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O Welt, wie bist du so wunderschön

Hui! Was haben wir denn da?«

Der Wirt des Schweizer Hofs in Bern, der unter dem gastlich geöffneten Tor stand, trat mit zwei langen Schritten zum soeben vorfahrenden Omnibus heran.

Er öffnete höchst eigenhändig den Schlag.

Wie der leibhaftige Frühling quoll's ihm entgegen. Drei sehr junge Damen – drei strahlend frohe, taufrische Menschenkinder.

»Können wir die bestellten Zimmer haben, Herr Wirt?«

So fragte die erste, schlankste, eine helle Blondine, fast weißblond, mit leuchtenden, lustigen Braunaugen im rosigen Gesicht.

Sie war offenbar die Wortführerin. Die beiden anderen, kleineren, eine Braune und eine Schwarze, schoben sich etwas scheuer hinterher.

Der Wirt dienerte und rieb sich die Hände.

»Von Herrn Kommerzienrat Albers, Dornstadt, für seine Nichte bestellt, meinen gnädiges Fräulein?«

»Gewiß! Die Nichte bin nämlich ich, Marie Luise Wreden. Das da – doch was liegt dran.«

Marlise besann sich plötzlich, daß sie nicht im Salon waren, und unterließ die Vorstellung ihrer Begleiterinnen, Resi Köller und Gerta Dillen.

Sie besann sich auch auf ihre Würde als Reisemarschall.

»Habt ihr alles, Kinder? Na, dann also vorwärts, Herr Wirt! Die Zimmer sind doch bereit?«

»Gnädiges Fräulein werden zufrieden sein?«

Der Wirt belud sich diensteifrig selbst mit allerlei Taschen und schritt seinen Gästen voran.

Derlei stieg nicht alle Tage bei ihm ab.

Prüfend besah Marlise die Zimmer im ersten Stock.

»Sehr nett,« nickte sie gnädig.

Wundervoll! hätte sie am liebsten hinausgejubelt. Aber es galt, seine Würde zu wahren. Sie hatte es dem Onkel mit Handschlag gelobt.

Er hatte sich gar zu schwer zu der Erlaubnis entschlossen, die Mädchen allein reisen zu lassen. Hatte es nur auf Marlisens bestimmteste Versicherung hin getan, ein Musterbild aller Tugenden sein zu wollen.

In letzter Stunde war ihm etwas Geschäftliches dazwischen gekommen, das ihn abhielt, die Mädchen zu begleiten.

Frau Helene war schon seit acht Tagen vorausgereist, um eine liebe Freundin in Interlaken zu besuchen.

Marlise hatte gefleht, erst mit den Freundinnen – sie hatte Resi und Gerta für den Sommer in Onkels Châlet droben in den Bergen einladen dürfen – und dem Onkel nachkommen zu dürfen.

In Spiez wollte man sich treffen.

Nun war alles ganz anders gekommen.

Man konnte die Mutter nicht mehr verständigen, und so mußten die drei denn allein reisen.

Ob sie's beklagten?

Bis hierher war alles mehr als glatt, sogar bedauerlich programmmäßig verlaufen.

So sagten sie sich innerlich. Nach außen waren sie unheimlich gesetzt.

»Sehr nett,« nickte also Marlise gnädig und meinte damit die bestellten Zimmer.

Und dann flog sie aufs Fenster zu und jubelte trotz Wirt und trotz Würde.

»Die Berge, Resi, Gerta, die Berge! Kinder, Kinder, ich bin verdreht! Tag, meine Herrschaften, allerallerschönsten guten Tag! Die Marlis ist auch wieder da!«

Sie schwang grüßend ihr Hütchen der strahlend klaren, fernen Alpenkette zu und drehte sich auf dem Absatz um sich selber.

Dabei stockte sie just vor dem schmunzelnden Wirt.

»Ja so! Wann können wir essen?«

Sie wurde urplötzlich zur gnädigen Marlis.

»Um sechs Uhr ist Tafel. Wenn die Herrschaften –«

»Mag ich nicht. Wir speisen allein. Könnte ich vielleicht die Speisekarte haben?«

»Der Kellner soll sie sofort bringen. Befehlen gnädiges Fräulein sonst noch –?«

»Danke. Ich werde dem Kellner notieren, was wir zu essen wünschen. Gleich nach sieben, bitte, und an einem besonderen Tischchen.«

Dienernd zog sich der Wirt zurück.

»Wie du imponierend sein kannst, Marlis! Ich sänke in den Boden. Aber bist du nicht zu großartig?«

»Bscht, Gewissen!« Marlise hob drohend den Finger. »Wie steht's mit dem Arm? Keine Schmerzen? Sieh, wozu die dumme Geschichte doch gut war. Wenn du nicht so nötig Erholung gebraucht hättest, sie hätten dich daheim wohl gar nicht fortgelassen. Deine Mutter –«

»Mutti braucht mich so nötig. Vaters Versetzung – der Umzug –«

Resi hing den Kopf. Marlise desgleichen zur Gesellschaft.

»Sprich davon nicht. Ich mag gar nicht dran denken, daß du fortgehst. Na – noch ist's nicht so weit. Noch sind wir beisammen und – die Berge, Kinder, seht doch die Berge!«

In Andacht versunken standen die drei.

Dort am Horizont hoben sie sich in stiller Majestät, die Berner Oberland-Riesen. Die Sonne vergoldete ihre Firnen und ließ sie dann rötlich aufleuchten.

Bild: Richard Gutschmidt

In Andacht versunken standen die drei.

Sie standen wie in Feuer getaucht lange, lange, bis die Glut allmählich erlosch und graue Abendschatten drüber herkrochen.

»Flink, Mädels,« mahnte nun Marlis, »sauber gemacht. Ich will Ehre mit euch einlegen. Bindet die Schuhbänder und putzt die Nasen. Ich nehme mir eine frische Krawatte vor.«

Lachend gehorchten die zwei. Es war ein buntes Durcheinander, bis jede ihre Siebensachen vorkramte.

Danach saßen drei sehr niedliche, frisch gewaschene, blühende junge Menschenkinder an ihrem Tischchen in der Ecke des Speisesaals.

Mancher Blick flog von der langen, steifen Tafel nach dem Kicherwinkel dort.

»Was gibt's zu lachen? Karoline, aufrecht!« sagte eine Mutter mahnend zu ihrem Backfisch.

Der schaute selbstvergessen sehnsuchtsvoll drüben nach den kichernden Schwestern und hatte dabei allerdings nicht eben die korrekteste Haltung.

»Ob die drei ganz allein sind?« fragte eine ältliche junge Dame ihren Nachbarn. »Mama würde mir das nie erlauben.«

Der Nachbar streifte die Sprecherin mit einem Blick, er lächelte. Er neigte sich nur und sagte nichts weiter. Sie mochte die gewünschte Antwort heraushören, wie sie ihr paßte.

»Heinrich,« sagte ein alter, weißbärtiger Herr zu seinem Freunde und wies schmunzelnd nach der Ecke. »Ob man nicht jung wird, wenn man nur hinsieht? Wer da noch mittun könnte!«

Und der grauköpfige Freund nickte lächelnd.

»Dieser Magen,« sagte eine gallig aussehende Dame zur anderen. »Ich habe aufgepaßt. Eben trägt der Kellner den fünften Gang auf. Die drei letzten nur Süßes!«

»Unmäßig,« sagte die andere, die wie ein kollernder Truthahn aussah.

Denen all dies galt, die saßen und schwatzten und kicherten, die aßen, schluckten und genossen und ließen sich's köstlich munden. Die Außenwelt störte und berührte sie nicht und nach einer Weile verschwanden sie.

Oben in den Zimmern begann dann ein fröhliches Rumoren. Sie richteten sich für die Nacht ein.

Marlise hatte die Eigenschaft, getreu ihrer Quecksilbernatur, wo sie auch war, die Möbel anders, nach ihrem Geschmack zu ordnen.

Die anderen mußten trotz Protest helfen. Nur Betten und Schränke waren wegen ihrer Schwere vor einem Angriff sicher.

Endlich war's Marlise zu Dank gemacht.

»Nun wird's gemütlich, Mädels!«

Sie warf sich in die Sofaecke.

»Uff, ich bin ordentlich müde!« Gerta dehnte sich gähnend auf einem Sessel.

»Wer schafft nun alles wieder an Ort und Stelle?«

Resi fragte es ironisch.

»Wer mag,« entgegnete lachend Marlise, »das Stubenmädchen meinethalben!«

Sie kicherten und lachten dazu im Terzett.

Inzwischen hatte sich Marlise mit den Schirmen zu schaffen gemacht, die allesamt an der Tür zum Nebenzimmer standen. In ihrer Eigenschaft als verantwortlicher Reisemarschall kam ihr mit einem Male eine eingehende Inspektion der Schirme zu Sinn. Dabei mußte sie sich gegen die Tür gelehnt haben.

Die gab plötzlich nach, öffnete sich weit.

Mit Donnergepolter stürzen die Schirme, stürzt die ihres Halts beraubte Marlis, die nicht weiß, wie ihr geschieht, die nicht einmal einen Schreckensruf von sich geben kann, so überraschend tritt die Katastrophe ein.

Umso größeres Entsetzen wird in dem dergestalt feindlich überfallenen Nachbarraum laut.

»Diebe! Mörder!«

»Zu Hilfe! Zu Hilfe!« gellen zwei sich überschlagende Frauenstimmen im Diskant.

Ehe Marlis sich oder die Schirme aufraffen kann, hasten zwei weißumhüllte Gestalten durchs Zimmer. Die Tür zum Flur wird aufgerissen.

Und nun gellt's durch die schon abendstillen Gänge des Hotels: »Zu Hilfe! Zu Hilfe!«

Draußen wird's lauter und lauter.

Türenschlagen, eilende Schritte, Hasten, Laufen, Rufen, Fragen. Von unten stürmt's die Treppen herauf, von oben herunter.

Und dazwischen immer die gellenden, zeternden Stimmen: »Zu Hilfe! Zu Hilfe!« – »Mörder! Diebe!« – »Wo? Wo?«

»Im Zimmer – Nummer zwölf – ach, ich sterbe, das überleb' ich nicht!«

Tappend, atemlos sinkt die eine weiß verhüllte Gestalt ans Herz der wankenden zweiten, die sich selbst kaum aufrecht zu halten vermag und dennoch mit Heldenmut die Freundin stützt.

»Aber so beruhigen Sie sich doch, meine Damen. Um diese Zeit, in meinem Hotel – ein Einbruch ist absolut ausgeschlossen – ein Mißverständnis – ein Scherz vielleicht –«

Es ist die Stimme des Wirts.

Er eilt auf die Tür des Unglückszimmers zu. Die war hinter den entsetzten Flüchtlingen ins Schloß gefallen.

Eben will er sie öffnen, da tut sie sich von selber auf, und Marlise steht auf der Schwelle.

Sie hält mit beiden Armen noch die aufgerafften Schirme gepackt. Sie ist ein bißchen blaß, ein bißchen erschrocken, aber doch zucken tausend Sprühteufelchen in den Augen und um den Mund.

Resi und Gerta drängen sich ängstlich hinterher. Sie wollen die Freundin in der Not nicht verlassen.

»Ein Dieb bin ich wahrhaftig nicht, Herr Wirt,« sagt nun Marlise, »und auch kein Mörder. Wir hatten bloß unsere Schirme an die Zwischentür gestellt und – und ja, ich lehnte mich auch daran und – da ging die auf und – wir polterten ins Zimmer, die Schirme und ich, und – wahrhaftig, es ist mir zu leid, die Damen so erschreckt zu haben, aber – aber –«

Jetzt muß Marlise erst einmal kichern. Wie ein Echo klingt's von allen Richtungen zurück.

Aber schnell faßt sie sich wieder.

»Wirklich, es ist mir zu leid, und ich bitte tausendmal –«

Die Stimme klingt jetzt so warm und so treuherzig. Schade, daß die, denen die Entschuldigung offenbar galt, nichts mehr davon hörten.

Die Stelle, wo die zwei Weißverhüllten gestanden und gejammert hatten, war leer. Eben verschwand der letzte weiße Zipfel hinter der Tür von Nummer zwölf. Die flog krachend ins Schloß. Die Damen mochten bei näherer, weniger aufgeregter Betrachtung und nach harmloser Lösung des Abenteuers ihre Toilette doch nicht ganz für die Öffentlichkeit geeignet gefunden haben.

Marlise, die krampfhaft ihre Schirme gepackt hielt, starrte verblüfft hinterdrein und dann den Umstehenden ins Gesicht. Sie begegnete überall schmunzelnden Mienen.

Ein lauter Heiterkeitsausbruch wurde offenbar nur mit Mühe und aus Rücksicht auf die beiden Opfer da drinnen unterdrückt.

Resi und Gerta hielten sich noch immer dicht hinter Marlise.

Sie zupften sie von hinten.

»Schnell, Marlis, komm, fort.«

Marlise aber trat noch einmal zum Wirt. Sie lachte ihn so recht übermütig aus den hellen Braunaugen an.

»Daß ich kein Dieb bin und auch kein Mörder, Herr Wirt, das brauch' ich wohl nicht noch einmal zu sagen. Aber daß mir herzlich leid ist, die Damen – ha, ha, die Störung – ha, ha – den Schreck –«

Marlise hatte sich verhaspelt, sie mußte erst einmal vor sich hin kichern.

Wiederholtes Echo von allen Seiten.

»Wie gesagt, die Störung ist mir sehr leid, Herr Wirt. Ich bitte, die Zwischentür gefälligst schließen zu wollen, daß derlei nicht wieder vorkommen kann.«

Ohne weiter einen Blick auf ihre Umgebung zu werfen, rauschte Marlise wie eine junge Königin, ihr Schirmbündel gleichsam als Zepter tragend, der Tür ihres Zimmers zu.

Der Wirt voran. Er erschöpfte sich in Entschuldigungen über die Nachlässigkeit. Dann drehte er mit Ostentation den Schlüssel der Unglückstür zweimal herum. Er zog ihn ab und steckte ihn zu sich, als von nebenan mit sehr ungnädiger Stimme Bemerkungen fielen, wie: Schlüssel abziehen! Seines Lebens nicht sicher! Könnte den Tod von so was haben!

