Heinrich von Kleist
Die Familie Schroffenstein
Heinrich von Kleist

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Fünfter Aufzug

Erste Szene

Das Innere einer Höhle. Es wird Nacht. Agnes mit einem Hute, in zwei Kleidern. Das Überkleid ist vorne mit Schleifen zugebunden. Barnabe. Beide stehen schüchtern an einer Seite des Vordergrundes.

Agnes.
Hättst du mir früher das gesagt! Ich fühle
Mich sehr beängstigt, möchte lieber, daß
Ich nicht gefolgt dir wäre. – Geh noch einmal
Hinaus, du Liebe, vor den Eingang, sieh,
Ob niemand sich der Höhle nähert.

Barnabe (die in den Hintergrund gegangen ist). Von
Den beiden Rittern seh ich nichts.

Agnes (mit einem Seufzer).                   Ach Gott!
– Hab Dank für deine Nachricht.

Barnabe.                                               Aber von
Dem schönen Jüngling seh ich auch nichts.

Agnes.                                                                 Siehst
Du wirklich nichts? Du kennst ihn doch?

Barnabe.                                                          Wie mich.

Agnes.
So sieh nur scharf hin auf den Weg.

Barnabe.                                                   Es wird
Sehr finster schon im Tal, aus allen Häusern
Seh ich schon Lichter schimmern und Kamine.

Agnes.
Die Lichter schon? So ists mir unbegreiflich.

Barnabe.
Wenn einer käm, ich könnt es hören, so
Geheimnis-still gehts um die Höhen.

Agnes.
Ach, nun ists doch umsonst. Ich will nur lieber
Heimkehren. Komm. Begleite mich.

Barnabe.                                                     Still! Still!
Ich hör ein Rauschen – wieder. – – Ach, es war
Ein Windstoß, der vom Wasserfalle kam.

Agnes.
Wars auch gewiß vom Wasserfalle nur?

Barnabe.
Da regt sich etwas Dunkles doch im Nebel. –

Agnes.
Ists einer? Sind es zwei?

Barnabe.                                 Ich kann es nicht
Genau erkennen. Aber menschliche
Gestalten sind es – – Ah!

(Beide Mädchen fahren zurück. Ottokar tritt auf, und fliegt in Agnes' Arme.)

Ottokar.
O Dank, Gott! Dank für deiner Engel Obhut!
So lebst du Mädchen?

Agnes.                                  Ob ich lebe?

Ottokar.                                                    Zittre
Doch nicht, bin ich nicht Ottokar?

Agnes.                                                      Es ist
So seltsam alles heute mir verdächtig,
Der fremde Bote, dann dein spät Erscheinen,
Nun diese Frage. – Auch die beiden Ritter,
Die schon den ganzen Tag um diese Höhle
Geschlichen sind.

Ottokar.                       Zwei Ritter?

Agnes.                                               Die sogar
Nach mir gefragt.

Ottokar.                       Gefragt? Und wen?

Agnes.                                                           Dies Mädchen,
Die es gestanden, daß sie ins Gebirg
Mich rufe.

Ottokar (zu Barnabe).
                  Unglückliche!

Agnes.                                       Was sind denn das
Für Ritter?

Ottokar (zu Barnabe). Wissen sie, daß Agnes hier
In dieser Höhle?

Barnabe.                     Das hab ich nicht gestanden.

Agnes.
Du scheinst beängstigt, Ottokar, ich werd
Es doppelt. Kennst du denn die Ritter?

Ottokar (steht in Gedanken).

Agnes.                                                             Sind sie –
– Sie sind doch nicht aus Rossitz? Sind doch nicht
Geschickt nach mir? Sind keine Mörder doch?

Ottokar (mit einem plötzlich heitern Spiel).
Du weißt ja, alles ist gelöst, das ganze
Geheimnis klar, dein Vater ist unschuldig. –

Agnes.
So wär es wahr –?

Ottokar.                           Bei diesem Mädchen fand
Ich Peters Finger, Peter ist ertrunken,
Ermordet nicht. – Doch künftig mehr. Laß uns
Die schöne Stunde innig fassen. Möge
Die Trauer schwatzen, und die Langeweile,
Das Glück ist stumm.
(Er drückt sie an seine Brust.)
                                    Wir machen diese Nacht
Zu einem Fest der Liebe, willst du? Komm.
(Er zieht sie auf einen Sitz.)
In kurzem, ist der Irrtum aufgedeckt,
Sind nur die Väter erst versöhnt, darf ich
Dich öffentlich als meine Braut begrüßen.
– Mit diesem Kuß verlobe ich mich dir.
(Er steht auf, zu Barnabe heimlich.)
Du stellst dich an den Eingang, hörst du? Siehst
Du irgend jemand nahe, so rufst du gleich.
– Noch eins. Wir werden hier die Kleider wechseln,
In einer Viertelstunde führst du Agnes
In Männerkleidern heim. Und sollte man
Uns überraschen, tust dus gleich. – Nun geh.

