Paul de Kock
Edmund und seine Cousine
Paul de Kock

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VII. Hingebung

Während dieses vorging, arbeitete Constanze, welche ihrem Vetter ihr Vermögen geopfert hatte, ohne Unterlaß, und ohne bei Pelagie zu klagen, welche ihrerseits den armen Herrn Ginguet fortwährend quälte.

Indeß weinte Constanze bisweilen, aber in einsamer, stiller Nacht, wenn Niemand ihre Thränen sehen, ihre Seufzer hören konnte; denn sie sah wohl, daß ihr Vetter alle Tage etwas an der Zeit seines Besuchs im Hause des Herrn Pause abbrach, und wenn er neben ihr war, statt mit vertraulicher Freundschaft zu plaudern, kalt und sorgenvoll blieb, ja bisweilen sogar kein Wort sprach.

Zuerst hatte Constanze dieses Benehmen nur dem Kummer über sein Mißgeschick zugeschrieben; aber im Herzensgrunde sagte ihr ein Etwas: »Wenn er mich liebte, wie ich ihn liebe, würde er sich dann immer nur um den Verlust seines Vermögens bekümmern? Bin ich denn Nichts für ihn? ... und da ich ihm geblieben, kann er denn nicht noch glücklich sein?«

Pelagie wagte nicht mehr von ihrem Brautjungfernkleid zu reden; sogar Herr Ginguet wagte nicht mehr, laut zu seufzen, weil er fürchtete, es möchte Constanzen wehe thun, von Liebe reden zu hören, da der Mann, welcher sie hätte anbeten sollen, zu ihr niemals davon sprach. Was den guten Herrn Pause betrifft, so suchte er in Einem fort eine Anstellung für Edmund und hatte oft einen Vorschlag für ihn; um ihn aber nicht abhören zu müssen, ging Edmund jedesmal fort, bevor der alte Musiker aus seinem Theater zurückkehrte.

Einige Tage lang erschien Edmund gar nicht mehr regelmäßig. Dazu waren seine Besuche noch kürzer als gewöhnlich, und er selbst noch zerstreuter und von anderen Dingen eingenommen.

»Gewiß hat Dein Vetter Etwas,« sagte eines Abends Pelagie zu Constanze; »er kommt hieher, um sich in eine Ecke zu setzen ... zu seufzen ... kaum einen Mund aufzuthun ... O, ohne Zweifel hegt er einen neuen Entwurf ... will sich nochmals bereichern und Dich bei der Hochzeit mit glänzenden Geschenken überraschen. Ich wette, darauf denkt er ohne Unterlaß.«

Constanze schüttelte den Kopf und antwortete nicht; Herr Ginguet kam und sagte zu dem jungem Frauenzimmer: »Jetzt weiß ich, warum Herr Edmund so oft in Nachdenken versunken ist. Ich bin ihm diesen Morgen begegnet; wir sprachen lange mit einander ... Junge Leute vertrauen sich ihre Angelegenheiten.« – »Bitte, Herr Ginguet, seien Sie etwas weniger weitschweifig! – »Herr Edmund hat mir von der Familie Bringuesingue gesprochen, welche er oft besucht ... Es sind sehr reiche Leute, die Handelsgeschäfte machten und nur ein Kind haben ... ein ziemlich hübsches Mädchen, das jedoch ein wenig hinkt ...« – »Allons! voran, Herr Ginguet!« – »Endlich sagte mir Edmund: ›Sie können vielleicht nicht errathen, was mir Herr Bringuesingue vorgeschlagen hat, mein lieber Ginguet?‹ – Meiner Treu'! nein, erwiderte ich ihm; erstlich bin ich nicht stark im Rathen ... ich habe niemals eine Charade oder einen Rebus herausgebracht ...« – »Ach! Herr Ginguet, Sie mißbrauchen unsere Geduld,« sagte Pelagie.