Der Barometerstand da drinnen war offenbar ein sehr niedriger.

Marlise zog denn auch den Kopf zwischen die Schultern und bemühte sich, sehr geknickt auszusehen. Dann lachte sie den Wirt aber trotzdem noch einmal lautlos an.

Der neigte sich schmunzelnd und verschwand.

Die drei waren wieder allein.

»Marlis!!!«

Resi rief's. Die Quintessenz einer bändelangen Moralpredigt lag in dem einen Wort zusammengedrängt.

»Marlis!«

Das kam von Gerta.

Marlise aber hörte nicht. Im Flug hatte sie sich der Schirme und ihrer Schuhe entledigt und tanzte einen Kriegs- und Freudentanz, daß den anderen vom bloßen Zusehen schwindlig wurde. Alles lautlos.

Und jetzt lag Marlise in der Sofaecke, war von unterdrücktem Lachen ganz kirschbraun, und es sah aus, als ob sie Krämpfe bekommen wolle.

Das steckte an. Solchem gegenüber konnte die gefestetste Moral, der heiligste Ernst selbst einer siebzehnjährigen jungen Dame nicht stand halten.

Resi und Gerta lagen rechts und links in Sesseln, und die drei lachten – lachten – lachten, erst tonlos. Dann wurde ein Schnauben, ein Stöhnen, wurden ganz seltsame Laute hörbar. Dann kicherte es erst leise, wie verstohlen und dann – ja dann war kein Halten mehr – der Sturm – der Lachsturm, lange unterdrückt, er tobte los mit elementarer Gewalt.

Ein Terzett von packender Wirkung.

Es wirkte denn auch in die Ferne, aber anders, als man hätte vermuten sollen.

Klapp – flog etwas Hartes gegen die Zwischentür, klapp – noch etwas. Ein Stiefelpaar offenbar. Erregte, sehr wenig freundliche Stimmen wurden laut.

»Rücksichtslosigkeit!«

»Ungebildetes Benehmen!«

Ja, Resi hörte ganz deutlich etwas, das verdächtig wie »Gänse« klang.

Die anderen leugneten danach, dergleichen vernommen zu haben. Der Tatbestand wurde nie festgestellt.

Aber still waren die drei geworden. Das heißt, sie wanden sich wieder in unterdrückten Krämpfen. Und wenn glücklich eine zur Ruhe kam, um sich schaute und die anderen zucken und sich winden sah, da brach bei ihr der Sturm von neuem los. Daß er unterdrückt werden sollte, machte ihn umso kräftiger.

Ein Uneingeweihter, der zufällig Zeuge gewesen wäre, hätte sich sicher entsetzt nach Hilfe umgesehen. Solch anhaltende Lachfähigkeit konnte nicht normal sein.

Wer aber die Spezies »Backfisch« und »junge Mädels« bis zum zwanzigsten Jahr und darüber kennt, der kennt auch die Krankheit des »schwachen Lachens«, der diese Spezies allenthalben mehr oder minder unterworfen ist.

In späteren Jahren soll diese Krankheit sich ganz von selbst verlieren – leider!

Auch bei den dreien ebbte allmählich der Sturm.

Resi erholte sich zuerst.

»Was nun?«

»Schlafen!« riet Gerta und gähnte dazu.

Marlise saß und sann.

»Eklig ist die Geschichte ja, Kinder. Die beiden da drin tun mir leid. Ihnen unter die Augen treten, möchte ich auch nicht gerne. Ich – halt, ich hab's!«

Wie der Wind war sie an der Flurtür, hatte die geöffnet und war draußen.

Entsetzt sahen sich die Verlassenen an. Was hatte der Irrwisch nun wieder vor?

Nach einigen Minuten schon kam Marlise zurückgehuscht. Strahlend!

»Alles in Ordnung, Kinder. Wir reisen vor Tau und Tag morgen. Keine Gefahr der Begegnung also. Ein Sühnopfer ist auch bereit. Und nun zu Bett. Morgen heißt's, mit der Sonne aus den Federn!«


Mit dem ersten Sonnenstrahl war Marlise munter. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, daß es Zeit sei. Und da waren auch schon die Füße am Boden und Resi war gezupft, Gerta geknufft.

»Heraus, ihr Faulpelze!«

Resi saß schnell aufrecht, Gerta schlug um sich. Da bekam sie einen nassen Schwamm ins Gesicht. Sie wollte laut aufquietschen, aber schon lag eine Hand wie ein Schraubstock auf ihrem Mund, und Marlise wies bedeutungsvoll nach der Tür des Nebenzimmers.

Das brachte Gerta alsbald zu sich.

Eifriges, lautloses Hantieren. Bald danach standen die drei gestiefelt und gespornt vor der Tür, die Marlise lautlos öffnete.

Ein Laut des Entzückens.

Draußen stand ein taufrischer Rosenkorb am Boden.

»Wie aufmerksam!«

»Für uns?«

Resi und Gerta waren ganz rot vor Erregung.

Marlise kicherte wie ein Kobold.

»Von uns – für andere!«

Und sie steckte einen bereit gehaltenen Zettel zwischen die Rosen.

»Verzeihung! Das nächtliche Diebs- und Mörderkleeblatt« stand darauf.

Nun begriffen Resi und Gerta und nickten Beifall.

Leise wurde der Korb vor Nummer zwölf hingesetzt. Leise kichernd huschten die drei die Treppe hinunter.

Der Wirt selbst stand, trotz der frühen Stunde, am Hotelwagen und verstaute dessen frühlingsfrische Ladung.

Von den Gästen war noch niemand wach.

Aber das Hotelpersonal zusamt dem Wirt schmunzelte hinter dem Wagen her, aus dem sich immer wieder ein oder das andere rosige Gesicht vorstreckte und grüßte und winkte.

Und dann bog der Wagen um die Ecke. – – –

Drei sehr unternehmungslustige, strahlend vergnügte junge Damen gingen auf dem Bahnsteig in Spiez hin und her.

Sie hatten sich untergefaßt. Die Köpfe wandten sich hierhin, dorthin. Es war, als wollten die jungen Augen alle die Pracht zumal in sich aufnehmen.

Unter ihnen blaute der See. Drüben her leuchteten und blitzten die Firnen der Blümlisalp, und weiterhin reckten die stolze Jungfrau und ihre Trabanten die ewigen Schneekronen der Himmelssonne zu.

»Wie im Theater!« hatte Gerta zuerst voll andächtigen Staunens gesagt.

Es hatte ihr einen fast verächtlichen Rippenstoß von Marlise eingetragen.

»Wie kann man das da mit Leinwand und Ölfarben vergleichen wollen!«

Ein Körnlein Wahrheit aber lag in Gertas Ausspruch.

Der Erdenwinkel dort ist so unirdisch schön, daß man wirklich meinen könnte, ein Künstler habe das denkbar Lieblichste, das denkbar Herrlichste, Erhabenste, was schönheitstrunkene Künstlerphantasie zu ersinnen vermag, zusammengetragen, des Menschen Auge zu laben, des Menschen Herz zu erheben. Kein Schatten, kein Mangel, der sonst dem Irdischen leicht anhaftet. Vollendung, Vollkommenheit überall.

Resi und Gerta waren noch nie in der Schweiz gewesen. Ihnen erschloß sich Gottes Wunderwelt zum ersten Male.

Und die jungen Augen nahmen mit frohem Staunen das unbegreiflich Schöne in sich auf, die jungen Herzen hoben sich in andachtsvoller Bewunderung.

Marlise, die nun schon viele Jahre mit den Ihren Sommer um Sommer hierher gepilgert war – der Onkel hatte sich ein Chalet in einem der weltfernen Alpenhochtäler bauen lassen – Marlise beanspruchte gleichsam gewissermaßen Miturheberrechte an all der Pracht ringsum.

Sie machte hier auf etwas aufmerksam und hob dort etwas hervor, immer mit der Miene, als habe sie sozusagen Anteil dran und erwarte ihrerseits gleichfalls ein Tüttelchen der dafür gezollten Bewunderung.

Die Ahs und Ohs des Entzückens, die »reizend«, »großartig«, »himmlisch«, »süß«, oder wie die Worte alle lauten, womit sehr junge Damen ihrer Bewunderung Ausdruck verleihen, regneten denn auch nur so.

Dazwischen Kichern, klingendes, ansteckendes Lachen.

Manch freundlicher Blick traf die drei. Mancher Mund verzog sich zum Schmunzeln, manches Auge leuchtete auf.

Sie kümmerten sich nicht darum. Sie trippelten nur hin und her, und dann blieben sie stehen, gestikulierten lebhaft dazu, bewunderten wieder und wieder. Oder sie standen im Kreise, streckten die Köpfe zusammen und verhandelten etwas sehr eifrig und eingehend, kicherten und lachten.

Mit der Zeit fingen sie an, lange Hälse zu machen der Richtung zu, woher der Interlakener Zug einlaufen mußte.

Und als der sich zeigte, setzten sie sich a tempo in Bewegung und liefen ihm entgegen. Dazu schwangen sie die Taschentücher.

Zur richtigen Zeit bedachten und wandten sie sich und liefen nun mit dem Zuge dahin.

Lachende Gesichter zeigten sich an allen Fenstern, lachende Zurufe wurden laut.

Aus einem Abteil erster Klasse sah ein ernstes Frauengesicht – Frau Helene Wreden.

Ihr Blick hatte eben noch wie verzaubert an den Bergen gehangen, jetzt wandte sie ihn dem Näherliegenden zu. Da sah sie die drei heranfliegenden Gestalten, sah die wehenden Tüchlein, hörte die lachenden Rufe, bemerkte zugleich das Aufsehen, das sie erregten. Doch ihr Blick leuchtete auf, sie konnte nicht anders.

»Marie-Luise,« rief sie, »Marie-Luise!«

Und ein warmer Herzenston mischte sich wunderlich dem Tadel, der in dem Anruf liegen sollte.

Die Angerufene flog allen voran.

Ihr Gesicht leuchtete, die Braunaugen sprühten.

»Mammi,« jauchzte sie, »Mammi, da sind wir alle drei und allein, Mammi, ganz allein!«

Der Triumph, der in der Stimme lag! Die's hörten, mußten lachen.

Da hielt der Zug.

Marlise hatte beide Hände auf der Mutter Fenster gelegt, hatte sich dran aufgereckt, so hoch sie in ihrer schlanken Höhe konnte, hatte das Schelmengesicht gehoben und: »Einen Kuß,« flehte sie, »Mammi, nur einen einzigen Kuß!«

Frau Helene hatte erst wehren wollen, hatte sich aber dann doch zu ihrem Kind niedergebeugt und es geküßt.

Dann mahnte sie: »Aber Marie-Luise, du vergißt wieder einmal, wo wir sind.«

»Beileibe, Mammi! In Spiez auf dem Bahnhof, bei meinen Bergen, mitten in Gottes Sonnenwelt drin. Und wenn man sich da nicht küssen dürfte –«

»Bravo! Allemal,« sagte da ein alter weißbärtiger Herr, der hinter Frau Helene stand und die Szene schmunzelnd mit angesehen hatte, »allemal! Nur schade, daß nicht jeder mittun darf!«

Dann lüftete er verbindlich den Hut gegen Frau Helene, sah Marlise neckisch schmunzelnd an und entfernte sich.

Marlise hatte hellauf gelacht. Frau Helene wollte eben wieder mahnen, da standen Resi und Gerta hinter ihr, begrüßten sie und beluden sich mit ihren Sachen. Sie stiegen aus.

Die schwarze Riesenschlange pustete weiter.

Die vier standen auf dem Bahnsteig und warteten auf den Zug, der sie seitab ins Simmental befördern sollte.

Da besann sich Frau Helene.

»Kinder, Kinder, und wo ist der Onkel?«

Marlise berichtete.

»Und da seid ihr wirklich allein, heil und ganz und ohne Abenteuer hierher gelangt?« sagte Frau Helene fast ungläubig.

Marlise frohlockte: »Heil und ganz und ohne –«

Da schlug sie sich auf den Mund, ließ den Kopf hängen und blinzelte die Mutter mit Schelmenaugen von unten her an.

Frau Helene seufzte: »Dacht' ich's doch!«

Da legte ihr Marlise ungestüm den Arm um die Schultern.

»So gar schlimm war's nicht, Mammi, tröste dich nur.«

Und Marlise beichtete, anscheinend sehr zerknirscht.

Auch die beiden Mitschuldigen hingen die Köpfe. Aber wer genauer zuschaute, merkte auch ihnen an, daß der Ernst nicht ganz so ernst gemeint war, als er aussah.

Selbst aus Frau Helenens Miene konnte man nur schwer klug werden.

Als sie eben den Mund zur Erwiderung auftun wollte, rief der Schaffner gerade zum Einsteigen.

Und dann fuhren sie um den hochgetürmten Niesen herum in das grüne Tal hinein, durch das die Simme nicht schnell genug zum See hasten kann. Sie überstürzt sich und kollert und schäumt. Jedes Wellchen will das erste sein, den fürwitzigen Blick in die fremde Welt da draußen zu tun.

Nebenher, den kleinen neugierigen Wellchen entgegen, keucht die Bahn.

Enger wird das Tal, höher die Wände.

Und dann ist der Schienenstrang zu Ende. Altmodische gelbe Postkutschen, vorsintflutliche Fuhrwerke aller Art stehen zur Weiterbeförderung der Reisenden bereit.

Marlise hatte mit Hallo und Handschlag einen braungebrannten Rosselenker begrüßt. Der zog den Mund grinsend von einem Ohr zum anderen, zog die Mütze dazu und kauderwelschte etwas, das nur geübten Ohren verständlich war.

Und dann wurden die vier in einen leichten offenen Wagen gepackt und kutschierten in die frischgrüne Gotteswelt hinein, immer zwischen Bergen den Bergen entgegen.

Es gab so viel zu schauen.

Resi und Gerta waren in Andacht verstummt. Frau Helene schaute sinnend ins Weite.

