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Näh- und Kochstudien

Ein Novembertag im Walde. Umsonst versuchten die bleichen Sonnenstrahlen den trüb grauen Nebel zu zerreißen. Der wußte sich im Rechte, kraft des Kalenders; tapfer behauptete er sich.

Auch dem armen welken Laube, das sich bis dahin im Besitz und somit im Recht wußte, half ein Pochen auf den alten monatelangen Brauch nur wenig. Seine Zeit war gekommen. Grob fuhr der Novemberwind daher. Ein Rütteln am Baum, ein Stoß aus eisiger Lunge, und das arme, welke Laub war verweht – wohin, ach wohin!

Hier am Hohlweg hatte sich der grobe Geselle den Scherz gemacht, die kleinen, gelbbraunen, zitternden, raschelnden Dinger in einem riesigen Haufen zu Paaren zu treiben, der fast den ganzen Weg ausfüllte. Da duckten sie sich zusammen, froh, eine Zuflucht gefunden zu haben, der grob zausenden Faust entronnen zu sein. Hier wollten sie ruhen und träumen von der Zeit, da sie noch grün und frisch waren und droben an den Ästen sich in der Sonne spiegelten oder den labenden Regen begierig aufsaugten.

Aber auch solch armes, verwehtes kleines Blatt kann die Rechnung ohne den Wirt machen!

Es nahte etwas mit Hurra und Hallo.

Zwei große Berghunde, ein schwarzer und ein weißer, umkreisten mit täppischen Sprüngen und lautem Gekläff eine junge, schlanke Gestalt, die sich selber wie ein verwehtes Blatt vom Winde treiben ließ.

Der fegte ihr die kurz geschnittenen Lockenhaare ins Gesicht, zauste grob an den Röcken, zerrte am Kragen und stülpte ihr den schließlich in plumper Neckerei über Kopf und Mütze.

Zwischen dem dreisten Gesellen, dem Wind, und den zwei täppischen Gefährten, den Hunden, wußte Friedel, denn sie war's, kaum, wie sie sich auf den Füßen halten sollte.

Doch mit Jauchzen und Hurra ging's vorwärts, immer vorwärts. Und nun kam der Hohlweg mit seiner Laubfüllung.

Friedel, die Hunde und der Wind tauchten hinein, mit Hussa, mit Gekläff, mit Stampfen und Schnauben, Pusten und Zausen hindurch. Friedel wußte einen Augenblick wirklich nicht, ob sie auf den Füßen stand oder sich sonstwie vorwärts bewegte. Ihr verging Hören und Sehen zwischen Hunden und Wind und dem wie toll emporgewirbelten Laub.

Aber dann waren sie doch hindurch, eine kleine Anhöhe hinan, und nun sank Friedel, ganz erschöpft und außer Atem, auf einen gefällten Baumstamm, der da am Waldesrand lag.

Sie konnte nicht mehr.

Mechanisch tastete sie an sich herum. Es schien alles in Ordnung, wenn auch arg zerzaust und verschoben.

Erleichtert atmete sie auf. Mit Tante Lenchen war gegenwärtig nicht zu spaßen.

Ein erneuter Windstoß wollte Friedel zu erneutem Tollen auffordern. Der unbändige Geselle war so froh, einen ebenbürtigen Gefährten gefunden zu haben. Er trieb und drängte, er zauste und zerrte, aber Friedel hatte genug. Sie rückte außer den Bereich des zudringlichen Gesellen in den Schutz eines riesendicken Eichstamms, legte das Köpfchen dagegen und blickte träumend hinaus in das Land.

Dort unten lag die Heimat. Friedel konnte deutlich das braunrot glänzende Ziegeldach des väterlichen Hauses erkennen, in dem sie nun schon seit vierzehn Tagen wieder weilte.

Anderen Morgens, nach der so ganz anders als erwartet ausgefallenen Heimkehr damals, hatte der Vater sein Kind ins Verhör genommen.

Friedel klang der Ton noch im Ohr, mit dem er sagte: »Und nun erzähle, Kind, was hat dich von dort fortgetrieben? Aber ehrlich und offen und ohne Beschönigung und Ausflüchte!«

Die Mahnung hätte er nicht nötig gehabt.

Friedel berichtete, ehrlich, offen und ohne Stocken von der verhängnisvollen Mondscheinfahrt und ihren Folgen. Die Lockungen und Verführungskünste, die sie dabei den anderen gegenüber gebrauchte, sowie deren Widerstand wuchsen in ihrer Erzählung über alles Maß, und das war das einzige Ungenaue, das sie sich zu Schulden kommen ließ.

»Und siehst du, Papa, da dachte ich, es sei doch wohl das beste, wenn sich dein Junge aus dem Staube mache und die Versuchung so für immer aus dem Wege schaffe. Die arme Tante dort hätte sich ja gar nicht zu helfen gewußt, wenn alle Elf so nach und nach aus Rand und Band gekommen wären. Sie dauerte mich. Tante Lenchen und du, ihr kennt mich und seid daran gewöhnt, und hier kann ich auch weiter niemand verführen!« so schloß Friedel sehr beredt und wohlweise.

Dem Papa kam das Lachen, das er nur mit Mühe verbiß.

»Ungeheuer klug und vernünftig gedacht, das muß ich sagen, und rücksichtsvoll und überlegt dabei – für andere,« meinte er mit ironischem Beifall, wobei Friedel ihn doch ziemlich ungewiß anblickte. »Du wirst mir aber schon erlauben müssen, die Entscheidung nach meinem Sinne zu treffen. Ich habe an die Dame geschrieben, ob sie dich noch einmal aufnehmen will, – man läuft nicht so ohne weiteres irgendwo weg – und nun warte ich auf ihren Bescheid.«

Friedel ließ den Kopf hängen.

»Ich soll zurück, Väterchen? Das kann dein Ernst nicht sein. Einmal bin ich gutwillig von Hause fortgegangen, weil ich wußte, daß es nicht auf lange sein würde, ein zweites Mal – –«

»So, so, also du hattest diese Eskapade schon fest ins Auge gefaßt? So, so!« unterbrach sie der Papa langsam und prüfend. »Sieh, sieh, das lautet ja erheblich anders als vorher, wo man um der anderen willen gehen mußte. Wie reime ich das zusammen?«

Friedel war sehr rot geworden, doch sah sie dem Vater offen und ehrlich ins Auge.

»Ja, Väterchen, hast du denn wirklich gedacht, ich ließe mich so leicht von dir fern halten?« fragte sie ganz erstaunt-naiv. »Ich dachte einfach, du gehst mal und siehst dir die Sache an, weil Tante Lenchen es so wünscht. Na, und dort war's dann ganz nett. Wenn die dumme Geschichte nicht gekommen wäre, hätte ich's schon noch ein paar Wochen ausgehalten. Aber so ist's besser! Und nun, Väterchen, nicht wahr, du tust das deinem Jungen nicht an, daß du ihn wieder fortschickst? Ich sag' dir, diesmal komm' ich sofort wieder!«

»Deibelskerl!« wär' es dem alten Herrn beinahe von der Zunge gerutscht. Er besann sich aber noch beizeiten, kämpfte das Lachen nieder und sagte streng: »Das wollen wir denn doch abwarten. Ein zweites Mal werde ich Mittel und Wege finden, meinen Willen durchzusetzen –«

»Aber es war ja gar nicht dein Wille,« kam's leise von Friedels Lippen, und als der alte Herr aufsah, begegnete er einem Blick so voll Flehen, daß er den seinen senken mußte.

Gleich darauf polterte er los, wie er es immer tat, wenn er sich in die Enge getrieben fühlte: »Und nun kein Wort weiter. Wenn die Dame schreibt, du sollst kommen, dann gehst du, verstanden? Kein Wort weiter – kein Wort und damit basta!«

Wenn der Papa »basta« sagte, dann war nichts weiter mit ihm anzufangen, das wußte Friedel von alters her. Und so ließ sie denn auch den Kopf hängen und ging schweigend hinaus.

Hätte sie den komisch-reuig-zerknirschten Blick gesehen, den ihr der Papa nachschickte!

Nach zwei Tagen aber kam der Bescheid der Vorsteherin. Sie habe Friedel sehr lieb gewonnen, wünsche ihr alles Gute, aber vielleicht sei es doch besser, es bleibe bei der von Friedel selbst getroffenen Entscheidung, und sie kehre nicht zurück. Das war mit Umschreibungen nach allen Seiten der Kern der Sache.

Friedel triumphierte innerlich. Tante Lenchen jammerte, das sei ihr Tod. Der Papa zuckte die Schultern und sagte einstweilen nichts.

Im Lauf des Tages gewahrte Friedel, daß der Papa mit Tante Lenchen mehrere Unterredungen hatte, Friedel hielt sich wohlweislich abseits und sehr stille.

Am Abend rief der Papa sie dann in sein Zimmer.

Er war sehr ernst, und seine Stimme klang strenge, als er sagte: »Du sollst nun unseren Entschluß hören, Kind. Da die Dame dir eine erneute Aufnahme bei sich verweigert« – Friedel wurde es plötzlich ganz heiß, es klang doch recht garstig; in dieser Weise war es ihr noch nicht zum Bewußtsein gekommen –, »so sollten wir eigentlich, um konsequent zu sein,« fuhr der Papa fort, »dich irgendwo anders unterzubringen suchen.« Friedel setzte einen Augenblick der Atem aus. »Doch« – erleichtertes Aufatmen – »haben Tante und ich beschlossen« – zum ersten Male identifizierte sich der Papa mit Tante Lenchen – »es zuvor noch einmal auf andere Weise mit dir zu versuchen.« – Friedels Augen blitzten. – »Tante hält es für unerläßlich notwendig, daß du dich in den sogenannten weiblichen Künsten übst –« unwillkürlich hob Friedel die Schultern und senkte die Mundwinkel – »und sie hat recht,« beeilte sich der Papa beizufügen, – »auch ich denke so.« Er räusperte sich. Friedels erstaunt ungläubiger Blick machte ihn unsicher und er hub an zu poltern. »Kurz und gut, du sollst nähen und kochen lernen und zwar in der Stadt, damit wir dich unter den Augen haben und künftig keine Dummheiten mehr vorkommen. Es geschieht alles, wie's die Tante anordnet, merke dir das, und du hast dich unbedingt zu fügen, – basta!«

Friedel blieb eine Weile mit gesenktem Kopf stehen. Ungewiß sah der Vater nach ihr hin.

