Heinrich von Kleist
Die Familie Schroffenstein
Heinrich von Kleist

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Zweiter Aufzug

Erste Szene

Gegend im Gebirge. Im Vordergrunde eine Höhle. Agnes sitzt an der Erde und knüpft Kränze. Ottokar tritt auf, und betrachtet sie mit Wehmut. Dann wendet er sich mit einer schmerzvollen Bewegung, während welcher Agnes ihn wahrnimmt, welche dann zu knüpfen fortfährt, als hätte sie ihn nicht gesehen.

Agnes.
's ist doch ein häßliches Geschäft: belauschen;
Und weil ein rein Gemüt es stets verschmäht,
So wird nur dieses grade stets belauscht.
Drum ist das Schlimmste noch, daß es den Lauscher,
Statt ihn zu strafen, lohnt. Denn statt des Bösen,
Das er verdiente zu entdecken, findet
Er wohl sogar ein still Bemühen noch
Für sein Bedürfnis, oder seine Laune.
Da ist, zum Beispiel, heimlich jetzt ein Jüngling
– Wie heißt er doch? Ich kenn ihn wohl. Sein Antlitz
Gleicht einem wilden Morgenungewitter,
Sein Aug dem Wetterleuchten auf den Höhn,
Sein Haar den Wolken, welche Blitze bergen,
Sein Nahen ist ein Wehen aus der Ferne,
Sein Reden wie ein Strömen von den Bergen
Und sein Umarmen – Aber still! Was wollt
Ich schon? ja, dieser Jüngling, wollt ich sagen,
Ist heimlich nun herangeschlichen, plötzlich,
Unangekündigt, wie die Sommersonne,
Will sie ein nächtlich Liebesfest belauschen.
Nun wär mirs recht, er hätte was er sucht,
Bei mir gefunden, und die Eifersucht,
Der Liebe Jugendstachel, hätte, selbst
Sich stumpfend, ihn hinaus gejagt ins Feld,
Gleich einem jungen Rosse, das zuletzt
Doch heimkehrt zu dem Stall, der ihn ernährt.
Statt dessen ist kein andrer Nebenbuhler
Jetzt grade um mich, als sein Geist. Und der
Singt mir sein Lied zur Zither vor, wofür
Ich diesen Kranz ihm winde. (Sie sieht sich um.) Fehlt dir was?

Ottokar.
Jetzt nichts.

Agnes.               So setz dich nieder, daß ich sehe,
Wie dir der Kranz steht. Ist er hübsch?

Ottokar.                                                       Recht hübsch.

Agnes.
Wahrhaftig? Sieh einmal die Finger an.

Ottokar.
Sie bluten. –

Agnes.                 Das bekam ich, als ich aus den Dornen
Die Blumen pflückte.

Ottokar.                           Armes Kind.

Agnes.                                                   Ein Weib
Scheut keine Mühe. Stundenlang hab ich
Gesonnen, wie ein jedes einzeln Blümchen
Zu stellen, wie das unscheinbarste selbst
Zu nutzen sei, damit Gestalt und Farbe
Des Ganzen seine Wirkung tue. – Nun,
Der Kranz ist ein vollendet Weib. Da, nimm
Ihn hin. Sprich: er gefällt mir; so ist er
Bezahlt. (Sie sieht sich wieder um.)
              Was fehlt dir denn?
(Sie steht auf; Ottokar faßt ihre Hand.)
                                              Du bist so seltsam,
So feierlich – bist unbegreiflich mir.

Ottokar.
Und mir du.

Agnes.                 Liebst du mich, so sprich sogleich
Ein Wort, das mich beruhigt.

Ottokar.                                         Erst sprich du.
Wie hast dus heute wagen können, heute,
Von deinem Vaterhaus dich zu entfernen?

Agnes.
Von meinem Vaterhause? Kennst dus denn?
Hab ich nicht stets gewünscht, du möchtest es
Nicht zu erforschen streben?

Ottokar.                                         O verzeih!
Nicht meine Schuld ists, daß ichs weiß.

Agnes.                                                           Du weißts?

Ottokar.
Ich weiß es, fürchte nichts! Denn deinem Engel
Kannst du dich sichrer nicht vertraun, als mir.
Nun sage mir, wie konntest du es wagen,
So einsam dies Gebirge zu betreten,
Da doch ein mächtger Nachbar all die Deinen
In blutger Rachefehd verfolgt?

