Viktor von Knobelsdorff
Unter Zuchthäuslern und Kavalieren
Viktor von Knobelsdorff

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Gift an Bord

Das Hauptvergnügen des Tages. – Der Auftrag des Armee-Ober-Kommandos. – Die Flugblätter des General-Kommandos. – Fliegers Ende.

Jaroslawl, Zuchthaus, Zelle 29. Der Hilfsbereitschaft eines in der Bücherei beschäftigten Sträflings verdanke ich Heft und Tintenstift. Nach Herzenslust – solange ich nicht erwischt werde – kann ich jetzt mit gefesselten Händen den ›Johann Faber‹ auf dem Papier tummeln und aus diesem Spiele eine Art Tagebuch entstehen lassen. Nach Herzenslust – aber nur dann, wenn die Arbeit mittags ruht, und meine beiden Zellengenossen schlafen. Das heißt, dem Hauptvergnügen des Tages Zügel anlegen! Es besteht in dem Bericht von diesem otium cum indignitate. Vielleicht geht er verloren. Dann ist alles in den Wind geschrieben. Es sei, wie es sei. Ich werde es erleben. Jetzt herrscht die Gegenwart, und in ihr schreibe ich zu meinem Vergnügen.

Es wird keine Beichte sein, die ich hier ablege, mit Reue und Vorsatz und sonstigen Zutaten. Ich will ein wenig plaudern. Das ist alles. Trotzdem werde ich bisweilen annähernd das sagen, was ich denke: ohne Schamgefühl eingestehen, was ich tat: wie mir die Worte grade einfallen, erzählen, was ich erlebte. Die Wahrheit des Erlebnisses soll sprechen. Nicht das Tatsächliche, denn dieses ist einzig, sein Widerhall wird gehört werden.

Wie hoch auch eine Münze in die Luft geworfen wird, sie kehrt zur Erde wieder und fällt entweder auf Kopf- oder Wappenseite. Mitunter aber schlägt sie mit der Kante auf, um erst nach einigem Schwanken und Zaudern dem Gesetz der Schwere völlig unterworfen zu werden. Der Zeit gefiel es, das gleiche Spiel mit mir zu versuchen: das Flugzeug schlug auf, und nun begann der Kampf zwischen Kopf- und Wappenseite, um Leben oder Tod. Die leblose Münze indessen gehorcht lediglich den wechselnd einwirkenden Kräften. Des Menschen Wille jedoch nützt sie oder stemmt sich ihnen entgegen, und sein Entschluß wird Schicksal und nicht das widrige Geschick. Keinem denkenden Kopf wird es daher einfallen, der Ungunst der Stunde zu grollen, mag auch in einem unbewachten Augenblick dem unlenksamen Herzen ein Seufzer noch entfliehen. Da es nun nicht in meiner Absicht liegt, einen empfindsamen Roman zu schreiben, so mag das Tränentüchlein zu Hause bleiben, es gilt die alte Regel weiter: ich schreibe zu meinem Vergnügen und »ich will nicht besser scheinen, als es sich mit mir ereignet.«

Als ich mit Ruville Anfang August 1914 im Kraftwagen saß und von der Wohnung seiner Mutter den Kurfürstendamm herunter in dies großangelegte Kaisermanöver rollte – so sprach ›man‹ damals – meinte er: »Hast Du nicht auch das Gefühl, daß wir beide sicher wiederkommen werden? Ich kann mir nicht helfen: wir kommen wieder!« – »Möglich!« erwiderte ich: »wenn die ganze Fliegerei nicht nach vier Wochen bereits auf der Nase liegt, dann hält sie auch den Feldzug durch.«

Als ich so antwortete, dachte ich an die Wahrsagerin, hinter deren Schliche ich damals im Mai kommen wollte: wie sagte sie doch? »Ich sehe Fahnen wehen, viele Fahnen wehen, als wenn Krieg wäre. Sie sind mehr international. Sie werden sich Ihren größten Ruhm im Auslande holen, aber unternehmen Sie nichts, wenn Sie das Gefühl haben: laß die Finger davon! Sie wissen, es gelingt Ihnen dann nicht. Ertrotzen können Sie es nicht. Lassen Sie es. Es hat keinen Zweck.«

