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Störtebecker
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Der Thing fand auf einer Lichtung bei Bremen statt. Der Fremde erhob seine Stimme und sprach:

Zwei Metzen namens Theodora und Varozzia regieren. Sie setzen Bischöfe ein und ab und erheben zum Papst, wen sie wollen. Pfründe, Dispense, Absolutionen, Urteile: alles ist käuflich. Die Justiz ist eine Dirne geworden, der längst die Binde von den Augen fiel. Der Papst liest die heilige Messe, ohne zu kommunizieren, und ein siebenjähriges Kind, das mit dem Bischofshut wie mit einer Karnevalsmütze spielt, wurde zum Bischof geweiht. Wer weiß, wer der rechte Papst ist? Benedikt heißt der eine: der Gesegnete: er ist mit der Franzosenkrankheit gesegnet. Innozenz, der Unschuldige, heißt der zweite. Er ist unschuldig wie eine Landsknechthure. Damit sie ihr gottverfluchtes Leben leben können, pressen sie die Christgläubigen mit Abgaben und Steuern. Zieht nicht auch bei euch in den Katen und Dünen der Pfaff mit dem Klingelbeutel herum und fordert den Zehnten, indem er sich auf Gottes Wort und die Bibel beruft? Werft ihm die Bibel an den Kopf. Was braucht ihr die Bibel, wenn sie zuläßt, daß solchen Ungeistes Kinder sich auf sie berufen? Als ihr die Bibel noch nicht hattet, Friesen, da tönte Gottes Wort euch milder und reiner im Sausen der Winde, im Sturm der See. Kein häßlicher Gott, der gewunden am Kreuze hing, mit verzerrten Gliedmaßen, drückte euch. Freia, die Göttin der Schönheit, kam auf einem Delphin über das Meer geschwommen und segnete euch! Wehr- und hilflos ließ sich der Christ ans Kreuz nageln, desgleichen verlangen die heuchlerischen Pfaffen von euch. Sie wollen euch ans Kreuz von tausend Verträgen und Edikten nageln, um euch besser und sicherer schröpfen zu können. Meint ihr, daß es beim Zehnten bleibt? Den Dritten, die Hälfte werden sie fordern, und eure Weiber und Töchter werden sie im Beichtstuhl verderben mit römischem Laster und gallischer Sünde. Noch lebt Wodan, der Schlachtengott! Noch lebt Thor! Er schwingt den Streithammer und wird zerschmettern, die sich gegen ihn stellen. Nieder mit den Pfaffen! Nieder mit Rom! Wir wollen freie Friesen sein!

Frei ist der Mensch! Frei ist die See!

Die Gesichter der Friesen flackerten erregt wie rote Fackeln. Sie klirrten mit den Sensen, Messern, Keulen aneinander:

Frei ist der Mensch! Frei ist die See!

Der Doktor aber fuhr fort:

Nun aber haben die Pfaffen eine Einrichtung erfunden, die würdig wäre der Erfindung des obersten, blutgierigsten Teufels.

Die Inquisition! riefen einige.

Ja: es ist die Inquisition, das grauenvollste Marterinstrument, das eines Menschen Hirn ersonnen! Wer nicht ihres rechten Glaubens ist, wie sie ihn verstehen, den spannen sie auf die Folter, hacken ihm die Hände oder Füße ab, legen ihm Daumenschrauben an, reißen ihm die Zunge mit glühendem Eisen aus dem Maul, schneiden ihm lebendigen Leibes das Herz aus der Brust. Einem Ketzer darf man kein Almosen spenden. Das Haus, darin man ihn findet, muß niedergebrochen werden. Verbrecher, Meineidige, Ehrlose dürfen wider ihn zeugen. Die gegenseitige Spitzelei und Denunziation wird den Christen zur Pflicht gemacht. Warum denn dies alles, meine Brüder?

Ich will es euch sagen: aus christlicher Nächstenliebe tun sie das alles ihren Mitmenschen und Mitkreaturen an.

Das Gebrüll der Friesen erschütterte die Luft. Sie schrien wie Tiere in der Brunft und röhrten wie Hirsche.

Der Papst, der solches zum Gesetz erhob, er ist der in der Offenbarung Johannis beschriebene Antichrist. Es sind Albigenser und Waldenser zu euch gekommen, sie haben euch berichtet, wie das Schwert der Pfaffen bei ihnen gehaust. Wahrlich: der Boden Frankreichs ist rot vom Blut der Gerechten. Kein Korn wird auf ihm mehr wachsen, nur Rade und Mohn. Es ist genug und übergenug des Mordens. Wir wollen der reißenden Wölfe Herr werden. Ich sage euch mit Paulus: Leget die Rüstung Gottes an, daß ihr an bösen Tagen Widerstand leisten und, in allem unbesiegt, das Feld behaupten möget.

