Paul de Kock
Edmund und seine Cousine
Paul de Kock

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II. Herr Pause

Constanze hatte die Frage ihrer Freundin nicht beantwortet, so sehr war sie von ihren Gedanken eingenommen, und nicht ohne Grund, denn Edmund kam regelmäßig jeden Abend in das Haus des Herrn Pause, heute aber war's schon halb zehn Uhr vorüber, und noch hatte man nichts von ihm gesehen.

Pelagie lächelte und fuhr fort: »Ach, Constanze wenigstens ist sehr glücklich; während Herr Ginguet vorliest, denkt sie an etwas Anderes; daraus folgt, daß sie nichts hört und deßhalb auch nicht bemerkt, ob man ihr etwas Gutes oder Schlechtes vorträgt ... man könnte ihr den Moniteur vorlesen und sie würde fortwährend glauben, die Mysterien des Thurmes im Süden zu hören; das ist die Folge der angenehmen Aussicht, einen Herrn Vetter zu heirathen!« – »Einen Vetter!« sagte Constanze, roth werdend und aus ihrer Träumerei erwachend; »ja, es ist wahr, ich finde, daß Edmund diesen Abend sehr spät kommt.« – »O! ich wußte wohl, daß Du an ihn dachtest; Du liebst ihn so sehr!« – »Ich sage nicht nein; meine Mutter hatte mich mit Edmund verlobt und wiederholte mir häufig, daß ich ihn lieben müsse, weil er eines Tages mein Beschützer, mein Gatte sein werde.«

»Das ist ein glücklicher junger Mann!« sagte Ginguet vor sich hin, indem er die Feuerzange zum Schüren ergriff. – »Was murmeln Sie da, Herr Ginguet?« fragte Pelagie spöttisch. – »Ich? Gar nichts, mein Fräulein, ich besorge das Feuer.« – »Aber wann ist denn die Hochzeit, Constanze? Es würde mich so sehr freuen, darauf zu tanzen; ich werde Deine Brautjungfer sein; mein Festkleid ist schon fertig ... o, ich werde Dir damit alle Ehre machen!« – Dürfte ich hoffen, zum Brautführer erwählt zu werden?« fragte Ginguet mit ängstlicher Miene und ohne Fräulein Pelagie anzusehen.

»Schon gut, Herr Ginguet, wir wollen sehen, wollen uns besinnen; aber langweilen Sie uns nicht zum Voraus mit Ihren Bitten! ... Erstlich werde ich als Ehrendame alles Das anordnen, Constanze hat es mir versprochen. Nicht wahr, nächsten Monat wird Deine Hochzeit sein?« – Aber ... das hängt von Edmund ab. – »Sonderbar, daß ein Bräutigam sich nicht ungeduldiger zeigt! An Deiner Stelle würde ich ihm sagen: Mein Herr Vetter, wenn Sie mich nicht mehr heirathen wollen, so gehen Sie mit der Sprache frei heraus.« – Ach! Pelagie, welcher Einfall! Kann ich denn voraussetzen, daß mich mein Vetter nicht mehr liebt? Was liegt daran, wann wir uns heirathen? Da ich gewiß weiß, daß ich eines Tages seine Frau werde, bin ich glücklich.«

