Sie, mein Herr, Sie konnten so scheußliche Verleumdungen mit kaltem Blute anhören? ... Sie haben meine Freundin nicht vertheidigt ... den Elenden nicht Lügen gestraft?«

Ginguet zitterte am ganzen Leibe wie Espenlaub, denn in solchem Zorn hatte er Pelagie noch nie gesehen; er stammelte bebend: »Mein Fräulein! ... ich konnte nicht ... ich wußte nicht ...« – »Sie konnten Constanze, meine theuerste Freundin, nicht vertheidigen? ... Sie sind ein Mann und lassen eine Dame beschimpfen? ... Hören Sie, Herr Ginguet, ich habe Ihnen nur noch Eines zu sagen: Sie behaupten, mich zu lieben, Sie begehren mein Mann zu werden ...« – »Ach! das wäre meine höchste Seligkeit!« – »Nun wohl! suchen Sie Constanzens Vetter auf, fordern Sie von ihm, daß er die Verleumdungen, welche er über seine Base aussagte, zurücknehme, daß er sie zurücknehme in einem Schreiben, welches Sie mir bringen werden, oder zwingen Sie ihn, sich mit Ihnen zu schlagen und bringen Sie ihn um, zur Strafe für seine unwürdigen Lügen! Sie verstehen mich, mein Herr! kommen Sie mit Edmunds Widerruf oder nachdem Sie ihn durchstochen zurück ... und ich sage Ihnen meine Hand zu!« – »Wie, mein Fräulein, Sie verlangen ...« – »Daß Sie sich mit Edmund schlagen! ja, mein Herr! Wenn Sie nicht thun, was ich verlange, so brauchen Sie mir den Hof nicht mehr zu machen ... ich werde dann niemals Ihre Frau ... Nun, mein Herr, zaudern Sie?« – »Nein, mein Fräulein, nein, ich zaudere nicht ... ich werde mich schlagen ... o, gewiß! ... obgleich ich nie etwas Spitzigeres als meine Feder gehandhabt ... Aber wenn ich falle, mein Fräulein?« – »Dann wird Edmund nur um so verächtlicher sein; Sie aber, der in der Vertheidigung einer so schönen Sache gestorben ist ... Sie, der für meine Freundin umkam, Sie werden meine ganze Sehnsucht, meine zärtlichste Erinnerung mit sich nehmen, und jeden Tag werde ich auf Ihr Grab gehen, um zu weinen und Blumen darauf niederzulegen.« – »Ah! ich verstehe! ... Sie werden mich sehr lieben ... wenn ich gestorben bin! ... Nun! das ist immerhin ein Trost. Entschieden ist's! ... Mein Fräulein, morgen schlage ich mich mit Herrn Edmund!« – »Aber stille! kein Wort davon zu Constanze!« – »Ich werde den Mund nicht aufthun, mein Fräulein!«

In diesem Augenblick kam Constanze wieder herein. Da sie jedoch vermuthet hatte, daß es sich von Edmund handle, hatte sie ihrer Neugierde nicht widerstehen können und das ganze Gespräch zwischen Pelagie und Herrn Ginguet belauscht.

Indeß stellte sich die Jungfrau, als wisse sie von Nichts und heuchelte den ganzen Abend hindurch eine große Gemüthsruhe. Pelagie dagegen konnte ihren Ingrimm und Mißmuth nicht verbergen, und auch Herr Ginguet stieß von Zeit zu Zeit schwere Seufzer aus, welche darauf hindeuteten, daß ihm das für den andern Tag in Aussicht stehende Geschäft nicht sehr erwünscht sei.

Als man auseinander ging, drückte Constanze auf's Freundlichste die Hand des jungen Angestellten; dieser sagte sein Lebewohl wie Einer, der nie wiederzukehren fürchtet, obgleich Pelagie mit Blicken Alles aufbot, um seinen Muth aufrecht zu halten.

Am andern Tage früh Morgens schickte sich Ginguet an, Edmund in seiner Wohnung aufzusuchen. Er hielt Selbstgespräche in seinem Schlafzimmer, ging mit raschen Schritten und heftig gestikulirend auf und ab und stachelte sich selbst zur Tapferkeit auf. Wenn er schwach werden wollte, so gedachte er Pelagiens, und dann flößte ihm die Liebe Muth ein. Ein Gefühl ist fast immer der Verbündete eines andern.