»Verzeihung, mein Fräulein, aber ich berichte Ihnen ja unsere Unterhaltung. ›Wohlan,‹ sagte mir Herr Edmund, ›Herr Bringuesingue hat mir den Antrag gemacht, seine Tochter zu heirathen.‹« – »Seine Tochter,« rief Constanze, die Farbe wechselnd. – »Sie lügen, Herr Ginguet!« schrie Pelagie; »Herr Edmund kann das nicht gesagt haben!« – »Ich schwöre Ihnen, mein Fräulein, daß es die strengste Wahrheit ist ... aber bekümmern Sie sich nicht, Fräulein Constanze, Ihr Herr Vetter hat beigefügt: ›Sie können sich wohl denken, lieber Ginguet, daß ich es ausschlug. Obgleich ich keinen Heller mehr habe und Clodora reich ist, so werde ich doch nicht zustimmen, denn ich bin mit meiner Cousine durch Freundschaft, Dankbarkeit und Pflicht verbunden. Ich betrachte mich jetzt schon als ihren Gatten ... unsere Mütter hatten uns verlobt und ...‹ Mein Gott! Fräulein, befinden Sie sich unwohl?«

In der That konnte sich Constanze nicht mehr aufrecht halten; sie hatte ihren Kopf auf die Rücklehne des Sessels sinken lassen und war im Begriff, in Ohnmacht zu fallen. Pelagie unterstützte sie und ließ sie flüchtige Geister einathmen, während sie zu Ginguet sagte: »Mit Ihrem Geschwätz hätten Sie zu Hause bleiben können! ... O, welche Plaudertasche Sie sind! ... Sie haben immer nur schlechte Neuigkeiten zu erzählen.« – »Aber, mein Fräulein, das sind keine schlechten Neuigkeiten; im Gegentheil ... Herr Edmund hegt nicht entfernt die Absicht, eine Andere zu heirathen als seine Cousine.« – »Einerlei! man hätte das Constanzen nicht sagen sollen.«

Als Diese die Augen öffnete, rief Ginguet von Neuem: »Ich habe die Ehre, Sie zu versichern, mein Fräulein, daß Ihr Vetter mir gesagt hat: ›Man könnte mir eine Millionärin zur Frau anbieten, ich nähme sie nicht ... weil ich nicht kann. Ich betrachte mich als verbunden mit meiner Cousine ... und bin unfähig, meine Pflicht zu umgehen. Eine Prinzessin, eine Herzogin schlüge ich aus ... ein rechtschaffener Mann kennt nur sein Wort.‹« – »Gut, gut, Herr Ginguet,« sagte Constanze, sich zwingend, ruhig zu scheinen. »Ich danke Ihnen für diese Mittheilungen.« – »Es macht Ihnen Freude, nicht wahr, mein Fräulein?« – »Ja, es ist mir sehr lieb, daß ich es weiß.«

Die arme Constanze redete den ganzen Abend nichts mehr, trotz aller Anstrengungen Pelagiens, sie aufzuheitern, und Herrn Ginguets, der von Zeit zu Zeit ausrief: »O, Herr Edmund Guerval ist ein wackerer junger Mann ... er würde eine Goldmine als Frau ausschlagen ... er denkt sich bereits an seine Cousine gefesselt!«

Und Pelagie stieß Ginguet mit Ellbogen und Füßen an, um ihn zum Stillschweigen zu bringen, so oft er auf den Gegenstand zurückkam.

Als sich Constanze allein in ihrem Zimmer befand, konnte sie sich ihrem ganzen Schmerze hingeben; denn das junge Mädchen machte sich keine Illusion; sie fühlte wohl, daß, wenn ihr Vetter die begüterte Partie von sich weise, dies nur geschehe, weil er sich zu sehr an sie gebunden glaube, um noch über seine Person verfügen zu können.

