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Eine Überraschung

Papa und Friedel waren nun schon wieder bald vier Wochen daheim. – Tante Lenchen war ganz gerührt gewesen, als die beiden so flink heimkehrten, und sie hatten nur an ihr zu trösten gehabt. Es tat ihr so schrecklich leid, und sie machte sich solche Vorwürfe, ihnen die Freude gestört zu haben.

»Die einfältige Dörte war an allem schuld, siehst du, Konrad. Stellt mir die alberne Person da den Melkeimer samt der Milch auf die Milchkellertreppe. Ich stolpere darüber und lieg' unten mit der ganzen Bescherung. Ich denk', mich soll der Schlag rühren, wie ich aufstehen will und merke, wieviel die Uhr geschlagen hat. Da lieg' ich nun.«

»Na wart nur, Lenchen, in vier Wochen bist du wieder so weit, daß du mal zur Abwechslung die Kohlenkellertreppe 'runterfallen kannst,« meinte der alte Herr aufmunternd.

»Ein netter Trost,« brummte Tante Lenchen, mußte aber doch in Friedels helles Lachen einstimmen.

Friedel hatte sofort, wie selbstverständlich, die Pflege bei Tante Lenchen übernommen, und die Tante kam nicht aus dem Wundern heraus, wie flink und geschickt und wie anstellig das Kind alles anzupacken verstand.

»Du glaubst nicht, Konrad, was für eine weiche, geschickte Hand Frieda hat. Im Leben hätte ich das nicht gedacht. Es lohnt ordentlich, krank zu werden, um sich von ihr pflegen zu lassen.«

»Jungchen?« hatte Papa Polten stolz geantwortet, »'ne weiche Hand und 'n weiches Herz, Lenchen, 'n weiches, weiches Herz. Hätt'st mal sehen sollen, wie sie gleich bereit war, alles Vergnügen aufzugeben und zur Pflege mitzukommen. Sofort, Lenchen, sofort!«

»Gott segne das Kind!«

Tante Lenchen schnüffelte, ein bißchen.

»Sag mal, Konrad, wie war denn Frieda auf der Reise? Ich meine, wie hat sie sich benommen?«

»Ausgezeichnet!«

»Na natürlich,« sagte Tante Lenchen trocken. »Jetzt wollte ich aber nur wissen, wie sie mit dem Herrn von Rödern war, ob sie sich wieder wie ein toller Junge benommen hat. Mit Entsetzen denke ich noch an die Hochzeit.«

»Ach, die beiden waren die besten Kameraden.«

»Na natürlich, sagt Frida auch. Die besten Kameraden! Bist du denn ganz verdreht, Konrad? Ist denn das richtig, ja nur anständig, wenn eine junge Dame der ›beste Kamerad‹ von einem jungen Herrn ist?«

»Herr von Rödern ist aber kein junger Herr, und Jungchen –«

»Jungchen und immer wieder Jungchen! Erbarm dich! Du bist wohl ganz unklug, Konrad? Wie lange soll denn deine Tochter noch ›Jungchen‹ bleiben? Etwa bis sie heiratet und darüber hinaus?«

»Jungchen und heiraten!« Papa Polten lachte dröhnend!

Dann verstummte er jäh vor dem Blick, den ihm die Schwester zuwarf.

»Erbarm dich!« war alles, was sie sagte. Dabei tippte sie sich an die Stirn.

Der Bruder wollte ärgerlich auffahren, besann sich aber, daß die Schwester geschont werden müsse, und begnügte sich damit, die Tür, die er schon in der Hand hielt, wortlos, aber etwas unsanft hinter sich ins Schloß zu werfen.

Friedel war wirklich eine musterhafte Pflegerin. Solange sie bei der Tante war – und sie verbrachte den größten Teil des Tages bei ihr – solange bezähmte sie ihr Temperament dermaßen, daß Tante Lenchen sie oft, beinahe unheimlich berührt, von der Seite ansah. Was hatte das Kind? Kam nun doch die Vernunft ganz von selbst?

Tante Lenchen traute der Sache nicht, sie konnte sich nicht ganz zurechtfinden, und sie ertappte sich öfters darüber, daß sie ganz erleichtert aufatmete, wenn Friedel in alter, polternder Weise die Treppe hinabstürmte und dazu irgend einen Gassenhauer pfiff.

Daß sie meist zur Zeit, wenn der Postbote kam, sehr unruhig wurde, entweder vom Fenster aus nach ihm spähte oder ihm lange vorher entgegenrannte, hatte die Tante auch gemerkt, und sie freute sich jeden Tag, wie innig die Schwestern aneinander hingen.

Kam ein Brief von Lisa, so war Friedel ganz aus Rand und Band, und wenn die Adresse an den Papa oder an die Tante lautete, so erregte sich Friedel dermaßen, bis der Brief geöffnet war, daß Tante Lenchen jedesmal den Kopf schüttelte und warnend den Finger hob: »Erbarm dich, Kind. Man saust nicht stets mit Extrapost durchs Leben. Du wirst auch noch ausspannen lernen.«

Lisa schrieb vergnügt, aber voll Heimweh nach den geschiedenen Lieben.

»Wir vermissen Euch alle sehr und kommen uns wie drei Waisenkinder vor. Werner und ich bleiben noch vierzehn Tage, dann ist die schöne Zeit zu Ende. Herr von Rödern geht in acht Tagen noch nach dem Engadin, wo er drei Wochen zu bleiben gedenkt. Mitte September etwa will er daheim sein, dann zieht sein Pächter ab. Der wird Euch wiedersehen, der Glückliche, ich beneide ihn so sehr darum. Sag mal, Friedel, Kind, Du mußt doch sehr abweisend gegen ihn gewesen sein noch zuletzt. Mir fällt auf, daß er so gar nicht von dir redet, und nur immer das Wiedersehen mit Papa betont. Hast du ihn etwa noch irgendwie gekränkt? Seid nur ja alle recht nett mit ihm, er ist doch Werners bester Freund und so allein, und –«

Bis dahin hatte Papa Polten, an den der Brief adressiert war, gelesen.