»Hörst du? Basta!« bekräftigte er dann noch einmal beinahe drohend.

Friedel hob das Gesichtchen ihm zu. Ein flammender Blick traf ihn, gleichzeitig flog sie ihm an den Hals.

»Väterchen,« jubelte sie, »wenn ich nur bei dir bleiben darf. Dann koch' ich und back' ich und brat' ich und näh' ich und flick' ich und stopf' ich und wie das Zeug alles heißt, ganz einerlei. Sollst mal sehen, wie unheimlich tugendhaft ich sein werde. Wenn dir's nur nicht zu arg wird, Väterchen,« schloß sie mit komisch besorgtem Schelmenblick.

Der lachte.

»Mein Jungchen!« Und zärtlich strich er ihr über den Scheitel.

Damit war der Friede geschlossen.

An all das dachte Friedel da oben auf ihrem luftigen Luginsland und auch daran, daß morgen die goldene Freiheit zu Ende sein würde. Morgen begann der erste Nähunterricht, die Tante wollte sie selbst hinbringen. Puh!

Da fuhr der Wind ungestüm um den Baumstamm herum, er mochte solch stilles Sinnen nicht leiden. Er zauste und zerrte, er drängte und schob, Friedel erwachte.

»Juhu! Noch ist's heute! Hektor, Sultan! Juhu!«

Und mit Hussa und Hallo, mit Gekläffe, mit Schnauben und Fauchen, mit Pfeifen und Heulen stoben Friedel, die Hunde und der Wind weiter, wie sie gekommen waren, nur diesmal statt durch den Wald direkt den grasigen Abhang hinunter ins Tal. Und wo's zu steil wurde, da setzte sich Friedel auf die Erde und ließ sich abwärts gleiten, und Steine und Geröll polterten hinterher – es war eine lustige Talfahrt. Drunten freilich fiel Friedel der Rock ein, der arme blaue Rock, der zuvor schon so manchen Schaden hatte. Nur verstohlen schaute sie darüber hin. Richtig, da klaffte es verdächtig. Doch ein energisches Lecken am losstehenden Heftpflaster, dazu eine barmherzige Stecknadel und das äußere Gleichmaß war hergestellt.

Tauchte dort nicht der Papa auf? – Richtig!

Und Hektor, Friedel und Sultan wetteiferten, in Hast und Grazie dem Kommenden entgegenzusetzen.

*

Ein großes, helles Zimmer, vier vorhanglose Fenster, davor lange, schmale Tische. Mädchenköpfe mit Haarknoten in allen Schattierungen beugten sich eifrig über die Arbeit; flinke Hände hantierten emsig an weißem Leinen; hier wurde gestichelt, dort knirschte die Schere, dort wurde Schirting gerissen – eifrige Tätigkeit an allen Tischen.

Am letzten Fenster, in der äußersten Ecke des Zimmers beugte sich ein dunkler, kurz verschnittener Haarschopf über die Arbeit. Ein glühendes Gesichtchen hob sich; Friedel war's. Ihr war entsetzlich heiß von der ungewohnten Anstrengung.

Sie blies die Backen auf.

»Uff! Lieber will ich auf zehn Riesenbäume klettern, und ich weiß nicht was noch sonst tun, als solch 'ne verflixte Nadel einfädeln. Das ist ja rein um närrisch zu werden,« seufzte sie.

Staunend sah ihre kleine blasse Nebensitzerin ihr zu, wie sie den Faden immer wieder in den Mund schob und drehte und glättete und – doch nicht in das Ohr brachte.

»Donnerwetter!«

Friedel konnte nicht länger an sich halten.

Die blasse Lilly fuhr erschrocken zusammen.

»Aber lassen Sie doch mal sehen –« in der Nähstunde nannten sich die jungen Damen »Sie«, wenn sie sich nicht näher kannten, und das war schon ein Schritt weiter zum Erwachsensein. »Lassen Sie doch mal sehen, vielleicht kann ich helfen,« bot Lilly sich schüchtern an.

Gleich danach lachte die letztere hell auf.

»Das glaube ich, die Nadel hat ja ein zerbrochenes Ohr; da kann man lange probieren, ehe man zum Ziel kommt!«

»Das kann ich aber doch nicht wissen, wie solch ein Ding aussehen muß,« brummte Friedel mißmutig.

Die kleine flinke Lilly aber hatte eilig eine andere Nadel eingefädelt und reichte ihr die.

»So, nun kann's losgehen,« meinte Friedel munter, setzte die Nadel aufs Linnen und fuhr mit einem Wehlaut zurück.

Sie hatte sich richtig gestochen. Kleine rote Flecken auf dem weißen Linnen gaben davon Kunde. Nun mußte erst das Blut gestillt werden, und als das geschehen war, wurde frisch angefangen mit solcher Energie, daß der Faden – ratsch – in zwei Stücken war. Nun mußte wieder frisch eingefädelt werden – ein endloser Kreislauf von tückischen Hindernissen. Friedel war ganz schachmatt vom Kampf mit der eigensinnigen Materie. Lilly sah ihr belustigt zu.

»Das wird alles besser, glauben Sie mir,« tröstete sie.

Aber Friedel blickte ganz zerknirscht auf die lange Naht, an deren Anfang die kleine Nadel noch immer sich abmühte, berechnete, daß sechs solcher Nähte – sie sollte drei Laken für Dörthe säumen – vor ihr lagen und seufzte trostlos: »Das überleb' ich nicht!«

Lilly mußte laut hinauslachen.

Da trat die Dame herzu, die den Unterricht erteilte. Sie mußte lächeln, als sie die vielen Blutspuren in dem Linnen sah, die der Nadel mühsame Bahn begleiteten. Dann schüttelte sie das greise Haupt, und zwei große, milde, braune Augen sahen Friedel vorwurfsvoll an: »Auf dem Faden bleiben, Kind, und immer nur zwei Fädchen auf einmal nehmen – nur zwei Mädchen, hören Sie?«

»Ach was,« lachte Friedel sorglos, »die Dörthe kann mit vieren zufrieden sein. Wenn ich da nur zwei Fädchen nehme, und sie warten soll mit der Hochzeit, bis die drei Laken fertig sind, dann, fürchte ich, wird sie alt und grau drüber, und der Heinrich bedankt sich und nimmt eine andere. Die Dörthe und der Heinrich sind nämlich Knecht und Magd bei uns.«

Fräulein Hummel mußte lächeln.

»Die Hauptsache ist aber doch, daß Sie nähen lernen, Kind, nicht Dörthes Hochzeit,« meinte sie.

»Die Dörthe denkt schwerlich so,« entgegnete Friedel lachend. »Wenn ich nun drei Fädchen nehme?« suchte sie schelmisch zu paktieren.

»Zwei, Kind, zwei, so ist die Regel,« beharrte Fräulein Hummel, und Friedel fügte sich seufzend.

»Auf dem Faden bleiben, Kind, und immer nur zwei Fädchen auf einmal nehmen.«

»Arme Dörthe!«

Fräulein Hummel wendete sich lächelnd ab.

»Was machen Sie denn da?« fragte Friedel nach einer Weile, die ihrer Nachbarin staunend zusah, wie die ein Loch in ein vollständig heiles Stück Linnen schnitt und das dann mit allerhand Fäden zu überspannen begann.

»Stopftuch,« antwortete Lilly trocken.

Friedel schüttelte verständnislos den Kopf.

»Was wollen Sie denn damit zustopfen?« fragte sie unsicher.

Lilly mußte hell auflachen.

»Damit? Gar nichts. Aber die Löcher drin stopfe ich in den verschiedensten Mustern und Farben zu.«

»Ja, aber die Löcher schneiden Sie doch selbst?«

Jetzt schaute Lilly verständnislos drein.

»Ich meine, keine Macht der Welt brächte mich dazu, freiwillig Löcher zu schneiden, die ich danach wieder zustopfen müßte,« erklärte Friedel.

Lilly lachte.

»Wollen wir sehen.«

Friedel warf das Köpfchen zurück. Der alte Schelm in ihr regte sich.

»Wetten?«

»Wetten!«

Lilly lachte. Es war doch ein amüsanter Kauz, die Neue.

*

Als einige Tage herum waren, dachten auch die anderen so, und das Fenster, an dem Friedel saß, erfreute sich plötzlich merkwürdiger Bevorzugung.

Friedel hatte sogar schon einige Duzfreundschaften geschlossen – in ihrem Alter geht das so merkwürdig schnell – und begann sich wohler zu fühlen in der Umgebung.

Wenn nur das Nähen nicht gewesen wäre! Die Mädels waren schon recht, aber das gräßliche Nähen.

Bei Tante Lenchen aber gab's kein Erbarmen, wo und wie oft Friedel auch anpochte. Und der Papa zuckte auf ihre Klagen nur schweigend die Schultern.