»Aber nicht aus Liebe zu mir schlägt er eine Andere aus,« sagte Constanze zu sich; »o, nein! ... denn wenn mich mein Vetter liebte, so wäre er in meiner Nähe nicht so traurig, so träumerisch ... Indem er mich heirathet, wird er eine Pflicht erfüllen, nichts weiter ... und unglücklich sein ... doppelt unglücklich, da ich ihn verhindert habe, das glänzende Loos, welches sich ihm darbietet, zu erwerben. Aber glaubt er denn, weil es mir einmal gelungen, ihm einen Dienst zu leisten, ich wolle ein Hinderniß zu seinem Glücke sein? ich würde von seiner Dankbarkeit das Opfer seiner Freiheit, seiner Zukunft fordern? O, ich liebe Edmund zu sehr, um ihn all' der Vortheile zu berauben, die ihm die vorgeschlagene Verbindung gewähren wird. Was liegt daran, daß ich dann vor Kummer vergehe, wenn nur mein Vetter glücklich ist! ... Aber wenn ich ihm sage: er sei frei ... wenn ich selbst ihn auffordere, dieses Fräulein Clodora zu heirathen, so wird er mir nicht gehorchen ... O nein, ich kenne Edmund ... er würde mir wehe zu thun fürchten. Mein Gott, wie soll ich es denn anfangen, damit er sich im Stande glaube, eine Andere zu heirathen, ohne mir wehe zu thun? ... Er müßte ... ja er müßte glauben, daß ... ich ... ich ihn nicht mehr liebe! ...«

Die ganze Nacht hindurch weinte die arme Constanze und besann sich auf ein Mittel, ihren Vetter zu überzeugen, daß sie ihn zu lieben aufgehört habe, damit er durch die Heirath mit einer Andern kein Unrecht zu begehen glaube.

Gegen Morgen hatte sie einen Plan gefaßt, der den vorgesetzten Zweck nothwendig erreichen mußte. Kaum tagte es, als sie das Concept eines Briefes niederschrieb; dann eilte sie, als es Ausgehenszeit war, zu einem öffentlichen Schreiber, der ihr das Conceptblatt kopiren mußte; sie diktirte ihm die Adresse und ging dann, mit schwerem Herzen und fast erstickend, zu einem Briefladen, um diesen unheilvollen Brief hineinzuwerfen.

Das junge Frauenzimmer zitterte und konnte sich kaum aufrecht halten, als sie auf der Straße ging; mehrere Male wankte sie an einer Brieflade vorüber, ohne sich entscheiden zu können, das Billet, welches sie in der Hand hielt, hineinzuwerfen; sie fühlte, daß es sich um ihr ganzes Lebensglück handle; ihre Zukunft, alle Träume ihrer Jugend war sie zu opfern im Begriff; ihr blieb nichts mehr übrig, als Thränen und die Erinnerung an eine schöne Handlung; mit einundzwanzig Jahren gehört viel Muth dazu, um ein so großes Opfer zu vollenden. Wie manche Leute gibt es, die leben und sterben, ohne solche Handlungen nur zu begreifen!

Indeß verfloß der Morgen und Constanze hatte den Brief noch in keine Lade geworfen; sie tadelte sich über ihre Schwäche, dann eilte sie zu einer Postexpedition neben einem Kaffeehause und warf schaudernd den von ihr selbst verfaßten Brief in die Lade. Jetzt aber verdunkelte eine Wolke ihr Gesicht; sie mußte sich einen Augenblick an eine Steinbank neben ihr lehnen. Diese Bank, sie erkannte sie wieder; schon einmal hatte sie darauf ausgeruht, an jenem Abend, wo sie mit Ginguet ihren Vetter aufsuchend, ihren Begleiter zwang, alle Kaffeehäuser unterwegs zu durchspähen. Diese Erinnerung benetzte ihre Augen mit Thränen; denn damals, da sie Edmund suchte, dachte sie nicht daran, daß sie selbst dereinst eine Trennung von ihm werde verlangen müssen.

Doch das Opfer war noch nicht ganz vollbracht; Constanze bedachte, daß sie noch vielen Muth nöthig haben werde für das, was ihr zu thun übrig blieb; sie ermannte sich, stand von der Bank auf und kehrte nach Hause zurück.

Im Laufe desselben Tags sah Edmund, der allein zu Hause war und über seine Lage, die Liebe seiner Cousine und den Antrag des Herrn Bringuesingue nachsann, den Portier eintreten, der ihm einen von dem Austräger gebrachten Brief einhändigte.

Edmund warf seine Augen auf die unbekannte Handschrift und erbrach gleichgültig den Brief, wie Einer, der weder gute noch schlechte Nachrichten erwartet.