Als die Kriegsschauplätze von Belgien, Frankreich, Russisch-Polen hinter mir lagen, und ich nun von Munkacs aus über den Karpathen brummte, da fing ich doch an, mir ein wenig ›international‹ vorzukommen. Warum sollte ich jetzt nicht auch dem ›Ruhme‹ entgegensteuern? Im allgemeinen Nutzen besteht der Ruhm, und je mehr ich allen nutzte, um so mehr mußte ich auch mir selber nutzen. Das geht im Kriege nicht gerade selten eben Hand in Hand: »Streite jeder für den König, und so streitet er für sich!« Etwa Mitte Januar 1915 waren wir dem neugebildeten Armee-Ober-Kommando zugeteilt worden. Der beabsichtigte Durchbruch durch die Karpathen hielt uns in Tätigkeit. Meine Freizeit verlebte ich im Hause von Frau v. Kellenyi – ich lag dort in Quartier – in ihrer und ihrer Töchter Gesellschaft. Rosika Kellenyi erklärte zwar bald, ich wäre »ein Teiferl, aber ahn herziger«, doch schien sie wenig Angst vor der Hölle zu haben. Ihre jüngere Schwester Mizzi dagegen versicherte mir in einem ungarischen Liede, daß sie an meinem Grabe weinen werde und verschenkte deshalb wohl – zu meinen Lebzeiten noch – so oft ihr sonniges Lächeln an mich – – – aber leider haben weder Rosika noch Mizzi, halloh! weder Himmel noch Hölle vermocht, mich in Ungarn festzuhalten. Am 24. Januar waren einige Herren der Abteilung von Frau v. Kellenyi gebeten worden, den Abend bei ihr zu verbringen. Am 25. Januar, 700 vormittags, sollte ich mit Ruville erneut Aufklärung fliegen. Den Auftrag hatten wir am Nachmittag des Vortages erhalten.

Gegen 530 morgens erwachte ich mit dem ausgesprochenen Gefühl, daß es heute gar keinen Zweck habe, zu fliegen: es würde doch nichts. »Was für Wetter?« fragte ich meinen Burschen, der das elektrische Licht anknipste. »Nebelig und dunstig, kein Flugwetter!« Ich hatte mir in Rohde einen tüchtigen Laubfrosch erzogen. »Fenster auf!« befahl ich. Dichter Nebel hüllte die Karpathen ein. Zweihundert Meter über der Erde standen dicke, graue, fast unbewegliche Wolkenschichten. Es war ausgeschlossen, daß sich das Wetter in anderthalb Stunden wesentlich besserte. »Na, da kannst du ja mit Vertrauen in die Zukunft blicken. Ich habe heute aber auch gar keine Lust, weiß der Teufel!« dachte ich ...

Rohde reichte mir die Karte in den Kraftwagen hinein. Ich sauste nach dem Flugplatz.

»Das A.O.K. will, daß der ganze Raum, wenn irgend möglich, abgeflogen wird!« – »Ausgeschlossen. Es ist absolut nichts zu sehen. Vor drei Stunden ist an einen Start überhaupt nicht zu denken, und auch dann ist er noch ungewiß.« – »Also melde ich dem A.O.K., daß Sie erst gegen 1000 fliegen.« – »Sowie es halbwegs möglich ist, fliegen wir.«

Zu Haus warf ich mich aufs Bett und ärgerte mich. Rohde machte die Fensterläden zu. Doch ich konnte nicht schlafen. Meine Laune blieb schlecht, und um mich zu erheitern, durfte ich aufs Wetter warten. Es war zum Auswachsen.

»Das Auto ist da!« – »Was für Wetter?« – »Zum Fliegen ist es noch nichts.« Die Wolken sind höher geklettert. Der untere Teil der Karpathen ist sichtbar. Das obere Drittel des Stoy und seines Gebirgsmassivs liegt in dichten Nebelschleiern. Hinter dieser Wand von Schnee und Wolken lag mein Abschnitt. Er war mir nicht unbekannt. Auch heute sollte es tief hinein ins Land gehen und in weitem Bogen zurück. Unter drei Stunden war es nicht zu leisten. Wenn das aber mit dem Wetter nicht bald anders wurde, dann konnte auch bei heiterstem Sonnenschein der ganze Raum nicht abgeflogen werden, und das – ging wider den Ehrgeiz.