Dörthe, die Stallmagd, mochte Friedel gar nicht mehr ansehen, wenn sie bedachte, was die Laken ihr – Friedel – für Ärger machten.

Inzwischen schritten die trotz der zwei Fädchen doch voran; etwas wie Ehrgeiz regte sich angesichts des allgemeinen Fleißes auch in Friedels Brust. Wenn sie nur wollte, dann konnte sie auch.

»Das letzte, Friedel!«

Lilly rief's eines Morgens triumphierend, und Friedel warf ihr einen vielsagenden Blick zu. Dann ballte sie die Faust nach dem Linnen.

»Ich räche mich an den greulichen Dingern,« sagte sie ingrimmig. »Die Dörthe soll ihr Lebtag dran denken!«

Alle, die's hörten, lachten. Was Friedel wohl vorhatte? Daß sie voller Schelmenstreiche steckte, hatte man trotz ihrer anscheinenden Gesetztheit schon lange heraus. Wo man sie einmal härter antippte, fiel die mühsam aufgesetzte Tünche ab, und der Schalk blickte durch. Sie mußte nur warm werden.

Man beschloß, Friedel einmal eine unerwartete Freude und Überraschung zu machen. Friedel kam immer nur einen über den anderen Tag zur Nähstunde. Für einen täglichen Besuch war die Entfernung nach dem Städtchen zu weit. Die anderen drei Vormittage sollten daheim bei der alten Babette mit Kochunterricht ausgefüllt werden. An einem Morgen nun, als Friedel die Nähstunde nicht besuchte, machten sich die Heinzelmännchen heimlich ans Werk. Niemand außer den Beteiligten merkte es – der letzte Saum am letzten Laken wurde beendet.

»Was Friedel wohl sagen wird?«

Sie freuten sich alle riesig.

Sechse waren im Komplott, Friedels treueste Verehrerinnen.

Friedel erschien anderen Morgens etwas spät. Man hatte sie nicht wie sonst anfahren hören.

»Ich bin mit dem Rad gekommen,« erklärte sie auf eine diesbezügliche Frage. »Papa hat's endlich erlaubt!«

Eine neue staunenswerte Eigenschaft Friedels, die sie in den Augen der Genossinnen verklärte – sie fuhr Rad! So weit hatten's die anderen noch nicht gebracht. In dem kleinen Städtchen war man noch lange nicht so weit.

Friedels Augen blitzten, ihre Wangen waren von der Fahrt noch gerötet. Sorgfältig legte sie ein Päckchen beiseite. Nun huschte ein Schatten über das fröhliche Gesicht. Wie langsam sie auch zu Werke ging, einmal mußte sie doch nach der Arbeit greifen. Ewig ließ sich der gefürchtete Augenblick nicht hinausschieben.

Etwas mißmutig kramte sie die Arbeit vor. Gespannt sahen die anderen zu. Jetzt – ein jauchzender Jubelruf. »Hurra, Kinder, das ist ja fertig!«

Alles im Zimmer war aufmerksam geworden.

Friedel hatte das Laken lang und länger entfaltet, es als Schleppmantel umgenommen und führte jauchzend einen Kriegstanz auf. Fräulein Hummel war zuerst ganz starr vor Staunen, mußte dann aber doch mitlachen.

Schließlich erwischte sie den Kobold an der wallenden Schleppe und machte dem Freudentanz ein Ende.

»Ach bitte, verzeihen Sie, verehrtes Fräulein, aber wahrlich, ich mußte meiner Freude ein bißchen Luft machen. Die Dinger waren doch gar zu gräßlich.«

»Ja, Kind, nun kommt aber noch das Zeichnen.«

»Ach, das ist gar nichts, davor ist mir nicht bange.«

»Lilly, Kind, geben Sie doch Friedel die Schablonen und unterweisen Sie sie ein bißchen. Wenn dann alles trocken ist, werde ich den Stielstich zeigen.«

Friedel rümpfte das Näschen.

»Laß nur, Lilly, das mach' ich alles aus freier Hand,« wies Friedel sie ab. »Ich habe mir das Nötige mitgebracht. Übrigens tausend Dank euch allen für die freundliche Hilfe. Nun kriegt die Dörthe ihre Laken doch noch!«

Damit setzte sich Friedel an ihren Platz und begann zugleich ein eifriges Hantieren. Sie hatte sich ein Fläschchen Tinte mitgebracht samt Pinsel und Feder.

Die anderen ließen sie schweigend und erwartungsvoll gewähren. Sie ahnten, daß da etwas Absonderliches im Werk war. In Friedels Gesicht zuckte zu sichtbar der Schalk; sie hatte eine Art Barrikade um sich herumgebaut.

»Du brauchst aber lange für die paar Buchstaben, Friedel!«

Friedel winkte abwehrend mit der Hand.

Fräulein Hummel war am anderen Ende des Zimmers beschäftigt. Ein Kichern, erst unterdrückt, dann helles Auflachen machte sie aufmerksam.

Sie hob den Kopf und sah, daß mindestens die Hälfte der Mädchen Friedels Platz umdrängten, und daß etwas, das sich jede mit langgestrecktem Halse zu sehen bemühte, die allgemeine Heiterkeit erregte.

Leise trat sie herzu, schob ein paar der Mädchen zur Seite und sah nun ihrerseits, was alle belachten.

Friedel hatte mit waschechter Zeichentinte statt der üblichen einfachen Buchstaben drei allerliebste handgroße Zeichnungen in die Ecken der drei Laken eingezeichnet. Hier bildeten ein Mutterschwein mit sieben Ferkeln in den drolligsten Stellungen ein großes D. Da war der Buchstabe aus Stalleimer, Mistgabel und derlei Geräten zusammengesetzt. Dort endlich saß die künftige Eigentümerin der Wäschestücke, offenbar in Porträtähnlichkeit, vor einer Kuh, die sich mit Bocken und Schweifschlagen gegen das Melken wehrte; ein D umzog als Arabeske das kleine Genrebild.

Die Zeichnungen waren allerliebst und verrieten viel Talent. Fräulein Hummels kunstgeübtes Auge konnte sich nicht satt daran sehen.

»Was soll das bedeuten, Kind?« fragte sie nichtsdestoweniger etwas strenge.

Friedel sah sehr kaltblütig auf.

»Sie sagten doch, ich solle die Laken zeichnen. Für die Dörthe fiel mir nichts Passenderes ein,« antwortete sie unschuldig.

Fräulein Hummel drohte ihr mit dem Finger.

»Ich fürchte, Ihre Tante wird wenig Freude an der Verzierung haben. Übrigens besitzen Sie großes Zeichentalent, Kind. Sie sollten Unterricht darin nehmen; das lohnte der Mühe.«

»Meinen Sie?«

Friedel hielt nicht viel von Talenten im allgemeinen, am wenigsten von dem ihren im besonderen. Friedels »gezeichnete« Laken gingen reihum von Hand zu Hand und erregten allgemeine Heiterkeit. Friedel schlug dazu lustig Pirouetten.

Fräulein Hummel hatte inzwischen schweigend ein D auf ein Stück Leinen gezeichnet und hielt danach das Quecksilber mit raschem Griff fest.

»So, Kind, jetzt passen Sie auf. Die Laken haben ihr Teil, daran ist nichts zu ändern, aber den Stielstich müssen Sie drum doch lernen.«

Friedels Gesichtchen war sehr lang geworden, doch fügte sie sich wortlos und mit guter Miene, um nicht die Lacher gegen sich zu haben.

Wenn sie wollte, konnte sie, und Fräulein Hummel staunte, wie schnell sie die Sache begriff.

*

»Es regnet furchtbar, Friedel, wie kommst du nun heim?«

Lilly stand am Fenster und sah ganz besorgt hinaus. Die Mädchen rüsteten sich eben zum Aufbruch.

»Willst du bei uns bleiben, Friedel? Bei uns?«

Sechs Stimmen boten's auf einmal an.

»Keine Sorge, Kinders! Meines Vaters Junge ist nicht von Zucker, der schmilzt nicht. Übrigens habe ich ja den wundervollsten Schutz hier.«

Sie wies auf die Laken, die zusammengebunden zum Mitnehmen bereit lagen.

»Wieso? Ich denke, die hindern auf dem Rad,« meinte Lilly.

»Abwarten, Jungfer Weisheit!«

Man ging. Die ganze Nähstunde drängte hinter Friedel drein. Man mußte doch sehen, was die nun wieder im Schilde führte.

Es goß in Strömen.

Friedel band sich unten im Flur zwei der Laken mit einer Kordel um den Leib, entfaltete das dritte, steckte mit den Nadeln eine Art Burnus zurecht, in den sie sich wie ein Beduine von Kopf bis zu Fuß einhüllte.

Die Mädchen waren sprachlos.

»So willst du fahren, Friedel?«

Sie erstickten fast vor Lachen.

»Weshalb nicht? Lieber so, als naß werden. Paßt mal auf, das wird lustig.«

Lautes Gelächter.

Ehe man zu Wort kam, war Friedel schon aufgestiegen.

»Lebt wohl, auf Wiedersehen!« rief sie noch mit heller Stimme, und schon wehten die wallenden, weißen Zipfel ihres Burnus unten an der Straßenecke. Noch ein Winken mit der Hand, ein Nicken des Köpfchens, und sie war verschwunden.

Die Gefährtinnen kamen nicht zu Atem vor Lachen.

Ein paar Fenster in der Nachbarschaft waren aufgerissen worden, ein Köter bellte, ein paar vereinsamte Gassenjungen johlten hinterher, dann war alles still. Zum Glück waren bei dem Regen die Straßen ziemlich menschenleer.

Lilly atmete förmlich auf.

Aber was bog denn dort um die Ecke?

