Heinrich von Kleist
Die Familie Schroffenstein
Heinrich von Kleist

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Erster Aufzug

Erste Szene

Rossitz. Das Innere einer Kapelle. Es steht ein Sarg in der Mitte; um ihn herum Rupert, Eustache, Ottokar, Jeronimus, Ritter, Geistliche, das Hofgesinde und ein Chor von Jünglingen und Mädchen. Die Messe ist soeben beendigt.

Chor der Mädchen (mit Musik).
Niedersteigen,
Glanzumstrahlet,
    Himmelshöhen zur Erd herab,
Sah ein Frühling
Einen Engel.
    Nieder trat ihn ein frecher Fuß.

Chor der Jünglinge.
Dessen Thron die weiten Räume decken,
Dessen Reich die Sterne Grenzen stecken,
Dessen Willen wollen wir vollstrecken,
Rache! Rache! Rache! schwören wir.

Chor der Mädchen.
Aus dem Staube
Aufwärts blickt' er
    Milde zürnend den Frechen an;
Bat, ein Kindlein,
Bat um Liebe.
    Mörders Stahl gab die Antwort ihm.

Chor der Jünglinge (wie oben).

Chor der Mädchen.
Nun im Sarge,
Ausgelitten,
    Faltet blutige Händlein er,
Gnade betend
Seinem Feinde.
    Trotzig stehet der Feind und schweigt.

Chor der Jünglinge (wie oben).

(Während die Musik zu Ende geht, nähert sich die Familie und ihr Gefolge dem Altar.)

Rupert.
Ich schwöre Rache! Rache! auf die Hostie,
Dem Haus Sylvesters, Grafen Schroffenstein.
(Er empfängt das Abendmahl.)
Die Reihe ist an dir, mein Sohn.

Ottokar.                                             Mein Herz
Trägt wie mit Schwingen deinen Fluch zu Gott.
Ich schwöre Rache, so wie du.

Rupert.                                             Den Namen,
Mein Sohn, den Namen nenne.

Ottokar.                                         Rache schwör ich,
Sylvestern Schroffenstein!

Rupert.                                     Nein irre nicht.
Ein Fluch, wie unsrer, kömmt vor Gottes Ohr
Und jedes Wort bewaffnet er mit Blitzen.
Drum wäge sie gewissenhaft. - Sprich nicht
Sylvester, sprich sein ganzes Haus, so hast
Dus sichrer.

Ottokar.             Rache! schwör ich, Rache!
Dem Mörderhaus Sylvesters.
(Er empfängt das Abendmahl.)

Rupert.                                           Eustache,
Die Reihe ist an dir.

Eustache.                         Verschone mich,
Ich bin ein Weib –

Rupert.                           Und Mutter auch des Toten.

Eustache.
O Gott! Wie soll ein Weib sich rächen?

Rupert.                                                           In
Gedanken. Würge
Sie betend. (Sie empfängt das Abendmahl.)

(Rupert führt Eustache in den Vordergrund. Alle folgen.)

Rupert.
Ich weiß, Eustache, Männer sind die Rächer –
Ihr seid die Klageweiber der Natur.
Doch nichts mehr von Natur.
Ein hold ergötzend Märchen ists der Kindheit,
Der Menschheit von den Dichtern, ihren Ammen,
Erzählt. Vertrauen, Unschuld, Treue, Liebe,
Religion, der Götter Furcht sind wie
Die Tiere, welche reden. – Selbst das Band,
Das heilige, der Blutsverwandtschaft riß,
Und Vettern, Kinder eines Vaters, zielen,
Mit Dolchen zielen sie auf ihre Brüste.
Ja sieh, die letzte Menschenregung für
Das Wesen in der Wiege ist erloschen.
Man spricht von Wölfen, welche Kinder säugten,
Von Löwen, die das Einzige der Mutter
Verschonten. – Ich erwarte, daß ein Bär
An Oheims Stelle tritt für Ottokar.
Und weil doch alles sich gewandelt, Menschen
Mit Tieren die Natur gewechselt, wechsle
Denn auch das Weib die ihrige – verdränge
Das Kleinod Liebe, das nicht üblich ist,
Aus ihrem Herzen, um die Folie,
Den Haß, hineinzusetzen.
                                        Wir
Indessen tuns in unsrer Art. Ich biete
Euch, meine Lehensmänner, auf, mir schnell
Von Mann und Weib und Kind, und was nur irgend
Sein Leben lieb hat, eine Schar zu bilden.
Denn nicht ein ehrlich offner Krieg, ich denke,
Nur eine Jagd wirds werden, wie nach Schlangen.
Wir wollen bloß das Felsenloch verkeilen,
Mit Dampfe sie in ihrem Nest ersticken,
– Die Leichen liegen lassen, daß von fernher
Gestank die Gattung schreckt, und keine wieder
In einem Erdenalter dort ein Ei legt.