Agnes.                                             In Fehde?
In meines Vaters Sälen liegt der Staub
Auf allen Rüstungen, und niemand ist
Uns feindlich, als der Marder höchstens, der
In unsre Hühnerställe bricht.

Ottokar.                                         Wie sagst du?
Ihr wärt in Frieden mit den Nachbarn? Wärt
In Frieden mit euch selbst?

Agnes.                                         Du hörst es, ja.

Ottokar.
O Gott! Ich danke dir mein Leben nur
Um dieser Kunde! – Mädchen! Mädchen! O
Mein Gott, so brauch ich dich ja nicht zu morden!

Agnes. Morden?

Ottokar.
O komm! (Sie setzen sich.) Nun will ich heiter, offen, wahr,
Wie deine Seele mit dir reden. Komm!
Es darf kein Schatten mehr dich decken, nicht
Der mindeste, ganz klar will ich dich sehen.
Dein Innres ists mir schon, die neugebornen
Gedanken kann ich wie dein Gott erraten.
Dein Zeichen nur, die freundliche Erfindung
Mit einer Silbe das Unendliche
Zu fassen, nur den Namen sage mir.
Dir sag ich meinen gleich; denn nur ein Scherz
War es, dir zu verweigern, was du mir.
Ich hätte deinen längst erforscht, wenn nicht
Sogar dein unverständliches Gebot
Mir heilig. Aber nun frag ich dich selbst.
Nichts Böses bin ich mir bewußt, ich fühle
Du gehst mir über alles Glück der Welt,
Und nicht ans Leben bin ich so gebunden,
So gern nicht, und so fest nicht, wie an dich.
Drum will ich, daß du nichts mehr vor mir birgst,
Und fordre ernst dein unumschränkt Vertrauen.

Agnes.
Ich kann nicht reden, Ottokar. –

Ottokar.                                             Was ängstigt dich?
Ich will dir jeden falschen Wahn benehmen.

Agnes.
– Du sprachst von Mord.

Ottokar.                                   Von Liebe sprach ich nur.

Agnes.
Von Liebe, hör ich wohl, sprachst du mit mir,
Doch sage mir, mit wem sprachst du vom Morde?

Ottokar.
Du hörst es ja, es war ein böser Irrtum,
Den mir ein selbst getäuschter Freund erweckt.

(Johann zeigt sich im Hintergrunde.)

Agnes.
Dort steht ein Mensch, den kenn ich.
(Sie steht auf)

Ottokar.                                                   Kennst du ihn?

Agnes.
Leb wohl.

Ottokar.         Um Gotteswillen, nein, du irrst dich.

Agnes.
Ich irre nicht. – Laß mich – Wollt ihr mich morden?

Ottokar.
Dich morden? – Frei bist du, und willst du gehen,
Du kannst es unberührt, wohin du willst.

Agnes.
So leb denn wohl.

Ottokar.                       Und kehrst nicht wieder?

Agnes.                                                                   Niemals,
Wenn du nicht gleich mir deinen Namen sagst.

Ottokar.
Das soll ich jetzt – vor diesem Fremden –

Agnes.                                                                 So
Leb wohl auf ewig.

Ottokar.                           Maria! Willst du nicht besser von
Mir denken lernen?

Agnes.                             Zeigen kann ein jeder
Gleich, wer er ist.

Ottokar.                         Ich will es heute noch. Kehr wieder.

Agnes.
Soll ich dir traun, wenn du nicht mir?

Ottokar.                                                     Tu es
Auf die Gefahr.

Agnes.                       Es sei! Und irr ich mich,
Nicht eine Träne kosten soll es mich. (Ab.)

Ottokar.
Johann, komm her, du siehst sie ist es wohl,
Es ist kein Zweifel mehr, nicht wahr?

Johann.                                                       Es mag
Wies scheint, dir wohl an keinem Aufschluß mangeln,
Den ich dir geben könnte.

Ottokar.                                   Wie dus nimmst.
Zwei Werte hat ein jeder Mensch: den einen
Lernt man nur kennen aus sich selbst, den andern
Muß man erfragen.

Johann.                         Hast du nur den Kern,
Die Schale gibt sich dann als eine Zugab.