Richtig wieder der weiße, wallende Burnus.

»Kinders« – Friedel war ganz atemlos – »hole mir doch eine mal schnell meine roten gestickten Buchstaben. Die brauche ich als Pflaster für Tante, wegen Dörthes gezeichneten Laken!«

Lilly stürzte hinauf.

Als sie wieder zurückkam, war unten schon mehr Leben in die Szene gekommen.

Ein paar Hunde umbellten Friedels Rad, ein paar Jungen umstanden es grinsend. Immer mehr Fenster öffneten sich, man hörte Gelächter und Zurufe. Friedel kümmerte es wenig.

Jetzt bog auch noch ein Trupp Primaner um die Ecke.

Lilly wurde ganz blaß.

»Mach, daß du fortkommst,« flehte sie förmlich, »die ganze Stadt wird sonst noch rebellisch.«

»Sei kein Narr!« war Friedels höfliche Antwort.

»Na, adieu, Kinders!«

Damit flog sie davon, Jungen und Hunde mit Hallo hinterdrein. Man sah sie den begegnenden Primanern huldvollst für den Gruß danken, dann war sie um die Ecke und diesmal endgültig.

*

Babette daheim, die gute alte Babette, hatte große Mühe mit dem Unband, dem sie die ersten Regeln der edlen Kochkunst beibringen sollte.

Am ersten Unterrichtsmorgen war Friedel schon beim Frühstück mit Riesenschürze und Riesenhaube erschienen, einen gewaltigen Kochlöffel als Zepter in der Faust.

Gravitätisch schritt sie zum Vater hin, den Kochlöffel wie ein Gewehr präsentierend.

»Wie gefällt dir dein Junge, Väterchen?«

»Ausnehmend! Was hast du denn für eine Bedachung?«

»Respekt! Ohne Haube keine richtige Köchin. Das kannst du aus allen Bildern sehen. Tante wollte mir keine leihen, da habe ich mir eine aus Seidenpapier geklebt. Was du tust, das tue recht, ist mein Wahlspruch. Was wünschen der gnädige Herr heute zu Tisch?«

Der Papa mußte hell auflachen.

»Frida, was für Tollheiten!« jammerte Tante Lenchen, die eben ins Zimmer trat. »Wirst du denn nie Vernunft annehmen? Wie siehst du denn aus? Was steckt denn da alles?«

Dabei trat sie mißtrauisch an die Nichte heran, deren Umfang um die Taille allerdings fast das Doppelte maß wie gewöhnlich.

»Respekt, Tantchen« – Frida entwand sich eilig den tastenden Händen – »ohne Speck keine Köchin. Hast du schon je mal 'ne magere gesehen? Gegen die Babette bin ich ja noch ein Hering, aber es muß auch so gehen!«

Nun erst wurde der Vater auf die wohlgerundete Gestalt des Töchterchens aufmerksam und wollte sich ausschütten vor Lachen.

Tante Lenchen war sehr ungehalten.

»So kommt nie Ernst in die Sache. Du bist noch unverständiger als das Mädel, Konrad!«

»Ach was, laß sie doch, Lene. Fröhlich kommt man auch zum Ziel und besser als mit Kopfhängen.«

Das ganze Haus lief zusammen, als Friedel nun bei Babette antrat, und des Lachens und Kicherns war kein Ende.

Als es zu toll wurde, jagte Friedel alle mit dem Kochlöffel aus der Küche.

»Und jetzt, Babetteken, was kochen wir?«

Die alte Babette wischte sich erst die Tränen ab, die ihr vom Lachen noch über die feisten Wangen kollerten.

»Jesses, Kindche, Sie sin wohl ganz des Deiwels. Binne Sie sich emal schnell die Speckgarnitur ab, das Herdfeuer macht heiß. Ich wollt', ich könnt' meine auch so abschnalle; die sitzt awer fest.«

Friedel aber wollte nicht, und Babette ließ sie gewähren.

»Was kochen wir?«

Friedel war ganz Eifer.

»Brate gibt's heut' und Supp' und Gemüs'.«

»Und ich mache einen Kuchen für Väterchen, Babetteken, bitte, bitte!«

»Nee, so schnell schieße die Preiße nit. Mit 'm Kuche wird nit angefange.«

Aber Friedel ließ nicht nach mit Bitten und Quälen. Babette konnte nicht nein sagen.

»Eine Sandtorte, die mag er so gern, bitte, bitte!«

»Meinswegens! Jetzt wern awer erst Kartoffele geschält, des muß mer auch lerne.«

Friedel stand vor einer Schüssel gewaschener Kartoffeln und schälte.

»Des dauert awer lang,« tadelte Babette nach einer Weile. »Wenn des so weiter geht, dann komme mer an kein Kuche mehr.«

»Gleich, Babetteken, ich bin gleich fertig.«

Friedel glühte vor Eifer.

Babette trat heran.

»Ha, ha, ha! Des glauw ich. Nein, so was! Ha, ha, ha!«

Friedel hatte aus jeder Kartoffel einen menschlichen Kopf herausgeschält, es sah zu komisch aus.

»Nein, was wird der Herr Papa sage. Des is er ja leibhaftig selwer. Die kriegt er owe draufgelegt. Der wird gucke! Ha, ha, ha! Das bin ich ja, wirklich und wahrhaftig. So was, so was!«

Babette vergaß beinahe alles andere drüber und Friedel tanzte mittlerweile einen Kriegstanz um den Küchentisch.

»Jetzt der Kuchen!«

Friedel mußte das Rezept lesen, dann Zucker wiegen und Eier ausschlagen. Dann wog sie das Mehl ab und stäubte sich so recht mit Wonne vom Kopf bis zu den Füßen ein. Sie war ganz überpudert von Mehlstaub.

Da streckte der Papa den Kopf zur Tür herein.

»Nun, wie geht's, Jungfer Köchin?«

»Herrlich, Väterchen!« Dabei flog der Schalk dem Papa um den Hals und schmiegte sich so recht innig und zärtlich an ihn an, und der nichtsahnende Vater umfing den Liebling aufs wärmste.

Da mußte er niesen, kräftig, einmal, zweimal. Der Mehlstaub war ihm in die Nase geraten. Er schob das Töchterchen von sich, und nun sah er die Bescherung. Weiß wie ein Müllerbursche vom Scheitel bis zur Sohle!

»Alle Wetter!«

Hämisch kichernd umtanzte ihn der Kobold. Wie er sie haschen wollte, stob sie davon.

»Warte du, laß mich dich nur oben haben!«

»Komm doch und hol mich!« kicherte der Unband.

Der Papa aber hatte genug, brummend und knurrend zog er sich zurück.

Tante Lenchen begegnete ihm auf der Treppe.

»Hast wohl bei den Kochstudien geholfen, Konrad?« fragte sie spitz.

Er aber brummte nur etwas Unverständliches vor sich hin und machte die Tür seines Zimmers etwas energischer als gerade nötig war, hinter sich zu.

Friedel hantierte indessen unten frohen Mutes weiter. Sie sang mit heller Stimme. Das Kochen war gar nicht so übel. Da brauchte man doch nicht immer auf einem und demselben Fleck zu sitzen wie beim Nähen, konnte doch auch mal ein bißchen Unsinn treiben wie eben mit dem Papa.

Ob er das Mehl wohl wieder wegbekommen hatte, der Ärmste?

Friedel kam's fast wie Reue an. Der Kuchen stand im Ofen und roch köstlich. Friedel mußte immerzu danach schnuppern. Babette konnte vom Braten nicht fort, den sie eben anbriet.

»Der Kuchen muß gedreht wern, Kindche, flink, sonst verbrennt er.«

Friedel eilte herzu, Babette kümmerte sich nicht weiter drum.

Nach ein paar Minuten sah sie zufällig nach dem Bratofen hin. Mit einem Entsetzensschrei ließ sie Braten Braten sein und stürzte herzu.

»Jesses, Kindche, ei, was mache Sie denn?«

»Ich drehe den Kuchen, Babette.«

Friedel saß am geöffneten Ofen und bemühte sich durch Tippen und Stoßen die Kuchenform in beständig kreisender Bewegung zu halten.

»Wie lange muß er denn gedreht werden?« fragte sie unschuldig.

Babette sank nach Luft schnappend auf den nächsten Stuhl.

»Au – au – au –« keuchte sie.

Friedel ließ sich nicht stören.

»Weh getan, Babetteken?« fragte sie mitleidig.

»Aufhören!« konnte Babette endlich hervorbringen und zwar mit solchem Nachdruck, daß Friedel ganz erschreckt innehielt.

»Sinn Sie dann ganz des Kuckucks? Ei, wer dreht dann en Küche so wie Sie, wann er backe soll. Ei, der fällt ja zusamme.«

»Nee, Babetteken, fest gehalten hab' ich ihn, gefallen ist er nicht. Also aufhören? Umso besser! So leicht war das Drehen gar nicht. Ich hab' mir die Finger ganz tüchtig verbrannt.«

Babette war noch zu erregt, um Worte zu finden, zudem roch der Braten ganz verdächtig, da war dringende Hilfe not.

Sie stürzte zum Herd, der Braten roch immer stärker, sie riß den Topf vom Feuer zurück und spießte den Braten an die Gabel.

»Schnell, löschen! Wasser, Kind!«

Friedel ergriff den Wassereimer, stürzte eilig herzu und goß seinen ganzen Inhalt in das Herdfeuer.

Rauch, Qualm, Zischen, Sprudeln! – Tableau!

Babette stand der Mund offen, sie hielt den Braten auf der Gabel gespießt und sah mit großen Augen auf das Unglaubliche.

»Ja, awer –« Sie konnte nicht weiter, der Atem versagte ihr.