Bei diesen Worten unterdrückte das junge Mädchen einen Seufzer; gleich darauf sprach sie weiter: »Edmund will eine ehrenvolle Stellung in der Welt haben, aber er weiß noch nicht genau, zu welchem Fach er sich entschließen soll. Die Sehnsucht, Ruhm zu erwerben, seinen Namen mit Lobeserhebungen genannt zu wissen, quält, beschäftigt ihn ohne Unterlaß. Ich kann es ihm nicht verübeln, daß er einen ehrenvollen Rang in der Gesellschaft zu gewinnen sucht, obwohl ich nicht der Ansicht bin, daß der Ruhm allein die Glückseligkeit gewähre. Du weißt ja, erst fand er sich sehr zur Musik hingezogen; er studirte die Composition, wollte ein Mozart, ein Rossini werden ...« – »Ja, und aus diesem Allem sprang ein Walzer heraus, den er lithographiren ließ und worin sich, wie mein Onkel behauptet, schöne Ideen befinden.« – »Ich konnte aber seinen Walzer niemals auf meinem Flageolet spielen,« sagte Herr Ginguet; »er ist erstaunlich schwer.« – »Weil Sie keinen Takt haben! ... O, Herr Ginguet, Sie werden freilich nie einen Walzer zu Stande bringen!« – »Mein Fräulein, seit vierzehn Tagen arbeite ich an einer kleinen Galopade, die ich Ihnen zueignen will.« – »Eine kleine Galopade! ... Da wird etwas Schönes herauskommen! ... Dann hat Dein Vetter die Musik mit der Poesie vertauscht; er hatte ein gereimtes Lustspiel in drei Akten gemacht ... das soll ein Meisterstück sein!« – »Mein Gott, wie wurde das ausgepfiffen! ... das Publikum nannte das Stück geradezu ein ungereimtes!« murmelte Ginguet, das Feuer schürend, vor sich hin, ohne daß er bemerkte, wie Pelagie ihm zu schweigen winkte.

»Mein Vetter ist im Theater nicht glücklich gewesen,« sagte Constanze seufzend, »und ich glaube schwerlich, daß er einen neuen Versuch machen wird.« – »Ei, warum denn nicht? ... Man wird nicht gleich das erste Mal mit Lorbeerkränzen überschüttet, aber immerhin gehört Geist zur Ausarbeitung einer neuen Komödie, selbst wenn sie auf der Bühne durchfällt. Herr Ginguet, ich glaube, Sie haben nie in Ihrem Leben einen Vers gemacht?« – »Verzeihen Sie, mein Fräulein, ich habe auf das Namensfest meiner Tante ein Lied gedichtet, nach der Melodie: Grenadier, du quälst mich bitter! Es waren acht Strophen.« – Das muß interessant sein ... Sie werden mir es einmal singen ... eines Abends, wenn ich gern einschlafen möchte. – »Jetzt hat Edmund eine Leidenschaft für die Malerei gefaßt,« fuhr Constanze fort; »er hat so eben ein Gemälde vollendet und es in die Kunstausstellung geschickt.« – Ist es ein historisches Gemälde, mein Fräulein?« fragte Ginguet, die Feuerzange endlich niederlegend. – »O nein, mein Herr, es ist nur ein Genrestück.« – »Mein Gott, Herr Ginguet, was Sie doch für widersinnige Fragen machen. Soll denn Herr Edmund, der sich erst seit Kurzem in der Malerei ausbildet, gleich mit einem historischen Gemälde anfangen?« – »Aber, mein Fräulein, ich habe einen kleinen, erst neunjährigen Neffen, der alle Tage Brutusse und Epaminondasse macht; das ist nicht schwerer zu kopiren als die Erinnerung oder die Sehnsucht von Herrn Dübüffe.« – Schweigen Sie, Herr Ginguet, Sie machen mir übel mit Ihrem Geschwätz! ... Man sieht wohl, daß Sie niemals zeichnen gelernt haben. – »Sie irren sich, mein Fräulein; ich habe es sechs Monate gelernt und konnte schon sehr gut Windmühlen machen ... soll ich weiter lesen?« – »Nein, Sie sehen ja, daß wir uns unterhalten. Trennen Sie mir diese Stickerei ab, das wird besser sein; aber nehmen Sie sich wohl in Acht, daß Sie nicht in die Spitzen hinein schneiden.« – »Seien Sie unbesorgt, mein Fräulein, ich werde wohl Acht geben.«

Und Herr Ginguet nahm die Stickerei und eine Schere, indem er sich zum Abtrennen anschickte, ohne daß er die Augen von seinem Geschäft zu verwenden wagte, aus Furcht, eine Ungeschicklichkeit zu begehen.