Eustache.
O Rupert, mäßge dich! Es hat der frech
Beleidigte den Nachteil, daß die Tat
Ihm die Besinnung selbst der Rache raubt,
Und daß in seiner eignen Brust ein Freund
Des Feindes aufsteht wider ihn, die Wut –
Wenn dir ein Garn Sylvester stellt, du läufst
In deiner Wunde blindem Schmerzgefühl
Hinein. – Könntst du nicht prüfen mindestens
Vorher, aufschieben noch die Fehde. – Ich
Will nicht den Arm der Rache binden, leiten
Nur will ich ihn, daß er so sichrer treffe.

Rupert.
So, meinst du, soll ich warten, Peters Tod
Nicht rächen, bis ich Ottokars, bis ich
Auch deinen noch zu rächen hab – Aldöbern!
Geh hin nach Warwand, kündge ihm den Frieden auf.
– Doch sags ihm nicht so sanft, wie ich, hörst du?
Nicht mit so dürren Worten – Sag daß ich
Gesonnen sei, an seines Schlosses Stelle
Ein Hochgericht zu bauen. – Nein, ich bitte,
Du mußt so matt nicht reden – Sag ich dürste
Nach sein und seines Kindes Blute, hörst du?
Und seines Kindes Blute.

(Er bedeckt sich das Gesicht; ab, mit Gefolge, außer Ottokar und Jeronimus.)

Jeronimus.
Ein Wort, Graf Ottokar.

Ottokar.                                 Bist dus, Jerome?
Willkommen! Wie du siehst, sind wir geschäftig,
Und kaum wird mir die Zeit noch bleiben, mir
Die Rüstung anzupassen. – Nun, was gibts?

Jeronimus.
Ich komm aus Warwand.

Ottokar.                                 So? Aus Warwand? Nun?

Jeronimus.
Bei meinem Eid, ich nehme ihre Sache.

Ottokar.
Sylvesters? Du?

Jeronimus.                 Denn nie ward eine Fehde
So tollkühn rasch, so frevelhaft leichtsinnig
Beschlossen, als die eur'.

Ottokar.                                   Erkläre dich.

Jeronimus.
Ich denke, das Erklären ist an dir.
Ich habe hier in diesen Bänken wie
Ein Narr gestanden,
Dem ein Schwarzkünstler Faxen vormacht.

Ottokar.                                                             Wie?
Du wüßtest nichts?

Jeronimus.                       Du hörst, ich sage dir,
Ich komm aus Warwand, wo Sylvester, den
Ihr einen Kindermörder scheltet,
Die Mücken klatscht, die um sein Mädchen summen.

Ottokar.
Ja so, das war es. – Allerdings, man weiß,
Du giltst dem Hause viel, sie haben dich
Stets ihren Freund genannt, so solltest du
Wohl unterrichtet sein von ihren Wegen.
Man spricht, du freitest um die Tochter – Nun,
Ich sah sie nie, doch des Gerüchtes Stimme
Rühmt ihre Schönheit! Wohl. So ist der Preis
Es wert. –

Jeronimus.         Wie meinst du das?

Ottokar.                                           Ich meine, weil –

Jeronimus.
Laß gut sein, kann es selbst mir übersetzen.
Du meinest, weil ein seltner Fisch sich zeigt
Der doch zum Unglück bloß vom Aas sich nährt,
So schlüg ich meine Ritterehre tot,
Und hing' die Leich an meiner Lüste Angel
Als Köder auf –

Ottokar.                     Ja, grad heraus, Jerome!
Es gab uns Gott das seltne Glück, daß wir
Der Feinde Schar leichtfaßlich, unzweideutig,
Wie eine runde Zahl erkennen. Warwand,
In diesem Worte liegts, wie Gift in einer Büchse;
Und weils jetzt drängt, und eben nicht die Zeit,
Zu mäkeln, ein zweideutig Körnchen Saft
Mit Müh herauszuklauben, nun so machen
Wirs kurz, und sagen: du gehörst zu Warwand.

Jeronimus.
Bei meinem Eid, da habt ihr recht. Niemals
War eine Wahl mir zwischen euch und ihnen;
Doch muß ich mich entscheiden, auf der Stelle
Tu ichs, wenn so die Sachen stehn. Ja sieh,
Ich spreng auf alle Schlösser im Gebirg,
Empöre jedes Herz, bewaffne, wo
Ichs finde, das Gefühl des Rechts, den frech
Verleumdeten zu rächen.

