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Wangeroge

Wangeroge

Wangeroge hat seinen Namen von dem Küstenstriche »Wangerland«, mit dem es einst verbunden war. Die grossen Cimbrischen Fluthen, welche zwei Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung grosse Strecken von den Nordseeküsten abrissen und durch weitere Vertiefung der Strömung eine Menge selbstständiger Inseln bildeten, mögen auch Wangeroge zur Insel gemacht haben.

Die Endung »Oge«, welche sich bei mehreren nahe liegenden Inseln (Langeroge, Spikeroge) wiederfindet, heisst soviel als Auge. Denn Augen des Meeres nannten die Friesen diese Inseln. – Eye heisst im Englischen, wahrscheinlich aus dem Angelsächsischen oder Friesischen, das Auge. Vgl. G. W. v. Halem »die Insel Norderney«, 1822, S. 22. So wäre Norderney soviel als Norderoge.

Der Wangeröger selbst nennt seine Insel nur das »Eiland«, altfriesisch »Euland«, d. h. Wasserland, während Andere diesen Namen von den Eiern der Seevögel ableiten, die sich auf dieser Inselgruppe in zahlloser Menge finden.

Die Insel Wangeroge, welche gegenwärtig ohngefähr fünf bis acht Minuten breit, und von Westen nach Osten eine Stunde lang ist, hatte vor fünfhundert Jahren einen wohl zehnfach grösseren Umfang. Um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts finden wir ihre Rhede bedeckt mit Raubschiffen des kühnen friesischen Häuptlings Edo Wiemken, und die Thürme ihrer beiden Kirchen zur Aufbewahrung der Beute und Gefangenen dienend, die der wilde Seekönig den Holländern abgenommen. Denn diesen Myn heers hatte er ewigen Hass geschworen, seitdem ihn die List eines holländischen Kaufmanns in Gefangenschaft gelockt, aus der ihn nur ein, für jene Zeiten ungeheures Lösegeld von 14,000 baierschen Gulden, losgekauft hatte, die seine Unterthanen aufbringen gemusst hatten. Endlich überfielen die Holländer Wangeroge. Sie verbrannten die Dörfer und äscherten die Kirchen ein, nachdem sie alles rein ausgeplündert; die wenigen auf der Insel befindlichen wehrhaften Männer wurden erschlagen, Weiber, Kinder und Mägde gefangen weggeschleppt.

Zwar erholte sich die Insel allmälig von diesem Unglück, die Kirchen wurden wieder aufgebaut und Ackerbau und Viehzucht, die der fruchtbare Boden ausserordentlich begünstigte, verbunden mit den Vortheilen des Seeraubes, stellten bald die alte Wohlhabenheit wieder her. Allein wiederholte kriegerische Ueberfälle und vor Allem die Gewalt des Meeres, welches durch die immer weiter vorrückenden Deiche des gegenüberliegenden Festlandes mit stets anwachsender Gewalt gegen die Nord- und Westseite, die fruchtbarsten und kultivirtesten Theile der Insel, getrieben wurde, vernichteten langsam, aber sicher das Gewonnene. Heftige Nordweststürme zerrissen die Sanddünen, welche die blühenden Felder des Kirchdorfs Oldenoge, im Norden der Insel, schützten, und bald wälzte die wilde See ihre sturmgepeitschten Fluthen hoch über den Wohnungen der unglücklichen Bewohner. Nicht besser erging es bald darauf dem westlichen Kirchdorf. Die Einwohner, erzählt Dr. Chemnitz, der verdienstvolle Badearzt der Insel, in seiner kleinen Schrift: »Wangeroge und das Seebad«, sahen sich gezwungen, ihre Häuser bei Zeiten abzubrechen, und sie weiter südostwärts hinter den neu entstandenen Dünen wieder aufzubauen. Bald darauf ward die verlassene Stätte sammt der Kirche ein Raub der Wellen. Noch im Jahr 1760 waren zur Ebbezeit die Trümmer der Kirchen und die Abtheilungen der Aecker zu sehen; im Jahre 1806 noch ganz deutlich die Brunnen und Häuserstellen und selbst vor zwanzig Jahren noch eine Menge von Backsteintrümmern. Gegenwärtig sind auch noch diese letzten Spuren verschwunden, die Fluth bietet dem Auge nur Wasser und die Ebbe gelbweisse platte Sandflächen dar.