»Schnickschnack!« unterbrach ihn hier Friedel; »albernes Getue, als ob –«

Sie murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, und Tante Lenchen sah mit Erstaunen, daß ihrer Nichte die hellen Tränen in den Augen standen.

Offenbar, weil Friedel das nicht zeigen wollte, sprang sie so jäh auf, daß ihr Stuhl sich mit Donnergepolter überschlug. Sie aber war, ohne sich danach umzusehen, geschweige denn zu bücken, wie der Wirbelwind aus dem Zimmer. Man hörte sie mit Riesensätzen die Treppe hinunterspringen, unten den Hunden pfeifen, und nach kurzer Pause hörte man Pferdehufe klappern, und wie der Papa zum Fenster eilte, sah er noch eben Friedel auf Lady aus dem Tor jagen, und die Hunde wie toll hinterher stürzen.

Er riß das Fenster auf.

»Jungchen!«

Sein Ruf verhallte ungehört, Friedel war schon am Ende der Dorfgasse.

»Daß dich –«

Der alte Herr schüttelte ganz verdutzt den Kopf, ebenso verdutzt sah ihn Tante Lenchen an.

»Was hat das Kind?«

»Weiß ich's?«

Er zuckte die Achseln.

»Meine Ahnung, meine Ahnung!« jammerte nun Tante Lenchen. »Ich wußte ja doch, daß Frieda sich irgendwie entsetzlich benommen haben müsse dem Herrn gegenüber. Die Hochzeit steht mir noch zu deutlich vor Augen. Der Herr Bruder bestanden darauf, die beiden waren die besten Kameraden. Die besten Kameraden, jawohl. Was sagt der Herr Bruder nun? Ist denn aus Lisas Brief nicht deutlich die Bestätigung zu lesen, wie recht die alte, einfältige Person, die Tante, wieder einmal hatte? He, Konrad?«

Papa Polten brummte nur was vor sich hin, und Tante Lenchen nickte dazu sehr ernst und sehr wichtig mit dem Kopfe.

»Ja ja, so 'ne alte, einfältige Person!« wiederholte Tante Lenchen noch ein paarmal mit sichtlichem Behagen. Dann plötzlich rief sie: »Konrad!«

»Lenchen?«

»Wie konnte Frieda das Pferd so schnell gesattelt haben?«

»Es war eben nicht gesattelt!«

»Und sie ist so –«

Tante Lenchen erstarb vor Entsetzen das Wort in dem Munde.

»Erbarm dich!« seufzte sie nur noch ganz schwach, »das Kind ist der Nagel zu meinem Sarge!«

Das hatte Tante Lenchen lange nicht gesagt, sehr lange nicht, mindestens solange nicht, als Friedel zurück war von der Reise.

Es war ein schlimmer, ein sehr schlimmer Rückfall. –

*

Am Nachmittag, war Friedel sehr geknickt, sehr ernst, sehr würdevoll.

Tante Lenchen, schmiedete das Eisen, solange es heiß schien.

»Laß uns doch den Wallenstein lesen, Frieda, Kind. Es ist lange her, daß ich ihn las, und du –«

Der Satz blieb unvollendet, man konnte sich den Schluß hinzudenken.

Stillschweigend holte Friedel den Schiller herbei und schlug den Wallenstein auf.

Die Tante mußte sich nur wundern, mit wie viel Verständnis die Nichte las. Das Lager freilich, das ist nach ihrem Geschmack, dachte sie. Aber auch später, wie die ernsteren, ja wie die zarten Szenen kamen, hielt sich der Vortrag auf der Höhe.

Die Tante hatte eigentlich erwartet, bei den Liebesszenen in den Piccolomini die Lektüre unterbrochen zu sehen oder doch spöttische Randbemerkungen hören zu müssen.

Statt dessen ging es glatt weiter, ja mit so zarter, inniger Betonung, daß Tante Lenchen die Nichte ein paarmal verstohlen von der Seite ansah. Steckte das alles hinter dieser tollen Außenseite? Tante Lenchen schüttelte den Kopf. Die Welt heutzutage wurde immer unverständlicher.

Auch am Abend, als Friedel die Tante schon längst für die Nacht auf ihr Lager gebettet hatte, hörte diese Geigenklänge von der Terrasse herauf. Und da mußte sie sich wieder wundern und mußte staunen. Es war so etwas eigenartig Tiefes und Weiches in das Spiel gekommen.

Tante Lenchen schüttelte den Kopf. Was wollte das werden? Was drängte sich da ans Licht?

Sie nahm sich vor, andern Tages das Kind sehr sorgfältig zu beobachten, um dem Fremden, das offenbar in der jungen Brust quoll und rang, auf die Spur zu kommen.

Aber gerade da hatte Friedel wieder ihren tollen Tag. Sie jagte durchs Haus, sie pfiff, sie sang Schelmenlieder, sie hetzte sich mit den Hunden.

Tante Lenchen hörte sie im Garten mit der Flinte knattern, dann galoppierte sie rittlings mit der Lady davon.

Die Tante hatte dies von ihrem ans Fenster geschobenen Lager aus beobachten können.

Sie seufzte und ließ den Kopf in die Kissen sinken. War sie denn nicht bei Sinnen gestern, daß sie an einen Umschlag bei der Nichte glauben konnte? – –

So gingen die Tage und Wochen dahin.