»Wenn das Gemälde meines Vetters für den Salon nicht angenommen würde,« fuhr Constanze fort, »so weiß ich gewiß, daß er der Malerei gleichfalls Valet sagen würde, wie der Musik und dem Theater.« – »Und was wäre das? Er sucht seinen Beruf; er möchte Alles thun! ... das ist unmöglich. Er hat viele Talente, Dein Vetter, aber keine Beharrlichkeit.« – »Ein dahin rollender Stein sammelt kein Moos!« sagte Herr Ginguet halblaut, indem er aufzutrennen fortfuhr.

»Sehr richtig, Herr Ginguet, wir werden sehen, welches Moos Sie sammeln, Sie, der seit sieben Jahren, glaube ich, bei der Verwaltung ist und immer noch überzähliger Volontär.« – »Mein Fräulein, man hat mir Unrecht gethan ... mich ohne Grund übergangen ... aber ich muß doch meinen Zweck erreichen.« – »Ja, wenn das so fortgeht, so wird man Sie in fünfzehn Jahren zum Abschreiber machen.« – »Ach! mein Fräulein ...« – »Geben Sie Acht, mein Herr, Sie werden die Spitzen zerschneiden.« – »Zum Bureauchef, wollten Sie sagen?«

Pelagie fing an aus vollem Halse zu lachen; in diesem Augenblick läutete man an der Thüre. Constanzens Antlitz erheiterte sich, denn sie zweifelte nicht, daß es ihr Vetter sei. Aber die Freude der Jungfrau war von kurzer Dauer.

Es war ein dicker, stämmiger, bausbackiger Zwerg, der in der Mitte des Gesichtes einen kleinen Auswuchs mit zwei Löchern hatte, welcher eine Nase vorstellen sollte, und darunter eine ungeheure Queröffnung, welche glücklicher Weise bei den Ohren aufhörte, was nebst den tellerbreiten Glotzaugen und den starrenden Haaren, deren Wurzel bei den Augenwimpern anfing, aus diesem Gesicht eines der groteskesten machte, auf die man nur in Dantans Galerien stoßen kann.

Dieser kleine Mann war der rechtschaffene Herr Pause, Pelagiens Onkel, der unerschrockenste Baßstreicher, womit aber nicht gesagt sein soll der beste, der weit früher als gewöhnlich aus seinem Theater heimkehrte.

Herr Ginguet ließ einen Augenblick von seiner Schneiderarbeit ab, um Herrn Pause ehrerbietig zu grüßen und ihm seinen Platz an dem Feuer abzutreten.

»Wie, Sie sind es, Herr Pause?« sagte Constanze; »aber es ist ja erst zehn Uhr, und gewöhnlich geht Ihr Theater nicht so bald zu Ende.« – »Allerdings, meine Theure, aber wir hatten diesen Abend ein neues dreiaktiges Stück, bei dem das Publikum an zwei schon genug hatte, was den Abend nothwendig verkürzte.« – »Das Stück ist also durchgefallen, lieber Onkel?« – »Durch und durch, meine Theure.« – »Es war also sehr schlecht?« fragte Ginguet, ohne von seiner Stickerei aufzusehen.