Marlise aber plauderte und lachte, und der Mann grinste und sprach in einer Sprache, die für Uneingeweihte ebensogut chinesisch sein konnte.

Näher rückten die Berge. Die ganze Kette vom Wildstrubel bis zum Wildhorn war mit glitzerndem Neuschnee überdeckt.

Marlise jauchzte, sprang im Wagen auf und schwang grüßend den Hut den ehrwürdigen Riesen entgegen.

Sie glühten auf im Abendsonnenstrahl. Es war, als wollten auch sie ihrerseits das jauchzende junge Menschenkind grüßen. Jetzt schienen sie im Halbkreis das Tal zu schließen. Überwältigend türmte sich ihr Wall.

»Da scheint die Welt zu Ende zu sein,« sagte Gerta, und Resi nickte ganz ängstlich: »Wie kommen wir da nur durch?«

Marlise lachte klingend auf. Frau Helene aber strich Resi über den Scheitel. Die sah auf.

»Mich beklemmen diese Felsmassen. Sie nehmen mir den Atem. Ich komme mir so winzig, so wie ein Nichts vor.«

Resi war ganz rot, sie flüsterte nur und faltete unwillkürlich die Hände.

Frau Helene nickte sinnend: »Ja, ja. Das Menschenatom in der Schöpfung! Manch einem hat's schon den Atem genommen.«

»Wart nur, wenn wir erst hinaufsteigen, Resi, dann soll dir die Brust schon weit werden,« jauchzte Marlise.

Resi hing den Kopf.

»Da hinauf wage ich mich ja nie,« dachte sie, aber sie sagte es nicht.

Verstreute Häuser rings an den steilen Matten, ein Kirchlein im Tal, um das andere Häuser sich lagern, das ist die Lenk.

Eine sehr starke Schwefelquelle verspricht Leidenden aller Art Heilung.

Bei den Häusern am Kirchlein grüßte Marlise hierhin, dorthin. Frau Helene desgleichen. Frohe Zurufe antworteten.

Man sah, sie waren gerngesehene, altbekannte Sommergäste.

Rechtsab lenkte der Wagen in eine Paßstraße. Ein grünes Seitentälchen tat sich auf. Ein tosendes Flüßchen durchschäumt auch dieses.

Aufgeregt braust und quirlt und rauscht es, als ob es irgendwo ein großes Hindernis habe bezwingen müssen.

Richtig. In tosendem Fall stürzt es dort turmhoch von der Felswand nieder. Hoch auf schäumt der Gischt.

»Mein Iffigenfall! Mein Iffigenfall!« jauchzte Marlise. »Was sagt ihr nun, Mädels?«

Resi und Gerta blieben stumm. Mit großen, weitaufgerissenen Augen starrten sie auf die stürzenden, brausenden, tosenden, stäubenden Wassermassen.

Resi war blaß. Gerta hielt fast andachtsvoll die Hände gefaltet.

Marlise war längst vom Wagen herunter und kletterte über die Felsbrocken zu Füßen des Falls, um möglichst dicht zu den Wassern zu kommen.

Ein Entsetzensschrei aus zwei Kehlen wurde laut.

»Marlis! Um Himmels willen, Marlis!«

»Du fällst! Marlis, bitte, Marlis!«

Resi und Gerta zitterten.

Da mußte selbst Frau Helene lächeln – der Kutscher grinste schon längst verächtlich von einem Ohr zum anderen.

»Ja, daran werdet ihr euch gewöhnen müssen, Kinder,« sagte Frau Helene beruhigend zu den beiden Geängsteten. »Marie-Luise ist ein Wagehals. Aber sie hat ein sicheres Auge und einen festen Fuß. Ich habe mir die Angst um sie auch abgewöhnen müssen. Wo käme ich sonst hin hier in den Bergen?«

»Bravo, Mammi,« jauchzte Marlise, die inzwischen wieder herangeeilt war. »Die Marlis hat dabei auch ein gutes Herz und weiß, wo sie einlenken muß, daß ihr Hasenfuß von Mammi leidlich zufrieden sein kann, was?«

»Es geht so,« nickte Frau Helene.

»Und nun vom Wagen, Mädels,« rief Marlise. »Jetzt geht's auf Schusters Rappen in die Berge. Die Rosinante da vorn kriegt bloß Mammi hoch.«

Steil und steiler hob sich der Pfad. Direkt in die Felsenwände hinein bog er um scharfe Kanten, um vorspringende Ecken. Marlise hatte die Bergstöcke vorgeholt. Ungelenk, aber unglaublich stolz lehnten Resi und Gerta sich darauf. Marlise nutzte den ihren mit dem ganzen Geschick des gewiegten Bergsteigers.

Mit dem mageren, abgetriebenen Klepper um die Wette keuchten Resi und Gerta. Je höher Marlise stieg, je freier atmete sie. Sie war in ihrem Element.

»Nichts wie Felsen und Steine. Und das nennt sich Weg,« seufzte Resi.

»Bei uns daheim sehen die Bachbetten besser aus,« bestätigte Gerta.

»Philister!« trumpfte Marlis auf. »Schämt euch was! Seht ihr denn nicht die Pracht?«

»Mir tun die Füße weh,« jammerte Resi.

»Ich bin todmüde,« ächzte Gerta.

Mit den beiden war nichts anzufangen. Das sah Marlise ein. Frisch auf jauchzte sie und war mit wenigen Sätzen bei Mammis Fuhrwerk. War vorüber und weit, weit vorangeflogen.

Mochten sie nachkeuchen dahinten. Sie wollte sich das Wiedersehen mit ihren geliebten Bergen nicht trüben lassen.

Hoch oben, am Eingang zum Hochtal, das Onkels Chalet umschloß, blieb sie stehen, winkend, jauchzend.

»Da sind wir, Resi, Gerta, Mut, nur Mut! Flink voran!«

Das fuhr denen in die matten Glieder. Der müdeste Gaul rafft sich in der Nähe des Stalls noch einmal zusammen.

Nun standen sie alle oben. Auch der müde Klepper war herangetrabt, Frau Helene stieg aus.

»Da wären wir also, Kinder. Hier beginnt unser Reich. Laßt es euch in unserer Einöde behagen.«

Marlise war schon jubelnd vorangeflogen.

Mit großen Augen sahen Resi und Gerta um sich.

Zwischen steil aufgetürmten Felsenwänden ein schmaler, saftgrüner Einschnitt von einem sausenden, eiligen Flüßchen durchschäumt. Auf den lichtgrünen Matten Gruppen von weidenden Kühen. Leises, bald helleres, bald dumpferes Klingen begleitete jede ihrer Bewegungen. Sachte bewegten sich die Glocken an ihrem Halse. Sonst kein Leben weit und breit. Doch, dort hinten bei den Sennhütten sah man geschäftige Gestalten hin und her huschen. Wohin das Auge sieht, Felsen. Auch der Hintergrund des langen schmalen Querschnitts schließt mit einem Felswall ab. Über die braunen Felsen herein, von den Höhen nieder, ziehen sich die Schneefelder wie schmale weiße Zungen. Dort oben beginnt die ewige Schnee- und Eisregion. Ganz im Hintergrund ragt hehr und gewaltig ein weißes Riesenhaupt in den Himmel – das Wildhorn.

Bild: Richard Gutschmidt

Nichts wie Felsen und Steine. Und das nennt sich Weg!

Mitten in dieser Hochgebirgseinsamkeit, einen Büchsenschuß weit hinter der Sennhütte war es, wo Fritz Erich Albers, Marlisens Onkel, sich sein Chalet hatte bauen lassen. Einen schlichten, einfachen Holzbau ganz im Geschmack der Gegend.

Hier brachte er nun schon seit Jahren seine Ferien- und Mußezeit zu. Hier in der erhabenen Ruhe der Gebirgsriesen erholte er sich von dem Hasten und Drängen des Geschäftslebens. Hier genoß er ungestört das Zusammensein mit Schwester und Nichte. Für eben diesen geliebten, stillen Weltwinkel hatte er der quecksilbernen Nichte, hatte er seinem Irrwisch dieselbe Vorliebe beigebracht.

Seite an Seite durchstreiften die beiden die geliebte Gebirgswelt. Marlise kannte sich darin aus wie der gewiegteste Fremdenführer.

Während Resi und Gerta an Frau Helenens Seite noch staunend diese fremdartige, feierlich stille Welt in sich aufnahmen, war Marlise schon längst bei der Sennhütte.

Jubelnd teilte Marlise nach allen Seiten Grüße aus und jubelnd wurde sie gegrüßt.

Dann flog sie weiter und stand alsbald jauchzend, rufend und winkend auf der breiten Holzgalerie, die das geliebte Sommerheim rings umgab.

Bald danach langten dann auch die anderen an.

Die dienstbaren Geister erschienen – jeden Sommer dieselben nun schon seit einer Reihe von Jahren – und es gab eine frohe Begrüßung nach allen Seiten.

»Ist's nicht wunderbar hier?« Marlise fragte es gewiß zum zwölften Male.

Und zum genau sovielten Male antworteten Resi und Gerta einstimmig: »Wunderbar!« Ganz aufrichtig war das nicht gewesen. Es drückte sie danach am Abend, in der Stille ihres Zimmers, doch ein bißchen.

Hätten sie sagen sollen, daß sich ihnen diese Einsamkeit, dies Seite an Seite leben mit der bedrückend großartigen Natur fast beklemmend aufs Herz legte?

Nicht um die Welt. Marlise war so strahlend glückselig im Bewußtsein, ihnen diese Freude bieten zu können. Sollten sie die Freundin so enttäuschen? Und überdies – es würde schon recht werden. Man gewöhnte sich an alles. Und Marlis – Marlis – Da schliefen sie schon. Man war auf Frau Helenens Wunsch heute sehr früh zur Ruhe gegangen.

»Mit den Hühnern auf die Stange gehüpft,« behauptete Marlise schmollend.

Aber auch sie schlief dann fest und süß. Und in ihren Träumen hatte sie sich entsetzlich zu plagen, die Freundinnen aus allerlei Gefahren in den Bergen zu retten.

In Resis und Gertas Träumen aber tanzte Marlise einen kühnen Reigen mit dem Schneekönig oben auf dem Wildhorn, und sie standen unten, sahen zu und mühten sich fruchtlos, die Freundin herabzulocken.


An der Simme her schlich die Postkutsche. Schläfrig klappten die Pferdehufe. Es war sehr heiß. Auch in den höchsten Alpentälern meint es die Sonne zuweilen so gut, daß man den ewigen Schnee, der von ihr vergoldet niederflimmert, bloß für gemalt halten könnte.

Die Postpferde ließen die Köpfe hängen, zottelten wie im Traume vorwärts und bewegten nur zuweilen Schwänze und Ohren, wenn ein besonders lästiger Fliegenschwarm sie bedrängte.

Auch der Postillon hing den Kopf. In langen Abständen hob er wie mechanisch die Peitsche und senkte sie ebenso mechanisch wieder. Der einzige Passagier, ein Herr in grauem Rock, lehnte in seiner Ecke und hatte sich, wohl wegen der Fliegen, ein Tuch übers Gesicht gehängt. Was er drunter tat, wußte man nicht.

Plötzlich kam Leben in die Szene.

Eben bog die Kutsche um eine Wegecke.

Mit Hallo und Hussa brach's hinter einem Felsblock vor – Wegelagerer der niedlichsten Sorte.

Drei frische, frohe, blühende Menschenkinder. Mägdelein, knapp über die Grenze hinaus, die den Backfisch von der fertigen jungen Dame scheidet.

Eine davon, die Schlankste, Blondeste, fast Weißblonde, mit glühendem, blühendem Gesicht und sprühenden Schelmenaugen stand wie der Wind auf dem Trittbrett der Kutsche.

»Onkelchen,« jauchzte sie, »willkommen, Onkelchen!«

»Willkommen, willkommen!« jauchzten die beiden Gefährtinnen und umtanzten im Staub den Wagen.

Im Nu hatte die auf dem Trittbrett den geschmeidigen Oberkörper durch das schmale Kutschenfenster gezwängt. Sie griff nach dem Tuch, das der Herr im Wagen zum Schutz gegen die Fliegen übers Gesicht gehängt hatte. Mit kräftigem Ruck riß sie's fort. Sie zürnte: »O, Onkelchen, ich glaube gar, du schläfst! Schämst –«

Da erstarb ihr das Wort im Munde.

Wie entgeistert stand sie einen Augenblick.

Und dann war sie vom Trittbrett herunter und war schon ein ganzes Ende die Straße hingeflogen, ehe die erstaunten, noch immer »Willkommen« jauchzenden Gefährtinnen wußten, wie ihnen geschah.

Die starrten verblüfft hinter der Fliehenden her und noch verblüffter in ein vollständig fremdes, lachendes, bärtiges Gesicht, das jetzt am Kutschenfenster erschien.

Das war doch Marlisens Onkel nicht, den man erwartete und überraschen wollte!

Der Fremde legte eben die Hand aufs Herz und verneigte sich lachend.

»Der Empfang, meine Damen –«

Sie hörten nicht weiter. Flüchtig wie gescheuchtes Wild stoben sie hinter der Gefährtin her.

»Marlis! Marlis!« hallten die jungen Stimmen.

Schreck lag drin und Entsetzen, aber ein gut Teil unterdrücktes Kichern, mühsam verhaltener Übermut klang durch.

Da war auch der Postillon zu sich gekommen – es war alles so blitzschnell vor sich gegangen. So schnell konnte sich keiner aus einem kleinen wohlverdienten Nachmittagsnickerchen aufraffen.

Der Postillon hatte sich die Augen gewischt, den Kopf gedreht und dumm hinter den Davonstiebenden dreingeglotzt.

Dann hatte er auf die Pferde gehauen – einmal mußte er sich doch wieder auf seine Pflicht besinnen.

Mit kräftigem Ruck zogen die Tiere an. Der Fremde fiel auf seinen Sitz zurück. Dasselbe Bild von zuvor, als sei der Spuk nie erschienen. Bloß der Fremde lachte vergnügt vor sich hin, statt zu schlafen.