Tante Lenchen hatte nur noch wenig Schmerzen. Der Bruch heilte günstig. Es war nur ein leichter Knochenbruch gewesen, und schon humpelte die Patientin, auf einen Stock und auf die Nichte gestützt, wieder durchs Haus.

Der Papa hatte sehr viel draußen zu tun. Durch die Reise war doch manche Arbeit in Rückstand gekommen. Das Auge des Herrn hatte gefehlt.

Dadurch war er ein bißchen brummig, der Papa, und »Jungchen« hatte oft große Not, ihn ein wenig zu erheitern.

Friedel hatte die Violine geholt, sie dachte, ihn durch ihr Spiel aus seiner verdrießlichen Stimmung herauszureißen.

Er hörte ein Weilchen geduldig zu, dann brummte er: »Sag mal, Jungchen, weshalb spielst du denn gar keinen richtigen Walzer oder Galopp mehr oder meinethalben irgend einen Gassenhauer? Lauter so schmachtlappiges Zeug, Mondschein und Zuckerwasser, puh!«

Friedel war sehr verlegen geworden.

»Ich dachte –begann sie, aber was sie dachte, verschlangen alsbald die forschen Klänge des Hohenfriedberger Marsches.

Und Papa Polten schlug den Takt dazu und summte sehr befriedigt mit.

Tante Lenchen, die mit einem ungeheuren Flickkorb neben den beiden saß, hatte den Kopf gehoben, gelauscht und ihn dann geschüttelt.

Also hatte sie doch nicht etwa geträumt gehabt, als sie die Bemerkung zu machen glaubte, daß mit Friedas Spiel nicht alles wie früher war.

Sieh, sieh!

Selbst der Konrad, der sonst blind wie ein Maulwurf dahin tappte, hatte das gleiche bemerkt.

Hm, hm!

Was es wohl war?

Tante Lenchen schielte mit halbem Blick nach Friedel hin.

Ihr war weiter nichts anzumerken, oder stammte etwa die Röte, die auf ihrem Gesicht lag, noch von der Anstrengung des Spiels her?

*

Lilly und Max Metzler waren endlich einmal gekommen, Friedel zu besuchen. Seit Anfang September, seit sie mit den Eltern von der Sommerreise zurückkamen, war der Besuch schon geplant gewesen, aber immer war etwas dazwischen gekommen.

Inge Dahlen hatte mit von der Partie sein sollen, konnte aber schließlich doch nicht die Zeit dazu finden. Sie steckte mitten in den Vorbereitungsarbeiten zum Eintrittsexamen fürs Lehrerinnenseminar, wozu sie sich auf Zureden des Vaters nun doch entschlossen hatte.

»Sieh, Kind,« hatte der gesagt, »wenn du willst, daß ich einmal in Frieden sterben soll, so suchst du dich so weit zu bringen, daß du, wenn's sein muß, auf eigenen Füßen stehen kannst. Es wird heutzutage so viel über die Frauenfrage geredet. Meiner Meinung nach besteht deren einzige Lösung darin, daß jeder Vater seinen Töchtern dieselbe Erziehung zu teil werden läßt wie seinen Söhnen, das heißt für sie desgleichen irgend einen Beruf ins Auge faßt. Fügt es das Schicksal dann so, daß die Tochter den schönsten und höchsten Beruf des Weibes ausfüllen kann, an der Seite des geliebten Gatten dem eigenen Haushalt vorzustehen, gut und schön. Andernfalls braucht sie weder um der Versorgung willen einen ungeliebten Mann zu heiraten, noch aber der Wohltätigkeit andrer zur Last zu fallen und sich als unnützes Möbel aus einer Ecke in die andre schieben zu lassen.«

Das hatte auch Inge eingesehen und sich entschlossen, das Lehrerinnenexamen zu machen.

Davon erzählte nun Lilly mit großer Wichtigkeit, als die ersten Begrüßungen mit Friedel vorüber waren.

Friedel war ihren Gästen ein großes Stück entgegen gegangen und hatte sie dann, am Waldrand sitzend, erwartet.

Drunten zog sich die Chaussee hin und war nach beiden Seiten in weiter Krümmung zu überblicken.

Unmittelbar Friedel gegenüber, doch eine ziemliche Strecke weit, inmitten grünen Wiesengeländes lag ein stattlicher Herrenhof. Sie konnte just das große Einfahrtstor und dahinter den Hof überblicken.

Dort herrschte reges Leben. Man sah einen großen Möbelwagen vor dem Wohnhause stehen und viele Menschen geschäftig hin und her eilen. Friedel wendete kein Auge von dort, es mußte sie da etwas mächtig interessieren. Ihre Aufmerksamkeit wurde erst abgezogen, als Lilly und Max sie von der Straße her anriefen.

»He, Friedel, Friedel!«

Friedel erwachte wie aus einem Traum. Statt aber die Begrüßung zu erwidern, zog sie sich eilig und wie verlegen in den Waldschatten zurück.

Verwundert folgten die beiden.

»Was hast?« rief Lilly schon von weitem.

»Ich – man hätte uns hören können.«

Friedel war sehr rot und heiß. Aber da stand Max vor ihr.

»Willkommen daheim, Frie – Fräulein Friedel,« verbesserte er sich. Ein Etwas in Friedels Wesen kam ihm fremd vor.

Und merkwürdig, Friedel ließ ihn ruhig gewähren; dies »Fräulein Friedel« dünkte sie auf einmal ganz in der Ordnung.

Lilly konnte sich gleichfalls nicht sofort zurecht finden mit der Freundin.

»Sag mal, Friedel,« meinte sie, »sind's wirklich nur die sechs, acht Wochen, die wir uns nicht gesehen haben? Du kommst mir so verändert vor. Gewachsen und ernster und – und –«

Hübscher hatte sie sagen wollen, es aber mit einem Blick in Friedels Gesicht, das einen ganz sonderbar verlegenen Ausdruck zeigte, unterdrückt.