»Schlecht ... o! das kommt auf Allerlei an ... es waren schöne Sachen darin, besonders in den Orchesterpartien; übrigens wird man es morgen wieder geben, und der Direktor behauptet, es werde gehoben werden.« – »Doch nicht etwa mit Winden?« – »Nein Spötterin, durch ganz andere Mittel, durch große breite Hände ... zum Beifallklatschen und kräftige volltönende Stimmen zum Bravo- und Dacaporufen, was heute schon geschehen wäre, wenn man dem Verfasser den ganzen Saal eingeräumt hätte, wie man das gewöhnlich bei den Stücken unserer modernen großen Dichter macht, welche nicht dulden wollen, daß ein einziges bezahltes Billet in die erste Aufführung hereinkomme, weil man bei einer solchen auf seine Leute muß zählen können; nur dadurch wird eine allgemeine Begeisterung herbeigeführt. Heute aber hatte der Direktor die Schwachheit, das Stück selbst wirken lassen und die Einnahme einstreichen zu wollen; was erfolgte daraus? Es ist durchgefallen. Schöner Profit! ... Auch hat ihm der Dichter dies bewiesen, so klar, als zwei und zwei vier macht, indem er zu ihm sagte: ›Ich willige ein, Ihnen meine Werke zu geben ... ganz recht; aber es ist nicht hinreichend, mich theurer zu bezahlen als jeden Andern, Sie müssen auch die Einnahme der ersten sechs Vorstellungen opfern. Das, mein Herr, ist das einzige Mittel, heut zu Tage Geld zu machen.‹« – »Lieber Onkel! da bei der nächsten Vorstellung alle Billete gratis ausgegeben werden, könnten wir nicht auch zwei, für mich und Constanze, bekommen?« – »Ei, das wäre schwierig; man vertheilt die Billete nicht so leichtsinnig an die nächsten Besten, die eines verlangen; man will Leute, auf deren Handarbeit man rechnen kann, daher wenigst möglich Frauenzimmer. Zudem, liebe Pelagie, weißt Du, daß ich nicht gerne um die geringste Gunst bitte. Wir haben unser Dienstbillet, alle vierzehn Tage eines, das ist schon recht hübsch!«

»Ja, ja! ... sie sind hübsch, Ihre Dienstbillete,« sagte Ginguet, immer mit Auftrennen beschäftigt; »man muß einen Franken darauf zahlen und wird dann erst noch auf die Seite geschoben, an einen Platz, wo man nichts sehen kann; hernach sagt man Einem, daß man mit einem Zuschuß von einem zweiten Franken sich vornehm setzen darf. Gut, man gibt den Zuschuß, gehet nach vorn ... da ist kein Platz mehr ... man schreit ... man flucht ... man sieht leere Logen, aber um da hinein zu kommen, muß man weitere fünfzehn Sous zuschießen ... zusammen fünfundfünfzig Sous, um auf einen Platz zu kommen, der für den gewöhnlichen Käufer um fünfzig Sous offen steht. Man gibt also just fünf Sous weiter aus für solch ein geschenktes Billet und ist dabei noch zwei Stunden in der vor dem Theater wartenden Reihe gestanden; dabei rechne ich nicht einmal den Schemel, den einem die Schließerin beinahe mit Gewalt unter die Füße schiebt, den Text, den man kaufen muß, und das Trinkgeld für die Aufbewahrung des Regenschirmes ... oh! solche Freibillete sind mir ein Gräuel! lieber wollte ich eine Loge miethen, als jemals ein Billet von der Verwaltung annehmen.« – »Der arme Herr Ginguet! ... wie er sich echauffirt! ...« – »So hören Sie doch, mein Fräulein, ich erinnere mich nur an das letzte Mal, als ich meine Tanten und meine Schwestern in's Theater führte! ... ich hatte Freibillete von der Verwaltung, und all' mein Erspartes vom ganzen Monat ging dabei drauf!« – »Geben Sie doch auf meine Stickerei Acht, das wird weit besser sein ... Da haben wir die Bescherung! ... Eine Spitze aufgeschnitten! ... Oh! ich konnte mir's denken! ... Her damit, mein Herr; Sie sollen es nicht mehr anrühren.« – »Mein Fräulein! ich werde eine Spitze einsetzen lassen ...« – »Ach, bleiben Sie mir vom Leibe mit Ihrer eingesetzten Spitze, wir sind fertig! ...«

Pelagie nimmt Herrn Ginguet ihre Stickerei ab; er scheint bestürzt; in diesem Augenblick läutet man von Neuem.

