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Störtebecker
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Die Brigg drehte bei.

Mit singenden Segeln schoß die feindliche Fregatte auf das Admiralsschiff der Likedeeler zu und rammte es seitwärts.

Enterhaken krallten sich wie Geier ins Strauchwerk der Taue.

Kleine Schiffsbrücken sprangen wie böse Hunde von einem zum andern Schiff und bissen sich in den hölzernen Bohlen fest.

Einen Morgenstern in der zarten Faust, sprang Sita als erste auf das Admiralsschiff. Aus dem eisernen Helm rann das blonde Haar in Strähnen und Strömen.

Die Brust tanzte unter dem Panzer.

Am Mastbaum stand Störtebecker, den Degen in der rechten, die rote Fahne in der linken Hand.

Vom Hals tropfte über das schwarze Halstuch Blut.

Sita schrie:

Likedeeler! Likedeeler! Ihr Gleichmacher! Der Tod wird euch alle gleichmachen! Und wird es gleich machen! Ihr Stromer! Vom Strom des Lebens rettungslos in das wüste Meer getrieben! Ihr Stürmer! mit denen der Sturm spielt! Mors wird euch Mores lehren! Du wirst nicht mehr den Becher stürzen, Becherstürzer, Störtebecker, und das Blut deiner Feinde saufen, du Blutsäufer! Wo ist dein riesiger goldener Pokal? Ich will dein Blut auffangen und in der Marienkirche in Hamburg zum entsetzlichen Gedächtnis aufstellen, daß Zehntausende das Kreuz davor schlagen, wenn der Teufel es wieder zum Wallen bringt.

Dröhnend lachte Störtebecker:

Mädchen, Mädchen! Jungfrau oder Hure: wer du seist: Dieses Blut ist unsterblich! Ewig wird es in den Venen der Menschheit rasen. Es ist das Blut, das Luzifer den Engeln abzapfte, ehe er sich von ihnen wandte. Und solch ein Engel scheinst auch du zu sein, du Blasse, Bleichsüchtige! Es ist das Blut des Gottestrotzes, es rann in Prometheus' Adern, als er den Göttern das Feuer stahl, um es den Menschen zu bringen. Es ist das Blut, mit dem meine rote Fahne getränkt ist: denn diese Fahne habe ich getränkt mit dem Blut meiner Brüder, die gefallen sind, damit auferstehe eine ehrliche, kühne, wahre Menschheit. Ich komme als Hüterin des heiligen weißen Grals –

Der Gral: das ist der Goldschatz der reichen Hamburger, erpreßt aus dem Blut der dienenden Sklaven und Knechte. Ihr schreit Gral und Gott: und meint Gold und Prozente.

Da hob sie die Keule und schlug sie ihm auf die Stirn, daß er zusammenklappte. Aber im Fallen noch stieß er ihr den Degen von unten in die Brust.

Sie sanken wie in einer Umarmung zusammen.

Ihr Helm kollerte über das Deck. Blond rann ihr Haar in sein schwarzes. Und beider Blut floß ineinander.

Als Störtebecker erwachte, schrie er:

Wo ist das Mädchen?

Er konnte seine Augen nur halb öffnen, so waren sie von Schweiß und Blut verklebt.

Klaus Toelen, der Wundarzt, saß bei ihm.

Ihr habt ihr nur zwischen zwei Rippen zart die Lunge gekitzelt. Sie lebt. Sie liegt in der Kajüte nebenan. Anke Hansen ist bei ihr.

Störtebecker schloß die Augen.

Das Schiff ging auf und nieder.

Und ihm schien, als schritte auf den Wogen des Meeres jenes Mädchen in einem weißen Hemd, in der Linken eine weiße Fahne, in der Rechten eine Lilie.

Die Augen noch geschlossen, verzog er grinsend das Gesicht.

Der Teufel. Der Gott. Was für alberne Gesichter zaubert mir das Fieber. Jenes Mädchen schlägt mir mit einem sauberen handfesten Morgenstern fast den Schädel ein, und ich sehe auf einmal eine Blume in ihrer Hand. Vielleicht habe ich ihr gar nicht mit meinem Degen eins ausgewischt, sondern mit einem Fliegenwedel eine spanische Fliege von ihrer zarten Brust verscheucht. Hat man ihr das Panzerhemd abgenommen? Ich habe Sehnsucht, diese Brust, die mein Degen gespalten, mit meiner Hand wieder zusammenzufügen.

Klaus Toelen lächelte:

Es fehlte noch, daß Ihr Euch in die Amazone vergafftet.

Bockemühl trat durch die Kabinentür.

Ich bin dafür, sie an ihren blonden Strähnen am Mastbaum aufzuhängen. Weib hin, Weib her, sie ist unser Feind.

Toelen zupfte an seinem gelben Spitzbart.

Wir haben ein gutes Pfand an ihr. Sie ist die Tochter des Senators Stollenweber in Hamburg. Hamburg wird einige Tonnen Dukaten springen lassen, wenn wir sie ihm heil wieder zuschicken.

Bockemühl brummte:

Damit uns nach fünf Wochen wieder eine Laus im Pelz sitzt? Sie ist ein verdammtes Weibsstück. Ich habe allen Respekt vor ihr, und gerade darum will ich sie aufhängen. Irgend eine gleichgültige Hure könnte man laufen lassen.

Störtebecker versuchte, die Augen ganz aufzureißen.

Er hatte eine Binde um den Schädel und um den Hals.

Er erhob sich, Toelen stützte ihn.

Er stapfte einige Schritte. Strauchelte und fiel an die Tür.

Griff wie Simson nach links und nach rechts an die Pfosten.