Max bestätigte bei sich die nicht laut gewordene Wahrnehmung der Schwester.

Alle Wetter, ja, Friedel hatte sich wahrhaftig in der kurzen Zeit wunderbar »heraus gemacht«! Ein netter Kerl war sie schon immer, aber jetzt, alle Achtung!

Und wirklich stand sie so schlank und mädchenhaft da, die tolle Friedel, in ihrem einfachen weißen Wollkleide. In weichen Ringeln lagen die sonst so widerborstigen Kraushaare um das braune Gesicht, das einen Schatten bleicher, etwas länger, schmaler, feiner, sozusagen durchgeistigter geworden war. Aus den großen grauen Augen sprach neben dem sprühenden Übermut von früher etwas Warmes, Weiches, Tiefes, das sich einem wie eine Liebkosung aufs Herz legte. In diesem Augenblick war freilich davon nichts mehr zu verspüren. Lillis stürmische Begrüßung hatte sofort wieder die alte, tolle Friedel hervorgezaubert.

»Juhu, Kinder, wie nett, daß ihr da seid! Nun wollen wir aber mal den Tag genießen und nach Kräften lustig sein!«

Und sie warf den Kopf zurück, daß die Haare flogen, sauste den Waldpfad dahin, daß die andern beiden kaum folgen konnten, und hielt erst ein, als man weit, weit von der Stelle fort war, wo sie sich getroffen hatten.

Nun gab's furchtbar viel zu erzählen, besonders Max und Lilly. Das Geschwisterpaar hatte sich in Oberhof in Thüringen, wo sie waren, herrlich amüsiert.

»Die Gesellschaft war zu nett, Friedel, die Gegend ja auch. Aber siehst du, fast lauter junge Leute unsres Alters; ich sage dir, es war himmlisch!«

Lilly verdrehte ordentlich die Augen.

Max stimmte lebhaft bei.

»Sag mal, Friedel, wie war's denn bei euch? Hattet ihr auch nette Gesellschaft?«

»Die beste!« sagte Friedel ernsthaft. »Lauter hohe Herrschaften! Jungfrau, Mönch, Eiger und wir alle –«

Lilly rümpfte das Näschen.

»Sonst niemand?«

»Doch, wart' mal, noch so ein Freund von Werner.«

»Wie war denn der?« fragte Lilly äußerst interessiert. »Nett, jung?«

Friedel blieb die Antwort schuldig, da sie im selben Augenblick der Hunde, die sich unter dem Hoftor sonnten, ansichtig wurde.

»Hallo, Hektor, Sultan!« und in der tollen Hetzjagd, die nun folgte, wurde jede Unterhaltung unmöglich. –

Man saß bei Tisch.

Max und Lilly erzählten wieder recht lebhaft von Oberhof. Friedel interessierte sich offenbar sehr dafür, denn sie wußte durch geschickt gestellte Fragen die Unterhaltung immer bei demselben Thema zu erhalten, was sich umso leichter tun ließ, als der Papa ein bißchen brummig und wortkarg war, und die Tante von irgend einem häuslichen Vorkommnis innerlich sehr in Anspruch genommen zu sein schien.

»Sie bekommen aber wirklich einen sehr netten neuen Nachbarn, Herr Polten,« wendete sich Max in einer nun eintretenden Gesprächspause an den Herrn des Hauses. »Ich war heute morgen zufällig mit einigen Kommilitonen am Bahnhof, als er ankam. Sehr forsch und sehr fein, in den besten Jahren. Ein Herr von Röden, Röder oder so etwas.«

Papa Polten lachte dröhnend.

»Was Sie uns da Neues erzählen, junger Freund! War ja alle die Zeit mit uns in der Schweiz zusammen! Hat denn Jungchen –«

Ein fragender Blick traf »Jungchens« leeren Platz. Jungchen hatte soeben die Serviette fallen lassen und sich lebhaft bemüht, sie aufzuheben. Das einfältige Ding war aber ganz unter den Tisch gerutscht, da blieb nichts übrig, als ebenfalls unterzutauchen.

Max beeilte sich zu helfen, aber Friedel tauchte schon wieder auf, ganz rot und heiß von der gehabten Anstrengung.

»Ei, Jungchen, sag mal, hast du denn nicht erzählt, daß Herr von Rödern unser Reisebegleiter war?«

»Doch, Vaterherz –« Friedels Stimme klang sehr hell und etwas gemacht unbekümmert – »ich habe gesagt, daß ein Freund Werners dabei war. Ob ich den Namen genannt habe, weiß ich nicht; ist ja auch einerlei.«

»Hast du nicht,« sagte Lilly schnell und sehr interessiert. »Also der war's? Max sagt –« Was Max sagte, behielt die kleine Dame für sich, ein neuer Gedanke kam ihr. »Daß du's aber nicht gleich erzählt hast, daß er da war. Du mußt ihn doch gesehen haben, denn du hast ja Rödershof, wie das Gut jetzt heißen soll, gerade gegenüber gesessen am Wald, als wir kamen. Man muß doch von dort den ganzen Hof überblicken können, ich selbst –"

»Ich hab' eben dort wahrscheinlich nicht hingesehen,« sagte Friedel sehr kalt ablehnend, »es war überhaupt nur Zufall!«

Was Zufall war, erörterte sie nicht näher, sondern überraschte die Tante plötzlich mit sehr eingehendem Interesse für ihren Ärger und dessen Ursache.

Papa Polten aber hatte Lillis Bemerkung aufgegriffen.