»Ah! das ist er ganz gewiß!« ruft Constanze.

Bald tritt ein junger Mann mit spiegelglatten Haaren, einem Spitzbart am Kinn und mit regelmäßigen Zügen, welchen zum Unglück ein Ausdruck von anmaßlicher Selbstgenügsamkeit allen Reiz benimmt, in das Zimmer, wirft sich sofort, ohne Jemand zu grüßen, mit schlechter Laune in einen Lehnsessel und ruft aus: »Es ist erbärmlich! ... entsetzlich! abscheulich! ...« – »Was denn, lieber Vetter?« fragte Constanze, den eben eingetretenen jungen Mann ängstlich ansehend.

»Kommen Sie aus unserem neuen Stücke?« sagte Herr Pause, indem er mit seinen Fingern wie mit einem Taktirstab auf dem Kamin trommelte. »Ich glaube doch, es sind hübsche Ideen darin ...« – »Ach! ich bekümmere mich wenig um euer Stück ... von meinem Gemälde handelt es sich ... von meinem köstlichen Gemälde! ... welcher Ton! ... welche Feinheit! ... welche Farben! ...« – »Nun, lieber Vetter?« – »Nun! man hat es in der Kunstausstellung nicht angenommen; diesen Abend erhielt ich die bestimmte Nachricht.« – »Nicht angenommen!« – »Ja, Cousine! da habe Einer Talent, Genie, entschiedenen Künstlerberuf, heutzutage sind es die Intriguanten, welche oben schwimmen, welche ankommen, welche Geld und Anerkennung finden! ... wer aber in keiner Coterie steckt, wird zurückgestoßen. Man überhäuft ihn mit Hindernissen, mit Widerwärtigkeiten, damit er einer Laufbahn entsage, in welcher er seine Nebenbuhler niedergeschmettert hätte.« – »Uebrigens, mein Freund,« sagte Herr Pause, mit dem Kopfe taktirend. »das Publikum ist keine Coterie, von ihm gehen erst die wahren Erfolge aus, trotz aller Zeitungsartikel, welche bisweilen in Betreff der Kunst eben so unparteiisch lügen, als in Betreff der Politik; und früher oder später dringt das Talent durch; aber Beharrlichkeit gehört zu Allem! ... da sehen Sie mich an, ich habe die Musik immer leidenschaftlich geliebt ... der Baß war mein Abgott ... ich malte Baßgeigen mit Kohlen an Thüren und Mauern! ... mein Vater wiederholte mir freilich oft: ›Es wäre besser, Du nähmest das Ellenmaß zur Hand, um Zitz auszumessen, als daß Du diese dicke Geige zwischen Deine Beine stecktest; Du bist für einen Kramladen geboren und nicht, um auf den Därmen herumzukratzen;‹ (ich muß nämlich selbst zugestehen, daß ich im Anfange meines Studiums dergestalt auf meiner Brummerin herumfuhr, daß die Hunde erbärmlich heulten und die Nachbarn rebellisch wurden) aber ich fühlte wohl, daß ich nur für die Musik geboren sei! Ich bildete mich trotz tausend Unannehmlichkeiten darin fort, und kurz, ich darf sagen, es ist mir gelungen; ich bin zu meinem Zweck gekommen, bin eingereiht, bin nützliches Mitglied eines Orchesters, ohne daß, was ich ohne Ruhmredigkeit versichern kann, je eine Zeitung von mir gesprochen hat.«