Als Ersatz für die beiden Kirchthürme, die den Seefahrern als Signale gedient hatten, erbaute Graf Johann von Oldenburg zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts einen länglich viereckigen, über 200 Fuss hohen Thurm mit zwei Seiten- und einer hohen Mittelspitze. Auf der letzteren brannte zur Nachtzeit eine grosse eiserne, mit Rüböl gefüllte Lampe, die ihren Schein durch 48 Fenster weit hinaus auf das Meer warf. Ausser der oben erwähnten Bestimmung, die jetzt durch einen eignen Leuchtthurm ersetzt ist, hatte der Thurm, oder hat er noch vielmehr, zwei andere. Das obere Stockwerk nämlich diente als Verwahrungsort des Strandgutes, auch wohl als Gefängniss, das mittlere aber bildet die Kirche, in welcher noch, vor gar nicht langer Zeit, der Pastor jedes Mal im Schlussgebete Gott die Bitte vorlegte, »dass er den Strand segnen« d. h. recht viel Schiffe in der Nähe stranden lassen möge. Denn was von solchen die Wellen an das Ufer trieben, oder die Insulaner auftischten, war gute Prise. In neuester Zeit fand man dies Gebet unchristlich und schaffte es ab. Gegenwärtig hat übrigens die Regierung das Strandrecht an sich gezogen, und während früher die Einwohner noch ein Drittel des Betrags erhielten, nimmt jetzt der Vogt Alles für herrschaftliche Rechnung, nur die Pastorei wird in Gelde entschädigt.

Eben so compendiös wie der Thurm war auch die Verwaltung der Insel eingerichtet. Denn der Vogt, welcher sie repräsentirte, war nicht nur die höchste und alleinige Justiz- und Polizeiperson, sondern auch zugleich der einzige Kaufmann und Gastwirth auf der Insel. Und wenn die Burschen des Winters in seiner Trinkstube Händel anfingen, die mit blutigen Köpfen endeten, so verwandelte sich flugs der Schenkwirth in Schaarwache, Zeuge und Richter, und der Process war jedenfalls auf diesem Wege der kürzeste, der sich denken lässt.

Bei dem gedachten Thurmbau, dessen Kosten ohne Fuhren und Frohnen über 24,000 Thaler betrugen, wurden übrigens verschiedene römische Münzen und Aschenkrüge gefunden, woraus denn der schon erwähnte Monograph von Wangeroge folgert, dass Germanicus mit seiner vom Sturm übel zugerichteten Flotte sich hier eine Zeitlang aufgehalten haben möge.

Nach allen jenen Verwüstungen war indessen die Insel um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts, zur Zeit des noch im gesegneten Andenken seines Volkes lebenden Grafen Anton Günther von Oldenburg, sehr verschieden von ihrem jetzigen verödeten Zustande. Ihre Breite betrug damals noch ¼, ihre Länge 1-½ Meile. Statt der jetzigen öden, von Sanddünen umgebenen Fläche, deren spärliche Vegetation kaum für ein Paar hundert Schafe die nothdürftige Nahrung gewährt, boten ihre reichen Wiesengründe (deren Pracht der damalige Pastor Johann Hoffmann in seinem »geistlichen Ehrengedächtniss von Wangeroge« preiset) die üppigste Weide für zahlreiche Heerden, die man sogar vom gegenüber liegenden Festlande nach der Insel hinüber brachte, um sie hier zu mästen.

Eine noch vorhandene Karte der Insel vom Jahre 1730 verzeichnet über 200 Matten üppige Weide und 70 Matten geringere. Allein von da an nahm die Insel in dem Maass an Umfang ab, als sich die Eindeichungen an der Küste des Festlandes gegenüber vermehrten. Es schien, als wolle sich das Meer für das ihm dort Entrissene hier schadlos halten. Vorzüglich richtete es seine Angriffe gegen den Norden und Westen der Insel, deren Bewohner endlich, als bei dem allmäligen Verschwinden des fruchtbaren Landes die Viehzucht aufhören musste, mehr und mehr in die grösste Armuth geriethen. Ja die ganze Insel verdankte ihre Erhaltung nur den Bemühungen des Fürsten Friedrich August von Anhalt-Zerbst, in dessen Besitz Wangeroge mit der Herrschaft Jever durch russische Vermittlung gelangt war. Um die Gefahr abzuwenden, welche durch die gänzliche Vernichtung des Eilandes für das feste Land entstehen musste, verwandte er auf die Erhaltung der Insel die grösste Sorgfalt. An den Stellen, wo stürmische Winde und hohe Wasserfluthen Oeffnungen und Verstäubungen verursacht hatten, wurden quer gegen den Windstrich in schlängelnder Richtung aus belaubtem Strauchholz geflochtene Zäune befestigt, um den Sand aufzufangen und den Verlust wieder zu ersetzen.