»Ja, ja, Jungchen,« sagte er mild verweisend, »wie kann man nur so sein! Ihr beide waret doch so gute Freunde auf der Reise, und nun interessierst du dich nicht einmal dafür, daß er da ist. Er wird wohl in den allernächsten Tagen herüber kommen!«

»Möglich, Papa!«

Es klang so eisig gleichgültig. Der Papa schüttelte den Kopf. Jungchen ließ sich doch wirklich ein bißchen zu sehr gehen.

Tante Lenchen nickte ein paarmal sehr bedächtig vor sich hin. Sie gratulierte sich innerlich zu ihrem Scharfblick, stets das Richtige herauszumerken. Na, die Frieda mochte sich ja recht nett benommen haben; das personifizierte Schuldbewusstsein sprach ja aus ihrem ganzen Wesen, das konnte ein Blinder sehen.

Lilly probierte im Lauf des Nachmittags noch ein paarmal, die Rede auf den interessanten Nachbar und Reisebegleiter zu bringen. Sie hätte zu gerne gewußt, wie Friedel in Wahrheit über ihn denke.

Friedel aber verstand die Antwort so geschickt zu umgehen oder aber verhielt sich so ablehnend, daß Lilly nicht klug daraus werden konnte, und es endlich ganz aufgab.

Friedel hatte die Freunde, als sie aufbrachen, begleitet, war aber lange vor der Stelle umgekehrt, bis wohin sie ihnen am Morgen entgegengekommen war.

»Die Tante braucht mich, Lilly, und – und ja, ich bin auch ein bißchen müde. Lebt wohl, grüßt die andern und kommt bald wieder!«

Dabei war sie geblieben, und Lilly schüttelte das Köpfchen, als sie Friedel danach in tollem Wettlauf mit den Hunden heimjagen sah. Das nannte Friedel »müde sein«!

Friedel hatte es am Abend nach dem Essen sehr eilig, auf ihr Zimmer zu kommen.

»Ich bin ein bissel müde,« hatte sie auch der Tante auf einen erstaunt fragenden Blick erwidert.

Danach aber hatte Tante Lenchen gehört, wie Friedel ganz spät in der Nacht erst ihre Fenster schloß. Die alte Dame war aber selbst zu müde gewesen, um auch nur bei sich eine Bemerkung darüber zu machen.

Friedel hatte lange am Fenster gestanden und zum Sternenhimmel aufgestarrt. Dann hatte sie Licht gemacht und ihr Haar zu bürsten begonnen. Da war es ihr passiert, daß sie mittendrin plötzlich innehielt und wie traumverloren auf ihr Spiegelbild starrte. Was sie dabei dachte, ob sie überhaupt etwas dachte, war nicht klar. Einmal nur sagte sie laut vor sich hin: »Unsinn, es war ja doch nur Scherz!« Und dann starrte sie wieder auf ihr Spiegelbild, blies plötzlich das Licht aus und streckte sich auf ihr Lager.

*

Friedel und der Papa saßen noch am Frühstückstisch. Tante Lenchen war schon unterwegs auf der allmorgendlichen Wirtschaftsrunde. Sie war nun wieder fast vollständig in Tätigkeit wie früher.

Der Postbote brachte die Briefe. Für Papa waren eine ganze Menge da, für Friedel nur einer von Lisa.

Der nahm sie sehr in Anspruch, so daß sie nicht auf das merkte, was um sie her vorging.

Ein Laut höchsten Erstaunens vom Papa machte sie aufsehen.

»Ja, was in aller Welt bedeutet denn das?«

»Was, Papa?«

»Schreibt mir der Rödern hier und bittet sehr förmlich um die Ehre einer Unterredung mit mir heute um zwölf Uhr. Der Kuckuck auch! Auf dem Fuß haben wir doch weiß Gott nicht gestanden in den Schweizer Bergen. Hat gewiß noch irgendwo 'nen Sonnenstich gekriegt, der Mensch. So was! Kannst du dir etwa 'nen Vers drauf machen, Jung –«

Der Postbote brachte Briefe.

Papa blieb das Wort in der Kehle stecken, denn »Jungchen« benahm sich auch zu sonderbar.

Erst war sie aufgefahren von ihrem Stuhl, hochrot, als wolle sie auf und davon, dann war sie ganz blaß geworden und auf ihren Sitz zurückgesunken, und nun hatte sie gar beide Arme über dem Tisch verschränkt, hatte den Kopf drauf gelegt und schluchzte so herzbrechend, daß dem Papa ordentlich selber Tränen aufstiegen, und er ein sonderbares Würgen im Halse spürte.

»Jungchen, Jungchen!«

Er stand neben dem Kinde und strich mit unendlicher Zärtlichkeit über das zuckende Köpfchen.

»Was ist denn da wieder los? Was hast du denn? Um Himmels willen, weshalb weinst du denn so herzbrechend?«

Ein entsetzlicher Gedanke kam ihm plötzlich. Er griff nach Friedels Hand, die noch den Brief gefaßt hielt, und wie ein Schreckenslaut rang sich ihm nur das eine Wort von den Lippen: »Lisa?«

Da schüttelte Friedel energisch das Köpfchen, hielt aber das Gesicht noch immer in den verschränkten Armen geborgen.

»Na, was ist's denn sonst, ins drei Dei–«

Der alte Herr wurde in seinem Schreck jetzt ungeduldig.

»So rede doch, denkst du denn, es zähle zu den Annehmlichkeiten, hier zu stehen wie der Ochs am Berge? Heraus mit der Sprache!«

»Ich – ich – ach Gott – ach Gott!«

Erneutes noch heftigeres Schluchzen.

Der Papa schmolz wieder.

»Jungchen, mein Jungchen, sag's doch dem alten Papa, was ist's denn?«

»Ich – ach Gott, ach Gott, Papa, – ich – ich bin am Ende – Braut!«

Ein entsetzlicher Schluchzanfall.