Edmund unterdrückte ein ironisches Lächeln, das auf seine Lippen kam, und antwortete: »Ich habe keine Lust, fünfundzwanzig bis dreißig Jahre zu warten, um Anerkennung zu finden; in unserem Jahrhundert muß Alles schnell gehen, da muß man auf der Stelle reich, glücklich, bewundert sein! Ich will es machen wie Andere. An innern Mitteln fehlt es mir nicht; in der Musik habe ich augenblicklich die Regeln der Composition begriffen.« – »Ja, ja ... o! es wäre Ihnen vielleicht gelungen ... in Ihrem Walzer finden sich Spuren von schönen Ideen!« – »Theaterstücke! ... ich hätte in jeder Woche eines fertig gebracht, wenn man sie angenommen hätte ... und vollends Romane! Ist es denn so schwer, welche zu schreiben? Man fabricirt dermalen so schlechte!« – »Gewiß, es kann unmöglich schwer sein, schlechte zu machen!« – »Was mein Gemälde betrifft, so haben Sie es gesehen, Herr Pause; nun, antworten Sie mir, war es denn nicht gut?« – »Es hatte ebenfalls sehr schöne Ideen!« antwortete Herr Pause, immer mit seinen Fingern trommelnd.

Edmund stand auf und spazierte einige Augenblicke im Zimmer auf und ab, offenbar in tiefes Nachdenken versunken. Die beiden Mädchen arbeiteten stillschweigend; denn die Eine dachte daran, daß ihre Ehe abermals verschoben werden würde, und die Andere, daß sie ihre hübsche Toilette als Kranzjungfer nicht so bald werde anlegen können. Auch Herr Pause verhielt sich still; nur daß er ein Andante oder ein Presto trommelte; Herr Ginguet endlich wußte nicht mehr, wie er sich auf dem Sessel halten sollte, seitdem er eine Spitze Pelagiens durchschnitten.

Bald klärte sich jedoch Edmunds Stirne auf, seine Züge belebten sich, seine Augen strahlten, und er rief aus: »Wahrhaftig, ich bin ein gutmüthiger Tropf, daß ich mich über das Unrecht der Thoren quäle! denn genau betrachtet, ist es doch nur eine Einfaltspinselei, zu arbeiten, sich abzumühen, damit man ein Talent erwerbe, das unsere Mitbürger nicht zu schätzen verstehen! das sie sogar anschwärzen, das sie aus Neid mißhandeln werden! Da mühe sich Einer ab für Neidische, für Undankbare! ... Dummheit das! ... Reichthum allein, Reichthum muß man haben, weil man diesem allein alle Ehren erweist, allein jedes Verdienst beimißt. Ja, ich bin entschlossen; ich entsage den schönen Künsten; ich erkenne keinen andern Gott mehr an, als Plutos; ihm will ich Weihrauch anzünden. Meine theure Cousine, Du wirst keine Celebrität, keinen verkörperten Ruhm heirathen; aber einen Millionär sollst Du haben, Wagen, Hotel, Diamanten, Lakaien ...« – »Was sagst Du da, lieber Vetter? Welcher neue Plan schießt Dir durch den Kopf?« – »O! der Plan ist jetzt zum festen Entschluß gereift! Ich will sehr reich werden ... sehen wir denn nicht alle Tage Thoren und Tölpel ihr Glück machen? Demnach scheint mir, daß ein Mann von Geist, wenn er sich die Mühe dazu nehmen will, es leicht auch dahin bringen kann.« – »Das ist noch kein Grund,« sagte Constanze seufzend; »im Gegentheil, wenn sich das Glück vorzugsweise an die Fersen der Thoren heftet, haben die Klugen sich um so mehr in Acht zu nehmen, und es ist kein Zweifel, daß man in der richtigst berechneten Spekulation sein Geld verlieren kann. Ueberdies, lieber Vetter, sind denn große Reichtümer durchaus zum Glücke unentbehrlich? Jedes von uns hat sein anständiges Auskommen und ich dächte, wir könnten uns damit begnügen. Ich begehre in der Welt weder zu glänzen noch Jemand zu verdunkeln.« – »Und ich, Cousine, will, daß Du alle andern Damen mit Deiner Toilette, Deinen Diamanten verdunkelst, ich will, daß man das Loos meiner Frau beneide! ... daß man sage, Madame Guerval braucht nur einen Wunsch, ein Verlangen blicken zu lassen, so ist es auch erfüllt! ihr Gemahl schlägt ihr Nichts ab! ... mit einem Wort, die Mittel zum Gelingen habe ich bereits im Kopfe und in Kurzem werde ich kommen, Dir meine Reichthümer und meine Hand zu Füßen zu legen.« – »Wie Du willst, lieber Vetter, aber bedenke wohl, daß Deine Reichthümer mein Glück nicht vergrößern werden.« – »Ich möchte wohl auch das Mittel kennen, womit er so plötzlich eine Million zu gewinnen hofft,« dachte der ehrliche Bassist, den Kopf mit einigem Zweifel erbebend.