Der Spuk aber – der lichte Frühlingsspuk – stob schon weit dahinten auf der sonnenheißen Landstraße hin. Eine Staubwolke umhüllte ihn.

Da klapperte ein kleines offenes Wägelchen heran. Ein Herr stand aufrecht drin. Er winkte mit dem Tuch. Er riß den Hut ab und schwang ihn über dem Kopf.

»Irrwisch,« rief er, »zu mir, Irrwisch!«

Und die schlanke Weißblonde flog heran.

»Onkelchen, mein Onkelchen!«

Im Handumdrehen war sie über das niederhängende Trittbrett hinten und über den Schlag geklettert und lag dem Onkel am Halse.

»Nur immer 'ran, Mädels,« jauchzte sie, »diesmal ist er's wirklich. Hab' nämlich schon vorhin einen fast erwürgt statt deiner, Onkelchen. Hui je, wenn Mammi das hört! Ha, ha, ha, war der komisch! So verschlafen, Onkelchen, und dann so erstaunt!«

Lachend, sprudelnd berichtete sie von der fehlgegangenen ersten Begrüßung.

»Irrwisch! Irrwisch!« drohte der Onkel, aber sein Gesicht wollte sich durchaus nicht in ernste Falten legen.

Und da waren auch Resi und Gerta.

Der Kutscher hielt. Sie kletterten auf den Wagen. Sie begrüßten Herrn Fritz Erich Albers mit Jubel.

»Marlis, um Himmels willen, Marlis, das war aber –« wollten sie dann so recht gesetzt und tugendsam vorwurfsvoll beginnen. Da sahen sie Marlisens Schelmenmiene, sahen den Onkel schmunzeln – da wußten sie Bescheid.

»Ha, ha, ha, Marlis, da hast du aber mal Fersengeld gegeben. So hab' ich dich noch nie davonlaufen sehen,« sagte lachend Resi.

»Wieso? Ich mußte doch dem Onkel entgegen,« gab Marlis großartig zurück. »War ohnedies so viel Zeit mit der dummen Geschichte verloren gegangen.«

»Na, hör du, erschrocken bist du doch,« neckte Gerta. »Rot warst du wie 'n Puthahn.«

»Ein Wunder bei dieser Temperatur!«

Die Marlis tat sehr unbekümmert.

»Kinder, wie sah er denn eigentlich aus?« brach sie dann los. »Ich – ich – na, in der Kutsche drin war's ein bißchen düster.«

Sie lachten wie die Kobolde. Der Onkel als Dritter im Bunde.

Marlise wollte sich eben sehr gekränkt abwenden. Da fuhr der Wagen bei den Häusern an der Kirche vorbei.

Auf der Galerie des »Hirschen« stand ein hochgewachsener Mann. Der grüßte sehr verbindlich nach dem Wagen hin.

Resi und Gerta kicherten.

»So sah er aus, Marlis!«

Marlis aber sah ganz wo anders hin. Sie hob die Schultern.

»Was wollt ihr eigentlich?«

Aber sie war dabei recht rot geworden, die Marlis.

Sie wechselte das Thema.

»Onkelchen, was sagst du dazu, daß Mammi uns gehen ließ, dich abholen?«

»Daß sie's besser hätte bleiben lassen,« entgegnete schmunzelnd der Onkel.

Da hing die Marlis schmollend den Kopf, aber bloß zwei Minuten.


Nun waren sie schon über sechs Wochen in den Bergen.

Resi und Gerta hatten sich ganz an die Felsenöde da oben gewöhnt. Sie standen auf du und du mit jedem der hohen Herren rings in der Runde und wußten eines jeden Namen und genaue Meterzahl an den Fingern herzusagen.

Resi freilich konnte ein inneres leises Grauen, das sie bei besonders schwindelnden Pfaden leicht überkam, nie ganz niederkämpfen. Sie blieb immer zaghaft im Bewußtsein ihres Nichts solcher Riesenwelt gegenüber. Aber sie kämpfte tapfer gegen diese Schwäche an und ließ sie nie laut werden.

Gerta war sicherer, aber an Marlise, die daheim war auf den schwindelndsten Pfaden, reichte sie noch lange nicht heran.

Sie streiften herum, die drei, allein oder in Gesellschaft des Onkels, oder sie lagen auf den Matten, pflückten Blumen und ließen sich von den Kühen beschnuppern. Dann kletterten sie auf den Geröllhalden bis da, wo die weißen Schneezungen von oben niederlecken, und sie lieferten sich die lustigsten Schneeballenschlachten. Das stille, weltferne, grüne Hochtal hatte zwischen seinen starren Felsenwänden noch nie so frohes, bewegtes Leben gesehen.

Das Jodeln hatten sie den Sennen auf der nahen Alphütte abgelauscht, und schallend hallte es von den braunen stillen Wänden wider. Die waren ob solchem Unfug ganz erstaunt.

Sonnverbrannt sahen sie aus, die drei jungen Dinger, aber herzerquickend frisch und gesund.

Frau Helene lag meist in ihrer Hängematte auf der Galerie des Hauses. Zwei Stunden des Tags mindestens mußten die Mädchen ihr und einem guten Buche widmen. Darauf bestand sie.

Der Onkel mußte seine großen Hochtouren dieses Jahr allein machen. Marlise sollte bei den Freundinnen bleiben, diese waren solchen Wegen nicht gewachsen.

Das war ihr zuerst bitter schwer angekommen. Dann aber hatte sie sich doch mit Anstand in das Opfer gefunden.

Der Onkel vermißte seinen Irrwisch sehr. Er hütete sich aber, dem Kinde dadurch, daß er zeigte, wie er es vermißte, das Opfer noch schwerer zu machen. – Marlise saß auf der Brüstung der Galerie. Groß und klar stand der Mond am Himmel. Marlise hob ihm das Schelmenauge zu.

»Du kletterst da oben 'rum, alter Erdentrabant,« rief sie halb neckend, halb sehnsuchtsvoll, »und weißt gar nicht, wie gut du's hast.«

Bloß der Onkel saß in einer bequemen Ecke draußen und rauchte. Die anderen waren drin und schrieben Briefe.

Bei Tag komme man zu gar nichts hier, behaupteten Resi und Gerta. So mußten sie die Abendstunden nutzen.

Also, Marlise apostrophierte den Mond und lachte ein bißchen dazu und seufzte ein bißchen.

Der Onkel in seiner Ecke hob den Kopf.

»Pst, Irrwisch!«

Marlise kauerte neben ihm am Boden.

»Onkelchen?«

Sie hatte die Arme um seine Kniee geschlungen und schmiegte den Kopf daran.

»Wenn wir aufs Wildhorn gingen, Irrwisch?«

»Onkelchen!« Ein unterdrückter Jubelschrei. Gleich danach sehr geknickt: »Aber die anderen?«

»Müssen mit!«

»Hurra! Hurra! Hurra!«

Es war kein Haltens mehr. Der Irrwisch wirbelte wie toll im Kreise hin und her. Der Zopf hatte sich gelöst. Die ganze weißblonde Mähne wirbelte mit und bedrohte jeden, der, sich nahen wollte.

Schon standen Resi und Gerta unter der Glastür.

»Was gibt's, Marlis?«

»Marlis, was gibt's?«

Die hörte nicht, schmetterte nur immerzu ihr »Hurra!« hinaus.

»Marie-Luise!«

Das wirkte besser.

»Mammi! Mammi!«

Jauchzend hing Marlise der Mutter am Halse.

»Bist du toll, Marie-Luise?«

Frau Helene fragte es mahnend, leise tadelnd.

»Selig, Mammi, selig! Wildhorn – Onkel – Resi – Gerta – Hochtour – hurra, Mammi, hurra!«

Zusammenhängenderes war aus dem Irrwisch nicht herauszubringen.

Aber Frau Helene hatte begriffen.

»Wagst du das, Fritz?«

»Von wagen ist dabei überhaupt keine Rede, Helene.«

»Ein ungefährlicher Spaziergang, Mammi.«

Eifrig sekundierte Marlise. Und dann flog sie auf Resi und Gerta zu.

»So steht doch nicht da wie die Zaunstecken. Freut ihr euch denn kein bißchen?«

»Wir wissen ja von gar nichts,« sagte Resi kleinlaut.

Ihr dämmerte, als ob dieser laute Freudenausbruch Marlisens ihr nichts Gutes bedeutete.

Und diese Dämmerung ging in erschreckende Klarheit über, als nun Marlise losjubelte.

»Aufs Wildhorn gehen wir, ihr mit! Onkel hat's versprochen. Eine richtige Hochtour, Mädels. Daß ihr doch was zu erzählen habt!«

Gerta jubelte.

»Herrlich! Prächtig!«

Resi meinte scheu: »Kommt man denn in dem Schnee vorwärts? Wir bleiben am Ende stecken und – und –«

»Frieren fest als Gletscherjungfrauen, was? O, du Hasenherz!« »Gar nicht,« verteidigte sich Resi hochrot, »nur ich – meine Stiefel –« sie stockte.

»Keiner wird gezwungen, Kind,« sagte Frau Helene sanft. »Wenn du nicht mit magst oder dich fürchtest –«

Da reckte sich Resi hoch.

»Ich fürchte mich durchaus nicht – gar nicht – kein bißchen – ich – ich freue mich!«

Sehr glaubhaft klang das nun nicht gerade. Aber Marlise hörte das nicht oder wollte es nicht hören.

»Siehst du, Onkelchen,« jubelte sie, »siehst du, was der Umgang mit deinem Irrwisch tut? Aus Hasenherzen macht er Helden. Wann gehen wir? Morgen?«

»Sachte, Irrwisch,« sagte lachend der Onkel. »So flink geht das denn doch nicht. Erst müssen Führer da sein, Seile erst –«

Resi überkam ein Schauder. Führer, Seile! Das klang so nach Absturz und Verunglücken.

»Ich – ich – krieg' ich auch ein Seil?«

Sie hatte eigentlich ganz was anderes sagen wollen. Mit einem Blick aber in Marlisens Strahlengesicht war ihr der Protest auf der Zunge erstorben.

Wortlos fügte sie sich.

Ob sich in Gerta ähnliche Vorgänge abspielten, blieb unklar. Jedenfalls trug sie eine sehr freudige, zuversichtliche Miene zur Schau.

Marlise lebte nur noch im Gedanken an die geplante Tour.

Frau Helene hatte jeden Einspruch aufgegeben. Der Bruder hatte schließlich ein besseres Urteil über das, was er mit den Kindern wagen konnte. Sie war ja niemals so in den Bergen gewesen. Im Gefühl der eigenen Schwäche hatte sie keinen Maßstab dafür, was andere sich zutrauen konnten. So hatte sie sich schweigend gefügt.

Und morgen sollte nun wirklich der große Tag sein.

Am Nachmittag wurde aufgebrochen. Dann ging's bis zur Wildhornhütte. Dort sollte übernachtet werden. Anderen Morgens, vor Tau und Tag, ging dann der Ausstieg vor sich. Am Nachmittag konnte man dann schon wieder zurück sein.

Marlise war aus Rand und Band in der Vorfreude. Beinahe hätte sie am Abend nicht einschlafen können, was ihr eigentlich noch nie passiert war. Resi und Gerta waren etwas gewaltsam lustig. Je weiter der Tag vorrückte, je seltener wurden bei ihnen diese Lustigkeitsausbrüche, je stiller schauten sie drein. In beinahe gedrückter Stimmung sagten sie zuletzt gute Nacht.

Resi gestand in späteren Jahren einmal jemand, der ihr sehr nahe stand, daß sie in jener Nacht ihr Testament verfaßt habe. In Gerta sah's nicht viel anders aus.

Niemand ahnte diese Gemütsverfassung der beiden. Marlise mit ihrer lauten Lust freute sich für drei, machte Lärm für doppelt so viele.

Und so dämmerte der Tag herauf. Marlise war so früh munter wie noch nie.

Sie blinzelte der Sonne ins Gesicht, als die über die Felsenwände niederlugte.

»Tag, Frau Sonne. Heute ist die Marlis zuerst am Platz. Und morgen früh – morgen früh ist sie Ihnen ein gut Teilchen näher gerückt!«

Der Jubel, der in der Stimme lag!

Den Onkel, der hinter seinem Fensterladen stand und Marlisens Erguß mit anhörte, überkam's fast wie Rührung.

So freuen konnte sich das Kind. Wer das doch auch noch könnte!

Marlise aber hatte der Sonne noch einmal strahlend zugenickt und war ins Haus gehuscht.

Jetzt stand sie im Zimmer der Freundinnen.

Die lagen mit roten heißen Schlafwangen noch auf ihren Betten und wußten nichts von sich und der Welt.

Die Betten waren sehr zerwühlt, die Kissen unordentlich hin und her geschoben. Das sprach von keiner sehr friedlichen Nacht. Daher wohl auch der feste Morgenschlaf.

Die Marlis aber hatte keinen Blick dafür.

»Langschläfer! Murmeltiere! Faulpelze!«

Wie die Posaune des Gerichts drang ihre helle Stimme in die Ohren der beiden Schläferinnen.

»Was gibt's?«

Entsetzt fuhren sie auf und rieben sich die verschlafenen Augen. »Schlafratzen!« trompetete die Marlis weiter. »Wollt ihr wohl!«

Mit kühnem Griff faßte sie die Decken. Eins, zwei, drei, ritsche, ratsche – fort waren sie.

Die beiden Beraubten waren nicht flink genug, sie noch zu haschen.

Da gab's kein Widerstreben. Sie saßen alsbald hoch.

Sie schauten sich noch sehr traumbefangen um. Was gab's doch nur heute?

»Kinder, wie kann man heute bloß verschlafen? Denkt ihr denn nicht ans Wildhorn?«

Da war's! Da lag die Last, deren Gewicht sie in ihrer Schlafumfangenheit nur undeutlich gefühlt hatten, in ihrer ganzen Wucht wieder auf ihnen.

Das Wildhorn! Je ja!

Das ganze Wildhorn mit seinen ewigen Schneefirnen und weiten Eisfeldern lag als Alp auf ihrer Seele.