Der alte Herr stand starr mit offenem Munde, kein Wort wollte ihm über die Lippen. Dann tastete er vorsichtig an seinem Kopfe herum, und als er da anscheinend alles in Ordnung fand, nahm er dasselbe an seinem Kinde vor. Ihm zitterten ordentlich die Hände.

»Komm zu Bett, Jungchen,« sagte er endlich ganz scheu, in überredendem Ton, »komm zu Bett, du hast Fieber.«

Papa Polten wollte sein Töchterchen sanft von ihrem Stuhl emporziehen, Friedel aber widersetzte sich stumm und weinte noch lauter. Hilflos, ratlos stand der Papa da.

»Jungchen!«

Friedel hob einen Augenblick das schrecklich verweinte Gesicht, um es sofort wieder in den schützenden Armen zu bergen.

»Ich – ich – siehst du, Papa,« kam's nun stoßweise unter erneutem Schluchzen, »er – er hat mich, glaub' ich, gefragt, ob ich – ob ich – seine – seine Frau – sein wolle – aber ganz sicher weiß ich's nicht, mir war so kurios und – und die Lisa kam so schnell, und – und was ich gesagt hab', das – das weiß ich nicht mehr gewiß – ich – ja – nein – ich weiß nicht. ›Unsinn‹ hab' ich sicher gesagt, das – das weiß ich noch und – ach Gott, ach Gott, Papa, nun kommt er am Ende und – und – Papa, Papa, was soll ich tun – was soll ich nur tun?«

Und verzweifelnd warf sich Friedel aufs neue über den Tisch und schluchzte womöglich noch herzbrechender als zuvor.

Der Papa stand und starrte auf sie nieder, runzelte die Stirn, nagte an den Lippen und stampfte schließlich ärgerlich mit dem Fuß auf.

»Donnerwetter, Jungchen, bist du denn ganz verdreht? Zu was denn die alberne Heulerei? Hätt' dich für klüger gehalten. So 'n Unsinn! Das ist ja alles albernes Getue! Was wird er heut' anders wollen, als einen Pferdehandel abschließen oder so etwas. Was du da sonst herfaselst, ist alles Unsinn, verstanden? Bist ja noch viel zu jung zum Heiraten. Hast dich verhört oder etwas falsch verstanden und damit basta. Hörst du, basta! – Geh, wasch dir die Augen.«

Friedel war aufgefahren, hatte den Papa groß angesehen, dann war ihr eine jähe Flamme über das Gesicht hin geloht.

Sie warf den Kopf zurück und ging wortlos aus dem Zimmer.

Der Papa sah ihr nach, und etwas wie Unbehagen und Unsicherheit war in seinem guten Gesicht zu lesen. Er schüttelte ein paarmal den Kopf, regte sich nicht von der Stelle, pfiff leise vor sich hin und starrte tiefsinnig immer auf denselben Fleck am Boden. So fand ihn Tante Lenchen.

»Konrad!«

Der alte Herr sah sie wie geistesabwesend an, um gleich danach wieder vor sich hinzustarren. Er pfiff immerzu und bemerkte offenbar gar nicht, was um ihn her vorging.

»Konrad!«

Der Ton klang um eine Schattierung schärfer. Das wirkte.

»Lenchen?«

»Hast du denn deinen Kopf nicht beieinander?«

»Ich wohl, aber –«

»Meinst du etwa mich?« Tante Lenchen sagte es sehr scharf und anzüglich.

»Nee, aber –« ein bezeichnender Blick nach der Tür.

»Frieda?«

Papa Polten nickte leise vor sich hin, begann wieder zu pfeifen und starrte auf den Boden.

»Wieso?«

Der Ton heischte Antwort.

»Jungchen – Herr von Rödern –«

Er verwirrte sich.

»Erbarm dich! Was ist nun wieder mit dem Unglücksmenschen? O meine Ahnung!«

Nun wurde Papa Polten ironisch.

»Deine Ahnung, jawohl, deine Ahnung! Ahnst du denn, daß sie behauptet, er habe sie gefragt, ob sie seine Frau sein wolle? Das heißt –« setzte er kleinlaut hinzu – »sie weiß es nicht gewiß, weiß auch nicht mehr, was sie gesagt hat und –«

»Erbarm dich!«

Tante Lenchen war ganz blaß geworden und sank auf den nächsten Stuhl.

»Erbarm dich, Konrad, das Kind ist ja wohl noch verdrehter, als ich gedacht habe. Erbarm dich, erbarm dich –« Die Stimme wurde immer schriller, und Tante Lenchen schlug die Hände in hellem Entsetzen über der großen weißen Haube zusammen. »Das ist mein Tod! Wie mag sie sich da benommen haben! Und jetzt kommt der Mensch auch noch hierher und bleibt in der Nähe, und das Kind ist kompromittiert und – ach Gott, ach Gott, das ist der Nagel zu meinem Sarge!«

Nun wurde Papa Polten aber ernstlich böse und infolgedessen grob.

»Jetzt hab' ich's aber grade satt. Fängst du auch noch an zu heulen und zu lamentieren! Erst das Kind, jetzt du! Kommt alles von der verdrehten Erziehung! Hätte ich Friedel erziehen können, wie ich gewollt habe, dann wär's gut, dann hätten wir jetzt nicht den albernen Frauenzimmerkram. Setzt sich da allerlei Mädelstollheiten in den Kopf, natürlich, sollte ja mit aller Gewalt ein Mädel werden. Jetzt haben wir die Bescherung! Mißversteht den Menschen, redet Unsinn und – basta – ich will nichts weiter hören – basta, sag' ich dir! Basta!«

Er war so erregt, daß er das letzte »basta« nur so herausschrie.