(Barnabe geht in den Hintergrund. Ottokar kehrt zu Agnes zurück.)

Agnes.
Wo geht das Mädchen hin?

Ottokar (setzt sich).                     Ach! Agnes! Agnes!
Welch eine Zukunft öffnet ihre Pforte!
Du wirst mein Weib, mein Weib! weißt du denn auch
Wie groß das Maß von Glück?

Agnes (lächelnd).                              Du wirst es lehren.

Ottokar.
Ich werd es! O du Glückliche! Der Tag,
Die Nacht vielmehr ist nicht mehr fern. Es kommt, du weißt,
Den Liebenden das Licht nur in der Nacht
– Errötest du?

Agnes.                     So wenig schützt das Dunkel?

Ottokar.
Nur vor dem Auge, Törin, doch ich sehs
Mit meiner Wange, daß du glühst. – Ach, Agnes!
Wenn erst das Wort gesprochen ist, das dein
Gefühl, jetzt eine Sünde, heiligt – – Erst
Im Schwarm der Gäste, die mit Blicken uns
Wie Wespen folgen, tret ich zu dir, sprichst
Du zwei beklemmte Worte, wendest dann
Viel schwatzend zu dem Nachbar dich. Ich zürne
Der Spröden nicht, ich weiß es besser wohl.
Denn wenn ein Gast, der von dem Feste scheidet,
Die Türe zuschließt, fliegt, wo du auch seist,
Ein Blick zu mir herüber, der mich tröstet.
Wenn dann der Letzte auch geschieden, nur
Die Väter und die Mütter noch beisammen –
– »Nun, gute Nacht, ihr Kinder!« – Lächelnd küssen
Sie dich, und küssen mich – wir wenden uns,
Und eine ganze Dienerschaft mit Kerzen
Will folgen. »Eine Kerze ist genug,
Ihr Leute«, ruf ich, und die nehm ich selber,
Ergreife deine, diese Hand. (Er küßt sie.)
– Und langsam steigen wir die Treppe, stumm,
Als wär uns kein Gedanke in der Brust,
Daß nur das Rauschen sich von deinem Kleide,
Noch in den weiten Hallen hören läßt.
Dann – – Schläfst du, Agnes?

Agnes.                                              – Schlafen?

Ottokar.                                                                Weil du plötzlich
So still. – Nun weiter. Leise öffne ich
Die Türe, schließe leise sie, als wär
Es mir verboten. Denn es schauert stets
Der Mensch, wo man als Kind es ihm gelehrt.
Wir setzen uns. Ich ziehe sanft dich nieder,
Mit meinen Armen stark umspann ich dich,
Und alle Liebe sprech ich aus mit einem,
Mit diesem Kuß.
(Er geht schnell in den Hintergrund; zu Barnabe heimlich.)
                             So sahst du niemand noch?

Barnabe.
Es schien mir kürzlich fast, als schlichen zwei
Gestalten um den Berg.

(Ottokar kehrt schnell zurück.)

Agnes.                                     Was sprichst du denn
Mit jenem Mädchen stets?

Ottokar (hat sich wieder gesetzt). Wo blieb ich stehen?
Ja, bei dem Kuß. – Dann kühner wird die Liebe,
Und weil du mein bist – bist du denn nicht mein?
So nehm ich dir den Hut vom Haupte (er tuts), störe
Der Locken steife Ordnung (er tuts), drücke kühn
Das Tuch hinweg (er tuts), du lispelst leis: o lösche
Das Licht! Und plötzlich, tief verhüllend, webt
Die Nacht den Schleier um die heilge Liebe,
Wie jetzt.

Barnabe (aus dem Hintergrunde).
                 O Ritter! Ritter!

Agnes (sieht sich ängstlich um).

Ottokar (Fällt ihr ins Wort).     Nun entwallt
Gleich einem frühling-angeschwellten Strom
Die Regung ohne Maß und Ordnung – schnell
Lös ich die Schleife, schnell noch eine (er tuts), streife dann
Die fremde Hülle leicht dir ab (er tuts).

Agnes.                                               O Ottokar,
Was machst du? (Sie fällt ihm um den Hals.)

Ottokar (an dem Überkleide beschäftigt).
                            Ein Gehülfe der Natur
Stell ich sie wieder her. Denn wozu noch
Das Unergründliche geheimnisvoll
Verschleiern? Alles Schöne, liebe Agnes,
Braucht keinen andern Schleier, als den eignen,
Denn der ist freilich selbst die Schönheit.

Barnabe.                                                             Ritter! Ritter!
Geschwind!

Ottokar (schnell auf, zu Barnabe).
                     Was gibts?

Barnabe.                                 Der eine ging zweimal
Ganz nah vorbei, ganz langsam.