Eben als er sein Haus mit einem entlehnten Degen verlassen wollte, wurde Ginguet von dem Thürsteher aufgehalten, der ihm einen Brief einhändigte. Der junge Mann öffnete und las: »Ich habe gestern Ihre Unterredung mit Pelagien angehört; Sie dürfen sich nicht für mich schlagen, lieber Herr Ginguet: denn Edmund hat mich nicht verleumdet, er hat Ihnen nur die Wahrheit gesagt ... Adieu! Sagen Sie Pelagien und ihrem Oheim, daß ich sie immer lieben werde, jetzt aber verlasse; denn da sie Alles wissen, könnten sie mich ihres Umgangs unwürdig halten.

Constanze

Nachdem Ginguet dieses Billet gelesen, entfiel ihm der Degen; er überlas es von Neuem, um sich zu vergewissern, daß er sich nicht getäuscht; dann beeilte er sich, seinem Nachbar den geliehenen Sarraß wieder zu bringen und lief zu Pelagie und ihrem Oheim. Zuerst fragte er sie, wo Constanze sei.

»Sie ist sehr frühe ausgegangen,« sagte Herr Pause, »ohne Zweifel, um eine Arbeit auszutragen; aber zurückgekommen ist sie noch nicht.«

Jetzt überreicht Ginguet Pelagien den erhaltenen Brief. Diese weint, wird untröstlich und erzählt ihrem Oheim Alles, was seit gestern vorgefallen. Herr Pause tadelt das Betragen seiner Nichte, welche Herrn Ginguet zu einem Zweikampf zwingen wollte, aber nimmermehr kann er glauben, daß Constanze strafbar sei.

»Nein, nein! sie ist es nicht!« ruft Pelagie aus, »und ihr Brief, worin sie sich selbst anklagt, beweist mir bloß, daß sie ein Duell und das Unterliegen ihres Vetters fürchtete; denn sie liebt ihn noch immer, sie hat nie aufgehört, sein Glück zu wünschen, das weiß ich gewiß ... ich! Aber wohin ist sie gegangen ... was soll aus ihr werden ... allein, ohne Freunde, ohne Trost! ... Herr Ginguet, Sie müssen Constanze durchaus wieder auffinden; ich erkläre Ihnen, daß Sie mein Gemahl nur werden, nachdem Sie mir meine unglückliche Freundin zurückgegeben ...« – »Aber mein Fräulein, ist es denn meine Schuld, daß Fräulein Constanze Sie verlassen hat?« – »Ihre Schuld oder Unschuld kommt hier nicht in Betracht, mein Herr! Ich kann nur glücklich sein, wenn sie in meiner Nähe ist; und da ich glücklich sein will, wenn ich heirathe, so bleibt es dabei.«

Der arme Ginguet stürzte fort, indem er sich die Haare ausraufte und zu sich sagte: »Wenn es so fort geht, werde ich noch eher Finanzminister, als Fräulein Pelagiens Mann!«

Indeß begann er noch am gleichen Tage seine Nachforschungen. Jede Stunde, die ihm von seinen Berufsgeschäften übrig blieb, verwendete er, um die verschiedenen Stadtviertel nach Constanze zu durchforschen, aber er erfuhr nichts. Und wenn er so ohne Aufschluß zu Pelagien zurückkam, so machte ihm das Fräulein ein essigsaures Gesicht.

Während dies geschah, hatte in der Familie Bringuesingue sich Anderes begeben.

Der Schwiegervater wollte fortwährend, daß ihn sein Eidam in die Gesellschaft begleite; aber eines Tags hatte Edmund sich sogar zuerst über Bringuesingue's Mangel an guter Lebensart lustig gemacht; ja, ohne die Spöttereien seines Schwiegersohnes wären mehrere Abgeschmacktheiten, die der Alte sich zu Schulden kommen ließ, gar nicht bemerkt worden. Ein lebhafter Wortwechsel Beider war die Folge davon.