Sie seufzten erst einmal brunnentief auf, und dann lachten sie Marlis an, etwas gezwungen, aber das sah die nicht.

»Das Wildhorn! Je ja, das Wildhorn!«

»Und nun flink 'raus, die Führer werden schon bald kommen!«

Daß die erst auf die frühesten Nachmittagstunden bestellt waren und daß man jetzt noch bei ziemlich morgendlicher Zeit war, das machte der Marlis weiter nichts aus.

Das Quecksilber hatte auch nicht länger Ruhe im Haus.

»Ich geh' mal ausschauen, Kinder. Flink, macht, daß ihr 'runter kommt!«

Fort war sie.

Die beiden Zurückgelassenen sahen ihr nach und dann – ja dann klang's gerade wie ein Seufzer durchs Zimmer.

Da sich aber dabei keine nach der anderen umsah und keine tat, als ob sie was gehört habe, so mußte es wohl ein Irrtum gewesen sein. –

Man hatte gegessen. Marlise hatte heute so gut wie keinen Appetit gehabt.

Sie rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, daß der Onkel endlich anscheinend sehr teilnahmsvoll fragte: »Sind Stecknadeln auf deinem Sitz, Irrwisch, oder tut dir sonst was weh?«

»Marie-Luise,« mahnte die Mutter vorwurfsvoll.

Marlise hatte dem Onkel bloß wie ein Kobold ins Gesicht gelacht.

»Ich kann einfach nicht mehr stille sitzen. Ich –«

Da war sie auch schon auf gewesen, über die Galerie, die Treppe hinunter, und jetzt flog sie über die Matte hin. Der Weißzopf flog hinterher, der kurze Rock wippte, die Füße, die in sehr derben, genagelten Stiefeln steckten, liefen Trab.

Da gab's kein Halten. Kein »Marie-Luise« der Mutter half.

Der Irrwisch war schon außer Seh- und Hörweite.

Dort stand Marlise am Ausgang des Hochtals, wo der Weg steil abfällt und in den Wald einbiegt.

Sie lauschte atemlos in die Tiefe.

Richtig! Klappten da nicht genagelte Schuhe übers Geröll? Auf leisen Sohlen konnte hier niemand anschleichen. Sylphentritte gibt's nicht in den Bergen.

»Sie kommen,« jauchzte Marlise, »sie kommen!«

Und sie drehte sich um sich selber, daß der Weißzopf gegen den nächsten Baumstamm anklatschte.

Dann lauschte sie wieder.

Richtig! Klipp, klapp! Klipp, klapp!

Jetzt flog sie selbst mit gewichtigen Tritten über das Geröll dahin. Noch eine Wegbiegung, dann mußten die Führer in Sicht kommen.

Da, was war das? Da kam ja nur ein Mann und – ja, das war keiner von den wohlbekannten Führern, sondern ein Postbeamter im Leinenkittel.

Marlise blieb so verdutzt stehen, wie es jedem ergeht, der plötzlich statt des sicher Erwarteten ganz etwas anderes vorfindet.

Der Mann hob was Weißes hoch, wollte was sagen.

Aber ehe er zu Wort kam mit seiner etwas ungelenken Schwyzer Zunge, war Marlise schon wer weiß wie weit.

Was ging sie der Mann an und was der brachte.

Dort unten kam's wieder: Klipp klapp! Klipp klapp! Das waren ihre Leute.

Sie waren's denn auch wirklich. Und sie begrüßten Marlise wie eine alte Bekannte. Waren sie doch schon manch liebes Mal mit ihr in Schnee und Eis herumgestiegen.

Fröhlich plaudernd, trabte Marlise ihnen zur Seite.

Oben angelangt, flog sie vor ihnen her über die Matten hin.

Auf der Galerie stand der Onkel, neben ihm der Postbote, den Marlise vorhin begegnet hatte.

»Irrwisch!« rief der Onkel, »Irrwisch!« Und seine Stimme klang ganz sonderbar.

Er hielt Marlise etwas Weißes entgegen.

Atemlos stürzte die herzu.

»Da sind die Führer, Onkelchen, und –«

»Ich muß fort, Irrwisch, ich kann dir nicht helfen. Eben telegraphiert mir mein Geschäftsfreund, ich soll ihn in Bern treffen. Die Sache ist von äußerster Wichtigkeit. Ich fahre mit dem nächsten Zug.« Sprachlos starrte sie den Onkel an.

Bild: Richard Gutschmidt

Marlise war enttäuscht. – Das war ja der Postbote.

»Und – und das Wildhorn?«

»Läuft uns ja wohl nicht fort, Irrwisch, was?«

Marlise war noch immer ganz benommen.

»Könnten wir nicht allein –«

»Unter keinen Umständen, Marie-Luise. Der Mensch muß sich auch einmal etwas versagen können.«

Es war Frau Helene, die das scharf und bestimmt sagte.

»Du denkst hoffentlich nicht dran, Fritz?«

Das galt dem Bruder, der unmerklich gezögert hatte.

Marlise hatte bloß den Onkel immerzu erwartungsvoll angesehen. Der zuckte jetzt bedauernd die Schultern und wandte sich ab.

Da ließ die Marlis den Kopf hängen und schlich still beiseite. Droben nestelten Resi und Gerta an ihren Nagelschuhen herum. Sie wußten noch nichts von der Wendung der Dinge.

»Glaubst du, daß man in den Ungetümen gehen kann, Gerta?« seufzte eben Resi.

»Wird schon so sein müssen.« Gerta seufzte.

Da brach die Marlis herein.

»Essig ist's, Mädels!«

Sie lag auf einem Stuhl und ließ Kopf und Arme hängen.

»Wieso?«

»Was gibt's nun wieder?«

Ahnungsvoll verklärten sich die Gesichter der Fragenden.

»Onkel hat eine Depesche bekommen. Er muß gleich fort.«

»Aber das ist ja –«

»Das ist ja –«

Der Rest blieb den beiden in der Kehle stecken.

Marlise hob den trüben Blick.

»Schändlich, was?«

Nun tat sie den Gefährtinnen doch leid. Resi tröstete rechts, Gerta links.

»Kopf hoch, Marlis!«

»Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!«

»Ich hatte mich so sehr gefreut.«

»Zwischen Lipp' und Kelchesrand! Ja, ja, so geht's eben manchmal im Leben, Marlis.«

Das war Resi, die das sagte und sich sehr weise vorkam.

»Moraltante!« sagte die Marlis bloß ein bißchen verächtlich und wandte den Kopf ab.

»Ob wir auf den alten Schneehaufen steigen oder nicht, Marlis,« versuchte Gerta eben zu trösten. »Der sieht von unten gewiß schöner aus, als in der Nähe besehen.«

Ohne daß sie's wollte, klang ihres Herzens Meinung durch.

Marlise hob den Kopf und musterte die beiden Freundinnen sehr mißtrauisch.

»Ich glaube gar, ihr – ihr freut euch noch. Ihr seid –«

Was sie waren, erfuhren die beiden einstweilen nicht. Mit hochrotem Kopf war Marlise schon zur Tür draus.

Die zwei standen und sahen sich an, ein bißchen verlegen, ein bißchen erschrocken. Und dann schlichen sie hinter der Marlis her.

Die stand drunten vor dem Hause und hatte den Arm durch des Onkels Arm geschoben, den Kopf an seine Schulter gelegt. Das Gesichtchen strahlte schon wieder, die Braunaugen lachten.

Marlise war zu sonnig von innen heraus, um einen Ärger, eine Enttäuschung anhaltend wirken zu lassen. »Mammi,« rief sie eben Frau Helene zu, die auf der Galerie stand. »Ich begleite den Onkel ein Stückchen. Wollt ihr mit?«

Das galt Resi und Gerta, die recht geknickt im Bewußtsein ihrer Schuld von vorher unter die Tür traten.

Sie atmeten auf, nickten eifrig und eilten schnell herbei. Noch ein: »Leb' wohl, Helene!«

»Komm bald wieder, Fritz!«

Und die kleine Karawane setzte sich in Bewegung.

Am Fall angelangt, schickte Herr Fritz Erich Albers seine drei Begleiterinnen zurück. Er mußte rascher ausgreifen können, wollte er noch zur Postabfahrtszeit in der Lenk sein.

Marlise winkte, winkte und winkte, solange der Onkel noch zu sehen war. Dann ließ sie den Kopf hängen.

»Was nun?«

Resi und Gerta hatten sich malerisch auf einen Felsblock gruppiert und starrten in die stürzenden Wasser. Im Sonnenschein leuchtete der Gischt in allen Farben des Regenbogens.

»Komm, Marlis, hier ist gut sein.«

»Ach was, Faulpelze. Ich muß laufen, steigen!«

»Schade, daß die Sache so zu Wasser wurde.«

»Jammerschade!«

Mißtrauisch sah sich die Marlis die beiden an.

»Ihr – ihr tut ja nur so!«

»Wahrhaftig!«

»Wahrlich nicht.«

Seit das dräuende Wildhorn so in die Ferne gerückt war, fühlten sie plötzlich Löwenmut.

»Ich fürchte mich wirklich kein bißchen mehr.«

»Ich – ich wäre gern gegangen.«

Sie glaubten's jetzt selber, die beiden Heldinnen.

»Ja, wahrhaftig, es ist zu schade.«

Das kam einstimmig und klang sehr glaubhaft.

Marlise strahlte.

»Seht ihr. Ich wußte es ja. Ja, die Berge, die Berge! Die tun's einem an.«

»Herrlich!«

»Wundervoll!«

Sie glühten plötzlich vor Enthusiasmus.

»Wißt ihr was, morgen gehen wir auf den Rawyl. Den Paß hinauf darf ich allein gehen. Dort ist keine Gefahr. Da streifen wir oben ein bißchen herum. Wer weiß, vielleicht können wir bis dahin kommen, wo man in die Walliser Berge sieht. Dort ist's herrlich.«

Da ebbte der Enthusiasmus der beiden mit einem Schlag.

»Gewiß – ja!«

»Es kommt doch aufs Wetter an, nicht?«

Das kam sehr zögernd.

In ihrem Eifer hatte Marlise kein Ohr dafür.

»Also, topp, abgemacht. Morgen der Rawyl. Mammi sagen wir von dem Plan gar nichts, die ängstigt sich sonst halb tot und es ist doch Kinderspiel. Wenn Onkel da wäre, der erlaubte es gleich, das weiß ich. Und jetzt heim, Kinder, denn wir wollen unsere Kräfte sparen. Oder vielmehr eure. Meine – meine – huhu!«

Sie sauste den steilen Abhang hinauf, wie der Pfeil vom Bogen geschnellt. Marlisens Kräfte bedurften keiner Schonung.


»Ich geh' nicht durch das schwarze Loch, Marlis, nein, da durch geh' ich nicht.« Resi sagte das.

Die drei standen, wie echte Bergsteiger mit Rucksack und Bergstöcken ausgerüstet, vor einer Felsenhöhlung.

Steil stürzten die Felswände von oben nieder, steil stürzten sie nach unten ab. Wie ein breites Band zog sich die Paßstraße an den Felsen her. Ein Wässerlein kam in jähem Fall an der Wand herab, und prasselte lustig über den Felspfad hin und über das, was sich etwa darauf bewegte.

Dort war's, wo Resi plötzlich streikte. Schon die ganze Zeit her, seit der Aufstieg sich steiler und steiler hob, hatte sie die Augen eingekniffen und nur bloß nach den Felsen statt in die weite Talstrecke geschaut, über die der Blick immer ungehinderter hinschweifte. Nur mit dem Aufgebot ihrer ganzen Willenskraft war sie weiter gegangen.

Da kam nun auch noch die Höhlung, wo der Pfad an jähem Absturz hin, unter überhängenden Felsen her sich um die Einbuchtung schlängelte, um sich danach an der äußersten Felskante nochmals steil aufzuschwingen, ehe er das Plateau oben erreichte.

»Ich geh' nicht weiter. Ich kann nicht, wahrhaftig nicht!«

Resi war sehr blaß. Wenig fehlte und sie hätte geweint.

Daß sie auch gestern so albern sein mußte, der Marlis das Mitgehen für heute zu versprechen. Das war töricht, o wie töricht gewesen!

Gerta stand hinter ihr, stumm, aber nicht viel mutiger.

Marlisens Augen blitzten.

»Seid nicht albern, hört ihr. Vorwärts! Das ist ja gar nichts.«

Sie hatte Resis Handgelenk gepackt. Sie zog sie unaufhaltsam mit sich vorwärts. Kein Sträuben half. Resi gab jeden Widerstand auf.

Marlise ging zwischen ihr und der Absturzseite. Sie hatte den Arm um Resis Schultern gelegt. Das gab der ein Gefühl der Sicherheit. Gerta trottete hinterher mit halb geschlossenen Augen, nur um die grausige Tiefe nicht zu sehen.

Und nach zehn Minuten standen sie richtig oben an der ersten Schutzhütte.

Ungehindert schweifte hier der Blick über das Simmental, fast bis dahin, wo der Thuner See in seinem Bergkessel liegen mußte.

»Na, ihr Hasen, was sagt ihr jetzt?« jauchzte Marlise. »Gibt's was Herrlicheres, als so über alles wegsehen zu können?«

Die anderen blinzelten noch ein bißchen und waren noch ein bißchen blaß. Aber allmählich kam doch der Mut zurück.

»Wenn ich bloß Mammi einmal hier herauflocken könnte,« sagte Marlise.

»Was wird sie sagen, wenn sie hört, wo wir waren?«

»Je, Marlis, ja!«

Resi und Gerta war nicht wohl bei der Sache. Für sie war das Ganze ein großes Abenteuer, ein Wagnis, dessen Größe sie an der Größe ihrer Furcht ermaßen.

Marlise lachte unbekümmert.

»Wenn wir erst wieder unten sind heil und ganz –« sie blinzelte neckend die Freundinnen an – »dann wird Mammi auch zufrieden sein.«

Gerta hatte mittlerweile allerlei aus ihrem Rucksack vorgekramt.

