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Störtebecker
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Sie setzten Störtebecker in einen eisernen Käfig und fuhren ihn im Triumph durch die Stadt.

Er saß darin wie ein Adler in der Gefangenschaft, stolz und schweigsam.

Die Kinder in den Straßen warfen Pferdedreck nach ihm, der ihm im Barte hängen blieb.

Die Frauen spieen ihm ins Gesicht. Du Mörder unserer Männer! unseres Glückes!

Du Bastard eines Stinktieres und einer Hyäne! Wo ist jetzt dein Hochmut? He?

Man wird dir die Gedärme aus dem Leibe wringen und dich daran aufhängen.

Mit der Zange wird man dir das Herz aus dem Bauche zwacken und es in dein Maul hängen.

Der Käfig wurde acht Tage am Pranger der St. Nikolaikirche aufgehängt.

Es regnete unaufhörlich.

Die vom Kampf ramponierten Kleider und Stiefel wurden ihm vom Leibe geschwemmt.

Schon am fünften Tage stand er nackt im Käfig.

Seine breite braune Brust atmete dem Himmel entgegen.

In einer Nacht begann der Regen nachzulassen.

Plötzlich setzte er ganz aus.

Es war eine undurchdringliche Finsternis. Plötzlich erklang eine Stimme:

Störtebecker!

Störtebecker lauschte.

Störtebecker!

Die Stimme klang wie im Gebet.

Störtebecker gab Antwort: Wer ruft mich?

Fragt mich nicht nach dem Wer. Wer ist wer? Was ist was? Das Dunkel ruft Euch. Die Nacht. Ich liebe Euch.

Wer liebt mich? Ich werde nur gehaßt.

Ein Mensch liebt Euch. Wenn nur ein Mensch Euch liebt: so seid Ihr gerettet.

Niemand vermag mich zu retten.

Doch: Ihr selbst.

Wodurch?

Durch den Glauben.

An wen?

An mich!

Wer bist du?

Die Liebe.

Die Liebe ist ein abstractum.

Ich bin ein Mensch, der liebt.

Ihr täuscht Euch, Ihr habt Mitleid mit mir, weil ich hier hänge in Sturm und Regen.

Ich habe kein Mitleid mit Euch. Ich kann nicht mit Euch leiden, weil Ihr nicht leidet.

Woher wißt Ihr das?

Ich fühle es.

So müßt Ihr lieben: in der Tat.

Ja: in der Tat will ich Euch lieben. Ich will Euch befreien.

Ihr könnt mich aus dem Käfig befreien, vielleicht, wenn Ihr Leiter, Feile und Hammer habt. Aus dem Käfig meines Hirns und meines Willens befreit mich kein Mensch. –

Kein Gott?

Kein Gott und kein Teufel. –

Man setzte eine Leiter an den Stein des Turms. Jemand kletterte empor.

Feilen. Sägen. Leises Hämmern.

Das Gitter brach.

Sita stand im Käfig.

Sie riß sich den Mantel und das Hemd vom Leibe und warf sich nackt dem Nackten an die Brust.

Sie sprachen kein Wort mehr.

Sie standen tief umschlungen, bis der Morgen graute.

Da löste sich Sita aus seinen Armen.

Du folgst mir nicht? Ein Boot liegt an der nächsten Twiete.

Ich habe Kleider und – – –

Störtebecker schüttelte den Kopf.

Was soll's? Die Brüder sind mir erschlagen. Mein Herz schlägt nur langsam noch. Ich bin müde. Zur neuen Tat nicht mehr fähig. Es werden andere kommen, die rote Fahne aus dem Staub zu holen, in den wir Ahnungslosen selbst sie getreten.

Sie stieg die Leiter hinunter. Warf Leiter, Feile, Hammer ins Wasser.

Noch einmal wandte sie den Kopf. Um seine Stirne spielten schon die ersten Strahlen der aufsteigenden Sonne wie silberne Wellen.


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