»Ich habe Ihnen meine Tochter gegeben, daß Sie meinen Geist herausfinden,« sagte Herr Bringuesingue. »Sie sind daran Schuld, daß ich Comtois entließ, der sich doch wenigstens an der Nase kratzte, wenn ich eine Unaufmerksamkeit beging; aber Sie erlauben sich zu lachen, wenn ich mich in einer Phrase verwirre! So kann es nicht fortgehen.«

»Sie wollen sich nicht mehr an das Piano setzen, wenn ich zu tanzen Lust habe,« sagte Madame Bringuesingue, »oder Sie spielen so schnell, daß man unmöglich im Takte bleiben kann und sogleich sterbensmüde wird. Das ist kein Betragen gegen eine Schwiegermutter.«

»Sie wollen mich niemals auf den Spaziergang begleiten,« sagte ihres Theils Clodora, »und ich liebe die Promenade sehr.«

Edmund hatte auf das Alles geantwortet: »Mein theurer Schwiegervater! als Sie mir Ihre Tochter zur Frau anboten, hätten Sie mir zum Voraus die Bedingung mittheilen sollen, daß ich auch Ihr Mentor sein müsse. Aber es ist zu spät, bei Ihnen die Bildung nachzuholen. Folgen Sie mir und suchen Sie nicht große Herren nachzuäffen! Es wird Ihnen nichts gelingen, als sich dem Spott preiszugeben. – Meine theure Schwiegermutter! ich tadle Sie nicht, daß Sie den Tanz lieben, aber ich kann mein Leben nicht als Ihr Tanzorchester zubringen. – Was Sie betrifft, Madame, so führe ich Sie darum nicht öfter spazieren, weil Sie fortwährend gähnen, wenn ich mit Ihnen rede; ich zog daraus den Schluß, daß Ihnen meine Unterhaltung und Gesellschaft nicht gefalle.«

Edmunds Antwort hatte die Gemüther nicht beruhigt; noch viel schlimmer ging es, als man von allen Seiten Leute herbeiströmen sah, denen der junge Mann Geld schuldig war; als man entdeckte, daß er beinahe die ganze Mitgift seiner Frau verspekulirt hatte.

Clodora weinte, ihre Mutter fiel in Ohnmacht und Herr Bringuesingue wollte seinen Eidam in's Gefängniß werfen lassen, bis er die so leichtsinnig vergeudete Summe wieder beigeschafft habe; da aber der Schwiegervater dieses Recht nicht besaß, so begnügte er sich mit dem Befehl, daß Edmund sein Haus verlasse; so lange er arm sei, nicht wieder dahin zurückkehre, und Clodora nicht mehr als seine Frau betrachte.

Edmund hatte das Recht, seine Frau mit sich zu nehmen, aber er war nicht versucht, davon Gebrauch zu machen; er ließ Clodora bei ihren Eltern und schied von der Familie Bringuesingue mit dem einzigen Bedauern, kein Junggeselle mehr zu sein.

Edmund quartirte sich in ein kleines Mansardenzimmer ein; dort verfertigte er Gemälde, die nicht mehr Werth hatten, als überpinselte Kamin-Vorderseiten; aber er fand Absatz dafür und lebte davon; denn aller Vergnügungen und der großen Welt satt, ohne Freunde, ohne Geliebte, ging Edmund fast niemals aus dem Hause und arbeitete die ganze Zeit. Er erstaunte über den Geschmack, den er dieser neuen Lebensweise abgewann; er war ganz betroffen darüber, daß er in emsiger Geschäftigkeit sein Glück fand, und sagte zu sich: »Hätte ich früher die Anerbietungen des Herrn Pause nicht ausgeschlagen, so wäre ich sicherlich an Constanzens Seite noch glücklich geworden; bei Arbeit, Ordnung und Sparsamkeit hätten wir nimmermehr gedarbt. Ach, die Eigenliebe hat mich zu Grunde gerichtet! Ich verschmähte das Glück, das mir zunächst lag, und verschwendete mein Leben in unbesonnenen Streichen, weil ich immer glaubte, Alles besser zu verstehen, als andere Menschenkinder! ich habe das Vermögen, das mir meine Mutter hinterließ, vergeudet, habe meine Cousine ruinirt und die Mitgift meiner Frau verschleudert, weil ich Poet, Musiker und Spekulant zu sein wähnte! ... und das Alles ohne weiteren Beruf, als jene Einbildung, vermöge deren ich schon zu meinen Pensionskameraden sagte: O, wenn ich wollte, könnte ich Alles wohl besser als ihr!«

Diese Betrachtungen kamen freilich etwas spät; aber es ist immerhin ein Verdienst, seine Fehler, wenn auch spät, einzusehen. Gibt es doch Leute genug, welche auch die Erfahrung nicht bessert!