»Mir hat sie so viel zugesteckt, die Gute. Und Hunger hab' ich wie toll. Flink zugegriffen!«

Wie sie schmausten, wie sie schauten! Alle Mühsal war vergessen.

Ein Biß in die Schokolade, in eine saftige Birne und ebenso viele Blicke hinaus in die weite Gotteswelt.

Hier oben, nun der gräßliche Anstieg überwunden war, saß man ja so sicher.

Förmlicher Tatendrang stellte sich ein.

»Wohin nun, Marlis?«

Unternehmungslustig riefen's die beiden.

Marlise stand längst marschbereit.

»Immer weiter, dem Paß nach.«

Sie wies vor sich in unbestimmte Fernen.

Keine steilen Abstürze mehr hier oben in dem Gebirgseinschnitt. Also mutig voran. Resi und Gerta begriffen sich und ihre Furcht von zuvor plötzlich nicht mehr.

»Juhu!« Sie liefen mit Marlise um die Wette.

Jetzt kam ein kleiner See, in eine Mulde eingebettet. Himmel und Wolken spiegelten sich drin und dann drei strahlende Mädchengesichter, die hineinlachten.

Wie war doch die Welt so groß und so schön. Die Marlis hatte recht. Nichts Köstlicheres als hier oben in den Bergen herumzusteigen.

Rüstig schritten sie dahin, wohl eine Stunde lang.

Nun war man wieder an einer Schutzhütte angelangt.

Hier wurde die Hauptmahlzeit eingenommen.

Frau Helene hatte auf vieles Bitten und Schmeicheln und in Anbetracht der vereitelten Wildhorntour ein Ausbleiben für den Tag gestattet.

»Lange vor Dunkelheit sind wir zurück, Mammi,« hatte Marlise dagegen gelobt.

Daran brauchte man jetzt noch nicht zu denken. Die Sonne –

»Ja aber, wo war denn die?«

Marlise hob den Kopf. O weh, es war ja mit einem Male ganz grau da oben. Und so sonderbar kühl plötzlich. Zeit war da nicht viel zu verlieren.

»Vorwärts, Mädels. Wenn wir die Walliser Berge noch sehen wollen, müssen wir eilen.«

Resi und Gerta waren eben im besten Schmausen. Da ließ man sich nicht gerne stören.

»Nee du, Marlis, satt muß der Mensch sein. Vor einer Stunde gehen wir nicht. Da, Resi, noch ein Schinkenbrot.«

»Her damit. Ich bin zu allem bereit.«

»Da, Marlis, sei gemütlich. Hier, die Bratenschnitte ist für dich.«

Marlise nahm und aß. Sie hütete sich wohl, die beiden Hasen auf das Verschwinden der Sonne aufmerksam zu machen. Sie kannte ihre Leute. Von einem Vorwärtsgehen wäre dann nicht mehr die Rede gewesen. Und sie wollte durchaus die Walliser Berge sehen. Das hatte sie sich heute nun einmal in den Kopf gesetzt. Und so zart der aussah, ein Eisenkopf war's doch. Eine Weile zögerte sie noch.

»Jetzt aber vorwärts!« Sie sprang auf.

Resi und Gerta, gesättigt und ausgeruht, machten doch plötzlich etwas bedenkliche Augen, als ihnen das rauhere Lüftchen um die Nase wehte.

»Du, Marlis, 's ist so grau geworden. Gingen wir nicht besser –«

»Juhu, Kinder, jetzt aber lustig. Noch ein Stündchen, dann sind wir am Ziel.«

Die Marlis hörte gar nicht. Sie stürmte dahin und warf ihren Hut in die Luft.

»Juhu! Juhu!«

Was hätten die beiden anderen tun sollen?

Sie trabten also hinter der Marlis her. Es ging sich so leicht hier oben. Man meinte, fast Flügel zu haben. Es war wirklich herrlich. Nur ein bißchen öd und einsam, ein bißchen gruselig so nur zwischen Felsen und Geröll.

»Marlis, Marlis, sieh doch, sieh, diese Akelei! Ein Riesenexemplar.« Resi rief's und Resi war Feuer und Flamme. Sie war der geborene Botaniker.

Mitten auf einer Geröllhalde, mitten zwischen Steinbrocken und Schutt, wie die blaue Wunderblume selber anzuschauen, wiegte auf schwankem, hohem Stengel eine Akelei ihren Blütenkelch mit dem langen spitzen Sporn.

Die Blume winkte, lockte, so nah anscheinend, so greifbar nah.

Resi war denn auch schon auf halbem Wege dahin, ehe die anderen wußten, was sie vorhatte.

»Laß mich gehen, Resi, ich hol' dir die Blume. Ich –« Marlise war schon hinter Resi her.

»Nein, die muß ich selbst pflücken!«

Angesichts der Akelei wurde Resi zur Heldin.

Sie hastete vorwärts über die steinige Fläche hin. Wie weit es doch bis zu der Blume war und sie hatte so nahe geschienen.

»Vorsichtig, Resi, gib acht, man rutscht leicht auf den Steinen,« mahnte Marlise, die hinterher kletterte.

»Da bin ich, ich hab' sie,« jauchzte Resi eben triumphierend.

Und schon streckte sie die Hand nach der Blume, hielt den Stengel gepackt, da – keine der drei wußte späterhin genau zu sagen, wie es gekommen war – ein Schrei und zugleich ein Krachen in den Lüften, schmetternd, ohrbetäubend.

Nur eine von den dreien stand noch aufrecht, Gerta am Rand der Geröllhalde. Mitten darauf saß Marlise und dort, wo die Blume gestanden hatte, lag Resi am Boden hingestreckt. Die Blume aber hielt sie krampfhaft gepackt.

Alle drei waren sehr blaß, sehr erschreckt. Sie schauten ganz verwirrt um sich.

Marlise faßte sich zuerst.

»Vorwärts, Mädels, ein Gewitter hier oben ist kein Spaß, wir müssen in die Hütte. Resi, flink, aufgerappelt. Diesmal kommen wir noch mit dem blauen Auge davon. Los, Gerta!«

Sie hatte sich schon gewandt.

Da erklang eine weinerliche Stimme in ihrem Rücken.

»Au, ich kann nicht, mein Fuß!«

Das war Resi.

Marlise flog herum.

»Das wäre! Weh getan? Ernstlich?«

Resi hatte sich aufgerichtet und versuchte, auf die Füße zu kommen.

»Ich – ich – ich glaube.« –

Sie mußte sich wieder setzen. Sie war sehr blaß.

Marlise stand schon neben ihr und stützte sie.

»Probier's, Resi, du mußt. Hier können wir nicht bleiben, das Gewitter zieht ernstlich herauf. Das könnte –«

Gefährlich werden, wollte sie sagen. Sie verschluckte es aber mit einem Blick in Resis blasses, angstverzogenes Gesicht.

Resi stand aufrecht. Einen Arm hatte sie um Marlisens Schultern gelegt, in der anderen Hand hielt sie die eroberte Wunderblume.

Und nun tat sie einen Schritt vorwärts. Gebrochen war der Fuß nicht, Gott sei Dank.

Da war auch schon Gerta heran und zwischen ihr und Marlise, mehr gezogen und getragen als selbst gehend, schleppte sich Resi dahin.

Das war ein Weg über das Geröll!

Dazu wieder ein Krachen zu Häupten und ein Blitz so zackig und grell, daß die drei entsetzt und geblendet die Augen schlossen.

Resi wimmerte leise. Gerta tröstete. Marlise, die sich allein des Ernstes der Lage bewußt war, schaute nun doch sehr kleinlaut und verzweifelt drein.

»Bis zur Hütte kommen wir nicht mehr,« sagte sie plötzlich. »Im Freien können wir auch nicht bleiben, wenn das Wetter näher kommt. Das –«

Sie zauderte, stockte.

»Dort, wo die Felsen sind, wird es wohl ein Schlupfloch für uns geben. Weit ab ist's ja nicht mehr. Resi muß sich bis dahin schleppen.«

Die Felsgruppe, die Marlise meinte, türmte sich seitlich vom Wege. Dorthin also.

Resi wurde das Vorwärtskommen sichtlich immer schwerer. Zuletzt schleppten sie die beiden anderen bloß noch. Sie stöhnte und ächzte, aber die eroberte Blume hielt sie fest.

Und nun war man da und fand richtig unter einem Überhang ein geschütztes Plätzchen.

Resi wurde sorglich gegen die Wand gelehnt und ihr die Rucksäcke unter den kranken Fuß geschoben.

Und nun brach das Wetter mit jener elementaren Wucht los, die man nur in den Bergen kennt.

Blitze, als ob das ganze Firmament sich spaltete und in Flammen stünde. Donnerschläge, die die ganze Gebirgswelt dröhnen und erschüttern machten.

Die drei unter ihrem Felsblock hielten den Atem an und duckten sich zusammen wie verscheuchte Vögelein.

Der Graus stieg und wuchs und wuchs. Die ganze Luft schien nur eine einzige elektrische Entladung, ein nimmer endendes, hallendes Wettern und Krachen. Das Echo in den Bergen vertausendfachte die Gewalt eines jeden Schlags.

Resi lehnte an der Wand. Sie hielt die Augen geschlossen und über ihr blasses Gesicht kugelten die Tränen nur so hin.

Gerta hatte den Kopf in Resis Schoß gelegt. Sie wollte das Schreckliche da draußen gar nicht sehen. Das war die Strafe für den Ungehorsam. Es geschah ihnen schon recht. Wenn Frau Helene wüßte –

Scheu blinzelte sie nach der Marlis hin.

Die saß und starrte in den Aufruhr draußen. Sie zuckte mit keiner Wimper, aber sie war blaß und ein Zug von Ernst und Besorgnis lag um ihren Mund. Plötzlich fuhr sie zusammen.

Es war eine Weile draußen auffallend still gewesen, als ob alles den Atem anhalte. Nun folgte ein Blitz und ein Schlag, furchtbarer als alle zuvor.

Resi und Gerta duckten sich noch enger zusammen. Beide bargen das Gesicht in den Händen.

Unwillkürlich hatte auch Marlise die Arme wie schützend über den Kopf gehoben.

Drunterher starrte sie angstvoll in die Lüfte. Richtig, da war's, waren die schweren grauen Wolken, die die eisige Kühle hatte vermuten lassen.

»Schnee!« hauchte sie leise vor sich hin.

Die anderen hatten's nicht hören sollen, hörten's aber doch.

»Schnee! Was nun?«

Wie ein Echo kam's, und bleiche, erschrockene Gesichter starrten Marlise an.

Die war aufgesprungen und lief ins Freie.

»Das Gewitter ist vorüber. Davon droht uns keine Gefahr mehr. Wenn wir heimwärts könnten, ehe der Schnee zu dick –«

Sie brach ab. Hätte sie sagen sollen, daß sie ein Zuschneien des Pfades und dann ein etwaiges Verirren fürchtete?

Gerta stand neben ihr. Leise, leise stäubte es vom Himmel nieder. Lautlos legte sich die weiße Schneedecke über den Grund.

»Resi?«

Beide schauten fragend nach ihr hin.

Die richtete sich auf. Eilig waren sie bei ihr, sie zu stützen. Da stand sie aufrecht. Aber wie sie probieren wollte, den Fuß zu benützen, knickte sie hilflos mit einem Wehelaut in sich zusammen.

»Es geht nicht, es geht nicht, ich – muß – hier sterben!« Sie schluchzte laut auf, Gerta zur Gesellschaft mit.

»Ihr bleibt hier, ich laufe und hole Hilfe. Bis zu der ersten Hütte finde ich mich zurück und dann ist der Weg nicht zu fehlen.«

Es klang sehr zuversichtlich, aber so zuversichtlich wie ihre Worte war Marlise gar nicht.

»Du darfst nicht fort!«

»Laß uns nicht allein!«

»Wir sterben vor Angst!«

»Seid nicht albern, ich muß gehen und gleich, sonst –«

Eine lange Pause.

Sie hielten Marlise umklammert.

»Wir lassen dich nicht gehen!«

Marlise fügte sich. Eng zusammen kauerten die drei.

Eine lange, lange Weile waren sie sehr still. Nur ab und zu wurde etwas wie ein Schluchzen laut.

Plötzlich zog Marlise die Uhr. Sie sprang auf.

»Fünf Uhr schon! Jetzt müßt ihr vernünftig sein. Wenn ich jetzt nicht nach Hilfe gehe, wird's dunkel. Ich muß fort – ich muß.«

Damit war sie auch schon eine ganze Strecke davongeflogen, den Weg entlang, der sie heraufgeführt.

Die Jammerrufe der anderen hallten ungehört hinter ihr drein.

Die kauerten sich noch enger zusammen und so viele Tränen, wie jetzt flossen, hatten sie bis dahin in ihrem ganzen jungen Leben noch nicht geweint.

Allmählich, schier aus Erschöpfung, wurden sie ruhiger.

Angestrengt lauschten sie nach der Richtung hin, in der Marlise verschwunden war. Nichts war zu hören und zu sehen. Es hatte zu schneien aufgehört.

Das Gewölk war lichter geworden, hatte sich etwas verteilt. Und da – wirklich da brach ein Sonnenstrahl durch und übergoldete die Strahlenweiße des Neuschnees.

Weiß, weiß, alles weiß, wohin man schaute. Geblendet schlossen sie die rot geweinten Augen. Aber einen Troststrahl hatte der Sonnenblick ihnen doch ins Herz gesenkt.

Sie waren noch in den Jahren, wo man sich nicht klar macht, daß die Sonne über lachenden Auen und zugleich über Schlachtfeldern scheint.

Wenn nur die Sonne überhaupt wieder am Himmel stand, dann war ja alles gut. Sie fühlten sich schon halb geborgen.

Sie nestelten sich eng zusammen, sie atmeten tief auf und – ja wahrhaftig – sie schliefen ein. –

Marlise war mittlerweile windschnell dahingejagt, trotz des Schnees, trotz des unkenntlichen Pfads. Die Angst, der Drang, den armen in die Falle gelockten Freundinnen Hilfe zu bringen, liehen ihr Flügel.