»Herr Ginguet, meines Erachtens sollten Sie es auch versuchen, ein Millionär zu werden,« sagte Pelagie, den jungen Supernumerarius spöttisch ansehend; »dann dürften Sie sich nicht in Ewigkeit als unbezahlter Volontär abquälen.« – »Ach! mein Fräulein, ich bin in gar Nichts glücklich!« antwortete Ginguet mit einem schweren Seufzer. »Was soll ich denn unternehmen?« – »Jedenfalls rathe ich Ihnen, sich nicht mit Abtrennen zu beschäftigen, denn darin machen Sie keine glänzenden Geschäfte!«

Und das junge Mädchen brach in ein lautes Gelächter aus, wahrend der junge Mann die Augen niederschlug und beinahe zu weinen Lust hatte.

»Meine Kinder,« sagt Herr Pause nach einer Weile, »würden wir einstweilen, bis Herr Edmund seine Million hat, nicht wohl daran thun, zu Bette zu gehen?« – »Ja wohl. Gute Nacht, lieber Vetter,« sagte Constanze, ihre Arbeit niederlegend und aufstehend; »wir werden Dich hoffentlich morgen sehen?« – »Ja, liebe Cousine, ich werde immer kommen ... und in Kurzem sollet ihr sehen, daß ich kein Aufschneider bin.« – »Nein, das Aufschneiden ist Sache Herrn Ginguets,« bemerkte Pelagie gegen diesen, indem sie ihn mürrisch anfuhr: »was suchen Sie denn noch?« – »Ich suchte nur meinen Hut,« sagte der bestürzte Supernumerarius, am ganzen Leibe zitternd.

»Das ist jeden Abend die alte Leier,« fuhr Pelagie fort; »Sie wissen nie, wo Ihr Hut liegt und eben so wenig, wo Ihnen der Kopf steht.« – »Das sollte Sie am wenigsten wundern, mein Fräulein,« erwiderte der arme Tropf halblaut.

Herr Ginguet wußte gar wohl, wo sein bescheidener Deckel lag, aber er stellte sich, als suche er ihn im Nebenzimmer, weil er noch Gelegenheit zu finden hoffte, sich Pelagien zu nähern und sie leise um Verzeihung zu bitten, daß er in ihre Stickerei geschnitten; denn der arme Junge hatte das Vorgefühl einer schlaflosen Nacht, wenn er das junge Mädchen im Aerger über ihn zurückließe.

Aber Pelagie ließ sich mit Fleiß nicht in der Nähe des Herrn Ginguet finden, und dieser mußte schweren Herzens abziehen; schon war Edmund an der Thüre und wünschte den beiden Fräulein und Herrn Pause einen guten Abend.