Zur Anlage neuer, oder zur Erhöhung alter Sanddünen, die den einzigen Schutz des Eilandes bilden, pflanzte man Strohdocken mit dem Kopf in den Strand, damit sich an dem obern rauhen und breiten Ende der Sand sammeln konnte. An der dem Festlande zugekehrten Seite (Wadseite – Wad heisst der seichtere Meerstrich), zwischen der Insel und dem Festlande hatte dies Erfolg, nicht so auf der dem heftigeren Wogendrange ausgesetzten Nordseite. Am wirksamsten erwies sich zur Befestigung und Erhöhung der Dünen die Anpflanzung des Helmt oder Sandhafers (Elymus europaeus), ein hohes binsichtes Seegras, welches auf dem Seesande wild wächst, und oft durch seine zwanzig Ellen lang in einander vernarbten, mit unendlich vielen Fasern und Häkchen versehenen Wurzeln den Sand festhält. Zu gleichem Zwecke dienten Anpflanzungen von Seestrandsdorn und Bitterweide. Dagegen zerstörte eine einzige Sturmnacht zwei, an gefährlichen Orten der Nordseite mit grossen Kosten aufgeführte Querdeiche so vollständig, dass am nächsten Morgen auch jede Spur davon verschwunden war. Auch Anpflanzungen von Tannen, Pappeln und Heckensträuchern, die derselbe Fürst veranstaltete, gediehen zwar anfangs, wurden aber bald theils im Flugsande begraben, theils von der See weggespült, und im Jahre 1776 verschwand der letzte Strich fruchtbaren Wiesenbodens.

Da ihnen der Boden, der sie ernährte, so entzogen wurde, sahen sich die Wangeröger auf das Meer angewiesen. Auch hier bewährte sich die Fürsorge des Fürsten. Nur wenige Einwohner besassen Schiffe zur Seefahrt. Der Fürst schoss denen, die sich darum bewarben, zinsfrei die nöthigen Kapitalien vor, und erliess oft die Rückzahlung gänzlich. So ward der Grund zu dem jetzigen Wohlstande der Insel gelegt, deren Bewohner gegenwärtig über dreissig Seeschiffe besitzen, mit denen sie Frachten für Bremen und Hamburg, nach der Ostsee, Holland, England und Frankreich verführen.

Im Jahre 1806 ward die Insel nebst der ganzen Herrschaft Jever auf Napoleons Befehl dem neuen Königreich Holland einverleibt, und nun ward Wangeroge ein Hauptpunkt des Schleichhandels, den die Engländer von Helgoland aus über Wangeroge und die Jeversche Küste hin zu eröffnen wussten. Der gutmüthige König Ludwig, welcher sich dem Kontinentalsystem seines Bruders nur mit grössem Widerstreben angeschlossen hatte, begünstigte diesen Schmuggelhandel, der für die Insel ausserordentliche Vortheile abwarf. Aber im Jahre 1810, wo die Franzosen nach Occupation des Herzogthums auch die Insel besetzten, ward diese Art des Erwerbes höchst gefährlich. Eine Batterie schweren Geschützes beherrschte die Meerespässe und eine starke Besatzung gab den strengen Gesetzen Nachdruck. Um die verborgenen Englischen Waaren, welche mit unglaublicher Verwegenheit immer noch von Zeit zu Zeit eingeschmuggelt wurden, aufzufinden, durchgruben die Douanen die Sanddünen, und konfiszirten das Gefundene. Viele Familien verliessen damals sammt ihren Wohnungen die ihnen so theure Heimathinsel, um dem Hungertode zu entgehen. Im Frühjahr 1813 mussten zwar die Franzosen die Insel und die ganze Umgebung verlassen, allein nur zu bald kehrten sie wieder zurück, sperrten alle männliche Bewohner in den Kirchthurm ein, und erzwangen von ihnen durch die Drohung, den Thurm in die Luft zu sprengen, die Angabe einer verborgenen Waarenniederlage. So verloren die Armen in wenigen Minuten die mühsam erworbenen Früchte ihres gefahrvollen Gewerbes. Zwei Schiffer, die zu voreilig und zu laut ihre Freude über die kurze Befreiung von den verhassten Unterdrückern an den Tag gelegt, wurden vor ein Kriegsgericht gestellt und erschossen. »Zu bewundern ist es übrigens,« bemerkt hier Chemnitz, »dass während dieser Regierung, wo kein Prediger noch Schullehrer sich auf der Insel befand, deren Wohnungen, so wie die Kirchen zu militärischen Zwecken gebraucht wurden, dennoch die Insulaner die Reinheit ihrer Sitten und Eigenthümlichkeiten erhielten.«

