Heinrich von Kleist
Die Familie Schroffenstein
Heinrich von Kleist

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Fünfte Szene

Rossitz. Ein Gefängnis im Turm.
Die Tür öffnet sich, Fintenring tritt auf

Ottokar (noch draußen).
Mein Vater hats befohlen?

Fintenring.                                 In der eigenen
Person, du möchtest gleich bei deinem Eintritt
Ins Tor uns folgen nur, wohin wir dich
Zu führen haben. Komm, du alter Junge,
Komm h'rein.

Ottokar.                 Hör, Fintenring, du bist mit deinem
Satyrngesicht verdammt verdächtig mir.
Nun, weil ich doch kein Mädchen, will ichs tun.

(Er tritt auf, der Kerkermeister folgt ihm.)

Fintenring.
Der Ort ist, siehst du, der unschuldigste.
Denn hier auf diesen Quadersteinen müßts
Selbst einen Satyr frieren.

Ottokar.                                     Statt der Rosen
Will er mit Ketten mich und Banden mich
Umwinden – denn die Grotte merk ich wohl
Ist ein Gefängnis.

Fintenring.                   Hör, das gibt vortreffliche
Gedanken, morgen, wett ich, ist dein Geist
Fünf Jahre älter, als dein Haupt.

Ottokar.                                               Wär ich
Wie du, ich nähm es an. Denn deiner straft
Dein graues Haupt um dreißig Jahre Lügen.
– Nun komm, ich muß zum Vater.

Fintenring (tritt ihm in den Weg).         Nein, im Ernst,
Bleib hier, und sei so lustig, wie du kannst.

Ottokar.
Bei meinem Leben, ja, das bin ich nie
Gewesen so wie jetzt, und möchte dir
Die zähnelosen Lippen küssen, Alter.
Du ziehst auch gern nicht in den Krieg, nun, höre,
Sag deinem Weibe nur, ich bring den Frieden.

Fintenring.
Im Ernste?

Ottokar.            Bei meinem Leben, ja.

Fintenring.                                             Nun morgen
Mehr. Lebe wohl. (Zum Kerkermeister.) Verschließe hinter mir
Sogleich die Türe.
(Zu Ottokar, da dieser ihm folgen will.)
                               Nein, bei meinem Eid
Ich sag dir, auf Befehl des Vaters bist
Du ein Gefangner.

Ottokar.                         Was sagst du?

Fintenring.                                             Ich soll
Dir weiter gar nichts sagen, außer dies.

Ottokar.
Nun?

Fintenring. Ei, daß ich nichts sagen soll.

Ottokar.                                                     O bei
Dem großen Gott des Himmels, sprechen muß
Ich gleich ihn – eine Nachricht von dem höchsten
Gewicht, die keinen Aufschub duldet, muß
Ich mündlich gleich ihm hinterbringen.

Fintenring.                                                     So
Kannst du dich trösten mindestens, er ist
Mit Santing fort, es weiß kein Mensch wohin.

Ottokar.
Ich muß sogleich ihn suchen, laß mich. –

Fintenring (tritt ihm in den Weg).                    Ei
Du scherzest wohl.

Ottokar.                          Nein laß mich, nein, ich scherze
Bei meiner Ritterehre nicht mit deiner.
's ist plötzlich mir so ernst zu Mut geworden,
Als wäre ein Gewitter in der Luft.
Es hat die höchste Eil mit meiner Nachricht,
Und läßt du mich gutwillig nicht, so wahr
Ich leb ich breche durch.

Fintenring.                              Durchbrechen, du?
Sprichst doch mit mir gleich wie mit einem Weibe!
Du bist mir anvertraut auf Haupt und Ehre,
Tritt mich mit Füßen erst, dann bist du frei.
– Nein, hör, ich wüßte was Gescheuteres.
Gedulde dich ein Stündchen, führ ich selbst
Sobald er rückkehrt deinen Vater zu dir.

Ottokar.
Sag mir ums Himmelswillen nur, was hab
Ich Böses denn getan?

Fintenring.                           Weiß nichts. – Noch mehr.
Ich schick dem Vater Boten nach, daß er
So früher heimkehrt.

Ottokar.                             Nun denn, meinetwegen.

Fintenring.
So lebe wohl. (Zum Kerkermeister.) Und du tust deine Pflicht.

(Fintenring und der Kerkermeister ab; die Tür wird verschlossen.)