Ottokar.                                               Hat er dich gesehn?

Barnabe.
Ich fürcht es fast.

(Ottokar kehrt zurück.)

Agnes (die aufgestanden ist). Was rief das Mädchen denn
So ängstlich?

Ottokar.                Es ist nichts.

Agnes.                                         Es ist etwas.

Ottokar.
Zwei Bauern ja, sie irrten sich. – Du frierst,
Nimm diesen Mantel um.
(Er hängt ihr seinen Mantel um.)

Agnes.                                       Du bist ja seltsam.

Ottokar.
So, so. Nun setze dich.

Agnes (setzt sich).                 Ich möchte lieber gehn.

Ottokar (der vor ihr steht).
Wer würde glauben, daß der grobe Mantel
So Zartes deckte, als ein Mädchenleib!
Drück Ich dir noch den Helm auf deine Locken,
Mach ich auch Weiber mir zu Nebenbuhlern.

Barnabe (kommt zurück, eilig).
Sie kommen! Ritter! Sie kommen!

(Ottokar wirft schnell Agnes' Oberkleid über, und setzt ihren Hut auf.)

Agnes.
Wer soll denn kommen? – Ottokar, was machst du?

Ottokar (im Ankleiden beschäftigt).
Mein Vater kommt. –

Agnes.                                 O Jesus! (Will sinken.)

Ottokar (faßt sie).                             Ruhig. Niemand
Fügt dir ein Leid, wenn ohn' ein Wort zu reden,
Du dreist und kühn in deiner Männertracht
Hinaus zur Höhle gehst. Ich bleibe. – Nein,
Erwidre nichts, ich bleib. Es ist nur für
Den ersten Anfall.

(Rupert und Santing erscheinen.)

                              Sprecht kein Wort und geht sogleich.

(Die Mädchen gehen.)

Rupert (tritt Agnes in den Weg).
Wer bist du? Rede!

Ottokar (tritt vor, mit verstellter Stimme).
                                 Sucht ihr Agnes? Hier bin ich.
Wenn ihr aus Warwand seid, so führt mich heim.

Rupert (während die Mädchen nun abgehen).
Ich fördre dein Gespenst zu deinem Vater!
(Er ersticht Ottokar; der fällt ohne Laut. Pause.)

Rupert (betrachtet starr die Leiche).
Santing! Santing! – Ich glaube, sie ist tot.

Santing.
Die Schlange hat ein zähes Leben. Doch
Beschwör ichs fast. Das Schwert steckt ihr im Busen.

Rupert (fährt sich mit der Hand übers Gesicht).
Warum denn tat ichs, Santing? Kann ich es
Doch gar nicht finden im Gedächtnis. –

Santing.                                                           Ei,
Es ist ja Agnes.

Rupert.                      Agnes, ja, ganz recht,
Die tat mir Böses, mir viel Böses, o
Ich weiß es wohl. – – Was war es schon?

Santing.                                                               Ich weiß
Nicht, wie dus meinst. Das Mädchen selber hat
Nichts Böses dir getan.

Rupert.                                  Nichts Böses? Santing!
Warum denn hätt ich sie gemordet? Sage
Mir schnell, ich bitte dich, womit sie mich
Beleidigt, sags recht hämisch – Basiliske,
Sieh mich nicht an, sprich, Teufel, sprich, und weißt
Du nichts, so lüg es!

Santing.                            Bist du denn verrückt?
Das Mädchen ist Sylvesters Tochter.

Rupert.                                                        So,
Sylvesters. – Ja, Sylvesters, der mir Petern
Ermordet hat. –

Santing.                       Den Herold und Johann.

Rupert.
Johann, ganz recht – und der mich so infam
Gelogen hat, daß ich es werden mußte.
(Er zieht das Schwert aus dem Busen Ottokars.)
Rechtmäßig wars. –
                                Gezücht der Otter!
(Er stößt den Körper mit dem Fuße.)

Santing (an dem Eingang).
Welch eine seltsame Erscheinung, Herr!
Ein Zug mit Fackeln, gleich dem Jägerheer,
Zieht still von Warwand an den Höhn herab.

Rupert.
Sie sind, wies scheint, nach Rossitz auf dem Wege.

Santing.
Das Ding ist sehr verdächtig.

Rupert.                                           Denkst du an
Sylvester?

Santing.             Herr, ich gebe keine Nuß
Für eine andre , Meinung. Laß uns schnell
Heimkehren, in zwei Augenblicken wärs
Nicht möglich mehr.

Rupert.                              Wenn Ottokar nur ihnen
Nicht in die Hände fällt. – Ging er nicht aus
Der Höhle, als wir kamen?

Santing.                                       Und vermutlich
Nach Haus; so finden wir ihn auf dem Wege. Komm!

(Beide ab. Agnes und Barnabe lassen sich am Eingange sehen.)


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