Aber ach – Marlise, die Bergkundige, mußte sich in der Richtung geirrt haben. Wie sie dahinflog, wie sie auch eilte, keine Hütte kam. Sie blieb stehen und schaute um sich. So weit konnte ihr nächstes Ziel ja gar nicht entfernt gewesen sein.

Wieder hastete sie dahin. Wenn nur erst die Hütte erreicht war, das Wahrzeichen, daß sie den rechten Pfad nicht verfehlt hatte.

Noch immer nichts.

Marlise blieb nochmals stehen, sie schaute angestrengt um sich, ob nicht etwas ihr die Richtung verriete.

Nichts! Nichts! Nur Schnee, Schnee und wieder Schnee.

Aber jetzt – ein Sonnenstrahl vergoldete plötzlich das flimmernde Weiß, jener selbe Sonnenstrahl, der auch den anderen beiden so tröstlich erglommen war.

Auch Marlise lachte der Sonne ins Gesicht.

»Vorwärts, Marlis, nicht gefackelt, gleich muß die Hütte da sein.«

Aber die Hütte kam nicht, kam nicht und kam nicht.

Marlise jagte noch immer dahin atemlos, achtlos.

Plötzlich versagte ihr der Atem.

»Uff, ich kann nicht mehr. Sachte, Marlis, so geht das Ding nicht.«

Die also Gemahnte parierte sich selber. Sie stand und schaute.

Was lugte denn dort im Sonnenstrahl über die Felswände vor, so weiß, so hehr?

Das Wildhorn, wahrhaftig das Wildhorn!

Die Marlis packt's plötzlich wie Verlassensein und Heimweh. »Onkelchen, Onkelchen! Mammi, Mammi!«

Die Stimme klingt ganz, als ob sie einem sehr jungen, sehr hilf- und ratlosen Menschenkinde angehöre. Von Marlise, der kühnen Bergsteigerin, dem Eigensinn und Eisenkopf, ist darin wenig zu verspüren.

Ja, aber was war denn das? Hätte denn das Wildhorn, wenn sie der heimischen Richtung zulaufen wollte, nicht links sein müssen? Und hier ragte es rechts von Marlise auf in seiner ruhigen Majestät.

Das – o, sie war also richtig verkehrt gelaufen. Deshalb war auch die Hütte nicht zu erreichen.

Sie war gerade in entgegengesetzter Richtung fortgestürmt. Daß ihr so etwas passieren mußte. Daß sie nicht nach den Bergspitzen ausgeschaut hatte, die waren doch untrügliche Wegweiser.

Jetzt zum ersten Male sah sie prüfend, mit Bewußtsein um sich.

Sie mußte ja wirklich schon bald da angelangt sein, wohin sie die beiden anderen hatte führen wollen, an die Stelle, von wo man den Blick auf die Walliser Berge hatte.

Ob sie selber noch hinlief? So doch ihr Ziel erreichte, ihren Kopf durchsetzte?

Aber sie wollte ja ihren Kopf gar nicht mehr durchsetzen, sie wollte ja nur heim zu Mammi, zu Onkel. Sie wollte ja nur Hilfe holen für die beiden Armen, die dort unter den Felsen im Schnee hockten. Die sie dahin gelockt hatte, sie, die Marlis, in ihrem Eigensinn, ihrem Unverstand, heimlich, ohne Mammis Wissen. Und Mammi – Mammi, wie würde die sich abängstigen, absorgen. –

Marlise schluchzte laut auf, wandte sich und stob dahin, wie von Furien gepeitscht. Sie war ganz blind von Tränen.

Immer den Fußstapfen nach. So kam sie doch wenigstens wieder zu dem Felsenschlupfloch der beiden Verlassenen zurück.

Aber da hatte sich ein Wind aufgemacht. Derselbe Wind, der das Gewölk zerrissen und der Sonne freie Bahn geschafft hatte, daß der tröstliche Sonnenstrahl den dreien scheinen konnte. Dieser selbe Wind fuhr nun über die Schneedecke hin und stäubte den Schnee spielend in leichten kleinen Wirbeln vor sich her.

Wo blieben Marlisens Fußstapfen?

»Der Wind darüber wehet, so sind sie nicht mehr da.«

Verweht waren sie, bedeckt, verschüttet.

Ratlos stand Marlise. Was nun?

Zagend, verwirrt, unsicher, geängstet schlägt sie bald die, bald jene Richtung ein.

Sie merkt es kaum, daß sie sich fast im Kreise dreht, hierhin, dorthin.

Und die Felsen, der Unterschlupf der beiden Leidensgefährten, wollen noch immer nicht kommen.

Mit der Zuversicht schwindet bei Marlise die Kraft. Jetzt wankt sie nur noch so hin. Plötzlich spürt sie, wie schwer man im Schnee eigentlich vorwärts kommt.

Steigen denn wieder Wolken auf, oder fängt es gar schon an zu dämmern?

Marlise zieht die Uhr. Halb acht. Kann sie schon zwei und eine halbe Stunde so herumgeirrt sein?

Kaum möglich. Und doch – und doch – o Gott und noch immer keine Felsengruppe, keine Hütte, nichts sichtbar.

Aufschluchzend will sich Marlise eben in den Schnee werfen, da erstickt das Schluchzen. Türmt sich nicht da hinten doch etwas auf der weißen Fläche, das wie Felsen aussieht?

Endlich, endlich.

Marlise wachsen plötzlich wieder Flügel an den Sohlen.

»Juhu! Juhu!«

Wenn sie nur erst wieder bei den anderen ist! Daß sie keine Hilfe bringt, vergißt sie ganz in ihrem Jubel, endlich, endlich nicht mehr allein zu sein.

»Juhu! Juhu!«

Nichts antwortet.

Totenstille.

Ob sie schlafen?

»Resi, Gerta! Da bin ich!«

Marlise fliegt heran, Marlise kauert sich vor dem Felsenschlupfloch nieder. Sie starrt hinein.

»Kinder, schlaft ihr, ich –«

Sie verstummt.

Fort sind die beiden. Alles leer, öde, einsam, verlassen.

Daß es dasselbe Schlupfloch ist, sieht sie an den Papierresten, die da liegen. Die anderen müssen sich noch einmal gestärkt haben, ehe sie sich ihrerseits auf die Wanderschaft begaben.

Was nun?

Wo sind die beiden Unglücklichen, die des Pfades so gänzlich unkundig sind, hingeraten? Wie ist es ihnen ergangen, nachdem sie, die Marlis, die jeden Winkel zu kennen glaubte, so erfolglos herumgeirrt ist?

Sie sind verloren, einfach verloren. Und sie, Marlise, ist schuld daran.

Ganz wild, mit weit aufgerissenen entsetzten Augen starrt Marlise um sich. Sie will ein paar Schritte vorwärts machen, wohin weiß sie selber nicht. Und dann verläßt sie plötzlich alle Kraft. Erschöpft sinkt sie zu Boden.

Sie kann bloß noch in das einsame, verlassene Felsloch hineinkriechen. Und da kauert sie sich zusammen, zittert und weint zum Herzbrechen.

Und über ihrem Jammer sinkt die Nacht tiefer und tiefer herein. –

Wie war's unterdes den beiden anderen ergangen und wo waren die hingeraten? Der golden vorbrechende Sonnenstrahl hatte ihnen vielen Trost ins zagende Herz gegeben. Eine Ruhe nach dem Sturm hatte sie überkommen, ein Vertrauen, als ob nun alles gut werden müsse, und sie waren eingeschlafen wie getröstete Kinder.

Wie lange sie geschlafen hatten, wußten sie nicht. Es war schon fast dämmerig, als sie plötzlich beide zugleich wie im Schreck mit einem kleinen Schrei erwachten.

Oder schien es nur so düster, weil dort in dem Spalt, der den Eingang zu ihrem Schlupfwinkel bildete, eine hohe, breite Gestalt, die Gestalt eines Mannes stand?

Als sie auffuhren, sich die schlaftrunkenen Augen wischten und sich erschreckt noch enger zusammenduckten, da lüftete der Fremde den Hut. Eine tiefe, angenehme Stimme, die Stimme eines gebildeten Menschen, sagte: »Verzeihung, meine Damen, kann ich irgend etwas für Sie tun?«

Zunächst erfolgte keine Antwort. Nur noch näheres, wie unwillkürliches Zusammenrücken der beiden Angeredeten.

»Ich hörte nämlich im Vorbeigehen ein Geräusch hier in den Felsen, das mich aufmerksam machte. Ich habe einen Führer bei mir und ich wäre glücklich, wenn ich Ihnen behilflich sein könnte. Ich vermute, Sie haben hier Zuflucht vor dem Schnee gesucht?«

Gerta und Resi konnten einstweilen nur nicken, stammeln: »Eingeschneit – Fuß verletzt – auf die Marlis warten.«

Der Fremde griff nur das vom verletzten Fuß heraus.

»Es handelt sich also um einen verletzten Fuß?«

Resi nickte jetzt sehr eifrig, rot geworden und mit den Tränen kämpfend.

»Ich – ich wollte eine Blume pflücken und bin auf den Steinen abgerutscht und da –«

»Schmerzt der Fuß sehr?«

Resi hängte bloß das Köpfchen. Sie biß sich auf die Lippen, um nicht los zu weinen.

»Aber dann, bitte, dann müssen Sie sich ja unserer Hilfe bedienen.«

Gerta stand bereits draußen neben dem Fremden.

Sie bückte sich, um Resi aufzuhelfen. Eifrig und sehr geschickt griff der Fremde zu.

Als nun auch Resi am Tageslicht war, huschte plötzlich ein vergnügtes Lächeln über sein Gesicht.

Er neigte sich schmunzelnd.

»Habe ich nicht bereits den Vorzug, die Damen zu kennen?«

Erstaunt sahen Gerta und Resi auf. Der Fremde war der Herr aus der Postkutsche, den Marlise damals irrtümlicherweise als Onkel begrüßt hatte. Jetzt erkannten ihn beide. Es war ihnen plötzlich, als ob sie einen alten Bekannten vor sich hätten. Sie fühlten sich fast geborgen.

Bild: Richard Gutschmidt

Verzeihung, meine Damen! Kann ich irgend etwas für Sie tun?

»Und wo ist die Dritte im Bund?«

Lachend fragte es der Herr und sah unwillkürlich nach dem Felsspalt hin, ob sie nicht von da noch auftauchte.

»Die Marlis wollte Hilfe holen,« sagte Resi scheu. »Mein dummer Fuß –«

»Hilfe holen? Allein? Von wo, wenn ich fragen darf? Wie kommen die Damen überhaupt hierher?«

Jede Frage klang erstaunter, eindringlicher.

Die beiden Mädchen hingen die Köpfe.

»Wir – wir wollten auch mal in die Berge und –«

»Weiß man zu Hause – ich nehme an, die Damen kommen aus der Lenk – wo Sie sind?«

»Das ist's ja eben,« sagte Gerta fast ärgerlich, »dann wäre längst Hilfe da, wenn sie's wüßten. Wir –«

»Wir sind nämlich heimlich hier herauf –«

»Das heißt, wir haben bloß nicht gesagt, wohin wir gehen und –«

»Die Marlis meinte –«

»Ja, die Marlis meinte dann –«

Da staken die beiden fest.

Der Fremde hatte bei dem hastig vorgesprudelten Duett mit dem Kopf genickt und »aha« gesagt. Jetzt fragte er: »Das ist wohl die junge Dame mit dem hellen Haar, die mich so niedlich weckte in der Postkutsche damals?«

»Die Marlis!«

»Ja, das ist unsere gute Freundin, die Marlis gewesen!«

Sie kicherten die beiden, in der Erinnerung an das Abenteuer.

Plötzlich wurde Resi sehr blaß.

»Mein Fuß!«

Sie lehnte halb ohnmächtig gegen die Felswand.

Ein Blick des Fremden brachte den Führer alsbald zur Stelle, der abseits gewartet hatte.

Eiligst verschränkten die beiden die Bergstöcke, und ehe sie wußte, wie ihr geschah, saß Resi hochgehoben, bequem wie im Tragstuhl.

»Und nun wohin, meine Damen?«

»Wir wohnen im Chalet drunten im Hochtal, oberhalb des Falls. Wenn Sie –«

»Dann haben wir ja denselben Weg,« sagte munter der Fremde und ließ Gerta gar nicht ausreden. »Ich komme nämlich aus dem Rhonetal. Ich ging damals aus der Lenk über Adelboden und die Gemmi dorthin und habe mich seitdem in den Walliser Bergen herumgetrieben. Jetzt wollte ich noch einmal zurück und –«

Was er weiter wollte, sagte er nicht.

Gerta hatte sich mit Rucksäcken und Bergstöcken beladen und trottete hinterher. Plötzlich blieb sie stehen.

»Aber die Marlis?«

Das rüttelte Resi auf, die bis jetzt vom Schmerz betäubt alles hatte über sich ergehen lassen.

»Wir müßten doch auf die Marlis warten. Die –«

»Vor allen Dingen müssen Sie so schnell wie möglich heim, daß der Fuß bandagiert werden kann, mein gnädiges Fräulein.«

Der Fremde sagte es so bestimmt, daß kein Widerspruch aufkommen konnte. Dann fügte er noch bei: »Wenn Ihre Freundin Hilfe holen wollte, dann muß sie uns doch weit voraus sein. Wir treffen sie sicher unten an.«

Das leuchtete auch den beiden ein. Und so schritt die kleine Gesellschaft nun eilig vorwärts, Resi und Gerta glücklich über diese Lösung des schlimmen Abenteuers.

Zuweilen gab's Ruhepausen. Dann wurde Resi von dem Fremden sorglich gestützt. Resi konnte nicht fertig werden mit Danken und Entschuldigungen.

Die Dämmerung sank tiefer und tiefer. Aber der Neuschnee leuchtete und der wegkundige Führer schritt sicher wie am Tage dahin.

Nirgends aber war eine Spur von Marlise zu entdecken. Zuweilen blieb man stehen, rief, der Fremde und der Führer pfiffen. Keine Antwort. Das Schweigen der Hochgebirgswelt ringsum.