«Fliegen Sie?« – »Es geht noch immer nicht. Die Sicht ist gleich Null. Wir rennen uns die Köpfe an den Bergen ein.« – »Das A.O.K. legt den größten Wert auf den Flug und will, daß unter allen Umständen geflogen wird!« – »Sowie es die Wetterlage erlaubt, fliegen wir, selbstverständlich. Wir kommen gegen 12 wieder heraus.«

Ich stieg mit Ruville abermals in den Kraftwagen; er sollte mich nachher auch abholen. Zu Haus fing ich an, einen Brief zu schreiben. Er gefiel mir nicht. Die Worte saßen wie angeleimt in der Feder. Ich steckte es auf. Dieses Gewarte war abscheulich.

Mizzi Kellenyi trat ins Zimmer. Wir verabredeten eine Ausfahrt. Dann kam Besuch. Irgend so ein verkleideter Zivilist, der vorgab, Soldat zu sein. Ich warf einen Blick auf die Uhr und verabschiedete mich. Ruville mußte gleich kommen. Ich zog den Feldrock an und schlüpfte in den Ledermantel. Als ich die Mütze aufsetzte, meldete sich das Auto. Zum dritten Male heute ging es nach dem Flugplatz.

»Ich bleibe gleich sitzen. Sag', daß es gar keinen Sinn hat!« – »Schön!« rief ich zurück. Das Wetter ist besser geworden, aber noch immer ist es kein Flugwetter; nein, Flugwetter ist es nicht; im Gebirge hindert noch immer Nebel die Sicht. Deshalb überläßt der Führer dem Wagemut den Entschluß und fragt: »Sie kennen Ihren Auftrag. Das A.O.K. rechnet mit Ihrem Fluge. Fliegen Sie?« Zum letzten Male prüft der Blick den Himmel und die wallenden Nebel über den Karpathen. Strahlend steht die Sonne über der Ebene und schickt sich an, die Wollenschleier vom schneeigen Haar des Stoy zu reißen. Nicht lange mehr, und die letzten Hüllen müssen von seinem Haupte fallen. Aber schon zieht, noch weit hinten, vom fernsten Horizont, ein dunkler Strich herauf, der binnen kurzem sich in die Schwingen der Nacht verwandelt haben wird und wehe dem, den der dunkle Fittich im Gebirge in seinen Schatten bannt. Da handelt es sich jetzt nicht mehr allein ums Fliegen, es geht jetzt auch ums Wiederkommen. Denn das A. O. K. will die Meldung, nichts anderes will es, will mit meinen Augen die Lage beim Feinde einsehen; die zu erkunden, waren wir ausgesucht; die Erkundung durchzuführen und die Nachrichten über den Gegner zurückzubringen, das war unsere Sache. Konnten wir es uns zutrauen, durch alle Fährnisse glatt hindurchzukommen? Ja, entschied ich. Wir konnten es. Da raunte eine innere Stimme mir ins Ohr: »Flieg' nicht, flieg' nicht!« ... »Flieg' nicht!« flehte sie. »Flieg' nicht! es hat keinen Zweck,« so warnte sie.

Inzwischen war Ruville herangekommen. »Wir müssen sofort fliegen,« empfing ich ihn. »wir können es schaffen.« – »Gut,« sagte er, »also fliegen wir. Ich dachte es mir gleich, daß Du's doch tun würdest, als ich Dich den Himmel mustern sah.« – »Maschine raus!«

Im Nu rollen die Startmannschaften den Doppeldecker aus dem Zelt, wir nehmen unsere Sitze ein, der Motor holt auf. »Fertig!« winke ich. »Halt!« heißt es vom Platz.

Ein Ordonnanzoffizier vom k. u. k. Korps Hofmann ist eingetroffen. Flugblätter sollen abgeworfen werden. Soweit ich sehen kann: er hat ein ganzes Auto voll mitgebracht.

»Können Sie sie mitnehmen?« – »Den ganzen Laden nicht! Schnell her damit, wir haben keine Minute mehr zu verlieren!« Ich werfe aus der Maschine alles heraus, was ich entbehren kann, nehme ein Riesenpaket Literatur an Bord und ab brummen wir. Die üblichen Platzrunden fallen weg. In schneidend scharfer Luftlinie geht es direkt auf den Stoy los.