Seit einem Jahre ungefähr verfertigte Edmund kleine Gemälde, als er einen Brief erhielt, worin ihm Herr Bringuesingue berichtete, daß seine Tochter Clodora an der Maulsperre gestorben sei, aber sterbend verordnet habe, daß ihre Eltern ihren Gemahl zum Erben einsetzen. Herr und Frau Bringuesingue haben ihrer Tochter geschworen, ihren letzten Willen zu erfüllen, unter der Bedingung, daß bei ihren Lebzeiten der Tochtermann nichts von ihnen verlange.

Edmund antwortete Herrn Bringuesingue, daß ihn das letzte Andenken seiner Frau rühre, und bat denselben, über sein Vermögen nach freiem Willen zu verfügen. Edmund fing in der That an, ein echter Künstler zu werden und setzte das Glück nicht mehr in Reichthümer. Er hatte Geschmack an der Arbeit gewonnen: was er producirte, war weniger schlecht und wurde ihm besser bezahlt. Nach einiger Zeit errang er die Meisterschaft, und man bestellte große Gemälde bei ihm.

Jetzt verließ er sein Mansardenzimmer und konnte ein kleines Logis mit einem Atelier miethen. Erst seit drei Monaten bewohnte Edmund sein neues Lokal, worin er sehr zurückgezogen lebte, als eines Abends eine alte Frau bei ihm anklopfte. Es war eine Nachbarin: sie wohnte einen Stock höher als Edmund; aber dieser kannte keinen seiner Hausgenossen.

Die gute Alte zerfloß in Thränen; sie sagte zu Edmund: »Um Gotteswillen, mein Herr, helfen Sie mir einem jungen Frauenzimmer beispringen, das sehr krank ist ... sie wohnt droben in demselben Stock mit mir ... Sie lebt allein, geht niemals aus, arbeitet den ganzen Tag und besucht Niemand als mich, der sie tausend kleine Dienste leistete. Aber vorgestern wurde sie plötzlich krank und heute hat sie ein schreckliches Fieber ... das Delirium ... Ich weiß ihr aber nichts einzugeben und möchte sie doch nicht allein lassen, während ich einen Arzt hole.«

Edmund folgte der alten Nachbarin auf der Stelle; sie führte ihn in die Stube der Kranken. Hier war alles einfach, bescheiden, aber sauber und behaglich. Ohne den Grund zu ahnen, fühlte sich der junge Mann gerührt, als er dem Bette der jungen Frau nahte; aber wie wurde ihm, da er in der Kranken, die er zu hüten kam, seine Cousine erkannte!

»Constanze!« rief Edmund aus.

»Sie kennen diese junge Dame?« fragte die alte Frau.

»Ob ich sie kenne? ... es ist meine Cousine ... sie sollte meine Gattin werden und war lange Zeit meine beste Freundin ... Constanze! arme Constanze! Aber sie hört und kennt mich nicht! ... Madame, eilen Sie, holen Sie einen Arzt. Ich meinerseits gehe nicht wieder von der Stelle, ich verlasse meine Cousine nicht mehr, bevor sie außer Gefahr ist.«

Die alte Frau geht hinweg. Edmund bleibt allein bei Constanze, welche ein heftiges Delirium hat und in ihrem Irrereden oft den Namen Edmund nennt. Dieser lauscht aufmerksam auf die Worte der Kranken und vernimmt bald Folgendes: »Er hat mich für schuldig gehalten ... mein Gott! er hat geglaubt, ich liebe einen Andern als ihn ... aber es geschah, damit seine Hand frei werde ... Dieser Brief ... ich hatte ihn diktirt ... ich behielt das Concept ... dort, in einer Brieftasche, die er mir gegeben hat ... weiter besitze ich Nichts von ihm ... und da habe ich Alles aufbewahrt, was ich gethan, damit er glücklich werde.«

Bei diesen Worten bezeichnete die Kranke eine kleine Lade, die auf einer Kommode stand. Edmund, dem es jetzt zum erstenmal einfiel, daß seine Base sich für strafbar erklären konnte, um ihm seine Freiheit zurückzugeben, und dem bei dem Gedanken an eine solche Hingebung die Thränen in's Auge stürzten! ... Edmund eilte zu der Lade, öffnete sie und fand darin die Brieftasche, welche er einst seiner Cousine geschenkt, und in derselben das Concept eines Briefes von der Hand seiner Base. Er liest; es ist der Inhalt des Briefes, den er empfangen und worin man ihm den Beweis anbot, daß Constanze ihn nicht mehr liebe.