Mit dem Ende des Jahres 1813, wo die Franzosen die Insel verliessen, und diese, sammt dem ganzen Herzogthum Oldenburg wieder ihren angestammten Herrscher erhielt, begann auch das Wiederaufblühen des Wohlstandes auf dem kleinen Eilande. Prediger, Schullehrer und Vogt wurden wieder eingesetzt, die Kirche hergestellt, eine Austerbank in der Nähe der Insel angelegt, neue Häuser aus Backsteinen – die alten bestanden zumeist aus getrockneter Schlammerde ( Kleie) – erbaut, und im Jahre 1819 das Seebad vom Herzog Peter Friedrich Ludwig eingerichtet. Schon früher hatten Fremde die Insel zu diesem Zwecke besucht, und die letzte Anhalt-Zerbstische Regentin zu Anfang dieses Jahrhunderts ihr zu diesem Gebrauch eine Badekutsche und ein Zelt geschenkt. Allein die darauf folgenden Kriegsjahre vernichteten diese Anfänge des Seebades, welches jetzt durch eine zwanzig Jahre unausgesetzt thätige Fürsorge der Regierung mit den vorzüglichsten seiner Art wetteifert, und in vieler Beziehung und namentlich hinsichtlich seines Badestrandes, seiner Luft und des gemüthlichen Zusammenlebens der ohne Zwang und steife Etiquette nur Eine Familie ausmachenden Badegäste übertrifft. Die Oberaufsicht über Küche und Oekonomie ist der umsichtigen und liebenswürdigen Gattin des wackern Badedirectors, des Geheimen Hofraths Westing, anvertraut, und hat sich bis jetzt nach dem Urtheil aller Kenner bei weitem des Vorzugs vor ihren Nebenbuhlerinnen in den benachbarten Seebädern erfreut.

Der letzte furchtbare Schlag traf die Insel während der grossen Wasserfluthen des Jahres 1825, welche auch die Schutzdeiche des Festlandes durchbrachen und meilenweite Strecken des fruchtbarsten Marschlandes in eine öde Wüstenei verwandelten, Häuser und Stallungen zertrümmerten, ja, manche sammt Grund und Boden fortrissen und weithin wieder absetzten, Schiffe über die Deiche weit in das Land hinein schleuderten und hunderte von Menschen und zahlreiche Heerden in den Fluthen begruben, oder die auf Deichtrümmer Geretteten vor Hunger und Kälte umkommen liessen. Die Gewalt des Wasserschwalles, der von Norden her auf die Insel einstürmte, durchriss die hohen Sanddünen, verschlang Gärten und Wiesen und den Kirchhof an der Nordseite, zertrümmerte den festen Feuerthurm (Feuerbaake), und schleuderte die Trümmer bis in die Mitte der östlichen Dünen. Noch jetzt sind zwei Stellen dieses Einbruchs durch eine Lücke in den Dünen bezeichnet. Die Gärten wurden an die Wadseite verlegt, und obschon der fruchtbare Kleiboden jetzt bis auf die letzte Spur unter einer mehrere Fuss hohen Sanddecke verschwunden ist, so gedeihen doch in diesen kleineren, zum Schutz gegen die Ueberstäubung mit Plankenzäunen von Schiffstrümmern umgebenen Gärten, bei einiger Pflege, die Gemüse und Küchengewächse vortrefflich. Auch Obstbäume, z. B. die portugiesische Kirsche, erhalten sich, wenn sie vor den Winden geschützt sind, was freilich nur an wenigen Stellen möglich ist. Die Anlagen, welche das Conversationshaus umgeben, der Vogtei- und Predigergarten beweisen dies. Die Insulaner selbst aber haben für Baumpflanzungen und Gartenanlagen wenig Sinn und scheuen die nöthige Mühe.