Voll gekränkter Würde erhob sich Tante Lenchen, hielt sich die Ohren zu und verließ wortlos das Zimmer.

Auch hinter ihr starrte Papa Polten her, spitzte den Mund zum Pfeifen und sah wieder tiefsinnig zu Boden.

Nach einer Weile stampfte er mit dem Fuße auf.

»Basta!« schrie er noch einmal, und dann trabte auch er aus dem Zimmer.

Draußen rief Tante Lenchen nach Friedel. Die saß geborgen irgendwo im Garten und hütete sich wohl, Antwort zu geben.

Friedel war tief gekränkt.

Was dachte denn der Papa von ihr? So ein dummes, grünes Ding war sie denn doch nicht mehr, wie er meinte. Sollte sie nicht einmal Scherz von Ernst unterscheiden können? Und – und – es war ihm sicher ernst, sicher, als er es gesagt hatte. Aber hatte er's denn wirklich gesagt? War's nicht doch nur ein Traum, Einbildung? Es ging alles so schnell, und sie hatte so gezittert. Aber weshalb hätte sie denn zittern sollen, wenn nicht – sie verlor sich in Träumen. Der Papa sagte aber doch, es sei Unsinn, und der Papa war klug, der kannte die Welt. Aber – er sah immer nur »sein Jungchen« in ihr und sie – ein tiefer, tiefer Seufzer – sie wollte ja auch gerne Papas Junge bleiben, immer und immer.

Friedel saß und träumte weiter. So vergingen die Minuten, und so vergingen die Stunden. Friedel achtete auf nichts, nicht auf ihre Umgebung, nicht auf den Himmel, nicht auf die Erde, nicht auf Kommen, nicht auf Gehen, nicht auf den Lärm, nicht auf die Stille, nicht auf die Zeit. Nein, auf die Zeit am allerwenigsten.

*

Papa Polten saß in seinem Zimmer am Schreibtisch und wollte schreiben, aber er dampfte statt dessen wie ein Fabrikschlot.

Die Uhr schlug.

Eins, zwei, drei – sieben, acht – zehn, elf, zwölf!

Zwölf Uhr!

Papa Polten fuhr ordentlich zusammen. Ganz wohl in seiner Haut war ihm nicht. Daß Friedel bisher nicht wieder zu sehen gewesen war, hatte ihm zu denken gegeben, hatte ihn unsicher gemacht.

Ob er nicht –?

Da klopfte es schon.

»Herein!«

Und herein trat Klaus von Rödern, soviel Papa Polten durch den Rauch hindurch sehen konnte, sehr feierlich, sehr förmlich, sehr ernst.

Papa Polten fuhr plötzlich etwas in die Kehle, er mußte sich stark räuspern.

Unterdessen verneigte sich Herr von Rödern sehr tief und trat mit ausgestreckter Hand zu Herrn Polten heran, der sich nun endlich gefaßt und von seinem Sitz erhoben hatte.

»Ach, sieh da, der Herr Nachbar, freut mich außerordentlich,« sagte er mit gemachter Gemütlichkeit und renkte dem andern beinahe die dargereichte Hand aus.

»Sie verzeihen, Herr Polten, daß ich so unangemeldet eintrete. Ich kam nämlich durch den Park, es ist der nähere Weg, und ich dachte, alte Nachbarschaft – Freundschaft –«

Klaus von Rödern verwirrte sich etwas.

»Bitte, bitte, mein lieber Herr Nachbar, nur keine Umstände!«

Herr Polten hatte inzwischen seine ganze unbefangene Gemütlichkeit wiedergefunden.

»Also nun auch zurück aus den Bergen? Herzlich willkommen daheim! Womit kann ich dienen? Verfügen Sie über mich!«

Er streckte seinem Besucher nochmals die Hand hin, die dieser ergriff und herzhaft schüttelte.

»Lieber Herr Polten, ich komme zu Ihnen mit einer großen, großen Bitte. Ich –«

»Aber, mein lieber Herr Nachbar, Sie wissen, was ich tun kann, wird geschehen. Soll ich Ihnen vielleicht in irgend etwas behilflich –«

»Ich komme, Sie um die Hand Ihrer jüngsten Fräulein Tochter zu bitten. Ich –«

»Donnerw–«

Papa Polten war bolzengerade aus seinem Sessel aufgeschnellt, um ebenso schnell wieder zurückzusinken. Er konnte kein Wort Vorbringen.

»Ihr Fräulein Tochter –«

»Sie meinen Jungchen?«

Papa Polten fragte es ganz zaghaft, scheu, als ob er sich erst orientieren wolle.

Der Schatten eines Lächelns huschte über Klaus von Röderns Gesicht.

»Fräulein Friedel und ich, wir waren unterwegs gute Kameraden, und ich – ich bilde mir ein, wir könnten's fürs Leben werden. Ich habe mir bereits erlaubt, eine diesbezügliche Frage an Ihr Fräulein Tochter zu richten und – und –«

»Ja, aber Jungchen –«

Wieder der Schatten eines Lächelns, der über Klaus von Röderns Gesicht huschte.

»Ganz recht,« beeilte er sich hinzuzufügen, »Fräulein Friedel war etwas unklar in der Antwort. Und drum bin ich nun gekommen, mir eine klare Antwort zu holen und –« mit warm ausbrechendem Gefühl – »ich hoffe, o wie hoffe ich, daß sie zu meinen Gunsten ausfallen möge. Lieber Herr Polten, Sie werden mir nicht entgegen sein?«

Er hatte Papa Poltens beide Hände erfaßt und sie kräftig geschüttelt. Papa Polten hatte in der Verlegenheit vorher zur Pfeife gegriffen und ein paar tiefe Züge getan. Nun hing ihm die Pfeife hilflos vom Munde, während Klaus ihm immerzu die Hände schüttelte. Endlich gelang es Herrn Polten, eine Hand frei zu bekommen, er nahm die Pfeife vom Munde und begann fast zaghaft: »Jung – Frie – das Kind – meine Tochter ist noch so sehr jung und –«

»Freund Werner durfte Frau Lisa heimführen, als diese eben achtzehn Jahre geworden war und –«

»Ja, Lisa!«

»Ich will gerne ebenso lange warten,« sagte Klaus einfach und überhörte, was alles aus dem Einwurf des alten Herrn herausklang.