Das Flugzeug saust mit einer Geschwindigkeit von etwas mehr als 100 km durch die klare Januarluft. Im Handumdrehen haben wir das Gebirge erreicht. Nun heißt es klettern. Doch der Doppeldecker tut's nur widerwillig. Woran mag es liegen? Die Verspannung ist in Ordnung. Ob wir zu schwer sind? Wie gut, daß ich vorhin die Bomben und auch den Karabiner noch herausgeworfen habe! Trotzdem kriecht der Zeiger des Höhenmessers unendlich langsam aufwärts, und das Gelände unter uns rückt beängstigend näher. Kommen wir in glattem Anlauf über den Stoy?

Leichte Wolkenkinder hatten soeben einen letzten Reigen um des Alten Haupt getanzt und sich dann mit den feurigen Sonnenstrahlen vermählt. Nun blitzen und blenden Myriaden glitzernder Schneekristalle zum Himmel empor und überschütten das Auge mit einem Funkenfeuerwerk unerhörter Licht- und Farbenerscheinungen. Die Wunderwelt des winterlichen Gebirges hat sich weit aufgetan, doch jetzt ist nicht die Zeit dazu, sich ihr hinzugeben.

Unablässig, mit Sporn und Peitsche: Verwindung und Höhensteuer, müht sich Ruville hinter mir, die Maschine unentwegt steigen zu lassen, denn wir müssen schnurgerade über den Kamm, sollen nicht kostbare Minuten verloren gehen. Jetzt: noch eine Nachhilfe und noch eine, und ein unübersehbares Schneefeld sprüht wenige Meter unter uns Brillantfeuer.

Vor uns liegen die eigenen Stellungen, dort drüben die der Russen. Wir stoßen auf sie herab. Dreihundert Meter über dem Feind suchen uns die ersten Geschoße. Als Antwort flattern meine Flugblätter im Winde. Wie häßlich sie heute aussehen! Wollt ihr wohl herunter, Bande! Unten sollt ihr wirken, hier habt ihr nichts verloren!

War das nicht eben, als ob des Motors Atemholen nicht ganz rein ertönte? Na, das fehlte gerade! Alle Nerven spannen sich, und das lauschende Gehör löst das betäubende Geknatter der Explosionen in den regelmäßigen Gang der sechs Zylinder auf: eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs. Nerven, denke ich, die den Sonnabend noch nicht verwunden haben. Fünfundvierzig Minuten ging da die Reise mit aussetzendem Motor über die Karpathen hin, ein Vergnügen, von dem ich nur dringend abraten kann und das auch keineswegs dadurch an Reiz gewinnt, daß der Feind mit allem, was er gerade zur Verfügung hat, auf dich schießt und – trifft.

Auch heute lassen die uns begegnenden russischen Kolonnen es sich nicht nehmen, ein wildes Feuer auf uns abzugeben. Wir können sie daran nicht hindern, also mögen sie es tun: »Das Glück ist ein Weib, und man hat es noch immer in der Gesellschaft von jungen Leuten gesehen!«

Wieder ist es Zeit, einige von meinen häßlichen Vögeln flattern zu lassen. »Was steht denn auf den Wischen?« fragt Ruville. »Weiß nicht – kann's nicht lesen; Russisch: am Ende eine lange Unterschrift.« Na, glückliche Reise! Die Schriftgelehrten werden euch schon entziffern!

Immer tiefer in den Feind hinein jagt das Flugzeug und erkundet sein geheimstes Wollen. Das liegt vor uns offen. Kein Schleier verbirgt es. Das A. O. K. wird mehr noch als zufrieden sein!

1500 m absolute Höhe zeigt der Höhenmesser. Donnerwetter, die Kiste hält sich miserabel! 1500 in absolute Höhe, das bedeutete in Frankreich ein halbes Dutzend Löcher in der Maschine; heute brummen wir in 2–300 m relativer Höhe über dem Feind und sind noch ganz! Das Glück ist ein Weib.

Eine Batterie versucht, uns zu treffen. Ich zähle die Geschütze. Ruville schreit etwas. »Wie?« – »Motor läßt nach!« wiederholt er. Verdammte Schweinerei! »Kehrt! Nach Hause!« gebe ich zurück. Das Flugzeug wendet. Der Motor fängt an, leise zu klopfen. Das heißt auf deutsch: gleich ist es aus! Es dauert auch nicht mehr lange, da wird das Klopfen stärker. »Motor frißt!« rufe ich Ruville zu. Deutlich ist jetzt zu hören, wie der Motor nach Atem ringt. Vergebens setzt er sich zur Wehr, ein neuer Erstickungsanfall überfällt ihn, die Umdrehungen des Propellers verlangsamen sich, ein letztes Aufbäumen noch, und der Motor ist tot. Da haben wir den Salat! Schwere Notlandung steht uns bevor. »Sieh' zu, was Du machen kannst!« wende ich mich an Ruville. »Russische Gefangenschaft!« antwortet er. Ein Achselzucken ist die Erwiderung.