»So, das wär' gelöscht!«

Friedel sagte es und offenbar sehr befriedigt.

»Was nun?«

»Mein Feuer, ach du liewer Himmel, mein Feuer! Mein Brate! Mein Kuche! Wie soll dann jetz alles gar wern. Ach, des Kind is ganz närrisch! Nein, des iwerleb ich nit!« so jammerte Babette in den höchsten Fisteltönen und Friedel stand ganz verdutzt und verständnislos daneben.

»Ja, hab' ich denn das Feuer nicht löschen sollen, Babetteken? Sie sagten doch löschen! Nicht?«

»Ja, awer nit des Feuer, de Brate haw ich gemeint. Des heißt mer lösche, wann mer nach dem Anbrate Wasser zugießt.«

»Das kann einer allein nicht wissen,« sagte Friedel sehr ruhig und unbekümmert. »Was nun?«

»Ja, was nun – was nun?« zeterte Babette. »Feuer anmache, natürlich, und jetz is alles naß. Ach du liewer Himmel, des is noch mein Tod!«

»Schämen Sie sich, Babetteken, wer wird so was sagen,« mahnte Friedel sehr ernst.

Babette sah ihre Gehilfin ungewiß an und machte sich dann, Unverständliches brummend, ans Werk.

Das Feuer prasselte bald wieder lustig, der Braten war fertig angebraten und schmorte nun langsam weiter – Stille nach dem Sturm.

Friedel stand am Herd und sollte auf die Milch aufpassen, die eben ins Kochen kommen wollte.

Babette war mit Aufspülen beschäftigt. Sie sang dabei mit schallender Stimme: »Wenn die Solda–aten in das Feld marschi–ieren,« und Friedel summte mit.

»Sag mal, Babetteken, kocht jetzt die Milch?«

Friedel hielt ihr den vom Feuer gehobenen Topf dicht unter die Nase, und allerdings zeigte die Milch verdächtige Blasen.

Babette sah Friedel ganz verständnislos an.

»Ja awer, das kann ich doch so nit sage, des muß doch auf dem Feuer stehe und steige und –«

»Ach richtig, und dann riecht's so greulich! Na, dem wollen wir schon abhelfen,« sagte Friedel verständnisinnig und sehr vernünftig und stellte den Milchtopf ans Feuer zurück. Und die Milch stieg. Jetzt war sie dem Rand des Topfes gleich. Friedel hatte nur darauf gewartet. Jetzt riß sie – nicht die Milch vom Feuer, sondern das Fenster auf. »So, nun kann der greuliche Dampf gleich hinaus,« sagte sie, sehr befriedigt ob ihrer Klugheit. Psch! machte die Milch und schoß über. Friedel sah gelassen zu. Das Zischen machte Babette aufmerksam, sie stürzte eilig herbei und riß den wie toll sprudelnden und zischenden Topf vom Feuer. »Laß doch, Babetteken, ich habe ja das Fenster aufgemacht, da kann der Geruch gleich hinaus.«

Friedel war sichtlich erbaut von ihrer weisen Fürsorge.

Babette brummte etwas vor sich hin, das sich stark wie »einfältig Ding« anhörte, sagte aber nichts, zuckte nur die Schultern und tippte mit dem Finger an ihre Stirn. Friedel begriff und – begriff nicht.

»Wieso?«

Es klang ordentlich herausfordernd.

»No, wann ich doch die Milch eweg tu', wann se steigt, dann gibt's doch kein Gestank, des könnt e jed Wickelkind sich an de finf Finger abklaviere. Lasse Se sich Ihr Schulgeld widergewe!«

Friedel war ganz rot geworden. »Das kann einer allein nicht wissen,« sagte sie indessen nur, anscheinend unbekümmert, dachte aber bei sich, das Kochen sei doch nicht so ganz einfach und nur eitel Vergnügen, wie sie geglaubt hatte!

»Uff, mir ist heiß! Wissen Sie was, Babetteken, ich gehe mal die vielen Röcke und Tücher abnehmen, die ich untergebunden habe. Es wird mir doch ein bißchen zu warm hier.«

Babette brummte etwas Unverständliches vor sich hin.

Wenn Babette hoffte, nun den Störenfried ihres beschaulichen Küchendaseins für heute los zu sein, so war sie sehr im Irrtum.

Nach ein paar Minuten öffnete sich die Tür wieder und Friedel erschien mit dem urfidelsten Gesicht.

»Und nun der Kuchen, Babetteken, unsere berühmte Sandtorte!«

»Wird was Rars geworde sein bei dem dolle Gedreh von vorhin.«

Babettes gute Laune war noch nicht wiedergekehrt.

»I wo, bange machen gilt nicht!«

Babette nahm die Torte aus dem Ofen, und sie sah wirklich sehr appetitlich aus und roch köstlich.

»Herrlich, Babetteken!«

Friedel drehte die gute Dicke lachend im Kreise, bis ihr der Atem ausging.

»Jesses, Kindche, aufhören, ich kann nit mehr!« Aber die Rinde, die seit der übersprudelnden Milch um ihr Herz lag, war geschmolzen. – –

Man saß bei Tisch.

Der Papa, ganz rein gebürstet, schmunzelnd, die Tante erwartungsvoll, tadelbereit; Friedel fidel, strahlend.

»Ich hab' heut schon gräßlich viel gelernt, Väterchen,« erzählte der Schelm. »Kartoffeln schälen, paß nur auf, und Braten löschen und Milch kochen und eine Sandtorte haben wir dir gebacken, Väterchen, eine Sandtorte – unbeschreiblich schön!«

Und sie gab ihre Kochabenteuer und Irrtümer so urdrollig zum besten, daß der Vater schallend lachen und selbst die Tante schmunzeln mußte.

»Und, Väterchen, wenn der Braten auf dem Feuer anbrennt, und du sollst löschen, wie denkst du dir das?«

»Dann gieß' ich Wasser auf!«

»Bravo! Worauf?«

»Aufs Feuer!«

»Natürlich – ich auch! Ha, ha, ha, ha! Frag mal die Babette, was die tut! Und, Väterchen, wenn die Milch kochen soll und sie steigt, und es riecht dann so gräßlich, wenn sie überläuft, was tust du da?«

»Dann nehm' ich sie weg, ehe sie überläuft!«

»Nee, ich nicht!«

»Was tust denn du?«

»Ich mach' einfach das Fenster auf, daß der Geruch hinaus kann.«

»Einfach? Ha, ha, ha, ha!«

»Frida! Wirst du denn nie vernünftig werden?«

»Schilt mal nicht, Tantchen. Sieh dir lieber die Kartoffeln an, wie sie dir gefallen.«

Die hatten den Reiz ihrer Formen nun allerdings durch das Kochen verloren. Babette aber hatte die gelungensten ungekocht auf einem Schüsselchen für den »gnädigen Herrn« besonders servieren lassen, und der hatte einen Riesenspaß dran. Weniger Tante Lenchen.

»Immer Tollheiten, immer Unsinn! Das Mädchen wird nie vernünftig werden.«

Nun sollte die Torte kommen.

»Die hol' ich selber, die ist zu wundervoll.«

Friedel war schon draußen, ehe Tante Lenchen Einspruch erheben konnte.

Und da erschien sie auch schon wieder und trug ein Prachtexemplar von Torte im Triumph vor sich her. Eine dicke Zuckerlage deckte den Kuchen, und ein dichter Kranz von Koniferengrün und Efeu umgab den Rand.

»Hier ist die Sandtorte, Väterchen. Darf ich dir ein großes Stück schneiden?«

»Bitte!«

Schmunzelnd schob der alte Herr seinen Teller herzu.

Friedel schnitt ein herzhaftes Stück und legte es dem Papa auf den Teller.

»So!«

Der Papa war eben im Begriff, den ersten Bissen der Prachttorte zum Munde zu führen, als ein schallendes Halt zugleich von Friedel und Tante Lenchen ihn zaudern und stutzen machte.

Er sah sich den Bissen genauer an.

»Wie heißt die Torte, Kind?«

»Sandtorte, Väterchen!«

Der Schalk blitzte ihn herausfordernd an.

»Mir scheint, sie führt ihren Namen mit Recht. Solche Kuchen, mein Jungchen, hast du schon gebacken, wie du noch in den ersten Höschen –«

Aber nun brach Tante Lenchens Groll los.

»Ist das erlaubt? Und du lachst noch darüber, Konrad? Bringt uns das Mädchen Sand, wirklichen, wahrhaftigen Sand auf den Tisch und –«

Friedel, die bei der Tante Ausbruch eiligst entwichen war, brachte nun die richtige Torte und da die sich als gelungen erwies, verzog sich auch Tante Lenchens Groll. –

Ähnliche Szenen wiederholten sich fast so oft, als Friedel ihren Kochtag hatte. »Jungchens Küchenfeste,« wie der Papa diese Tage bei sich nannte, waren ihm eine stete Quelle des Vergnügens, wie sie Tante Lenchen ein Born des Ärgers waren. Da wurden die wunderbarlichst ausgeputzten Schüsseln aufgetragen. Schinken, der erste als brauner Araber mit in die Schwarte geschnittenen Gesichtszügen und weißer Umhüllung, der nächste mit gelöster Schwarte zeigte auf seiner fettglänzenden Fläche ein mildes, altes Damenantlitz, das die Tollen einer riesigen Nachthaube aus Seidenpapier umgaben, die mit gewaltig kühner Schleife am Halse – dem Schinkenbein – schloß. Eine Kalbskeule wieder war als Chinese mit dem Schwanz als Zopf zurecht gestutzt. Die Kartoffeln und Rüben wiesen die abenteuerlichsten Formen auf, kurz, für Überraschungen irgendwelcher Art war stets gesorgt, und Tante Lenchen dankte ihrem Schöpfer, wenn diese Überraschungen nur äußerlicher Natur waren. Oftmals war der Gehalt mancher Gerichte eine Überraschung für sich, und die Tante untersuchte zuvor mißtrauisch jede ihr vorgelegte Speise, ehe sie sich ans Essen wagte.