Ottokar.
Ich sage dir, sie weigert mir, wie dir,
Den Namen, und wie dich, so flieht sie mich
Schon bei der Ahndung bloß, ich sei aus Rossitz.
Du sahst es selbst, gleich einem Geist erscheint
Und schwindet sie uns beiden.

Johann.                                             Beiden? Ja.
Doch mit dem Unterschied, daß dir das eine
Talent geworden, ihn zu rufen, mir
Das andre bloß, den Geist zu bannen.

Ottokar.                                                       Johann!

Johann.
Pah! – Die Schuld liegt an der Spitze meiner Nase
Und etwa noch an meinen Ohrenzipfeln.
Was sonst an mir kann so voll Greuel sein,
Daß es das Blut aus ihren Wangen jagt
Und, bis aufs Fliehen, jede Kraft ihr nimmt?

Ottokar.
Johann, ich kenne dich nicht mehr.

Johann.                                                 Ich aber dich.

Ottokar.
Ich will im voraus jede Kränkung dir
Vergeben, wenn sie sich nur edel zeigt.

Johann.
Nicht übern Preis will ich dir zahlen. – Sprich.
Wenn einer mir vertraut', er wiss ein Roß,
Das ihm bequem sei, und er kaufen wolle,
Und ich, ich ginge heimlich hin und kaufts
Mir selbst – was meinst du, wäre das wohl edel?

Ottokar.
Sehr schief wählst du dein Gleichnis.

Johann.                                                       Sage bitter;
Und doch ists Honig gegen mein Gefühl.

Ottokar.
Dein Irrtum ist dir lieb, weil er mich kränkt.

Johann.
Kränkt? Ja, das ist mir lieb, und ists ein Irrtum,
Just darum will ich zähe fest ihn halten.

Ottokar.
Nicht viele Freude wird dir das gewähren,
Denn still verschmerzen werd ich, was du tust.

Johann.
Da hast du recht. Nichts würd mich mehr verdrießen,
Als wenn dein Herz wie eine Kröte wär,
Die ein verwundlos steinern Schild beschützt,
Denn weiter keine Lust bleibt mir auf Erden,
Als einer Bremse gleich dich zu verfolgen.

Ottokar.
Du bist weit besser als der Augenblick.

Johann.
Du Tor! Du Tor! Denkst du mich so zu fassen?
Weil ich mich edel nicht erweise, nicht
Erweisen will, machst du mir weis, ich seis,
Damit die unverdiente Ehre mich
Bewegen soll, in ihrem Sinn zu handeln?
Vor deine Füße werf ich deine Achtung. –

Ottokar.
Du willst mich reizen, doch du kannst es nicht;
Ich weiß, du selbst, du wirst mich morgen rächen.

Johann.
Nein, wahrlich, nein, dafür will ich schon sorgen.
Denn in die Brust schneid ich mir eine Wunde,
Die reiz ich stets mit Nadeln, halte stets
Sie offen, daß es mir recht sinnlich bleibe.

Ottokar.
Es ist nicht möglich, ach, es ist nicht möglich!
Wie könnte dein Gemüt so häßlich sein,
Da du doch Agnes, Agnes lieben kannst!

Johann.
Und daran noch erinnerst du mich, o
Du Ungeheuer!

Ottokar.                 Lebe wohl, Johann.

Johann.
Nein, halt! Du denkst, ich habe bloß gespaßt.

Ottokar.
Was willst du?

Johann.                     Gerad heraus. Mein Leben
Und deines sind wie zwei Spinnen in der Schachtel.
Drum zieh! (Er zieht.)

Ottokar.             Gewiß nicht. Fallen will ich anders
Von deiner Hand nicht, als gemordet.

Johann.                                                       Zieh,
Du Memme! Nicht nach deinem Tod, nach meinem,
Nach meinem nur gelüstets mir.

Ottokar (umarmt ihn).                       Johann!
Mein Freund! Ich dich ermorden.

Johann (stößt ihn fort).                         Fort, du Schlange!
Nicht stechen will sie, nur mit ihrem Anblick
Mich langsam töten. – Gut. (Er steckt das Schwert ein.)
                                            Noch gibts ein andres Mittel.

(Beide von verschiedenen Seiten ab.)


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