In die Lichtung setzte plötzlich mit einem Galoppsprung der Bischof von Bremen, der sich auf der Jagd befand, bei ihm ein Knecht. Ehe er wußte, wie ihm geschah, war er von den Friesen eingeschlossen. Schweigend standen sie um ihn herum, die Äxte, Sensen, Messer funkelten in ihren Händen.

Herunter vom Pferd! schrie Störtebecker.

Der Bischof gehorchte.

Störtebecker gab dem Pferd einen Schlag mit der Hand. Es lief ein paar Schritte und begann ruhig zu äsen.

Ihr seid der Bischof Ortleb von Bremen?

Ich bin's, der Bischof neigte das Haupt.

Ihr habt Euch als Inquisitor des Papstes in Rom bestellen lassen?

Der Bischof nickte schweigend mit dem Kopf.

Durch die Friesen ging ein Murren.

Ihr laßt von den Bauern durch Eure Pfaffen den Zehnten eintreiben. Wer gab Euch ein Recht dazu?

Das Gesetz. Ich gab den Bauern das Land, sie haben mir dafür zu zahlen und zu steuern.

Ei, sieh da: Ihr gabt den Bauern das Land? Warum? Weil Ihr dazumal Kriegsknechte brauchtet. Habt Ihr auch das Land gesehen, das Ihr den Bauern gabt? Sand, öder Sand war das Land, auf dem nur die Stranddistel wucherte. Die See kam alle Augenblicke und schluckte ein, was monatelange Arbeit dem Boden abgerungen. Jahrzehntelang haben die Friesen geschuftet und gewerkt, haben Dünen gebaut und Straßen gebaut, von denen auch Ihr Nutzen habt. Und nun, da die Arbeit ihre Früchte zu tragen beginnt: nun seid Ihr plötzlich zur Stelle, neidisch und hoffärtig, und wollt ernten, wo sie gesät haben.

Der Bischof schwieg.

Nie werdet Ihr von uns auch nur einen Pfennig erhalten.

Die Friesen schrien: Nie! nie! nie!

Der Bischof erhob seine Stimme. Er sprach sehr leise, aber er knirschte mit den Zähnen. Ich werde die Reichsexekution gegen euch beantragen.

Die Woge ging hoch. Störtebecker hatte Mühe, sie zu besänftigen.

Herr Bischof: Ist es wahr, was uns berichtet wurde: daß Ihr unserem Bruder Hinrichsen das Bußhemd angezogen, daß Ihr ihn mit dem Strauchbesen habt geißeln lassen, daß Ihr ihn bei lebendigem Leibe habt die Gedärme aus dem Leibe wringen und winden lassen – als einen Ketzer und widerspenstigen Rebellen?

Der Bischof war leichenblaß geworden. Er schwieg.

Es ist wahr, schrie Störtebecker, denn – und seine Stimme schlug über, und Tränen traten ihm in die Augen – ich habe es mit eigenen Augen ansehen müssen. Ihr seid des gleichen Schicksals tausend- und abertausendmal schuldig.

Schuldig, schuldig, schuldig, gab das Echo der Friesen.

Der Bischof fiel winselnd in die Knie. Er jaulte wie ein junger Hund.

Schont meines Lebens!

Ihr werdet uns sogleich einen Ablaß erteilen von dreihundertfünfundsechzig Tagen und Ablaß von allem, was wir euch noch antun werden. Segne uns mit dem kirchlichen Segen, oder wir tun dir das an, was du so vielen angetan.

Der Inquisitor wimmerte. Er breitete die dürren Arme: Ich segne euch!

Tritt an diesen Stein. Es ist der Opferstein Wodans, bete zu Wodan! Du bist ein Friese aus dem Geschlecht der Stadinger! Du hast deinen friesischen Gott verraten um den römischen Gott. Knie nieder. Bete zu Wodan!

Der Bischof blieb stehen. Er rührte sich nicht.

Da sprangen von hinten einige und stießen ihn, daß er mit dem Kopf auf den Stein schlug. Andere schichteten aus Reisig und kleinen Holzstämmen einen Scheiterhaufen. Sie banden den Ohnmächtigen an einen jungen Birkenstamm, die Arme gebreitet, daß er stand wie der Gekreuzigte. Dann zündeten sie die Flamme an. Es war Dämmerung geworden. Die Flamme schlug in die Nacht. Sie standen, Hand in Hand verschlungen, im Kreis um den Scheiterhaufen und sangen:

Flamme empor!
Frei ist der Friese geboren!
Mensch ist zum Menschen erkoren.
Sünder in Sünde verloren,
Segne uns, Thor!

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