Wie weit Friedel von dem Unterricht wirklich Nutzen zog, getraute sich die Tante nicht zu bestimmen.

Einmal überraschte sie durch wunderbar verständnisvolles Eingehen auf Küchenfragen, ein andermal schien ihr das Einfachste fremd.

»Ich werde den Braten tüchtig klopfen müssen, daß er mürbe wird, Tantchen, oder meinst du, wir sollten ihn noch ein paar Tage hängen lassen; er scheint frisch geschlachtet,« konnte sie furchtbar weise und überlegt sagen.

Tante Lenchen triumphierte innerlich.

Dann wieder brachte ihr der Schalk zwei Eier zusamt dem Töpfchen, worin sie gekocht worden waren, auf den obersten Speicher nachgeschleppt: »Sag mal, Tantchen, sind die weich? Babette ist nicht da und ich kann's bei der Hitze nicht so recht fühlen.«

Sprachlos vor Ingrimm wies die Tante nur stumm nach der Tür, und Friedel sah ein, daß hier kein gedeihlicher Boden für ihre Narrenspossen sei.

*

Ein Regennachmittag Ende November.

Friedel stand gelangweilt an allen Fenstern herum und starrte ärgerlich in den Graus da draußen.

Von Lisa waren heute Briefe gekommen, lange, ausführliche Briefe, und wie immer an solchen Tagen fühlte Friedel entsetzliches Heimweh nach der Schwester.

Wenn Lisa noch da gewesen wäre, wie anders hätte alles ausgesehen. Da wäre alles beim lieben Alten geblieben. Miß Miller wäre nicht gekommen, Friedel hätte nicht fortgemußt, wäre nicht so programmwidrig heimgekehrt, infolgedessen sie nun diesen gräßlichen Näh- und Kochunterricht über sich ergehen lassen mußte. Lisa war wirklich an allem schuld, Lisa und das dumme Heiraten! Und die Lisa schrieb auch noch so strahlend glücklich!

»Mein Werner trägt mich auf Händen. Ein Tag ist immer schöner als der andere. Mir bangt förmlich vor diesem Übermaß von Glück. Wird es auch dauern?«

Papa und Tante hatten gelächelt; ersterer hatte sogar ganz was verdächtig Feuchtes im Auge gehabt, Friedel hatte es wohl gesehen. Sie zuckte verächtlich die Achseln.

»So 'ne Übertreibung! Der Werner ist doch gar kein so Phönix, da ist Väterchen doch ein ganz anderer Kerl!«

»Frida, welche Sprache!«

»Hab' ich vielleicht nicht recht?«

Tante Lenchen fand so rasch keine passende Antwort.

Der Papa lachte nur, daß ihm die Tränen über die Wangen liefen.

Die Tante warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu und schüttelte den Kopf. –

Und Friedel stand am Fenster, draußen war's grau und drinnen grauer.

Vor einer Stunde etwa war sie aus der Stadt gekommen, heute war Nähtag gewesen.

Seit jener Heimkehr im weißen Lakenburnus damals hatte Tante Lenchen das Radfahren nicht mehr erlaubt. Auch diese Freude vergällt!

Melancholisch senkte sich das Köpfchen, preßte sich das braune Gesicht gegen die feucht beschlagenen Scheiben.

Gleich darauf lachte Friedel wieder.

Tante Lenchen war doch zu urkomisch gewesen in ihrer entrüsteten Überraschung beim Anblick der »gezeichneten« Wäschestücke.

»Erbarm dich, das Mädel ist wohl ganz unheilbar.«

Dann hatte sie es mit energischem Auswaschen probiert, aber die Tinte war echt; Schweine, Mistgabeln und das Konterfei der Dörthe waren nicht zu vertilgen. Das Beste an der Sache war, daß die Dörthe selber den größten Spaß an den Bildchen hatte und sie für eine ganz besondere Auszeichnung hielt.

»Nein, so was, nein, so was! Mer meint ja, es hätt' mich einer gephotographiert,« sagte sie immer wieder und bedankte sich noch ganz besonders bei Friedel, die das Lachen kaum verbeißen konnte.

Angesichts solcher Freude konnte auch Tante Lenchen nicht mehr zanken.

»Die Dörthe hat sich darüber gefreut.« Damit wies Friedel jeden dahinzielenden Vorwurf zurück.

Noch immer lehnte Friedel am Fenster und sann.

»Frida, Kind, hier bringe ich dir Arbeit. Nun zeig mal, was du kannst!«

Tante Lenchen brachte einen Arm voll Socken angeschleppt und hatte zum Überfluß noch was Weißes über den Arm gehängt.

Entsetzt fuhr Friedel herum.

»Tantchen, ich –«

»Ich weiß, du langweilst dich, da wollte ich für Abhilfe sorgen.«

Seelenruhig sagte es die Tante.

Mit drei Sätzen war Friedel an der Tür.

»Ich –«

»Du bleibst!«

Gegen diesen Ton gab's keinen Widerspruch. Friedel blieb also, den hellen Widerwillen in Blick und Miene.

»Hier sind drei Paar Socken, die stopfe für den Papa; du hast es ja schon angefangen zu lernen. Dann habe ich hier eine Nachtjacke von mir, an der zwei Knöpfe fehlen; die hätte ich gern angenäht.«

Friedel sagte gar nichts und die Tante fragte nicht weiter, legte alles vor sie hin und ging dann wieder hinaus.

Arme Friedel.

Es wurde immer grauer in ihr.

Erst wandte sie den Socken entschlossen den Rücken, dann – na, zusehen konnte man doch einmal.

Mit spitzen Fingern näherte sie sich den Strümpfen. Na, so gar schrecklich sahen sie nicht aus. Das Stopfen war am Ende nicht einmal so schlimm.

Ehe Friedel wußte wie, hatte sie Stopfkugel und Nadel in der Hand und zog eifrigst Faden um Faden über das Loch. Da kam ihr ein Gedanke; das Gesichtchen leuchtete auf, und die Nadel flog nur so. Tante Lenchen, die, von Friedel unbemerkt, heimlich zur Tür hereinspähte, zog sich angesichts solchen Eifers kopfnickend zurück. Ihre Methode schlug doch an. Ausdauer, nur Ausdauer!

Friedel hatte inzwischen alles ihr Vorgelegte ausgebessert und noch mehr getan, als verlangt worden war.

Triumphierend trug sie die Sachen an Ort und Stelle und stürmte pfeifend, drei Stufen auf einmal nehmend, ins Freie.

Tante Lenchen hörte es. Ihr Thermometer sank um zehn Grad auf einmal. Noch war der Junge in Friedel nicht ausgetrieben!

Draußen ging eben die Sonne unter, die just zuletzt noch siegreich durch Nebel und Wolken durchgedrungen war.

Friedel stürmte dahin, immer der Sonne zu, in die sie mit weit aufgerissenen Augen hineinstarrte.

So rannte sie gegen etwas an – einen Herrn, den alten Pfarrer.

»Holla, Friedel, meine Hühneraugen! – Wohin, Kind?«

Friedel lachte.

»In die Sonne!«

»Je ja, je ja, wer so mitstürmen könnte der Sonne zu. Bei mir geht's dem Schatten entgegen, fein sachte.«

»Ich muß mich noch einmal austoben, Herr Pfarrer, mir ist was Gräßliches passiert.«

»Was denn, ums Himmels willen?« Der alte Herr war ganz erschreckt.

»Ich habe Socken für Papa gestopft!«

Belustigt lachte der alte Herr hinter ihr drein.

»Wetterhexe!«

Und noch lange schmunzelte er vor sich hin.

*

Andern Tags war Sonntag.

Der Papa war sonst immer sehr pünktlich beim Frühstück, heute kam er später. Er war ganz ärgerlich.

»Ich weiß nicht, welche Gans mir diesmal über meine Socken geraten ist. Geflickt sind sie ja ganz passabel. Aber das Duseltier hat danach die Füße quer durchgenäht, so daß keine Möglichkeit war, hinein zu kommen. Und nicht an einem Paar, nein, an allen dreien, die in der Schublade lagen. Ich hatte meine liebe Not, bis ich die Fäden herauskriegte, sage ich euch, und ich möchte wissen –«

Hier stockte er. Ein Blick auf Friedel, die mit gesenktem Gesicht das Lachen nur mühsam verbiß, belehrte ihn alsbald von der Natur des ihm gespielten Schabernacks.

»Aha!« Es klang sehr verständnisvoll. »So, so!«

Jetzt flog ihm Friedel um den Hals.

»Aber gestopft habe ich sie doch wundervoll, nicht, Väterchen?«

»Das hast du, mein Jungchen, das hast du. Ganz wundervoll.«

Der gute Papa war sehr gerührt von der Heldentat des Lieblings.

Triumphierend sah er die Schwester an.

»Was sagst du dazu, Sophie?«

»Torheiten und kein Ende!« brummte die Tante, und was sie noch hinterher murmelte, klang ganz verdächtig.

»Und der Tante habe ich Knöpfe an ihre Nachtjacke angenäht,« rühmte sich nun Friedel, und es klang etwas Herausforderndes, Erwartungsvolles mit.