Zwischen Bergwänden rechts und links gleitet die Maschine. Rechts öffnet sich ein Tal. Abbiegen denke ich, Ruville denkt dasselbe, der Doppeldecker neigt sich in die Kurve und folgt der neuen Straße.

Inzwischen sind die letzten Flugblätter herausgeflogen: kann ich uns nicht mehr nützen, so kann ich doch noch dem Feinde schaden. Jetzt heraus aus der Maschine, was nicht niet- und nagelfest ist. Was an mir liegt, der Gegner soll nichts finden, was er gebrauchen könnte.

Wir stehen vor einer Bergwand. Wendung! Wir müssen landen, aber wo? Dort drüben, da, wo das Haus steht! Lautlos nähert sich das Flugzeug dem flimmernden Schneefeld, an dessen Rande der einsame Hof liegt, gleitet darüber hinweg, setzt auf und – einen Herzschlag später stehen wir im knietiefen Schnee Kopf. Glückliche Landung! Der Propeller liegt zersplittert, die rechte Zelle ist geknickt.

Raus aus der Kiste! Umschau. Von der Talstraße jagt eine Kosakenpatrouille im Galopp heran. Was tun? Zunächst die Flugbekleidung vom Leibe, denn in ihr bin ich bewegungsunfähig. Also rein ins Haus. Der Ledermantel fliegt auf den Tisch, raus aus den hohen Filzstiefeln, die Kombination bleibt auf dem Boden liegen, an den Mantel, und – »Kosaken!« ruft die Frau des Gebirglers von der Türe her. »Hast, Du Deine Browning?« frage ich Ruville, als wir den Hang hinunterlaufen, »ich habe nichts.« Drüben winkt ein Wald. Wenn wir den erreichen könnten! 1500 m Luftlinie. Der Schnee liegt mehr als knietief. Ich trete in irgend ein Loch und schlage lang hin. Auf! Weiter! Langsamer. Wir klettern eine Bergwand hoch. Die halbe Höhe haben wir hinter uns. Da – Sst, Sst! zischt es an uns vorbei; gleichzeitig dringt der Peitschenknall Gewehrfeuers in unser Ohr. Im Nu versinken wir im Schnee. Sst, Sst! schlägt es rechts, links, vor uns ein. Was nun? Ewig können wir doch nicht so liegen bleiben! Sollen wir auf den Heldentod warten? Die Kerle schießen schlechter als blinde Rekruten: wahrscheinlich erfrieren wir eher, als daß sie uns ins Leben treffen. Oder sollen wir warten, bis sich eine Kugel irgendwohin verirrt ins Bein, in'n Arm, oder wo sonst gerade Platz ist? Und was dann? Soll ich mit Schneebällen das Feuer erwidern? Oder soll ich mir mit einem Faustschlage die Backzähne ausbrechen und sie dem Gegner an den Schädel werfen? Kann ich ihn mit Papiergeld bestechen, oder soll ich es mit meiner einzigen Goldplombe versuchen? Was soll ich tun?

Die Kosaken halten, abgesessen die einen, die andern zu Pferde und schießen aus 150 m Entfernung auf uns, schießen in einemfort. Wo sie bloß die viele Munition her haben?

»Meine kleine Browning trägt nicht so weit,« sagt Ruville, »außerdem hat's keinen Zweck.« – »Na, denn los!« grolle ich: wir stehen auf, die Kosaken schießen weiter.

Die Hände in die Manteltaschen vergraben, gehen wir auf sie zu. Sst, Sst! zischt es an uns vorbei. Schießt doch nicht so blödsinnig, wir tun euch nichts, winken wir. Auf keine dreißig Schritt sind wir an sie heran, da stellen sie das Feuern ein. Kopfschüttelnd betrachten sie ihre Flinten und begreifen das Wunder nicht, daß wir heil vor ihnen stehen. Ich sehe nach der Uhr: 143 nachmittags.


 << zurück weiter >>