Ottokar.                                 Das Gefühl
Des Rechts! O du Falschmünzer der Gefühle!
Nicht einen wird ihr blanker Schein betrügen;
Am Klange werden sie es hören, an
Die Tür zur Warnung deine Worte nageln. –
Das Rechtgefühl! – Als obs ein andres noch
In einer andern Brust, als dieses, gäbe!
Denkst du, daß ich, wenn ich ihn schuldlos glaubte,
Nicht selbst dem eignen Vater gegenüber
Auf seine Seite treten würde? Nun,
Du Tor, wie könnt ich denn dies Schwert, dies gestern
Empfangne, dies der Rache auf sein Haupt
Geweihte, so mit Wollust tragen? – Doch
Nichts mehr davon, das kannst du nicht verstehn.
Zum Schlusse – wir, wir hätten, denk ich, nun
Einander wohl nichts mehr zu sagen?

Jeronimus.                                                 – Nein.

Ottokar.
Leb wohl!

Jeronimus.       Ottokar!
Was meinst du? Sieh, du schlägst mir ins Gesicht,
Und ich, ich bitte dich mit mir zu reden –
Was meinst du, bin ich nicht ein Schurke?

Ottokar.                                                             Willst
Dus wissen, stell dich nur an diesen Sarg.

(Ottokar ab. Jeronimus kämpft mit sich, will ihm nach, erblickt dann den Kirchenvogt.)

Jeronimus.
He, Alter!

Kirchenvogt.     Herr!

Jeronimus.                 Du kennst mich?

Kirchenvogt.                                       Warst du schon
In dieser Kirche?

Jeronimus.                   Nein.

Kirchenvogt.                         Ei, Herr, wie kann
Ein Kirchenvogt die Namen aller kennen,
Die außerhalb der Kirche?

Jeronimus.                                 Du hast recht.
Ich bin auf Reisen, hab hier angesprochen,
Und finde alles voller Leid und Trauer.
Unglaublich dünkts mich, was die Leute reden,
Es hab der Oheim dieses Kind erschlagen.
Du bist ein Mann doch, den man zu dem Pöbel
Nicht zählt, und der wohl hie und da ein Wort
Von höhrer Hand erhorchen mag. Nun, wenns
Beliebt, so teil mir, was du wissen magst,
Fein ordentlich und nach der Reihe mit.

Kirchenvogt.
Seht, Herr, das tu ich gern. Seit alten Zeiten
Gibts zwischen unsern beiden Grafenhäusern,
Von Rossitz und von Warwand einen Erbvertrag,
Kraft dessen nach dem gänzlichen Aussterben
Des einen Stamms, der gänzliche Besitztum
Desselben an den andern fallen sollte.

Jeronimus.
Zur Sache, Alter! das gehört zur Sache nicht.

Kirchenvogt.
Ei, Herr, der Erbvertrag gehört zur Sache.
Denn das ist just als sagtest du, der Apfel
Gehöre nicht zum Sündenfall.

Jeronimus.                                       Nun denn,
So sprich.

Kirchenvogt.     Ich sprech! Als unser jetzger Herr
An die Regierung treten sollte, ward
Er plötzlich krank. Er lag zwei Tage lang
In Ohnmacht; alles hielt ihn schon für tot,
Und Graf Sylvester griff als Erbe schon
Zur Hinterlassenschaft, als wiederum
Der gute Herr lebendig ward. Nun hätt
Der Tod in Warwand keine größre Trauer
Erwecken können, als die böse Nachricht.

Jeronimus.
Wer hat dir das gesagt?

Kirchenvogt.                           Herr, zwanzig Jahre sinds,
Kanns nicht beschwören mehr.

Jeronimus.                                       Sprich weiter.

Kirchenvogt.                                                           Herr,
Ich spreche weiter. Seit der Zeit hat der
Sylvester stets nach unsrer Grafschaft her
Geschielt, wie eine Katze nach dem Knochen,
An dem der Hund nagt.

Jeronimus.                           Tat er das!

Kirchenvogt.                                           Sooft
Ein Junker unserm Herrn geboren ward,
Soll er, spricht man, erblaßt sein.

Jeronimus.                                             Wirklich?

Kirchenvogt.                                                           Nun,
Weil alles Warten und Gedulden doch
Vergebens war, und die zwei Knaben wie
Die Pappeln blühten, nahm er kurz die Axt,
Und fällte vorderhand den einen hier,
Den jüngsten, von neun Jahren, der im Sarg.


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