Aber die Tante gewährte ihr die Genugtuung nicht, zu erzählen, wie wohl die Knöpfe an-, aber auch die Ärmel zugenäht gewesen waren, und wie sie sich sicher fünf Minuten gemüht hatte, dem Hindernis auf die Spur zu kommen. Umsonst wartete Friedel, und sie konnte sich's hinterher nicht versagen, dem Papa davon zu erzählen, und die beiden kicherten weidlich zusammen im Gedanken an Tante Lenchens Überraschung.

*

Die Wochen flogen hin, das heißt für Friedel schlichen sie; sie war noch nicht in dem Alter, wo die Zeit zu fliegen scheint. Und wie konnten Wochen, die sechs »schwere« Arbeitstage in sich schließen, drei Nähtage und drei Kochtage, wie konnten die überhaupt fliegen.

In der Nähstunde war Friedel nun von den Laken zum Hemdennähen aufgerückt, ein unsäglich mühsamer Fortschritt, der oftmals einem Stillstand verzweifelt ähnlich sah.

»Ich weiß nicht, was das ist, meine Nadel rutscht eben nicht,« sagte sie auf jeden leis mahnenden Vorwurf Fräulein Hummels.

Ja, die »rutschte« wirklich nicht, dafür aber rutschte das Zünglein umso flinker, neckte der Schelm umso lustiger – man konnte deswegen Friedel aber doch nicht gram sein.

Und wenn ihre Nadel zurück blieb, so kamen die der anderen umso flinker vorwärts bei dem fröhlichen Geplauder, das sagte sich Fräulein Hummel und tröstete sich damit.

Einer war eben nicht wie alle. Einem jungen, wilden Fohlen eine stäte Gangart angewöhnen wollen, hieße es aus seiner Natur herauszwingen und zu einem Unding machen, das mußte Fräulein Polten auch einsehen. Fräulein Hummel wollte ihr das nächstens mal so recht eindringlich vorstellen.

Das Mädchen war freilich wie ein Junge, aber wie ein lieber guter, frischer, prächtiger Junge. Damit mußte sich Fräulein Polten eben abfinden – das Nähen allein würde sie nicht mädchenhafter, weiblicher machen. Das war verlorene Liebesmühe.

*

Und der Schneemann kam und schüttelte seinen Sack über Feld und Flur. Und die Flocken tanzten, stäubten, wirbelten, flogen und senkten sich, leise und sacht, bis alles mit einer dicken, weißen Decke überzogen war.

Es schneite, schneite immerzu. Da gab's einen Trost für Friedel. Nun konnte man wenigstens im Schlitten zur Nähstunde fahren. Wenn sie so Morgens dahinsauste über die blitzende, schimmernde Fläche, da vergaß sie ganz, daß es zur Nähstunde ging, und erwachte erst, als man vor dem Hause hielt. Daß sie bei der Fahrt mit dem alten Johann den Platz wechselte, daß sie kutschierte und er bequem unter warmen Hüllen verpackt saß, das wußte die Tante freilich nicht.

Ihrer Ankunft harrten nun allmorgendlich so und so viele ihrer Gefährtinnen vor der Haustür, denn wenn Friedel vorfuhr, pflegte jedesmal der alte Johann sich ächzend aus seinen Hüllen herauszuwinden, der Schlitten füllte sich im Handumdrehen mit jungen schlanken Gestalten, und nun ging's unter Hallo und Hussa, Geklingel und Peitschengeknall Straß' auf Straß' ab durch das stille Städtchen. Und mancher solide Hausvater und manche stilltugendsame Hausmutter schüttelten den Kopf über die »wilde Jagd«.

»Wie das tolle Ding dahersaust, ganz aus Rand und Band! Das hätten wir zu unserer Zeit probieren sollen, Peter! Nein, die heutige Jugend, die heutige Jugend!«

Und die ehrbare Frau Schneidermeisterin Müller schüttelte den Kopf, daß die große, weiße Haube bedenklich ins Schwanken geriet, und ein dünnes, graues Zöpfchen sich voll Entsetzen über die heutige Verderbtheit loslöste und mit hin und her wippte.

Ja, die heutige Jugend, die heutige Jugend!

Zu »unserer Zeit« war's immer besser gewesen! Seit die Welt steht, behauptet dies eine Generation von der anderen nächstfolgenden und wird es behaupten, bis die Welt untergeht.

Aber auch der Herr Regierungsrat oben im ersten Stock blickte bedenklich auf das Treiben.

»Die kleine Polten macht's ein bißchen toll, liebe Alma. Gib doch unserer Lilly einen Wink. Ich möchte nicht, daß sie allzu oft dabei wäre.« –

Es war ein Technikum im Städtchen. Die jungen Studienbeflissenen da spielten zusamt den Primanern zuweilen eine Rolle in den Gesprächen der jungen Damen aus der Nähstunde. Friedel rümpfte das Näschen, sobald in ihrer Gegenwart das Gespräch auf dies Thema kam!

»Ich begreife nicht, Kinders, was ihr an den einfältigen Jungen seht. Einer ist immer wie der andere. Ich bin froh, wenn ich überhaupt keinen zu sehen kriege! Sollte mir gerade noch fehlen.«

»Wart, das erzähl' ich meinem Bruder Max,« neckte Lilly. »Der hält sehr viel auf dich und wird von deiner Bemerkung nicht sehr erbaut sein.«

»Meinethalben!«

Friedel war das entsetzlich gleichgültig, und die anderen kicherten und stießen sich an.

Was Friedel aber nicht gleichgültig war, das war, daß die jungen Herren – »dumme Jungens«, wie sie dieselben nannte – anfingen, sich Morgens zusammenzuscharen und bei der gewohnten lustigen Schlittenfahrt einmal in der und dann in der anderen Straße aufzutauchen, um mit untertänigstem Gruß den Schlitten mit seinem niedlichen Inhalt an sich vorbeipassieren zu lassen.

Ob es ihre Gefährtinnen ärgerte gleich ihr, das wußte Friedel nicht, war ihr auch einerlei; sie aber war sehr ungehalten darüber und beschloß, Abhilfe zu schaffen.

Eines Morgens – es war über Nacht wieder dicker Schnee gefallen – fanden die Mädchen, als Johann wie gewöhnlich aus- und sie einstiegen, zwei Riesenkörbe bis zum Rand mit Schneeballen gefüllt im Schlitten. Einer stand außerdem bei Friedel auf dem Bock.

»Wofür sind denn die?«

Gleichzeitig kam die Frage aus sechs jugendlichen Kehlen, Friedels sechs intimsten Verehrerinnen, die bei den Schlittenfahrten meistens die Palme davontrugen, das heißt am pünktlichsten zur Stelle waren. Lilly immer vorn dran, die der Mutter sanfte Mahnung unter stürmischen Küssen zu ersticken wußte.

»Friedel ist zu reizend, Mütterchen, du glaubst's gar nicht. Wirklich, ich sage dir, du wirst sie auch lieb haben, wenn du sie kennen lernst. Laß mir doch das Schlittenfahren, es ist zu nett und lustig, bitte, bitte!«

Und die gute Mutter hatte lächelnd geschwiegen.

Ja, wofür waren die Schneeballen bestimmt?

Friedel lächelte nur: »Ihr werdet schon sehen!«

Im Nu waren die Mädchen im Schlitten, und fort ging's.

Dort am Ende der Straße tauchte eben wieder die Gruppe der jungen Leute auf, die Friedel solch ein Dorn im Auge waren.

Die Schlittenglocken bimmelten, die Peitsche knallte, die zwei Braunen flogen nur so dahin.

Man kam näher und näher.

Friedel hatte sich, wie es in der Erregung stets ihre Gewohnheit war, im Schlitten aufrecht gestellt, sie hatte die Zügel in eine Hand gefaßt und trieb mit kurzen Zurufen, Zungenschnalzen und Peitschenknallen die Pferde immer mehr an.

»Hussa, he, vorwärts, Rollo, vorwärts, Bella!«

Jetzt war man dicht beieinander.

Die Hüte der jungen Herren flogen mit Schwung von den Köpfen.

Da! Friedel hatte mit einem Ruck die Pferde zum Stehen gebracht, so daß sie sich bäumten, und die sechs Insassen des Schlittens den bekannten hellen kleinen Stakkatoschrei erschreckter Damen ausstießen.

Doch die Pferde standen wie angewurzelt. Friedel hatte sich wie der Blitz gebückt, einen Schneeball aus dem Korb genommen und unter die junge Männerschar geschleudert. Ein zweiter folgte, ein dritter.

»Los, Mädels!« kommandierte sie mit klingender Stimme.

Die hatten begriffen, und nun flogen die Bälle, daß die Luft einen Augenblick ganz erfüllt davon schien.

Im Eifer des Gefechtes war keine Überlegung möglich, selbst die blasse Lilly schleuderte an Bällen, was sie nur erraffen konnte.

Den jungen Herren war die Kanonade so überraschend gekommen, daß sie an ein Zurückziehen nicht dachten, sondern lachend standhielten. Die ungezielten Bälle richteten ohnedies keinen Schaden an.

Jetzt aber erhob einer der jungen Männer den Arm, fing einen Ball im Fluge auf und sandte ihn zurück. Die Kameraden folgten seinem Beispiel. Die Sache fing bald an, bedenklich zu werden, denn die zurückfliegenden Bälle waren gut gezielt. Friedel wurde wütend. Daß die »Jungens« den Stiel so umdrehen würden, hatte sie nicht gedacht.

Der Klügste gibt nach! Außerdem ging die Munition zu Ende und auch die Pferde wollten nicht länger ruhig stehen.

Ein Zungenschnalzen, ein Peitschenknallen, heidi, fort war der Schlitten.

Drei, höchstens vier Minuten hatte die ganze Sache gedauert und doch war die Straße von oben bis unten alarmiert.