Das Billet trug keine Unterschrift, aber Edmunds Gesicht ward glühend, als er las: »Sie glauben sich von Ihrer Cousine Constanze geliebt: Sie irren sich; lange schon denkt sie Ihrer nicht mehr; sie hat ihr Herz einem Andern zugewendet. Wenn Sie an meinen Worten zweifeln, so begeben Sie sich diesen Abend zwischen sieben und acht Uhr auf das Boulevard St. Martin neben dem Wasserschloß; dort werden Sie Ihre unbeständige Base Ihren glücklichen Nebenbuhler erwarten sehen. Adieu!

Jemand, der sich für Ihr Glück interessirt.«

»Constanze einen Andern lieben!« knirschte Edmund, das Billet in der Hand zerreibend. »Ha! das ist eine unwürdige Verleumdung! Der Verfasser dieses Schreibens ist ein Elender ... Constanze, das Muster aller Tugenden, die mir eine so große Probe ihrer Anhänglichkeit gegeben hat ... Constanze mich betrügen ... denn das hieße mich betrügen ... mich, der ich ihr Gatte werden soll ... Aber ein anonymes Billet! ... nur schlechte Seelen schreiben dergleichen. Personen, welche einen wahren und wirklichen Dienst leisten wollen, fürchten sich nicht, ihren Namen zu nennen.«

Trotzdem fühlte sich Edmund aufgeregt, unruhig; selbst der abgeschmacktesten Verleumdung gelingt es gemeiniglich, unsere Zufriedenheit zu stören, und ... sonderbare Wirkung der Leidenschaften, zumal der Eigenliebe bei den Menschen! Edmund, der einige Minuten zuvor nur kalt, nur traurig an die Verbindung mit seiner Cousine gedacht hatte; Edmund, welcher, da er ihrer Liebe gewiß war, sich so wenig Mühe gab, dafür erkenntlich zu sein; Edmund fühlte sich eifersüchtig, und leidenschaftlich in Constanze verliebt, jetzt, da er dachte, sie könnte einen Andern lieben. Er ging lebhaft im Zimmer auf und ab, indem er das anfänglich auf den Boden geschleuderte Billet wieder durchlas; er wiederholte sich alle Gründe für die Unzuverlässigkeit anonymer Briefe, aber von Zeit zu Zeit rief er dennoch aus: »Und dessen ungeachtet, in welcher Absicht könnte man mir das geschrieben haben? Seit einiger Zeit redet Constanze weder von Liebe noch von Heirath mehr mit mir; allerdings, meinerseits ist das Gleiche der Fall. Ich habe Nichts mehr, und weder Anstellung noch Aussicht. Sie konnte sich bedenken ... man konnte ihr rathen, mich zu vergessen. Aber Constanze liebte mich so sehr! ... Nein, es ist unmöglich ... nächtliche Stelldichein ... neben dem Wasserschloß ... sie hat in diesem Stadttheil nie Etwas zu thun ... das ist eine niederträchtige Lüge! Aber man schreibt mir, ich solle mich mit eigenen Augen versichern ... ha! das hieße Constanze beschimpfen, wenn ich auf den Platz ginge; ich würde sie nicht finden ... Man will mich zum Besten haben! Nein, wahrhaftig, ich werde mich von der Falschheit des Schreibers nicht erst persönlich überzeugen.«

Während dieses Selbstgesprächs fand Edmund, daß die Zeit nicht vorrücken wollte. Er schaute oft auf seine Uhr; er konnte es nicht erwarten, die bezeichnete Stunde herannahen zu sehen. Er konnte nicht essen, denn er hatte keinen Hunger; sehnsüchtig erwartete er den Abend und war schon um sieben Uhr auf dem Boulevard neben dem Wasserschloß, obwohl mit dem inneren Vorwurf, daß er ein Unrecht begehe, gekommen zu sein.