Gegenwärtig besteht die Insel aus lauter wellenförmig sich hebenden und senkenden Sandhügeln und Niederungen. Die ersteren erhöhen sich gegen das Ostende hin mehr und mehr. Der höchste befindet sich am Nordstrande. Von ihm übersieht man auf der einen Seite die rauschende Nordsee, die fernen Inseln Spikeroge, Langeroge und an hellen Tagen taucht selbst Helgolands rother Felsblock am Horizonte, dem scharfen Auge auch unbewaffnet erkennbar, hervor. Nach Osten hin bietet sich zur Ebbezeit der Anblick einer unabsehbaren Sandfläche, die uns in die Afrikanische Wüste versetzt, und deren Stille nur von dem fernen Rauschen des Meeres und dem heisern Schrillen der Möven und Seeschwalben unterbrochen wird. Südlich und westlich erblickt man die ganze Insel mit ihren Häusergruppen und Thürmen, die Küsten des Festlandes mit ihren Mühlen und grün umbuchten Häusergruppen, das Wad (Watt), die Rhede, die zur Zeit ungünstiger Winde mit zahlreichen Schiffen bedeckt ist, zu denen man während der Ebbe fast trocknen Fusses gelangen kann. Die äussersten Dünen sind nur mit Helmt (Strandhafer) bewachsen, und die spärlich umgrünten Kuppen sind von weissgelblichen Sandwellen umschlossen, auf deren fester Kruste man oft kaum die Spur der Tritte bemerkt. Die mehr innerhalb liegenden Hügel überdeckt ein spärlicher Rasen, der nur in den tiefen Thalschluchten und Gründen zu einem dichteren reich beblümten Teppich anwächst. Diese Dünengegend ist das Ziel gemeinsamer Spaziergänge oder Fahrten der Badegesellschaft. Auf den Hügeln oder in den Thälern lagern sich die bunten Gruppen; von den höchsten Kuppen wehen die Fahnen und Flaggen, erschallt Musik und Hörnerklang, und schreckt die silberweissen Seeschwalben und die grauen Möven von ihren Nestern, die dann hoch über den bunten Gruppen der Friedensstörer ihrer einsamen Oede, schillernd und blitzend im Sonnenglanze, ihr melancholisches Schrillen ertönen lassen; bis mit der sinkenden Sonne die Gesellschaft aufbricht und zu Wagen, zu Esel oder zu Fuss den Heimweg ins Dorf antritt.

Diese Seevögel, Möven, Seeschwalben und einige Landvögel sind das einzige Wild, welches die Insel bietet. Die wilden Kaninchen, die auf den benachbarten Inseln Langeroge und Norderney sich so zahlreich finden, sind auf Wangeroge von dem früher hier stationirten Militär und später von den Insulanern ausgerottet. Auch die Zahl der Möven hat sich sehr vermindert, da die Insulaner ihren Eiern nachspüren, deren Schaalen sie an Badegäste verkaufen.

In den Niederungen zwischen der Ostdüne und dem am Westende gelegenen Dorfe linden die Schaafheerden der Insulaner, so wie ein halbes Dutzend Kühe und die vier Pferde des Vogts, die einzigen auf der Insel, die zum Transport der Reisenden und ihres Gepäcks an die Fährschiffe, so wie zu Spazierfahrten dienen, ihre Weide, die gegen das Dorf hin, wo die Hügel allgemach verschwinden, mit weissblumigem Klee geschmückt ist. Die Zahl der Häuser des Dorfs beträgt, mit Ausschluss einer im Jahre 1832 von einem Oldenburger Kaufmann in der Mitte der Insel angelegten Salzsiederei, gegenwärtig 56, zu welchen die Gebäude des alten und neuen Conversations- und Logirhauses gehören. Das Dorf selbst liegt auf der höchsten Sandfläche, deren Veränderlichkeit durch Wind und Sturm man mittelst künstlicher Vorrichtungen, Bestickung des Bodens mit Stroh, Besäung mit Grassamen, und Belegung mit festen Kleiboden, überwunden hat. Backsteinerne Fusssteige führen seit 1821 durch alle Sandgassen des Dorfs. Die Häuser selbst haben, trotz der in Folge des Seebades seit zwanzig Jahren herbeigeführten Veränderungen, dennoch an Bauart und Einrichtung manches Eigenthümliche. Freilich sind sie jetzt nicht mehr mit Stroh, sondern mit Ziegeln gedeckt; von den drei Thüren, die ehemals hineinführten, und von denen jedes Mal die dem Winde abgewandte geöffnet wurde, findet man jetzt meistens nur noch eine an der West- oder Südseite, und die ehemalige grosse altsächsische Hausflur, die über 2/3 des ganzen Hausraumes einnahm, und in deren Mitte das gastliche Feuer des niedrigen Heerdes loderte, ist jetzt zum grossen Theil zu Logirzimmerchen verwendet. Auch giebt es schon ausser den herrschaftlichen Gebäuden des Lorgirhauses mehrere moderne, von Speculanten erbaute Wohnhäuser.