Edmund erkennt jetzt die ganze Großherzigkeit seiner Cousine, welche, nach der Hingabe ihres Vermögens, ihm auch die höchsten Güter einer Frau, ihre Ehre, ihren Ruf geopfert hatte. Er stürzt Constanze zu Füßen, er faßt ihre Hand, die er mit Thränen badet, indem er um Verzeihung fleht, daß er sie habe schuldig wähnen können, und sich verflucht, eine Jungfrau unglücklich gemacht zu haben, welche seiner Liebe so vollkommen würdig war. Aber Constanze vernimmt ihn nicht: ihr Delirium dauert in gleicher Stärke fort und der Zustand, worin er sie sieht, vermehrt Edmunds Reue und Verzweiflung noch.

Die alte Nachbarin brachte einen Arzt mit, der nicht für das Leben der Patientin stehen zu können erklärte und sich nach Verschreibung seines Recepts entfernte.

Constanze brachte eine schreckliche Nacht zu; Edmund hatte kein Auge geschlossen; die alte Nachbarin aber konnte dem Schlaf nicht widerstehen; sie schlief tief und Edmund fühlte wohl, daß die arme Alte ihm in der Verpflegung Constanzens nicht von großem Nutzen sein könne. Aber plötzlich ist ihm eine Erinnerung durch den Kopf gefahren; gleich nach dem Anbruch des Tages und Erwachen der Nachbarin geht Edmund aus und eilt schnurgerade in das Haus des Herrn Pause. Hier erzählt er Alles, was ihm begegnet, Alles, was er von dem schönen Betragen seiner Cousine weiß, und er hatte seine Erzählung noch nicht geendigt, als Pelagie, welche während des Zuhörens eiligst Hut und Shawl genommen, ihm zurief: »Führen Sie mich an ihr Bett ... Ach! ich kannte sie besser als Sie, und ich habe sie nie für strafbar gehalten.«

Neun Tage nach diesem rettete ein Krisis Constanzen, welche, immer delirirend, mit dem Tode gerungen hatte, das Leben; völlige Ermattung war darauf gefolgt, sodann ein sanfter, wohlthuender, stärkender Schlaf, und als Constanze die Augen öffnete, lächelte sie wie Jemand, der seine Leiden schon völlig vergessen hat. Aber man stelle sich ihre Ueberraschung vor, als sie Pelagie, den guten Herrn Pause, ihren Vetter und sogar Herrn Ginguet neben ihrem Bett erblickte.

»Träume ich?« fragte Constanze, die Augen wieder schließend, aus Furcht, ihre Illusion schwinden zu sehen.

»Nein,« antwortete Edmund, ihre Hand sanft drückend; »nur die Vergangenheit ist ein Traum ... aber Du sollst ihn vergessen, liebe Cousine! Du bist schon so großmüthig gegen mich gewesen, daß Du es noch ferner sein wirst ... ich kenne jetzt Deine Hingebung ... Der Himmel hat mich endlich frei gemacht, damit ich meine Fehler wieder ganz verbessern kann. Noch einmal, Constanze, die Vergangenheit ist nur ein Traum und Dein Verlobter steht wieder vor Dir, wie an jenem Tage, wo unsere Mütter unsere Hände und unser Schicksal mit einander verbanden.«

Constanze konnte nicht mehr antworten; sie vergoß Freudenthränen, und diese mächtige Gemüthsbewegung beförderte ihre schnelle Wiedergenesung.

Kurz darauf heirathete Edmund seine Cousine; da sah Herr Ginguet Pelagien seufzend an und sagte zu ihr: »Ich kann nichts dafür, daß ein Anderer Ihre Freundin wieder auffand; ich lief jeden Tag zwei bis drei Stunden in Paris herum, um sie zu suchen.«

Pelagie antwortete einfach durch Darreichung ihrer Hand, und wahrlich, der arme Junge hatte sie redlich verdient.

Uebrigens kann ich nicht behaupten, daß Pelagie stets den Willen ihres Mannes that; dagegen gebe ich euch die feste Versicherung, daß Herr Ginguet niemals einen andern Willen hatte, als den seiner Frau.


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