Eine Viertelstunde verstrich. Edmund hatte Niemand gesehen, der seiner Base glich; sein Herz erweiterte sich, er athmete leichter, als er zu sich sagte: »Mein Gott, wie kann man doch anonymen Briefen glauben? Wer solche schreibt, verdient in der Regel selbst alle Beleidigungen, alle schlechten Beinamen, die er hinterlistig über seinen Nächsten ausgießt!« Plötzlich aber bemerkt Edmund ein Frauenzimmer, dessen Haltung und Gang an Constanze erinnert. Er bleibt stehen, wartet, fühlt eine Centnerlast auf seine Brust sich lagern. Es war fast Nacht; die Dame geht unsichern Fußes vorwärts, oft hinter sich blickend, als fürchte sie, daß man ihr folge; ihr ganzes Benehmen deutet allerdings auf ein Stelldichein. Edmund hält den Athem an, denn diese Frau ging eben an ihm vorüber, und trotz des Hutes, der ihr Gesicht birgt, hat er Constanze erkannt.

»Sie ist es!« sagt er zu sich, »sie ist es! ... man hatte mich nicht betrogen ... O, nicht doch! ich kann es noch nicht glauben ... meine Augen täuschen mich! ... ich muß ihre Stimme hören!«

Damit eilt Edmund der Vorübergegangenen nach; er erreicht sie, faßt sie am Arme ... sie wendet den Kopf ... es war wirklich Constanze, und so blaß, so bebend, so bewegt, als sie ihren Vetter sah, daß Alles sich vereinigte, sie in seinen Augen zu verdammen.

Die Jungfrau hat gestottert: »Edmund ... Sie sind es!« und ihr Gesicht mit dem Taschentuch verhüllt.

»Ja, ich bin es!« antwortete Edmund mit wüthendem Ton; »ich bin es, den Sie betrügen, den Sie nicht mehr lieben! Seien Sie mindestens aufrichtig, sagen Sie mir, was Sie hieher führt, allein am Abend ... Wie, Sie schweigen? ... Sie finden keine Antwort ... Sie sind verblüfft ... Also ist es wahr, Constanze! ein anderer Mann besitzt Ihre Liebe und ihn hofften Sie hier zu finden?« – »Ich werde es nicht zu läugnen suchen,« erwiderte Constanze mit erlöschender Stimme. »Ja, mein Vetter, Sie wissen die Wahrheit ... ich liebe Sie nicht mehr, schon lange nicht mehr ... ich wollte es Ihnen gestehen, wagte es aber nicht ... verzeihen Sie mir! vergessen Sie mich! ... Adieu, Edmund! wir dürfen uns nicht wiedersehen!«

Nach diesen Worten entfloh Constanze. Es war hohe Zeit, daß das arme Geschöpf sich entfernte, denn Seufzer erstickten ihre Stimme, und wäre Edmund nicht blind vor Eifersucht gewesen, so hätte er es sehr seltsam finden müssen, daß sein Bäschen so stark weine, während sie ihm versicherte, daß sie ihn nicht mehr liebe. Gewöhnlich ist das nicht die Stimmung, in der eine Dame uns unsere Freiheit wieder gibt. Man weint mit dem Geliebten und lacht mit dem Verabschiedeten.

Edmund aber hat nur Eines gehört, nur Eines verstanden; seine Cousine liebt ihn nicht mehr und wollte es ihm schon längst gestehen! Edmund fühlt sich im Innersten verwundet, denn er hielt sich Constanzens Liebe versichert; und diese tiefe Sicherheit, dieses allzu große Vertrauen auf eine von den Kinderjahren sich herschreibende Anhänglichkeit hatte in seiner Seele die zärtliche Neigung für seine Cousine gelähmt und beinahe erstickt. Man schläft auf dem Ruhekissen eines vollkommenen Glückes ein, aber man wacht, wenn man einige Besorgniß wegen seines Besitzes empfindet.

Bestürzt über den empfangenen Schlag, ist Edmund auf dem Boulevard geblieben; er hat seine Cousine sich entfernen lassen, ohne den geringsten Versuch zu machen, sie zurückzuhalten.