Beim Eingange in ein ächtes Insulanerhaus, das noch einige Züge seiner charakteristischen Physiognomie bewahrt hat, tritt man durch einen kleinen fast ganz zu Schlafstellen benutzten Vorraum, der indessen zuweilen auch fehlt, sogleich in die Küche, die jedoch für die Insulaner, zumal während der Badezeit, auch als Wohn- und Schlafzimmer dient. Der Rest der Familie schläft, wenn alle Zimmer vermiethet sind, entweder in dem bezeichneten kleinen Vorflur oder auf dem Dachboden. An der Küche befinden sich die Eingänge zu zwei bis drei Stuben, deren hölzerne braune und holzgetäfelte, mit Gardinen verhangene Bettverschläge, so wie die zwischen den beiden Bettverschlägen befindliche Schrankthür durchaus das Ganze als eine Kajüte erscheinen lassen.

Eine hängende Wanduhr mit hell geputzten Messingketten und Geräthen, bunte Tassen und Gläser auf Oefen und Schränken, bunte grobe schwarze Bilder, meist Holländische Naturschönheiten, Lustschlösser, oder auch Seehäfen, Schlachten und Scenen aus dem alten und neuen Testament darstellend, an deren Stelle leider! seit den letzten Jahren schlechte Steindrucke mit modernisirten Rahmen zu treten – beginnen, bilden neben einem kleinen Spiegel den Hauptschmuck und die Luxusgegenstände der Wohnung. Die breiten zweischläfrigen und dreischläfrigen Betten, ein Paar Holz- oder Schilfstühle und ein bunt gemalter Holztisch vervollständigen das Ameublement. Eine Kommode, ein Sopha und ein Kleiderschrank oder auch nur Kleiderrechen gehören zu den Seltenheiten und Luxusgegenständen, deren Existenz auf den Wohnungslisten eigends aufgeführt ist und den Miethpreis erhöht. An der einen Seite des Hauses, oder wenn dasselbe, wie oft, von zwei Familien bewohnt ist, an beiden, befinden sich die kleinen Schaafställe, welche früher unmittelbar an die Küche gränzten. Fast jedes Häuschen ist von einem kleinen eingefriedigten Gemüsegarten oder einem grünen Rasenplätzchen umgeben. Auch Blumen zieren diese Duodezgärtchen. Die grösseren Gartenplätzchen liegen ostwärts, ausserhalb des Dorfs, dem Leuchthurme zu, und sind durch Erdwälle und Plankenzäune gegen die Uebersandungen geschirmt.

Obgleich die ganze Insel aus Sand besteht, so ist doch die Unbequemlichkeit des Staubes der sandigen Gegenden des Festlandes, (man denke an Berlin und seine Umgebungen), so gut wie gar nicht vorhanden. Denn der Meersand ist äusserst grobkörnigt, frei von der feineren Auflösung des Eisensteines oder Raseneisens, die der gewöhnliche Landsand mit sich führt. Auch weht er am Strande, namentlich der von Ebbe zu Ebbe abtrocknet, beständig horizontal nahe dem Boden entlang, bis er irgend einen festen Körper berührt, der ihn anzieht. So sind die Dünenhügel entstanden, und oft bemerkt man, dass sich um einen Stock oder Reisholzzweig am andern Tage der Anfang einer Sanddüne gebildet hat. Auch ist, wie wir schon sahen, der Dünensand bei weitem nicht so unfruchtbar, wie der Sand des Festlandes, wie das die Floren von Wangeroge und Norderney lehren, welche man bei Chemnitz findet und die alle Erwartung übertreffen.


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