Ottokar (sieht ihnen nach).
Ich hätte doch nicht bleiben sollen. – Gott
Weiß, wann der Vater wiederkehrt. – Sie wollten
Ihn freilich suchen. – Ach, es treibt der Geist
Sie nicht, der alles leistet. – – Was zum Henker,
Es geht ja nicht, ich muß hinaus, ich habe
Ja Agnes ins Gebirg beschieden. – Fintenring!
Fintenring! (An die Türe klopfend.) Daß ein Donner, Tauber, das
Gehör dir öffnete! Fintenring! – – Schloß
Von einem Menschen, den kein Schlüssel schließt,
Als nur sein Herr. Dem dient er mit stockblinder
Dienstfertigkeit, und wenn sein Dienst auch zehnmal
Ihm Schaden brächt, doch dient er ihm. – Ich wollt
Ihn doch gewinnen, wenn er nur erschiene.
Denn nichts besticht ihn, außer daß man ihm
Das sagt. – – Zum mindsten wollt ich ihn doch eher
Gewinnen, als die tauben Wände! Himmel
Und Hölle! Daß ich einem Schäfer gleich
Mein Leid den Felsen klagen muß! – – So will
Ich mich, Geduld, an dir, du Weibertugend üben.
– 's ist eine schnöde Kunst, mit Anstand viel
Zu unterlassen – und ich merk es schon,
Es wird mehr Schweiß mir kosten, als das Tun.
(Er will sich setzen.)
Horch! Horch! Es kommt.

(Der Kerkermeister öffnet Eustachen die Türe.)

Eustache (zu diesem).                Ich werd es dir Vergelten

Ottokar.
Ach, Mutter!

Eustache.               Hör, mein Sohn, ich habe dir
Entsetzliches zu sagen.

Ottokar.                                Du erschreckst mich –
– Wie bist du so entstellt?

Eustache.                                    Das eine wirst
Du wissen schon, Jerome ist erschlagen.

Ottokar.
Jeronimus? O Gott des Himmels! Wer
Hat das getan?

Eustache.                 Das ist nicht alles. Rupert
Kennt deine Liebe. –

Ottokar.                              Wie? Wer konnt ihm die
Entdecken?

Eustache.            Frage nicht – o deine Mutter,
Ich selbst. Jerome hat es mir vertraut,
Mich riß ein übereilter Eifer hin,
Der Wütrich, den ich niemals so gekannt –

Ottokar.
Von wem sprichst du?

Eustache.                             O Gott, von deinem Vater.

Ottokar.
Noch faß ich dich nur halb – doch laß dir sagen
Vor allen Dingen, alles ist gelöset,
Das ganze Rätsel von dem Mord, die Männer,
Die man bei Peters Leiche fand, sie haben
Die Leiche selbst gefunden, ihr die Finger
Aus Vorurteil nur abgeschnitten. – Kurz,
Rein, wie die Sonne, ist Sylvester.

Eustache.                                                 O
Jesus! Und jetzt erschlägt er seine Tochter. –

Ottokar.
Wer?

Eustache.   Rupert. Wenn sie in dem Gebirge jetzt,
Ist sie verloren, er und Santing sucht sie.

Ottokar (eilt zur Türe).
Fintenring! Fintenring! Fintenring!

Eustache.                                                  Höre
Mich an, er darf dich nicht befrein, sein Haupt
Steht drauf. –

Ottokar.                  Er oder ich. – Fintenring!
(Er sieht sich um.)                                     Nun
So helfe mir die Mutter Gottes denn.
(Er hängt einen Mantel um, der auf dem Boden lag.)
Und dieser Mantel bette meinem Fall.
(Er klettert in ein unvergittert Fenster.)

Eustache.
Um Gotteswillen, springen willst du doch
Von diesem Turm nicht? Rasender! Der Turm
Ist funfzig Fuß hoch, und der ganze Boden
Gepflastert. – Ottokar! Ottokar!

Ottokar (von oben).
Mutter! Mutter! Sei wenn ich gesprungen
Nur still, hörst du? Ganz still, sonst fangen sie
Mich.

Eustache (sinkt auf die Knie). Ottokar! Auf meinen Knieen bitte,
Beschwör ich dich, geh so verächtlich nicht
Mit deinem Leben um, spring nicht vom Turm.

Ottokar.
Das Leben ist viel wert, wenn mans verachtet.
Ich brauchs. – Leb wohl. (Er springt.)

Eustache (steht auf).               Zu Hülfe! Hülfe! Hülfe!

(Der Vorhang fällt.)


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