»Warum auch hätte ich sie aufhalten sollen?« lachte er, traurig um sich blickend; »hat sie denn nicht gesagt: ›wir dürfen uns nicht wiedersehen?‹«

Jetzt stürmte eine Menge Betrachtungen auf Edmund ein: in einem Augenblick übersah er sein ganzes vergangenes Betragen, seine Gleichgültigkeit, seine Kälte gegen Constanze, seine Zögerungen, sein fortwährendes Aufschieben der Heirath in Zeiten, wo es nur von ihm abgehangen, der Gatte seiner Cousine zu werden; seine Reichthums- und Ruhmes-Entwürfe, welche nur auf seinen Ruin hinausliefen, und die er gar nicht gemacht hätte, wäre er mit dem reellen Glück, das ihm zur Seite stand, zufrieden gewesen.

»Es ist mein Fehler, daß ich Constanzens Herz verloren habe,« sagte sich Edmund seufzend; »ich habe mich sehr schlecht betragen ... ich muß mir viele Vorwürfe machen; aber dennoch, hätte sie mich so sehr geliebt, als ich wähnte, so hätte sie mir das Alles verziehen.«

Und von Aerger, von Eifersucht auf's Neue erfaßt, rief er aus: »Doch ich bin ein rechter Thor, mich zu härmen, mich meiner Reue hinzugeben ... auch ich will sie vergessen! Ein glänzendes Loos ist mir angeboten: jetzt hindert mich nichts mehr, dasselbe anzunehmen. Im Schooße der Vergnügungen, welche der Reichthum gewährt, werde ich das Andenken an meine undankbare Cousine vergessen.«

Er nannte Diejenige undankbar, welche ihm Alles, was sie besaß, geopfert hatte! Aber die Eifersucht macht ungerecht; sie erstickt, sie erwürgt die Dankbarkeit; zudem gibt es Leute genug, die nicht erst der Eifersucht bedürfen, um undankbar zu sein.

Edmund hatte Herrn Bringuesingue aufgesucht und rief ihm, sobald er seiner ansichtig wurde, ohne Weiteres zu: »Mein Herr, ich habe mich anders besonnen ... kurz und gut: ich nehme die Hand Ihrer Fräulein Tochter an; sobald Sie wollen, werde ich Ihr Schwiegersohn.« – »Nun, zum Kuckuk, lieber Freund, ich wußte wohl, daß es darauf hinauslaufen würde ... Sie konnten Clodora's Hand nicht ernstlich ablehnen, Clodora's, die eine vortreffliche Erziehung genossen hat und einst fünfundzwanzigtausend Franken Rente besitzen wird. Sie verdienten Vorwürfe von mir, daß Sie einen Augenblick zu zögern schienen! Da Sie sich aber jetzt entschieden haben, so braucht's das nicht mehr; ich will Ihnen nicht zürnen ... das wäre Senf zum Nachtisch ... Ach, mein Gott! was habe ich da gesagt ... dies Sprüchwort ist sehr gemein ... ich weiß nicht, wo mir der Kopf stand ... ich wollte sagen ... Ich weiß nicht mehr, was ich sagen wollte ... Umarmen Sie mich, lieber Schwiegersohn, und kommen Sie, auch Ihre Schwiegermutter und Ihre Künftige zu umarmen!«

Edmund ließ sich zu seiner Braut führen und während er sie küßte, stieß er einen schweren Seufzer aus, und dachte an seine Cousine. Constanzens Andenken verläßt ihn keinen Augenblick mehr; es ist in seinem Herzensgrund wie eingegraben; es verfolgt ihn überall; umsonst sucht er es zu entfernen, sich zu zerstreuen: stets schwebt ihm seine so schöne, so gute, so liebevolle Cousine vor Augen; er stellt sich den Augenblick lebhaft vor, wo seine Mutter sie vereinigt und zu ihm gesagt hatte: »Das ist Deine Braut!« und wieder sieht er sie, wie sie ihm zu Füßen fiel und seinen Arm hielt, als er im Verzweiflungswahn sich das Leben nehmen wollte.

»Ach, mein Gott! welchen Schatz habe ich verloren!« sagte er zu sich selbst; »und ich bekümmerte mich kaum darum, weil ich mich desselben gewiß glaubte!«

Doch alle diese Betrachtungen verhinderten nicht, daß nach vierzehn Tagen Fräulein Clodora Bringuesingue die Gattin von Edmund Guerval wurde.


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