Fenster wurden geöffnet, lachende oder bedenkliche Gesichter zeigten sich. Jungen johlten, Köter kläfften, Gelächter und erregte Stimmen ringsumher.

In der Nähstunde darauf waren die Mädchen merkwürdig stille.

Fräulein Hummel wunderte sich innerlich, was die sonst so laute Ecke heute haben mochte.

Selbst Friedel war einsilbig und unwirsch und träumte in sich hinein und zog die Stirne kraus, wie man es in dem frischen, hellen Gesicht sonst gar nicht gewohnt war. Ihr ahnte dunkel, daß Unheil aus dem Abenteuer vom Morgen entstehen könne. Und Unheil nicht nur für sie allein! Scheu warf sie einen Blick auf die sechs Schicksalsgenossinnen – sie, die Verführerin, traf die Verantwortung für alles, was diesen widerfuhr.

Der Abschied um die Mittagszeit fiel diesmal recht kurz und einsilbig aus. Auf dem Heimweg erst kehrte Friedels gute Laune zurück. Sie schüttelte jegliches bedrückende Gefühl ab und war am Nachmittag daheim toller, als sie es seit lange gewesen war.

»Hussa, hallo, Hektor, Sultan!«

Auf dem Bergschlitten stehend, sauste Friedel wohl dreißigmal nacheinander die Anhöhe hinter dem väterlichen Hofe hinunter. Geschickt lenkte sie die kleine Nußschale mit einem eisenbeschlagenen Stock und neunundzwanzigmal unter den dreißig Talfahrten langte sie wohlbehalten, von den Hunden umbellt und umtollt, unten an. Das dreißigste Mal aber kugelte sie in den tiefen Schnee, und diese verunglückte Fahrt war ihr im Grunde die liebste.

Tante Lenchen stand just an einem der Fenster und sah dem Unglück entrüstet zu.

»Ist das nun erlaubt, Konrad? Wälzt sich das Mädel im Schnee und ist fast siebzehn Jahre alt! Könnte fast heiraten!«

»Heiraten? I wo. Jungchen heiratet nicht!«

»Konrad!«

Der alte Herr räusperte sich; er hatte sich wieder einmal vergaloppiert.

»Lene?« fragte er ganz zerknirscht.

»Ich frage dich, ob du kraft deines väterlichen Amts, kraft deiner Pflicht–« Tante Lenchens Stimme klang wie Posaunenton – »ja deiner Pflicht diesem Treiben Einhalt tun willst?«

Er duckte sich, wandte sich, räusperte sich.

»Ich sehe nicht ein, was dies Schlittenfahren mit dem Heiraten zu tun haben soll,« meinte er dann eigensinnig, »Das ist ein sehr gesunder Zeitvertreib und –«

Er verstummte plötzlich. Friedel fuhr soeben noch einmal talab und überkugelte sich soeben wieder in nicht sehr anmutiger Weise.

Geschickt lenkte Friedel den kleinen Schlitten mit einem eisenbeschlagenen Stock.

Es hätte Tante Lenchens mahnendes: »Konrad!« nicht bedurft.

Der alte Herr riß das Fenster auf und: »Friedel!« schrie er mit Stentorstimme über den Hof.

»Väterchen, gleich!« kam's silberhell zurück.

Und wie danach unten im Hof sein Kind so rosig und so frisch, so fröhlich und kerngesund an ihn herantrat und die Arme so zärtlich um seinen Hals legte, da schrumpfte die vorbereitete Strafpredigt in ein ganz einfaches: »Nicht zu toll, mein Jungchen, nicht zu toll!« zusammen.

»Es war so urfidel, Väterchen!«

Er mußte das ihm zugewandte leuchtende Mädchengesicht küssen.

Tante Lenchen sah den Verlauf des väterlichen Strafgerichts vom Fenster aus mit an.

Sie zuckte die Achseln, schüttelte den Kopf, seufzte und wandte sich ab – da war wirklich nichts zu machen.

Am übernächsten Tage – dem ersten, an dem Friedel seit jener Schneeballenkanonade wieder zur Nähstunde fuhr – hatte Tante Lenchen in der Stadt zu tun und fuhr am Morgen mit der Nichte.

Bei Friedel war das ganze Abenteuer schon eigentlich in Vergessenheit geraten, und erst als man sich dem Städtchen näherte, überlegte sie, daß doch wohl heute der Tante wegen die Schlittenfahrt durch die Straßen unterbleiben müsse.

Was wohl die Mädels dazu sagen würden?

Die sagten gar nichts, denn sie waren nicht wie gewöhnlich auf ihrem Posten.

Weshalb wohl?

Da erst dämmerte Friedel eine Ahnung, daß am Ende doch nicht alles richtig sei.

Tante Lenchen wollte mit Fräulein Hummel reden und ging mit nach oben. Fräulein Hummel trat ihnen schon auf dem Flur entgegen, und mit einem sehr ernsten Blick auf Friedel bat sie die Tante, mit in den Salon zu kommen. Was die beiden da zu verhandeln hatten, ahnte Friedel.

Sie blickte schnell einmal in die Tür der Nähstube.

»Friedel!« schallte es ihr entgegen, »Friedel! Na, eine schöne Geschichte! Du wirst's aber abkriegen! Wir haben unser Teil schon! O, war das gestern ein Tag! Du hast's gut gehabt, daß du fort warst!«

Alle riefen durcheinander, und in fliegender Hast, mit überstürzenden Worten erzählte man ihr, wie erst zu Hause ein Strafgericht ergangen und die Schlittenfahrten ein für allemal strengstens untersagt seien. Wie dann anderen Tags Fräulein Hummel, der man von allen Seiten die Sache zugetragen habe, zu Gericht gesessen, wie sie gejammert habe und gezankt und sogar gesagt – die Mädchen zögerten mit roten Köpfen – sogar gesagt, Friedel dürfe gar nicht mehr in die Nähstunde kommen.

Man sah die Sünderin ganz scheu und beklommen an.

Friedel hatte das Köpfchen hoch erhoben. Sie sagte nichts, aber daß diese Strafe ihr gar nicht so unwillkommen gewesen wäre, das stand in jedem Zug des erblaßten Gesichtchens zu lesen.

»Fräulein Friedel soll kommen!«

Das Mädchen rief's zur Tür herein.

Wie ein elektrischer Schlag durchzuckte es alle.

Friedel erhob sich sofort und schritt ohne sich umzusehen der Tür zu.

Als sie nach einer Viertelstunde wieder erschien, zeigte ihr Gesicht eine bewegtere Miene. Spuren von allerlei entgegengesetzten Gemütsbewegungen waren darauf zu entdecken.

Friedel sagte kein Wort, setzte sich nur still hin, nahm ihre Arbeit zur Hand und die Nadel »rutschte« heute erstaunlich.

Lilly beugte sich vor und sah der Gefährtin ins Gesicht.

Sie erhielt einen warmen Blick als Antwort, sah aber zugleich etwas Feuchtes in Friedels Augen schimmern.

Von einem Ausscheiden aus der Nähstunde war keine Rede mehr, diese Seite der Sache schien vollständig außer Frage.

Wie nahe es freilich dran gewesen war, erzählte Friedel niemand. Auch nicht, daß ihr ganz dumme heiße Tränen gekommen waren, als sie den wirklich aufrichtigen, tiefen Schmerz der beiden alten Damen über das verlorene Schäflein sah; daß sie ernstlich und wahrhaftig Besserung gelobt hatte und ernstlich und wahrhaftig die besten Vorsätze faßte.

Fräulein Hummel, die schon den Ruf ihrer Anstalt gefährdet gesehen hatte, versprach, es daraufhin noch einmal zu wagen.

Tante Lenchen, die wohl gemerkt hatte, daß es Friedel diesmal tiefer gegangen war, beschloß die Sache ruhig wirken zu lassen und nicht auch noch den Papa als Vollstrecker eines Strafgerichts heranzuziehen, umsomehr, als sie sich von ihm nur ein Verständnis für den humoristischen Teil der Sache versprach.

Sie erzählte ihm denn das Vorgefallene ohne weiteren Kommentar, und sein dröhnendes Lachen bei ihrer Schilderung der Schneeballenkanonade bestätigte ihre Auffassung.

»Nun tu mir nur den einzigen Gefallen und laß das Mädchen nicht merken, daß du die Sache auch noch lächerlich findest, Konrad,« meinte sie scharf und gereizt.

Der alte Herr stutzte und überlegte. Darin hatte die Schwester in recht; ganz in der Ordnung war ein solches Benehmen von erwachsenen Mädchen jungen Herren gegenüber freilich nicht, aber komisch, sehr komisch blieb's. Er mußte immer wieder lachen, wenn er an den dummen Streich dachte. –

Friedel war auffallend still, als sie heimkam.

Am Abend vor dem Zubettegehen strich der Papa ihr liebevoll über das Haar. Sein väterliches Gewissen trieb ihn doch zu einer Äußerung.

»Nicht zu toll treiben, mein Jungchen, nicht zu toll!«

Friedel sah ihn ungewiß an, sagte aber nichts und schmiegte sich nur fester an ihn.

»Wegen der paar Schneeballen für die dummen Jungens!« Das war das Resultat ihrer Betrachtungen, als sie ihr Licht löschte.

Sie seufzte.

Da aber nicht nur Tante Lenchen, sondern auch Fräulein Hummel und alle betreffenden Mütter sich so aufregten über die dumme Geschichte, so mußte sie wohl nicht ganz in der Ordnung sein. Ergo, man unterließ dergleichen besser ein andermal. Damit beruhigte sich Friedel und bald darauf entschlummerte sie.


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