»Wäre bis zum nächsten März,« sagte Papa Polten trocken. »Donnerwetter, Herr, Jungchen ist ja noch das reine Kind und –«

»Siebzehn und ein halbes Jahr!« warf Klaus ein.

»Zum Kuckuck, ja. Aber es müßte doch erst ein Mädel draus gemacht werden, Jungchen –«

»Dürfte das nicht meine Sorge sein?« Klaus fragte es sehr bescheiden.

»Ins drei Kuckucksnamen –«

Papa Polten sank ganz erschöpft von der Debatte in seinen Sessel, fuhr aber gleich wieder auf.

»Zum Donnerwetter, Herr von Rödern, das Kind will ja aber gar nicht. Jungchen –«

»Dürfte ich mir die Antwort selbst von Fräulein Friedel holen?«

Nun sah sich Papa Polten plötzlich auf dem Rettungsweg.

»Meinen Segen haben Sie, und mein Fräulein Tochter –«

Papa Polten schmunzelte vor sich hin, war mit zwei Schritten am Fenster, riß es auf, und: »Friedel!« schallte es mit Stentorstimme über den Hof.

»Papa?« klang's zurück.

»Antreten, aber sofort!«

Das Fenster flog zu, und der Papa schmunzelte noch mehr als zuvor.

Klaus hatte ihn vergeblich am Öffnen des Fensters zu hindern versucht.

»Dürfte ich nicht allein –« so bat er.

»Nichts da, ich will dabei sein,« schnitt ihm Papa Polten das Wort ab. »Jungchen soll nicht überrumpelt werden.«

Klaus lächelte, zuckte die Achseln und schwieg.

Man hörte draußen leichte Schritte, und gleich danach öffnete sich die Tür. Friedel stand auf der Schwelle.

»Was gibt's, Pa –«

Da fiel ihr Blick auf Klaus von Rödern. Wie der Wind wollte sie umdrehen.

Das hatte der Papa vorausgesehen und war sofort dicht herangetreten. Er erhaschte einen Rockzipfel.

»Dageblieben!« kommandierte er. »Nur immer hübsch die Suppe selber ausgegessen, die man sich eingebrockt hat!«

Er zog Friedel am Rock gegen die Mitte des Zimmers, nachdem er zuvor sorgfältig die Tür hinter ihr zugemacht hatte.

Friedel sträubte sich zuerst ein bißchen, ließ ihn dann aber ruhig machen. Sie hielt beide Hände vor das Gesicht.

Nun sagte der Papa: »Also dieser Herr hier, Herr von Rödern, tut mir die Ehre an, mich um die Hand meiner jüngsten Fräulein Tochter Elfriede zu bitten. Ich habe ihm gesagt, daß ich nichts dagegen habe, und ihn im übrigen auf mein Fräulein Tochter selber verwiesen.«

Er betonte das »Fräulein Tochter« jedesmal sehr ironisch, wie denn überhaupt durch seine ganze Rede die mühsam verhaltene innere Heiterkeit, gleichsam das Schmunzeln durchklang.

Friedel sollte nur sehen, wie sie sich aus der Geschichte herauszog. Es konnte damit doch wahrhaftig nicht ernst sein! Herr v. Rödern würde schon einsehen, daß er sich geirrt hatte.

Nun war er mit seiner Rede fertig und erwartete die Antwort.

Friedel hatte immer noch die Hände vor dem Gesicht und ließ den Kopf hängen.

Da trat Klaus von Rödern zu ihr.

»Fräulein Friedel,« begann er, »Friedel –"

Sie hatte einen Augenblick aufgesehen, scheu, verlegen. Ihr Blick traf gerade in seine guten, treuen Augen, die sie so flehend ansahen, und haftete dort bang, fragend, zögernd.

Da öffnete er unwillkürlich und wortlos die Arme und sie – sie fand plötzlich den einfachsten Ausweg. Sie wußte nichts besseres zu tun, als hinein zu flüchten in diese Arme und das heiße Gesicht an seiner breiten Brust zu bergen.

Mit offenem Munde sah's der Papa. Er starrte die beiden an wie ein Wunder, und dann fiel er in seinen Sessel, ihm war ganz zitterig auf den Beinen. Er langte nach der Pfeife und dampfte, dampfte wie ein Fabrikschlot, daß die beiden da drüben und das ganze Zimmer in kürzester Zeit in dichte Rauchwolken gehüllt waren.

Und gerade da öffnete Tante Lenchen die Tür. Sie hatte den Bruder zuvor rufen und dann Friedel ins Haus kommen hören. Da mußte sie doch nach dem Rechten sehen.

»Erbarm dich!«

Tante Lenchen war bei dem Anblick, der sich ihr darbot, auf einen Stuhl neben der Tür gefallen. Da saß sie und starrte wortlos auf das sich umschlungen haltende Paar. Sie hielt die Hände im Schoß gefaltet, und helle Tränen liefen ihr über das gute, alte Gesicht.

Die beiden aber dort inmitten des Zimmers, die sahen nichts und hörten nichts, nicht den Papa und nicht die Tante, nichts rings um sie her. Sie sahen nur sich selbst. Sich und ihr Glück!


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