Und dann kam der Abstieg. Die schlimme Stelle mit dem überstürzenden Wasser, die Resi am Morgen solches Grauen eingeflößt hatte.

Mit welchem Gefühl der Sicherheit sie sich jetzt vom Gischt bestäuben ließ.

Bei den schlimmsten Stellen griff der Führer mit der freien Hand zurück, um Gerta zu stützen.

Und so war man endlich unten.

Schon blinkten die Lichter des Hauses, hörte man aufgeregte Stimmen, Tritte hin und her hasten.

»Aha, die rüsten sich zur Rettungsexpedition,« meinte der Fremde. »Schreien Sie mal, Achner, daß man weiß, wir sind in der Nähe.«

Der Führer jodelte anhaltend, durchdringend. Gerta stimmte ein. Ähnliche Töne antworteten.

»Sie kommen,« hörte man rufen, »sie kommen vom Rawyl.«

»Marie-Luise,« rief eine Frauenstimme und sie war durchzittert von Angst und Beben, »Marie-Luise, bist du wirklich da?«

»Sie ruft nach der Marlis,« sagten Resi und Gerta zugleich, und es durchzuckte sie ein eisiger Schreck. »Sollte die –«

Da waren sie im Bereich des Fackelscheins – zwei Männer mit Fackeln kamen ihnen entgegen.

Eine schlanke Frauengestalt glitt wie ein Schatten hinterher und stand plötzlich vor ihnen.

Angstvolle Blicke überflogen die kleine Gruppe der Ankommenden.

»Marie-Luise! Wo ist meine Tochter Marie-Luise?«

»Die Marlis? Ja, ist sie denn nicht hier?«

Das hauchte Gerta. Resi zitterte so, daß sie keinen Laut hervorbrachte.

»Wo habt ihr mein Kind?«

Frau Helenens Stimme klang ganz heiser und rauh.

Gerta und Resi konnten vor Schluchzen nicht sprechen.

Da legte sich der Fremde ins Mittel, erklärte, soweit er's vermochte.

»Wenn wir das gnädige Fräulein hier erst im Hause haben, bin ich bereit, sofort mit den Männern wieder aufzubrechen, gnädigste Frau,« so schloß er.

Seit Frau Helene von Resis Unfall wußte, war die sorgende Helferin in ihr erwacht.

»Hier herein, bitte!«

Sorglich war Resi gebettet. Dabei berichtete Gerta schluchzend und unter Tränen.

Frau Helenens Augen blieben trocken. Sie zitterte aber so sichtlich, daß sich der Fremde über ihre Hand neigte, die er ritterlich an den Mund führte.

»Wenn gnädige Frau gestatten, werde ich jetzt sofort mit den Leuten wieder zurückgehen. Ihre Fräulein Tochter ist im Schnee sicherlich irgendwie vom Weg abgekommen, ist von der Dunkelheit überrascht worden und hält sich nun irgendwo für die Nacht geborgen. Wir wollen nicht ruhen, bis wir sie haben. Gnädigste Frau müssen versuchen, sich bis dahin zu gedulden.«

Frau Helene sah auf. Unendlicher Jammer sprach aus dem Blick. Sie sagte aber nur: »Ich danke Ihnen, mein Herr. Gehen Sie mit Gott.«

Mit einer letzten Verbeugung nach Resi und Gerta hin ging der Fremde. – –

Marlise in ihrem Felsenkämmerlein war es unterdes ganz jammervoll zu Mute.

Sie fror erbärmlich, hatte sich auf das kleinste Maß in sich selber zusammengeduckt und starrte mit weit aufgerissenen, tränenlosen Augen in die Finsternis draußen.

Gewölk war am Himmel. Kein Sternlein strahlte, nur der Neuschnee leuchtete matt und fahl.

Was da alles durch Marlisens Köpfchen zog. Jammer, Reue, die besten Vorsätze, Angst, Not, Entsetzen.

Was war aus den beiden Gefährtinnen geworden? Und Mammi? Daß sie, Marlise, auch so ihren Kopf hatte durchsetzen müssen. Die beiden verlocken, heimlich verbotene Wege zu gehen.

Wirklich verboten war's ja eigentlich nicht gewesen, nein, aber Mammi hätte bei einer Anfrage dem Plan niemals zugestimmt.

Das wußte Marlise sicher, jetzt fühlte sie das mit Bestimmtheit. Eigentlich hatte sie's immer gewußt und gefühlt, es nur sich selbst nicht gestehen wollen.

Aber nie, nie wieder wollte sie dergleichen tun.

Wenn sie nur erst wieder bei den Ihren wäre! Wenn nur erst diese gräßliche Nacht weichen wollte, dann –

Sie, Marlise, wollte schnell daheim sein. Aber Resi – Gerta!

»Lieber, allmächtiger Gott, behüte die beiden. Erbarme dich, laß mich nicht zu schwer büßen. Heilig gelobe ich –«

Der Notschrei, der mit angstgepreßter Stimme die dunkle Nacht durchzittert hatte, brach mitten drin ab.

Was war das? Hatte es nicht wie fernes Pfeifen, Schreien, Jodeln geklungen?

Marlise war wie der Blitz auf den Füßen, draußen. Alle ihre Sinne konzentrierten sich im Ohr.

Richtig, da wieder!

»Juhu! Juhu!«

Marlise gellte es in die Nacht. Wie Jauchzen klang der Jubelschrei nicht, nein, wie Schluchzen klang er, wie Stöhnen, wie ein Aufschrei in tiefster Not.

»Juhu! Juhu!«

Und nun rannte Marlise in der Richtung, von wo das Rufen und Schreien jetzt schon bedeutend näher klang.

Sie rannte und rannte und dann verließ sie plötzlich die Kraft.

Sie mußte sich erst einmal, wo sie just stand, in den Schnee setzen und laut aufweinen.

Die Erlösung aus der Not war so plötzlich gekommen.

Aber Resi – Gerta?

Dort tauchte der Fackelschein wieder auf, rote, warme Lichter huschten über den Schnee. Menschliche Laute füllten die grause Einsamkeit.

Marlise flog dem roten warmen Schein, den menschlichen Lauten entgegen.

Jetzt unterschied sie schon vier Gestalten. Sie hörte deren freudiges: »Da ist sie ja, Gott sei Dank, da ist sie ja!«

Eine große hohe Gestalt war allen anderen voraus. Marlise flog auf sie zu. Sie faßte sie an den Armen, sie starrte mit angsterfüllten Augen in ein unbekanntes Gesicht.

»Resi – Gerta?« flüsterte sie mit versagender Stimme.

»Sind wohlbehalten daheim. Gnädiges Fräulein brauchen sich nicht zu sorgen. Darf ich meinen Arm anbieten?«

Da weinte die Marlis erst einmal laut hinaus, gar nicht wie ein gnädiges Fräulein, sondern wie ein ganz kleines, armes Schulmädel, das sich vor Strafe fürchtete und dem die plötzlich geschenkt ist.

Dann strich sie sich mit beiden Händen die losen Haarsträhne aus dem Gesicht, mit denen der Wind sein Spiel trieb, wischte sich die Augen und warf resolut das Köpfchen zurück.

Herrje, so unterkriegen wollte sie, die Marlis, sich nicht lassen. Noch dazu vor dem Fremden da. Sie blinzelte um sich, zum ersten Male.

Da traf ihr Blick in zwei grinsende Gesichter – die Fackelträger. Die Augen leuchteten auf.

»Peter, Christian, ihr seid's? Ich habe euch ja gar nicht erkannt.«

Die Männer nickten und grinsten stärker und welschten was in ihrer rauhen Zunge, das nur die Marlis verstand.

Sie schluchzte erst noch einmal und dann lachte sie so unvermittelt wie die Sonne im April nach einem Hagelschauer.

»Dank euch schön! Ja, seht ihr, nun ist die Marlis doch wieder heraus, Unkraut vergeht eben nicht!«

Das Lachen steckte an. Vier tiefe Stimmen antworteten.

»Und nun zu Mammi!«

Marlise machte Anstalt, davonzulaufen. Da stand die hochgewachsene Gestalt, gegen die sie zuerst angerannt war, wieder an ihrer Seite.

»Erkennen mich gnädiges Fräulein wieder? Hatte bereits einmal das Vergnügen, wenn auch sehr flüchtig.«

Marlise blinzelte ihn von unten herauf an, etwas scheu, etwas verlegen. Auf einmal zuckte es über ihr Gesicht.

»Der Kutschenmann!« sagte sie laut lachend und klappte sich gleich danach auf den Mund. »Verzeihen Sie, aber Resi und Gerta und ich, wir hatten Sie so getauft. Ja aber, wie kommen Sie –?«

Große fragende Augen vollendeten den Satz.

»Wie ich hierher komme?« entgegnete der Fremde lachend, »das erzähle ich unterwegs. Ich denke, wir setzen uns in Trab. Ihre Frau Mutter –«

»Mammi!«

Der Marlis fuhr's in die Füße. Sie wäre fortgesaust, wenn der Fremde sie nicht schon bei der Hand gehalten und die durch seinen Arm gezogen hätte.

»So,« sagte er, und seine Bestimmtheit ließ keinen Widerspruch zu, »immer hübsch sachte. Ich denke mir, mit den noch übrigen Kräften muß hausgehalten werden. So gar kurz ist der Heimweg nicht.«

Wie recht er mit dem Haushalten der Kräfte gehabt hatte, das merkte Marlise danach, als sie an seiner Seite hinging.

Die Füße schleppten sich so sonderbar schwer durch den Schnee und die Hand, die auf dem stützenden Arm lag, griff immer fester zu.

Der Fremde erzählte, wie er als Ritter in der Not bei den Freundinnen erschienen war. Und dann berichtete die Marlis von ihren Erlebnissen, einmal mit Lachen und dann wieder mit bebender Stimme und mühsam verschluckten Tränen, just wie ein Apriltag voll Sonnenschein und Regen.

»Und der böse Schnee ist an allem schuld,« so schloß sie.

»So könnte man sagen,« ergänzte der Fremde und sah dabei voll Humor und doch recht ernst auf seine Begleiterin nieder.

Marlis verstand wohl, was er damit meinte, und sie hing wieder den Kopf.

»Jedenfalls wollen wir über den Ausgang des Abenteuers sehr froh sein,« rief da der Fremde frisch. »Aufgeschaut, da kommt schon der Abstieg.«

Wie auf Kommando jauchzten plötzlich die Männer, oben auf der Felskante stehend, los.

Der Hall weckte ein Echo in den Tiefen. Jauchzende Stimmen klangen zurück.

Und nun war kein Haltens mehr für Marlise.

»Mammi,« jauchzte sie, »Mammi!« daß es von den Bergen wiedertönte.

»Mammi! Mammi!«

Wie ein Schemen huschte sie über den steil gewundenen Pfad an den Felsenwänden nieder.

Hier kannte sie jeden Tritt. Und kein Schnee, kein Geröll, keine schweren, schleppenden Füße hinderten sie mehr.

Ihr waren wieder Schwingen gewachsen.

Frau Helene, die auf der Galerie des Hauses in die Nacht hineingelauscht hatte, vernahm die Rufe von oben. Sie hörte den einen klingenden, hellen Ton heraus, den Ton, den sie unter Tausenden erkannt hätte. Sie wußte, ihr Kind war gerettet.

Und sie faltete die Hände, sie sah nach oben mit dankendem Blick. Dort war das Gewölk zerrissen und groß und klar schaute ein Sternlein auf sie nieder. Sie preßte die Hände gegen die Brust und sank auf den nächsten Sitz.

In unglaublich kurzer Zeit fühlte sie sich dann von zwei Armen umfaßt, hörte eine bebende, tränenerstickte Stimme flüstern: »Kannst du mir verzeihen, Mammi? Mammi?«


Seitdem waren wieder vier Wochen ins Land und über die Berge gezogen.

Sie hatten den Herbst gebracht, der da oben früher Einzug hält als im Flachland.

Und sie brachten auch die Zeit, wo solche, die ihr Heim nicht in den Bergen haben, die dort nur als Sommervögel weilen, an ihren Heimflug denken.

Die weißen Schneezungen, die aus ihren Höhengefilden in die grünen Hochtäler niederreichten, leckten immer gieriger um sich. Von Neuschnee konnte man schon längst nicht mehr reden. Was da lag, war schon recht heimisch da, fühlte sich ganz im Recht.

Auch dem Chalet von Herrn Fritz Erich Albers rückte die weiße Winterwelt immer näher. Auch dort rüstete man zum Aufbruch.

Das schlimme Abenteuer, das den drei Freundinnen damals so viel Not und Herzleid gebracht hatte, lag weit dahinten.

Der Retter in der Not, ein Herr Assessor Linden, war schon anderen Tages weitergezogen, dankbeladen, mit dem Versprechen, wieder von sich sehen und hören zu lassen. Marlisens Onkel war von Bern aus, wohin ihn damals die Depesche rief, geschäftlicher Angelegenheiten wegen direkt heimgekehrt.

Frau Helene hatte seit dem Tage, der ihr solchen Schrecken brachte, gekränkelt. Hauptsächlich deshalb war die Heimreise länger hinausgeschoben worden. Marlise und ihre beiden Freundinnen waren von großer Aufmerksamkeit und Fürsorge für die Leidende. Nur ungern ließen sie sie allein. Aber bei den täglichen Gängen, auf denen Frau Helene bestand, mußten sie genauen Bescheid sagen, wohin sie gingen und wo sie waren.

In dieser Hinsicht hatte der Schreckenstag gute Früchte gezeitigt.

Und nun war der Tag des Abzugs gekommen.

»Mit dem Vieh sind wir abgetrieben worden,« berichtete Marlis danach lachend dem Onkel. »Ganz friedlich trotteten wir zwischen den Kühen der Nachbaralp zu Tal. Du hättest uns sehen sollen!«

Verlassen stand das Chalet im grünen Hochtal da oben. Aber das war nicht länger grün. Schnee und Eis drangen jetzt hier vollständig in ihr Recht. Rings breitete sich die weiße Winterwelt.

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