Und stampfte und schwankte bis in die Nebenkajüte.

Anke saß am Fußende und spielte mit Sitas Füßen.

Sie küßte ihre Zehen, einen nach dem andern.

Sie gab ihnen Namen: nannte die große Zehe Grete, die kleine Anna und so fort und sagte: Ich liebe Grete, ich liebe Anna, ich liebe alle, alle.

Ich liebe die große Zehe, ich liebe die kleine Zehe. Ich liebe alle Zehen.

Ich liebe Klaus Toelen. Ich liebe Bockemühl. Ich liebe Störtebecker –

Störtebecker stand im Türrahmen.

Das Schiff schwankte.

Er hielt sich links und rechts am Holz fest. Anke Hansen schwieg.

Sie ließ die Füße Sitas fahren.

Sita schlief.

Ruhig atmeten unter dem groben Leinwandhemd, das man ihr angezogen hatte, ihre kleinen Brüste.

Störtebecker ging ein paar Schritte vorwärts. Geh, er versuchte seiner rauhen Stimme einen zarten Klang zu geben, geh, Anke, laß mich allein mit dem Mädchen.

Er setzte sich auf die Pritsche und betrachtete die Schlafende.

Er saß eine Stunde unbeweglich.

Da erwachte Sita, sah ihn groß an, schloß die Augen und schlief weiter.

Er räusperte sich.

Sie erwachte.

Warum laßt Ihr mich nicht schlafen? Es ist mein einziges Gut. Ich kann mir vorstellen, daß ich im Sterben liege. Warum tötet Ihr mich nicht?

Störtebecker schwieg. Dann:

Bockemühl schlug vor, Euch aufzuhängen.

Sita sah ihn fragend an:

Und –? warum tut Ihr es nicht?

Störtebecker hielt ihren Blick.

Vielleicht könntet Ihr mir noch einige Dienste erweisen?

Sita lächelte:

Ich? Dienste? Wodurch? Wenn Ihr mich freiließet, wäre es mein erstes, eine neue Flotte gegen Euch auszurüsten, denn ich würde es nicht ertragen, daß mein erster Anschlag mißlang. Ihr werdet Euch wundern, wenn ich Euch ganz ruhig sage, daß ich Euch hasse. Weil Ihr die Stärke seid und ich die Schwäche. Weil Ihr ein Mann seid und ich ein Weib. Ja: darum hasse ich Euch und bin bestrebt, Euch zu vernichten.

Störtebecker:

Ihr sprecht wie ein Professor der Beredsamkeit oder Moralwissenschaft. All das ist müßig: Ihr seid in meiner Gewalt, und ich tue mit Euch, was ich will.

Zweifellos. Es wäre töricht, wenn Ihr das nicht tätet.

Störtebecker zupfte sich an seinen über der Stirn zusammengewachsenen Augenbrauen: Wieviel Lösegeld, glaubt Ihr, würde Euer Vater zahlen, wenn ich Euch ihm heimschickte?

Blut schoß in ihre blasse Stirne.

Ich weigere mich, einem solchen schimpflichen Handel als Objekt zu dienen. Er kann mit dem Gold, das Ihr verlangen würdet, eine ganze Flotte gegen Euch rüsten. Was tut's, wenn ich draufgehe? Ich habe mich in St. Nicolai dem Dienst Gottes gewidmet. Und weil Ihr der Teufel in eigener Person seid, kämpfe ich gegen Euch: mit den reinsten Waffen und dem reinsten Herzen.

Dem reinsten Herzen?

Störtebecker lachte.

Ist Euch noch nie ein Gelüst nach einem Manne gekommen? He? Zum Beispiel jetzt nach mir? Ich kann nicht leugnen, daß die zarte Brust, die unter dem rauhen Hemd so sanft sich bewegt, mich reizt, sie zu packen und die Narbe zu küssen, die ich ihr schlug.

Sita schwieg.

Sie schlug das Kreuz über ihrer Brust.

Nun – nun –

Er grinste.

Auch wir haben unser Kreuz zu tragen. Aber wir sind keine Christen. Nein. Denn wir wollen das Kreuz, das Ihr und Euresgleichen uns auferlegt, von uns werfen und in der Johannisnacht unseres Gottes verbrennen. Ja, schrie er, und seine Stimme schlug über, ich glaube nicht an Euren schamlosen, duldenden, kriechenden Christengott: ich glaube an den heidnischen Donnergott Perkun, der seine Feinde mit seinem silbernen Blitzschwert zerschmettert. Ich glaube an Wodan. Und, schrie er, ich glaube an die Walküren. Liegt nicht leibhaftig hier eine vor mir? Wehrt Euch, soviel Ihr wollt: Ihr seid eines Blutes mit mir, seitdem auf dem Deck des Schlachtschiffes unser Blut ineinanderfloß. Vereinigt Euch mit mir, so werde ich unüberwindlich sein, und auf dem St. Nikolaiturm in Hamburg wird die rote Fahne wehen. Wir werden den Gekreuzigten von seinem Kreuz reißen, mit seinem Kreuz Feuer machen, in dem Weihwasser unsere blutbefleckten Hände reinigen und an seinem Altar dem einzigen Gott opfern, dem es wert ist, ein Opfer zu bringen: dem lebendigen Leben.

Er stand mit gebogenen Knien in der Kajüte. Das Schiff schwankte.

Die Binde um seine Stirn rötete sich mit frischem Blut.

Sita hatte sich halb aufgerichtet; sie stützte sich mit der Rechten und warf die Linke gegen ihn wie ein Pfeil:

Apage, Satanas!

Ihm wurde rot vor den Augen.

Schwindel packte ihn.

Er fiel vor ihr zusammen.


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