Da ließ sich die Stimme Pelagiens mit dem ihr natürlichen spöttischen Tone von Neuem vernehmen: »Herr Ginguet, wenn Sie Ihren Hut nicht finden, so ist mein Onkel bereit, Ihnen eine Baumwollmütze auf den Heimweg zu leihen.« – »Ich habe ihn, mein Fräulein, ich habe ihn!« antwortete Ginguet, ganz jammervoll mit seinem Hut zurückkommend: »ich bin trostlos, daß man auf mich warten mußte ... ich bin diesen Abend sehr unglücklich ... ich bin so ... so ...« – »Genug, genug, Herr Ginguet, gute Nacht für heute; Sie können uns das Uebrige ein anderes Mal sagen.«

Und die Glasthüre schloß sich hinter dem jungen Manne, welcher der Verneigungen kein Ende finden konnte. Als er sah, daß er sich nur noch den Wänden empfahl, entschloß er sich, die Treppe hinabzugehen, aber traurig vor sich hinmurmelnd: »Sie ist mir sehr gram! ... ich bin außerordentlich unglücklich ... und doch gäbe ich Alles hin, um von Fräulein Pelagie geliebt zu werden! Wenn ich in ihrer Nähe bin, mache ich lauter ungeschickte Streiche.«

Die beiden Jünglinge standen auf der Straße. Hier mußten sie sich trennen, denn der Eine wohnte oben in der Vorstadt und der Andere unten am Boulevard. Aber Ginguet hatte sich auf die Steinbank vor dem Hause gesetzt und schien geneigt, da zu bleiben. Edmund klopfte ihm auf die Schultern, indem er sagte: »Gute Nacht, mein lieber Ginguet.« – »Gute Nacht, Herr Edmund.« – »Haben Sie im Sinne, die Nacht auf dieser Bank zuzubringen?« – »Ich weiß nicht, was ich thun werde ... ich bin so unglücklich! ... ach! Herr Edmund, Sie wissen nicht, was hoffnungslose Liebe heißt. Sie, der des Herzens seiner Cousine gewiß ist; aber ich bete eine Undankbare, eine Grausame, ein Kieselherz an ... ich könnte vierzehn Tage in Einem fort weinen, ohne daß Fräulein Pelagie mich auch nur fragte, warum ich rothe Augen habe ...« – »In diesem Fülle scheint mir, thäten Sie ebenso gut daran, nicht zu weinen.« – »Hat man denn das in seiner Gewalt? ... Wenn Fräulein Pelagie mich während des Abends hart behandelt, so schluchze ich die ganze Nacht so stark, daß meine Seitennachbarin mich schon mit einer Klage beim Commissär bedroht hat, weil ich sie am Schlafen verhindere.« – »Armer Ginguet! ... Gute Nacht; ich will von meinen Vermögensentwürfen träumen.«

Edmund entfernte sich, Ginguet auf der Steinbank zurücklassend. Endlich erhob der arme Junge den Kopf und betrachtete die Fenster des Zimmers von Herrn Pause, indem er zu sich sagte: »Wenn sie sich an den Kreuzstock begäbe ... wenn ich sie nur mit ihrem Lichte vorüberwandeln sehen könnte.«

Und so blieb er stehen mit emporgerecktem Hals, die Nase hoch, die Augen auf die Fenster des vierten Stocks gerichtet, einige Schritte thuend, dann wieder innehaltend; und gleich jenem Astronomen, der den Mond im Gehen betrachtete und einen Graben vor seinen Füßen nicht sah, so sah auch der unglückliche Liebhaber, während er zu den Fenstern seiner Geliebten hinaufschaute, die Steine nicht, welche man an der Gosse gelassen hatte, die von dem Regen sehr angeschwollen war.

Herr Ginguet stolperte und fiel gerade mitten in das Wasser, das zu einem Bade gar nichts Einladendes hatte. Da jedoch eine unerwartete physische Empfindung stets die psychische unterbricht, so sprang Herr Ginguet, sich wie ein Pudel schüttelnd, auf, und eilte nach Hause, ohne versucht zu sein, Fräulein Pelagiens Kreuzstöcke noch länger zu betrachten.


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